Der Apostolische Stuhl 1987 Ansprachen, Predigten und Botschaften des Papstes Erklärungen der Kongregationen Vollständige Dokumentation Libreria Editrice Vaticana • Verlag J.P. Bachem CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Ecclesia Catholica / Curia Romana: Der Apostolische Stuhl ...: Ansprachen, Predigten u. Botschaften d. Papstes, Erkl. d. Kongregationen; vollst. Dokumentation / Hrsg.: Sekretariat d. Dt. Bischofskonferenz in Zusammenarbeit mit d. Red. d. dt.-sprachigen L’Osservatore Romano. — [Citta del Vaticano]: Libreria Editrice Vaticana; Köln: Bachem Erscheint jährl. Forts, von: Wort und Weisung 1982 (1984) — NE: Ecclesia Catholica/Papa:; HST ISBN 3-7616-0913-2 Printed in Germany Herausgeber: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in Zusammenarbeit mit der Redaktion des deutschsprachigen L’Osservatore Romano Verlag: J. P. Bachem, Köln, und Libreria Editrice Vaticana Druck: J. P. Bachem, Köln Inhaltsverzeichnis I. Ansprachen hei den Generalaudienzen und beim Angelus Januar Wir sind deine Erben durch den Sohn Angelus am l. Januar ....... i Gottes Sohn hat einen menschlichen Namen Angelus am 4. Januar 4 Das Licht mit den anderen teilen Angelus am 6. Januar 5 In die Schule der ersten Jünger gehen! Generalaudienz am 7. Januar 7 Die Taufe Jesu am Jordan Angelus am 11. Januar 11 Jesus eindeutig eine historische Gestalt Generalaudienz am 14. Januar 12 Der Weg, der uns zur vollen Einheit führt Angelus am 18. Januar 17 Schritte zur Wiederversöhnung Generalaudienz am 21. Januar 18 Den Ökumenismus in rechter Weise verwirklichen Angelus am 25. Januar 22 Mutterschaft und Jungfräulichkeit Mariens Generalaudienz am 28. Januar 23 Februar Auftrag und Sendung der Laien in Kirche und Welt Angelus am 1. Februar 28 Jugendzeit Jesu — eine Zeit des verborgenen Lebens Generalaudienz am 4. Februar 30 Frieden für den Nahen Osten Appell im Verlauf der Generalaudienz am 4. Februar 34 VH Laien tragen Mitverantwortung Angelus am 8. Februar 35 Christus ist der Messias-König Generalaudienz am 11. Februar 37 Auch die Schattenseiten sehen Angelus am 15. Februar 42 Königliche und priesterliche Sendung Generalaudienz am 18. Februar 44 Das Wort Laie ist kein negativer Begriff Angelus am22. Februar , 49 In Jesus hat sich erfüllt, was Jesaja ankündigte Generalaudienz am 25. Februar 50 März Die Laien haben Anteil am priesterlichen Amt Angelus am 1. März ., 55 Wie spricht Jesus über seine Sendung Generalaudienz am 4. März 57 Priestertum gründet in der Taufe Angelus am 8. März 62 Die Laien leisten einen unersetzlichen Dienst Angelus am 15. März 64 Was versteht Christus unter Reich Gottes? Generalaudienz am 18. März 65 Volk Gottes ist kein soziologischer Begriff Angelus am 22. März 70 Eine Enzyklika in biblischem Horizont Generalaudienz am 25. März 71 Zur Heiligkeit berufen Angelus am 29. März : 76 April Die treue Jüngerin ihres Sohnes Angelus am 5. April 78 VIII Den Frieden täglich neu erringen Generalaudienz am 15. April -79 Nur in Gott ist die vollkommene Weisheit Generalaudienz am 22. April 85 Jeder Christ ist ein Apostel Regina Caeli am 26. April 90 Jesus — Menschensohn und Gottessohn Generalaudienz am 29. April 91 Mai Die wahren Mittelpunkte sind die Gebetsorte Generalaudienz am 6. Mai 96 Katecheten leisten eine besondere Arbeit Regina Caeli am 10. Mai 101 Christus ist Gottes Sohn Generalaudienz am 13. Mai 102 Evangelisierung ist Treue zur Berufung Regina Caeli am 17. Mai 107 Im Sohn spricht Gott selbst Generalaudienz am 20. Mai 109 Maria — Mutter des Erlösers und unsere Mutter Regina Caeli in Foggia am 24. Mai 113 Der Vater gibt Zeugnis für den Sohn Generalaudienz am 27. Mai 114 Die Kirche schart sich um Maria Regina Caeli am 31. Mai 118 Juni Das Wort wurde Fleisch Generalaudienz am 3. Juni 120 Maria geht auf dem Pilgerweg voran Regina Caeli am 7. Juni .. 124 Herr, gut wie das Brot Generalaudienz am 17. Juni 126 IX Marienheiligtümer sind echte Gebetsstätten Angelus am 21. Juni 130 Gott sandte seinen Sohn, damit wir leben Generalaudienz am 24. Juni : 131 Litauen — Land Mariens Angelus am 28. Juni 135 O glückliches Rom Angelus am 29. Juni 137 Juli Sein Vater ist unser Vater Generalaudienz am 2. Juli — 138 Jede Pilgerfahrt ein Glaubensweg Angelus, am 5. Juli 142 Der Abglanz seiner Herrlichkeit Generalaudienz am 8. Juli 143 In Christus Glieder der Familie Gottes Angelus in Val Visdonde (Belluno) am 12. Juli 147 Für den Vater leben Generalaudienz am 15. Juli 149 Wo Maria ist, fließt die Gnade über Angelus in Castel Gandolfo am 19. Juli 153 Sein ganzes Leben war Gebet Generalaudienz am 22. Juli 155 Zur Wahrheit bekehren Angelus am 26. Juli 159 Dem Herrn Dank sagen Generalaudienz am 29. Juli 161 August Jeder Christ ist ein Apostel Angelus am 2. August 165 Jesus ist der Sohn Gottes Generalaudienz am 5. August 168 X Vertrauen in die schöpferische Kraft der Jugend Angelus am 9. August .. 172 Der auferstandene Christus bringt den Geist Generalaudienz am 12. August 173 Maria ist wirklich in den Himmel aufgenommen Angelus am 15. August 178 Stellung der Frau in der Kirche Angelus am 16. August 179 Jesus ist wahrhaft der Sohn Gottes Generalaudienz am 19. August 181 Neuer Stil der Zusammenarbeit Angelus am 23. August 185 Jesus Christus — wahrer Gott und wahrer Mensch Generalaudienz am 26. August 187 Die Laien haben teil an den apostolischen Aufgaben Angelus am 30. August 191 September Jesus Christus ist von Ewigkeit zu Ewigkeit Generalaudienz am 2. September 193 Maria, Mutter der Gläubigen Angelus in Castel Gandolfo am 6. September 198 Jesus ist das Leben Generalaudienz am 9. September 200 Die Evangelisierung erfordert eine immer reifere Inkulturation Generalaudienz am 23. September 204 Das Evangelium der Arbeit im konkreten Alltag weiterschreiben Angelus am 27. September 210 Gott richtet, weil er liebt Generalaudienz am 30. September 211 Oktober Zum Wachstum der Kirche beitragen Angelus am 4. Oktober 216 XI Gott vergibt unsere Sünden Generalaudienz am 7. Oktober 217 Durch Maria zu Christus Angelus am 11. Oktober . 222 Die Kirche lebt aus dem Geist der Gemeinschaft ' Angelus am 13. Oktober 224 Meine Worte werden nicht vergehen Generalaudienz am 14. Oktober 225 Glaubt an Gott — glaubt an mich Generalaudienz am 21. Oktober 231 Die Dinge sagen, wie sie sind Angelus am 25. Oktober ..: 237 Laßt alles zurück um meinetwillen Generalaudienz am 28. Oktober 239 November Den Toten im Gebet begegnen Angelus am 1. November 245 Christus überwand das Hinfällige und Vergängliche Generalaudienz am 4. November 246 Maria — Quelle des wahren Lebens Angelus am 8. November 251 Durch den Glauben zum Weg des Heils Generalaudienz am 11. November 253 Maria — zeige uns Jesus! Angelus am 15. November 257 Auch heute geschehen Wunder Generalaudienz am 18. November 259 Gott ist in ihrer Mitte Angelus am 22. November 263 Christus befreit von Sünde und Tod Generalaudienz am 25. November i. 265 Freude auf die brüderliche Begegnung Angelus am 29. November 270 xn Dezember Wunder offenbaren den Heilsplan Generalaudienz am 2. Dezember 271 Athos — Garten der Jungfrau Angelus am 6. Dezember 275 Loreto zeigt die Weihnacht Angelus am 8. Dezember 276 Zeichen der Liebe Gottes Generalaudienz am 9. Dezember 277 Stern der Neuevangelisierung Angelus am 13. Dezember 281 Wunder — ein Ruf zum Glauben Generalaudienz am 16. Dezember 283 Wie Maria lieben Angelus am 20. Dezember 287 Freude über die Menschwerdung Gottes Generalaudienz am 23. Dezember 289 Zur Geburt in Gott berufen Angelus am 26. Dezember 291 Familie von heute — Gesellschaft von morgen Angelus am 27. Dezember 292 Für empfangene Wohltaten danken Generalaudienz am 30. Dezember 294 II. Predigten und Ansprachen bei den Reisen 1. Pastoralbesuch in Civitavecchia (Italien) (19. März) Ansprache an die Hafenarbeiter 302 Ansprache an die Vertreter der Behörden 305 Ansprache an Arbeiter und Angestellte 307 Ansprache an Priester, Ordensleute und Laienbewegungen in der Kathedrale 313 XTTT Homilie bei der Eucharistiefeier am Hochfest des hl. Josef 316 Ansprache an die Häftlinge in der Strafvollzugsanstalt.... — 321 Ansprache an die Jugend 324 2. Pastoraireise durch Lateinamerika (31. März bis 13. April) Montag, 30. März Radio- und Fernsehbotschaft an die Bevölkerung von Uruguay 327 Radio- und Femsehbotschaft an das chilenische Volk ..'... 328 Radio- und Fernsehbotschaft an das argentinische Volk 330 Dienstag, 31. März Ansprache bei der Ankunft in Montevideo (Uruguay) 332 Ansprache im Taranco-Palast in Montevideo (Uruguay) 334 Mittwoch, 1. April Predigt während der Eucharistiefeier in Montevideo (Uruguay) 337 Ansprache bei der Begegnung mit dem Klerus und den Ordensleuten in der Kathedrale von Montevideo (Uruguay) 342 Ansprache bei der Ankunft in Santiago de Chile 351 Ansprache an die Priester, Ordensleute, Diakone und Seminaristen in der Kathedrale von Santiago de Chile 354 Gruß an Chile zu Füßen der Immaculata ;. .• 360 Donnerstag, 2. April Ansprache an die Bewohner der Armenviertel von Santiago de Chile 362 Ansprache an den chilenischen Episkopat 369 Predigt bei der Messe für die Familien auf dem Flugplatz von Valparaiso (Chile) 379 Ansprache an die Jugendlichen in Santiago de Chile 386 XIV Freitag, 3. April Ansprache an die Ordensfrauen und Mitglieder der Säkularinstitute in Santiago de Chile 392 Gruß an die Campesinos in Maipu (Chile) 399 Ansprache an Wissenschaftler, Künstler und Studenten in Santiago de Chile 401 Ansprache an die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPALC) in Santiago de Chile 408 Ansprache während der Seligsprechung der Schwester Teresa de los Andes in Santiago de Chile 414 Ansprache an eine Gruppe Politiker in Santiago de Chile 422 Ansprache an die Kranken in Santiago de Chile 424 Ansprache an das Diplomatische Korps in Santiago de Chile 426 Samstag, 4. April Predigt beim Wortgottesdienst für die Gläubigen Südchiles in Punta Arenas 428 Ansprache zum Gedenken an die Evangelisierung Lateinamerikas vor 500 Jahren in Puerto Montt (Chile) 435 Grußwort in Concepciön (Chile) 442 Sonntag, 5. April Radio- und Fernsehbotschaft an die Bewohner der Osterinsel (Rapa Nui) 443 Ansprache an Arbeiter in Concepciön (Chile) 446 Ansprache in La Serena (Chile) 455 Ansprache an die Eingeborenen und an die Campesinos in Temuco (Chile) 461 Montag, 6. April Botschaft an die Insassen des Gefängnisses in Antofagasta (Chile) .... 468 Predigt bei der Eucharistiefeier im Wüstengelände von Antofagasta (Chile) 472 Ansprache bei der Ankunft in Buenos Aires (Argentinien) 479 XV Gruß an den Klerus und das Gottesvolk in der Kathedrale in Buenos Aires (Argentinien) 481 Ansprache an die politische Führungsschicht in Buenos Aires (Argentinien) 484 Ansprache an das Diplomatische Korps in Buenos Aires (Argentinien) — 488 Dienstag, 7. April Predigt in Bahia Bianca (Argentinien) 491 Ansprache in Viedma (Argentinien) 497 Ansprache in Mendoza (Argentinien) 504 Mittwoch, 8. April Ansprache in San Miguel de Tucuman (Argentinien) 512 Ansprache an die Kranken in Cordoba (Argentinien) 518 Predigt bei der Eucharistiefeier in der Pferderennbahn von Salta (Argentinien) 521 Ansprache an die Familien in Cordoba (Argentinien) 528 Donnerstag, 9. April Predigt bei der Eucharistiefeier in der „Avenida Independencia“ von Corrientes (Argentinien) 536 Ansprache an Einwanderer in Parana (Argentinien) 542 Freitag, 10. April Ansprache an die Priester, Ordensleute und in der Seelsorge Tätigen in Buenos Aires (Argentinien) 547 Ansprache an die Vertreter der Arbeitswelt in Buenos Aires (Argentinien) 555 Radio- und Fernsehbotschaft an die Inhaftierten in Argentinien 561 Samstag, 11. April Ansprache bei der Begegnung mit der Jugend in Buenos Aires (Argentinien) 564 Ansprache an die Unternehmer in Buenos Aires (Argentinien) : 571 XVI Predigt bei der Messe im Unabhängigkeitspark von Rosario (Argentinien) 577 Sonntag, 12. April Predigt bei der Feier des Welttages der Jugend in Buenos Aires (Argentinien) 584 Ansprache an die argentinischen Bischöfe in Buenos Aires (Argentinien) 591 Ansprache an die Repräsentanten des Kulturlebens in Buenos Aires (Argentinien) 599 3. Pastoralbesuch in Deutschland (30. April bis 4. Mai) Donnerstag, 30. April Ansprache bei der Ankunft auf dem Flughafen Köln/Bonn 608 Ansprache an die Deutsche Bischofskonferenz im Matemus-Haus, Köln .; ....:.. 6io Grußwort an Vertreter des Zentralkomitees der deutschen Katholiken im Maternus-Haus, Köln 617 Freitag, 1. Mai Homilie bei der Seligsprechung von Edith Stein im Stadion Köln-Müngersdorf 618 Aussendung des „Altenberger Lichtes“ vom Stadion Köln-Müngersdorf aus 625 Ansprache bei der Begegnung mit dem Zentralrat der Juden in Köln 626 Ansprache auf dem Schloßplatz in Münster (Vesper/I. Teil) 627 Ansprache auf dem Domplatz in Münster (Vesper/n. Teil) 633 Grußwort an kranke und betagte Menschen im Dom zu Münster 637 Samstag, 2. Mai Weihegebet an die Gottesmutter 638 Eintragung in das Goldene Buch der Stadt Kevelaer 640 xvn Ansprachen bei der Marienfeier (Laudes) in Kevelaer 641 Ansprache zur „Welt der Arbeit“ in Bottrop 647 Graßwort und „Engel des Herrn“ auf dem Burgplatz in Essen 653 Homilie während der Eucharistiefeier im Gelsenkirchener Parkstadion .. 656 Kurzes Graßwort an die Jugend (vor dem Schlußsegen) in der Eucharistiefeier im Gelsenkirchener Parkstadion . 662 Sonntag, 3. Mai Homilie bei der Seligsprechung von Pater Rupert Mayer im Olympiastadion München 664 Einleitungswort zum Gebet „Regina caeli“ (am Ende der Eucharistiefeier) im Olympiastadion München ;... 671 Homilie während der Eucharistiefeier im Dom zu Augsburg 672 Montag, 4. Mai Ansprache an Ordensfrauen und junge Mädchen im Dom zu Augsburg 679 Ansprache bei der Einweihung des Priesterseminars in Augsburg .... 682 Homilie im ökumenischen Wortgottesdienst zu Apg 1,6-8 in der Basilika St. Ulrich und Afra zu Augsburg 687 Homilie bei der Eucharistiefeier zum Thema „Europa“ auf dem Domplatz in Speyer 690 Abschiedswort in Speyer 697 Funksprach an Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker 700 4. Pastoraireise in die süditalienische Provinz Foggia (23. bis 25. Mai) Samstag, 23. Mai Ansprache an die Franziskaner in San Giovanni Rotondo 702 Ansprache an die Kranken und das Pflegepersonal des Krankenhauses in San Giovanni Rotondo 705 Predigt bei der Eucharistiefeier in San Giovanni Rotondo 707 XVffl Sonntag, 24. Mai Ansprache beim Heiligtum des Erzengels Michael in Monte Sant Angelo 711 Ansprache in Foggia . 714 Predigt bei der Konzelebration mit den Bischöfen Apuliens in Foggia . 716 Ansprache an die Jugendlichen von Foggia 720 Montag, 25. Mai Predigt bei der Messe beim Wallfahrtsheiligtum der Mutter von der immerwährenden Hilfe in San Severo 726 Ansprache an die Gläubigen von Ascoli Satriano (Region Apulien) .. 729 Ansprache an Landarbeiter in Cerignola 732 Ansprache im Marienheiligtum von Bovino 737 5. Pastoralbesuch in Polen (8. bis 14. Juni) Montag, 8. Juni Ansprache auf dem Flughafen Warschau-Okecie 744 Ansprache an die Klausurschwestern in der St.-Johannes-Kathedrale in Warschau 746 Ansprache bei der Begegnung mit Vertretern der christlichen Kirchen in Warschau 750 Ansprache an die staatlichen Repräsentanten der Volksrepublik Polen im Königsschloß in Warschau 754 Predigt zur Eröffnung des Eucharistischen Kongresses bei der heiligen Messe in der Allerheiligen-Kirche in Warschau 758 Dienstag, 9. Juni Ansprache an die Vertreter der Wissenschaft in der Aula der Katholischen Universität Lublin 763 Ansprache bei einem Wbrtgottesdienst an die Angehörigen der Katholischen Universität Lublin 772 Predigt bei der Priesterweihe in Lublin 779 XIX Mittwoch, 10. Juni Predigt bei der hl. Messe zur Seligsprechung Karolina Közkas in Tarnöw .. : 785 Ansprache an die Geistlichen und die Orden bei einer Vesper vor der Kathedrale in Tarnöw 793 Begegnung mit den Krakauern auf den Blonie-Auen 798 Predigt bei der heiligen Messe in der Kathedrale auf dem Krakauer Wawel-Hügel 803 Donnerstag, 11. Juni Predigt bei der hl. Messe für die Familien in Stettin 806 Ansprache an die Alumnen der Geistlichen Seminare in Stettin ....... 815 Ansprache an die Menschen auf und an der See in Gdingen 823 Freitag, 12. Juni Ansprache an die Jugend auf der Westerplatte bei Gdansk (Danzig) .... 831 Ansprache an die Kranken in der Marienkirche in Gdansk (Danzig) ... 839 Predigt bei der heiligen Messe für die Werktätigen in Gdansk (Danzig) 844 Ansprache nach dem Appell von Jasna Göra 853 Samstag, 13. Juni Predigt in der Gnadenbildkapeile auf Jasna Göra 859 Ansprache vor dem Verlassen des Marienheiligtums auf Jasna Göra in Tschenstochau 861 Predigt bei der hl. Messe mit Kinder-Erstkommunion in Lodz 864 Ansprache an Textilarbeiterinnen in Lodz 871 Ansprache bei einer Begegnung mit Kulturschaffenden und Künstlern in Warschau 879 Sonntag, 14. Juni Predigt bei der hl. Messe zum Abschluß des Eucharistischen Kongresses in Warschau 885 Ansprache an die Polnische Bischofskonferenz 891 XX Ansprache an die jüdische Gemeinde in Polen in Warschau 896 Vom Rundfunk übertragene Ansprache an die Kranken in der Heilig-Kreuz-Kirche 898 Abschiedsansprache auf dem Flughafen Warschau-Okecie 901 6. Pastoraireise in die Vereinigten Staaten und nach Kanada (10. bis 21. September) Radiobotschaft an das amerikanische Volk 906 Donnerstag, 10. September Ansprache bei der Ankunft in Miami (U.S.A.) 907 Ansprache in der St.-Marien-Kathedrale in Miami (U.S.A.) 909 Ansprache bei einer Begegnung mit Priestern in Miami (U.S.A.) 912 Ansprache bei der Begegnung mit dem amerikanischen Präsidenten .. 921 Freitag, 11. September An die Führungspersönlichkeiten der jüdischen Gemeinden der USA 924 Predigt bei der Eucharistiefeier im Tamiami-Park (U.S.A.) 929 Predigt in der Sankt-Peterskirche in Columbia (U.S.A.) 935 Ansprache in der Universität von South Carolina in Columbia (U.S.A.) 938 Ansprache bei der Begegnung mit den führenden Persönlichkeiten der Ökumene in Columbia (U.S.A.) 940 Ansprache beim Ökumenischen Gebetstreffen in Columbia (U.S.A.) 944 Samstag, 12. September Predigt in der St.-Louis-Kathedrale in New Orleans (U.S.A.) 950 Ansprache an Religionslehrer von Grundschulen und weiterführenden Schulen in New Orleans (U.S.A.) — 953 Ansprache an Führer der katholischen schwarzen Bevölkerung in New Orleans (U.S.A.) 960 Ansprache an die Jugend in New Orleans (U.S.A.) 965 XXI Predigt bei der Eucharistiefeier in New Orleans (U.S.A.) 973 Ansprache an katholische Hochschullehrer in New Orleans (U.S.A.) 979 Sonntag, 13. September Homilie bei der Eucharistiefeier in San Antonio (U.S.A.) 986 Angelusansprache nach der Eucharistiefeier in San Antonio (U.S.A.) 993 Ansprache an Vertreter der christlichen Caritas in San Antonio (U.S.A.) 993 Ansprache an Seminaristen und Ordensleute, die in der Ausbildung stehen, in San Antonio (U.S.A.) 1000 Ansprache auf dem Platz Unserer Lieben Frau von Guadalupe in San Antonio (U.S.A.) 1008 Montag, 14. September Botschaft an die Bevölkerung von New Mexiko (U.S.A.) 1014 Grußwort von der St. Mary’s Basilika in Phoenix (U.S.A.) 1015 Begegnung mit Vertretern der katholischen Gesundheitsfürsorge in Phoenix (U.S.A.) 1018 Besuch in der Kathedrale Sankt Simon und Judas in Phoenix (U.S.A.) 1024 Ansprache an die Ureinwohner Amerikas in Phoenix (U.S.A.) 1027 Predigt bei der Eucharistiefeier in der Staatlichen Universität von Arizona in Phoenix (U.S.A.) 1032 Dienstag, 15. September Besuch in der Kathedrale St. Vibiana in Los Angeles (U.S.A.) 1037 Jugend-Fernsehkonferenz aus dem Universal Amphitheatre in Los Angeles (U.S.A.) 1040 Ansprache an die Medienschaffenden in Los Angeles (U.S.A.) 1043 Predigt bei der Eucharistiefeier im Los-Angeles-Coliseum (U.S.A.) .. 1049 xxn Mittwoch, 16. September Ansprache an führende Persönlichkeiten der Weltreligionen in Los Angeles (U.S.A.) . 1055 Ansprache an die Bischöfe der USA in Los Angeles (U.S.A.) 1059 Begegnung mit Kindern der Immaculate Conception School in Los Angeles (U.S.A.) 1076 Predigt beim Morgengebet mit den Bischöfen in Los Angeles (U.S.A.) 1078 Weihegebet an die Muttergottes in Los Angeles (U.S.A.) 1079 Predigt bei der Messe im Dodger Stadion in Los Angeles (U.S.A.) .. 1082 Donnerstag, 17. September Homilie bei der Eucharistiefeier in Monterey (Laguna Seca) (U.S.A.) 1089 Besuch in der Basilika der Karmeliter in Monterey (U.S.A.) 1095 Ansprache beim Besuch der Mission-Dolores-Basilika in San Francisco (U.S.A.) 1097 Ansprache an die Ordensleute in San Francisco (U.S.A.) 1100 Freitag, 18. September Predigt bei der Eucharistiefeier in San Francisco (U.S.A.) 1107 Ansprache beim Treffen mit katholischen Laien in San Francisco (U.S.A.) :... 1113 Besuch in der Kathedrale vom heiligsten Sakrament in Detroit (U.S.A.) 1121 Samstag, 19. September Begegnung mit den Auslandspolen in Amerika in Detroit- Hamtramck (U.S.A.) 1123 Ansprache an Diakone und ihre Frauen in Detroit (U.S.A.) 1132 Ansprache über weltweiten sozialen Fortschritt und menschliche Entwicklung in Detroit (U.S.A.) 1138 Predigt bei der Eucharistiefeier in Detroit (U.S.A.) 1148 Abschiedswort vor der Abreise aus Detroit (U.S.A.) 1154 XXIII Sonntag, 20. September Ansprache an die Einheimischen in Fort Simpson (Kanada) 1156 Predigt in Fort Simpson (Kanada) . 1160 III. Ansprachen, Predigten, Botschaften und Rundschreiben Januar Entwicklung und Solidarität: zwei Schlüssel zum Frieden Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages am 1. Jänuar 1167 Alle sind zur Freiheit berufen Neujahrspredigt am 1. Januar 1179 Ihr seid berufen, euer Herz zu öffnen Predigt bei der Bischofsweihe am 6. Januar 1183 Demut, Dialog, Achtung, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit Ansprache an das Diplomatische Korps am 10. Januar 1184 Die Einheit im Gebet in Assisi, Zeichen der Solidarität unter den Getauften Ansprache an den Primas der Episkopalkirche der Vereinigten Staaten am 12. Januar . 1195 Die Hoffnung Christi in die Denkweisen unserer Zeit tragen Ansprache an die Mitglieder der Jahresvollversammlung des Päpstlichen Rates für die Kultur am 17. Januar 1196 Verdichtung der Krisenfaktoren verlangt Horizontausweitung der Solidarität Ansprache an Leiter von Vereinigungen, die sich in der Arbeitswelt pastoral engagieren, am 17. Januar 1201 Das Gebet für die Einheit darf nicht aufhören Predigt in St. Paul vor den Mauern am 25. Januar 1207 Februar Zeugnis ohne Worte Predigt in der Messe am Fest der Darstellung des Herrn, 2. Februar .. 1211 XXIV Gott braucht Menschen mehr denn je! Ansprache an die Schüler und Alumnen des Erzbischöflichen Seminars Sachsenbrunn am 2. Februar 1216 Gutachten nicht kritiklos hinnehmen Ansprache an die Römische Rota am 5. Februar 1217 Ermutigung für den Dienst an Christus und am Evangelium Ansprache bei der Audienz für die Mitglieder des Ökumenischen Instituts von Bossey am 9. Februar 1223 Maria lenkt unseren Blick auf das wahre, volle Glück Predigt bei der Meßfeier mit den Kranken am 11. Februar 1224 Bittet den Herrn der Ernte... Botschaft zum 24. Weltgebetstag für geistliche Berufe am 10. Mai vom 13. Februar 1227 Jede Heilbehandlung erfordert menschliche Beziehungen Ansprache an die Teilnehmer eines italienischen Chirurgenkongresses am 19. Februar 1230 Die Kommunikation mit den Gehörgeschädigten stärken Ansprache an den Internationalen Kongreß des Weltbundes der Gehörlosen mit dem Thema „Informatik-Kommunikation und bürgerliche Rechte der Gehörlosen“ am 21. Februar , 1234 Aus den menschlichen Gesellschaften eine Familie machen Ansprache an Vertreter des Verbandes christlicher Organisationen des freiwilligen internationalen Dienstes (FOCSIV) am 21. Februar 1236 St. Peter — ein Zeugnis des Evangeliums Ansprache zum Abschluß der Restaurierungsarbeiten an der Fassade der Peterskirche am 23. Februar 1238 Priestertum: Berufung — Ruf Gottes Ansprache an die Seminaristen des römischen Priesterseminars am 28. Februar 1241 März Unser Leben: Zeichen des Widerspruchs Ansprache an die römischen Priesteramtskandidaten am 1. März 1245 Gegenüberstellung von Charisma und Institution vermeiden Ansprache an die Teilnehmer des 2. internationalen Treffens der kirchlichen Bewegungen am 2. März 1246 XXV Wir empfangen, um zu geben Botschaft zur Fastenzeit 1987 vom 4. März 1249 Innere Wahrhaftigkeit erforderlich Predigt in der römischen Basilika Santa Sabina am Aschermittwoch, 4. März 1250 Glückwunsch an den neuen Patriarchen von Alexandrien vom 7. März 1253 Ein Stück mit Jesus gegangen Schlußwort nach den Fastenexerzitien im Vatikan am 14. März 1253 Artisten schenken Frohsinn Ansprache bei der Sonderaudienz für den Zirkus von Moskau am 14. März — 1255 Das Werk des hl. Patrick in Irland fortsetzen Predigt bei der Bischofsweihe von Msgr. John Magee am 17. März ... 1256 Den Familien beim fruchtbaren Gebrauch der sozialen Kommunika-tionsmittel helfen Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der Päpstlichen Kommission für die Soziale Kommunikation vom 21. März 1259 Hochherzige Initiative für wichtige Bildungsstätte Grußwort an eine Besucherdelegation im Päpstlichen Kirchenmusikinstitut am 21. März :.... 1261 Die Realität richtig „lesen“ Ansprache zum 20. Jahrestag der Veröffentlichung der Enzyklika „Populorum progressio“ am 24. März 1262 Enzyklika Redemptoris Mater über die selige Jungfrau Maria im Leben der pilgernden Kirche vom 25. März 1271 Ordensleben ist totale Nachfolge Christi Ansprache bei der Seligsprechung von drei Spanierinnen und zwei Spaniern am 29. März 1333 April Menschsein ist ohne Liebe nicht möglich Botschaft zum Weltjugendtag in Buenos Aires am Palmsonntag, 12. April ... : 1338 Schreiben an die Priester zum Gründonnerstag 1987 vom 13. April... 1343 XXVI Die Salbung — ein Symbol für die Kraft des Geistes Predigt bei der Chrisam-Messe am Gründonnerstag, 16. April 1354 Die Eucharistie ist das Zeichen der Erlösung Predigt bei der Abeadmahlsmesse in St . Johannes im Lateran am Gründonnerstag, 16, April ......... 1356 Das war Gottes Sohn Predigt beim Kreuzweg am Karfreitag, 17. April 1359 Als neue Menschen leben Predigt bei der Ostemachtsmesse am 18. April 1361 Christi Tod ein neuer Anfang Osterbotschaft vor dem Segen „Urbi et Orbi“ am Ostersonntag, 19. April 1363 Instrumentum Laboris zur Bisehofssynode 1987 „Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt zwanzig Jahre nach dem n. Vatikanischen Konzil“ vom 22. April 1367 Brief an die Bischöfe vom 22. April 1420 Kluges Haushalten mit den Ressourcen Ansprache an Vertreter der Adam-Opel-AG in Rüsselsheim am 24. April 1423 Graßwort vor dem zweiten Deutschlandbesuch in „Wort zum Sonntag“ im Ersten Deutschen Fernsehen am 25. April .. 1424 Das Erbe der Vorfahren bewahren und pflegen Ansprache an die 700 Pilger aus der Erzdiözese München und Freising, die aus Anlaß des 60. Geburtstages von Kardinal Ratzinger nach Rom gepilgert sind, am 25. April 1425 Dialog und Verkündigung Ansprache an die Mitglieder der Vollversammlung des Sekretariats für die Nichtchristen am 28. April 1426 Mai Jeder muß ernst genommen werden Predigt bei der Messe anläßlich der Vereidigung von 33 Schweizer Gardisten am 6. Mai 1429 Christentum ist nicht nur Nächstenliebe Ansprache an die Barmherzigen Brüder und die Kamillianer bei ihrem Europäischen Kongreß am 7. Mai 1431 xxvn Der Missionar ist Künder des Evangeliums Ansprache an die Comboni-Missionare am 7. Mai 1434 Alle sollen Christus kennen Ansprache an die Vollversammlung des Obersten Rates der Päpstlichen Missionswerke am 8. Mai ........ 1436 Diener der Nächstenliebe werden Grußwort an die Diakone der Erzdiözese Mailand am 9. Mai 1439 Christus — Tür zur Heiligkeit Predigt bei der Seligsprechung von Kardinal Andrea Ferrari, Bischof Louis-Zephirin Moreau, Pierre-FrancoisTarnet und Benedetta Cambiagio-Frasinello am 10. Mai 1440 Die Ordensfrau ist ein Zeichen der Hoffnung Ansprache.an die Generaloberinnen am 14. Mai, 1446 Die Verbundenheit mit der ganzen Kirche vertiefen Ansprache an die Teilnehmer der 6. internationalen Konferenz der Katholischen Charismatischen Emeuerungsbewegung am 15. Mai.... 1450 Die Eucharistie fordert Umkehr Predigt bei der Eucharistiefeier mit der philippinischen Gemeinde Roms am 17. Mai 1453 Identität von Klerus und Laien aufrechterhalten Ansprache bei der Vollversammlung der Italienischen Bischofskonferenz am 21. Mai 1456 Die Liturgie muß lebendig bleiben Ansprache an die Mitglieder der Vollversammlung der Kongregation für den Gottesdienst am 22. Mai 1463 Aufgaben von Priestern und Laien ergänzen sich Ansprache an den Päpstlichen Rat für die Laien am 23. Mai 1467 Wahrer Humanismus nur bei Einbeziehung der geistigen und ethischen Realität des Menschen Schreiben an den Rektor der UN-Universität in Tokio, Dr. Soedjatmo-ko, und den Präsidenten der Sophia-Universität in Tokio, Prof. Massao Tsuchida S.J. vom 25. Mai 1471 Die Liebe ist Fundament des sozialen Einsatzes der Kirche Ansprache an die 13. Generalversammlung von Caritas Internationalis am 26. Mai 1472 xxvm Ämter und Würden Schreiben zum Goldenen Priesteijubiläum von Kardinalstaatssekretär Casaroli am 27. Mai . 1475 Sakramentalität der Ehe und geistliches Lehen in Ehe und Familie Ansprache an die Vollversammlung des päpstlichen Rates für die Familie am 29. Mai 1479 Ganzheitliche Antwort auf Sinnfragen des Lebens Ansprache an die Teilnehmer der Generalversammlung des Kolpingwerkes am 30. Mai 1484 Dem Frieden in der Welt mit allen Mitteln dienen Botschaft zum 21. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel am 31. Mai ..... 1486 Du schenkst ihnen neues Leben Predigt während der heiligen Messe und Firmung am 31. Mai 1491 Juni Drogenmißbrauch, eine der größten Tragödien Botschaft an die internationalen Konferenz über Drogenmißbrauch und. illegalen Drogenhandel (ICDAIT) vom 4. Juni 1494 Apostolisches Schreiben zur Sechshundertjahrfeier der „Taufe“ Litauens vom 5. Juni 1497 Jedes Gebot ist mit Gnade verbunden Ansprache an die Teilnehmer des Studienkongresses des Forschungszentrums für natürliche Geburtenkontrolle der Katholischen Universität „Sacro Cuore“ am 5. Juni ;. .i... 1507 Vertrauen zwischen den Völkern herstellen Grußadresse an den US-amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan am 6. Juni 1509 Das Gebet der Hauskirche Botschaft nach dem Rosenkranzgebet in Santa Maria Maggiore am 6. Juni 1511 Gebet zur Eröffnung des Marianischen Jahres am 6. Juni 1514 Herabkunft des Heiligen Geistes Predigt zur Eröffnung des Marianischeii Jahres am 6. Juni 1515 Maria: Komm der Kirche zu Hilfe Predigt im Heiligtum der Madonna del Divino Amore am 7. Juni .... 1519 XXIX Verteidiger der menschlichen Solidarität sein Ansprache an die internationale Astronomenkonferenz über „Polarisiertes Licht aus sternnahen Räumen“ am 16. Juni 1523 Baumeister der eigenen Zukunft sein Ansprache an die Teilnehmer des 25. Lehrgangs des Instituto per la Recostruzione Industriale (IRI) vom 16. Juni 1524 Ganz Lateinamerika bedarf der Evangelisierung Schreiben an den Präfekten der Kongregation für die Glaubensverbreitung, Kardinal Tomko, vom 16. Juni 1527 Die Eucharistie macht uns zur Gemeinschaft Predigt vor der Lateranbasilika am Fronleichnamsfest, 18. Juni 1528 Der Priester muß sehr tief in die Welt seiner Zeit eindringen Predigt bei der Priesterweihe am 21. Juni 1531 Tut, was Christus euch sagt! Ansprache vor Jugendlichen der Diözese Roermond und deren Bischof, Johannes M.B. Gijsen, am 21. Juni 1533 Die Berufung leidenschaftlich und freudig bezeugen Ansprache an die Assistenten der Katholischen Aktion Italiens am 23. Juni 1534 Eine echte „Zivilisation der Liebe“ verwirklichen Ansprache an die Mitglieder der Vereinigung der Hilfswerke für die Orientalischen Kirchen am 25. Juni 1537 Österreich ein Land tätiger Nächstenliebe Ansprache an Bundespräsident Dr. Kurt Waldheim am 25. Juni 1540 Die Kirche ist ein einladendes Haus Botschaft an Bischof Karl Braun anläßlich des 1200. Todestages des hl. Willibald vom 26. Juni 1542 Die Einheit hat eine pastorale Priorität Ansprache an die Teilnehmer des Natiönaltreffens der italienischen Diözesanbeauftragten für die Ökumene am 26. Juni 1544 Menschenrechte stehen vor wirtschaftlichen Interessen Ansprache an lateinamerikanische Diplomaten, die in Florenz einen Spezialkurs für internationale Beziehungen besuchen, am 26. Juni... 1547 Die Gnade der Taufe neu aufleben lassen Ansprache an die Litauer am 27. Juni 1548 XXX Miteinander teilen Grußwort an die Vereinigung der katholischen Journalisten Belgiens vom 27. Juni 1551 Gott schützt die Freiheit und Verantwortung Wort zum Katholikentreffen in Dresden vom 29. Juni 1553 Die Einheit neu verwirklichen Ansprache an die Delegation des Ökumenischen Patriarchats am 29. Juni 1555 Juli Zur Glaubensentscheidung heranbilden Ansprache an Studenten aus der Diözese Linz am 6. Juli 1557 Toleranz und Achtung Menschen anderer Mentalität entgegenbringen Ansprache an Jugendliche aus der Diözese Münster am 6. Juli 1559 Bleibt Christus immer treu! Ansprache an die Bevölkerung von Lorenzago am 12. Juli 1560 Christliches Verzeihen eine Antwort der Liebe Predigt in Val Visdende am 12. Juli 1562 Freiheit — erhabene und zugleich tragische Wirklichkeit Predigt bei der Messe für das Personal der päpstlichen Villen am 19. Juli 1567 Apostel der Solidarität werden Predigt in der Messe für 950 junge Kroaten am 23. Juli 1569 Sucht zuerst das Reich Gottes! Eucharistiefeier mit Studenten aus Rotterdam und Löwen am 28. Juli ■.... 1570 Anteilnahme und Solidarität Aufruf zum Gebet am 29. Juli 1571 August Mittelamerika: Friedensbemühungen als Pflicht der Verantwortlichen Botschaft an das Gipfeltreffen der Präsidenten der mittelamerikanischen Republiken vom 1. August ... 1572 Der hl. Alfons — Lehrer der Weisheit und Erneuerer der Moral Apostolisches Schreiben an den Generaloberen der Kongregation des Heiligsten Erlösers, Juan M. Lasso de la Vega y Miranda, zum zweihundertjährigen Gedächtnis des Todes des hl. Alfons Maria de’Liguori vom 1. August 1573 XXXI Ein standfester und weiser Hirte Schreiben an den Erzbischof von Köln vom 4. August 1582 Alle Glieder der Kirche müssen den Glauben verkünden Botschaft zur Feier des diesjährigen Welttages der Migranten vom 5. August .....i 1584 Schreckliche Folge einer Ideologie ohne Gott Schreiben an den Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz der USA, Erzbischof John L. May (Saint Louis) vom 8. August 1590 Hl. Bonifatius forderte Verehrung der Gottesmutter Grußwort an den Kardinal von Krakau aus Anlaß des Internationalen Mariologisch-Marianischen Kongresses 1987 in Kevelaer, vom 29. August 1592 September Demütig auf der Suche nach Einheit Ansprache an die Vollversammlung von ARCICII am 2. September .. 1596 Die Kirche muß für das Erbarmen Gottes Zeugnis ablegen Predigt bei der Bischofsweihe am 6. September 1597 Allen alles werden Ansprache an die Missionare vom Heiligsten Herzen am 8. September 1602 Christus führt in die Wahrheit ein Ansprache an die Mitglieder der Pax Romana am 25. September 1604 Zwei Arten von Wissenschaft — Naturforschung und Theologie Ansprache an die Teilnehmer eines Kongresses aus Anlaß der Newton-Publikation „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“ vor 300 Jahren am 26. September 1608 Kiewer Rus: orthodox im Glauben, katholisch in der Liebe Ansprache an die Synode der ukrainischen Bischöfe am 29. September 1615 Oktober Feierliche Eröffnung der Siebten ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode Ansprache bei der Eucharistiefeier am 1. Oktober 1620 XXXII Im Rosenkranz werden die Geheimnisse Christi betrachtet Wort bei der abendlichen Gebetsstunde für die Weltbischofssynode am 3. Oktober 1624 Brüder einer neuen Menschheit Predigt in der Messe zur Seligsprechung von Marcel Callo, Pierina Morosini und Antonia Mesina am 4. Oktober 1627 Geschichtliche und aktuelle Bedeutung des DL Nicaea-Konzils Botschaft an das historisch-theologisch Symposium zur 12. Jahrhundertfeier in Istanbul vom 8. Oktober 1633 Melkiten können Bauleute des Dialogs sein Grußworte an die Repräsentanten der internationalen melkitisch-katho-lischen Vereinigung vom 10. Oktober 1635 Konzilien sind Ausdruck der Einheit Predigt am 25. Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils am 11. Oktober , 1636 Arbeit katholischer Nachrichten-Agenturen beispielhaft Audienz anläßlich des CIC-Jubiläums am 15. Oktober 1641 Auch die Finanzwelt ist dem Gewissen unterworfen Ansprache an Vertreter der Computer-Firma Nixdorf und leitende Angestellte von Bankinstituten am 17. Oktober 1642 Ein großer Mann der Kirche, der Kultur und Wissenschaft Kondolenztelegramme zum Tode von Joseph Kardinal Höffner vom 18. Oktober 1644 Gott will die Menschen retten Predigt bei der Heiligsprechung von 16 Märtyrern von Nagasaki am 18. Oktober 1645 Am Werk der Wissenschaft sich beteiligen Predigt zu Beginn des akademischen Jahres für die kirchlichen Universitäten am 20. Oktober 1651 Schreiben an Kardinalstaatssekretär Kardinal Agostino Casaroli anläßlich der Beisetzung von Kardinal Joseph Höffner vom 21. Oktober ... 1653 Die Liebe verbindet den Menschen mit Gott Predigt in der Messe zur Heiligsprechung des neapolitanischen Arztes Giuseppe Moscati am 25. Oktober 1654 Ein enges und fruchtbares Vertrauensverhältnis Ansprache an den neuen deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl, Dr. Paul Verbeek, am 26. Oktober 1659 xxxm Die Kirche hat eine Sendung in die Welt Predigt zum Abschluß der Bischofssynode am 30. Oktober 1661 Alle Vorschläge sind Grundlage für das nachsynodale Dokument Ansprache zum Abschluß der Bischofssynode am 30. Oktober 1666 November Von der Liebe und Treue zu Christus geprägt Predigt in der Messe zur Seligsprechung von Br. Amould Reche, Sr. Ulrika Nisch und Sr. Blandine Merten am 1. November 1671 Die weite See prägt den Glauben Botschaft an den 18. Weltkongreß über das Meeresapostolat vom 1. November 1676 Selige und Heilige sind lebendiges Feuer Ansprache bei der Sonderaudienz zur Seligsprechung der Schwestern Blandine Merten und Ulrika Nisch am 2. November 1678 Notleidenden und bedrängten Kirchen helfen Ansprache an die Teilnehmer der Generalversammlung von „Kirche in Not“ am 6. November 1680 Ehrfurcht vor der Umwelt lehren Ansprache an eine Studiengruppe der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften am 6. November 1682 Forschung nicht von der Ethik lösen Ansprache an die Teilnehmer des Kolloquiums der internationalen Stiftung „Nova Spes“ am 9. November 1684 Kirchliche Universitäten müssen Antwort geben auf geistige Bedürfnisse Ansprache in der Päpstlichen Lateran-Universität anläßlich des 50jährigen Jubiläums am 9. November 1688 FAO hat ihre Dringlichkeit nicht verloren Ansprache an die Delegierten der Generalversammlung der FAO am 13. November 1693 Humanisierung der Medizin: Pflicht der Gerechtigkeit Ansprache an die Teilnehmer der internationalen Tagung über „Humanisierung der Medizin“ am 13. November 1698 Freie Schulwahl muß dringend garantiert werden Ansprache an die Weltvereinigung ehemaliger Schüler und Schülerinnen katholischer Bildungsstätten am 14. November 1702 XXXIV Biblische Zusammenarbeit fördert das Verständnis Ansprache bei der Überreichung neuer Leitlinien für interkonfessionelle Zusammenarbeit bei der Bibelübersetzung am 16. November ... 1704 Wirtschaftliches Denken ist an die Ethik gebunden Ansprache an die Delegierten der Diözesen Italiens und der christlichen Verbände beim Pastoralkongreß in Rom am 20. November 1706 Die Flüchtlinge haben Rechte Ansprache an die Vollversammlung des Päpstlichen Rates Cor Unum am 21. November 1711 Freue dich, Tochter Zion Predigt bei der Göttlichen Liturgie im armenischen Ritus in der Basilika S. Maria in Trastevere am 21. November 1713 Alle werden in Christus lebendig Predigt bei der Seligsprechung der 85 englischen Märtyrer am 22. November 1718 Gott erleuchte unsere Schritte Schreiben an Dimitrios I. vom 25. November 1722 Maria ist Vorbild für die Christen Ansprache an die Teilnehmer des interkonfessionellen, von der Foko-lar-Bewegung veranstalteten Treffens am 26. November 1723 Emigranten nicht als Objekt betrachten Ansprache an die Mitglieder der Jahresversammlung der Päpstlichen Kommission für die Seelsorge am Menschen unterwegs am 26. November 1724 Gotteserfahrung muß den Weg für das Zeugnis öffnen Ansprache an Rektoren marianischer Heiligtümer am 26. November 1726 Dezember Gemeinsam für diese Welt beten Ansprache an den Ökumenischen Patriarchen Dimitrios I. vom 3. Dezember 1728 Zwölfhundertjahrfeier des II. Konzils von Nizäa Apostolisches Schreiben „Duodecimum Saeculum“ an die Bischöfe der katholischen Kirche vom 4. Dezember 1729 XXXV Integrität des Lebens verteidigen ; Ansprache an den Verband katholischer Juristen Italiens am 5. De- -zember 1739 Als Schwesterkirchen wiedererkannt Predigt während der Vesper in der Basilika Santa Maria Maggiore am 5. Dezember 1741 Verpflichtet zur Einheit der Christen Predigt während der hl. Messe im Beisein des Ökumenischen Patriarchen Dimitrios I. am 6. Dezember 1743 Mutter aller Menschen Gebet an der Mariensäule auf dem Spanischen Platz in Rom am Fest der Immaculata am 8. Dezember ... 1747 Den Obdachlosen ein Heim geben Brief an Kardinal Roger Etchegaray, Präsident der Päpstlichen Kommission „Iustitia et Pax“, vom 8. Dezember 1749 Die Spiritualität des Ostens weitertragen Grußwort an die Angehörigen des Orientalischen Institutes vom 8. Dezember 1751 Radikale Befreiung von der Sünde Homilie am Fest der Unbefleckten Empfängnis der seligen Jungfrau Maria, 8. Dezember 1754 Eine Gemeinschaft in Liebe, Gerechtigkeit und Freiheit bilden Ansprache beim Besuch des argentinischen Staatspräsidenten Raul Alfonsin im Vatikan am 11. Dezember 1756 Maria ist Sitz der Weisheit Predigt bei der Eucharistiefeier für römische Studenten am 15. Dezember „ 1759 Die Regel im vollständigen Gehalt befolgen Ansprache an das Generalkapitel der Mönche und Nonnen des Trappistenordens am 17. Dezember 1764 Ein immergrüner Baum der Zuversicht Ansprache an die Delegation, die dem Papst einen 28 Meter hohen Tannenbaum als Geschenk Kärntens überbrachte, am 19. Dezember ...... 1766 Begegnung in Liebe läßt Wahrheit besser erkennen Weihnachtsansprache an die Kardinäle und alle Mitarbeiter der Römischen Kurie am 22. Dezember 1767 XXXVI Ich verkünde euch eine große Freude Predigt in der Mittemachtsmesse am 24. Dezember 1777 In ihm war das Leben Weihnachtsbotschaft 1987 vom 25. Dezember 1779 Sollicita Cura Apostolisches Schreiben zur Errichtung eines Berufungsgerichts beim Vikariat Rom vom 26. Dezember 1782 36 Familien des Neukatechumenats in verschiedene Teile der Welt ausgesandt Ansprache am Fest der heiligen Familie am 27. Dezember 1785 Enzyklika Sollicitudo rei socialis — Zwanzig Jahre nach der Enzyklika Populomm Progressio, vom 30. Dezember 1789 Aus seiner Fülle haben wir alles empfangen Predigt zum Jahresabschluß in der römischen Kirche „II Gesü“ am 31. Dezember 1851 Chorgesang ein wichtiger Dienst Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Kongresses der „Pueri Cantores“ am 31. Dezember 1855 IV. Ad-limina-Besuche Äquatorial-Guinea 20. November 1861 Äthiopien 15. Mai 1866 Belgien 24. April 1870 Deutschland (Berliner Bischofskonferenz) 27. November 1877 Elfenbeinküste 20. Februar 1881 England und Wales 30. Mai 1887 23. November 1890 xxxvn Frankreich (Regionen) 12. Januar 1894 22. Januar 1899 6. Februar 1907 27. Februar 1914 20. März 1920 14. Dezember 1928 Gabon 7. Dezember 1934 Gambia, Liberia und Sierra Leone 8. Januar 1937 Ghana 6. November 1942 Indischer Ozean 29. September 1947 Irland 27. August 1951 Madagaskar 15. Mai 1958 Malta 4. Juni 1966 Nigeria 3. September 1971 26. September 1975 Österreich 19. Juni 1981 Polen 13. November 1989 18. Dezember 1996 20. Dezember 2001 Portugal 6. Juli 2008 Rwanda 27. Mai 2016 Schottland 4. Juni 2023 Schweiz 6. März 2028 Senegal 4. November 2034 Skandinavien 26. Februar 2037 xxxvm Südafrika, Botswana, Swaziland und Namibia 27. November 2042 Tanzania 4. Dezember 2047 Tschechoslowakei 30. September 2052 Ungarn 13. November 2054 Zentralafrika 7. November 2059 V Erklärungen der Kongregationen Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung — Antworten auf einige aktuelle Fragen — vom 10. März 2067 Wieder mit beiden Lungen der Kirche atmen Kardinal Baum: Grundkenntnis über die Kirche des Ostens vermitteln — Rundbrief der Kongregation für das Katholische Bildungswesen an die Verantwortlichen für die Priesterausbildung vom 16. April 2103 Die echte marianische Spiritualität verstehen Instruktion der Kongregation für die Orientalischen Kirchen zur Enzyklika „Redemptoris Mater“ vom 7. Juni 2109 Konzerte in Kirchen Dokument der Kongregation für den Gottesdienst zu Konzertaufführungen in Kirchen vom 5. November 2120 VI. Anhang Im Dienste der menschlichen Gemeinschaft: Ein ethischer Ansatz zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise Erklärung der Päpstlichen Kommission „Justitia et Pax“ vom 27.1.1987 2129 Eine Hilfe für die Gläubigen Dekret der Apostolischen Pönitentiarie zur Gewährung vollkommener Ablässe für das Marianische Jahr vom 2. Mai 2157 XXXIX Botschaft an unsere muslimischen Brüder und Schwestern zum Ende des Ramadan 1407/1987, Mai 2160 Taufe, Eucharistie und Amt Eine katholische Stellungnahme des Sekretariates für die Einheit der Christen zu den Konvergenzerklärungen der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen vom 21. Juli 2163 Kirchliche Bedeutung der Marienheiligtümer Schreiben des Vorsitzenden des Zentralkomitees für das Marianische Jahr, Kardinal Luigi Dadaglio, über die kirchlichen Aufgaben der Marienheiligtümer, an die Diözesanbischöfe gerichtet 2212 Auf den Spuren des Konzils Botschaft der Synodenväter an das Volk Gottes vom 29. Oktober 2223 Zu einer einzigen Hoffnung berufen Gemeinsame Erklärung von Papst Johannes Paul II. und dem Patriarchen Dimitrios I. vom 7. Dezember 2230 Was hast du für deinen obdachlosen Bruder getan? Die Kirche und das Wohnungsproblem Dokument der Päpstlichen Kommission , Justitia et Pax“ zum internationalen Jahr der Wohnungsbeschaffting für die Obdachlosen vom 27. Dezember 2233 Die Organe der römischen Kurie Stand: Dezember 2254 Wortregister 2263 Personenregister 2309 Länder- und Ortsregister 2331 Zitierte Bibelstellen 2349 Quellenverzeichnis der Zitate 2367 Abkürzungen 2384 XL Angelus und Generalaudienzen AUDIENZEN UND ANGELUS Wir sind deine Erben durch den Sohn Angelus am 1. Januar 1. „Salvum fac populum Tuum Domine, et benedic hereditati Tuae“ (Rette Dein Volk, o Herr, und segne Dein Erbe). Als wir gestern in der Kirche „H Gesü“ den Jahresausklang feierten, haben wir Gott diese Ruhmes- und Dankeshymne gesungen: „Te Deum laudamus .../ Te aetemum Patrem ... I Venerandum Tuum verum et unicum Filium ... I Venerandum Tuum verum et unicum Filium .. / Sanc-tum quoque Paraclitum Spiritum ..(Dich, Gott, loben wir..., Dich, den ewigen Vater ..., Deinen verehrungswürdigen, wahren und einzigen Sohn..., den Heiligen auch, den Fürsprecher Geist...). Mit Freude wiederholen wir heute diesen Hymnus. Wir sagen so Gott, dem Herrn und Schöpfer von allem, was existiert: Du bist unser Vater, wir sind Dein Erbe. 2. Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft. Und sie empfing vom Heiligen Geist. Wir sind dein Erbe durch den Sohn. Im Geheimnis der Geburt des Herrn ist der in Gott „Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ (.Kol 1,15) mitten unter uns erschienen. Der Vater hat ihn auf ewig „zum Erben des Alls eingesetzt“ und durch ihn „auch die Welt erschaffen“ (Hebr 1,2). Im Geheimnis seiner Geburt auf Erden ist dieser Sohn, der das Wort des Vaters und zugleich das ewige „Abbild seines Wesens“ {Hebr 1,3) ist, als Mensch in unserer Mitte erschienen. Durch ihn, mit ihm und in ihm sind wir Söhne geworden. Durch ihn, mit ihm und in ihm haben wir Anteil am Erbe des Ewigen Gottes. 3. Heute, an der Schwelle zum neuen Jahr, erhält Marias Sohn einen Namen. Dieser Name ist ihm bei der Verkündigung gegeben worden: Es ist der Name „Jesus“ — „der Retter“. Zum Beginn des Jahres des Herrn 1987 beten wir gemeinsam mit der Jungfrau- Mutter: „Salvum fac populum Tuum.“ Umgib die vor uns liegende Zeit mit der Kraft des Erlösers. Laß nicht zu, daß wir Dein Erbe, das in uns und in der Welt ist, vergeuden. Laß nicht zu, daß das Schlechte über das Gute siegt. Mach, daß wir das Gute in der Welt mehren, das du für uns geschaffen hast. Benedic hereditati tuae! 4. Diese Bitte: vertraue ich Maria an, die heute feierlich als Gottesmutter verehrt wird. Die Fürsprache der Madonna, der sanften Zeugin einer nie en- 3 AUDIENZEN UNDANGELUS denden Liebe, die in ihr keimte, um der Welt die Gerechtigkeit Gottes zu bringen, möge Christus und das Geschenk der Liebe in unseren Herzen erhalten. Dieses wahre Lebensprinzip, das menschliches Zusammenleben in gegenseitigem Respekt erhellt und festigt, öffne das Herz eines jeden Menschen für Gefühle der Eintracht zu einem solidarischen Friedensweg im neuen Jahr. Ich wünsche mir, daß dieses Jahr für alle glücklich und erfüllt verläuft. Der Segen des Allmächtigen verwandle diesen Wunsch und dieses Gebet in den Reichtum seiner Gaben. Gottes Sohn hat einen menschlichen Namen Angelus am 4. Januar 1. „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten“ (Lk 1,35). Wir vereinigen uns zum Angelusgebet. Jedesmal vernehmen wir dabei die Worte, die der Bote Gottes an die Jungfrau von Nazaret richtete. Heute freuen wir uns über die Erfüllung dieser Worte. Die.Kirche begeht die Festzeit der Geburt des Herrn. Das Wort, das bei der Botschaft des Engels im Schoß Mariens von Nazaret empfangen wurde, ist bereits Fleisch geworden. Der Sohn Gottes hat schon seinen menschlichen Namen. Er heißt Jesus, Erlöser. 2. Die Liturgie lädt uns am heutigen Sonntag ein, das Geheimnis der Geburt Gottes in seiner ganzen Tiefe nachzulesen. Hören wir die Worte aus dem Brief an die Epheser: „Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus,... hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus ... Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt... er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus“ (Eph 1, 3-5). 3. Wir können die Geburt des Herrn nicht feiern, ohne an diese Erwählung zu denken. Wir sind im voraus erwählt. Wir sind von Ewigkeit her erwählt im „geliebten Sohn“ des Vaters. Diese Erwählung bleibt, sie hat die Gestalt der Nacht von Bethlehem angenommen. Sie ist zum Evangelium vom Kreuz und von der Auferstehung geworden. Das Ereignis von Bethlehem wurde endgültig besiegelt. Es trägt das Siegel der göttlichen Erwählung. 4. Wir sind im voraus erwählt in Christus. Wie auch immer sich das Geschick des Menschen auf Erden gestalten mag, was das neue Jahr bringen mag, und 4 AUDIENZEN UND ANGELUS in welcher Richtung die Ereignisse der menschlichen Geschichte verlaufen mögen — wir sind erwählt! 5. Wir wollen zusammen mit Maria beten, daß die Feier der Geburt des Herrn uns diese Wahrheit neu zum Bewußtsein bringe, daß dort, wo sie noch im dunkeln liegt, das Bewußtsein für sie geweckt werde. Nach dem Angelusgebet sagte der Papst: Bei dem Flugzeugunglück, das sich vor der Küste von Äquatorialguinea ereignete, sind sechs Ordensfrauen und ein Ordensmann ums Leben gekommen. Ich bitte alle hier Anwesenden und alle, die mich hören, sich mit mir im Gebet um ihre ewige Seelenruhe zu vereinen. Möge der Herr ihnen, die ihr Leben hochherzig der Verkündigung des Gottesreiches geweiht hatten, den Lohn dafür schenken. Auch für die anderen Todesopfer dieses tragischen Unglücks und für die Kirche in Äquatorialguinea, die besonders betroffen ist durch den Verlust der Missionare, wollen wir beten. Ferner möchte ich um das Gebet bitten für die Missionare P. Onorio Venturi-ni, Ezio Toller und Vittorino Biasiolli, die in Mualama, Mosambik, am vergangenen 13. Dezember entführt wurden. Möge der Herr die Herzen der Entführer dazu bewegen, diese Ordensleute baldigst freizugeben und es ihnen zu ermöglichen, ihr Apostolat unter dem guten Volk von Mosambik wieder aufzunehmen. Auch beklage ich zutiefst den Überfall auf eine Baustelle im Beles-Tal in Äthiopien und bitte flehentlich um die baldigste Freigabe aller Personen, die als Geiseln festgehalten werden. Das Licht mit den anderen teilen Angelus am 6. Januar 1. Heute, am Fest der Erscheinung des Herrn, kommen drei Männer nach Bethlehem: es sind die Sterndeuter aus dem Orient. Sie treten in das Haus ein, das ihnen der Stern angezeigt hat, und finden „das Kind und Maria, seine Mutter“ {Mt 2,11). Sie fallen vor ihm nieder und huldigen ihm. Und dann holen sie ihre Schätze hervor und bringen ihm ihre Gaben dar: Gold, Weihrauch und Myrrhe. 2. Heute, am Epiphaniefest, betet die Kirche: „Alle Könige müssen ihm huldigen, alle Völker ihm dienen“ (Ps 72, 11). Beim gemeinsamen Angelusgebet 5 AUDIENZEN UNDANGELUS mit der Gottesgebärerin machen wir uns dieses Gebet der Kirche zu eigen. Wir bitten um das Licht, daß es jeden Menschen, der zur Welt kommt, erleuchte; wir bitten, daß er in diesem Licht den Weg zu Gott finde, im Licht des Glaubens — und des vom Glauben erleuchteten Verstandes. Und wir beten für diejenigen, die dieses Licht verloren haben — und für diejenigen, die es wiederentdecken. Und wir beten auch für jene, die dieses Licht mit den anderen teilen und für die, die es teilen sollen: weil man das Licht nicht unter ein Gefäß stellt, sondern auf einen Leuchter, damit es allen leuchte (vgl. Mt 5,15). 3. Beten wir deshalb für die gesamte Kirche, damit sie unermüdliche Dienerin der Epiphanie Gottes sei, überall und für alle. Beten wir für die Missionare und Missionarinnen. Beten wir für die missionarischen Berufe. Beten wir darum, daß die Kirche von Grund auf missionarisch sei. Beten wir für die neuen Bischöfe, die heute in der Petersbasilika die Bischofsweihe empfangen haben. 4. Laßt uns gemeinsam mit dem Propheten sprechen: „Jerusalem ... es kommt dein Licht, und die Herrlichkeit des Herrn erstrahlt über dir ... Auf, Jerusalem, werde licht!“ (vgl. Jes 60,1). Nach dem Angelusgebet sagte der Papst: Gern grüße ich alle, die an der traditionellen „ökologischen Wanderung“ teilgenommen haben, die vom Nationalen Italienischen Familienverband veranstaltet worden ist. Willkommen bei unserem Treffen zum Angelusgebet! Ich beglückwünsche euch zu dem Ziel, das ihr euch gesteckt habt: die Wiederbelebung des Dreikönigsfestes, vor allem unter seinen religiösen Aspekten und auch in seiner geschichtlichen Tradition und seinem Brauchtum. Eure Kundgebung inspiriert sich am Festgeheimnis, das das Zusammenströmen aller Völker auf Christus hin feiern will, um ihn mit einem reinen Glauben zu betrachten und mit inniger Liebe zu kosten. Der Stern, der über dem Kind leuchtet, bringt die Freude der Schöpfung über die Herabkunft und Menschwerdung Gottes zum Ausdruck: der Schöpfung, für deren Unversehrtheit und Schönheit, die zu wahren sind, ihr mit eurer Initiative eintretet. Ich freue mich darüber und segne euch alle. 6 AUDIENZEN UND ANGELUS In die Schule der ersten Jünger gehen! Ansprache bei der Generalaudienz am 7. Januar „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Mt 16,15). 1. Wenn wir den Zyklus von Katechesen über Jesus Christus beginnen, der für den Glauben und das christliche Leben grundlegende Bedeutung hat, sehen wir uns gleichsam vor die gleiche Frage gestellt, die vor fast zweitausend Jahren der Meister an Petrus und die Apostel richtete, die bei ihm waren. Von diesem entscheidenden Augenblick seines Lebens berichtet uns in seinem Evangelium Matthäus als Zeuge: Als Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi kam, fragte er seine Jünger: „Für wen halten die Leute den Menschensohn?“ Sie sagten: „Die einen für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für Jeremia oder sonst einen Propheten.“ Da sagte er zu ihnen: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Mt 16, 13-15). • Wir kennen die klare und ungestüme Antwort Petrus: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ (Mt 16, 16). Damit auch wir so antworten können, nicht so sehr in abstrakten Begriffen, sondern als Ausdruck lebendiger Erfahrung, die der Vater schenkt (vgl. Mt 16, 17), muß sich jeder von uns persönlich von der Frage berühren lassen: „Du aber, für wen hältst du mich? Du, der du von mir reden hörst, antworte: Was bin ich wirklich für dich?“ Dem Petrus kamen die göttliche Erleuchtung und die Antwort des Glaubens erst, nachdem er Jesus lange Zeit nahe gewesen war, auf sein Wort gehört, sein Leben und seinen Dienst beobachtet hatte (vgl. Mt 16, 21-24). Auch wir müssen, wenn wir zu einem bewußteren Bekenntnis Jesu Christi kommen wollen, einen Weg aufmerksamen, eifrigen Hinhörens auf ihn durchlaufen, wie Petrus. Wir müssen in die Schule der ersten Jünger gehen, die zu seinen Zeugen und für uns zu Lehrern wurden: wir müssen gleich auch die Erfahrung und das Zeugnis von fast zwanzig Jahrhunderten Geschichte annehmen, in denen die Frage des Meisters ihre Furchen gezogen hat, und aus denen ein großer Reichtum an Antworten aus der unermeßlichen Schar der Gläubigen aller Zeiten und Orte hervorgegangen ist. Heute hat uns der Geist, „der Herr ist und lebendig macht“, bereits nahe an die Schwelle des dritten christlichen Jahrtausends herangeführt, und wir sind aufgerufen, mit neuer Freude die Antwort zu geben, zu der Gott uns anregt und die er von uns erwartet, gewissermaßen wie für eine neue Geburt Jesu Christi in unserer Geschichte. 7 AUDIENZEN UNDANGELUS 2. Die Frage Jesu über seine Person läßt das feine pädagogische Empfinden dessen erkennen, der oberflächlichen Antworten nicht traut, sondern eine Antwort erwartet, die eine Zeit — manchmal eine lange Zeit — des Reifens gebraucht hat, eine Zeit des Nachdenkens und des Gebetes, in aufmerksamem und intensivem Hinhören auf die Wahrheit des christlichen Glaubens, wie ihn die Kirche bekennt und verkündigt. Ja, wir müssen zugeben, daß wir uns Jesus gegenüber nicht mit bloß menschlicher Sympathie begnügen dürfen, so berechtigt und wertvoll diese auch sein mag; noch genügt es, ihn lediglich als eine historisch interessante Persönlichkeit zu betrachten, die theologisches, geistliches und soziales Interesse verdient, oder als Quelle künstlerischer Inspiration. Wir sehen, wie sich um Christus, auch bei den Christen, oft Schatten der Unwissenheit ausbreiten oder, was noch schlimmer ist, Schatten des Mißverstehens, wenn nicht gar des Unglaubens. Es besteht immer Gefahr, sich auf das „Evangelium Jesu“ zu berufen, ohne dessen Größe und Radikalität zu erkennen und ohne das zu leben, was man mit Worten bekennt. Wie viele gibt es, die das Evangelium auf ihr eigenes Maß herabmindem und sich einen bequemeren Jesus zurechtmachen; die seine göttliche Transzendenz leugnen oder aber sein wirkliches, geschichtliches Menschsein; wie viele auch, die die Vollständigkeit seiner Botschaft manipulieren, vor allem nicht sein Kreuzesopfer, das sein Leben und seine Lehre beherrscht, berücksichtigen, noch die Kirche, die er als sein „Sakrament“ in der Geschichte eingesetzt hat. Auch diese volle Wahrheit über Jesus zu suchen und aus dem Licht Nutzen zu ziehen, das der Vater — wie einst bei Petrus — im Lauf der Jahrhunderte durch die Kraft des Heiligen Geistes in den Herzen so vieler Menschen entzündet hat: Das Licht der Zeugen, die bis zum Martyrium die Treue bewahrt haben, das Licht leidenschaftlich forschender Gelehrter, deren Anliegen es war, das Geheimnis Jesu mittels des vom Glauben getragenen Verstandes auszuloten; das Licht, welches vor allem das vom Charisma des Heiligen Geistes geleitete Lehramt der Kirche mit den dogmatischen Definitionen über Jesus Christus entzündet hat. Wir erkennen an, daß auch in dem zaghaften und ängstlichen Suchen vieler unserer Zeitgenossen der Drang steckt, zu entdecken, wer Jesus eigentlich ist. Sie gleichen so sehr dem Nikodemus: „der Jesus bei Nacht.aufsuchte“ (vgl. Joh 3, 3), oder dem Zachäus, der auf einen Baum kletterte, um „Jesus zu sehen“ (vgl. Lk 19,4). Gedrängt von dem Wunsch, jedem Menschen behilflich zu sein, Jesus zu entdecken, der als Arzt für die Kranken und als Retter für die Sünder gekommen ist (vgl. Mk2,17), erfülle ich die wichtige und faszinierende Aufgabe, die Gestalt Jesu den Söhnen und Töchtern der Kirche und jedem Menschen guten Willens zu zeigen. 8 AUDIENZEN UNDANGELUS Vielleicht erinnert ihr euch daran, daß ich zu Beginn meines Pontifikats an die Menschen die Aufforderung richtete: „Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!“ (O.R. dt., 27.10.1978). Später habe ich im Apostolischen Schreiben „Catechesi tradendae“, das der Katechese gewidmet ist, dem Gedanken der Bischöfe im Anschluß an die IV. Bischofssynode Ausdruck gegeben und betont: „Der wesentliche und wichtigste Inhalt der Katechese ist ... ,das Geheimnis Christi“. Katechesieren heißt in gewisser Weise, jemanden anleiten, dieses Geheimnis in all seinen Dimensionen zu erforschen ...; in der Person Christi den gesamten ewigen Plan Gottes aufzuzeigen, der sich in ihr erfüllt ... Er allein kann zur Liebe des Vaters im Heiligen Geist hinführen und uns Anteil am Leben der Heiligsten Dreifaltigkeit geben“ {Catechesi tradendae,. Nr. 5). Wir wollen miteinander diesen Weg der Katechese gehen und unsere Erwägung um vier zentrale Punkte ordnen: 1) Jesus in seiner geschichtlichen Wirklichkeit und in seiner transzendenten messianischen Eigenschaft, Sohn Abrahams, Menschensohn und Sohn Gottes; 2) Jesus in seiner Identität als wahrer Gott und wahrer Mensch, in tiefer Verbundenheit mit dem Vater und beseelt von der Kraft des Heiligen Geistes, wie er uns im Evangelium vorgestellt wird; 3) Jesus in den Augen der Kirche, die mit dem Beistand des Heiligen Geistes das uns durch die Offenbarung Gegebene geklärt und vertieft hat, indem sie uns, vor allem durch die ökumenischen Konzilien genaue Formulierung des christologischen Glaubens gab; 4) Jesus in seinem Leben und in seinen Werken, Jesus in seinem erlösenden Leiden und in seiner Verherrlichung, Jesus unter uns und in uns, in der Geschichte und in seiner Kirche bis ans Ende der Welt (vgl. Mt 28, 20). 3. Es ist wohl wahr, daß es in der Kirche viele Arten der Katechese gibt, um das Volk Gottes über Jesus zu unterweisen. Jede von ihnen muß aber, damit sie authentisch ist, ihren Inhalt aus der immerwährenden Quelle der Tradition und der Heiligen Schrift schöpfen, erläutert im Licht der Lehre der Kirchenväter und Kirchenlehrer, im Licht der Liturgie, des Volksglaubens und der Volksfrömmigkeit, mit einem Wort, im Licht der Tradition, die in der Kirche fortlebt und fortwirkt durch den Heiligen Geist, von dem der Meister uns versprochen hat: Er wird „euch in die ganze Wahrheit führen. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus reden, sondern er wird sagen, was er hört und euch verkünden, was kommen wird“ (.Joh 16, 13). Diese Tradition sehen wir ausgedrückt und zusammengefaßt besonders in der Lehre der Konzilien und gesammelt in den Glaubensbekenntnissen sowie vertieft durch die theologische Reflexion, die sich treu an die Offenbarung und das Lehramt der Kirche hält. Welchen Wert hat eine Katechese über Jesus, die nicht echt ist und ganz dem 9 AUDIENZEN UND ANGELUS Blick entspricht, mit dem die Kirche sein Geheimnis betrachtet, anbetet und verkündet? Andererseits ist pädagogische Weisheit vonnöten, die Rücksicht zu nehmen weiß auf die Voraussetzungen und die Bedürfnisse derer, an die sie sich wendet. So habe ich in dem genannten Schreiben „Catechesi tradendae“ bemerkt: „Jeder Katechet — welchen Verantwortungsgrad er auch immer in der Kirche haben mag — muß daher ständig darum besorgt sein, durch seinen Unterricht und sein Verhalten die Lehre und das Leben Jesu selber hervortreten zu lassen“ (Catechesi tradendae, Nr. 6). 4. Wir wollen zum Abschluß dieser einleitenden Katechese daran erinnern, daß Jesus in einem für das Leben der ersten Jünger besonders schwierigen Augenblick — als nämlich das Kreuz sich schon näher abzeichnete und viele ihn verließen — an diejenigen, die bei ihm geblieben waren, noch eine andere jener Fragen richtete, die er mit solchem Nachdruck, solcher Eindringlichkeit und so unausweichlich stellte: „Wollt auch ihr Weggehen?“ Wieder war es Petrus, der als Wortführer seiner Brüder antwortete: „Herr, zu wem sollen wir gehen, du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes“ (Joh 6,66-69). Mögen diese unsere katechetischen Begegnungen uns immer offener für die Fragen Christi machen und fähig, auf diese Fragen die richtigen Antworten zu geben, bereit, sein Leben bis ins Letzte zu teilen. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! In unserer wöchentlichen Katechese über das Glaubensbekenntnis beginnen wir heute einen neuen Zyklus über Jesus Christus. Uns allen gilt die Frage, die Jesus in der heutigen Lesung an die Apostel richtet: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Mt 16, 15). Petrus gibt für sie die Antwort: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16). Als Christen müssen wir alle uns darum bemühen, uns dieses Bekenntnis Petri selber zu eigen zu machen. Wir sind aufgerufen, dieses sein Bekenntnis zu Christus als dem Sohn Gottes mit neuer Freude und Überzeugung den Menschen unserer Zeit zu sagen. Christus gegenüber kann man sich nicht mit rein menschlicher Sympathie begnügen. Es gilt, die Schatten der Unwissenheit und der Mißverständnisse über Christus bei den heutigen Menschen durch jenes Licht aufzuhellen und zu beseitigen, das wir von der Offenbarung, von der Lehre der Kirche und den Glaubenszeugen vor uns empfangen haben. Viele unserer Zeitgenossen sind wie Nikodemus oder Zachäus im Evangelium auf der Suche zu erfahren, wer Christus wirklich ist. 10 AUDIENZEN UNDANGELUS Unsere Glaubensunterweisung über Jesus Christus will den Menschen helfen, seine wahre Identität wieder neu zu entdecken. Sie soll sich in vier Abschnitte gliedern: 1. Jesus in seiner geschichtlichen Wirklichkeit und in seiner transzendenten messianischen Sendung; 2. Jesus als wahrer Gott und wahrer Mensch; 3. Jesus nach der Lehre der Kirche; und 4. Jesus in seinem Leben und Wirken. Angesichts der Glaubens Schwierigkeiten, die sich auch den Menschen unserer Zeit stellen, wollen wir zusammen mit Petrus bekennen: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben bekannt: Du bist der Heilige Gottes“ (Joh 6,68). Mit diesen kurzen einführenden Darlegungen grüße ich sehr herzlich die anwesenden Pilger und alle Gläubigen deutscher Sprache nun am Beginn des neuen Jahres. Möge dieses für euch alle zu einem wirklichen Jahr des Heiles werden. — Einen besonderen Willkommensgruß richte ich an die Gruppe von Holzbildhauern aus Oberammergau. Aufrichtig danke ich allen, die durch ihre handwerkliche Kunstfertigkeit und ihre großzügige Unterstützung persönlich zur Verwirklichung der schönen Krippendarstellung für die Petersbasilika beigetragen haben. Eine Krippe ist anschauliche Verkündigung der beglückenden Wahrheit von der Menschwerdung Gottes im Kind von Bethlehem. Für reiche weihnachtliche Gnade und Gottes Schutz im neuen Jahr erteile ich euch und allen Gläubigen, zu denen meine Worte gelangen, von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. Die Taufe Jesu am Jordan Angelus am 11. Januar 1. „Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben“ (Lk 1,31). Wenn wir uns zum Angelusgebet versammeln, erinnern wir uns immer an diese Worte, die bei der Verkündigung zu Maria gesprochen wurden. Sie haben sich in der Nacht von Bethlehem erfüllt. Maria brachte den Sohn Gottes zur Welt, und am achten Tag wurde ihm der Name Jesus gegeben — der „Erlöser“ bedeutet. Die Kirche erlebt all das in der Weihnachtszeit mit, wenn das voraufgegangene Jahr seinen Platz dem nachfolgenden einräumt. Und dieser Jahreswechsel erlaubt uns, an die Fülle der Zeit zu denken, in der wir leben, seit der Ewiggeborene Sohn aus Liebe zum Ewigen Vater Mensch wurde durch das Wirken des Heiligen Geistes. 11 AUDIENZEN UND ANGELUS 2. Diesem unsagbaren Geheimnis — dieser göttlichen Erscheinung — nähert sich dann die Kirche am Tag der Ankunft der drei Sterndeuter aus dem Osten. Das Geheimnis, das sich den Augen ihres Glaubens enthüllt hat, wurde in der Folgezeit last verborgen: zuerst durch die Flucht nach Ägypten, um der Grausamkeit des Herodes zu entgehen; und dann in den 30 verborgenen Jahren im Haus von Nazaret. 3. Heute kehrt die Epiphanie noch einmal in die Liturgie der Kirche zurück. Jesus ist schon aus der Verborgenheit von Nazaret herausgetreten und hat seine messianische Sendung begonnen, in Übereinstimmung mit den Weissagungen der Propheten. Jesus von Nazaret geht zum Jordan, wo Johannes die Bußtaufe spendet und den Messias ankündigt. Und die Erscheinung des heutigen Sonntags hat einen unerhört reichen Heilsgehalt. Johannes spricht, als er Jesus sieht: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“ Diese Worte enthalten das, was wir bei Jesaja über den „Gottesknecht“ lesen. Diese Worte bereiten uns schon am Jordan auf das Pascha-Geheimnis des Kreuzes vor. Und gleichzeitig sind die Worte des Vorläufers vom Zeugnis des Vaters begleitet. 4. Wir stehen auf dem Höhepunkt der Epiphanie. Wir bitten dich, Maria, daß das Geheimnis deines Sohnes sich den Augen unseres Glaubens tiefer öffne. Denn du hast zuerst geglaubt: Selig, die du geglaubt hast! Leite uns auf dieser Straße, die durch die irdische Erscheinung deines Sohnes uns zur Fülle des Lichtes führe. Jesus eindeutig eine historische Gestalt Ansprache bei der Generalaudienz am 14. Januar 1. Mit der Katechese der vergangenen Woche haben wir, den ältesten christlichen Glaubensbekenntnissen folgend, einen neuen Zyklus von Betrachtungen über Jesus Christus begonnen. Im Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt es: „Ich glaube... an Jesus Christus, seinen (Gottes) eingeborenen Sohn.“ Das nizänokonstantinopolitanische Glaubensbekenntnis definiert die göttliche Herkunft Jesu Christi als Sohn Gottes noch genauer und erklärt weiter, daß dieser Sohn Gottes „für uns Menschen und zu unserem Heil vom Himmel 12 AUDIENZEN UND ANGELUS gekommen ist und... Fleisch angenommen hat“. Der zentrale Kern des christlichen Glaubens wird also, wie wir sehen, von der zweifachen Wahrheit gebildet: daß Jesus Christus Gottessohn und Menschensohn ist (christologische Wahrheit) und daß er die Verwirklichung des Heiles des Menschen ist, die Gottvater in ihm, seinem Sohn und Retter der Welt, vollbracht hat (Heilswahr-heit). 2. Wenn wir in den vorangegangenen Katechesen das Böse und insbesondere die Sünde behandelt haben, so geschah das auch als Vorbereitung auf den jetzigen Zyklus über den Erlöser Jesus Christus. Denn Heil bedeutet Befreiung vom Bösen, insbesondere von der Sünde. Die in der Heiligen Schrift, angefangen vom Protoevangelium (Gen 3, 15), enthaltene Offenbarung macht uns empfänglich für die Wahrheit, daß allein Gott den Menschen von der Sünde und von allem in der menschlichen Existenz vorhandenen Bösen zu befreien vermag. Während Gott sich selbst als Schöpfer und waltenden Ordner offenbart, so offenbart er sich gleichzeitig als Erlöser: als der, der vom Bösen, insbesondere von der Sünde befreit, die vom freien Willen des Geschöpfes verursacht wird. Das ist der Höhepunkt des von der Vorsehung Gottes verwirklichten Schöpfungsplanes, in dem die Welt (Kosmologie), der Mensch (Anthropologie) und Gott der Erlöser (Soteriologie) eng miteinander verbunden sind. Denn wie uns das Zweite Vatikanische Konzil in Erinnerung ruft, glauben die Christen, daß die Welt „durch die Liebe des Schöpfers begründet ist und erhalten wird; die Welt, die unter die Knechtschaft der Sünde geraten, von Christus aber, dem Gekreuzigten und Auferstandenen,... befreit wurde“ (vgl. Gaudium et spes, Nr. 2). 3. Der Name „Jesus“ heißt in seiner etymologischen Bedeutung „Jahwe befreit“, rettet, hilft. Vor der Babylonischen Gefangenschaft wurde die Form „Jehoschua“ gebraucht: eine Gottesbezeichnung, die die Wurzel des heiligen Namens Jahwe enthält. Nach der Babylonischen Gefangenschaft wurde die Kurzform „Jeshua“ üblich, die in der Übersetzung der Septuaginta mit „Ip-ao0co£‘ wiedergegeben wurde, woraus sich der italienische „Gesü“ (oder das deutsche „Jesus“ — Anm. d. Red.) ableitet. Der Name war sowohl zur Zeit des Alten wie des Neuen Bundes ziemlich verbreitet. Es ist in der Tat der Name, den Josua trug, der nach dem Tod des Mose die Israeliten in das verheißene Land führte: „Er war dazu geschaffen, ... für die Erwählten Gottes eine große Hilfe zu sein, ... und Israel in sein Erbland zu führen“ (Sir 46,1). Jesus, Sohn des Sirach, war der Verfasser des Buches Jesus Sirach (Sir 50, 27). In dem im Lukasevangelium angeführten Stamm- 13 AUDIENZEN UNDANGELUS bäum des Erlösers finden wir „Er, der Sohn Jesu“ (Lk 3,28-29). Unter den Mitarbeitern des hl. Paulus gibt es auch einen gewissen Jesus, „genannt Justus“ (vgl, Kol 4,11). 4. Niemals jedoch hat der Name Jesus jene Bedeutungsfiille besessen wie im Fall des Jesus von Nazaret, der Maria (vgl. Lk 1,31 ff.) und Josef (vgl. Mt 1,21) vom Engel offenbart wurde. Am Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu verstanden die Leute seinen Namen in dem damals üblichen Sinn. „Wir haben den gefunden, über den Möse im Gesetz und auch die Propheten geschrieben haben: Jesus aus Nazaret, den Sohn Josefs“, sagte einer der ersten Jünger, Philippus, zu Natanael, der entgegnet: „Aus Nazaret? Kann von dort etwas Gutes kommen?“ (Joh 1,45-46). Diese Frage zeigt, daß Nazaret von den Kindern Israels nicht gerade hochgeschätzt wurde. Trotzdem wurde Jesus „der Mann aus Nazaret“, Nazoräer“ (Mt 2,23) oder auch „Jesus von Nazaret in Galiläa“ (Mt 21,11) genannt, eine Bezeichnung, die selbst Pilatus in der Inschrift, die er auf dem Kreuz änbringen ließ, gebrauchte: „Jesus von Nazaret, der König der Juden“ (Joh 19,19). 5. Die Leute nannten Jesus den „Nazarener“, nach dem Namen des Ortes, in dem er bis zu seinem 30. Lebensjahr mit seiner Familie lebte. Wir wissen jedoch, daß der Geburtsort Jesu nicht Nazaret, sondern Bethlehem war, ein Städtchen in Judäa, südlich von Jerusalem. Das bezeugen die Evangelisten Lukas und Matthäus. Insbesondere Lukas, weist darauf hin, daß wegen der von den römischen Behörden angeordneten Volkszählung „Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinaufzog nach Judäa in die Stadt Davids, die Bethlehem heißt... Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft“ (Lk 2,4-6). Wie.es mit anderen biblischen Orten geschieht, gewinnt auch Bethlehem eine prophetische Bedeutung. Unter Berufung auf den Propheten Micha (Mich 5,1-3) erinnert Matthäus daran, daß dieses Städtchen zum Geburtsort des Messias ausersehen war: „Du, Bethlehem im Gebiet von Juda, bist keineswegs die unbedeutendste unter den führenden Städten von Juda; denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, der Hirt meines Volkes Israel“ (Mt 2,6). Der Prophet fügt hinzu: „.. .Sein Ursprung liegt in ferner Vorzeit, in längst vergangenen Tagen“ (Mich 5,1). Auf diesen Text bezogen sich die Priester und Schriftgelehrten, an die sich Herodes gewandt hatte, um den Sterndeutern aus dem Osten die Frage nach dem Geburtsort des Messias beantworten zu können. Der Text des Matthäusevangeliums: „Jesus wurde zur Zeit des Königs Herodes in Bethlehem in Judäa geboren“ (Mt 2,1), greift auf die Prophezeiung des 14 AUDIENZEN UNDANGELUS Micha zurück, auf die sich auch die im vierten Evangelium angeführte Frage bezieht: „Sagt nicht die Schrift: Der Messias kommt aus dem Geschlecht Davids aus dem Dorf Bethlehem, wo David lebt?“ (loh 7,42). 6. Aus diesen Einzelheiten ergibt sich, daß Jesus der Name einer historischen Gestalt ist, die in Palästina lebte. Wenn man Persönlichkeiten wie Mose und Josua mit Recht historische Glaubwürdigkeit zuerkennt, muß man mit noch größerer Berechtigung die historische Existenz Jesu annehmen. Die Evangelien berichten uns sein Leben nicht im Detail, weil ihr Zweck nicht in erster Linie Geschichtsschreibung ist. Und doch sind es gerade die Evangelien, die, wenn mit ehrlicher Kritik gelesen, den Schluß zulassen, daß Jesus von Naza-ret eine historische Gestalt ist, die in einem bestimmten Raum und zu einer bestimmten Zeit gelebt hat. Auch vom rein wissenschaftlichen Standpunkt aus muß nicht die Behauptung, sondern die Leugnung der Existenz Jesu Erstaunen hervorrufen, wie es die mythologischen Theorien der Vergangenheit getan haben und wie es noch heute der eine oder andere Gelehrte tut. Was den genauen Zeitpunkt der Geburt Jesu betrifft, so gehen die Meinungen der Fachgelehrten auseinander. Man gibt allgemein zu, daß der Mönch Dionysius Exiguus, als er im Jahr 533 vorschlug, als Ausgangspunkt für die Zeitrechnung nicht mehr die Gründung Roms, sondern das Geburtsjahr Jesu Christi zu nehmen, einen Rechenfehler begangen hat. Bis vor kurzem nahm man an, es handle sich um einen Fehler von ungefähr vier Jahren, aber die Frage ist noch keineswegs gelöst. 7. In der Überlieferung des israelitischen Volkes hat der Name „Jesus“ seine etymologische Bedeutung beibehalten: „Gott befreit“. Der Tradition nach waren es immer die Eltern, die ihren Kindern den Namen gaben. Im Falle Jesu, des Sohnes Mariens, hingegen wurde der Name bereits vor der Geburt vom Himmel gewählt und zuerkannt, entsprechend der Anweisung des Engels an Maria bei der Verkündigung (Lk 1,31) und an Josef im Traum (Mt 1,21). „Man gab ihm den Namen Jesus“— hebt der Evangelist Lukas hervor —, denn diesen Namen „hatte der Engel genannt, noch ehe das Kind im Schoß seiner Mutter empfangen wurde“ (Lk 2,21). 8. In dem von Gottes Vorsehung bestimmten Plan trägt Jesus von Nazaret einen Namen, der auf das Heil anspielt: „Gott befreit“, denn er ist tatsächlich das, was der Name aussagt, nämlich der Heiland. Das bezeugen einige Sätze in den sogenannten Kindheitsgeschichten des Lukas: „... euch ist... ein Retter geboren“ (Lk 2,11), und des Matthäus: „... er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen“ (Mt 1,21). Diese Aussagen geben die Wahrheit wieder, die 15 AUDIENZEN UND ANGELUS vom ganzen Neuen Testament geoffenbart und verkündet wird. So schreibt zum Beispiel der Apostel Paulus im Brief an die Philippen „Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr (Kyrios, Adonai) — zur Ehre Gottes, des Vaters“ (Phil 2,9-11). Den Grund für die Erhöhung Jesu finden wir in dem Zeugnis, das die Apostel von ihm gaben, wenn sie mutig verkündeten: „In keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg 4,12). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Im großen Glaubensbekenntnis der Sonntagsmesse heißt es: „Für uns Menschen und zu .unserem Heil ist er — Christus — vom Himmel gekommen und hat Fleisch angenommen.“ Ja, die Geburt Jesu Christi hat es mit unserem Heil zu tun, wie Gott es in seiner ewigen Liebe uns allen zugedacht hat, wenn wir mit Maria ja sagen zu seinem heiligen Willen. Schon der Name „Jesus“ deutet diesen Auftrag des Endes von Bethlehem an: „Jesus“ ist in der hebräischen Sprache die Kurzform des Namens „Jehos-hua“, in dem wir das Wort „Jahwe“, den heiligen Namen Gottes im Alten Testament, entdecken können. „Jesus“ heißt übersetzt: „Gott befreit“. In Jesus und durch ihn will Gott uns von allem befreien, was unser ewiges Heil bei Gott verhindern könnte, also vor allem von der Fessel der Sünde und Schuld. Der Name „Jesus“ war im jüdischen Volk verbreitet; hier aber geht es um eine ganz bestimmte, auch historisch bekannte Person, nämlich um „Jesus von Nazaret“, den „Sohn des Zimmermanns“, der südlich von Jerusalem, in Bethlehem, geboren wurde, wie uns die Evangelien berichten. Über den genauen Zeitpunkt dieser Geburt haben wir keine letzte Erkenntnis; Matthäus schreibt: „zur Zeit des Königs Herodes.“ Manche geschichtliche Überlegungen ergeben, daß diese Geburt wenigstens vier Jahre vor Beginn der heute geltenden christlichen Zeitrechnung stattgefunden habe. So trägt Jesus von Nazaret einen Namen, der den Auftrag seines ganzen Lebens zusammenfaßt: „Gott befreit.“ Wenn wir diesen Namen betend aussprechen, bekennen wir uns schon zur befreienden Liebe Gottes; die uns auch heute noch, fast zweitausend Jahre nach dem irdischen Leben Jesu, genau so intensiv und deutlich wie damals angeboten ist, nämlich in der Kirche Christi; ihr hat Jesus versprochen, bei ihr zu sein bis zum Ende der Welt. In der Kraft 16 AUDIENZEN UND ANGELUS dieser Verheißung gehen wir mit aller Zuversicht den Weg unseres persönlichen Lebens sowie den gemeinsamen Pilgerweg dieser Kirche. Der Segen des dreifältigen Gottes begleite uns dabei! Der Weg, der uns zur vollen Einheit führt Angelus am 18. Januar Heute beginnt die alljährliche Weltgebetswoche für die Einheit der Christen. In den verschiedenen Teilen der Welt verstärken in dieser Woche Katholiken, Orthodoxen, Anglikaner und Protestanten ihr Gebet für die Wiederherstellung der vollen Einheit all derer, die bekennen, daß Jesus Christus Gott, Herr und Retter der Welt ist. Deshalb ist dies ein besonderer Anlaß zu gemeinschaftlichem Gebet und gleichzeitig eine Gelegenheit, alle Getauften in die ökumenische Suche nach der Wiederherstellung der Einheit mit einzubeziehen. Wir alle, welche Rolle auch immer uns in der christlichen Gemeinschaft zugedacht sein mag, können für die Einheit beten, daß der Herr seinen Jüngern jene Einheit schenke, für die er selbst gebetet hat (vgl. Joh 17,21). Die Erinnerung an den Friedenstag in Assisi kann uns auch für diese Woche wichtige Anregungen bieten. Im Rahmen eines ausgedehnteren Treffens hat das gemeinsame Gebet unter den Christen in Assisi die im Namen Christi bestehende Einheit zum Ausdruck gebracht und ebenso den gemeinsamen Wunsch nach der vollen Einheit, um für alle Menschen vor der Welt Zeugnis abzulegen. „Solche gemeinsamen Gebete (der Katholiken mit den anderen christlichen Brüdern) — sagt das Zweite Vatikanische Konzil — sind ein höchst wirksames Mittel, um die Gnade der Einheit zu erflehen, und ein echter Ausdruck der Gemeinsamkeit, in der die Katholiken mit den getrennten Brüdern immer noch verbunden sind: „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20)“ (Unitatis redintegratio, Nr. 8). Die am Ende wiederhergestellte christliche Gemeinschaft wird das wesentliche Merkmal des Dienens haben müssen. Darauf deutet das tiefgreifende und zukunftsweisende Thema hin, das in diesem Jahr für die Weltgebetswöche gewählt wurde: „Mit Christus vereint, eine neue Schöpfung“ (vgl. 2 Kor 5,17-6,4). Die Einheit in Christus bringt diese neue Schöpfung hervor, zu der die gesamte Menschheit berufen ist. 17 AUDIENZEN UND ANGELUS Deshalb ist die Erneuerung eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Wiederherstellung der Einheit der Christen und des Friedens in der Welt. Bei unserem heutigen gemeinsamen Mariengebet lade ich euch hier Anwesenden und alle Katholiken in der Welt ein, aktiv an dieser Woche teilzunehmen. Ich hoffe auch, daß dort, wo sie noch nicht stattfindet, die Katholiken die Initiative ergreifen zu gemeinsamen Gebetstreffen und zur brüderlichen und solidarischen Zusammenarbeit der Christen gemäß den Weisungen des Zweiten Vatikanischen Konzils, das betonte: „Durch die Zusammenarbeit der Christen kommt die Verbundenheit, in der sie schon untereinander vereinigt sind, lebendig zum Ausdruck, und das Antlitz Christi, des Gottesknechtes, tritt in hellerem Licht zutage. Diese Zusammenarbeit... muß mehr und mehr vervollkommnet werden... Das gilt sowohl für die Aufgabe, der menschlichen Person zu ihrer wahren Würde zu verhelfen, für die Förderung des Friedens, für die Anwendung des Evangeliums auf die sozialen Fragen“ (Unitatis redintegratio, Nr. 12). Zusammen mit dem ökumenischen Dialog ist dies der Weg, der uns zur vollen Einheit führen wird. Schritte zur Wiederversöhnung Ansprache bei der Generalaudienz am 21. Januar „Vereint in Christus, eine neue Schöpfung“ (vgl. 2 Kor 5,17-6,4a). 1. Dies ist das Thema der diesjährigen „Gebetswoche für die Einheit der Christen“, die in der ganzen Welt begangen wird. Die jährliche „Gebetswoche“ veranlaßt immer mehr Christen: Katholiken, Orthodoxe, Anglikaner und Protestanten, in gemeinsamen Gebetstreffen um Vergebung für die Schuld der Spaltung und um das Geschenk der Einheit zu bitten. Diesem gemeinsamen Beten wohnt eine geistliche Dynamik inne; es beseelt die Bewegung für die Einheit von innen her; es stützt sie in schwierigen Stunden; es richtet sie ständig auf das rechte Ziel aus. Das für dieses Jahr gewählte Thema lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die eigentliche Wurzel der kirchlichen Einheit: die Verbundenheit in Christus. Durch das Opfer Jesu Christi, der für das Heil der Welt gestorben und auferstanden ist, hat Gott uns mit sich versöhnt. Durch das Blut Christi sind wir erlöst worden. Da wir ihm eingeliedert wurden, haben wir teil an seinem Leben. Wir sind folglich zu einem neuen Leben berufen (vgl. Rom 6,4). Die ersten Christen von Korinth, die von internen Spaltungen heimgesucht wurden, erinnert der hl. Paulus in seinem zweiten Brief energisch daran, daß 18 AUDIENZEN UND ANGELUS das Alte vergangen ist. Und zu diesen alten Dingen gehört: der Haß, die Feindseligkeit, die Spaltung, die Sünde. Paulus ruft ihnen auch in Erinnerung, daß Neues entstanden ist: die Versöhnung, die Liebe, die Solidarität, die Einheit. Er gelangt schließlich zu der lapidaren, bedeutungsvollen Feststellung: „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung“ {2 Kor 5,11). 2. Das Zweite Vatikanische Konzil hat seine Überlegungen über das „sakramentale Band der Einheit“ (Unitatis redintegratio, Nr. 22), das zwischen den Katholiken und den anderen Christen besteht, auf das Ereignis der Taufe gegründet. „Der Mensch wird durch das Sakrament der Taufe, wenn es.. .recht gespendet und in der gebührenden Geistesverfassung empfangen wird, in Wahrheit dem gekreuzigten und verherrlichten Christus eingeliedert und wiedergeboren zur Teilhabe am göttlichen Leben... Die Taufe begründet also ein sakramentales Band der Einheit zwischen allen, die durch sie wiedergeboren sind“ (Unitatis redintegratio, Nr. 22). Dieses tiefreichende Band, das trotz jeder eingetretenen Spaltung weiterbesteht, ist das feste Fundament der Einheit. Aber es handelt sich nicht um ein statisches Fundament. Von der gemeinsamen Taufe strahlt nämlich unablässig das dringende Bedürfnis nach ihrer vollen Verwirklichung in der kirchlichen Gemeinschaft der ganzen Christengemeinde aus, ohne irgendeine Glaubensspaltung, trotz der verschiedenen legitimen Ausdrucksformen von Traditionen im Bereich der Liturgie und der Disziplin (vgl. Unitatis redintegratio, Nr. 1). Die grundsätzliche Verbundenheit in Christus verlangt nach voller Gemeinschaft im Glauben und im kirchlichen Leben, damit die christliche Gemeinde wirksamer von der neuen Schöpfung Zeugnis geben kann, zu welcher der Herr die ganze Menschheit beruft. 3. Der „Gebetstag“, den wir in Assisi begangen haben, um—imRahmeneines weiter reichenden Planes — den Frieden für die Welt zu erbitten, hat auch die Gelegenheit zu einem gemeinsamen Gebet aller Christen geboten. Dieses gründete sich auf den gemeinsamen Glauben an Jesus Christus, den Retter der Welt und Friedensfürsten. Neben den Gläubigen der anderen Religionen, die gleichfalls für den Frieden gebetet haben, brachte das gemeinsame Gebet der Christen das spezifisch Christliche zum Ausdruck, das uns im grandlegenden Glauben und in der gemeinsamen Berufung verbindet. Es war gleichsam die Vorwegnahme j enes Tages, an dem es zwischen ihnen keine Trennung mehr geben wird. Zugleich machte es den gemeinsamen Dienst offenbar, den die Christen miteinander für den Menschen unserer Zeit leisten können und sollen. 19 AUDIENZEN UND ANGELUS Die letzte außerordentliche Bischofssynode hat erklärt, daß der Ökumenismus tief und unauslöschlich in das Bewußtsein der Kirche eingeschrieben ist. Und sie fügte hinzu, daß durch den ökumenischen Dialog die Kirche noch klarer als Sakrament der Einheit erscheine. „Außerdem ruft die Gemeinschaft zwischen Katholiken und anderen Christen, obwohl sie unvollständig ist, alle dazu auf, auf den verschiedenen Ebenen zusammenzuarbeiten. So ermöglicht sie in gewisser Weise das gemeinsame Zeugnis von der heilbringenden Liebe Gottes gegenüber der Welt, die nach dem Heil ruft“ (Schlußbericht, II, C, 7). Die Anwesenheit zahlreicher Vertreter der christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften aus dem Morgen- und Abendland hat zweifellos eine Frucht der neuen Beziehungen der Christen untereinander offenbar gemacht und uns gleichzeitig die Möglichkeit und Dringlichkeit vor Augen geführt, neue Schritte in Richtung auf die volle Wiederversöhnung, das gemeinsame Zeugnis und den gemeinsamen Dienst an der ganzen Menschheit zu, unternehmen. Von den in der Begegnung von Assisi klar gewordenen Perspektiven kann das Gebet für die Einheit der Christen einen neuen Impuls und ein verstärktes Engagement beziehen. 4. Uminunserer Zeit den Dienst der Versöhnung (vgl. 2 Kor 5,18) zu erfüllen, müssen wir mit Gott und mit dem Nächsten und vor allem mit jenen voll versöhnt sein, die mit uns den Glauben an den dreieinigen Gott teilen und mit uns durch die eine Taufe verbunden sind. Wir wollen diese Überlegungen mit unserem Gebet zu Gott für alle unsere Brüder im Glauben beschließen: Gott, du hast uns durch Wasser und den Heiligen Geist in der neuen Schöpfung zu ewigem Leben auferstehen lassen. Gieße gnädig über alle deine Söhne und Töchter weiter deinen Segen aus; laß uns, wo immer wir weilen, stets treue Glieder deines Volkes bleiben, durch eine gemeinsame Taufe geeint, gemeinsam den einen von den Aposteln ererbten Glauben bekennen, damit wir in einer zerrissenen Welt Zeugnis geben und nach der vollen Einheit streben, die Christus für seine Kirche gewollt hat. Er, der als Gott mit dir lebt und herrscht in der Einheit des Heiligen Geistes von Ewigkeit zu Ewigkeit. Alle: Amen, 20 AUDIENZEN UNDANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Die jährliche Gebetswoche für die Einheit der Christen veranlaßt immer mehr Gläubige: Katholiken, Orthodoxe, Anglikaner und Protestanten, Gott um Vergebung für die Schuld der Spaltung und um das Geschenk der Einheit zu bitten. Der gemeinsame Leitgedanke lautet in diesem Jahr: „Vereint in Christus, eine neue Schöpfung“ Dieses Thema lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Wurzel der kirchlichen Einheit: die Verbindung mit Christus. Durch den Opfertod Christi hat Gott uns mit sich versöhnt. In lebendiger Gemeinschaft mit ihm nehmen wir teil an seinem Leben und werden so selber zu neuen Geschöpfen. Das II. Vatikanische Konzil gründet seine Überlegungen über das sakramentale Band der Einheit, das zwischen den Katholiken und den anderen Christen besteht, auf das Sakrament der Taufe, in dem alle zum göttlichen Leben wiedergeboren werden. Die gemeinsame Taufe verbindet alle Christen trotz der vorhandenen Spaltungen zutiefst untereinander. Diese schon bestehende grundsätzliche Verbundenheit aller in Christus verlangt notwendig nach voller Einheit im Glauben und voller kirchlicher Gemeinschaft, auf daß das Zeugnis der Christen vor der Welt überzeugender werde. Der Gebetstag von Assisi hat die Christen auf Grund ihres gemeinsamen Glaubens an Christus zum gemeinsamen Gebet für den Frieden in der Welt vereint. Er war gleichsam eine zeichenhafte Vorwegnahme jenes Tages, an dem unter ihnen keine Trennung mehr sein wird. Die letzte Bischofs synode hat erneut alle Christen aufgerufen, überall dort zusammenzuarbeiten, wo es jetzt schon möglich ist. Das gemeinsame Gebet ist hierbei der wichtigste und vorzüglichste Ort. Euch alle, liebe Brüder und Schwestern, lade ich heute inständig zur persönlichen Beteiligung an diesem weltumspannenden Gebet aller Christen ein. Möge euch das tiefe Erlebnis von Kirche bei dieser Audienz in Eurer Mitverantwortung für die Einheit aller christlichen Kirchen und Gemeinschaften neu bestärken. Von Herzen erteile ich euch und allen, zu denen meine Worte gelangen, meinen besonderen Apostolischen Segen. 21 AUDIENZEN UNDANGELUS Den Ökumenismus in rechter Weise verwirklichen Angelus am 25. Januar 1. Heute wird die alljährliche Weltgebetswoche für die Einheit der Christen beendet. Diese gemeinsame, Katholiken, Orthodoxe, Anglikaner und Protestanten verbindende Bekundung der Verehrung und Liebe zu Gott ist für alle ein wahres Geschenk Gottes, ein wahrer Fortschritt auf dem Weg zur Einheit und ein Zeichen der Hoffnung, damit diese Einheit wirklich voll und dem Willen Christi des Herrn entsprechend erzielt werden kann. Die Wiederholung dieser großen Gebetsbegegnung darf nicht Gefahr laufen, zur Gewohnheit zu werden, während sie in der Tat die Etappen einer Bewegung kennzeichnet, die trotz vielfältiger Schwierigkeiten vom Heiligen Geist geführt wird und in der gegenseitigen Annäherung und Vertiefung der gemeinsamen Werte des Glaubens und des christlichen Lebens Frucht getragen hat und trägt. 2. „Bittet, dann wird euch gegeben“ (Mr 7,7), hat der Herr gesagt. Auch wenn die Ergebnisse sich manchmal verzögern und nicht die sind, die wir erwarten, dürfen wir—Katholiken und Nichtkatholiken—nicht müde werden, vom Herrn dieses unschätzbare Geschenk der Einheit zu erflehen in der Gewißheit, daß wir um etwas absolut Gutes bitten, das einem der Zwecke des Zweiten Vatikanischen Konzils, ja sogar einem der wesentlichen Ziele des Kommens des göttlichen Wortes zu uns entspricht. 3. Natürlich dürfen wir nie die unerläßlichen Erfordernisse außer acht lassen, um dieses schwierige Werk des Ökumenismus in echter Weise und damit wirksam zu realisieren: und eines dieser Erfordernisse muß, wie das Konzil sagt, neben dem gemeinsamen Gebet das ständige Bemühen um eine fortdauernde Erneuerung und Besserung unseres christlichen Lebens sein, um die Bekehrung des Herzens und die Suche nach voller Übung der Nächstenliebe. Hier haben wir wirklich „die Seele der ganzen ökumenischen Bewegung“ (Unitatis redintegratio, Nr. 8). Zusammen die Neuheit des Evangeliums entdecken — „Mit Christus vereint, eine neue Schöpfung“: Dies war das Leitwort der diesjährigen Gebetswoche für die Einheit. Christus macht uns zu neuen Geschöpfen. Christus ist der Erneuerer der Schöpfung: „neue Himmel und neue Erde“. Sein Geist macht alle Dinge neu. Dies war das Thema der gemeinsamen Betrachtung. In dem Wort Gottes sind wir wiederum einander begegnet. Danken wir ihm dafür. 22: AUDIENZEN UND ANGELUS 4. Dasjetzige Gebet steht unter dem Zeichen Mariens, der Mutter des Herrn. Wie sehr ist sie um die Einheit aller Jünger ihres Sohnes besorgt! Sie kennt den Weg zu dieser Einheit. Bitten wir sie von neuem, damit alle ihren mütterlichen Anruf hören, den Willen Jesu bis auf den Grund zu erkennen und zu erfüllen. Nach dem Angelusgebet sagte der Papst: 1. Herzlich begrüße ich die Kindergruppe der Katholischen Aktion, die hier zu ihrer jährlichen Friedenskundgebung zusammengekommen ist. Sie hat mir zwei Tauben geschenkt, damit ich sie von diesem Fenster aus fliegen lasse als Wunsch und Symbol des Friedens, den die ganze Welt so inständig ersehnt und um den sie bittet. Gern tue ich das in der Hoffnung, daß allen bewußt wird, daß sie wirklich Brüder und Schwestern der einen Menschheitsfamilie sind. 2. Heute wird auch der Welttag zugunsten der Leprakranken begangen, ein jährliches Ereignis, das uns ein ernstes Problem vor Augen hält, das durch den Einsatz von uns allen überwunden werden kann und muß. Unter den verschiedenen Hilfsdiensten, die in diesem Bereich tätig sind, will ich an den Verband der Freunde von Raoul Follereau in Bologna erinnern, der sich seit vielen Jahren gezielt und koordiniert diesem Werk der menschlichen Solidarität und christlichen Liebe widmet. Allen, die im Dienst an den leprakranken Brüdern und Schwestern tätig sind, meine Ermutigung. Mutterschaft und Jungfräulichkeit Mariens Ansprache bei der Generalaudienz am 28. Januar 1. In der letzten Generalaudienz haben wir unsere Gedanken auf den Namen „Jesus“, der Heiland bedeutet, konzentriert. Dieser Jesus, der 30 Jahre in Na-zaret in Galiläa lebte, ist der ewige Sohn Gottes, „empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“. Das verkünden die Glaubensbekenntnisse, das apostolische und das nizäno-konstantinopolitanische; das haben die Kirchenväter und die Konzilien gelehrt, nach denen Jesus Christus, der ewige Sohn Gottes, „aus einer Mutter in der Zeit geboren“ wurde (vgl. Symbolum quicumque). Die Kirche bekennt und verkündet also, daß Jesus Christus von einer Tochter Adams, die von Abraham und David abstammte, der Jungfrau Maria, empfangen und geboren wurde. Das Lukasevangelium präzi- 23 AUDIENZEN UNDANGELUS siert, daß Maria den Sohn Gottes dürch das Wirken des Heiligen Geistes empfangen hat, „ohne einen Mann zu erkennen“ (vgl .Lk 1,34; Mt 1,18.24-25). Maria war also vor der Geburt Jesu Jungfrau und blieb bei der Geburt und nach der Geburt Jungfrau. Das ist die Wahrheit, die die Texte des Neuen Testamentes bieten und die das V. Ökumenische Konzil von Konstantinopel 553, das von Maria als der „immer jungfräulichen“ spricht, wie auch das Laterankonzil von 649 formuliert haben. Dieses lehrt, daß „die Gottesmutter Maria (ihren Sohn) durch das Wirken des Heiligen Geistes ohne Zutun eines Mannes empfangen und unversehrt geboren hat, so daß ihre Jungfräulichkeit auch nach der Geburt unverletzt blieb“ (Denzinger/Schönmetzer 503). 2. Dieser Glaube ist in der Lehre der Apostel gegenwärtig. Wir lesen z. B. im Brief des hl. Paulus an die Galater: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau ..., damit wir die Sohnschaft erlangen“ (Gal 4,4-5). Die Ereignisse im Zusammenhang mit der Empfängnis und Geburt Jesu sind in den ersten Kapiteln der Evangelien nach Matthäus und Lukas enthalten, die man gewöhnlich als „Kindheitsgeschichte“ bezeichnet, und auf die man vor allem Bezug nehmen muß. 3. Besonders bekannt ist der Text des Lukas, weder häufig in der heiligen Messe gelesen und im Angelusgebet verwendet wird. Der Abschnitt des Lukasevangeliums beschreibt die Verkündigung an Maria, die sechs Monate nach der Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers erfolgte (vgl. Lk 1,5-25). „.. .Der Engel Gabriel wurde von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret zu einer Jungfrau gesandt. Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Haus David stammte. Der Name der Jungfrau war Maria“ (Lk 1,26). Der Engel grüßte sie mit den Worten: „Sei gegrüßt, Maria“, die zum Gebet der Kirche geworden sind (salutatio angelica, der Englische Gruß). Der Gruß löst in Maria Betroffenheit aus: „Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe. Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden... Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? Der Engel antwortete ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn des Höchsten genannt werden“ (Lk 1,29-35). Der Engel der Verkündigung, der als Zeichen die unerwartete Mutterschaft Elisabets, der Verwandten Marias, anführt, die in hohem Alter einen Sohn empfangen hat, fügt hinzu: „Denn für Gott ist nichts unmöglich. Da sagte Maria: Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ {Lk 1,37-38). 24 AUDIENZEN UNDANGELUS 4. Dieser Text des Lukasevangeliums liegt der Lehre der Kirche über die Mutterschaft und Jungfräulichkeit Mariens zugrunde, aus der Christus, durch das Wirken des Heiligen Geistes Mensch geworden, geboren wurde. Der erste Augenblick der Menschwerdung des Gottessohnes ist identisch mit der wunderbaren Empfängnis, die durch den Heiligen Geist in dem Augenblick erfolgte, indemMariaihr „Ja“ sprach: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). 5. Das Evangelium nach Matthäus ergänzt die Erzählung des Lukas durch Beschreibung einiger Umstände, die der Geburt Jesu vorausgingen. Wir lesen: „Mit der Geburt Jesu Christi war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, daß sie ein Kind erwartete — durch das Wirken des Heiligen Geistes. Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloß, sich in aller Stille von ihr zu trennen. Während er noch darüber nachdachte, erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du denNamenJesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen“ (Mt 1,18-21). 6. Wie man sieht, stimmen die beiden Texte der „Kindheitsgeschichte“ in der grundlegenden Feststellung überein: Jesus wurde durch das Wirken des Heiligen Geistes empfangen und von der Jungfrau Maria geboren; es gibt gegenseitige Ergänzungen bei der Erläuterung der Umstände dieses außerordentlichen Geschehens: bei Lukas in bezug auf Maria, bei Matthäus in bezug auf Josef. Zur Identifizierung der Quelle, aus der die „Kindheitsgeschichte“ stammt, muß man auf den Satz des hl. Lukas zurückgreifen: „Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach“ (Lk 2,19). Lukas wiederholt ihn zweimal: nach der Rückkehr der Hirten von Bethlehem und nach der Auffindung Jesu im Tempel (vgl. Lk 2,51). Der Evangelist bietet uns selbst die Grundlagen, um in der Mutter Jesu eine der Informationsquellen zu erkennen, von denen er für die Niederschrift der „Kindheitsgeschichte“ Gebrauchmachte. Maria, die „alles, was geschehen war, in ihrem Herzenbewahrte“ (vgl. Zi:2,19), konnte nach dem Tod und der Auferstehung Christi von dem, was ihre Person und Aufgabe als Mutter betraf, tatsächlich in der apostolischen Zeit Zeugnis geben, in der die Texte des Neuen Testamentes entstanden und die erste christliche Überlieferung ihren Ursprung nahm. 7. Das evangelische Zeugnis von der jungfräulichen Empfängnis Jesu durch Maria ist von großer theologischer Bedeutung. Es stellt in der Tat einen besonderen Beweis für die göttliche Herkunft von Marias Sohn dar. Die Tatsache, 25 AUDIENZEN UND ANGELUS daß Jesus keinen irdischen Vater hat, weder „ohne Zutun des Mannes“ gezeugt wurde, unterstreicht die Wahrheit: Er ist der Sohn Gottes, und sein Vater bleibt ausschließlich Gott, auch wenn er die menschliche Natur annimmt. 8. Die Offenbarung vom Wirken des Heüigen Geistes bei der Empfängnis Jesu zeigt in der Geschichte des Menschen den Beginn der neuen „geistlichen Zeugung“ an, die einen rein übernatürlichen Charakter hat (vgl. 1 Kor 15,45-49). Auf diese Weise teilt sich der dreifältige Gott durch den Heiligen Geist dem Ge-schöpfmit. Auf dieses Geheimnis lassen sich die Psalmworte anwenden: „Sendest du deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen, und du erneuerst das Antlitz der Erde“ (Ps 104,30). Im Heilsplan dieser Selbstmitteilung Gottes an das Geschöpf ist die jungfräuliche Empfängnis Jesu, die durch das Wirken des heiligen Geistes zustande kam, ein zentrales und alles überragendes Ereignis. Es ist der Anfang der „neuen Schöpfung“. Gott greift so entscheidend in die Geschichte ein, um die übernatürliche Bestimmung des Menschen, d. h. die Hinordnung aller Dinge auf Christus, Wirklichkeit werden zu lassen. Es ist der endgültige und entscheidende Ausdruck der heilbringenden Liebe Gottes zum Menschen, von der wir in den Katechesen über die Vorsehung gesprochen haben. 9. Bei der Verwirklichung des Heilsplanes nimmt das Geschöpf immer teil. So ist Maria an der Empfängnis Jesu durch das Wirken des Heiligen Geistes entscheidend beteiligt. Nachdem sie durch die Botschaft des Engels innerlich über ihre Berufung als Mutter und; die Bewahrung ihrer Jungfräulichkeit erleuchtet wurde, drückt sie ihre Bereitschaft und ihre Zustimmung aus und nimmt es auf sich, das demütige Werkzeug der „Kraft des Höchsten“ zu werden. Das Wirken des Heiligen Geistes hat zur Folge, daß in Maria Mutterschaft und Jungfräulichkeit gleichzeitig in einer Weise gegeben sind, die, wenn auch für den menschlichen Verstand unbegreiflich, völlig im Bereich der liebenden Initiative der Allmacht Gottes liegt. In Maria erfüllt sich die große Prophezeiung des Jesaja: „Die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären“ (Jes 7,14; vgl. Mt 1,22-23); ihre Jungfräulichkeit, im Alten Testament Zeichen der Armut und der totalen Verfügbarkeit für den Plan Gottes, wird zum einzigartigen Wirkungsfeld Gottes, der Maria auserwählt, Mutter des Messias zu sein. 10. Die Besonderheit Marias ergibt sich auch aus den Stammbäumen bei Matthäus und Lukas. Der hebräischen Gepflogenheit entsprechend, beginnt das Matthäusevangelium mit dem Stammbaum Jesu (Mt 1,2-17) und zählt, mit Abraham beginnend, die Generationen in männlicher Linie auf. Denn Matthäus kommt es darauf an, 26 AUDIENZEN UND ANGELUS durch die rechtliche Vaterschaft Josefs die Abstammung Jesu von Abraham und David und folglich der Rechtmäßigkeit seiner Bezeichnung als Messias hervorzuheben. Doch am Ende der Aufzählung der Reihe der Vorfahren lesen wir: „Jakob war der Vater von Josef, dem Mann Marias; von ihr wurde Jesus geboren, der der Christus genannt wird“ {Mt 1,16). Indem er die Mutterschaft Marias betont, unterstreicht der Evangelist gleichzeitig die Wahrheit von der Jungfrauengeburt: Als Mensch hat Jesus keinen irdischen Vater. Im Lukasevangelium ist der Stammbaum Jesu (Lk 3,23-38) aufsteigend: er geht von Jesus über seine Vorfahren zurück bis Adam. Der Evangelist wollte damit die Verbundenheit Jesu mit dem ganzen Menschengeschlecht aufzeigen. Maria war als Mitarbeiterin Gottes, dessen ewigem Sohn sie die menschliche Natur gab, das Werkzeug der Verbundenheit Jesu mit der ganzen Menschheit. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Wenige Seiten der Heiligen Schrift sind uns von Jugend auf so vertraut wie die Darstellung der Verkündigung des Engels an die Jungfrau Maria in Nazaret. Der Evangelist Lukas überliefert uns hier die unerhörte Initiative Gottes, „als die Zeit erfüllt war“: „Du (Maria) wirst ein Kind empfangen,... dem sollst du den Namen Jesus geben“. Und als Maria dem Engel ihre bleibende Bereitschaft zur Jungfräulichkeit eröffnet und fragt: „Wie soll dies geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“, erhält sie zur Antwort: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ {Lk 1,31.34.35). Und der Evangelist Matthäus berichtet die Weisung an Josef: „Fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist“ {Mt 1,20). In dieser schwachen irdischen Ausdrucksweise ist uns das allesüberragende Geheimnis der Menschwerdung des ewigen Sohnes Gottes aus einer wahren Mutter und Jungfrau offenbart. Vom Heiligen Geist geführt, hat die Kirche auf dieses Schriftfundament den gemeinsamen Glauben aller Christen formuliert: So bekennen wir im Credo „Jesus Christus, (Gottes) eingeborenen Sohn, unseren Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“. Als Jungfrau steht Maria der führenden Initiative Gottes mit Leib und Seele, mit Geist und Herz ganz zur Verfügung; als Mutter durfte sie ihren wahrhaft menschlichen Anteil zu diesem göttlichen Heilswerk geben. Ähnlich wird jeder von uns auch heute noch von Gott gefragt: Willst du dich der liebenden Ini- 27 AUDIENZEN UND ANGELUS tiative Gottes öffnen, vorbehaltlos, in „jungfräulicher“ Erwartung? Wenn wir dazu unser Ja sprechen — „Mir geschehe nach deinem Wort“ —; dann dürfen auch wir Leben zeugen im Reich Gottes und mit „mütterlicher“ Sorge die Kirche Christi auf ihrem Pilgerweg begleiten. Die Kraft zu einem solchen zustimmenden Ja, gesprochen aus einem freien und überzeugten Herzen, erbitte ich allen anwesenden Besuchern deutscher Sprache. Darunter begrüße ich vor allem die Gruppe von Ordensschwestern verschiedener Gemeinschaften, die an einem Emeuerungskurs hier in Rom teilnehmen; ebenso herzlich grüße ich eine Gruppe vom Österreichischen Rundfunk in Linz, die an den vergangenen Weihnachtstagen vielen Menschen „Lichtins Dunkel“ gebracht hat. Das „jungfräuliche“ und zugleich „mütterliche“ Vorbild Marias inspiriere auch weiterhin euer Leben als Frauen und Männer, als Menschen und Christen! Auftrag und Sendung der Laien in Kirche und Welt Angelus am 1. Februar 1. Wie seit langem angekündigt, wird im Oktober dieses Jahres die 7. ordentliche Vollversammlung der Bischofssynode stattfindenzu dem Thema: „ Auftrag und Sendung der Laien in Kirche und Welt zwanzig Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil.“ Jede Synodenversammlung ist für die Kirche von großer Wichtigkeit; aber die kommende Synode hat besondere Bedeutung, weil im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit der ausgedehnteste Teil des Volkes Gottes steht, die gläubigen Laien, Männer und Frauen jeden Alters und Standes, die berufen sind, sozusagen von innen her als Ferment zur Heiligung der Welt beizutragen. 2. Bemerkenswerte Gesichtspunkte in bezug auf die Physiognomie und die Aufgaben der Laienschaft sind in nicht unbedeutendem Maß bereits aus den früheren Synodenversammlungen hervorgegangen. So wurde die besondere Rolle der Laien in bezug auf die Gerechtigkeit in der Welt, auf die Evangelisierung und. die Katechese behandelt; in der Folge fand die Rolle der Laien auch Beachtung im Zusammenhang der großen Themen „Familie“ und „Versöhnung und Buße“. Vielfache Überlegungen galten ihr von seiten der außerordentlichen Bischofssynode 1985, die die Aktualität des Konzils und die dringende, noch weiter verbreitete Anwendung desselben ausdrücklich bekräftigte. In ihrer Schlußbotschaft lenkten die Väter den Blick der ganzen Kir- 28 AUDIENZEN UNDANGELUS che auf die Synode 1987 mit dem Hinweis, daß sie „eine entscheidende Etappe darstellen muß, damit alle Katholiken die Gnade des n. Vaticanums annehmen“. 3. Bei der Versammlung vom Oktober d. J. wird die weitreichende Thematik der Laienschaft ausdrücklich in ihrem gesamten Ausmaß aus ihren vielfachen Dimensionen behandelt werden. Der Meilenstein: die Lehre und die Weisungen des Konzils. Ein Bezugspunkt wird auch die in den vergangenen beiden Jahrzehnten gesammelte Erfahrung sein. In der Tat werden die Bischöfe als gute und kluge Väter ihrer geistlichen Familie in die synodalen Überlegungen die Ergebnisse, Erfahrungen, Erwartungen und Probleme einbringen, die aus ihren direkten Kontakten und aus entsprechenden Beratungen und Treffen, die in den einzelnen Teilkirchen im Blick auf die nächste Synode bereits im Gang sind, resultieren. 4. Damit die Kirche ihre tiefe Verbundenheit mit diesem Ereignis, das sie so weitreichend betrifft, spüren kann, will ich im Lauf der nächsten sonntäglichen Treffen zum Marienlob auf dieses Thema zurückkommen. Auf diesem Weg wird es möglich sein — ohne in die Dynamik der Synode einzudringen —, aus der Feme ihre Vorbereitung durch Betrachtungen zu begleiten, zu denen die konziliaren und nachkonziliaren Dokumente viele erleuchtende Anregungen bieten. Vertrauensvoll rufen wir zu Maria und empfehlen schon von j etzt an ihrem mütterlichen Herzen diese neue Etappe auf dem Weg der Kirche. Nach dem Angelusgebet sagte der Papst: Heute wird in allen italienischen Diözesen der „Tag für das Leben“ begangen. Ich schließe mich den Bischöfen Italiens an und erinnere an ihren Appell, der die bohrende Frage stellt: „Was für ein Frieden, wenn wir nicht jedes Leben retten?“ Der von allen Menschen so sehr ersehnte Frieden kann nur Wirklichkeit werden, wenn er von der Achtung, der Annahme, der Liebe und der Hilfe gegen-überjedemMenschenwesen ausgeht. Jeder gegen das Menschenlebeninjedem Augenblick gerichtete Akt — vom Mutterschoß an bis zum letzten Atemzug — ist eine dem Frieden entgegengesetzte Geste. Ich wende mich besonders an die jungen Menschen, damit sie sich einsetzen und mitarbeitenfür eine neue, demLeben freundlich gesinnte Gesellschaft, die 29 AUDIENZEN UNDANGELUS fähig ist, den Wert, die Schönheit, die Würde des Lebens zu bezeugen und eine hochherzige und anspruchsvolle Wahl zu treffen, wie sie nur die Liebe auferlegen kann. Vereinen wir unser Gebet, damit der Frieden, ein Geschenk Gottes, sich auch vollzieht dank unseres Einsatzes zur Rettung allen Lebens inj edem Augenblick und unter allen Umständen. Jugendzeit Jesu — eine Zeit des verborgenen Lebens Ansprache bei der Generalaudienz am 4. Februar 1. Von den beiden Stammbäumen Jesu, die wir in der voraufgegangenen Katechese erwähnten,hat jener des Matthäusevangeliums (Mt 1,1-17) eine „absteigende“ Struktur: das heißt, er zählt, bei Abraham beginnend, die Vorfahren Jesu, des Sohnes Mariens, auf. Der andere Stammbaum, der sich im Lukasevangelium befindet (Lk 3,23-38), ist aufsteigend gegliedert: er geht von Jesus zurück bis auf Adam. Während der Stammbaum bei Lukas auf die Verbundenheit Jesu mit der ganzen Menschheit hinweist, stellt der Stammbaum bei Matthäus Jesu Zugehörigkeit zur Nachkommenschaft Abrahams heraus. Als Sohn Israels, des von Gott im Alten Bund auserwählten Volkes, dem er direkt angehört, ist Jesus von Nazaret mit voller Berechtigung Mitglied der großen Menschheitsfamilie. 2. Jesus wird in diesem Volkgeboren und wächst in seiner Religion und Kultur heran. Er ist ein wahrer Israelit, der in aramäisch gemäß den begrifflichen und sprachlichen Kategorien seiner Zeitgenossen denkt und sich ausdrückt und den Bräuchen und Gewohnheiten seiner Umgebung folgt. Als Israelit ist er ein getreuer Erbe des Alten Bundes. Diese Tatsache wird vom hl. Paulus hervorgehoben, wenn er im Römerbrief über sein Volk schreibt: „Sie sind Israeliten; damit haben sie die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesordnungen, ihnen ist das Gesetz gegeben, der Gottesdienst und die Verheißungen; sie haben die Väter, und dem Fleisch nach entstammt ihnen der Christus“ (Röm 9,4-5). Und im Brief an die Galater erinnert er daran, daß Christus „dem Gesetz unterstellt war“ (Gal 4,4). 3. In Befolgung der mosaischen Gesetzesvorschrift wurde an Jesus wenige Tage nach seiner Geburt die rituelle Beschneidung vorgenommen, womit seine offizielle Zugehörigkeit zum Volk des Bundes begann: „Als acht Tage vorüber 30 A UDIENZEN UND ANGEL US waren und das Kind beschnitten werden sollte, gab man ihm den Namen Jesus“ (Lk 2,21). Die Kindheitsgeschiehte, obgleich arm an Details über den ersten Lebensabschnitt Jesu, berichtet dennoch, daß, ,die Eltern Jesu j edes Jahr zum Paschafest nach Jerusalem gingen“ (Lk2,41) als Ausdruck ihrer Treue zum Gesetz und zur Überlieferung Israels. „Als er (Jesus) zwölf Jahre alt geworden war, zogen sie wieder hinauf, wie es dem Festbrauch entsprach“ (Lk 2,42). „Nachdem die Festtage zu Ende waren, machten sie sich auf den Heimweg. Der junge Jesus aber blieb in Jerusalem, ohne daß seine Eltern es merkten“ (Lk2,43). Nachdem sie ihn drei Tage lang gesucht hatten, „fanden sie ihn im Tempel; er saß mitten unter den Lehrern, hörte ihnen zu und stellte Fragen“ (Lk 2,46). Die Freude Mariens und Josefs überlagerte dann seine Worte, die sie nicht verstanden: „Warum habt ihr mich gesucht? Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meinem Vater gehört?“ (Lk 2,49). 4. Außer diesem Ereignis ist die gesamte Zeit der Kindheit und Jugend Jesu im Evangelium mit Schweigen umhüllt. Es ist eine Zeit verborgenen Lebens, die von Lukas in zwei schlichten Sätzen zusammengefaßt wird: Jesus, „kehrte mit ihnen (mit Maria und Josef) nach Nazaret zurück und war ihnen gehorsam1 ‘ (Lk 2,51); und: „Jesus wuchs heran, und seine Weisheit nahm zu, und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen“ (Lk 2,52). 5. Aus dem Evangelium wissen wir, daß Jesus in einer richtigen Familie, im Hause Josefs, lebte, der gegenüber dem Sohn Mariens die Stelle eines Vaters einnahm, indem er für ihn sorgte, ihn behütete und nach und nach in sein eigenes Zimmermannshandwerk einführte. In den Augen der Bewohner von Nazaret erschien Jesus als „Sohn des Zimmermanns (vgl. Mt 13,55). Als er öffentlich zu lehren begann, fragten seine Mitbürger erstaunt: „Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria...?“ (vgl. Mk 6,2-3). Außer seiner Mutter erwähnten sie auch seine „Brüder“ und seine „Schwestern“, also jene Mitglieder seiner Verwandtschaft („Vettern“), die in Nazaret lebten; es waren dieselben, die nach demBericht des Evangelisten Markus versuchten, Jesus von seiner Lehrtätigkeit abzubringen (vgl. Mk 3,21). Sie fanden offensichtlich bei ihm keinerlei Grund, der die Aufnahme einer neuen Tätigkeit hätte rechtfertigen können; sie waren der Meinung, daß Jesus ein gewöhnlicher Israelit sein und bleiben müsse. 6. Die öffentliche Tätigkeit Jesu begann im Alter von dreißig Jahren, als er seine erste Rede in Nazaret hielt: „... erging, wie gewohnt, am Sabbat in die Synagoge. Als er aufstand, um aus der Schrift vorzulesen, reichte man ihm das Buch 31 AUDIENZEN UNDANGELUS des Propheten Jesaja... (Lk4,16-17). Jesuslas den Abschnitt, der mit den Worten begann: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er.hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe..(Lk 4,18). Dann wandte sich Jesus an die Anwesenden und verkündete:,,Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt..(Lk 4,21). 7. In seiner Lehrtätigkeit, die er in Nazaret beginnt und auf ganz Galiläa und Judäa bis zur Hauptstadt Jerusalem ausdehnt, weiß Jesus die reichen Früchte, die in der religiösen Tradition Israels vorhanden sind, zu fassen und zu erschließen. Er zögert nicht, die Verwirrungen der Menschen gegenüber den Plänen des Bundesgottes aufzuzeigen. Auf diese Weise vollzieht er im Rahmen ein und derselben göttlichen Offenbarung den Übergang vom „Alten“ zum „Neuen“, nicht indem er das Gesetz aufhob, sondern es vielmehr erfüllte (vgl. Mt 5,17). Mit diesem Gedanken beginnt der Hebräerbrief: „Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn ...“ (Hebr 1,1-2). 8. Dieser Übergang vom „Alten“ zum „Neuen“ kennzeichnet die gesamte Lehre des „Propheten“ aus Nazaret. Ein besonders klares Beispiel dafür ist die im Matthäusevangelium wiedergegebene Bergpredigt. Jesus sagt: „Du sollst nicht töten... Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein“ (vgl. Mt 5,21-22). „Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen. Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen“ (Mt 5,27-28). „Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen ...“ (Mt 5,43-44). Während Jesus in dieser Weise lehrt , erklärt er zugleich: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen“ (Mt 5,17). 9. Dieses „Erfüllen“ ist ein Schlüsselwort, das sich nicht nur auf die Lehre der von Gott geoffenbarten Wahrheit bezieht, sondern auch auf die ganze Geschichte Israels, das heißt des Volkes, dessen Sohn Jesus ist. Diese außergewöhnliche Geschichte, die von Anfang an von der mächtigen Hand des Bundesgottes geführt wurde, findet in Jesus ihre Erfüllung. Der Plan, den der Bundesgott von Anfang an in diese Geschichte eingeschrieben hat, indem er sie zür Heilsgeschichte machte, strebte der „Fülle der Zeit“ — zu (vgl. Gal 4,4), die in Jesus Christus Wirklichkeit wurde. Der Prophet aus Nazaret zögert 32 AUDIENZEN UND ANGELUS nicht, bereits in seiner ersten Predigt in der Synagoge seiner Heimatstadt davon zu sprechen. 10. Besonders sprechend sind die Worte Jesu an seine Gegner, die im Johannesevangelium berichtet werden: „Euer Vater Abraham jubelte, weil er meinen Tag sehen sollte...“, und angesichts ihrer mißtrauischen Skepsis: „Du bist noch keine fünfzig Jahre alt und willst Abraham gesehen haben?“, bekräftigt Jesus noch ausdrücklicher: „Amen, Amen, ich sage euch: Noch ehe Abraham wurde, bin ich“ (vgl. Joh 8,56-58). Es ist klar, daß Jesus nicht nur versichert, die Erfüllung der seit Abrahams Zeiten in die Geschichte Israels eingeschriebenen Heilspläne Gottes zu sein, sondern daß seine Existenz der Zeit Abrahams vorausgeht, um sich schließlich mit dem „Ich-bin-da“ (vgl. Ex 3,14) zu identifizieren. Aber Jesus Christus ist gerade deshalb die Erfüllung der Geschichte Israels, weil er diese Geschichte mit seinem Geheimnis überragt. Damit berühren wir jedoch eine weitere Dimension der Christologie, mit der wir uns später auseinandersetzen wollen. 11. Für heute schließen wir mit einer Überlegung zu den Stammbäumen bei Matthäus und tukas. Daraus geht hervor, daß Jesus ein wahrer Sohn Israels ist und als solcher der ganzen Menschheitsfamilie angehört. Wenn wir in Jesus, dem Nachkommen Abrahams, also die Prophezeiungen des Alten Testaments erfüllt sehen, erblicken wir in ihm als Nachkommen Abrahams gemäß der Lehre des hl. Paulus den Anfang und Mittelpunkt der Wiederherstellung der ganzen Menschheit (vgl. Eph 1,10). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Jesus Christus ist der Mittelpunkt unseres Glaubens. Seiner Person, wie sie uns in den Evangelien begegnet, gelten zur Zeit unsere Überlegungen. Sowohl Matthäus als auch Lukas beschreiben uns Jesus als einen wahren Israeliten, der in der Religion und Kultur seines Volkes heranwächst. Wie alle gläubigen Juden ist er ein treuer Erbe des Alten Bundes und beobachtet zusammen mit seinen Eltern gewissenhaft die Vorschriften des. mosaischen Gesetzes. Kurz nach seiner Geburt erhält er die Beschneidung. Als zwölfjährigen Jungen finden wir ihn später mit Josef und Maria auf Wallfahrt in Jerusalem, wo er seinen Eltern gegenüber zum ersten Mal betont, daß er in dem sein muß, was seinem Vater gehört (vgl. Lk 2,49). Danach folgen die langen Jahre seines verborgenen Lebens in Nazaret, in denen er zunahm an Weisheit, an Alter und an Wohlgefallen vor Gott und den Menschen. 33 AUDIENZEN UND ANGELUS Als Jesus im Alter von 30 Jahren seine öffentliche Sendung beginnt, gilt er als der „Sohn des Zimmermanns“. In der Synagoge seiner Heimatstadt verkündet er, daß sich in ihm die messianische Weissagung des Propheten Jesaja über denjenigen erfüllt hat, der als Gesalbter Gottes gesandt ist, den Armen die Frohe Botschaft zu bringen (vgl;..Lk 4,18). Seine messianische Tätigkeit führt Jesus von Nazaret durch alle Orte Galiläas nach Judäa bis nach Jerusalem. Er sammelt und läutert die vielen positiven Werte der religiösen Tradition Israels, korrigiert die Verirrungen und Fehler der Menschen gegenüber dem Gesetz und verkündet vor allem den Übergang vom „Alten“ zum „Neuen“. Mit Christus beginnt nämlich ein Neuanfang, die Zeit des NeuenBundes, in dem Gesetz und Propheten ihre Erfüllung finden. Denn Christus ist derjenige, der von sich sa-genkann: „Noch ehe Abraham wurde, bin ich“ (Joh 8,58). In ihm als dem verheißenen Messias erfüllt sich die ganze Geschichte und die Berufung Israels. Für uns Christen ist Jesus Christus der Mittelpunkt, in dem Gott die ganze Menschheit und Schöpfung vereinen will;. Mit dieser kurzen Betrachtung grüße ich alle heute anwesenden Pilger deutscher Sprache, besonders die zahlreichen Gruppen aus Österreich. Herzlich willkommen heiße ich die Alumnen des Wiener Priesterseminars sowie die Seminaristen und Diakone aus der Diözese Limburg, die ich auf ihrem Weg zum Priestertum mit besten Wünschen und mit meinem Gebet begleite. Namentlich grüße ich ferner noch die beiden Pilgergruppen aus den Diözesen Eisenstadt und Wien, für deren geistlichen Emeuerungskurs in Rocca di Papa ich Gottes Licht und Beistand erbitte. Diesen sowie allen genannten Gruppen und auch den Einzelpilgern erteile ich von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. Frieden für den Nahen Osten Appell im Verlauf der Generalaudienz am 4. Februar Die besorgniserregenden Nachrichten, die uns aus verschiedenen Teilen des Nahen und Mittleren Ostens erreichen, sind auch für mich ein Anlaß zu tiefer Sorge und großem Schmerz. Der Krieg zwischen Irak und Iran hat noch dramatischere Ausmaße angenommen und gleicht einem Blutbad. Es heißt, j eden Tag fallen an den Fronten Zehntausende von Soldaten, und weitere Tausende wehrloser Menschen — Kinder, Frauen und Alte — kommen als Opfer besonders intensiver Bombenangriffe auf die Städte um. 34 AUDIENZEN UNDANGELUS Die Aufforderungen zu einer würdigen Beilegung, die von internationalen Stellen und von den mit Irak und Iran befreundeten Ländern ausgesprochen wurden, scheinen bisher kein Gehör gefunden zu haben. Ich erachte es als meine Pflicht, mich der Stimme aller jener anzuschließen, die sich um die Beendigung dieses furchtbaren Krieges bemühen und deren Sorge mit Recht darauf gerichtet ist, weitere Gemetzel zu verhindern und den beiden Nachbarvölkern bei einer gerechten Lösung der mörderischen Auseinandersetzung zu helfen. Meine Gedanken gelten auch dem in Leid und Schmerz verwickelten Libanon, dessen Situation durch die neue Welle der Entführung von Menschen verschiedener Nationalität und Stellung noch komplizierter geworden ist. Ich denke mit Liebe und Solidarität an die nicht endende Tragödie jener geliebten Bevölkerung und an die Leiden der Entführten — einige von ihnen wurden als Geisel genommen, während sie gerade eine im höchsten Sinne humanitäre Handlung vollzogen—und an das Bangen ihrer Angehörigen. Ich wünsche und hoffe, daß eine zu befürchtende Kette von Aktionen und Reaktionen vermieden werden möge, die noch schwierigere Situationen und größere Gefahren für das Land und für die ganze Region hervorrufen würde. Laien tragen Mitverantwortung Angelus am 8. Februar 1. Das Thema der nächsten Bischofssynode über den Auftrag und die Sendung der Laien in Kirche und Welt ist im Zweiten Vatikanischen Konzil tief verwurzelt, das die Laien als aktive und verantwortliche Glieder der Kirche vorgestellt hat, die mit ihrer Heilsmission betraut sind. Das Konzil hat dies aufdoktrinaler undpastoraler Ebene im Zusammenhang mit der „Ekklesiologie der Gemeinschaft“ getan, die alle ihre schriftlichen Aussagen durchzieht, so daß in jeder von ihnen die Rolle der Laien gegenwärtig ist. Auf diese Weise hat das Konzil der Funktion der Laien in der Struktur des Gottesvolkes und des mystischen Leibes Christi eine neue Zuordnung gegeben und ihren besonderen Charismen und ihrer Kreativität weitreichende Möglichkeiten eröffnet. 2. Aus dem dichten konziliaren Erbe hat sich eine bemerkenswert reichhaltige und wirksame Vielfalt entwickelt. Die Teilhabe der Laien am kirchlichen Leben hat sich spürbar erweitert und verstärkt. In den liturgischen Feiern wird sie unmittelbar vor Augen geführt, sie erstreckt sich aber auch auf andere Sektoren wie die Katechese und die ver- 35 AUDIENZEN UNDANGELUS schiedenen Formen des Apostolats und ganz besonders auf den allseitigen Heilsdienst, den die Kirche in Solidarität dem Menschen unserer Zeit anbietet. Eines der positivsten und allgemein bekanntesten Zeichen ist die wachsende Verbandstätigkeit unter den Erwachsenen ebenso wie unter der Jugend. Neue Bewegungen Sind entstanden, und neue christliche Kommunitäten wurden spontan gegründet mit dem Ziel, die Mitglieder geistlich zu bereichern und hochherzige missionarische Impulse zu geben. Männer und Frauen jeden Alters haben sich an diesem Unternehmen beteiligt. In vielen Umfeldern war der Beitrag der Frau und besonders der Mutter ausschlaggebend. 3. Aus den äußeren Zeichen — ich habe nur einige angeführt — kann man als Frucht des Konzils ein wachsendes „kirchliches Bewußtsein“ in den katholischen Laien ableiten. Aber das Wissen, daß auch die Laien konstitutionell Kirche sind, hat auch in den anderen Gruppen des Gottesvolkes tiefer und weiter Wurzel gefaßt, und zwar vor allem in der Hierarchie, der das Konzil die dringende Pflicht auferlegt hat, die konkrete Anerkennung der Würde der Laien in echter Weise zu fördern. 4. In dieser Sicht kann man die Bedeutung der kommenden Synodalversamm-lung ermessen. Zwanzig Jahre nach dem Konzil muß man sich fragen, welche Früchte es im Bereich der Teilhabe der Laien an der Mission der Kirche gebracht hat. „Das wird uns erlauben, uns wirksamer dafür einzusetzen, daß diese Früchte nicht nur für eine Elite bestimmt sind, sondern auch für jeden einzelnen der großen Masse der Laien selbst“. {Ansprache an den Rat des Generalsekretariats der Bischofssynode am 19. Mai 1984; in: O. R. dt., Nr. 31/84, S. 9). Bitten wir die selige Jungfrau, die mystische Braut des Heiligen Geistes, damit er die Teilnehmer der nächsten Synodebei der Vorbereitung auf ihre große Aufgabe erleuchte. 36 AUDIENZEN UND ANGELUS Christus ist der Messias-König Ansprache bei der Generalaudienz am 11. Februar 1. Wie wir bei den Katechesen der letzten Wochen gesehen haben, schließt der Evangelist Matthäus den Stammbaum Jesu, des Sohnes Marias, den er an den Anfang seines Evangeliums stellt, mit den Worten „Jesus, der der Christus genannt wird“ (Mt 1,16). Die Bezeichnung „Christus“ ist die griechische Entsprechung des hebräischen Wortes „Messias “ was „der Gesalbte“ bedeutet. Israel, das von Gott auserwählte Volk, hat seit Generationen in der Erwartung gelebt, daß sich die Verheißung des Messias erfülle, auf dessen Kommen es durch die Geschichte des Bundes vorbereitet worden war. Der Messias, das heißt, der von Gott gesandte „Gesalbte“, sollte die Berufung des Bundesvolkes erfüllen, dem durch die Offenbarung das Vorrecht zuteil geworden war, die Wahrheit über Gott selbst und über seinen Heilsplan zu erfahren. 2. Die Beifügung „Christus“ an den Namen Jesus aus Nazaret ist Zeugnis für die Erkenntnis der Apostel und der Urkirche, daß in ihm die Pläne des Bundesgottes und die Erwartungen Israels Wirklichkeit geworden waren. Das hat Petras amPfingsttag verkündet, als er, vomHeiligen Geist erfüllt, zum ersten Mal zu den Bewohnern von Jerusalem und zu den Pilgern sprach, die zum Fest in die Stadt gekommen waren: „Mit Gewißheit erkenne also das ganze Haus Israel: Gott hat ihn zum Herrn und Messias gemacht, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt“ (Apg 2,36). 3. Die Rede des Petras und der Stammbaum bei Matthäus stellen uns den reichen Gehalt des Wortes „Messias — Christus“ vor Augen, das sich im Alten Testament findet und mit dem wir uns in den nächsten Katechesen beschäftigen wollen. Das Wort „Messias“, das die Idee der Salbung einschließt, ist nur in Verbindung mit der religösen Institution der Salbung mit Öl verständlich, die in Israel Brauch war und die, wie wirwissen, vomAltenBundauchaufdenNeuen überging. In der Geschichte des Alten Bundes empfingen diese Salbungen Personen, die von Gott zum Amt und zur Würde des Königs, des Priesters oder des Propheten berufen worden waren. Die Wahrheitüberden Christus-Messias wird daher im biblischen Zusammenhang dieses dreifachen „Amtes“ deutlich, das im Alten Bund denen übertragen wurde, die dazu ausersehen waren, das Volk Gottes zu führen oder zu repräsentieren. In der heutigen Katechese wollen wir uns mit dem Amt und der Würde Christi als König befassen. 37 AUDIENZEN UND ANGELUS 4. Als der Engel Gabriel der Jungfrau Maria verkündet, sie sei zur Mutter des Erlösers ausersehen, spricht er zu ihr vom Königtum ihres Sohnes:,,... Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben“ (Lk 1,32-33). Diese Worte entsprechen allem Anschein nach der Verheißung, die an König David ergangen war: „Wenn deine Tage abgelaufen sind..., werde ich deinen Nachkommen, der von dir stammt, als deinen Nachfolger einsetzen und seiner Herrschaft Bestand verleihen. Er wird für mich ein Haus bauen, undicft werde dem Thron seiner Herrschaft ewigen Bestand verleihen. Ich will für ihn Vater sein, und er wird für mich Sohn sein“ (2 Sam 7,12-14). Man kann sagen, daß sich diese Verheißung in einem gewissen Maße in Salomo, dem Sohn und direkten Nachfolger Davids, erfüllt hat. Aber der volle Sinn der Verheißung ging weit über die Grenzen eines irdischen Königreiches hinaus und bezog sich nicht bloß auf eine ferne Zukunft, sondern geradezu auf eine Wirklichkeit, die Geschichte, Zeit und Raum übersteigt: „Ich werde dem Thron seiner Herrschaft ewigen Bestand verleihen“ (2 Sam 7,13). 5. In der Verkündigung wird Jesus als derjenige vorgestellt, in dem sich die alte Verheißung erfüllt. Auf diese Weise wird die Wahrheit über Christus, den König, in die biblische Überlieferung vom „messianischenKönig“ (demMessias-König) hineingestellt; in dieser Form finden wir sie immer wieder in den Evangelien, die von der Sendung Jesu von Nazaret sprechen und uns seine Lehre überliefern. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Haltung von Jesus selbst, zum Beispiel, wenn Bartimäus, der blinde Bettler, ihn laut um Hilfe anruft: „Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir!“ (Mk 10,47). Jesus, der sich niemals jenen Titel zugelegt hatte,nimmt die von Bartimäus gerufenen Worte als aüf sich bezogen an. Er sorgt nur dafür, ihre Bedeutung zu präzisieren. So fragt er die Pharisäer: „Was denkt ihrüberdenMessias? Wessen Sohn ist er? Sieantworten ihm: Der Sohn Davids. Er sagte zu ihnen: Wie kann ihn dann David, vom Geist (Gottes) erleuchtet, „Herr“ nennen? Denn er sagt: Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich mir zur Rechten, und ich lege dir deine Feinde unter die Füße (Ps 110,1). Wenn ihn also David „Herr“ nennt, wie kann er dann Davids Sohn sein?“ (Mt 22,42-45). 6. Man sieht also, Jesuslenkt die Aufmerksamkeit auf die „begrenzte“ undunzureichende Form, den Messias allein auf der Grundlage der mit dem königlichen Erbe Davids verbundenen Überlieferung Israels zu verstehen. Er lehnt diese Tradition nicht ab, aber er erfüllt sie in dem Vollsinn, den sie enthielt, 38 AUDIENZEN UND ANGELUS der bereits in den Wortenbei der Verkündigung seiner Geburt sichtbar wird und in seinem Pascha offenbar werden sollte. 7. Eine weitere bedeutungsvolle Tatsache ist, daß Jesus, mit seinem Einzug in Jerusalem vor seinem Leiden nach dem Bericht der Evangelisten Matthäus (Mt 21,5) und Johannes (Joh 12,15) die Prophezeiung des Sacharja erfüllt, in der die Überlieferung vom messianischen König zum Ausdruck kommt: „Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Denn dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist bescheiden und reitet auf einem Esel, auf dem Fohlen einer Eselin“ (Sach 9,9). „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist friedfertig, und er reitet auf einer Eselin und auf einem Fohlen, dem Jungen eines Lasttiers“ (Mt 21,5). Tatsächlich reitet Jesus bei seinem feierlichen Einzug in Jerusalem auf einer Eselin, begleitet von den begeisterten Rufen des Volkes: „Hosanna dem Sohn Davids!“ (vgl. Mt 21,1-10). Obwohl die Pharisäer empört sind, nimmtJesus den messianischenZurufder „Kleinen“ an (vgl. Mt2l,l6;Lk 19,40), zumal er weiß, daß seine Verherrlichung durch das Leiden jedes Mißverständnis bezüglich des Beinamens Messias beseitigt. 8. Das Verständnis des Königtums als einer irdischen Macht wird in Krise geraten . Die Tradition wird dadurch nicht aufgehoben, wohl aber geläutert daraus hervorgehen. In den Tagen nach Jesu Einzug in Jerusalem wird man erkennen, wie die Worte des Engels bei der Verkündigung zu verstehen sind: „Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben“ (Lk 1,32-33). Jesus selbst wird erläutern, worin sein Königtum und somit die mes-sianische Wahrheit besteht, und wie sie zu verstehen ist. 9. Der entscheidende Augenblick dieser Klarstellung kommt im Gespräch zwischen Jesus und Pilatus, das im Johannesevangelium wiedergegeben ist. Da Jesus vor demrömischen Statthalter angeklagt wurde, sich „zum König der Ju-den zu machen“, stellt ihm Pilatus eine Frage zu dieser Anklage, die in besonderer Weise die römische Staatsgewalt angeht: wenn nämlich Jesus tatsächlich den Anspruch erhebe, „König der Juden zu sein“, und von seinen Gefolgsleuten als solcher anerkannt würde, könnte das eine Bedrohung für das römische Reich darstellen. Pilatus fragt daher Jesus: „Bist du der König der Juden?“ Jesus antwortet: „Sagst du das von dir aus, oder haben es dir andere über mich gesagt?“ Und dann erklärt er: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn es von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgelie- 39 AUDIENZEN UND ANGELUS fert würde. Aber mein Königtum ist nicht von hier.“ Und als Pilatus nachfragt: „Also bist du doch ein König?“, erklärt Jesus: „Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme: (Joh 18,33-37). Diese unmißverständlichen Worte Jesu enthalten die klare Bekräftigung, daß die Eigenschaft bzw. das Amt des Königs, das mit der Sendung des von Gott gesandten Christus — Messias verbunden ist, nicht im politischen Sinn verstanden werden darf, als handele es sich tun eine irdische Macht,auch nicht hinsichtlich des „auserwählten Volkes“ Israel. 10. Die Fortsetzung des Prozesses Jesu bestätigt, daß es einen Konflikt gibt zwischen der Auffassung, die Christus von sich selbst als „Messias-König“ hat, und der im Volk verbreiteten, irdischen und politischen. Unter der Anklage, daß „er sich zum König gemacht habe“, wird Jesus zum Tod verurteilt. Die am Kreuz angebrachte Inschrift: „Jesus von Nazaret, der König der Juden“, wird der Beweis dafür sein, daß für die römischen Behörden dies sein Vergehen ist. Wie paradox: ausgerechnet die Juden, die die Wiedererrichtung des Königreiches Davids im irdischen Sinne herbeisehnten, schrien beim Anblick des gegeißelten und mit Domen gekrönten Jesus, den ihnen Pilatus mit, den Worten: „Daist euer König!“ vorführte: „Kreuzige ihn!... Wir haben keinen König au-ßer dem Kaiser“ {Joh 19,15). Vor diesem Hintergrund können wir besser die Bedeutung der Inschrift am Kreuz Christi begreifen, allerdings nicht ohne Bezugnahme auf die Erklärung, die Jesus während des Verhörs vor dem römischen Statthalter über sich selbst abgegeben hat. Nur in jenem Sinn ist der Christus-Messias „König“; nur in jenem Sinne läßt er die Tradition vom „messianischen König' ‘, die im Alten Testament gegenwärtig und in die Geschichte des Volkes des Alten Bundes eingeschrieben ist, Wirklichkeit werden. 11. Auf Golgota beleuchtet schließlich eine letzte Episode Jesus als Messias und König. Einer der beiden Verbrecher, die mit Jesus zusammen gekreuzigt waren, macht diese Wahrheit auf eindringliche Weise offenbar, als er sagt: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst“ (Lk 23,42). Jesus antwortet ihm: „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43). In diesem Gespräch finden wir gleichsam eine letzte Bestätigung der Worte, die der Engel bei der Verkündigung an Maria gerichtet hatte: Jesus „wird... herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben“ {Lk 1,33). 40 AUDIENZEN UND ANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Wenn wir im Gebet und in der Liturgie von Jesus aus Nazaret sprechen, fügen wir meist noch ein Wort hinzu; wir sagen: Jesus Christus. Das tun wir vor allem, wenn wir den Herrn meinen, wie er durch Leiden und Auferstehung hindurch die ganze Wahrheit seiner Sendung deutlich gemacht hat. Der Beiname „Christus“ ist die griechische Form des hebräischen Wortes „Messias“, und das bedeutet „der Gesalbte“. Auf einen solchenMessias, von Gott gesandt, hatte das Volklsrael seit Generationen gewartet; für sein Kommen war es vielfältig vorbereitet worden. Dieser Gesalbte des Herrn sollte die Pläne Gottes mit den Menschen und ihrer Geschichte endgültig kundtun und das Reich Gottes in dieser Welt beginnen lassen. Die Menschen, die Jesus von Nazaret erlebt und seinen Lebensweg im wesentlichen verstanden hatten, vor allem also Maria und die Apostel, haben in ihm diesen Messias erkannt. In ihrer aller Namen verkündet Petrus darum in seiner ersten Pfingstpredigt: „Mit Gewißheit erkenne also das ganze Volklsrael: Gott hat ihn zum Herrn und Messias gemacht, diesenJesus, den ihr gekreuzigt habt“ (Apg 2,36). Nur wenige begriffen zu Anfang, daß der volle Sinn des Messias-Titels erst dann aufleuchtete, als Jesus wie ein Friedenskönig in Jerusalem einzog, als er stellvertretend für alle Leidenden mit einer Dornenkrone vor die Menge trat, als er vor Pilatus stand und bekannte: „Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“ (Joh 18,37). So ist Jesus von Nazaret tatsächlich der Messias, der Gesalbte Gottes: gesalbt zum König, zum Priester und zum Propheten. Den vollen Sinn dieser Titel aber erfassen wir nur, wenn wir uns in die überlieferten Worte und Taten des Herrn vertiefen, wenn wir selbst dabei „aus der Wahrheit“ sind, das heißt, wenn wir mit bereitem Herzen die Wahrheit Gottes über uns selbst und über die ganze Menschengeschichte vernehmen wollen. Jeder von euch kann dieser Wahrheit Gottes den Weg bereiten; jeder kann und sollte Zeugnis ablegen von der erlösenden Liebe, von der befreienden Gerechtigkeit unseres Herrn Jesus Christus. Eine besondere Berufung hierzu durch ein eigenes Sakrament hat eine Gruppe von Männern erhalten, die heute hier zugegen sind: Ich meine die Gruppe von Diakonen aus Innsbruck, die sich der Kirche für einen ständigen Dienst im Diakonat des Wortes und der leiblichen wie seelischen Hilfe an den Menschen um Christi willen zur Verfügung gestellt haben. Euch und euren Familien sowie allen anwesenden deutschsprachigen Besuchern gilt mein herzlicher Gruß und Segen. 41 AUDIENZEN UNDANGELUS Auch die Schattenseiten sehen Angelus am 15. Februar 1. Die konkrete Anwendung der Weisungen des Konzils in bezug auf die katholischen Laien hat — so betonte ich am vergangenen Sonntag — die kirchliche Präsenz heute spürbar verstärkt. Die positiven und ermutigenden Aspekte dieses Phänomens habe ich deshalb hervörgehoben. Heute möchte ich nun auf die Schattenseiten hinweisen, an denen es neben dem Licht nicht gefehlt hat. Eine objektive Überprüfung der Gesamtsituation zeigt, daß die größten Schwierigkeiten und gewisse Polarisationen in bezug auf die Lehre und die Anwendung der Konzilsdokumente einseitigen Ansichten sowie bruchstückhaften und mißverständlichen Interpretationen entspringen, die oft dem Geist des Konzils widersprechen und die Richtigstellungen nicht beachten, die das kirchliche Lehramt zum richtigen Zeitpunkt angeboten hat. 2. Die Folge war, daß zusammen mit reichhaltigen und wertvollen Ideen und Vorschlägen auch fragwürdige Auslegungen aufgetaucht sind, die Verwirrung hinsichtlich des eigentlichen Charakters der Berufung der Laien geschaffen haben. Einige Aspekte wurden zum Nachteil anderer besonders hervorgehoben. Das hat zu Extremen mit sich widersprechenden Vorzeichen geführt, indem entweder die Funktion der Laien ausschließlich der hierarchischen Struktur zugeordnet oder das kulturelle und soziale Engagement der Laien vom Glauben losgelöst wurde, so daß schließlich die Lebenskraft des ganzen Organismus der Kirche beeinträchtigt wurde. Aber man muß zugeben, daß auch die Neuheit der dem Konzil entsprungenen pastoralen Ausrichtung selbst dazu beigetragen hat. Der Zusammenprall mit althergebrachten Formeln ging nicht ohne Komplikationen vor sich. Man sprach manchmal sogar von einer „Identitätskrise“. Besonders heftige Auswirkungen zeigten sich in der Auslegung der Beziehung der Kirche zur Welt mit schmerzlichen Zugeständnissen an jenen Weltgeist, dem die Verdammnis des Herrn droht, die Paulus in die ernste Mahnung gekleidet hat: „Gleicht euch nicht dieser Welt an“ (Röm 12,2). 3. Die positiven Fermente jedoch überwiegen weitgehend die negativen Impulse. Die Synodenversammlung, die im Oktober Zusammentritt, ist ein be^ sonders qualifizierter „Ort“, um die neue Entwicklung der Situation zu über- 42 AUDIENZEN UNDANGELUS prüfen. Im Licht des Konzils und zusammen mit den nachfolgenden Erfahrungen können die Bischöfe eine Gesamtbewertung der Frage vornehmen; dabei können sie die erfolgreiche Verwirklichung zur Kenntnis nehmen, ohne jedoch die Augen vor der unklaren oder irreführenden Situationen zu verschließen bei ihrer Suche nach der rechten Antwort auf die verschiedenen Probleme mit der Absicht, die katholische Welt neue Frucht hervorbringen zu lassen. Auch in dieser Sicht hat das kommende synodale Ereignis große aktuelle Bedeutung. Die selige Jungfrau Maria, die wir unter dem Beinamen „Hilfe der Christen1 anrufen, stehe allen bei in dieser dringenden Aufgabe. Nach dem Angelusgebet sagte der Papst: Ein neuer, mit erbarmungsloser Kaltblütigkeit ausgeführter Terroakt hat gestern Rom mit Blut befleckt und Schrecken und Abscheu hervorgerufen. Von neuem hat die Gewalt unschuldige Menschenleben in Mitleidenschaft gezogen. Indem ich mein tiefste Mißbilligung über diese verbrecherische Tat ausspreche, die das Gewissen jeder zivilisierten Person verletzt, will ich auch meine Anteilnahme am Schmerz der Angehörigen bekunden und mich dem Gebet für die Opfer anschließen. Dem verletzten Polizisten wünsche ich baldige Besserung. Alle lade ich ein zum Gebet und zum Einsatz, damit das Gift der Gewalt nicht die Gewissen trübe, sondern die Solidarität sich verstärke auf dem gemeinsamen Weg geordneter Eintracht und sozialen Friedens. 43 AUDIENZEN UND ANGELUS Königliche und priesterliche Sendung Ansprache bei der Generalaudienz am 18: Februar 1. Der Name „Christus“, der, wie wir wissen, die griechische Entsprechung des Wortes „Messias“, d. h. der „Gesalbte“, ist, schließt nach der alttesta-mentlichen Tradition außer der „königlichen“ Würde, von der wir in der letzten Katechese gesprochen haben, auch die „priesterliehe“ Würde ein. Bei den derselben messianischen Sendung zugehörigen Elementen handelt es sich um zwei voneinander verschiedene Aspekte, die sich jedoch ergänzen. Die Gestalt des Messias, wie sie im Alten Testament geschildert wird, umfaßt beide Aspekte und macht die tiefe Einheit von königlicher und priesterlicher Sendungoffenbar. 2. Ihren ersten Ausdruck, ja gleichsam ihren Prototyp und ihre Vorwegnahme, findet diese Einheit in Melchisedek, dem König von Salem, einem geheimnisvollen Zeitgenossen Abrahams. Über ihn lesen wir im Buch Genesis, daher Abraham entgegenzög und „Brot und Wein herausbrachte. Er war Priester des Höchsten Gottes. Er segnete Abram und sagte: Gesegnet sei Abram vom Höchsten Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde“ (Gen 14,18-19). Die Gestalt des priesterlichen Königs Melchisedek fand Eingang in die mes-sianische Tradition, wie vor allem der 110. Psalm — der der messianische Psalm heißt — beweist. Denn in diesem Psalm wendet sich Gott-Jahwe „an meinen Herrn“ (das heißt an den Messias) mit den Worten: „Setze dich mir zur Rechten, und ich lege dir deine Feinde als Schemel unter die Füße. Von Zion streckt der Herr das Zepter deiner Macht aus: „Herrsche inmitten deiner Feinde!“ (Ps 110,1-2). Auf diese Worte, die an der königlichen Würde dessen, an den sich Jahwe wendet, keinen Zweifel lassen können, folgt die Ankündigung: „Der Herr hat geschworen, und nie wird‘s ihn reuen: Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks“ (Ps 110,4). Man sieht: derjenige, an den sich Gott-Jahwe mit der Aufforderung wendet, sich „zu seiner Rechten“ zu setzen, wird zugleich König und Priester „nach der Ordnung Melchisedeks“ sein. 3. In der Geschichte Israels beginnt die Institution des alttestamentlichen Priestertums mit Aaron, dem Bruder des Mose, und geht durch Vererbung auf einen der zwölf Stämme Israels, den Stamm Levi, über. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, was wir im Buch Jesus Sirach lesen: „(Gott) erhöhte ... Aaron aus dem Stamme Levi. Er hat ihn bestellt für 44 AUDIENZEN UND ANGELUS das ewige Priesteramt und über ihn seine Hoheit ausgebreitet..(Sir 45,6-7). „(Der Herr) hat ihn erwählt aus allen Lebenden, damit er Brandopfer und Fettstücke darbringe, den beruhigenden Duft des Gedenkopfers aufsteigen lasse und für die Söhne Israels Sühne erwirke. Er gab ihm seine Gebote und Vollmacht über Gesetz und Recht. So unterwies Aaron sein Volk im Gesetz und Israels Söhne im Recht“ (Sir 45,16-17). Aus diesen Texten können wir schließen, daß die Priester zum Vollzug des Kultes, zur Darbringung derOp-fer zur Anbetung und Sühne erwählt wurden, und daß der Kult seinerseits mit der Lehre von Gott und seinem Gesetz verbunden ist. 4. Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang auch die folgenden Worte aus dem Buch Jesus Sirach: „Sein (d. h. Gottes) Bund mit David ,.. bestand in der Erbnachfolge eines Herrschers von Gottes Gnaden, ebenso gehört die Erbnachfolge Aarons dem Pinhas und seinen Söhnen“ (Sir 45,25). Nach dieser Tradition steht das Priestertum „an der Seite“ der Königswürde. Nun gehört Jesus aber nicht dem Priesterstamm Levi, sondern dem Stamm Juda an; es scheint daher, als komme ihm die priesterliche Würde des Messias nicht zu. Seine Zeitgenossen sehen in ihm vor allem den Lehrer, den Propheten, manche sogar ihren „König“, den Erben Davids. Man könnte also sagen, bei Jesus fehle die Tradition des „Priesterkönigs“ Melchisedek. 5. Es handelt sich freilich nur um ein scheinbares Fehlen. Das Ostergeschehen enthüllte 4en wahren Sinn des „königlichen Messias“ und des „Priesterkönigs nach der Ordnung Melchisedeks“, der bereits im Alten Testament gegeben ist, aber seine Erfüllung in der Sendung des Jesus von Nazaret gefunden hat. Bezeichnend ist, daß Jesus während des Prozesses vor dem Hohen Rat dem Hohenpriester auf die Frage: „... Bist du der Messias, der Sohn Gottes?“ antwortet: „Du hast es gesagt. Doch ich erkläre euch: Von nun an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen sehen..(Mt 26,63-64). Das ist ein klarer Bezug auf den Messiaspsalm HO, in dem die Tradition vom Priesterkönig ihren Ausdruck findet. 6. Man muß allerdings sagen, daß sich die Fülle dieser Wahrheit erst im Hebräerbrief zeigt, der sich mit der Beziehung zwischen dem levitischen Priestertum und dem Priestertum Christi auseinandersetzt. Der Verfasser des Hebräerbriefes greift das Thema des Priestertums Melchisedeks auf, um zu sagen, daß sich die messianische Prophezeiung, die an diese Gestalt schon seit den Tagen Abrahams gebunden und in die Sendung des Gottesvolkes eingeschrieben war, in Christus erfüllt hat. 45 AUDIENZEN UND ANGELUS Denn wir lesen von Christus, daß „er zur Vollendung gelangt, für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden ist und von Gott als „Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks“ angeredet wurde“ (Hebr 5,9-10). Nach Erwähnung dessen, was das Buch Genesis über Melchisedek schreibt (Gen 14,18), fahrt der Hebräerbrief fort: „... er, dessen Name „König der Gerechtigkeit“ bedeutet und der auch König von Salem ist, das heißt „König des Friedens“: er, der ohne Vater, ohne Mutter und ohne Stammbaum ist, ohne Anfang seiner Tage und ohne Ende seines Lebens, ein Abbild des Sohnes Gottes: dieser Melchisedek bleibt Priester für immer“ (Hebr 1,2-3). 7. Indem der Verfasser des Hebräerbriefes Analogien zum Kultritual, zur Bundeslade und zu den Opfern des Alten Bundes gebraucht, stellt er Jesus Christus als die Vollendung sämtlicher Gestalten und Verheißungen des Alten Testaments vor, die als „Abbild und Schatten der himmlischen Dinge dienen“ (.Hebr 8,5). Christus hingegen als „barmherziger und treuer Hoherpriester“ (Hebr 2,17: vgl. 3,2.5) trägt ein „unvergängliches Priestertum“ (Hebr 7,24) in sich, nachdem er sich „als makelloses Opfer Gott dargebracht hat“ (Hebr 9,14). 8. Es lohnt, hier einige besonders aussagekräftige Stellen dieses Briefes ungekürzt wiederzugeben. Bei seinem Eintritt in die Welt spricht Jesus Christus zu seinem Vater: „Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir geschaffen; an Brand- und Sündopfem hast du kein Gefallen. Da sagte ich: Ja, ich komme — so steht es über mich in der Schriftrolle —, um deinen Willen, Gott, zu tun“ (Hebr 10,5-7). „Ein solcher Hoherpriester war für uns in der Tat notwendig“ (Hebr 7,26) ... „Darum müßte er in allen seinen Brüdern gleich sein, um ein barmherziger und treuer Hoherpriester vor Gott zu sein und die Sünden des Volkes zu sühnen“ (Hebr2,\l). Wirhabenja „einen Hohenpriester ..., der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat“, einen Hohenpriester, der „mitfühlen kann mit unserer Schwäche“ (vgl. Hebr 4,15). 9. Etwas weiter lesen wir, daß es dieser Hohepriester „nicht Tag für Tag nötig hat, wie die Hohenpriester zuerst für die eigenen Sünden Opfer darzubringen und dann für die des Volkes; denn das hat er ein für allemal getan, als er sich selbst dargebracht hat“ (Hebr 7,27). Und weiter: „Christus aber ist gekommen als Hoherpriester der künftigen Güter ... und er ist ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen ..., mit seinem eigenen Blut, und so hat er eine ewige Erlösung bewirkt“ (Hebr 9,11-12). Daher unsere Gewißheit, daß „das Blut Christi, der sich selbst kraft ewigen Geistes Gott als makelloses Opfer 46 AUDIENZEN UND ANGELUS dargebracht hat, unser Gewissen von toten Werken reinigen (wird), damit wir dem lebendigen Gott dienen“ (Hebr 9,14). So erklärt sich, daß dem Priestertum Christi eine ewige heilbringende Kraft zugeschrieben wird, dank welcher er „... die, die durch ihn vor Gott hintreten, für immer retten kann; denn er lebt allezeit, um für sie einzutreten“ {Hebr 7,25). 10. Schließlich können wir feststellen, daß im Hebräerbrief auf klare und überzeugende Weise ausgesagt wird, daß Jesus Christus mit seinem ganzen Leben und vor allem mit seinem Opfer am Kreuz das erfüllt hat, was in der messianischen Tradition der göttlichen Offenbarung enthalten war. Sein Priestertum wird zum kultischen Dienst der Priester des Alten Bundes in Bezug gesetzt, der von ihm — als Priester und als Opfergabe — freilich weit überschritten wird. In Christus erfüllt sich also der ewige Plan Gottes, der die Einsetzung des Priestertums in der Geschichte des Bundes verfügte. 11. Nach dem Hebräerbrief wird die messianische Erfüllung von der Gestalt Melchisedeks symbolisiert. Dort lesen wir nämlich, daß durch Gottes Willen „nach dem Vorbild Melchisedeks ein anderer Priester eingesetzt wird, der nicht, wie das Gesetz es fordert, aufgrund leiblicher Abstammung Priester geworden ist, sondern durch die Kraft unzerstörbaren Lebens“ (Hebr 7,15-16). Es handelt sich somit um ein ewiges Priestertum (vgl. Hehr 7,3.24). Die Kirche, treue Hüterin und Auslegerin dieser und anderer Texte des Neuen Testaments, hat wiederholt die Wahrheit vom Messias und Priester bekräftigt, wie es z. B. das Ökumenische Konzil von Ephesus (431), jenes von Trient (1562) und in unseren Tagen das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) beweisen. Ein klares Zeugnis für diese Wahrheit finden wir im eucharistischen Opfer, das die Kirche aufgrund der Einsetzung durch Christus jeden Tag unter den Gestalten von Brot und Wein, das heißt „nach der Ordnung Melchisedeks“, darbringt. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Der Name „Christus“ entspricht dem griechischen Wort „Messias“, das heißt der „Gesalbte“. Nach der alttestamentlichen Tradition besitzt der Messias als Sproß aus dem Geschlecht Davids „königliche“ Würde. Zugleich ist er „Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks“, wie es im messianischen Psalm (109/110) heißt. 47 AUDIENZEN UNDANGELUS In der Geschichte Israels erfolgte die Einsetzung des Priestertums mit Aaron, dem Bruder des Mose. Im Buch Sirach heißt es: Gott „hat ihn erwählt aus allen Lebenden, damit er Brandopfer,und Fettstücke darbringe ... und für die Söhne Israels Sühne erwirke“ (Sir 45,16). Diepriesterliche Erwählung erfolgte also für den Vollzug von Kulthandlungen, für Opfer und Sühne. Das Priestertum wurde von Gott einem bestimmten Stamm, dem Stamm Levi, anvertraut. Nun steht jedoch fest, daß Jesus nicht diesem priesterlichen Stamm Levi, sondern dem Stamm Juda angehört. Wie kann er dann als Messias die priesterli-che Würde besitzen? Die Antwort auf diese Frage erhalten wir aus dem Ostergeschehen, in dem sich die wahre Bedeutung des „König-Priesters nach der Ordnung Melchisedeks“ erfüllt. Christus bekennt vor Pilatus, daß man ihn als „den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen sehen wird“ (Mt 26,64), und nimmt dadurch ausdrücklich Bezug auf den messianischen Psalm vom König- Priester, den Gott zu seiner Rechten Platz nehmen läßt. Am deutlichsten bekräftigt diese Erfüllung des alttestamentlichen Priestertums in Christus der Hebräerbrief, der von ihm sagt: „Zur Vollendung gelängt, ist er (Christus) für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden und wurde von Gott angeredet als „Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks“ (Hebr 5,9). Christus besitzt „ein unvergängliches Priestertum“ (Hebr 7,24), indem er sich selbst „Gott als makelloses Opfer dargebracht hat“ ('Hebr 9,14). Er ist „gekommen als Hoherpriester der künftigen Güter“ (Hebr 9,11), in welchem sich zugleich die alttestamentliche Tradition vom messianischen König-Priestertum endgültig erfüllt. Mit dieser Betrachtung über Christus, unseren ewigen Hohenpriester, grüße ich herzlich alle heutigen deutschsprachigen Audienzteilnehmer; unter den genannten Gruppen besonders die Silberhochzeitspaare aus Dachau und die Theologiestudenten der Freien Universität Berlin. Möge euch dieser Rombesuch in eurer Treue zu Christus und eurer christlichen Berufung neu bestärken. Das'erbitte ich allen anwesenden Pilgern mit meinem besonderen Apostolischen Segen. 48 AUDIENZEN UND ANGELUS Das Wort Laie ist kein negativer Begriff Angelus am 22. Februar 1. Im Laufe unserer Vorbereitung auf die Bischofssynode über die Laien ist es nicht nur notwendig, sondern auch natürlich, auf das Konzil zurückzukommen. In diesen wertvollen Dokumenten sind viele Elemente verstreut, die, aneinandergefügt, eine vielschichtige Wirklichkeit ergeben, aus der die charakteristischen Züge der katholischen Laien in ihren vielfältigen Konturen aufscheinen. Aber es handelt sich nicht um eine sozusagen statische Darstellung, sondern um etwas Lebendiges, das die klare Lebenskraft hervorspringenden Quellwassers in sich hat, einzigartiger Quellen, die zu Christus, dem göttlichen Baumeister der Kirche, und durch Christus zum Ursprung hinführen, der Gott ist. 2. Wer sind die Laien? In seiner Antwort will das Konzil'nicht einfach auf den anspielen, der weder Priester noch Ordensmann oder Ordensfrau ist, und beinahe in negativer Weise betonen, daß die Laien diejenigen sind, die nicht zu diesen Gmppen gehören. Nein. Das Konzil öffnet eine eindeutig positive Perspektive. Es stellt sich auf den Standpunkt des Heilsplans Gottes, der in der Offenbarung enthalten ist. Und es antwortet, daß die Laien zusammen mit der Hierarchie, dem Klerus und den Ordensleuten das Volk Gottes sind. Die dogmatische Konstitution Lumen gentium, ein grundlegender Text, behandelt, nachdem es das Geheimnis der Kirche von seinem trinitarischen Ursprung her bis zu seiner Wirklichkeit als „Leib Christi“ in allen seinen geistlichen und sichtbaren Dimensionen ausgelotet hat, ausführlich das Gottesvolk“. Dieses Volk ist die Kirche, ein geeintes und geordnetes Volk, keine formlose Masse, keine Anhäufung von einzelnen, die einer unterschiedlichen Bestimmung entgegengehen, sondern ein echtes Volk, eine Versammlung von christlichen Männern und Frauen, die eine gemeinsame Herkunft in derselben Vaterschaft Gottes erkennen und gemeinsam auf dem einzigen Weg, der Christus, der Retter, ist, fortschreiten zu dem gemeinsamen Ziel, der endgültigen und seligmachenden Begegnung mit Gott. 3. Die Laien sind in jeder Hinsicht Glieder dieses bevorzugten Volkes, das „für das ganze Menschengeschlecht die unzerstörbare Keimzelle der Einheit“ ist und, von Christus „als Werkzeug der Erlösung angenommen, als 49 AUDIENZEN UNDANGELUS Licht der Welt und Salz der Erde in alle Welt gesandt wird4 4 {Lumen gentium, Nr. 9). In ihm gibt es „keine Ungleichheit aufgrund von Rasse und Volkszugehörigkeit, sozialer Stellung oder Geschlecht“; allen gemeinsam ist die Würde der Glieder ... gemeinsam die Gnade der Kindschaft, gemeinsam die Berufung zur Vollkommenheit44 (Lumen gentium, Nr. 32). Wie in jedem lebendigen Organismus gibt es im Gottesvolk — und es könnte nicht anders sein — unterschiedliche Aufgaben. Trotzdem,, waltet doch unter allen eine wahre Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit“ {ebd.). 4. „Denn er ist unser Gott, wir sind das Volk seiner Weide“ {Ps 95,7). Die Jungfrau Maria, Hilfe der Christen, gebe, daß alle — und in dieser Vorbereitungszeit auf die Bischofssynode besonders die Laien — das Bewußtsein von ihrer Berufung vertiefen, um in vollem Maß an der Sendung des Gottesvolkes teilzuhaben. In Jesus hat sich erfüllt, was Jesaja ankündigte Ansprache bei der Generaläüdienz am 25. Februar 1. Während des Prozesses vor Pilatus verneint Jesus zunächst die Frage, ob er ein König sei: er sei es nicht im irdischen und politischen Sinn; dann, als ihn Pilatus zum zweiten Mal fragt, antwortet er: „Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege“ {Loh 18,37). Diese Antwort verbindet die köngliche und priesterliche Sendung des Messias mit dem wesentlichen Merkmal der prophetischen Sendung. Denn der Prophet wird dazu berufen und gesandt, von der Wahrheit Zeugnis zu geben. Als Zeuge der Wahrheit spricht er im Namen Gottes. Er ist gewissermaßen die Stimme Gottes. Das war die Sendung der Propheten, die Gott die Jahrhunderte hindurch Israel sandte. In der Gestalt des Königs und Propheten David ist in besonderer Weise das Prophetische mit der Berufung zum König verbunden. 2. Die Geschichte der Propheten des Alten Testaments läßt klar erkennen, daß ihre Aufgabe, die Wahrheit dadurch zu verkünden, daß sie im Namen Gottes sprechen, vor allem ein Dienst ist, sowohl in bezug auf den göttlichen Auftraggeber wie auf das Volk, vor dem der Prophet als Gesandter Gottes auf-tritt. Daraus folgt, daß der prophetische Dienst nicht nur eine bedeutsame und ehrenvolle, sondern auch eine schwierige und mühsame Aufgabe ist. Ein 50 AUDIENZEN UND ANGELUS deutliches Beispiel dafür ist das Schicksal des Propheten Jeremias, der in dem Maße auf Widerstand, Ablehnung und sogar Verfolgung stieß, in dem die von ihm verkündete Wahrheit unbequem war. Jesus selber, der wiederholt auf die von den Propheten ertragenen Leiden Bezug nahm, hat sie persönlich in vollem Ausmaß erfahren. 3. Diese ersten Hinweise auf den Dienstcharakter der Sendung des Propheten führen uns gleichsam hin zur Gestalt des Gottesknechts (Ebed Jahwe,) der wir bei Jesaja (genauer gesagt im sogenannten „Deuterojesaja“) begegnen. In dieser Gestalt findet die messianische Tradition des Alten Bundes besonders reichen und bedeutsamen Ausdruck, wenn wir in Betracht ziehen, daß der Gottesknecht, an dem vor allem die Wesensmerkmale des Propheten ins Auge fallen, in gewisser Weise auch die Würde des Priesters und des Königs in sich vereint. Jesajas Lieder vom Gottesknecht bieten eine alttestamentarische Synthese über den Messias, die für künftige Entwicklungen offen ist. Obwohl viele Jahrhunderte vor Christus geschrieben, dienen sie in erstaunlicher Weise zur Identifizierung seiner Gestalt, besonders was die Beschreibung des leidenden Gottesknechtes betrifft: ein derart zutreffendes und getreues Bild, daß man es — die Ereignisse des Paschamysteriums Christi vor Augen — geradezu als Porträt bezeichnen könnte. 4. Es ist zu beachten, daß die Bezeichnung „Knecht“, „Gottesknecht“ im Alten Testament oft verwendet wird. Viele herausragende Gestalten bezeichnen sich als „Knechte Gottes“ oder werden so genannt — so Abraham (Gen 26,24), Jakob (Gen 32,11), Mose, David, Salomon und die Propheten. Auch einigen heidnischen Persönlichkeiten, die in der Geschichte Israels eine Rolle spielen, erkennt die Heilige Schrift diese Bezeichnung zu: so z. B. Nebukad-nezar (.Jer 25,8-9) und Cyrus (Jes 44,27). Schließlich wird ganz Israel als Volk „Knecht Gottes“ genannt (vgl. Jes 41,8-9; 42,19; 44,21; 48,20); das entspricht einem Sprachgebrauch, dessen Widerhall wir auch im Lobgesang Mariens finden, die Gott preist, weil „er sich seines Knechtes Israel annimmt“ (Lk 1,54). 5. Was Jesajas Lieder vom Gottesknecht angeht, stellen wir vor allem fest, daß sie sich nicht auf ein Kollektiv, wie etwa ein Volk, beziehen, sondern auf eine einzelne Person, die der Prophet gewissermaßen vom sündigen Israel unterscheidet: „Seht, das ist mein Knecht“ -—so lesen wir im ersten Lied —, „ich halte ihn an der Hand; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen. Ich habe meinen Geist in ihn gelegt, damit er den Völkern das Recht bringt. Er schreit nicht und lärmt nicht, und man hört seine Stimme nicht auf den 51 AUDIENZEN UNDANGELUS Straßen. Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus ... Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen, bis er auf der Erde das Recht verkündet hat(Jes 42,1-4). „Ich, der Herr,... habe dich geschaffen und dazu bestimmt, was ich meinem Volk verhieß, zu vollbringen und ein Licht für die anderen Völker zu sein: blinde Augen zu öffnen, Gefangene aus dem Kerker zu holen und alle, die im Dunkel sitzen, aus ihrer Haft zu befreien“ (/es 42,6-7). 6. Das zweite Lied entwickelt denselben Gedanken weiter: „Hört auf mich, ihr Inseln, horcht, ihr Völker in der Feme! Der Herr hat mich schon im Mutterleib berufen; als ich noch im Schoß meiner Mutter war, hat er meinen Namen genannt. Er machte meinen Mund zu einem scharfen Schwert, er verbarg mich im Schatten seiner Hand. Er machte mich zum spitzen Pfeil und er steckte mich in seinen Köcher“ (Jes 49,1-2). „Und er sagte: Es ist zu wenig, daß du mein Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs wieder zuSämmenzu-bringen... Ich mache dich auch zum Licht aller Völker; bis ans Ende der Erde soll man meine rettende Hilfe erfahren“ (Jes 49,6). „Gott, der Herr, gab mir eine gelehrige Zunge, damit ich die Müden stärken kann durch ein aufmun-temdes Wort“ (Jes 50,4). Und weiter: „Jetzt aber setzt er viele Völker in Staunen, Könige müssen vor ihm verstummen“ (Jes 52,15). „Mein Knecht ist gerecht, darum macht er viele gerecht; er nimmt ihre Schuld auf sich“ (Jes 53,11). 7. Diese zuletzt angeführten Texte, die zum dritten und vierten Lied gehören, bringen uns mit eindrucksvollem Realismus das Bild vom leidenden Knecht Gottes nahe, auf das wir später noch zurückkommen werden. Alles, Was Jesaja sagt, scheint auf erstaunliche Weise das anzukündigen, was der heilige Greis Simeon am Lebensbeginn Jesu weissagen wird, wenn er das Kind als „Licht, das die Heiden erleuchtet“, und als „Zeichen, dem widersprochen wird“, begrüßt (vgl. Lk 2,32.34). Bereits im Buch Jesaja tritt uns die Gestalt des Messias als Prophet entgegen, der in die Welt kommt, um Zeugnis zu geben von der Wahrheit, und der sein Volk eben aufgrund dieser Wahrheit ablehnt, während er durch seinen Tod zur Ursache der Rechtfertigung für „viele“ wird. 8. Von Anbeginn der messianischen Tätigkeit Jesu finden die Lieder vom Knecht Gottes im Neuen Testament breiten Widerhall. Bereits die Beschreibung der Taufe im Jordan erlaubt es, eine Parallele zu den Texten des Jesaja zu ziehen. Matthäus schreibt: „Kaum war Jesus getauft..., da öffnete sich der Himmel, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube auf sich herabkommen“ 52 AUDIENZEN UND ANGELUS (Mt 3,16); und bei Jesaja heißt es: „Ich habe meinen Geist in ihn gelegt“ (Jes 42,1), Der Evangelist fügt hinzu: „Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe“ (Mt 3,17), während bei Jesaja Gott von seinem Knecht sagt: „Das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen“ (Jes 42,1). Johannes der Täufer zeigt auf Jesus, der zum Jordan kommt, mit den Worten: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Joh 1,29), ein Ausruf, der das dritte und vierte Lied vom leidenden Gottesknecht gleichsam zusammenfaßt. 9. Eine ähnliche Beziehung findet sich in dem Abschnitt, in dem Lukas die ersten, von Jesus in der Synagoge von Nazaret ausgesprochenen messiani-schen Worte wiedergibt; Jesus liest dabei den Text des Jesaja: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“ (Lk 4,17-19). Das sind die Worte des ersten Liedes vom Gottesknecht (Jes 42,1-7; vgl. auch Jes 61,1-2). 10. Wenn wir dann auf Leben und Dienst Jesu blicken, erscheint er uns als der Gottesknecht, der den Menschen Rettung bringt, sie heilt, sie von ihrer Schuld befreit, der sie nicht mit Gewalt, sondern mit Güte für sich gewinnen will. Das Evangelium, besonders das nach Matthäus, greift häufig auf das Buch Jesaja zurück, dessen prophetische Ankündigung sich in Christus verwirklicht, etwa wenn es erzählt: „Am Abend brachte man viele Besessene zu ihm. Er trieb mit seinem Wort die Geister aus und heilte alle Kranken. Dadurch sollte sich erfüllen, was durch den Propheten Jesaja gesagt worden ist: Er hat unsere Leiden auf sich genommen und unsere Krankheiten getragen“ (Mt 8,16-17; vgl. Jes 53,4). Und an anderer Stelle: „Viele folgten ihm, und er heilte alle Kranken.... Auf diese Weise sollte sich erfüllen, was durch den Propheten Jesaja gesagt worden ist: Seht, das ist mein Knecht...“ (Mt 12,15-21); hier gibt der Evangelist einen langen Abschnitt aus dem ersten Lied vom GotT tesknecht wieder. 11. Wie die Evangelien so zeigt auch die Apostelgeschichte, daß die erste Generation der Jünger Christi, angefangen mit den Aposteln, zutiefst davon überzeugt ist: In Jesus hat sich alles erfüllt, was der Prophet Jesaja in seinen inspirierten Liedern vom Gottesknecht angekündigt hat, nämlich daß er der erwählte Gottesknecht ist (vgl. z. B. Apg 3,13; 3,26; 4,27; 4,30; 1 Petr 2,22-25), der die Sendung des Knechtes Jahwes erfüllt und das neue Gesetz 53 AUDIENZEN UNDANGELUS bringt, der das Licht und der Bund für alle Völker ist (vgl. Apg 13,46-47). Dieselbe Überzeugung finden wir daher in der Didache wieder, im „Martyrium des hl. Polykarp“ und im ersten Brief des hl. Clemens von Rom. 12. Etwas sehr Wichtiges sei noch hinzugefügt: Jesus selbst spricht unter deutlicher Anspielung auf Jes 53 von sich als einem Knecht, wenn er sagt: „Auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45; Mt 20,28). Dieselbe Auffassung bringt er zum Ausdruck, indem er den Aposteln die Füße wäscht (vgl. Joh 13,3-4; 12-15). Neben den Stellen aus dem ersten Lied vom Gottesknecht (Jes 42,1-7), die die Erwählung des Knechtes und seine prophetische Sendung der Befreiung, der Heilung und des Bundes für alle Menschen hervorheben, sowie den Anspielungen darauf bezieht sich im Gesamt des Neuen Testaments die Mehrzahl der Texte auf das dritte und vierte Lied (Jes 50,4-11; 52,13-53,12) vom leidenden Gottesknecht. Es ist derselbe Gedanke, den der hl. Paulus im Brief an die Phi-lipper zusammenfassend formuliert, wenn er Christus preist: „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich ..., er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod“ (Phil 2,6-8). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Jesus Christus als der im Alten Testament verheißene Messias vereinigt in sich die Würde des Königs, des Priesters und des Propheten. Unsere heutigen Überlegungen gelten seiner prophetischen Sendung. Vor Pilatus bekennt Jesus: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege“ (Joh 18,37). Dieses ist die spezifische Sendung des Propheten. Er bezeugt die Wahrheit und spricht als Gesandter Gottes. Dafür erleidet er von seiten der Menschen oft Ablehnung und Verfolgung. Jesaja beschreibt diese Sendung des Propheten besonders anschaulich in der Gestalt des Gottesknechtes. Seine Lieder vom Gottesknecht bieten eine altte-stamentliche Synthese über den Messias. Obwohl auch ganz Israel mitunter „Knecht Gottes“ genannt wird, bezieht sich diese Bezeichnung bei Jesaja auf eine einzelne Person. Dort heißt es von ihr: „Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze ... Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt“ (Jes 42,1). Oder an einer anderen Stelle: „Der Herr hat mich schon im Mutterleib berufen ... Ich mache dich zum Licht für die Völker, damit mein Heil bis ans Ende der Erde reicht“ (Jes 49,1.6). 54 AUDIENZEN UND ANGELUS Das Neue Testament nimmt sehr oft Bezug gerade auf den Propheten Jesaja und zeigt, wie in Jesus Christus seine Aussagen über den Gottesknecht sich erfüllen. Der greise Simeon preist Christus als „Licht, das die Heiden erleuchtet“, als „Zeichen“, dem widersprochen wird“ (Lk 2,32.34). Bei der Taufe steigt der Geist Gottes sichtbar auf ihn herab (vgl. Mt 3,16). Und Johannes der Täufer verkündet ihn als das „Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (.Toh 1,29). Christus selbst bezeichnet sich als den Menschensohn, der gekommen ist, „sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ {Lk 10,45). Im ganzen Neuen Testament erscheint Jesus Christus als der erwählte Gottesknecht , in dem sich die prophetische Gestalt des Gottesknechtes bei Jesaja erfüllt und Wirklichkeit wird zum Heil der Menschen. Herzlich grüße ich hiermit alle Pilger aus den Ländern deutscher Sprache, alle genannten Gruppen, aber auch die Familien und einzelnen Besucher; besonders die Ordensschwestern des geistlichen Emeuerungskurses in La Stor-ta. Bemüht euch darum, Jesus Christus im Glauben immer mehr kennenzulemen. Er schenke euch seine Liebe und führe euch immer tiefer in seine Nachfolge. Das erbitte ich euch allen von Herzen mit meinem besonderen Apostolischen Segen. Die Laien haben Anteil am priesterlichen Amt Angelus am 1. März 1. Noch eine Frage: Wer sind die Laien? Und hier nun die Antwort, die das Konzil gibt: „Unter der Bezeichnung Laien sind hier alle Christgläubigen verstanden ..., die, durch die Taufe Christus einverleibt, zum Volk Gottes gemacht ..., zu ihrem Teil die Sendung des ganzen christlichen Volkes in der Kirche und in der Welt ausüben“ (Lumen gentium, Nr. 31). Durch die Taufe Christus einverleibt: Das ist die geheimnisvolle Wirklichkeit der Würde jedes Gläubigen; das ist die Wurzel des neuen, völlig einmaligen und geschenkten Lebens, das der Christ zu entfalten und zu bezeugen berufen ist. Diesen übernatürlichen Vorgang, der in die Wurzel der Persönlichkeit einen neuen Samen einpflanzt, dazu bestimmt, das ganze Dasein mit Hilfe der Dynamik der Gnade und der Freiheit umzuwandeln, drückt der hl. Paulus energisch und mit strenger Folgerichtigkeit so aus: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt“ (Gal 3,27). 2. Indem es in diese höchste Wirklichkeit tiefer eindringt unter Verwendung der von einer theologischen Tradition weitgehend untermauerten Daten, be- 55 AUDIENZEN UND ANGELUS tont das Konzil, daß der Christ am dreifachen Amt Christi, dem priesterli-chen, prophetischen und königlichen Amt, teilhat. Die Laien haben am priesterlichen Amt teil — deshalb hat Jesus sich am Kreuz geopfert und opfert sich ununterbrochen in der Eucharistie — indem sie sich mit ihm in der Hingabe ihres Lebens und Tuns vereinen. Die Gebete, die guten Werke, die tägliche Arbeit, die Leiden, das Familienleben, die geistige und körperliche Erholung werden, wenn sie im Geist getan werden, zum wohlgefälligen Opfer vor Gott durch Jesus Christus. Weil sie am Priesteramt Christi teilhaben, sind die Laien besonders dazu berufen, überall als „Anbeter in heiligem Tun“ die Welt selbst Gott zu weihen (vgl. Lumen gentium, Nr. 34). Die Teilhabe am prophetischen Amt Christi befähigt vor allem dazu, „eine wertvolle Wirksamkeit zur Evangelisation der Welt“ auszuüben (Lumen gentium, Nr. 35) durch das Wort, das Zeugnis, das Apostolat, die Aussaat jener Weisheit und jener Hoffnung, nach der die Menschheit oft unbewußt sucht. Das Konzil betont, daß die Laien hauptsächlich im Ehe- und Familienleben — weil die Eheleute selbst die Verwalter des Ehesakraments sind — ihre prophetische Rolle ausüben (vgl. Lumen gentium, ebd.). Jesus Christus ist vor allem König, weil er, gehorsam bis zum Kreuzestod, vom Vater erhöht und zum Herrscher des ganzen Universums gemacht wurde. Nun haben die Laien an seiner königlichen Sendung dadurch teil, daß sie durch Selbstverleugnung das Reich der Sünde in sich selbst besiegen und dahin arbeiten, daß das Reich der Wahrheit, der Gerechtigkeit und des Friedens die Oberhand gewinnt, indem sie überall den Geist des Evangeliums verbreiten. Weil sie den Wert der Schöpfung aus der Nähe kennen, führen sie alles seinem wahren Ziel zu, auch durch das weltliche Wirken, damit die Welt „in Gerechtigkeit, Liebe und Frieden ihr Ziel wirksamer erreicht“ (Lumen gentium, Nr. 36). 3. Die Berufung und Sendung der Laien findet in Verbindung mit dem dreifachen Amt Christi den Schlüssel für ihre ständige Reifung. Christus ist die unversiegbare Quelle der Kraft und des Lichtes. Um in allen Söhnen und Töchtern der Kirche diese Gewißheit zu bekräftigen, bitten wir um die Fürsprache Mariens mit dem „Engel-des-Herm“. 56 AUDIENZEN UND ANGELUS Wie spricht Jesus über seine Sendung Ansprache bei der Generalaudienz am 4. März Liebe Brüder und Schwestern! Heute, am Aschermittwoch, begehen wir einen besonderen Tag im liturgischen Jahr und damit auf unserem inneren Weg auf das Reich Gottes zu. Heute beginnt nämlich die Fastenzeit, die uns auf Ostern vorbereitet. Sie lädt uns dazu ein, das Geheimnis des Kreuzes Christi tiefer zu leben, um dann auch das Geheimnis der Auferstehung besser verstehen und leben zu können. In diesem neuen Klima eines intensiveren geistlichen Bemühens wollen wir unsere „Mittwochskatechesen“ mit der Betrachtung darüber fortsetzen, wie sich die Prophezeiungen, die das Leiden und den Tod des Messias vorhersagten, in Christus erfüllt haben. 1. In den vorangegangenen Katechesen haben wir die wichtigsten Aspekte der Wahrheit über den Messias aufzuzeigen versucht, so wie sie im Alten Bund angekündigt und von der Generation der Zeitgenossen Jesu von Nazaret ererbt worden ist, die damit den neuen Abschnitt der göttlichen Offenbarung erlebten. Die Angehörigen dieser Generation, die Jesus folgten, taten das, weil sie überzeugt waren, daß sich in ihm die Wahrheit über den Messias erfüllt habe: daß gerade er der Messias, der Christus ist. Bezeichnend sind die Worte, mit denen Andreas, der erste der von Jesus berufenen Apostel, seinem Bruder Simon verkündet: „Wir haben den Messias gefunden. Messias heißt übersetzt: der Gesalbte (Christus)“ (Joh 1,41). Man muß freilich zugeben, daß so eindeutige Feststellungen in den Evangelien eher selten sind. Das beruht auch darauf, daß in der jüdischen Gesellschaft jener Zeit ein Messiasbild verbreitet war, dem Jesus trotz des Staunens und der Bewunderung wegen all dem, was er „getan und gelehrt hat“ (Apg 1,1), seine Gestalt und sein Wirken nicht anpassen wollte. 2. Ja, wir wissen: Johannes der Täufer hat am Jordanufer Jesus als den bezeichnet, „der kommen soll“ (vgl. Joh 1,15.30); er hatte in ihm mit prophetischem Geist „das Lamm Gottes“ gesehen, das gekommen ist, um die Sünden der Welt hinwegzunehmen: er hatte die „neue Taufe“ angekündigt, die Jesus in der Kraft des Geistes erteilen würde. Als Johannes schon im Gefängnis saß, sandte er seine Jünger mit der Frage zu Jesus: „Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ (Mt 11,3). 57 AUDIENZEN UNDANGELUS 3. Jesus läßt Johannes und seine Boten nicht ohne Antwort: „Geht und berichtet Johannes, was ihr gesehen und gehört habt: Blinde sehen wieder, Lahme gehen, und Aussätzige werden rein; Taube hören, Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet“ (Lk 7,22). Mit dieser Antwort will Jesus seine messianische Sendung besonders durch Bezugnahme auf die Worte des Jesaja bekräftigen (vgl. Jes 35,4-5; 61,1). Und er sagt abschließend: „Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt!“ (Lk 7,23). Diese letzten Worte klingen.wie eine direkte Mahnung an Johannes, seinen heldenhaften Vorgänger, der eine andere Vorstellung vom Messias hatte. In seiner Verkündigung hatte Johannes nämlich die Gestalt des Messias als die eines strengen Richters geschildert. In diesem Sinne hatte er vom „kommenden Gericht“ und von der „Axt, die schon an die Wurzel der Bäume gelegt ist“, gesprochen (vgl. Lk 3,7.9), um jeden Baum, „der keine gute Frucht hervorbringt“, umzuhauen (Lk 3,9). Sicher hätte Jesus nicht gezögert, mit Festigkeit und, wenn nötig, auch mit Härte gegen die Starrköpfigkeit und Auflehnung gegen das Wort Gottes vorzugehen. Vor allem wollte er kommen, um „den Armen die frohe Botschaft zu verkünden“ und mit seinen Werken und Wundern den Heilswillen Gottes, des barmherzigen Vaters offenbar machen. 4. Die Antwort, die Jesus dem Johannes gibt, enthält noch ein anderes interessantes Element: Er vermeidet es, sich öffentlich als Messias zu bezeichnen. Denn im Sözialgefüge der damaligen Zeit war dieser Titel sehr doppelsinnig: die Leute interpretierten ihn gemeinhin im politischen Sinn. Jesus zieht es daher vor, auf das Zeugnis seiner Werke zu verweisen, wobei er vor allem von dem Wunsch erfüllt ist, die Menschen zu überzeugen und ihren Glauben zu wecken. 5. Es gibt in den Evangelien freilich auch Fälle besonderer Art, wie das im Johannesevangelium berichtete Gespräch mit der Samariterin. Der Frau, die zu ihm sagt: „Ich weiß, daß der Messias kommt, das ist: der Gesalbte (Christus). Wenn er kommt, wird er uns alles verkünden“, antwortet Jesus: „Ich bin es, ich, der mit dir spricht“ (Joh 4,25-26). Nach dem Zusammenhang zu urteilen, gewann Jesus die Samariterin, die er als bereitwillige Zuhörerin erkannt hatte, denn als sie in die Stadt zurückkehrte, teilte sie den Leuten eilends mit: „Kommt her, seht, da ist ein Mann, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe: Ist er vielleicht der Messias?“ (Joh 4,29). Von ihren Worten bewegt, gingen viele Samariter Jesus entgegen, hörten ihm zu und zogen ihrerseits den Schluß: „Er ist wirklich der Retter der Welt“ (Joh 4,42). 58 AUDIENZEN UND ANGELUS 6. Unter den Einwohnern von Jerusalem dagegen riefen die Worte und Wundertaten Jesu Fragen nach seiner Messianität hervor. Manche schlossen aus, daß er der Messias sein könnte: „Aber von dem hier wissen wir, woher er stammt; wenn jedoch der Messias kommt, weiß niemand, woher er stammt“ {Joh 7,27). Andere hingegen sagten: „Wird der Messias, wenn er kommt, mehr Zeichen tun, als dieser getan hat?“ {Joh 7,31). „Ist er etwa der Sohn Davids?“ {Mt 12,23). Auch der Hohe Rat griff ein, indem er beschloß, „jeden, der ihn als den Messias bekenne, aus der Synagoge auszustoßen“ {Joh 9,22). 7. So sind wir in der Lage, die Schlüsselstellung des Gesprächs Jesu mit den Aposteln bei Cäsarea Philippi zu begreifen. „Jesus... fragte seine Jünger: Für wen halten mich die Menschen? Sie sagten zu ihm: Einige für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für sonst einen von den Propheten. Da fragte er sie: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Simon Petrus antwortete ihm: Du bist der Messias!“ (Mk 8,27-29; vgl. auch Mt 16,13-16 und Lk 9,18-21). 8. Nach dem Matthäusevangelium gibt diese Antwort Jesus die Gelegenheit, den Primat des Petrus in der künftigen Kirche anzukündigen (vgl. Mt 16,18). Nach Markus verbietet Jesus den Aposteln nach der Antwort des Petrus mit aller Strenge, „mit jemand über ihn zu sprechen“ {Mk 8,30). Wir können daraus schließen, daß Jesus nicht nur nicht verkündete, der Messias zu sein, sondern auch nicht wollte, daß die Apostel zum damaligen Zeitpunkt die Wahrheit über seine Identität verbreiteten. Er wollte nämlich, daß die Zeitgenossen durch das Hinsehen auf seine Werke und das Hinhören auf seine Lehre zu dieser Überzeugung gelangten. Andererseits beweist die Tatsache, daß die Apostel von dem überzeugt waren, was Petrus im Namen aller ausgesprochen hatte: „Du bist der Messias“, daß die Werke und Worte Jesu eine ausreichende Grundlage darstellten, auf der der Glaube an ihn als Messias Grund finden und sich entfalten konnte. 9. Aber die Fortsetzung jenes Gesprächs, die wir in den beiden Paralleltexten bei Markus und Matthäus lesen, ist noch bezeichnender dafür, wie Jesus über seine Messianität dächte (vgl. Mk 8,31-33; Mt 16,21-23). Fast in engem Zusammenhang mit dem Glaubensbekenntnis der Apostel begann nämlich Jesus, „sie darüber zu belehren, der Menschensohn müsse vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er werde getötet, aber nach drei Tagen werde er auferstehen“ {Mk 8,32). Der Evangelist Markus bemerkt: „Jesus redete ganz offen darüber“ {Mk 8,32). Markus sagt: „Da nahm ihn Petrus beiseite und machte ihm Vorwürfe“ (ebd.). Nach Matthäus lautete der Vorwurf des Petrus wie folgt: „Das 59 AUDIENZEN UND ANGELUS soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen!“ {Mt 16,22). Die Reaktion des Meisters: „Jesus wies Petrus mit den Worten zurecht: ,Weg mit dir, Satan! Geh mir aus den Augen! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“ “ (Mk 8,33; vgl. Mt 16,23). 10. In diesem Vorwurf des Meisters kann man so etwas wie ein fernes Echo jener Versuchung in der Wüste erkennen, die Jesus zu Beginn seiner messia-nischen Tätigkeit bestanden hat (vgl. Lk 4,1-13), als der Satan ihn davon abbringen wollte, den Willen des Vaters bis zum Ende zu erfüllen. Den Aposteln und insbesondere Petrus, die zwar ihren Glauben an die messianische Sendung Jesu bekannt hatten: „Du bist der Messias“, gelang es nicht, sich völlig von der allzu menschlichen und irdischen Messias-Vorstellung zu befreien und die Aussicht auf einen Messias, der leiden und sterben würde, zu akzeptieren. Noch im Augenblick der Aufnahme Jesu in den Himmel sollten sie ihn fragen: „Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her?“ (Apg 1,6). 11. Gerade auf diese Haltung reagiert Jesus mit großer Entschiedenheit und Strenge. In ihm entsprach das Bewußtsein von seiner messianischen Sendung den Liedern vom Gottesknecht bei Jesaja und insbesondere dem, was Jesaja über den leidenden Knecht gesagt hatte: „Vor den Augen des Herrn wuchs er auf wie ein junger Sproß, wie der Trieb einer Wurzel aus trockenem Boden. Er hatte keine schöne und edle Gestalt ... Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit der Krankheit vertraut. Wie ein Mensch, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er bei uns verfemt und verachtet. Aber er hat unsere Krankheiten getragen und unsere Schmerzen auf sich genommen .. . Er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unseren Sünden mißhandelt“ (Jes 53,2-5). Jesus verteidigt diese Wahrheit über den Messias mit Nachdruck in der , Absicht, sie an sich bis zum Äußersten zu verwirklichen, weil in ihr der Heilswille des Vaters zum Ausdruck kommt: „Mein Knecht ist gerecht, darum macht er, viele gerecht“ (Jes 53,11). Auf diese Weise bereitet er sich und die Seinen auf das Geschehen vor, in dem das Messias-Geheimnis seine volle Erfüllung finden wird: das Pascha seines, Todes und seiner Auferstehung. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Heute, am Aschermittwoch, begehen wir einen besonderen Tag im liturgischen Jahr, der seine große Bedeutung hat auch für unseren eigenen inneren Weg auf das Reich Gottes zu. Heute beginnt nämlich die Fastenzeit, die in die 60 AUDIENZEN UND ANGELUS heilige Karwoche einmündet und das Osterfest vorbereitet. Diese Zeit lädt uns dazu ein, das Geheimnis des Kreuzes Christi tiefer in unserem Leben zu vollziehen, um dann auch das Geheimnis der Auferstehung besser zu begreifen und zu leben. Als Jesus seine öffentliche Tätigkeit mit dem Aufruf zur Umkehr begann, weil die Zeit erfüllt und das Reich Gottes nahe sei, begannen einige seiner Zeitgenossen zu ahnen, daß sich in der Person Jesu der langersehnte Messias, der Gesalbte Gottes, ^zeigte. Sie achteten nun aufmerksamer auf seine Taten und bedachten sorgfältiger seine Worte. Für einige von ihnen wurde es so ganz klar: Mit dem Apostel Andreas konnten sie voller Freude ausrufen: „Wir haben den Messias gefunden.“ Andere aber zweifelten und machten Einwände; denn im Bewußtsein der damaligen Juden verband sich mit der Person des Messias eher die Vorstellung eines großen Königs und starken Befreiers, und dies vor allem im politischen Sinne. So nennt sich auch Jesus selbst nur selten „Messias“; eher verweist er, wie zum Beispiel in seiner berühmten Antwort an Johannes den Täufer, auf seine Taten und Zeichen, die besser als jener mehrdeutige Titel seine eigentliche Sendung umschrieben. Vor allem begann er, den engsten Kreis seiner Jünger in das schwierige Geheimnis einzuführen, daß er leiden und sterben müsse als das „Lamm Gottes“, als Opfer für Wahrheit und Gerechtigkeit im Reiche des Vaters, um so dann in seine Herrlichkeit einzugehen. Diese Seite im Bild des Messias war damals weniger bewußt, obwohl sie beim Propheten Jesaja in der Gestalt des „leidenden Gottesknechtes“ tief und ausdrucksstark dargestellt war. So mußten auch die Jünger Jesu zusammen mit ihrem Meister eine Fastenzeit und eine Karwoche durchschreiten, um zum vollen Licht des Ostertags zu gelangen. Euch allen, die ihr bei dieser Audienz aus den deutschsprachigen Ländern anwesend seid, wünsche ich einen ebenso fruchtbaren Weg durch die Fastenzeit dieses Jahres zum großen Fest unserer Hoffnung in Gott. In besonderer Weise gilt dieser mein Wunsch den Ordensschwestern, die ihr geistliches und theologisches Leben gegenwärtig am Institut „Regina Mundi“ hier in Rom vertiefen. Ihnen allen, zusammen mit den Professoren und Schwestern, die solche Vertiefung möglich machen, gilt meine Anerkennung und Ermutigung. Gleiche Hochachtung bekunde ich den Ärzten, Schwestern und Pflegern des Sankt-Joseph-Krankenhauses in Freiburg im Breisgau, die auf dieser gemeinsamen Pilgerfahrt das christliche Fundament ihres Einsatzes im Dienst am kranken Mitmenschen stärken wollen. Euch allen erbitte ich den gnädigen Schutz Gottes und seinen machtvollen Segen. 61 AUDIENZEN UNDANGELUS Priestertum gründet in der Taufe Angelus am 8. März 1. Heute, am ersten Fastensonntag, konzentriert die Kirche unser Denken auf die Notwendigkeit, daß wir uns mit reumütigem Herzen durch Gebet und Büße auf die Feier der großen Ostergeheimnisse vorbereiten. Auf diese Weise bietet sie auch einen dichten Kontext eindrucksvoller Spiritualität für die Überlegungen, die wir im Ausblick auf die Bischofssynode über die Berufung und Sendung der Laien anstellen. In der Atmosphäre der Fastenzeit — der „starken“ Zeit des Geistes — trifft es sich gut, auf die Realität des allgemeinen Priestertums der Gläubigen und die Beziehung hinzuweisen, die es innerhalb des Gottesvolkes zum hierarchischen Priestertum hat. 2. Das allgemeine Priestertum gründet im Taufsäkrament. Alle Christen sind im wahren und echten Sinn Priester. Die Offenbarung bestätigt es eindeutig. Das zweite Vatikanum bekräftigt die biblische Lehre und holt Aspekte hervor, die aufgrund verschiedener Umstände in den Schatten gestellt worden waren. Hier die Worte des Konzils: „Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften zu einem geistigen Bau und einem heiligen Priestertum geweiht, damit sie in allen Werken eines christlichen Menschen geistige Opfer darbringen und die Machttaten dessen verkünden, der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat“. {Lumen gentium, Nr. 10). Das Konzil unterstreicht auf dem Fundament der Offenbarung die gemeinschaftliche Dimension dieser Wirklichkeit: In der Tat führt der Begriff des allgemeinen Priestertums und vor allem die Vision, die die Bibel davon gibt, zu einer Betonung des gemeinschaftlichen Zeugnisses. Diejenigen, die „ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heüiger Stamm“ sind (I Petr 2,9), führen die Heiden und Fernstehenden zur Einsicht, Gott durch „ein rechtschaffenes Leben“ und „gute Taten“ (vgl. 1 Petr 2,12) zu preisen. Diese Auffassung vom Priestertum der Gläubigen lenkt auf ein Apostolat hin, das das Zeugnis des einzelnen voraussetzt, ja darüber hinausgeht, um die Bedeutung des gemeinschaftlichen Zeugnisses hervorzuheben. 3. Die Würde des allgemeinen Priestertums bringt Verantwortlichkeit mit sich, denen sich die Christen in den komplexen Situationen, in denen sie mit den anderen Männern und Frauen leben, stellen müssen. Trotzdem sind sie nicht sich selbst überlassen. Der Herr hat das Weihesakrament eingerichtet, 62 AUDIENZEN UND ANGELUS das die Fortdauer der Aufgaben sicherstellt, mit denen er die Apostel als Hirten der von ihm gegründeten Kirche betraut hat. Darin besteht das Priestertum des Dienstes, kraft dessen einige Glieder des Gottesvolkes, erwählt und berufen von Gott selbst, einzeln mit einer heiligen Gewalt bekleidet werden, „in der Person Christi das eucharistische Opfer vollziehen und es im Namen des ganzen Volkes Gott darbringen“ (vgl. Lumen gentium, Nr. 10). Die Lehre des Konzils ist sehr präzise: „Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grad nach. Dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie das andere nämlich nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil“ (ebd.). Die Aufwertung auf doktrinärer wie auf praktischer Ebene sowohl der ursprünglichen Identität des Priestertums — Teilnahme an dem einen Priestertum Christi — als auch des wesentlichen Unterschieds des Priestertums des Dienstes gegenüber dem allgemeinen gewährleistet jene höhere Harmonie, die ein unerläßlicher Faktor des echten seelsorglichen Fortschritts ist. Maria, die Mutter des ganzen priesterlichen Volkes, helfe allen seinen Gliedern, der eigenen heiligen Berufung und Sendung treu zu sein. Nach dem Angelusgebet sagte der Papst: Auf dem Petersplatz sind zahlreiche Vertreterinnen katholischer Frauenvereinigungen anwesend, die sich anläßlich des Tages der Frau heute morgen in der Aula magna des Augustianums versammeln wollten, um über das Thema: „Demokratie — Bedeutung, Entscheidung, Stil für jede Frau“ zu diskutieren. Ich begrüße sie herzlich und ermutige sie in ihrem Einsatz, die zeitliche Ordnung christlich zu beleben. Wie bekannt, ist die Kirche an den Fragen hinsichtlich der Präsenz der Frau in der Gesellschaft interessiert, vor allem in bezug auf die unbestrittene Bekräftigung ihrer Rolle im Bereich der Familie sowie auf die berechtigte Anerkennung der gesellschaftlichen und bürgerlichen Rechte im Licht der Würde und Identität jeder Frau. Mit diesen Wünschen versichere ich allen Frauen mein Gebet, besonders jenen, die leiden und in Not sind. Während ich alle Anwesenden grüße, denke ich besonders an die Jugendlichen aus verschiedenen Nationen der Europäischen Gemeinschaft, die Gewinner des Preisausschreibens 1986 „Jugend begegnet Europa“ sind. Euch und den Veranstaltern dieser sympathischen Initiative bekunde ich meine Freude, und mit dem Wunsch, daß ihr euch immer mit Begeisterung für die Solidarität und den Frieden unter den Völkern einsetzen mögt, erteile ich euch von Herzen den Apostolischen Segen. 63 AUDIENZEN UND ANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst: : Herzlich grüße ich die anwesenden Gläubigen aus Fulda auf ihrer mariani-schen Pilgerfahrt zu den Marienheiligtümem in Rom und Umgebung, ebenso auch die Teilnehmer der Pilgerfahrt von Familien aus Österreich und Deutschland, die mit der Internationalen Gemeinschaft; „Das Werk“ verbunden sind. Gern empfehle ich eurem Gebet auch die großen Anliegen der Kirche, der christlichen Familie und des Friedens unter den Völkern. Euren Aufenthalt in der Ewigen Stadt begleite ich mit meinem besonderen Segen. Die Laien leisten einen unersetzlichen Dienst Angelus am 15. März 1. „Den Laien ist der Weltcharakter in besonderer Weise eigen“ (Lumen gentium, Nr. 31). Mit dieser Bekräftigung hält das Konzil den besonderen und unterschiedlichen Wesenszug der kirchlichen Persönlichkeit der gläubigen Laien fest. Als Glieder des Gottesvolkes und des mystischen Leibes im Vollsinn und als Teilhaber — durch die Taufe — des dreifachen priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes Christi bringen die Laien die Vielfalt ihrer Würde in ihrem Leben in der Welt zum Ausdruck und üben sie dort aus. Was für die Angehörigen des Priestertums des Dienstes eine zusätzliche oder außergewöhnliche Aufgabe sein kann, ist für die Laien kennzeichnender. Sendungsauftrag. Die ihnen eigene Berufung ist es, „in der Verwaltung und gottgemäßen Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen“ {Lumen gentium, ebd.). 2. Durch ihre Anwesenheit und ihr Tun gewährleisten die Laien die Anwesenheit und das Tun der Kirche im vielfältigen Gesamt der irdischen Aufgaben und Werke. Einzeln und gemeinsam leisten sie einen unersetzlichen Dienst an „vorderster Front“, wohin die Aufmerksamkeit des hierarchischen Dienstes nicht immer direkt gelangen kann. Im Bereich der Kultur, der wissenschaftlichen Forschung, der Politik, der Arbeit, in allen Zweigen des gesellschaftlichen Lebens lassen die Söhne und Töchter der Kirche im Netz der täglichen Ereignisse die Charismen der christlichen Identität Frucht tragen. Sie tun es, indem sie ehrlich und bewußt am Fortschritt mitwirken, auf den die menschliche Gemeinschaft in jedem Bereich hinstrebt, und sie wägen ständig seine Ausrichtungen und Verfahrens- 64 AUDIENZEN UNDANGELUS weisen im Licht des transzendentalen Ausblicks ab, in der Überzeugung, daß die Erwartung des neuen Himmels und der neuen Erde „die Sorge für die Gestaltung dieser Erde nicht abschwächen darf“ (Gaudium et spes, Nr. 39). 3. Den anspruchsvollen Gleichnissen des Evangeliums, „Salz“, „Licht“, „Sauerteig“ (vgl. Mt 5,13-14; 13,33), hat .das .Zweite Vatikanum neues Gewicht verliehen. Es hat unzweideutig gewarnt vor Versuchen zum Kompromiß mit dem Weltgeist und hat gleichzeitig betont, daß die gesamte Schöpfung von einem Plan der Vorsehung durchzogen ist, dessen ursprüngliche Wahrheit und Schönheit hervorzuheben und zu bezeugen Aufgabe der Christen ist. Dies ist ein Antrieb in der Abfolge der Tage, den tiefen Sinn der Geschichte zu entdecken und mit glühender Hoffnung an der Gestaltung der „neuen Welt“ mitzuwirken, jenes Reiches, dessen „Seligkeit jede Sehnsucht nach Frieden in den Herzen der Menschen erfüllt und übertrifft“ (Gaudium et spes“, Nr. 39) . Alles menschenwürdige Tun hat in Gott, dem Schöpfer, seinen höchsten Ursprung und ist letztendlich immer auf Gott hingeordnet (vgl. Röm 8,19). Damit unter den katholischen Laien die von ihrer besonderen Berufung und Sendung geforderte Reife immer mehr wachse, bitten wir um den ständigen Beistand Mariens Und ihres Bräutigams, des hl. Josef, dessen liturgisches Fest wir in wenigen Tagen begehen. Was versteht Christus unter Reich Gottes? Ansprache bei der Generalaudienz am 18. März 1. „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe“ (Mk 1,15). Mit diesen Worten beginnt Jesus von Nazaret seine messianische Verkündigung. Das Reich Gottes, das in Jesus in das Leben und in die Geschichte des Menschen einbricht, stellt die Erfüllung der Heilsverheißungen dar, die Israel vom Herrn empfangen hatte. Jesus offenbart sich als Messias, nicht weil er eine irdische und politische Herrschaft nach den Vorstellungen seiner Zeitgenossen anstrebt, sondern weil er mit seiner Sendung, die in Leiden, Tod und Auferstehung ihren Höhepunkt findet, „das Ja zu allem ist, was Gott verheißen hat“ (2 Kor 1,20). 2. Um die Sendung Jesu voll zu erfassen, muß man an die Botschaft des Alten Testaments erinnern, die die heilbringende Königsherrschaft des Herrn verkündet. Im Lied Mose {Ex 15,1-18) wird der Herr als „König“ gerühmt, weil 65 AUDIENZEN UND ANGELUS er sein Volk auf wunderbare Weise befreit und es mit Macht und Liebe zur Gemeinschaft mit ihm und mit den Brüdern in der Freude der Freiheit geführt hat. Auch der sehr alte Psalm 29 gibt Zeugnis, von demselben Glauben: der Herr wird in der Macht seiner Königsherrschaft geschaut, die über die ganze Schöpfung herrscht und seinem Volk Kraft, Segen und Frieden zuteil werden läßt (vgl. Ps 29,10). Vor allem in der Berufung des Jesaja erscheint der Glaube an den Herrn als „König“ ganz vom Thema Heilsrettung durchdrungen. Der „König“, den der Prophetmit den Augen des Glaubens „auf einem hohen und erhabenen Thron“ (sitzen) sieht (Jes 6,1), ist Gott im Geheimnis seiner transzendenten Heiligkeit und seiner gütigen Barmherzigkeit, mit der er für sein Volk als Quelle der läuternden, verzeihenden und rettenden Liebe gegenwärtig ist: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere. Von seiner Herrlichkeit ist die ganze Erde erfüllt“ (Jes 6,3). Dieser Glaube an das heilbringende Königtum des Herrn verhinderte, daß sich beim Volk des Alten Bundes die Monarchie wie bei den anderen Völkern in autonomer Weise entwickelte: der König ist der Erwählte, der Gesalbte des Herrn und als solcher ist er das Werkzeug, durch das der Herr selbst seine Herrschaft über Israel ausübt (vgl. 1 Sam 12,12-15). „Der Herr herrscht als König“, verkünden die Psalmen unablässig (vgl. Ps 5,3; 9,6; 29,10; 93,1; 97,1-4; 146,10). 3. Angesichts der schmerzlichen Erfahrung der menschlichen Begrenztheit und Sünde kündigen die Propheten einen neuen Bund an, in dem der Herr selbst der rettende und königliche Führer seines erneuerten Volkes sein wird (vgl. Jer 31,31-34; Ez 34,7-16; 36,24-28). In diesem Zusammenhang entsteht die Erwartung eines neuen David, den der Herr erwecken wird, damit er zum Werkzeug der Exodus, der Befreiung und des Heils werde (vgl. Ez 34,23-25; Jer 23,5-6) Von da an wird die Gestalt des Messias in inniger Beziehung zur Enthüllung des vollen Königtums Gottes erscheinen. Obwohl die Einrichtung der Monarchie in Israel langsam zu Ende ging, hat sich nach dem Exil der Glaube an die Königsherrschaft, die Gott in seinem Volk ausübt und die sich bis an die „Enden der Erde“ erstrecken wird, immer weiter vertieft. Die Psalmen, die den Herrn als König besingen, stellen das bedeutendste Zeugnis für diese Hoffnung dar (vgl. Ps 96-99). Diese Hoffnung erreicht ihre größte Intensität, wenn der Blick des Glaubens über die Zeit der menschlichen Geschichte hinausgeht und begreift, daß das Reich Gottes erst in der zukünftigen Ewigkeit in seiner ganzen Macht hergestellt wird: dann werden durch die Auferstehung die Erlösten in der vollen Ge- 66 AUDIENZEN UND ANGELUS meinschaft des Lebens und der Liebe mit dem Herrn sein (vgl. Dan 7,9-10; 12,2-3). 4. Auf diese Hoffnung des Alten Testaments nimmt Jesus Bezug und verkündet sie als erfüllt. Das Reich Gottes bildet das zentrale Thema seiner Verkündigung, wie in besonderer Weise die Gleichnisse deutlich machen. Das Gleichnis vom Sämann {Mt 13,3-8) verkündet, daß das Reich Gottes in der Verkündigung Jesu bereits wirksam ist, und zugleich lenkt es den Blick auf das Übermaß der Früchte, die am Ende der Zeiten die überfließende Fülle des Reiches ausmachen werden. Das Gleichnis vom Samen, der von allein wächst (Mk 2,26-29), unterstreicht, daß das Reich nicht Menschenwerk, sondern einzig und allein Geschenk der Liebe Gottes ist, die im Herzen der Gläubigen wirkt und die Geschichte des Menschen zu ihrer endgültigen Erfüllung in der ewigen Gemeinschaft mit dem Herrn führt. Die Gleichnisse vom Unkraut im Weizen {Mt 13,24-30) und vom Fischnetz {Mt 13,47-52) haben vor allem die bereits wirksame Gegenwart des göttlichen Heils vor Augen. Neben den „Söhnen des Reiches“ stehen jedoch auch die „Söhne des Bösen“, die Unrecht und Frevel begehen: erst am Ende der Geschichte werden die Mächte des Bösen Zerstört, und wer das Reich angenommen hat, wird für immer beim Herrn sein. Schließlich sind die Gleichnisse vom Schatz im Acker und von der kostbaren Perle {Mt 13,44-46) Ausdruck des höchsten und absoluten Wertes des Reiches Gottes: wer das begreift, ist bereit, jedes Opfer und jeden Verzicht auf sich zu nehmen, um in dieses Reich einzugehen. 5. Aus der Lehre Jesu geht eine strahlend leuchtende Fülle hervor. Das Reich Gottes in seiner vollen und vollständigen Verwirklichung gehört sicher der Zukunft an, es „soll kommen“ {Mk 9,1; Lk 22,18); das Vaterunser lehrt uns, um sein Kommen zu bitten: „Dein Reich komme“ {Mt 6,10). Gleichzeitig jedoch behauptet Jesus, daß das Reich Gottes „schon gekommen ist“ {Mt 12,28), „das Reich Gottes ist schon mitten unter euch“ {Lk 17,21) — durch die Verkündigung und die Werke Jesu. Außerdem geht aus dem ganzen Neuen Testament hervor, daß die von Jesus gegründete Kirche der Ort ist, wo das Königtum Gottes in Christus gegenwärtig wird: als Geschenk des Heiles im Glauben, des neuen Lebens im Geist, der Gemeinschaft in der Liebe. So wird die innige Beziehung zwischen dem Reich Gottes und Jesus deutlich, eine Beziehung, die so stark ist, daß das Reich Gottes auch „Reich Christi“ genannt werden kann (Eph 5,5; Petr 1,11), wie übrigens Jesus selbst vor Pilatus bestätigt, wenn er daraufhinweist, daß „sein“ Reich nicht von dieser Welt ist {Joh 18,36). 67 AUDIENZEN UNDANGELUS 6. In diesem Licht können wir die Bedingungen verstehen, die Jesus für den Eintritt in das Reich nennt. Sie lassen sich in dem Wort „Bekehrung“ zusammenfassen. Durch die Bekehrung öffnet sich der Mensch dem Geschenk Gottes (vgl. Lk 12,32), der ihn „zu seinem Reich und zu seiner Herrlichkeit beruft“ (Thess 2,12): er nimmt das Reich Gottes an wie ein Kind (vgl. Mk 10,15) und ist zu jedem Verzicht bereit, um in das Reich eingehen zu können (vgl. Lk 18,29; Mt 19,29; Mk 10,29). / Das Reich Gottes fordert eine tiefe oder neue „Gerechtigkeit“ (vgl. Mt 5,20); es verlangt Einsatz bei der Erfüllung des „Willens Gottes“ (Mt 7,21); es fordert innere Lauterkeit „nach Art der Kinder“ (Mt 18,3; Mk 10,15); es schließt die Überwindung des Hindernisses ein, das der Reichtum darstellt (vgl. Mk 10,23-24). 7. Die von Jesus verkündeten Seligpreisungen (vgl. Mt 5,3-12) erscheinen als die „Magna Charta“ des Himmelreiches, das denen gehört, die arm sind vor Gott; den Trauernden, den Sanftmütigen; denen, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; den Barmherzigen; denen, die ein reines Herz haben, die Frieden stiften, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden. Die Seligpreisungen nennen nicht nur die Forderungen des Reiches Gottes; sie bekunden vor allem das Werk, das Gott dadurch an uns vollbringt, daß er uns seinem Sohn ähnlich macht (vgl, Rom 8,29) und uns befähigt, so gesinnt zu sein wie er (vgl. Phil 2,5 ff.), seine Gesinnung der Liebe und Vergebung zu haben (vgl. Joh 13,34-35; Ko/ 3,13). Die Lehre Jesu über das Reich Gottes wird von der Kirche des Neuen Testaments bezeugt, die sie in der Freude ihres österlichen Glaubens gelebt hat. Sie ist die Gemeinde der „Kleinen“, die der Vater „der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen hat in das Reich seines geliebten Sohnes“ (Kol 1,13); sie ist die Gemeinde derer, die „in Christus“ leben, Während sie sich vom Geist auf den Weg des Friedens führen lassen (vgl. Lk 1,79) , und die kämpfen, um nicht „in Versuchung zu fallen“ und um die Werke des „Fleisches“ zu meiden, weil sie nur zu gut wissen, daß „wer so etwas tut, das Reich Gottes nicht erwerben wird“ (Gal 5,21). Die Kirche ist die Gemeinschaft derer, die mit ihrem Leben und ihrem Wort dieselbe Botschaft verkünden wie Jesus: „Das Reich Gottes ist euch nahe“ (Lk 10,9). 9. Die Kirche, die „im Gang der Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegenstrebt, bis an ihr sich Gottes Worte erfüllen“ (Del ver-bum, Nr. 8), betet bei jeder Eucharistiefeier zum Vater, daß „sein Reich komme“. Sie lebt in brennender Erwartung der glorreichen Ankunft des Herrn und Erlösers Jesus, die der göttlichen Majestät „das ewige und universale 68 AUDIENZEN UND ANGELUS Reich“ darbieten wird, „das Reich der Wahrheit und des Lebens, das Reich der Heiligkeit und der Gnade, das Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens (Präfation des Christkönigsfestes). Diese Erwartung des Herrn ist unaufhörliche Vertrauens- und Kraftquelle, Sie spornt die Getauften, die zu Teilhabern an der Königswürde Christi geworden sind, dazu an, jeden Tag „im Reich des geliebten Sohnes“ zu leben und mit den Werken Jesu die Gegenwart des Reiches zu bezeugen und zu verkündigen (vgl. Joh 14,12). Kraft dieses Zeugnisses des Glaubens und der Liebe soll — so lehrt das Konzil — , ,die Welt vom Geist Christi erfüllt werden und in der Gerechtigkeit, Liebe und Frieden ihr Ziel wirksamer erreichen“ {Lumen gentium, Nr. 36). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe“ (Mk 1,15). Mit diesen Worten beginnt. Jesus von Nazaret seine messianische Verkündigung. Er offenbart sich als der erwartete Messias dadurch, daß sich in seiner Sendung alle Verheißungen Gottes des Alten Bundes erfüllen. Schon die alttestamentlichen Schriften sprechen vom „König“, der auf einem „hohen und erhabenen Thron“ sitzt (Jes 6,1); von der errettenden Köftigsherr-schaft des Herrn, der sein Volk befreien wird. Die Propheten verkünden so den kommenden Messias als einen neuen David, in dem das Königtum Gottes zur vollen Entfaltung kommt. Jesus selbst lehrt dann die Ankunft des Reiches Gottes in seinem eigenen Wirken. Es ist in seiner Person schon anwesend und wirksam — und doch ist es in seiner Fülle erst am Kommen. Deshalb lehrt Christus uns im Vaterunser beten: „Dein Reich komme“. Zugleich verkündet er die Bedingungen, die erforderlich sind, um in das Reich Gottes einzutreten. Es bedarf vor allem der Umkehr, der Bekehrung zur inneren Lauterkeit eines Kindes, zum Gehorsam gegen Gottes Willen, zu jenen Verhaltensweisen, die von Christus in den Seligpreisungen der Bergpredigt als „Magna Charta“ des Reiches Gottes herausgestellt werden. Dementsprechend versteht sich die Kirche im Evangelium als die Gemeinde der „Kleinen“, der „Armen im Geiste“, die Gott der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen hat in das Reich seines geliebten Sohnes (vgl. Kol 1,13). Mit dieser kurzen Betrachtung grüße ich herzlich alle heutigen Audienzteilnehmer deutscher Sprache:, aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ich grüße die genannten Pfarrgruppen und besonders die zahlreichen Jugend- 69 AUDIENZEN UND ANGELUS liehen unter euch. Nutzt die jetzige Vorbereitungszeit auf das Osterfest, um dem Reich Gottes in euch selbst wieder mehr Platz zu geben. Sein Reich kommt in dem Maße, wie wir seinem Willen und seiner Freundschaft in unserem Leben den Vorzug geben. Gott stärke euch dazu mit meinem besonderen Segen. ■ Volk Gottes ist kein soziologischer Begriff Angelus am 22. März 1. Die bedeutenden Themen dieser heiligen Fastenzeit halten uns die Phasen der Heilsgeschichte von ihren Anfängen an vor Augen und rufen sie uns in Erinnerung. Es ist die Geschichte eines Mysteriums, die mit deim unmittelbaren Eingreifen Gottes in den Lebensablauf seines Volkes verwoben ist: Ein Volk, das er erwählt, dem er beisteht und das er führt in einem Bund, der mit einem Prozeß der Befreiung einhergeht. Aber die Durchführung des großartigen und eindrucksvollen göttlichen Plans zielt auf ein Geschehen hin, angesichts dessen die vorhergegangenen Geschehnisse den Aspekt der Vorbereitung, des „Schattens“, des „Gleichnisses“ (vgl .Kol 2,16-17) annehmen. Es ist das höchste, einmalige und unwiederholbare Ereignis der Menschwerdung, des Opfertodes und der Auferstehung des Menschensohnes, mit einem Wort: das Ostergeheimnis. Daraus erwachsen die Bande des Neuen Bundes, durch den Christus, kraft seines Blutes, das neue Gottesvolk gründet und dazu beruft, auf den Wegen der Geschichte zum vollen Heil zu gelangen. 2. Im 2. Kapitel von Lumen gentium erinnert das Konzil daran: „Gott hat es aber gefallen, die Menschen nicht einzeln, unabhängig von aller wechselseitigen Verbindung, zu heiligen und zu retten, sondern sie zu einem Volk zu machen, das ihn in Wahrheit anerkennen und ihm in Heiligkeit dienen soll“ (Lumen gentium, Nr. 9). Auf diese Weise wird die persönliche Beziehung zu Gott gewiß nicht unterbewertet. Sie wird, im Gegenteil, bekräftigt in der Verpflichtung zu einer Offenheit im Hinblick auf die Gesellschaft, die in Gott selbst ihren Ursprung hat. Hier einige prophetische Worte: „Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein “ (Jer 31,33); „Ihr werdet mein Volk sein, und ich werde euer Gott sein“ (Ez 36,28). Es handelt sich nicht um ein Volk im rein geschichtlichen, geographischen, soziologischen Sinn. Es handelt sich um ein messianisches Volk, das wahre 70 AUDIENZEN UNDANGELUS Gottesvolk, das Christus zum Haupt hat. „Seinem Stand eignet die Würde und die Freiheit der Kinder Gottes ... Sein Gesetz ist das neue Gebot, zu lieben, wie Christus uns geliebt hat... Seine Bestimmung ist das Reich Gottes ... von Christus als Gemeinschaft des Lebens, der Liebe und der Wahrheit gestiftet“ (Lumen gentium, Nr. 9). 3. Der zentrale Gedanke der Lehre des Konzils ist — wie die außerordentliche Bischofssynode 1985 nachdrücklich betonte — die Communio-Ekklesio-logie (vgl. Schlußbericht, C, 6). In diesem Licht erlangen die Charakteristika des Gottesvolkes, die Vorrechte seiner Glieder, die Wechselwirkung ihrer Beziehungen eine besondere Bedeutung — klarer im Hinblick auf ihre Natur und stärker verpflichtend, was das Tun betrifft. Die Einheit des gesamten Gottesvolkes, die Universalität in Zeit und Raum, auf die seine Mission ausgerichtet ist, die gleiche grundlegende Würde aller seiner Glieder, die Verschiedenheit der Aufgaben und Charismen selbst finden in der Wirklichkeit und im Geist der Communio die notwendige und fruchtbringende Unterstützung. Communio heißt im Grunde Einheit mit Gott durch Christus im Heiligen Geist und Einheit mit den Brüdern im Glauben und mit dem ganzen Menschengeschlecht in einer klaren und konsequenten Solidarität. Maria von Nazaret, die wir am kommenden Mittwoch liturgisch im unvergleichlichen Geheimnis der Verkündigung ehren werden, helfe uns allen, die Fastenzeit und die Vorbereitung auf die Synode über unsere Brüder und Schwestern im Laienstand auf diese Horizonte hin auszurichten. Eine Enzyklika in biblischem Horizont Ansprache bei der Generalaudienz am 25. März 1. Das Fest der Verkündigung des Herrn, das wir heute feiern, lenkt unsere Gedanken auf das Haus in Nazaret und hüllt uns in das schweigende Staunen ein, das wir gewöhnlich bei Betrachtung des Heiligen Geistes verspüren, dessen Licht und Kraft die „begnadete“ Jungfrau erfüllte. Es ist das geheimnisvolle Ereignis, auf das die ganze Geschichte wartete und auf das seither die Geschichte mit immer neuem Staunen zustrebt und weiter zustreben wird. In jene außergewöhnliche Verbindung zwischen Himmel und Erde, deren — der geschöpflichen Welt angehörende — Hauptgestalten der Engel und das de- 71 AUDIENZEN UNDANGELUS mütige Mädchen aus dem Volk Israel waren, mündete der Lauf der Jahrhunderte ein, zeigte die „Fülle der Zeit“ den verborgenen Augenblick an, in dem der Sohn Gottes kam, um unter uns zu wohnen (vgl. Joh 1,14). Dieses wunderbare Ereignis ist durch Maria, die Mutter des Erlösers, möglich gemacht worden. Ohne ihr „Ja“ zur Initiative Gottes wäre Christus nicht geboren. 2. In die geistliche Atmosphäre des Geheimnisses der Verkündigung und seine liturgische Datierung habe ich die der Jungfrau Maria gewidmete Enzyklika gestellt, die ich am 1. Januar angekündigt hatte und die heute im Ausblick auf das Marianische Jahr veröffentlicht wird. Ich habe mich lange Zeit gedanklich damit beschäftigt. Ich habe sie lange im Herzen gehegt. Nun danke ich dem Herrn, daß ich den Söhnen und Töchtern der Kirche diesen Dienst anbieten und damit Erwartungen entsprechen durfte, die verschiedentlich an mich herangetragen worden waren. 3. Diese Enzyklika besteht im wesentlichen in einer „Meditation“ über die Offenbarung des Heilsgeheimnisses, das Maria zu Beginn der Erlösung mitgeteilt wurde und an dem sie auf ganz außergewöhnliche und außerordentliche Weise teilzuhaben und mitzuwirken berufen war. Es ist eine Meditation, die auf die Lehre des Konzils, besonders auf das achte Kapitel der dogmatischen Konstitution Lumen gentium über die „selige jungfräuliche Gottesmutter Maria im Geheimnis Christi und der Kirche“, zürück-greift und sie in bestimmten Aspekten vertieft. Ihr wißt, liebe Brüder und Schwestern, daß dieses Kapitel die Krönung des grundlegenden Dokumentes des Zweiten Vaticanums darstellt; ein besonders bedeutsamer Text, hat doch bis dahin kein ökumenisches Konzil eine derart umfangreiche Synthese der katholischen Lehre darüber vorgelegt, welche Stellung die allerseligste Jungfrau Maria im Geheimnis Christi und der Kirche einnimmt. Die Überlegungen, die daraus erwachsen, durchschweifen den gesamten biblischen Horizont, von den ersten Seiten der Heiligen Schrift bis zu den ge-heimnisträchtigen, symbolischen Visionen der Geheimen Offenbarung über die zukünftige Welt. Dort erscheint wiederholt, in den Abschnitten der Heilsgeschichte und in der Heilsbotschaft, die Gestalt einer „Frau“, die, als die Stunde der Erlösung schlägt, in Maria von Nazäret präzise Züge annimmt. Redemptoris Mater, Mutter des Erlösers, ist denn auch der „Titel“ der Enzyklika, das sinnbildliche Zeichen, das bereits von Anfang an ihre lehrmäßige und pastorale Ausrichtung auf Christus anzeigt. 72 AUDIENZEN UND ANGELUS 4. Der christologische Charakter der in der Enzyklika dargelegten Ausführungen verschmilzt mit der kirchlichen und der mariologischen Dimension. Die Kirche ist der Leib Christi, der sich in geheimnisvoller Weise in die Zeiten hinein erstreckt (vgl. 1 Kor 12,27). Maria von Nazaret ist ihre Mutter, die Mutter der Kirche. Darum „schaut“ die Kirche auf Maria von Jesus her, wie sie auf Jesus von Maria her „schaut“ (vgl. Redemptoris Mater, Nr. 26). Diese wechselseitige Beziehung erlaubt uns, zusammen mit dem Erbe der Glaubenswahrheiten ständig den Raum des „Glaubensgehorsams“ zu vertiefen, der die Wege des erhabenen Geschöpfes aus dem Haus in Nazaret kennzeichnet: in Ain-Karim, im Tempel, zu Kana, auf Golgota; und dann im Abendmahlssaal, wo sie im Gebet den Heiligen Geist erwartet. Maria „ging den Pilgerweg des Glaubens. Ihre Vereinigung mit dem Sohn hielt sie in Treue bis zum Eireuz“ (Lumen gen-tium, Nr. 58). Als Magd des Herrn, Mutter und Jüngerin ist sie Vorbild, Führerin und Stütze auf dem Weg des Gottesvolkes, besonders in den entscheidenderen Abschnitten. Ein solcher Abschnitt ist das zweitausendjährige Jubiläum der Geburt Christi, dem wir uns mit Riesenschritten nähern. Dieser vor uns liegende Augenblick muß über die Erneuerung hinaus als bleibende Wirklichkeit der „Fülle der Zeit“ gelebt werden. Deshalb müssen wir uns schon jetzt mit Herz und Sinn darauf vorbereiten. Der Pilgerweg des Glaubens, der die von der Jungfrau Maria gelebte Erfahrung zusammenfaßt, eröffnet einen Weg, den die Kirche im Verlauf des Marianischen Jahres im Lichte des „Magnificät“ gehen wird: des prophetischen Lobpreises aller Männer und Frauen, die sich wahrhaft als Kirche fühlen und deshalb die Anforderungen der „neuen Zeit“ in ihrem ganzen Umfang wahmehmen. 5. Die Enzyklika ist Ausdruck des Lebensodems, der von der Universalität der von Christus vollbrachten Erlösung und von der Universalität der Mutterschaft der Jungfrau Maria ausgeht. Die Enzyklika, die sich zur Feier des Marianischen Jahres an die Gläubigen der katholischen Kirche wendet, bringt die Sehnsucht nach der Einheit aller Christen zum Ausdruck, die das Zweite Vaticanum kodifiziert hat und die im ökumenischen Dialog zum Ausdruck kommt. Sie stimmt somit der vom Konzil bekundeten Freude und Tröstung zu, wenn dieses feststellt, daß „auch unter den getrennten Brüdern solche nicht fehlen, die der Mutter des Herrn und Erlösers die gebührende Ehre erweisen,“ dies besonders unter den Orientalen, die sich zur Verehrung der allzeitjungfräulichen Gottesmutter mit glühendem Eifer und andächtiger Gesinnung vereinen (Lumen gentium, Nr. 69). 73 AUDIENZEN UNDANGELUS In diesem gedanklichen Zusammenhang wollte ich auch an die Tausendjahrfeier der Taufe des hl. Wladimir von Kiew erinnern, die im Jahr 988 erfolgte und den Anfang des Christentums in den Gebieten der einstigen Rus setzte und danach in weiteren Gegenden Osteuropas bis in den nordasiatischen Raum hinein. Die gesamte Kirche ist eingeladen, sich mit allen, Orthodoxen und Katholiken, die dieses Jubiläum feiern, im Gebet zu vereinen. 6. Der Blickkreis der Enzyklika Redemptoris Mater, der die kosmische Dimension des Erlösungsgeheimnisses beführt, ist offen für das ganze Menschengeschlecht — aufgrund der Solidarität, durch die die Kirche mit den Menschen verbunden ist, mit denen sie den Erdenweg teilt, und im Wissen um die gewaltigen Probleme, die an der Grenze zwischen zwei Jahrtausenden die Wurzeln der Zivilisation erschüttern, in dem ewigen Auf und Ab zwischen „Fall“ und „Wiederaufrichten“ des Menschen. Sie greift die großen Sehnsüchte auf, die heute das Gewissen der Welt bewegen: der einzelnen, der Familien, der Nationen. Der erhabenen Mutter des Erlösers vertraue ich voll Zuneigung diese Enzyklika an, während es mein Wunsch ist, daß die während des Marianischen Jahres in den Teilkirchen ausgerichteten Feierlichkeiten in ihr Anregung finden mögen für einen starken Aufschwung des christlichen Lebens, besonders durch die Teilnahme an den Sakramenten der Buße und der Eucharistie. Das sind die Quellen, aus denen es die notwendige Kraft zu schöpfen gilt, um die eigene Sendung in der Kirche und in der Welt nach dem Gebot zu erfüllen, das die heilige Jungfrau auch in diesem Abschnitt der Geschichte wiederholt: „Was er (Christus) euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Heute begehen wir das Fest der Verkündigung des Herrn: Durch den Engel Gottes erfahrt die Jungfrau Maria von Nazaret, daß aus ihr durch die Kraft des Heiligen Geistes der langersehnte Messias geboren werden sollte. Sie solle ihn Jesus nennen; er werde in einer ganz besonderen Weise der „Sohn des Allerhöchsten“ sein. Und Maria sagt ihr Ja zu dieser endgültigen Verwirklichung der Heilspläne Gottes. Jetzt war die „Fülle der Zeit“ gekommen; jetzt sollte sich der Himmel so eng mit der Erde verbinden, daß alle Menschen als Brüder und Schwestern dieses Jesus von Nazaret fortan einen Zugang zum Heil Gottes haben konnten. In wenigen Jahren werden wir den zweitausendsten Jahrestag dieser Verkündigung des Engels und der darauf folgenden Geburt Jesu, des Erlösers, feier- 74 AUDIENZEN UND ANGELUS lieh begehen. Durch ihr gläubiges Jawort ist aber seine Mutter Maria bei diesem Ablauf der Geschichte stets mitgemeint; darum wollen wir ihrer in der gegenwärtigen Zeit besonders gedenken. Ihr widmen wir ein Marianisches Jahr, das demnächst beginnen wird. Gerade heute aber kann ich eine Enzyklika, ein Rundschreiben, veröffentlichen, die allen Christen die Muttergottes in ihrer engen Verbindung mit ihrem Sohn Jesus Christus sowie mit seiner Kirche erneut vor Augen fuhren soll. Ich schließe mich dabei an das berühmte achte Kapitel der Kirchenkonstitution des n. Vatikanischen Konzils an, das den Titel trägt: „Die selige jungfräuliche Gottesmutter Maria im Geheimnis Christi und der Kirche“. Die Enzyklika beginnt mit den Worten „Redemptoris Mater“ — „Die Mutter des Erlösers“: Als Mutter Christi von der Geburt bis unter das Kreuz ist Maria dann auch die Mutter der Kirche geworden vom Abendmahlssaal in der Erwartung des Pfingstgeistes bis heute in unsere Zeit. Ich erhoffe mir, daß die Lektüre dieser Enzyklika neue Liebe zum Herrn und zu seiner Mutter Maria, aber auch zur Kirche auf ihrem Pilgerweg durch die Freuden und Ängste unserer Tage entfacht. Diese Hoffnung setze ich auch auf euch, liebe Besucher und Pilger aus den Ländern deutscher und niederländischer Sprache. Herzlich grüße ich euch alle und wünsche euch einen gesegneten Weg durch die Fastenzeit und Karwoche zur Freude des Osterfestes. Mit besonderer brüderlicher Anteilnahme segne ich den Lebensweg der hier anwesenden Diakone aus Trier und Seminaristen aus Fulda: Möge euer Jawort zur engeren Nachfolge des Herrn einmal die tiefe Treue und unerschütterliche Festigkeit des Jawortes Marias erlangen. Mit herzlicher Anerkennung begleite ich auch die Initiative der Arbeitsgemeinschaft katholischer Studentenverbände und Hochschulgemeinden Deutschlands, die mit einem unübersehbaren Kreuz auf den Erlöser und seine unendliche Liebe und Treue hinweisen wollen. Gern werde ich dieses Kreuz gleich segnen und euren gläubigen Pilgerweg zu euren Kommilitonen dem Schutz Gottes anvertrauen. Gelobt sei Jesus Christus! 75 AUDIENZEN UNDANGELUS Zür Heiligkeit berufen Angelus am. 29. März 1. Die wichtigste Weisung, die das II. Vatikanum allen Söhnenund Töchtern der Kirche gegeben hat, ist die Berufung zur Heiligkeit. Es handelt sich nicht um eine bloße Aufforderung, sondern sie ist tief verwurzelt im Wesen der Kirche, des mystischen Leibes Christi, deSsen Glieder vom heiligen und heiligmachenden Lebensstrom, der ihn durchzieht, nicht ausgeschlossen sein können. _ .. Diesem Grundthema widmet das Konzil ein Kapitel von Lumen gentium — das fünfte — unter dem Titel: „Die allgemeine Berufung zur Heiligkeit in der Kirche.“ Es gründet auf den biblischen und theologischen Fundamenten der Heiligkeit Gottes, Christi und der Kirche. Es verzweigt sich in den vielfältigen Dimensionen der Übung der Heiligkeit. Es verweilt bei den verschiedenen Kategorien der Glieder des kirchlichen Organismus, die eine so große Berufung haben. Darin sind die Laien im Vollsinn ihrer Würde eingeschlossen. „Alle Christgläubigen jeglichen Standes öder Ranges (sind) zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen“ (Lumen gentium, Nr. 40). „Alle Christgläubigen sind also zum Streben nach Heiligkeit und ihrem Stand entsprechender Vollkommenheit eingeladen und verpflichtet“ (ebd., Nr. 42). 2. Das Streben nach der Heiligkeit ist deshalb der Kern der vom Konzil vorgezeichneten Erneuerung. . . Aus. der Überprüfung der Licht— und Schattenseiten, die den 20jährigen nachkonziliären Zeitraum der Kirche kennzeichneten, legte die außerordentliche Bischofssynode 1985 fest, verstärkt die allgemeine Berufung zur Heiligkeit zu betonen. Und sie unterstrich erneut die lebenswichtige Verbindung mit dem Mysterium Gottes, Christi und der Kirche und wies darauf hin, daß in der gegenwärtigen Krise der Werte die Gemeinschaft der Christen von allen als „Zeichen und Werkzeug der Heiligkeit“ (Schlußbericht, A, 4) betrachtet werden muß. Die vertiefte Aufnahme der Botschaft der Bergpredigt, die echte Nachfolge Christi durch Gebet, Buße und Übung der Tugenden, das liturgische und sakramentale Leben gehören zur Antwort auf den Ruf zur Heiligkeit, der nicht in erster Linie eine Pflicht ist, sondern ein Ehrentitel der katholischen Laien und der Schlüssel, daß sie der eigenen Rolle in der Kirche und in der Gesellschaft voll entsprechen. 76 AUDIENZEN UNDANGELUS 3. Die Berufung zur Heiligkeit ist eine wesentliche Notwendigkeit. Sie erwächst aus der Taufe und ist so beschaffen, daß sie in jeder Lebenslage verwirklicht werden kann. In der Taufe, dem Sakrament der Wiedergeburt, empfängt der Jünger Christi die ontologische Heiligkeit und wird in seiner Eigenschaft als neues Geschöpf durch die heiligmachende Gnade konstituiert. Sie ist ein Keim, ein Samen, dazu bestimmt, sich zu einem großen Baum zu entfalten durch.persönliches Bemühen und mit der ständigen Hilfe, an der es Gott, wenn er darum gebeten wird, nicht fehlen läßt. Sie ist ein Geschenk, das auch errungen sein will. Die ontologische Heiligkeit wandelt sich so in moralische Heiligkeit, dank des Bemühens, so gesinnt zu sein, „wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht“ (Phil 2,5). Im wesentlichen hält auf dieser Linie das Konzil jedem Laien ein hohes Ziel vor Augen: „Vor der Welt Zeuge der Auferstehung und des Lebens Jesu, unseres Herrn, zu sein“ (Lumen gentium, Nr. 38). Uber diesen außerordentlichen Perspektiven, auf die zweifellos die Vorbereitung der kommenden Bischofssynode über die Laien ausgerichtet ist, wacht liebevoll Maria, die Mutter des Erlösers und unsere Mutter, das ausgezeichnete Vorbild der Heiligkeit. Im Blick auf sie bemühen sich die Christen, wie ich in der Enzyklika Redemptoris Mater (vgl. Nr. 47) in Erinnerung rief, in der Heiligkeit immer mehr zu wachsen. So beten wir mit kindlicher Zuneigung zu ihr. Friedens-Vermittlung des Hl. Stuhls: Und jetzt möchte ich noch ein Wort sagen. Übermorgen werde ichdurch Gottes Gnade eine Pastoraireise in einige lateinamerikanische Länder beginnen. Hauptzweck dieser Reise ist es, der göttlichen Vorsehung zu danken, daß man den Krieg zwischen diesen Ländern Ende 1978 verhüten konnte. Durch die Vermittlung des Hl. Stuhls war es möglich, den Frieden zu währen. Dies ist auch der Grund, weshalb ich mich, bevor ich nach Chile und Argentinien reise, in Montevideo aufhalten muß, wo diese Vermittlung begonnen hat. Ich empfehle euch mein pastorales, apostolisches Dienstamt unter der liebenswerten Bevölkerung der lateinamerikanischen Länder, die so fern und gleichzeitig uns doch so nah sind; ich empfehle es eurem Gebet, dem Gebet aller, besonders dem der Römer, denn ich bin Bischof von Rom, und dem Gebet aller in der ganzen Welt. Ich wünsche allen einen guten weiteren Verlauf der Fastenzeit. 77 AUDIENZEN UND ANGELUS Nach dem Angelus sagte der Papst auf spanisch: Gern begrüße ich nun auch die zahlreichen spanischen Pilger, die hier beim Gebet zu Maria anwesend sind und die der feierlichen Zeremonie der Seligsprechung von fünf Dienern und Dienerinnen Gottes beigewohnt haben: Sr. Maria Pilar vom hl. Franz von Boija, Sr. Maria Angeles vom hl. Josef, Sr. Teresa vom Kind Jesus, Kardinal Marcelo Spinola y Maestre und Pfarrer Manuel Domingo y Sol. Mein Gruß richtet sich in besonderer Weise an alle, die aus Guadalajara, Tortosa und Sevilla gekommen sind, Orte, die zu diesen leuchtenden Gestalten der spanischen Kirche in unmittelbarer Beziehung stehen. Dieses große kirchliche Ereignis muß für euch wie auch für die Gemeinden, aus denen ihr kommt, einen ernsten Entschluß bedeuten, damit ihr gleich den neuen Seligen die Pflicht auf euch zu nehmen versteht, konsequent den christlichen Glauben zu leben und zu bezeugen. Möge euer Leben mit dem Willen Gottes, des Vaters, in Einklang sein! Seid in der spanischen Gesellschaft immer Zeugen Christi! Mit aufrichtigem Dank für euer Hiersein erteile ich euch als Unterpfand meiner Liebe den Apostolischen Segen. Er gilt auch euren Familien und besonders den Karmelklöstern Spaniens, die so eng mit den drei seligen Märtyrerinnen verbunden sind. Die treue Jüngerin ihres Sohnes Angelus am 5. April 1. „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (Joh 11,25). Diese Worte Jesu, die den Glaubensweg der Kirche auf Ostern zu erhellen, verbürgen den Sieg Christi über das Böse und den Tod. Sie halten zugleich die Hoffnung des pilgernden Gottesvolkes aufrecht. Auch Maria, die Mutter Jesu, ging „den Pilgerweg des Glaubens und blieb ihrem Sohn in Treue verbunden bis zum Kreuz“ und zur Auferstehung (vgl. Lumen gentium, Nr. 58). 2. „Selig ist die, die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ (Lk 1,45). Die Jungfrau Maria, die als Antwort auf die Verkündigung des Engels gehorsam das Wort aufnahm und in ihrem Schoß dem Geheimnis der Menschwerdung des Herrn Leben schenkte, sah in ihrem Leben das, was ihr verkündet 78 AUDIENZEN UNDANGELUS worden war, in Erfüllung gehen. Sie war zugleich die treue Jüngerin ihres Sohnes, und sie nahm gläubig die Ankündigung des kommenden Leidens Christi entgegen. Sie blieb ihrem Sohn treu in der Stunde des Kreuzes und hielt in ihrem Herzen die Verheißung und Hoffnung auf das lebendig, was Jesus seinen Jüngern gesagt hatte: daß er am dritten Tag auferstehen werde. In den Stunden, die auf den Tod Jesu folgten — den schwersten für den Glauben und die Hoffnung —, glaubte die Jungfrau. Sie hoffte und bewahrte unversehrt ihre mütterliche Liebe zu dem, der gesagt hatte: „Ich bin die Auferstehung und das Lehen“ (.Joh 11,25). In ihrem Mutterherzen sammelten sich und erblühten die Lebenshoffnungen für die ganze Menschheit, die ihr vom Kreuz herab in der Person des Lieblingsjüngers anvertraut worden war. 3. Jungfrau von Nazaret, Jungfrau von Kalvaria und von Ostern! Wir grüßen dich als Mutter unseres Glaubens, unserer Sehnsüchte und Hoffnungen, die wir auf Christus, den Herrn des Lebens, gesetzt haben. Stärke in unseren Herzen die Treue zu den Worten und Verheißungen Christi und gib, daß die Kirche wie du Zeuge der Hoffnung für die Völker und die ganze Menschheit auf dem Weg zur Heimat wird. Wir danken dir erneut, weil du den Verheißungen deines Sohnes geglaubt und auf sie gehofft hast bis zum dritten Tag, bis zum Sieg seiner Auferstehung. So rufen wir dich an mit dem Gruß des Engels. Den Frieden täglich neu erringen Ansprache bei der Generalaudienz am 15. April 1. Heute, am Mittwoch der Karwoche, begegnen wir uns nach meiner Rückkehr von der Pastoraireise in zwei benachbarte Länder Lateinamerikas: Chile und Argentinien. Bekanntlich waren diese beiden Nationen am Beginn meines Dienstes auf dem Stuhl Petri im Dezember 1978 am Rande eines Krieges, der sich in der Folge auf andere Länder Südamerikas hätte ausweiten können. Ich halte es für ein Zeichen der Vorsehung Gottes, daß es möglich war, den kriegerischen Vorgängen Einhalt zu gebieten und daß Chile und Argentinien dem Apostolischen Stuhl die Vermittlung im Streit um die Südzone vorgeschlagen haben. Tiefe Dankbarkeit möchte ich noch einmal Herrn Kardinal Antonio Samore bekunden, der im Dezember 1978 die ersten Schritte zur Verhinderung des Krieges unternahm und dann — bis zu seinem Tod im Februar 1983 — die Ar- 79 AUDIENZEN UND ANGELUS beiten der Experten beider Seiten leitete. Diese Arbeiten wurden schließlich — auch dank dem, der das Werk Kardinal Samores weiterführte — mit einem am 29. November 1984 im Vatikan Unterzeichneten Friedens- und Freundschaftsvertrag zwischen Chile und Argentinien gekrönt. 2. Der Zweck meines Besuches war vor allem die Danksagung. Ich wollte zusammen mit den beiden Völkern Gott für die friedliche Lösung des Streites danken, durch die Argentinien und Chile unabsehbare Verluste vor allem so vieler junger Menschenleben erspart geblieben sind, welche eine schmerzliche Folge der Kriegshandlungen gewesen wären. In diesem Zusammenhang möchte ich für die Einladung zu dieser Reise danken, die von den staatlichen Autoritäten Argentiniens und Chiles sowie von den Episkopaten der beiden Länder an mich ergangen ist. Gleichzeitig danke ich allen, die zur Vorbereitung dieses Besuches beigetragen und seine Durchführung erleichtert haben. Da die bilaterale Entscheidung zum Abbruch der Waffenhandlungen und zur Aufnahme des Vermittlurigsprozesses in Montevideo, der Hauptstadt Uruguays, ihren Anfang genommen hatte, schien es mir angebracht, die Dankesreise in dieser Stadt zu beginnen. Ich drücke den zivilen Behörden Uruguays, dem Erzbischof von Montevideo, den anderen Bischöfen des Landes sowie den Priestern, den Ordensleuten und allen Gläubigen meinen herzlichen Dank für den mir in jener Stadt zuteil gewordenen Empfang und für die große Teilnahme an der Dankmesse auf dem großen „Tres-Cruces“-Platz aus. 3. Der Besuch in Chile und Argentinien hatte zugleich pastoralen Charakter, ähnlich dem vieler anderer Reisen, die ich bisher in Erfüllung meines Dienstes als Nachfolger Petri in verschiedene Länder der fünf Kontinente durchführen konnte. Der Besuch in Chile dauerte vom 1. bis 6. April: er war nach der Geographie dieses Landes gestaltet worden, das sich über 4000 Kilometer Länge wie ein schmales Band zwischen der Kette der Anden und der Küste des Pazifischen Ozeans erstreckt. Der wichtigste Teil des Pastoralbesuches konzentrierte sich auf die Hauptstadt Santiago de Chile (in der ein Drittel der Gesamtbevölkerung des Landes lebt) und verlief, nach einer großen Begegnung in Valparaiso, von Süden nach Norden über die folgenden Städte: Punta Arenas — Puerto Montt — Concepciön — Temuco— La Serena Antofagasta. Parallel zu diesem geographischen entfaltete sich auch das thematische Programm über die grundsätzlichen Aspekte der Sendung der Kirche in Chile. Bei der Begegnung mit den Bischöfen Chiles ermahnte ich die geliebten Mitbrüder, mit allem Einsatz zur Festigung der Eintracht und des Friedens unter Achtung der menschlichen Grundrechte beizutragen.. 80 AUDIENZEN UND ANGELUS Die Priester erinnerte ich daran, daß Christus den unermeßlichen Schatz der Erlösung in ihre Hände gelegt hat und forderte sie auf, der pastoralen Tätigkeit Auftrieb zu geben, die zur Bekehrung und zu einem echten christlichen Leben führt. Den gewaltigen Volksmassen am Stadtrand von Santiago sowie den „Campe-sinos“ — der Landbevölkerung — und den eingeborenen Araukanem in der Stadt Temuco gegenüber sprach ich über die umfassende und herzliche Sorge der Kirche, wobei ich die Rechte der Ärmsten und der Minderheiten unterstrich und zum konstruktiven Dialog und zur Solidarität, einlud. Im Heiligtum von Maipu vertraute ich Chile Maria, der Jungfrau von Karmel, der Schutzpatronin der Nation und Mutter der Hoffnung an. In der Katholischen Universität von Santiago traf ich mit. den Künstlern und den Intellektuellen Chiles zusammen. Auf ihr Ersuchen hin empfing ich außerdem eine Gruppe politischer Führer verschiedener Parteien, denenich die christlichen ethischen Prinzipien in Erinnerung rief, die jedem sozialen Zusammenleben zugrunde liegen müssen. Über den nationalen und internationalen Frieden sprach ich in Punta Arenas; über Familie und Ehe in Valparaiso, über die Evangelisierung der Völker in Puerto Montt, über Arbeit und Arbeitslosigkeit in Concepciön, über den Wert der Ortskulturen in der Rundfunkbotschaft an die Bevölkerung der Osterinsel. In Antofagasta schließlich trug ich den Trost des Glaubens und der christlichen Freundschaft zu den Strafgefangenen und habe nochmals die Bedeutung der weiterführenden Evangelisierung im fünften Jahrhundert seit der Erstverkündigung des Evangeliums in Lateinamerika hervorgehoben. 4. Höhepunkt des Besuchs in Chile war die Seligsprechung von Schwester Teresa de los Andes, einer Karmelitin. Sie ist die erste Tochter der Kirche in Chile, die zur Ehre der Altäre erhoben wurde. Dieser Seligsprechungszeremonie, während welcher ich in der Homilie von Versöhnung gesprochen habe, kam vor dem Hintergrund der schwierigen internen Situation in jener Nation besondere Bedeutung zu. Besondere Dankbarkeit sei der kirchlichen Gemeinschaft von Santiago ausgesprochen; sie ließ sich in keinem Augenblick herausfordem und bewahrte eine Haltung, die einer großen religiösen Kundgebung wahrhaft würdig ist. Die Liebe ist tatsächlich stärker! Ich vertraue darauf, daß mein Besuch die christliche Solidarität der gesamten Kirche mit unseren Brüdern und Schwestern in Chile gestärkt hat, einem Land mit einem großen kulturellen Erbe, das seit Jahrhunderten von intensiver christlicher Lebenskraft gekennzeichnet und sich seiner Identität auch auf sozialem und politischem Gebiet voll bewußt ist. 81 AUDIENZEN UND ANGELUS 5. Der Besuch in Argentinien dauerte vom 6. bis 12. April. Er begann in der Hauptstadt Buenos Aires, dann führte die Reise über die folgenden Städte: Bahia Bianca — Viedma — Mendoza — Cordoba — Tucumän — Salta — Cor-rientes — Parana — Rosario. Vom thematischen Gesichtspunkt aus entwickelte sich das Programm gemäß der Besonderheiten der einzelnen Regionen. Es zog vorwiegend die katecheti-sche und pastorale Thematik in Betracht, entsprechend den Bedürfnissen der gesamten Kirche in Argentinien und des sozialen Fortschritts der Nation unter Wahrung der Rechte eines jeden Menschen. Bei der Begegnung mit den Bauern in Bahia Bianca lud ich ein, daraufhinzuwirken, daß die Arbeit, die in Christus durch die Erlösung erhöht wird, zur Festigung der Grundlagen eines echten christlichen Humanismus beitrage. In Viedma wurde des 500-Jahr-Jubiläums der Evangelisierung Lateinamerikas und des heroischen Wirkens der ersten Missionare in Patagonien gedacht. In Mendoza, der wunderbaren, von den schneebedeckten Gipfeln des Aconcagua und der anderen Gebirgsketten der Cordilleren umgebenen Stadt, wurde das Thema behandelt: „Der Friede, eine Gabe Gottes, die jeden Tag gewonnen werden muß.“ In Cordoba lautete das Thema: die Ehe nach der Lehre der katholischen Kirche, die sie als unauflöslich, auf die Liebe der Ehegatten gegründet und auf das Ziel der Familie ausgerichtet darlegt. In Tucumän, der Wiege der Unabhängigkeit, beschäftigte ich mich mit dem Thema „Freiheit und Frömmigkeit“, aufgefaßt auch als Liebe zum Vaterland. In Salta sprach ich von den Werten der Ortskulturen, wobei ich zu der Hoffnung ermutigte, die aus der Wirklichkeit der Taufe kommt. In Corrientes war das Zentralthema die Weihe an Maria im Rahmen der Volksfrömmigkeit. In Parana habe ich das Thema der Zuwanderung und der verschiedenen damit verbundenen sozialen und religiösen Probleme behandelt. In Rosario schließlich ging es mir um die Berufung und die Sendung der Laien in der Kirche. Die Probleme der Arbeit und der Hinweis auf ihre schrittweise Lösung wurden in den Begegnungen mit den Arbeitern auf dem Zentralmarkt von Buenos Aires und mit den Unternehmern aufgegriffen, während im „Teatro Colon“ eine wichtige Begegnung mit den Künstlern stattfand. Auch habe ich es nicht versäumt, ukrainischen Gemeinden zu begegnen, in deren Kathedrale in Buenos Aires ich betete und der bevorstehenden Tausendjahrfeier der Christianisierung ihrer Vorfahren gedachte. Sodann gab es auch Begegnungen interreligiösen und ökumenischen Charakters; 6. Das abschließende Ereignis und zugleich der Höhepunkt des Besuchsprogrammes in Argentinien war der Welttag der Jugend, der am Palmsonntag stattfand. 82 AUDIENZEN UND ANGELUS In den vorangegangenen Jahren hatte dieses Fest seinen Mittelpunkt in der Petersbasilika in Rom. Diesmal wurde die Stadt Buenos Aires gewählt, wo sich auf einem riesigen Platz eine gewaltige Menge von Jugendlichen einfand, junge Menschen, die zunächst vor allem aus Argentinien selbst kamen, dann aus ganz Lateinamerika und auch aus den anderen Kontinenten. Auch war eine große italienische Delegation anwesend, zirka 500 Jugendliche, vor allem aus Rom. Thema des Weltjugendtages waren die Worte des hl. Johannes: „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen“ (1 Joh 4,16). Die feierliche Zeremonie wurde mit dem Weiheakt Argentiniens an die Madonna von Lujan abgeschlossen. Sowohl die vorausgehende Nachtwache am Samstag als auch der Gottesdienst am Palmsonntag selbst und das gesamte Programm waren von den Organisatoren sehr gut vorbereitet worden, und jeder Augenblick wurde von den Teilnehmern sehr intensiv erlebt. 7. Liebe Brüder und Schwestern! Mit dem Palmsonntag sind wir in die Karwoche eingetreten. Möge diese Zeit die Quelle der österlichen Erneuerung für die ganze Kirche in aller Welt und insbesondere in Chile, Argentinien und Montevideo sein, wie ich vor allem bei den verschiedenen Begegnungen mit den Kranken unterstreichen konnte. Allen und besonders denen, die für die Karwoche nach Rom gekommen sind, wünsche ich die Gnade der Einheit mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus: der erlösende Tod, den er aus Liebe zu jedem einzelnen und für alle erlitten hat, trage in uns stets Früchte neuen Lebens: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Besonders herzlich willkommen zu dieser Audienz hier am Grab des hl. Petrus — heute, in der Mitte der Karwoche! Ich grüße euch alle in der Verbundenheit des einen Glaubens: die genannten Gruppen, die Familien und Einzelpilger; vor allem auch die Priester und Ordensleute unter euch. Wie ihr auf eurer Pilgerfahrt bin auch ich erst vor einigen Tagen wieder in Rom eingetroffen; von meiner langen Pastoraireise nach Lateinamerika. Wie ich am Beginn einer solchen Reise diese dem Gebet der Gläubigen besonders empfehle, so lasse ich sie nach deren Abschluß auch gern an meinem Dank und an meiner Freude über die vielfältigen Ereignisse und reichen geistlichen Erfahrungen teilnehmen. 83 AUDIENZEN UND ANGELUS Mein Besuch galt vor allem den beiden benachbarten Ländern Chile und Argentinien. Bekanntlich konnte zwischen diesen am Beginn meines Pontifikats 1978 durch die Vermittlung des Heiligen Stuhles ein drohender Krieg verhindert werden. Die schwierigen langjährigen Verhandlungen konnten schließlich durch die Unterzeichnung eines beiderseitigen Friedens- und Freundschaftsvertrages erfolgreich abgeschlossen werden. Ein Ziel dieser meiner Pastoraireise nach Lateinamerika war es, der göttlichen Vorsehung und den beteiligten Völkern dafür zu danken und sie in den derzeitigen Schwierigkeiten in ihrem eigenen Innern zu Verständigung und Versöhnung aufzurufen. In Montevideo, der Hauptstadt von Uruguay, wo die Vermittlurigsbemühungen ihren Ausgang genommen haben, gedachten wir in Dankbarkeit dieser glücklichen und erfolgreichen Initiative. Danach besuchte ich für je eine Woche die beiden Länder Chile und Argentinien. Ihre große geographische Ausdehnung erforderte zahlreiche Reisen in den einzelnen Ländern selbst, um möglichst viele Menschen an der Freude und Glaubensfeier der Ortskirchen mit dem Nachfolger Petri teilnehmen zu lassen. Neben den‘Begegnungen und Gottesdiensten mit den verschiedenen Gruppen und Vereinigungen des kirchlichen Lebens bildete die Seligsprechung der Karmelitin Teresa de los Andes den Höhepunkt meines Besuches in Chile. Sie ist die erste Tochter aus jenem Volk, die zur Ehre der Altäre erhoben wurde. Den vielen Gläubigen, die an dieser Feier teilgenommen haben, danke ich besonders, daß sie sich durch die dabei geschürten Unruhen haben nicht herausfordem lassen. In der Tat, die Liebe ist stärker als Entzweiung und Haß. Ich hoffe, daß mein Besuch die christliche Solidarität der ganzen Kirche mit unseren Brüdern und Schwestern in Chile festigen hilft. Mein Besuch in Argentinien dauerte dann vom 6. bis 12. April. Auch hier galt er neben der Hauptstadt Buenos Aires mehreren größeren Städten im Lande-sinnem; besonders auch den „campesinos“ in Bahia Bianca und Umgebung. In meinen Ansprachen behandelte ich die verschiedenen Probleme der jeweiligen Ortskirchen, der Katechese und Pastoral sowie die drängenden Fragen des öffentlichen Lebens und der.Gesellschaft. Den unvergeßlichen Abschluß bildete die große Feier des Weltjugendtages am Palmsonntag in Buenos Aires, der unter dem Thema stand: „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen“ (I Joh 4,16). Mögen auch diese erlebnisreichen Ereignisse und religiösen Feiern während meines Patoralbesuches für die Kirche und die Völker in den besuchten Ländern reiche geistige Früchte hervorbringen und zu einer dauerhaften Versöhnung in Freiheit und Gerechtigkeit führen. Dieses wichtige Anliegen empfehle ich gern auch euer aller Gebet. 84 AUDIENZEN UNDANGELUS Liebe Brüder und Schwestern! Von Herzen wünsche ich euch eine würdige und gnadenreiche Mitfeier der Heiligen Woche; besonders ihrer eindrucksvollen Liturgie, mit der wir Christus auf dem Weg seines Leidens zur Auferstehung am Ostermorgen begleiten. Ich erbitte euch und euren Lieben in der Heimat den Frieden des gekreuzigten und auferstandenen Herrn mit meinem besonderen Apostolischen Segen. Nur in Gott ist die vollkommene Weisheit Ansprache bei der Generalaudienz am 22. April 1. Im Alten Testament gelangte eine reiche Tradition von Weisheitslehre zur Entfaltung und Blüte. Sie läßt menschlich gesehen den Durst des Menschen erkennen, die Elemente seiner Erfahrungen und seines Wissens zu ordnen, um sein Leben möglichst nutzbringend und weise zu gestalten. Unter diesem Gesichtspunkt unterscheidet sich Israel nicht gegenüber den Weisheitsformen, die sich in anderen Kulturen der Antike finden, und bringt eine eigene Lebensweisheit hervor, die die verschiedenen Bereiche des Daseins umfaßt: das persönliche, familiäre, soziale und politische Leben. Dieses Suchen nach Weisheit war jedoch nie getrennt vom Glauben an den Herrn, den Gott des Exodus, und das hatte seinen Grund in der Überzeugung, die in der Geschichte des auserwählten Volkes stets gegenwärtig war, nämlich daß allein in Gott die vollkommene Weisheit ruht. Deshalb galt die „Gottesfurcht“, das heißt die religiöse und lebensmäßige Ausrichtung auf ihn hin, als „Anfang“, „Grund“ und „Schule“ der währen Weisheit (vgl. Spr 1,7; 9,10; 15,33). 2. Unter dem Einfluß der liturgischen und prophetischen Tradition wird das Thema der Weisheit in einzigartiger Weise bereichert und vertieft und durchdringt schließlich die gesamte Offenbarung. Nach dem Exil begreift man nämlich immer besser, daß die menschliche Weisheit ein Widerschein der göttlichen Weisheit ist, die Gott „ausgegossen hat über alle seine Werke. Bei allen Menschen ist sie nach der Größe seiner Gabe ‘ (Sir 1,9-10). Der erhabenste Augenblick der Mitteilung seiner Weisheit kommt mit der Offenbarung an das auserwählte Volk, dem der Herr sein Wort enthüllt (vgl. Dtn 30,14). Ja, die göttliche Weisheit in der vollkommensten Form, deren der Mensch fähig ist, erkannt, ist die Offenbarung selbst, die „Torah“, „das Bundesbuch des höchsten Gottes“ (Sir 24,23). 85 AUDIENZEN UNDANGELUS 3. Die göttliche Weisheit erscheint in diesem Zusammenhang als der geheimnisvolle Plan Gottes, der der Schöpfung und dem Heilswerk zugrunde liegt. Sie ist das Licht, das alles erleuchtet, das Wort, das offenbar macht, die Kraft der Liebe, die Gott mit seiner Schöpfung und seinem Volk verbindet. Die göttliche Weisheit wird nicht als eine abstrakte Lehre angesehen, sondern als Person, die von Gott kommt: sie ist ihm nahe „von Anbeginn“ (Spr 8,23), sie ist seine Freude bei der Erschaffung der Welt und des Menschen und spielt allezeit vor ihm (vgl. Spr 8,22-31). Der Text des Buches Jesus Sirach greift dieses Motiv auf und entwickelt es, indem er die göttliche Weisheit beschreibt, die in Israel ihren „Ort der Ruhe“ findet und sich „auf dem Zion“ einrichtet (Sir 24,3-12); damit weist er darauf hin, daß der Glaube des auserwählten Volkes den erhabensten Weg darstellt, um mit dem Denken und dem Plan Gottes vertraut zu werden. Letzte alttestamentliehe Frucht dieser Vertiefung ist das Buch der Weisheit, das kurz vor der Geburt Jesu verfaßt wurde. In ihm wird die göttliche Weisheit beschrieben als „Hauch der Kraft Gottes und reiner Ausfluß der Herrlichkeit des Allherrschers ... Sie ist der Widerschein des ewigen Lichts, der ungetrübte Spiegel von Gottes Kraft, das Bild seiner Vollkommenheit ..., sie schafft Freunde Gottes und Propheten“ (Weish 7,25-27). 4. Auf dieser Ebene des personalisiert dargestellten Symbols des göttlichen Planes ist die Weisheit eine Gestalt, mit der die innige Gemeinschaft mit Gott und eine persönliche Antwort der Liebe gefordert wird. Die Weisheit erscheint daher als die Braut (Spr 4,6-9), die Lebensgefährtin (Spr 6,22; 7,4). Mit den tiefen Gründen der Liebe lädt sie den Menschen zur Gemeinschaft mit sich und damit zur Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott ein. Diese Gemeinschaft wird mit dem liturgischen Bild vom Festmahl beschrieben: „Kommt, eßt von meinem Mahl und trinkt vom Wein, den ich gemischt! “ (Spr 9,5): ein Bild, das die apokalyptischen Prophezeiungen über die Endzeit wieder aufgreifen werden, um auf die ewige Gemeinschaft mit Gott hinzuweisen, wenn er für immer den Tod beseitigt hat (Jes 25,6-8). 5. Im Lichte dieser Tradition der Weisheitsliteratur können wir das Geheimnis Jesu, des Messias, besser verstehen. Bereits ein prophetischer Text des Buches Jesaja spricht vom Geist des Herrn, der sich auf dem König Messias niederlassen wird, und beschreibt diesen Geist vor allem als „Geist der Weisheit und der Einsicht“ und schließlich als „Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht“ (Jes 11,2). Im neuen Testament gibt es verschiedene Texte, die Jesus als von göttlicher Weisheit erfüllt zeigen. Das Evangelium von der Kindheit Jesu nach dem hl. Lukas betont den reichen Sinngehalt der Anwesenheit Jesu unter den Schrift- 86 AUDIENZEN UNDANGELUS gelehrten im Tempel, wo „alle, die ihn hörten, erstaunt waren über sein Verständnis und über seine Antworten“ (77:2,47), und es faßt das verborgene Leben in Nazaret mit den bekannten Worten zusammen: „Jesus aber wuchs heran, und seine Weisheit nahm zu, und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen“ (Lk 2,52). Während der Jahre seines öffentlichen Auftretens erregte die Lehre Jesu Verwunderung und Staunen: „Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten, staunten und sagten: Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist!“ (Mk 6,2). Diese Weisheit, die von Gott stammte, verlieh Jesus ein besonderes Ansehen: „Denn er lehrte so wie einer, der (göttliche) Vollmacht hat, und nicht wie ihre Schriftgelehrten“ (Mtl,29)\ daher trat er auf wie einer, „der mehr ist als Salomo“ (Mt 12,42). Da Salomo die Idealgestalt dessen ist, der die göttliche Weisheit empfangen hat, folgt daraus, daß Jesus in diesen Worten ausdrücklich als die den Menschen geoffenbarte wahre Weisheit erscheint. 6. Diese Identifizierung Jesu mit der Weisheit wird mit einzigartiger Tiefe vom Apostel Paulus bekräftigt. Gott, so schreibt er, „hat Christus für uns zur Weisheit gemacht, zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung“ (1 Kor 1,30). Jesus ist „nicht Weisheit dieser Welt“ ..., er ist die Weisheit, „die Gott vor allen Zeiten vorausbestimmt hat zu unserer Verherrlichung“ (1 Kor 2,6-7). Die „Weisheit Gottes“ wird identifiziert mit dem Herrn der Herrlichkeit, der gekreuzigt worden ist. In Kreuz und Auferstehung Jesu offenbart sich also in seinem ganzen Glanz der barmherzige Heilsplan Gottes, der den Menschen so liebt und ihm vergibt, daß er ihn zu einer neuen Schöpfung macht. Die Heilige Schrift spricht auch von einer anderen Weisheit, die nicht von Gott kommt, der „Weisheit dieser Welt“, der Einstellung des Menschen, der es ablehnt, sich dem Geheimnis Gottes zu öffnen und es vorzieht, selber Gestalter seines Heiles zu sein. Seinen Augen erscheint das Kreuz als eine Torheit oder Schwachheit; wer aber an Jesus, den Messias und Herrn, glaubt, erfahrt mit dem Apostel, daß „das Törichte an Gott weiser ist als die Menschen; und das Schwache an Gott stärker ist als die Menschen“ (1 Kor 1,25). 7. Christus wird immer tiefer als die wahre „Weisheit Gottes“ betrachtet. So wird er unter klarer Bezugnahme auf die Sprache der Weisheitsbücher verkündet als „das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“, „der Erstgeborene der ganzen Schöpfung“, als der, „durch den und auf den hin alles geschaffen wurde“ und „in dem alles Bestand hat“ (vgl. Kol 1,15-17). Als Sohn Gottes ist er „der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens; er trägt das All durch sein machtvolles Wort“ (Hebr 1,3). 87 AUDIENZEN UND ANGELUS Der Glaube an Jesus, Gottes Weisheit führt zu einer „vollen Erkenntnis“ des göttlichen Willens, „mit aller Weisheit und Einsieht, die der Geist schenkt“, und macht es möglich, ein Leben zu führen, „das des Herrn würdig ist und in allem sein Gefallen findet, durch Fruchtbringen in jeder Art von guten Werken und Wachsen in der Erkenntnis Gottes“ (Kol 1,9-10). 8. Der Evangelist Johannes seinerseits beruft sich auf die in ihrer innigen Verbindung mit Gott beschriebene Weisheit und spricht von dem Wort, das im Anfang bei Gott war, und bekennt, daß „das Wort Gott war“ (Joh 1,1). Die Weisheit, die das Alte Testament dem Wort Gottes gleichgestellt hatte, wird jetzt mit Jesus identifiziert, dem Wort, „das Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat“ (Joh 1,14). Wie die Weisheit, so lädt auch Jesus, Gottes Wort, zum Festmahl seines Wortes und seines Leibes ein, weil er „das Brot des Lebens“ ist (Joh 6,48), das lebendige Wasser des Geistes schenkt (Joh 4,10; 7,37-39), „Worte des ewigen Lebens“ hat (Joh 6,68). In all dem ist Jesus wahrhaftig „mehr als Salomo“, weil er nicht nur auf vollkommene Weise die Sendung der Weisheit erfüllt, den Weg, die Wahrheit und das Leben zu zeigen und mitzuteilen, sondern weil er selbst „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ ist (Joh 14,6), die höchste Offenbarung Gottes im Geheimnis seiner Vaterschaft (vgl:Joh 1,18; 17,6). 9. Dieser Glaube an Jesus, der den Vater offenbart, stellt den erhabensten und tröstlichsten Aspekt der Frohen Botschaft dar. Er ist das Zeugnis, das uns von den ersten Christengemeinden überliefert wird, in denen der Dank und Lobpreis weiterklang, den Jesus an den Vater gerichtet hatte, um ihn dafür zu preisen, daß er in seiner Güte „all das“ den Unmündigen geoffenbart hat. Mit diesem Glauben ist die Kirche die Jahrhunderte hindurch gewachsen: „Niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11,27). Dadurch, daß uns Gott den Sohn durch den Geist offenbart, tut er uns schließlich seinen Heilsplan, seine Weisheit, den Reichtum seiner Gnade kund, „durch die er uns mit aller Weisheit und Einsicht reich beschenkt“ (Eph 1,8). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Seit jeher sucht der Mensch aufgrund von Erfahrung und Wissen sein Leben nutzbringend, sinnvoll oder sogar weise zu gestalten. Vielfältig bezeugt dies die Heilige Schrift des Alten Testamentes; sie entwickelt eine eigene Weis- 88 AUDIENZEN XJNDANGELUS heitslehre, welche die verschiedenen menschlichen Bereiche des persönlichen, familiären, sozialen und politischen Lebens umfaßt. Weisheit im Alten Testament ist immer von einer klaren religiösen Grundlage getragen. Gott allein ist für den damaligen Menschen der Sitz der Weisheit. Daher ist für denjenigen, der die Weisheit zur Richtschnur seines Lebens machen will, die Ausrichtung auf Gott der „Grund“ und der „Anfang“ der Weisheit. Unter dem Einfluß liturgischer und prophetischer Tradition wird das Thema der Weisheit dann bereichert und vertieft und in Beziehung zur göttlichen Offenbarung gesetzt. Die Weisheit ist gegenwärtig am Schöpfungsmorgen; sie ist das erleuchtende Licht, das geoffenbarte Wort, die Kraft, der Liebe, die Gott mit seiner Schöpfung und mit seinem Volk verbindet. Im Licht dieser Tradition können wir auch das Geheimnis Christi besser verstehen. Die Menschen^ die Jesus begegnen, „staunen über sein Verständnis“ (Lk 2,47) und sagen: „Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist“ (Mk 6,7). Deshalb kann auch der Apostel Paulus im Blick auf Jesus sagen: „Wir verkündigen nicht die Weisheit dieser Welt..., vielmehr verkündigen wir das Geheimnis-der verborgenen Weisheit Gottes“ (7 Kor 2,6.7). Diese „Weisheit Gottes“ ist mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn verbunden; sie liebt und vergibt und bringt eine neue Schöpfung hervor. Mögt ihr alle aus diesem Glauben an den auferstandenen Herrn besonders in diesen österlichen Tagen immer mehr Gottes Kraft und Weisheit für euer Leben erfahren. Hierfür erbitte ich euch und all euren Lieben daheim von Herzen die Fülle des Ostersegens. Einen besonderen brüderlichen Gruß richte ich an die große Gruppe von lutherischen Pastoren, die heute unter uns weilen. Sie wollen.in dieser Osterwoche hier in Rom, am Ort einer zweitausendjährigen Geschichte des Oster-zeugnisses seit den Aposteln Petrus und Paulus, dieser Ortskirche wie auch zugleich der weltweiten Kirche des Herrn begegnen. Christus schenke Ihnen dabei zahlreiche ermutigende geistliche Erfahrungen für ihre Person und Ihr Wirken im Volke Gottes. Ebenso herzlich grüße ich die Teilnehmer an der Romfahrt der katholischen Jugend aus der Diözese Regensburg, Ihnen und allen jungen Menschen, die bei dieser Audienz zugegen sind, erbitte ich wachsende Freude am Glauben und reifen Mut, ihn in Wort und Tat zu bezeugen. Allen Besuchern deutscher Sprache wünsche ich eindrucksvolle Romtage und eine gesunde Heimkehr zu euren Familien. Auf ein baldiges Wiedersehen in eurer Heimat! 89 AUDIENZEN UNDANGELUS Jeder Christ ist ein Apostel Regina Caeli am 26. April 1. „Verlangt, gleichsam als neugeborene Kinder, nach der unverfälschten, geistigen Milch, damit ihr durch sie heranwachst und das Heil erlangt“ (2 Petr 2,2). Diese Aufforderung des hl. Petrus, die die römische Liturgie am Schluß der Osteroktav zu bedenken gibt, spricht von Geburt und Wachstum, zwei Grundaspekten des natürlichen Lebens. In der Taufe wird der Mensch der Gnade geboren, tritt in die Schar der Kinder Gottes ein als Glied des heiligen Volkes und des mystischen Leibes Christi und wird zum „neuen Menschen“, der endgültig und unwiderruflich an der übernatürlichen Ordnung teilhat. Dieser „neue Mensch“ soll sich durch das Hören des Wortes Gottes stärken, an dem der Christ — wie der Apostel Petrus knapp und einfach unterstreicht — seinen Hunger stillen muß. Deshalb muß das Bewußtsein von der empfangenen Taufe den Christen in allen Bereichen seiner Berufung begleiten. 2. Einer dieser Bereiche ist der eigentliche „apostolische“. Jeder Christ ist schon durch sein Christsein Apostel. Ganz durchdrungen vom Licht Christi (vgl. Lumen gentium, Nr. 1) ist auch er berufen, Licht der Welt zu sein. Auf dieser Linie hat das Konzil, und zwar ausführlich, das Laienapostolat behandelt. Nicht als ein Ersatz des Weiheamtes wurde es verstanden, sondern als eine echte und immer notwendige Ausübung der christlichen Berufung. Hier eine grundlegende Aussage: „Die ... Laien sind ... berufen, als lebendige Glieder mit allen ihren Kräften ... zum Wachstum ... der Kirche beizutragen. Das Apostolat der Laien ist Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst. Zu diesem Apostolat werden alle vom Herrn selbst durch Taufe und Firmung bestellt“ (Lumen gentium,Nr. 33). 3. Sie sind in erster Person beauftragt. Das Apostolat des einzelnen, das jeder ausübt, indem er seine eigenen „Charismen“ fruchtbringend einsetzt, „ist Ursprung und Voraussetzung jedes Apostolates der Laien, auch des gemeinschaftlichen. Es kann durch nichts ersetzt werden“ (Apostolicam actuosita-tem, Nr. 16). Grundlegenden Ausdruck findet es im Zeugnis eines ernsthaft nach dem Evangelium ausgerichteten Lebens, in dem die Religion nicht nur eine Unterbrechung des Berufslebens oder eine gelegentliche Gewohnheit bedeutet, sondern mit dem sie wirklich lebendig verschmolzen ist. Für die moderne Mentalität ist das Zeugnis von besonderer Bedeutung. „Der heutige Mensch hört lieber auf Zeugen als auf Gelehrte, und wenn er auf Gelehrte hört, dann deshalb, weil sie Zeugen sind“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 41). 90 AUDIENZEN UND ANGELUS Viele Zeichen deuten an, daß der Sinn für das Apostolat sich unter den Laien, unseren Brüdern und Schwestern, wenn auch mit unterschiedlichen Schwankungen weiter ausgebreitet und vertieft hat. Die nächste Synode wird Gelegenheit haben, konkrete Wege für einen neuen, entscheidenden Impuls aufzuzeigen. Empfehlen wir diese Hoffnung dem Herzen der Jungfrau Maria, die „ein vollendetes Vorbild eines solchen geistlichen Lebens“ der Laien ist (Apostolicam actuositatem, Nr. 4). Nach dem Gebet des Regina Caeli sagte der Papst: Die Nachrichten der vergangenen Tage lenken unsere Aufmerksamkeit erneut auf den tragischen und anhaltenden ethnischen Konflikt, von dem Sri Lanka betroffen ist. Mit den Worten des auferstandenen Herrn an seine Jünger will ich diesem geliebten Volk die innigsten Wünsche aussprechen: Der Friede sei mit euch! Mit einem besonderen Gedenken der Verstorbenen und dejjenigen, die den Verlust ihrer Lieben beweinen. Ich lade alle ein, sich hochherzig und eifrig für einen wahren, gerechten und dauerhaften Frieden einzusetzen. In diesem Sinn bitte ich die seligste Jungfrau Maria, die Königin des Friedens, um ihre Fürsprache. Jesus — Menschensohn und Gottessohn Ansprache bei der Generalaudienz am 29. April 1. Jesus Christus, Menschensohn und Gottessohn, ist das Hauptthema unserer Katechese über die Identität des Messias. Sie ist die Grundwahrheit der christlichen Offenbarung und des Glaubens, die Menschheit und Gottheit Christi, über die wir später in noch vollständigerer Weise nachdenken werden. Jetzt drängt es uns, die Analyse der messianischen Titel zu vervollständigen, die bereits in gewisser Weise im Alten Testament vorhanden ist, und zu sehen, in welchem Sinn Jesus sie auf sich anwendet. In bezug auf den Titel „Menschensohn“ ist bedeutsam, daß Jesus davon häufig Gebrauch machte, wenn er von sich sprach, während die anderen ihn „Gottessohn“ nannten, wie wir in der nächsten Katechese sehen werden. Er hingegen bezeichnete sich als „Menschensohn“, während niemand anders ihn so nannte, ausgenommen der Diakon Stephanus vor der Steinigung (vgl. Apg 7,56) und der Verfasser der Offenbarung an zwei Stellen (Offb 1,13; 14,14). 91 A UDIENZEN UND ANGELUS 2. Der Titel „Menschensohn“ stammt aus dem Alten Testament, aus dem Buch des Propheten Daniel. Hier der Text, der eine nächtliche Vision des Propheten beschreibt: „Immer noch hatte ich die nächtlichen Visionen: Da kam mit den Wolken des Himmels einer wie ein Menschensohn. Er gelangte bis zu dem Hochbetagten und wurde vor ihn geführt. Ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben. Alle Völker, Nationen und Sprachen müssen ihm dienen. Seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft. Sein Reich geht niemals unter“ (Dan 7,13-14). 3. Und als der Prophet um Erklärung dieser Vision bat, erhielt er folgende Antwort: „Das Königtum aber werden die Heiligen des Höchsten erhalten, und sie werden es behalten für immer und ewig ... Die: Herrschaft und Macht und die Herrlichkeit aller Reiche unter dem ganzen Himmel werden dem Volk der Heiligendes Höchsten gegeben“ {Dan 7,18.27). Daniels Text betrifft eine Einzelperson Und das Volk. Wir merken sogleich, daß das, was sich auf die Person des Menschensohns bezieht, in den Worten des Engels bei der Verkündigung an Maria zu finden ist: „Er wird ... in Ewigkeit herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben“ (Lk 1,33). 4. Im Zusammenhang mit dem Leben auf Erden des Jesus von Nazaret stoßen wir auf Texte wie folgt: „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ {Mt 8,20); oder auch: „Der Menschensohn ist gekommen, er ißt und trinkt; darauf sagen sie: Dieser Fresser und Säufer, dieser Freund der Zöllner und Sünder“ {Mt 11,19). Andere Male weist das Wort Jesu mit verstärkter Bedeutung auf seine Macht hin. So wenn er sagt: „Deshalb ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat“ {Mk 2,38). Bei der Heilung des Gelähmten, der durch die Dachöff-rtung hinabgelassen worden war, bekräftigt er in beinahe herausforderndem Ton: „Ihr sollt aber erkennen, daß der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Sünden zu vergeben.“ Und er sagte zu dem Gelähmten: „Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Tragbahre, und geh nach Hause!“ {Mk 2,10-11). An anderer Stelle erklärt Jesus: „Denn wie Jona für die Einwohner von Ninive ein Zeichen war, so wird es auch der Menschensöhn für diese Generation sein“ {Lk 11,30). Bei anderer Gelegenheit handelt es sich um eine geheimnisvolle Voraussage: „Es wird eine Zeit kommen, in der ihr euch danach sehnt, auch mir einen von den Tagen des Menschensohnes zu erleben; aber ihr werdet ihn nicht erleben“ {Lk 17,22). 5. Einige Theologen stellen eine interessante Übereinstimmung zwischen der Weissagung des Ezechiel und den Aufzählungen Jesu fest. Der Prophet 92 AUDIENZEN UNDANGELUS schreibt: „Er (Gott) sagte zu mir: Menschlich sende dich zu den abtrünnigen Söhnen Israels, die sich gegen mich aufgelehnt haben ... Du sollt zu ihnen sagen: So spricht Gott, der Herr“ (Ez 2,3-4). „Mensch, du wohnst mitten unter einem trotzigen Volk, das Augen hat, um zu sehen, und doch nicht sieht, das Ohrenhat, um zu hören, und doch nicht hört...“ (Ez 12,2). „Du,Mensch,... sollst dein Gesicht unbeweglich auf das belagerte Jerusalem richten und mit erhobenem Arm'gegen die Stadt weissagen“ (Ez 4,1-7). „Mensch, trag dem Haus Israel ein Rätsel vor, erzähl ihm ein Gleichnis!“ (Ez 17,2): Als Widerhall auf die Worte, des Propheten lehrt Jesus: „Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist“ (Lk 19,10). „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zü dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45; vgl. auch Mt 20,29). Der Menschensohn wird, „wenn er mit den heiligen Engeln in der Hoheit des Vaters kommt“, sich dessen schämen, der sich Seiner und seiner Worte vor den Menschen schämt (vgl. Mk 8,38). 6. Die Identität des Menschensohnes erscheint unter dem zweifachen Aspekt des „Gesandten“ Gottes, des Verkünders des Gottesreiches, des Propheten, der zur Umkehr ruft. Andererseits ist es der „Stellvertreter“ der Menschen, deren Zustand und Leiden auf Erden er teilt, um sie loszukaufen und zu retten nach dem Plan des Vaters. So sagt er selbst während der Unterredung mit Nikodemus: „Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muß der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der (an ihn) glaubt, in ihm das ewige Leben hat“ (Joh 3,14-15). Es ist eine klare Ankündigung des Leidens,-die Jesus wiederholt: „Dann begann er, sie darüber zu belehren, der Menschensohn müsse vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er werde getötet, aber nach drei Tagen werde er auferstehen“ (Mk 8,31). Gut dreimal finden wir diese Ankündigung im Markusevangelium (vgl. Mk 9,31; 10,33-34), und in jeder von ihnen spricht Jesus vqn sich selbst als dem „Menschensohn“. 7. Mit demselben Beinamen bezeichnet sich Jesus vor dem Hohen Rat des Kajaphas, wenn er auf die Frage: „Bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten?“ antwortet: „Ich bin es. Und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen“ (Mk 14,62). In diesen Worten hallt die Weissagung Daniels wieder: „Da kam mit den Wolken des Himmels einer wie ein Menschensohn“ (Dan 7,13), und des Psalms 110, der den Herrn zur Rechten Gottes sitzen sieht (vgl. Ps 109/110,1). 93 AUDIENZEN UND ANGELUS 8. Wiederholt spricht Jesus von der Erhöhung des Menschensohnes, aber er verheimlicht seinen Zuhörern nicht, daß sie die Erniedrigung des Kreuzes einschließt. Auf die Einwände und die Ungläubigkeit der Leute und der Jünger, die seine schweren, leidvollen Andeutungen wohl verstanden und ihn auch fragten: „Wie kannst du sagen, der Menschensohn müsse erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn?“ {Joh 12,34), versicherte Jesus: „Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin. Ihr werdet erkennen, daß ich nichts im eigenen Namen tue, sondern nur das sage, was mich der Vater gelehrt hat“ (Joh 8,28). Jesus bestätigt, daß seine „Erhöhung“ durch das Kreuz seine Verherrlichung sein wird. Kurz danach fügt er hinzu: „Die Stunde ist gekommen, daß der Menschensohn verherrlichtwird“ {Joh 12,23). Bedeutsam ist, daß Jesus beim Weggang des Judasaus dem Abendmahlssaal sagt: „Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht, und Gott ist in ihm verherrlicht“ {Joh 13,31). 9. Dies ist der Inhalt des Lebens, des Leidens, des Todes und der Verherrlichung dessen, von dem der Prophet Daniel einen schwachen Entwurf dargeboten hatte. Jesus zögert nicht, auch das Charakteristikum des ewigen, nicht untergehenden Reiches auf sich anzuwenden, das Daniel dem Werk des Menschensohnes beigefügt hatte, und verkündet bei der Voraussage der kommenden Endzeit: „Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken kommen sehen“ {Mk 13,26; vgl. Mt 24,30).3In dieser eschatologischen Perspektive muß sich das Evangelisierungswerk der Kirche entfalten. Er macht uns aufmerksam: „Ihr werdet nicht zu Ende kommen mit den Städten Israels, bis der Menschensohn kommt“ {Mt 10,23). Und er fragt sich: „Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde (noch) Glauben vorfinden?“ {Lk 18,8). 10. Wenn Jesus als Menschensohn mit seinem Leben, Leiden, seinem Tod und seiner Auferstehung den messianischen Plan verwirklicht hat, der im Alten Testament angedeutet worden war, nimmt er gleichzeitig mit demselben Namen seinen Platz unter den Menschen als wahrer Mensch, als Sohn einer Frau, der Maria von Nazaret, ein. Durch diese Frau, seine Mutter, ist er, der Gottessohn gleichzeitig Menschensohn, wahrer Mensch, wie der Brief an die Hebräer bestätigt: „Wir haben ja ... einen, der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat“ {Hebr4,\5\ vgl. Gaudium et spes, Nr. 22) . 94 AUDIENZEN UNDANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Jesus Christus, Menschensohn und Gottessohn, ist das Thema unserer Katechesen über die Identität des Messias. Heute möchte ich den messianischen Titel „Menschensohn“ etwas eingehender erörtern. Er entstammt dem Alten Testament und kommt dort vornehmlich in den Büchern der Propheten Daniel und Ezechiel vor. Jesus selbst gebraucht den Titel „Menschensohn“ häufig für sich, während die anderen ihn „Gottessohn“ nennen. In den Evangelien sagt Jesus: „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Mt 8,20). Andere Worte betonen seine Vollmacht: „Ihr sollt aber erkennen, daß der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Sünden zu vergeben. Und er sagte zu dem Gelähmten: Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Tragbahre, und geh nach Hause!“ (Mk 2,10-11). Einige Theologen stellen eine bemerkenswerte Parallele zwischen der Prophezeiung des Ezechiel und den Worten Jesu fest. So schreibt jener Prophet: „Menschensohn, ich sende dich zu den abtrünnigen Söhnen Israels, die sich gegen mich aufgelehnt haben... Du sollst zu ihnen sagen: So spricht Gott, der Herr“ (Ez 2,3-4). Wohl in Anlehnung an die Prophetenworte lehrt Jesus: „Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist“ (Lk 19,10). „Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld hinzugeben für viele“ (Mk 10,45). Die Identität des Menschensohnes weist einen doppelten Aspekt auf: Als Vertreter Gottes kündigt er das Gottesreich an und ruft zur Umkehr auf. Als „Vertreter“ der Menschen teilt er deren irdisches Leben und Leiden, um dem Heilsplan des Vaters gemäß den Menschen zu erlösen und zu retten. Dreimal kündet Jesus bei Markus seine Passion an: „Der Menschensohn wird den Menschen ausgeliefert, und sie werden ihn töten; doch drei Tage nach seinem Tod wird er auferstehen“ (Mk 9,31; vgl. 8,31; 10,33-34). Wiederholt spricht Jesus auch von der Erhöhung des Menschensohnes am Kreuz, die seine Verherrlichung einleitet: „Die Stunde ist gekommen, daß der Menschensohn verherrlicht wird“ (Joh 12,23). Wie Jesus als „Menschensohn“ die alttestamentlichen Prophezeiungen durch sein Leben, Leiden und Sterben und in seiner Verherrlichung erfüllt und so den messianischen Heilsplan verwirklicht, so zögert er auch nicht, die nächtliche Vision des Propheten Daniel (Dan 7,13-14) über das Ende der Welt auf 95 AUDIENZEN UND ANGELUS sich zu beziehen: „Das Zeichen des Menschensohnes wird am Himmel erscheinen; dann werden alle Völker der Erde... den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels kommen sehen“ (Mt 24,30). In dieser eschatologischen Perspektive wird die Kirche, werden wir alle, die seinen Namen tragen, von Christus gefragt: „Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden?“ (Lk 18,8). Mit dieser kurzen Betrachtung grüße ich herzlich alle anwesenden Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern. Mein brüderlicher Gruß gilt besonders der Gruppe von Priestern aus der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die anläßlich ihres fünfundzwanzigjährigen Priesteijubiläums in Rom weilen. Christus, der Gute Hirte, bleibe stets euer Vorbild. Er stärke euch weiterhin in eurem priesterlichen Dienst und beschenke euch darin mit wahrer Freude. Ebenso grüße ich die ökumenische Pilgergruppe aus Ulm. Ich erbitte euch in diesen Tagen an den Gräbern der Apostel und der Märtyrer der frühen römischen Christengemeinde, daß ihr den vielfältigen Reichtum unseres christlichen Glaubens tiefer erkennt und euch mit neuer Bereitschaft für die Einheit aller Christen einsetzt. Zum Schluß empfehle ich meine bevorstehende Pastoraireise nach Deutschland auch ganz besonders eurem Gebet und erteile euch und all euren Lieben in der Heimat von Herzen den Apostolischen Segen. Die wahren Mittelpunkte sind die Gebetsorte Ansprache bei der Generalaudienz am 6. Mai 1. „Ihr werdet meine Zeugen sein“ (Apg 1,8) . Diese Worte Christi bildeten den Leitfaden der apostolischen Reise, die ich auf Einladung der deutschen Bischöfe und der entsprechenden staatlichen Stellen in den ersten Maitagen in die Bundesrepublik Deutschland unternommen habe. Anläßlich der heutigen Generalaudienz will ich meinen herzlichen Dank für diese Einladung und auch für die sorgfältige Organisation des Besuches zum Ausdruck bringen. Gleichfalls danke ich all denen, die in verschiedener Weise an den einzelnen Veranstaltungen teilgenommen haben. 2. „Ihr werdet meine Zeugen sein!“ Diese Worte, die Christus vor der Himmelfahrt zu den Aposteln gesprochen hat, sind diesmal in besonderer Weise auf Sr. Teresia Benedicta vom Kreuz, Edith Stein, zu beziehen, die ich am ver- 96 AUDIENZEN UNDANGELUS gangenen 1. Mai im Laufe einer feierlichen Liturgie in Köln seligzusprechen die Freude hatte. Edith Stein verlor ihr Leben im Tödeslager, wo sie das Schicksal von Millionen Söhnen und Töchtern ihrer Nation teilte. Sie verlor ihr Leben als Jüdin und als Karmelitin. Ihre heldenhaften Tugenden des Glaubens, des Gottvertrauens, der Barmherzigkeit, der Geduld, der Liebe, des Verzeihens und der Hingabe ihres Lebens für das Heil ihres Volkes und ihrer Nation haben bewirkt, daß die Kirche sie allen Gläubigen zum Vorbild geben und ihre Fürsprache bei Gott anrufen konnte. Ich wiederhole das, was ich am Schluß der Predigt sagte: „Wir verneigen uns heute mit der ganzen Kirche vor dieser großen Frau, die wir von jetzt an als Selige in Gottes Herrlichkeit anrufen dürfen; vor dieser großen Tochter Israels, die in Christus, dem Erlöser, die Erfüllung ihres Glaubens und ihrer Berufung für das Volk Gottes gefunden hat“. 3. Dieselben Worte Christi: „Ihr werdet meine Zeugen sein“, sind im Kontext des in Deutschland vollbrachten päpstlichen Dienstes auf den Jesuitenpater Rupert Mayer anzuwenden, dessen Seligsprechung am 3. Mai in München stattfand. Auch Pater Rupert Mayer war ein bewundernswerter Zeuge der beständigen wirksamen Nächstenliebe und der unerschrockenen Verteidigung der Wahrheit. Er nahm das Kreuz Christi hochherzig auf sich und fürchtete sich nicht, Inhaftierung und Konzentrationslager erdulden zu müssen, um die Rechte Gottes und des Menschen zu verkünden und zu verteidigen. Sein Beispiel und seine Botschaft bleiben immer gültig: „Auch heute gilt es, Gott zu geben, was Gottes ist. Dann wird auch dem Menschen gegeben werden, was des Menschen, ist“. 4. Diese beiden Seligsprechungen betreffen die Zeit, in der der Glaube und die christliche Moral in Deutschland und anderen europäischen Ländern einer radikalen Herausforderung gegenübergestellt waren: die Zeit des unmenschlichen Handelns des nationalsozialistischen Systems, das die Geschichte unseres Jahrhunderts schwer belastet hat. Während meines Pastoralbesuches in Deutschland konnte ich auch die edle Gestalt dessen in Erinnerung rufen, der in jener schrecklichen Zeit ein Bezugspunkt als Verteidiger der Rechte Gottes und des Menschen für die Kirche und das deutsche Volk geworden war: Kardinal Clemens August von Galen, Bischof von Münster. Dabei rühmte ich seine ungebeugte Persönlichkeit und seine unerschrockene Lehre. 5. Die Erinnerung an eine nicht allzu ferne Vergangenheit stellte erneut diej e-nigen, die in besonders eindeutiger Weise „Zeugen Christi“ im Augenblick 97 AUDIENZEN UND ANGELUS der schweren Prüfung zu sein wußten, in den Blickpunkt der öffentlichen Meinung. Und gleichzeitig klang diese Erinnerung wie eine Herausforderung an die heutige Generation der Christen, damit die Glaubenden in einer Zeit der vollen religiösen und bürgerlichen Freiheit und in einer Gesellschaft, die durch großen Wohlstand, aber auch durch wachsende Säkularisierung gekennzeichnet ist, Zeugen Christi werden. 6. Die Aufmerksamkeit aller wurde während der Pilgerfahrt besonders auf einige Themen gelenkt. Eines davon war das Problem der sozialen Gerechtigkeit, die mit . der Arbeits—und Beschäftigungsfrage eng verbunden ist. Dieses Thema wurde in Bottrop behandelt, wo ich mich bei der Zeche „Prosper-Haniel“ an alle Arbeiter und Industrielle wandte, und auch während der Eucharistiefeier im Parkstadion von Gelsenkirchen,, wo ich unter Betonung des Wertes der Arbeit und der Notwendigkeit ihrer Humanisierung vom Drama der Arbeitslosigkeit gesprochen und auf die Gefahren einer vom Gewissen losgelösten Technologie hinwies. Ich versäumte nicht, auf die Erfordernisse der Achtung der Umwelt hinzudeuten. 7. Ein weiteres wichtiges Thema war das „der Arbeiter und Arbeiterinnen im Weinberg des Herrn“. In Augsburg begegnete ich den Ordensfrauen und den Novizinnen und ermutigte sie — anknüpfend an die drei Weihegelübde — zu einer ausgewogenen und frohen Hingabe, damit andere junge Mädchen, die der Herr zu einem vollkommeneren Leben berufen hat, aus diesem Zeugnis vertrauen und Mut schöpfen können. Ebenfalls in Augsburg hatte ich die Freude, das neue Priesterseminar einzuweihen, das den Namen des hl. Hieronymus trägt. Hier sprach ich besonders zu den Eltern, denn die Familie ist das erste, unerläßliche Seminar; zu den Kranken und Leidenden, damit sie unter Annahme ihrer Schmerzen in Verbundenheit mit Christus für die Kirche reichen Segen erlangen; zu den Theologen und Dozenten, damit sie mit ihrer Lehre und ihrem Beispiel die Berufe fördern; zu den Priesteramtskandidaten, damit die Seminarzeit ein Abschnitt echter kultureller, asketischer und pastoraler Formung werde. 8. Der Aufruf Christi, Zeugnis zu geben, hat in unserer Zeit und vor allem in Deutschland eine tief ökumenische Bedeutung. Und deshalb fand im Augsburger Dom St. Ulrich und Afra eine besonders wichtige Begegnung mit den orthodoxen und evangelischen Brüdern statt. Die Stadt Augsburg ist in der Geschichte dafür bekannt, daß nach ihr die „Confessio Augustana“ von 1530 98 AUDIENZEN UND ANGELUS benannt wurde, in der die Anhänger Luthers und die Katholiken einen Versuch der Wiedervereinigung und Versöhnung in Lehre und Disziplin unternahmen. „Welchen Weg hätte die Geschichte genommen, welche missionarischen Möglichkeiten hätten sich doch für die neuentdeckten Erdteile ergeben, wenn damals die Überbrückung des Trennenden und die verständnisvolle Klärung der Streitpunkte gelungen wäre!“ Dies sagte ich beim ökumenischen Gebetstreffen. Wir müssen ohne Unterlaß beten und heute das tun, was heute möglich ist, damit morgen das verwirklicht werden kann, was morgen notwendig sein wird. 9. Die Worte „Ihr werdet meine Zeugen sein“ wurden von Anfang an als ein Aufruf zur Evangelisierung aller Länder und aller Kontinente und insbesondere zur Evangelisierung Europas verstanden. Ein Ort, der von dieser Evangelisierung im Laufe des ersten Jahrtausends zeugt, ist die Stadt Speyer, ein alter Kaisersitz. Deshalb war es angemessen, daß ich eben von diesem herrlichen romanischen Dom von Speyer, in dem sich die Kaisergräber befinden, und dem historischen Vorplatz aus das Thema „Der Aufbau eines christlichen Europas“ behandelte und die Notwendigkeit einer „Neuevangelisierung“ Europas im Hinblick auf das dritte Jahrtausend hervorhob. 10. Angesichts der kurz bevorstehenden Eröffnung des Marianischen Jahres hatten die Feierlichkeiten zu Beginn des Wallfahrtsjahres in der Basilika in Kevelaer, der Weiheakt an Maria, „Trösterin der Betrübten“, und das anschließende Gebet der Laudes besondere, bewegende Bedeutung. Unter Hinweis auf das geheimnisvolle Pfingstereignis, bei dem die Apostel zusammen mit Maria den Heiligen Geist empfingen, wiederhole ich heute das, was ich in Kevelaer sagte: „Die wahren Mittelpunkte der Geschichte sind die vielen Gebetsorte der Menschen. 11. Diese bedeutsamen Tage der Pastoraireise, in deren Verlauf ich den päpstlichen Dienst inmitten der Kirche der Bundesrepublik Deutschland ausüben konnte, mögen auf die Fürsprache der seligen Jungfrau Maria und der neuen Seligen Teresia und Rupert die Frucht bringen, die Jesus seinen Aposteln im Abendmahlssaal verheißen hat: „Ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, daß .ihr euch aufmacht und Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt“ {Joh 15,16). 99 AUDIENZEN UNDANGELUS An die deutschen Pilger gewandt, sagte der Papst: „Ihr werdet meine Zeugen sein“ (Apg 1,8). — Diese Worte des auferstandenen Herrn standen wie ein verbindendes Thema über diesen ersteh vier Tagen, die ich auf meiner zweiten Pastoraireise in die Bundesrepublik Deutschland verbringen konnte. Nach meiner glücklichen Rückkehr möchte ich auch die Gelegenheit dieser Generalaudienz benutzen, um zusammen mit euch Gott zu danken für den guten Verlauf der Reise und die zahlreichen eind ruckst vollen Begegnungen in großem oder kleinerem Rahmen. Zugleich gelten mein Dank und meine aufrichtige Anerkennung den gastgebenden Bischöfen und ihren Mitarbeitern sowie den zuständigen staatlichen Stellen für die sorg-fältige Vorbereitung und gelungene Gestaltung dieser festlichen Tage. Der belebende und anregende Geist Gottes möge allen Teilnehmern reiche innere Früchte des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe schenken. „Ihr werdet meine Zeugen sein.“ Diese Worte leuchteten bei diesem Pastoral-besuch besonders über einigen großen Gestalten, die zur Zeit der nationalsozialistischen Diktatur Zeugnis abgelegt haben für ihren christlichen Glauben und für die in Gott gründenden Rechte des Menschen. Edith Stein, die bekannte Jüdin, Philosophin, Karmelitin, habe ich im Namen der Kirche zur seligen Märtyrin erklären können; der Jesuitenpater Rupert Mayer, der „Apostel Münchens“ in dunkler Zeit, ist wegen seiner gradlinigen Treue zu seinem priesterlichen Auftrag eines Zeugen Christi ebenfalls seliggesprochen worden. An die Seite dieser seligen Glaubenszeugen habe ich die Person des Bischofs und Kardinals Clemens August von Galen gestellt, um die heutige Generation der Christen daran zu erinnern, daß unser Bekenntnis zu Christus und seiner Gerechtigkeit zuweilen besonderen Mut und eindeutige Konsequenz von uns verlangt. Einige Bereiche solcher Glaubenskonsequenz habe ich in denkwürdigen Begegnungen vor allem für die Welt der Arbeit und Wirtschaft, für die Gestaltung eines christliehen Europas und für die Wiedervereinigung der- getrennten Christen aufzeigen können. Und auch die Einweihung eines neuen Priesterseminars stand im Licht jener Sendung Christi auch an seine heutigen Jünger: „Ihr werdet meine Zeugen sein.“ Während ich die Besucher aus Deutschland nun bitte, zusammen mit ihren Landsleuten in der Heimat die Eindrücke jener vier Tage noch weiter zu vertiefen und für ihr tägliches Christenleben auszuwerten, grüße ich alle Pilger deutscher Sprache. Mit besonderer Anerkennung möchte ich heute die Gruppe von Verwandten und Freunden der neuen Rekruten der Päpstlichen Schweizergarde nennen, die heute ihren feierlichen Diensteid ablegen. — Der reiche Segen und Schutz Gottes begleite euch auf allen euren Wegen! 100 AUDIENZEN. UND ANGELUS Katecheten leisten eine besondere Arbeit Regina Gaeli am 10. Mai 1. Der Heilige Geist schenkt „den Laien heute mehr und mehr das Bewußtsein der ihnen eigentümlichen Verantwortung und (ruft) sie allenthalben zum Dienst für Christus und seine Kirche auf <1> (Apostolicam actuositatem, Nr.l). Diese Aussage trifft in besonderer Weise auf den Dienst der Katechese zu. Deshalb möchte ich gern im Hinblick auf die kommende Synode, wie ich es in dem Apostolischen Schreiben Catechesi tradendae getan habe, „euch, i.. den Katecheten in den Pfarreien, den Laien, den Männern und den noch zahlreicheren Frauen (danken), die ihr euch überall in der Welt der religiösen Erziehung vieler Generationen gewidmet habt. Eure... Arbeit ist eine hervorragende Form des Laienapostolates und besonders dort wichtig, wo Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Gründen daheim keine entsprechende religiö-se Bildung erhalten“ (Catechesi tradendae, Nr. 66). <1> Wie wir in den vorhergegangenen Katechesen überlegt haben, bedeutet der Name „Christus“ in der alttestamentlichen Sprache „Messias“. Israel, das Gottesvolk des Alten Bundes, lebte in der Erwartung, daß die Verheißung dbs Messias, die sich in Jesus von Nazaret erfüllte, Wirklichkeit werde. Deshalb wurde Jesus von Anfang an Christus, d. h. „Messias“, genannt und als solcher von all denen, „die ihn aufnahmen“ (Joh 1,12), anerkannt. 2. Die Katechese ist ein Abschnitt der Evangelisierung. Vor zehn Jahren hat die Vollversammlung der Bischofssynode ihre vielfältigen Aspekte beleuchtet und die Rolle der Laien, die sie in ihr spielen, hervorgehoben, in vielfacher Weise eine Hauptrolle, wie das Konzil bei der eingehenden und weitreichen-den Behandlung des Themas in Erinnerung rief. So wahr es ist, daß die Katchese „den ersten Platz“ unter den Pflichten der Bischöfe (vgl. Christus Dominus, Nr. 13) und den geweihten Amtsträgem einnimmt, ebenso wahr ist, daß sie ein Bereich ist, in dem die Laien in spezifischer Form die eigene Berufung zum Ausdruck bringen, indem sie das allgemeine Priestertum ausüben und die eigene Teilhabe' am prophetischen Amt Christi bezeugen. Dringend notwendig ist diese edle Aufgabe — so das Konzil — „dort, wo die Freiheit der Kirche schwer behindert ist. In diesen schwierigsten Verhältnissen (setzen ) die Laien ... oft ihre eigene Freiheit, bisweilen auch ihr Leben aufs Spiel, lehren die Menschen ihrer Umgebung die Lehre Christi“ (Apostolicam actuositatem, .Nr. 17). . 3. Das Beispiel der Katecheten und Katechetinnen, die unter manchmal Heldenmut erfordernden Bedingungen zu wirken aufgerufen sind, muß für alle, die in normalen Verhältnissen leben, ein Ansporn sein. Ich möchte die lebensnotwendige Bedeutung der Kinder- und der Jugendkatechese in der heutigen Zeit unterstreichen, in der die Dringlichkeit einer Rückbesinnung auf die übernatürlichen Werte offenbar wird und man die Notwendigkeit spürt, daß der Sauerteig des Evangeliums wieder das Bewußtsein der 101 AUDIENZEN UND ANGELUS jungen Generationen durchdringe zugunsten einer glücklichen und arbeitsreichen Zukunft. Die Katechese schafft die Vorraussetzungen dazu. Sie ist Pflicht der christlichen Eltern, denen an erster Stelle es aufgetragen ist, ihre Kinder „mit den christlichen Lehren und den Tugenden des Evangeliums (zu) erfüllen“ {Lumen gentium, Nr. 41). Die Katechese ist gleichfalls Pflicht der Diözesen, der Pfarreien, der Verbände und Apostolatsbewegungen, angefangen von der Katechetenausbildung und der Förderung entsprechender Initiativen. Für sie werden immer die verheißungsvollen Worte des Herrn gelten: „Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf (Mk 9,37). Die jungfräuliche Mutter, die das geheimnisvolle Heranwachsen ihres göttlichen Sohnes behütete, erlange für die Kirche eine ständige wachsende Zunahme des katechetischen Apostolats. Nach dem Gebet des Regina Caeli sagte der Papst: Der heutige Sonntag, der Weltgebetstag für die geistlichen Berufe, veranlaßt uns, über die Worte Jesu nachzudenken, die er vor den vielen Menschen sagte, die müde und erschöpft waren wie Schafe, die keinen Hirten haben: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“ (Mt 9,37; vgl .Lk 10,2). Die Kirche braucht Priester, Ordensmänner und-frauen, Menschen, die sich Gott für die Verbreitung des „Evangeliums vom himmlischen Reich“ voll zur Verfügung stellen. An alle Brüder und Schwestern in der Welt richte ich heute wiederum die Aufforderung Jesu , Gott zu bitten, daß er den vielen jungen Menschen die Gnade der Berufung und gleichzeitig die Kraft schenke, hochherzig auf seinen Ruf zu antworten. Christus ist Gottes Sohn Ansprache bei der Generalaudienz am 13. Mai <2> <2> Wie wir in den vorhergegangenen Katechesen überlegt haben, bedeutet der Name „Christus“ in der alttestamentlichen Sprache „Messias“. Israel, das Gottesvolk des Alten Bundes, lebte in der Erwartung, daß die Verheißung dbs Messias, die sich in Jesus von Nazaret erfüllte, Wirklichkeit werde. Deshalb wurde Jesus von Anfang an Christus, d. h. „Messias“, genannt und als solcher von all denen, „die ihn aufnahmen“ (Joh 1,12), anerkannt. 102 AUDIENZEN UNDANGELUS 2. Wir haben gesehen, daß nach der Tradition des Alten Bundes der Messias König ist und daß dieser messianische König auch „Sohn Gottes“ genannt wird, ein Name, der im Bereich des jahwistischen Monotheismus des Alten Testamentes nur analoge oder sogar metaphorische Bedeutung hat. In diesen Büchern handelt es sich nicht um den von Gott „gezeugten“ Sohn, sondern um jemanden, den Gott erwählt und den er mit einer besonderen Sendung oder einem Dienst betraut. 3. In diesem Sinn wird manchmal auch das ganze Volk „Sohn“ genannt, z. B. wenn Jahwe zu Mose sagt: „Dann sag zu Pharao: ... Israel ist mein erstgeborener Sohn ... Laß meinen Sohn ziehen, damit er mich verehren kann“ (Ex 4,22-23; vgl. auch Hos 11,1; Jer 31,9). Wenn also der König im Alten Bund „Sohn Gottes“ genannt wird, dann deshalb, weil er in der israelitischen Theokratie ein besonderer Stellvertreter Gottes ist. Wir sehen es z. B. in Psalm 2 in bezug auf die Einsetzung des Königs: „Er sprach zu mir: Mein Sohn bist du. Heute habe ich dich gezeugt“ (Ps 2,7). Auch in Psalm 88 lesen wir: „Er (David) wird zu mir rufen: Mein Vater bist du ... Ich mache ihn zum erstgeborenen Sohn, zum Höchsten unter den Herrschern der Erde“ (Ps 88/89,27-28). Später wird der Prophet Natan über die Herkunft Davids dasselbe sagen: „Ich will für ihn Vater sein, und er wird für mich Sohn sein. Wenn er sich verfehlt, werde ich ... züchtigen“ (2 Sam 7,14). Jedoch scheint im Alten Testament durch die analoge und metaphorische Bedeutung des Beinamens „Sohn Gottes“ noch eine andere hindurchzudringen, die aber dunkel bleibt. So sagt im genannten Psalm 2 Gott zum König: „Mein Sohn bist du. Heute habe ich dich gezeugt“ (Ps 2,7), und in Psalm 109/11Ö: „Ich habe dich gezeugt noch vor dem Morgenstern, wie den Tau in der Frühe“ (Ps 109/110,3). 4. Man muß sich diesen biblisch-messianischen Hintergrund vor Augen halten, um sich dessen bewußt zu werden, daß die Handlungs- und Ausdrucksweise Jesu auf das Bewußtsein einer völlig neuen Wirklichkeit hindeutet. Obwohl Jesus in den synoptischen Evangelien sich nie als Sohn Gottes bezeichnet und sich auch nicht Messias nennt, bestätigt und gibt er vielfach zu verstehen, daß er der Sohn Gottes ist, und zwar nicht im analogen oder metaphorischen, sondern im natürlichen Sinn. 5. Er unterstreicht sogar die Einzigartigkeit seiner Sohnbeziehung zu Gott. Nie sagt er von Gott: „unser Vater“, sondern nur „mein Vater“, oder er unterscheidet: „mein Vater, euer Vater“. Er zögert nicht zu sagen: „Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden“ (Mt 11,27). Diese Einzigartigkeit der 103 AUDIENZEN UND ANGELUS Sohnbeziehung zu Gott wird besonders im Gebet deutlich, wenn Jesus sich an Gott als seinen Vater wendet, indem er das aramäische Wort „Abba“ verwendet, das eine besondere kindliche Vertrautheit andeutet und in Jesu Mund ein Ausdruck seiner Ganzhingabe an den Willen des Vaters ist: „Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir!“ (Mk 14,36). In anderen Fällen verwendet Jesus den Ausdruck „euer Vater“, z. B.: „... barmherzig, wie es euer Vater ist“ (Lk 6,36); „euer Vater im Himmel“ (Mk 11,25). So unterstreicht er die Besonderheit der eigenen Beziehung zum Vater, wünscht aber gleichzeitig, daß diese göttliche Vaterschaft anderen mitgeteilt werde, wie es das Vaterunsergebet zeigt, das Jesus seine Apostel und Jünger gelehrt hat. 6. Die Wahrheit über Christus als Sohn Gottes ist der Kern des ganzen Neuen Testamentes. Die Evangelien, besonders das Johannesevangelium, und die Schriften der Apostel, vor allem die Päulusbriefe, geben uns klare Zeugnisse davon, ln der heutigen Katechese konzentrieren wir uns nur auf einige besondere deutliche Aussagen, die uns im gewissen Sinn den Weg dazu eröffnen, die Wahrheit über Christus als Sohn Gottes zu entdecken,- und die uns dem rechten Verständnis dieser Sohnschaft näherbringen. 7. Es ist wichtig festzustellen, daß die Überzeugung von der göttlichen Sohnschaft Jesu durch eine Stimme aus dem Himmel während der Taufe im Jordan (vgl. Mk 1,11) und auf dem Berg der Verklärung (vgl. Mk 9,7) bestätigt wurde. In beiden Fällen berichten uns die Evangelisten davon, was der Vater über Jesus. kundgetan hat: „Das ist mein geliebter Sohn“( vgl. Mt 3,17; Lk 3,22). Eine ähnliche Bestätigung erhielten die Apostel auch von den unreinen Geistern, die gegen Jesus wüteten: „Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Na-zaret? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes“ (Mk 1,24). „Was habe ich mit dir zu tun, Jesus, Sohn des höchsten Gottes?“ (Mk 5,7). 8. Wenn wir dann das Zeugnis der Menschen hören, verdient das Bekenntnis des Simon Petrus bei Cäsarea Philippi unsere besondere Aufmerksamkeit: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16). Zu beachten ist, daß dieses Bekenntnis in ungewöhnlich feierlicher Weise bestätigt wurde: „Selig bist du, Simon Baijona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel“ (Mt 16,17). Es handelt sich nicht um einen Einzelfall. Im selben Matthäusevangelium lesen wir, daß die Apostel, als sie sahen, wie Jesus auf dem Wasser des Sees Gennesaret wandelte, dem Sturm gebot und Petrus rettete, sich vor dem Meister niederwarfen und sagten: „Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn“ (Mt 14, 33) . 104 AUDIENZEN■ UNDANGELUS 9. So bestärkte also das, was Jesus tat und lehrte, in den Aposteln die Überzeugung, daß er nicht nur der Messias, sondern der wahre „Sohn Gottes“ ist. Und Jesus bestätigte diese Überzeugung. Gerade einige dieser von Jesus gemachten Aussagen riefen gegen ihn die Anklage der Gotteslästerung hervor. Daraus ergaben sich besonders dramatische Augenblicke, wie das Johannesevangelium bezeugt, wo wir lesen: „Darum waren die Juden noch mehr darauf aus, ihn zu töten, weil er nicht nur den Sabbat brach, sondern auch Gott seinen Vater nannte und sich damit Gott gleichstellte“ (Joh 5,18). Diesselbe Frage wurde in dem gegen Jesus eingeleiteten Prozeß vor dem Hohen Rat aufgeworfen: Kajaphas, der Hohepriester, fragte ihn: „Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, sag uns: Bist du der Messias, der Sohn Gottes?“ (Mt 26,63). Auf diese Frage antwortet Jesus einfach: „Du hast es gesagt“ (Mt 26,64), d. h. „Ja, ich bin es!“ Und obwohl es sich im Prozeß vor Pilatus um einen anderen Anklagepunkt handelte, nämlich: sich zum König gemacht zu haben, wiederholten die Juden auch hier die Hauptanklage: „Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetz muß er sterben, weil er sich als Sohn Gottes ausgegeben hat“ (Joh 19,7). 10. So können wir sagen, daß letzten Endes Jesus aufgrund der Wahrheit seiner göttlichen Sohnschaft am Kreuz gestorben ist. Auch wenn die Inschrift am Kreuz als offiziellen Urteilsspruch „Jesus von Nazaret, König der Juden“ angab, betont Matthäus: „Die Leute, die vorbeikamen, verhöhnten ihn, schüttelten den Kopf und riefen: Wenn du Gottes Sohn bist,... steig herab von Kreuz!“ (Mt 27,39-40). Und weiter: „Er hat auf Gott vertraut; der soll ihn jetzt retten, wenn er an ihm Gefallen hat; er hat doch gesagt: ich bin Gottes Sohn!“ (Mt27,43). Diese Wahrheit steht im Mittelpunkt des Geschehens auf Golgota. In der Vergangenheit war sie Gegenstand der Überzeugung, der Kundgabe und des apostolischen Zeugnisses gewesen, jetzt wurde sie Grund der Verhöhnung. Trotzdem gibt auch hier der römische Hauptmann, ein Heide, der den Todeskampf Jesu verfolgt und die Worte hört, mit denen sich Jesus im Augenblick des Todes an den Vater wendet, ein letztes, überraschendes Zeugnis von der göttlichen Identität Christi: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn“ (Mt 15,39). 11. Die Worte des römischen Hauptmanns über die Grundwahrheit des Evangeliums und des gesamten Neuen Testamentes rufen uns jene in Erinnerung, die der Engel bei der Verkündigung an Maria richtete: „Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus ge- 105 AUDIENZEN UNDANGELUS ben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden{Lk 31-32). Und als Maria fragt: „Wie soll das geschehen?“, antwortet ihr der Bote: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ {Lk 1,34-35). 12. Kraft seines Bewußtseins, Sohn Gottes im wirklich-natürlichen Sinn des Wortes zu sein, nannte Jesus „Gott seinen Vater“ {Joh 5,18). Mit derselben Überzeugung zögerte er nicht, zu seinen Feinden und Anklägern zu sagen: „Amen, amen, ich sage euch: Noch ehe Abraham wurde, bin ich“ (Joh 8,58). In diesem „bin ich“ liegt die Wahrheit von der göttlichen Sohnschaft, die nicht nur der Zeit Abrahams, sondern jeder Zeit und jeder geschaffenen Existenz vorausgeht. Johannes wird am Schluß seines Evangeliums sagen: „Diese (Zeichen) sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen“ {Joh 20,31). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Mit besten österlichen Wünschen heiße ich euch alle sehr herzlich willkommen zur heutigen Audienz. Unsere Überlegungen gelten zur Zeit Jesus Christus, dem verheißenen und gekommenen Messias. Nach der alttestamentli-chen Tradition ist der Messias zugleich König, der mitunter sogar „Sohn Gottes“ genannt wird. Dieses jedoch im übertragenen Sinn: als einer, der von Gott eine besondere Sendung erhalten hat. In diesem Sinn wird auch das ganze auserwählte Volk als „Sohn“ bezeichnet. So sagt zum Beispiel Moses zum Pharao: „So spricht Jahwe: Israel ist mein erstgeborener Sohn. Ich sage dir: Laß meinen Sohn ziehen, damit er mich verehren kann“ {Ex 4,22). Und der Prophet Natan sagt über David und seine Nachkommenschaft: „Ich will für ihn Vater sein, und er wird für mich Sohn sein“ (Sam 7,14). Neben diesem übertragenen Sinn kündet sich jedoch auch schon im Alten Testament eine noch speziellere Gottessohnschaft an; so im Psalm 2, wo es heißt: „Mein Sohn bist du; heute habe ich dich gezeugt“ (Ps 2,7). Im Neuen Testament nennt sich Jesus dann zwar niemals selbst „Sohn Gottes“. Er verdeutlicht jedoch auf vielfältige Weise, daß er sich als solcher versteht; und zwar als wirklicher Sohn Gottes, der Gott als seinen natürlichen Vater hat. Er selbst wendet sich an ihn als „Abba, Vater“. Zugleich spricht er vor den Jüngern immer nur von „meinem Vater“ und „eurem Vater <3>) um da- <3> Das Zweite Vatikanische Konzil hat in außerordentlicher Weise den missionarischen Charakter der Kirche herausgestellt. Im fügsamen Hören auf den Heiligen Geist hat es allen Gliedern des Gottesvolkes — Hirten und Gläubigen — den verpflichtenden Auftrag vorgelegt, den Jesus vor seiner Himmelfahrt den Aposteln erteilte, als er sagte: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,19; vgl. Lumen gentium, Nr. 17). In Erfüllung dieses hohen Auftrags hat das Konzil das leidenschaftliche Zeugnis des hl. Paulus aufgegriffen und es sich zu eigen gemacht: „Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, kann ich mich deswegen nicht rühmen; denn ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“ (1 Kor9,16; vgl. Lumen gentium, ebd.). 106 AUDIENZEN UNDANGELUS durch die Besonderheit seiner ganz persönlichen Beziehung zum Vater zu unterscheiden. Gott Vater selbst bestätigt Jesus bei der Taufe und bei der Verklärung zweimal ausdrücklich als seinen „geliebten Sohn“ (vgl. Mk 1,11; 9,7). Bei Cäsarea Philippi bekennt Petrus im Namen aller Apostel: „Dü bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16). Als später der Hohepriester Jesus fragt: „Bist du der Messias, der Sohn Gottes?“ antwortet ihm dieser: „Du hast es gesagt“ (Mt 26,63-64). Darum lautet dann auch die Anklage der Juden, für die Jesus den Kreuzestod erleidet: „Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetz muß er sterben, weil er sich als Sohn Gottes ausgegeben hat“ (Joh 19,7). In dieser Lehre der Heiligen Schrift und im Glauben der Kirche an die Gottessohnschaft Jesu erfüllen sich die Worte, die der Engel schon bei der Verkündigung zu Maria gesagt hatte: „Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,35). Mit dieser kurzen Betrachtung grüße ich aufrichtig alle heutigen Audienzteilnehmer deutscher Sprache, darunter besonders den Sozialdienst Katholischer Frauen aus der Bundesrepublik Deutschland. Ich ermutige dessen Mitglieder zu unermüdlicher Sorge für Frauen und Kinder in Not, zum Kampf gegen leichtfertige Abtreibungspraxis und zur Hilfeleistung für jene, die von der AIDS-Krankheit bedroht sind. Ihnen und allen Pilgern erteile ich von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. Evangelisierung ist Treue zur Berufung Regina Caeli am 17. Mai <4> <4> Das Zweite Vatikanische Konzil hat in außerordentlicher Weise den missionarischen Charakter der Kirche herausgestellt. Im fügsamen Hören auf den Heiligen Geist hat es allen Gliedern des Gottesvolkes — Hirten und Gläubigen — den verpflichtenden Auftrag vorgelegt, den Jesus vor seiner Himmelfahrt den Aposteln erteilte, als er sagte: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,19; vgl. Lumen gentium, Nr. 17). In Erfüllung dieses hohen Auftrags hat das Konzil das leidenschaftliche Zeugnis des hl. Paulus aufgegriffen und es sich zu eigen gemacht: „Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, kann ich mich deswegen nicht rühmen; denn ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“ (1 Kor9,16; vgl. Lumen gentium, ebd.). 107 AUDIENZEN UND ANGELUS 2. Das Konzil hat auf diese Weise dazu beigetragen, im Volk Gottes ein sich ständig vertiefendes und ausbreitendes missionarisches. Bewußtsein von den neuen Erfordernissen der Zeiten zu wecken. Nicht ehrgeizige, irdische Proselytenmacherei treibt die Kirche zur Evangelisierung, sondern ihrem eigenen Wesen entsprechendes Handeln, die Treue zur eigenen Berufung. Darauf beruht ihr Schrittmaß, der innere Rhythmus ihres Weges. „Die pilgernde Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch, da sie selbst ihren Ursprung aus der Sendung des Sohnes und der Sendung des Heiligen Geistes herleitet gemäß dem Plan Gottes des Vaters“ (Ad gentes, Nr. 2). Dieser Plan entspringt also der „Urquelle der Liebe“ des himmlischen Vaters. Deshalb können all jene, die die Gnade haben, in den Kreis einer solchen Liebe einzutreten, die Evangelisierung nicht als einen freigestellten, nebensächlichen Aspekt betrachten. Sie ist ein Erfordernis, das sich aus dem Christsein selbst ergibt. Deshalb ist sie eine unverzichtbare Pflicht und Aufgabe,von der sich niemand jemals vernünftigerweise entbinden kann; es handelt sich darum, das Licht des Evangeliums dorthin zu tragen, wo es noch nicht verkündigt worden ist, oder es in jenen Schichten der Menschheit wiederzuentfachen, in denen verschiedene Formen des Neuheidentums es verdunkelt oder ausgelöscht haben. 3. In der missionarischen Dimension finden die Laien einen besonders weiten und für ihre eigenen Möglichkeiten offenen Raum. „Daher können und müssen die Laien, wenn auch den zeitlichen Sorgen verpflichtet, eine wertvolle Wirksamkeit zur Evangelisation der Welt ausüben“ (Lumen gentium, Nr. 35). Deshalb müssen sie, auch wenn sie aufgerufen sind, in verschiedenen Formen zur Unterstützung der jungen Kirchen und ihrer humanitären und pa-storalen Tätigkeiten beizutragen, „am Werk der Evangelisierung in den schon christlichen Ländern mitarbeiten“ (vgl. Ad gentes, Nr. 41). Die Jungfrau Maria, der Leitstern der Evangelisierung, gebe, daß das missionarische Bewußtsein unter unseren katholischen Laien durch die Überlegungen der kommenden Bischofssynöde noch erweitert werde. Nach dem Gebet des Regina Caeli sagte der Papst: Am nächsten Sonntag wird in allen Pfarreien Roms der Tag der pas.toralen Di-özesansynode begangen. Genau heute vor einem Jahr, anläßlich der Feier der Pfingstvigil, habe ich diese. Synode angekündigt, die zweite nach jener, die 1960 von Papst Johannes XXUt. abgehalten wurde und die.unter dem Thema steht: „Gemeinschaft und Mission der Kirche Gottes in Rom an der Schwelle des dritten Jahr- 108 AUDIENZEN UNDANGELUS tausends “ Die Vorbereitung wurde sofort in Angriff genommen, indem man die Wege zur Untersuchung und zum Studium für den Entwurf der eigentlichen Vorbereitungsarbeit festlegte; an ihr sollen sich nicht nur alle Glieder der kirchlichen Gemeinschaft beteiligen, sondern jeder Mann und jede Frau, die in dieser Stadt leben. Der Gedenktag, der am nächsten Sonntag begangen wird, zielt darauf hinaus, das Interesse und die Teilnahme der ganzen Diözesangemeinschaft zu wecken, damit jeder einzelne sich mitverantwortlich fühlt für das Leben und die Sendung der Kirche und aktiv dazu beiträgt, diese Gemeinschaft und diese Sendung wirksamer zu machen, die durch die pastorale Diözesansynode gefördert werden sollen. Jeder Christ ist aufgerufen, dafür zu beten, daß die römische Synode ihre pa-storalen Zielsetzungen erreicht; außerdem wird an diesem Tag in jeder Kirche ein Fragebogen mit einem Brief des Kardinalvikars verteilt werden, der in meinem Namen bittet, ihn zu beantworten, so daß jeder von jetzt an seinen eigenen Beitrag zum „Aufbau“ der Synode leisten kann. Die Kirche von Rom ist es, die euch durch diesen Fragebogen interpelliert. Als Bischof dieser Kirche lade ich euch ein, Antwort zu geben. Im Söhn spricht Gott selbst Ansprache bei der Generalaudienz am 20. Mai 1. Der Katechesenzyklus über Jesus Christus hat sich allmählich seinem Mittelpunkt genähert und blieb dabei in ständigem Bezug zum Artikel des Glaubensbekenntnisses, in dem wir sprechen: „Wir glauben an ... Jesus Christus, Gottes'eingeborenen Sohn.“ Die vorhergegangenen Katechesen haben uns auf diese Hauptwahrheit vorbereitet, indem sie zuallererst auf Jesus von Nazaret als Messias hinwiesen. Und in der Tat findet die Messiasverheißung, die Sich in der ganzen Offenbarung des Alten Bundes als Hauptinhalt der Erwartungen Israels findet, ihre Erfüllung in dem, der sich Menschensohn zu nennen pflegte. Angesichts der Taten und Worte Jesu wird immer deutlicher, daß er gleichzeitig der wahre Sohn Gottes ist. Einer Mentalität, die in einem strengen religiösen Monotheismus Verwurzelt war, fiel sehr schwer, diese Wahrheit anzunehmen. Und gerade diese Mentalität bestimmte die jüdischen Zeitgenossen Jesu. Unsere Katechesen über Jesus Christus führen nun genau in den Bereich dieser Wahrheit, die die wesentliche Neuheit des Evangeliums ausmacht und über die ganze Besonderheit des Christentums als einer Religion entscheidet, 109 AUDIENZEN UND ANGELUS die auf dem Glauben an den Sohn Gottes gründet, der für uns Mensch geworden ist. 2. Die Glaubensbekenntnisse konzentrieren sich auf diese Grundwahrheit, die Jesus Christus betrifft. Im apostolischen Glaubensbekenntnis sprechen wir: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen ... und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn.“ Erst nachher betont das apostolische Glaubensbekenntnis die Tatsache, daß der eingeborene Sohn des Vaters derselbe Jesus Christus als Menschensohn ist, „empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“. Das nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis drückt mit anderen Worten dasselbe aus: „Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen (lateinisch: incamatus est) durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.“ Doch vorher stellt dasselbe Glaubensbekenntnis viel ausführlicher die Wahrheit der göttlichen Sohnschaft Jesu Christi, des Menschensohns dar: „Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen ... Und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen.“ Diese letzten Worte heben noch mehr die Einheit in der Göttlichkeit des Sohnes mit dem Vater hervor, „der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt“. 3. Die Glaubensbekenntnisse bringen den Glauben der Kirche kurz zusammengefaßt zum Ausdruck - aber eben dank ihrer Kürze prägen sie die wesentlichen Wahrheiten ein: jene, die gleichsam das „Rückenmark“ des christlichen Glaubens, die Fülle und der Höhepunkt der Selbstoffenbarung Gottes sind. Gott hat, wie der Autor des Hebräerbriefes schreibt, viele Male und auf vielerlei Weise gesprochen und schließlich sprach er zur Menschheit durch den Sohn (vgl. Hebr 1,1-2). Es ist schwer, hier nicht die wahre Erfüllung der Offenbarung angedeutet zu sehen. Gott spricht von sich nicht durch die Menschen, die berufen sind, in seinem Namen zu sprechen. Indem Gott „durch den Sohn“ spricht, wird er selbst in Jesus Christus Subjekt des Wortes, das er offenbart. Er selbst spricht von sich selbst. Sein Wort beinhaltet die Selbstoffenbarung Gottes — die Selbstoffenbarung im engen und eigentlichem Sinn. 4. Diese Selbstoffenbarung Gottes ist die große Neuheit und Besonderheit des Evangeliums. Indem die Kirche ihren Glauben sowohl im apostolischen 110 AUDIENZEN UNDANGELUS als auch im nizäno-konstantinopolitanischen Bekenntnis zum Ausdruck bringt, schöpft sie voll aus dem Zeugnis des Evangeliums und stößt zu seiner wesentlichen Tiefe vor. Mit diesem Zeugnis bekennt und bezeugt sie Jesus Christus als den Sohn, der „eines Wesens mit dem Vater“ ist. Der Name „Gottessohn“ konnte auch im weiten Sinn gebraucht werden. Dies geschah auch, wie aus einigen Texten des Alten Testamentes (z.B. Weish 2,18; Sir 4,11; Ps 82,6 und noch deutlicher Sam 7,14; Ps 2,7; Ps 110,3) hervorgeht. Doch das Neue Testament und die Evangelien im besonderen sprechen von Jesus Christus als dem Sohn Gottes im engen und vollen Sinn. Er ist “gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“. 5. Wir schenken nun dieser Hauptwahrheit des christlichen Glaubens unsere Aufmerksamkeit und untersuchen von diesem Gesichtspunkt aus das Zeugnis des Evangeliums. Es ist vor allem das Zeugnis des Sohnes vom Vater und insbesondere das Zeugnis einer Sohnbeziehung, die ihm und nur ihm eigen ist. In der Tat sind die Worte Jesu sehr bedeutsam: „Niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11,27); ebenso bedeutend ist der andere Ausspruch Jesu: „Niemand kennt den Sohn, nur der Vater“ (Mt 11,27). Tatsächlich ist es der Vater, der den Sohn offenbart. Beachtung verdient, daß im gleichen Zusammenhang Jesu Worte angeführt werden: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast“ (Mt 11,25; auch Lk 10,21-22). Wie der Evangelist bemerkt, ruft Jesus diese Worte „vom Heiligen Geist erfüllt, voll Freude“ aus (Lk 10,21). 6. Die Wahrheit über Jesus Christus, den Sohn Gottes, gehört deshalb zum Wesen der trinitarischen Offenbarung selbst. In ihr und durch sie offenbart Gott sich selbst als Einheit der unergründlichen Dreifaltigkeit: des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. So ist also der endgültige Ursprung des Zeugnisses, das die Evangelien (und das ganze Neue Testament) von Jesus Christus als dem Sohn Gottes geben, der Vater selbst: der Vater, der den Sohn kennt und sich selbst im Sohn. Indem Jesus den Vater offenbart, teilt er in gewisser Weise mit uns die Kenntnis, die der Vater von sich selbst in seinem ewigen, eingeborenen Sohn hat. Durch diese ewige Sohnschaft ist Gott ewig Vater. Im Geist des Glaubens und voll Freude, Bewunderung und innerer Bewegung machen wir uns das Bekenntnis Jesu zu eigen: Alles ist dir, Jesus, Sohn Gottes, vom Vater übergeben worden; niemand weiß, wer der Sohn ist, nur der Vater, und niemand weiß, wer der Vater ist, nur der Sohn und der, dem du, Sohn Gottes, es offenbaren willst (vgl. Lk 10,22). 111 AUDIENZEN UNDANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst: a Liebe Brüder und Schwestern! ' Bei unserer wöchentlichen Katechese über die Geheimnisse unseres christlichen Glaubensbekenntnisses stehen Wir gegenwärtig vor der tiefsten Aussage zur Person Christi: Wir bekennen ihn als den „Sohn Gottes”, und das in einem ganz besonderen, einmaligen Sinne. Im Alten Testament wird mancher von Gott begnadete Mensch oder auch die ganze Gemeinschaft des Bundesvolkes „Sohn Gottes” genannt. In den heiligen Schriften des Neuen Testamentes jedoch füllt sich dieser Ausdruck, wenn er auf Jesus Christus angewandt wird, mit einer ganz einzigartigen Bedeutung. In Christus offenbart sich Gott Vater vollständig und endgültig; in ihm spricht Gott sich ganz aus und verschenkt sich an die Menschheit. So ist Jesus von Nazaret ein wahrer Mensch und zugleich das entscheidende, allesumfas-sende Wort Gottes, das Abbild seines göttlichen Wesens und darum auch selbst von göttlicher Natur wie der Vater. Dabei wird nichts zurückgenömriien vom Bekenntnis des einen und einzigen Gottes, des Schöpfers von Himmel Und Erde. Unser Glaubensbekenntnis der heiligen Messe gibt diesem Glauben den folgenden feierlichen Ausdruck, wie er von den ersten ökumenischen Konzilien aus der Meditation und Diskussion der biblischen Texte in der Kraft des Heiligen Geistes geprägt worden ist; dort bekennen wir: „Wir glauben ... an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater”. Dieses Bekenntnis zu Jesus von Nazaret als dem wahren Menschen und dem wahren Sohn Gottes gehört zum Kern des christlichen Glaubens und macht ihn unverwechselbar. Bevor wir in späteren Audienzen versuchen, über dieses große Glaubensgeheimnis tiefer nachzusinnen, wollen wir heute staunend und dankbar vor diesem Glaubensgeschenk der Person Jesu verhärten und unsere Bereitschaft erneuern, ihn als unseren Weg, unsere Wahrheit, unser Leben gläubig anzuerkennen und vor den Menschen zu bezeugen. Mit dieser Erinnerung an die Mitte unseres christlichen Glaubens grüße ich alle deutschsprachigen Besucher von ganzem Herzen^ darunter heute besonders die Teilnehmer an der Romfahrt der „Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln”. Euch allen schenke Gott in diesen Tagen viele geistliche Anregungen für neue Glaubensfreude und festen Lebensmut und lasse euch gesund zu euren Lieben in der Heimat zurückkehren! 112 AUDIENZEN UNDANGELUS Maria — Mutter des Erlösers und unsere Mutter Regina Caeli in Foggia am 24. Mai 1. Als Krönung dieser Eucharistiefeier und vor dem Gebet des Regina Caeli will ich — in Gedanken und im Herzen vereint mit meinen Mitbrüdem im Bischofsamt — ihr, die. Christus uns als Mutter hinterlassen hat, alle Bewohner dieses lieben und treuen Landes anvertrauen, das mich als Pilger des Evangeliums aufnimmt und das mit Maria in liebevoller Zuneigung verbunden ist, die seit Jahrhunderten in seiner Geschichte wurzelt. 2. Mutter des Erlösers und unsere Mutter, voll Vertrauen wenden wir uns an deine mütterliche Liebe und bitten dich um Hilfe. Im gegenwärtigen Wandel der Kultur, der das Leben der apulischen Region kennzeichnet, mach, daß alle Söhne und Töchter der Kirche in Apulien den Reichtum ihrer großen Traditionen wiederentdecken und den Mut haben, die Botschaft deines göttlichen Sohnes, der „Weg, Wahrheit und Leben“ ist (vgl. Joh 14,6), aus dem Innern heraus zu leben und in Werke umzusetzen, damit sie lebendiger Sauerteig der Spiritualität und der Menschlichkeit in allen Schichten des sozialen Geflechtes werde: in der Familie, Schule, Arbeitswelt und im kulturellen Leben, in den Bereichen, wo über das Los der Gemeinden entschieden wird. 3. Königin des Himmels und unsere Hoffnung, die du in Foggia unter dem wunderbaren Namen „Incoronata“ (die Gekrönte) angerufen wirst, in dein mütterliches Herz lege ich die Schwierigkeiten und Ängste, die. Sehnsüchte und Hoffnungen dieser lieben Bevölkerung, die auf dich vertraut. Deinem Unbefleckten Herzen empfehle und weihe ich das ganze Gottesvolk, die Priester und Ordensleute, die Laien-Männer und -Frauen: möge in allen das Bewußtsein wachsen, mutige Zeugen der vom Evangelium verkündeten Werte zu sein angesichts der Übel, die das tägliche Leben belasten. Mit besonderer Bitte, der sich dein Herz noch liebevoller öffnet, empfehle ich dir die Jugend und ihre hohen Ideale. Sie wird es sein, die im Jahr 2000 Zeugnis gibt von der heutigen Lebenskraft und — so Gott will — ihre Früchte erntet. Sie möge unter den Bauleuten jener Güter, vor allem des Friedens und der Hoffnung, sein, die die moderne Welt zum großen Teil verloren hat und mühsam wiederzuerlangen sucht. Erhabene Mutter des Erlösers, gib, daß der Vorübergang des Nachfolgers Petri auf dieser freigiebigen Erde zur Quelle eines starken geistlichen und pasto-ralen Wiedererwachens werde. Gib, daß sowohl für die einzelnen als auch für die ganze Gemeinschaft das nahende Marianische Jahr ein verlängertes, glühendes Pfingsten werde. Amen. 113 AUDIENZEN UND ANGELUS Der Vater gibt Zeugnis für den Sohn Ansprache bei der Generalaudienz am 27. Mai 1. Die Evangelien und das ganze Neue Testament bezeugen Jesus Christus als Sohn Gottes. Dies ist eine Hauptwahrheit des christlichen Glaubens. Indem sie Christus als Sohn, „eines Wesens mit dem Vater“, bekennt, folgt die Kirche treu diesem Zeugnis des Evangeliums. Jesus Christus ist der Sohn Gottes im eigentlichen und wahren Sinn des Wortes. Er ist deshalb in Gott „gezeugt“ und nicht von Gott „geschaffen“ und dann als Sohn „angenommen“, d, h. „adoptiert“. Dieses Zeugnis des Evangeliums (und des ganzen Neuen Testamentes), auf dem der Glaube aller Christen gründet, hat seinen tiefen Ursprung in Gott Vater, der Christus als seinen Sohn bezeugt. Darüber wurde bereits in der vorhergehenden Katechese gesprochen unter Bezugnahme auf die Schriftstellen des Matthäus- und des Lukasevangeliums. „Niemand kennt den Sohn, nur der Vater“ (Mt 11,27); „niemand weiß, wer der Sohn ist, nur der Vater“ (Lk 10,22). 2. Dieses einzigartige und grundlegende Zeugnis, das dem ewigen Geheimnis des dreifältigen Lebens entspringt, findet in den synoptischen Evangelien besonderen Ausdruck, zunächst in dem Bericht von der Taufe Jesu im Jordan und dann in der Erzählung von der Verklärung Jesu auf dem Berg Tabor. Beide Ereignisse verdienen eine aufmerksame Betrachtung. 3. Wir lesen im Markusevangelium: „In jenen Tagen kam Jesus aus Nazaret aus Galiläa und ließ sich von Johannes im Jordan taufen. Und als er aus dem Wasser stieg, sah er, daß der Himmel sich öffnete und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden“ (Mk 1,9-11). Nach dem Matthäustext richtet die Stimme aus dem Himmel ihre Worte nicht direkt an Jesus, sondern an diejenigen, die bei seiner Taufe im Jordan zugegen sind: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe“ (Mt 3,17). Im Lukastext (vgl. Lk 3,22) ist der Inhalt der Worte der gleiche wie bei Markus. 4. Wir sind also Zeugen einer dreifältigen Theophanie. Die Stimme aus dem Himmel, die sich an den Sohn in der zweiten Person wendet: „Du bist.. .“(Mk und Lk) oder von ibm in der dritten Person spricht: „Das ist...“ (Mt), ist dieselbe Stimme des Vaters, der den Menschen, die zum Jordan gekommen sind, 114 AUDIENZEN UND ANGELUS um Johannes den Täufer zu hören, seinen eigenen Sohn gewissermaßen vorstellt. Indirekt stellt er ihn ganz Israel vor: Jesus ist derjenige, der in der Macht des Heiligen Geistes kommt: der vom Heiligen Geist Gesalbte, d.h. der Messias— Christus. Er ist der Sohn, an dem der Vater Gefallen gefunden hat, der „geliebte“ Sohn. Diese „Liebe“ deutet auf die Gegenwart des Heiligen Geistes in der dreifältigen Einheit hin, auch wenn dies in der Theophanie der Taufe am Jordan nicht hinreichend klar erscheint. 5. Das Zeugnis, das in der Stimme „aus dem Himmel“ (von oben) enthalten ist, ereignet sich gerade zu Beginn der messianischen Sendung Jesu von Naza-ret. Es wiederholt sich in dem Augenblick, der dem Leiden und dem Ostergeschehen vorausgeht, das seine ganze Sendung beschließt: im Augenblick der Verklärung. Trotz der Ähnlichkeit der beiden Theophanien besteht jedoch ein klarer Unterschied, der großenteils aus dem Zusammenhang der Berichte hervorgeht. Bei der Taufe im Jordan wird Jesus als Sohn Gottes vor dem ganzen Volk verkündet. Die Theophanie der Verklärung bezieht sich nur auf einige auserwählte Personen: Nicht einmal die Apostel sind insgesamt zugelassen worden, sondern nur drei von ihnen. „Sechs Tage danach nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg, aber nur sie allein. Und er wurde vor ihren Augen verwandelt ...“ Diese Verklärung wird begleitet von der „Erscheinung“ des Elija und Mose, die mit Jesus redeten. Und als die Apostel, nachdem sie den ersten Schrecken über ein solches Ereignis überwunden haben, den Wunsch äußern, das Geschehen zu verlängern und festzuhalten („es ist gut, daß wir hier sind“), da kommt eine Wolke, und eine Stimme ruft: „Das ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören“ (Mk 9,7). So heißt es bei Markus. Ähnlich bei Matthäus: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören“ (Mt 17,5). Bei Lukas hingegen: „Das ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören“ (Lfc 9,35). 6. Das von den Synoptikern beschriebene Ereignis fand statt, als Jesus sich Israel bereits durch seine Zeichen (Wunder), Werke und Worte bekannt gemacht hatte. Die Stimme des Vaters bestätigt „von oben“, was bereits im Bewußtsein der Jünger heranreifte. Jesus wollte, daß der Glaube an seine göttliche Sendung und Sohnschaft aufgrund der Zeichen und Worte im Bewußtsein seiner Zuhörer erwachse, dank der vertraulichen Offenbarung von seinem Vater selbst. 7. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Antwort besonders bedeutsam, die Simon Petrus von Jesus nach seinem Bekenntnis bei Cäsarea Philippi erhielt. 115 AUDIENZEN UND ANGELUS Dort sagte Petrus: „Du bist der Messias; der Sohn des lebendigen Gottes!“ {Mt 16,16). Jesus antwortete: „Selig bist du, Simon Baijona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel“ {Mt 16,17). Man weiß, welche Bedeutung das ebengenannte Bekenntnis aus dem Mund des Simon Petrus hat. Es ist wesentlich zu wissen, daß das Bekenntnis der Wahrheit über die Gottessohnschaft des Jesus von Nazaret — „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“ — vom Vater kommt. Nur der Vater „kennt den Sohn“ {Mt 11,27), nur der Vater weiß, „wer der Sohn ist“ {Lk 10,22) — und nur der Vater kann dieses Wissen dem Menschen mitteilen. Ebendies bekräftigt Christus in seiner Antwort an Petrus. Die Wahrheit über die Gottessohnschaft, die über die Lippen des Apostels kommt und zuvor in seinem Innern, in seinem Bewußtsein herangereift war, entspringt der tiefen Selbstoffenbarung Gottes. In diesem Augenblick sind alle analogen Bedeutungen des Ausdrucks „Sohn Gottes“, die bereits im Alten Testament bekannt waren, völlig überholt. Christus ist der Sohn des lebendigen Gottes, der Sohn im eigentlichen und wesentlichen Sinn des Wortes: er ist „Gott von Gott“. 8. Die Stimme, die die drei Apostel während der Verklärung auf dem Berg (den die nachfolgende Tradition als Berg Tabor bezeichnet) hören, bestätigt die von Simon Petrus bei Cäsarea ausgedrückte Überzeugung (gemäß Mt 16,16). Sie bestätigt in gewissem Sinn „von außen“ das, was der Vater bereits „von innen her“ offenbart hat. Und wenn der Vater die innere Offenbarung über die Gottessohnschaft Christi bestätigt: „Das ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr. hören“, so scheint es, als ob er die, die bereits an ihn geglaubt haben, auf das nahende Ostergeschehen vorbereiten wolle: auf den schmachvollen Tod am Kreuz. Es ist bedeutungsvoll, daß Jesus „während sie den Berg hinab stiegen“, ihnen gebot: „Erzählt niemand von dem, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist“ {Mt 17,9 und auch Mk 9,9; und auch in gewissem Maß Lk 9,21). Die Theophanie auf dem Berg der Verklärung des Herrn steht also in engem Zusammenhang mit dem gesamten Ostergeheimnis Christi. 9. ■ Auf dieser Linie kann man auch den bedeutsamen Abschnitt des Johahnes-evangeliüms {Joh 12,20-28) verstehen, wo von einer Tatsache berichtet wird, die sich nach der Auferweckung des Lazarus ereignet, als einerseits die Bewunderung für Jesus zunimmt und andererseits die Bedrohung ihm gegenüber wächst. Christus spricht dann vom Weizenkom, das sterben muß, um viel Frucht zu bringen. Und er schließt mit den vielsagenden Worten: „Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stun- 116 AUDIENZEN UND ANGELUS de? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen! Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen“ (Joh 12,27-28). In dieser Stimme drückt sich die Antwort des Vaters aus, der die vorübergehenden Worte Jesu bestätigt: „Die Stunde ist gekommen, daß der Menschensohn verherrlicht wird“ (Joh 12,23). Der Menschensohn, der sich seiner österlichen „Stunde“ nähert, ist eben der, von dem die Stimme „aus dem Himmel“ bei der Taufe und bei der Verklärung verkündet hat: „mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe ...“ In dieser Stimme war das Zeugnis des Vaters über den Sohn enthalten. Der Autor des zweiten Petrusbriefes schreibt, wenn er den Augenzeugenbericht des Apostelfürsten zum Trost der Christen in einem Augenblick heftiger Verfolgung zusammenfaßt: „Er (Jesus Christus) hat von Gott, dem Vater, Ehre und Herrlichkeit empfangen; denn er hörte, die Stimme der erhabenen Herrlichkeit, die zu ihm sprach: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe. Diese Stimme, die vom Himmel kam, haben wir gehört, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren“ (Petr 1,17-18). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Die Überlegungen unserer wöchentlichen Glaubenskatechese verweilen zur Zeit bei der zentralen Wahrheit von der Gottessohnschaft Jesu Christi. Im Credo bekennen wir Christus als Sohn „gleichen Wesens“ mit dem Vater. Gott selbst bestätigt in den Evangelien zweimal ausdrücklich diese Glaubenswahrheit, und zwar bei der Taufe Jesu am Jordan und bei seiner Verklärung auf dem Berg Tabor. Als Jesus nach der Taufe durch Johannes aus dem Wasser steigt, erschallt eine Stimme aus dem Himmel: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden“ (Mk 1,11). Es ist die Stimme des Vaters, die den Umstehenden bezeugt, daß Jesus der vom Geist Gesalbte, der Messias, sein geliebter Sohn ist. Bei der Verklärung richtet sich das Zeugnis des Vaters hingegen nur an die drei anwesenden Apostel. Nur sie hören die Stimme aus der Wolke: „Das ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören“ (Mk 9,7). Gott bestätigt hier Petrus feierlich sein Christusbekenntnis von Cäsarea Phi-lippi, wo er gesagt hat: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ (Mt 16,16). Schon damals hatte Jesus Petrus daraufhingewiesen, daß ihm diese Erkenntnis von seinem Vater im Himmel offenbart worden ist. Was Gott Petrus dort im Innern zu erkennen gegeben hatte, das bekräftigt.er dann offen auf dem Berg Tabor auch gegenüber Jakobus und Johannes, um sie in ihrem 117 AUDIENZEN UNDANGELUS Glauben zu festigen und auf das Leiden und den Tod Christi am Kreuz vorzubereiten. Erneuern auch wir, liebe Brüder und Schwestern, heute mit Petrus unseren Glauben an die Gottheit Jesu Christi: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen: Gottes!“ Tun wir das bei dieser Audienz hier in der Nähe des Petrusgrabes, zu der ich euch alle sehr herzlich begrüße. Mein brüderlicher Willkommensgruß gilt allen anwesenden Gruppen und Einzelpilgern, besonders den zahlreichen Jugendlichen. Die Mitglieder der „Katholischen Deutschen Studentenverbindung im CV Arminia Heidelberg“ beglückwünsche ich zur Feier ihres hundertjährigen Bestehens. Ebenso grüße ich namentlich die Angehörigen des Lions Clubs Kurpfalz und ermutige sie in ihrem karitativen und sozialen Einsatz in der Heimat und in Ländern der Dritten Welt. Einen besonders herzlichen Gruß richte ich an die Teilnehmer des großen Steyler Rompilgerzuges. Euer Besuch in der Ewigen Stadt erfolgt anläßlich des 150. Geburtstages des Gründers der Steyler Missionsgesellschaft, desseligen Pater Arnold Janssen. Ihr wollt dadurch seine große Bedeutung für den Missionsauftrag der Kirche in unserer Zeit unterstreichen. Schon Papst Paul YI. hat bei der Seligsprechung von Pater Janssen 1975 ausdrücklich betont, daß sein Werk undenkbar sei ohne den großen Beitrag missionsbewußter Laien. Als Förderer und Leser der „Stadt Gottes“ sowie als großzügiger Wohltäter und Missionsfreunde unterstützt ihr das Leben und Wirken der Steyler Missionare in über 50 Ländern der Erde. Aufrichtig ermutige ich euch in diesem eurem Einsatz für die Weltmission und erbitte euch daraus reiche Gnaden. Von Herzen erteile ich euch und allen Pilgern deutscher Sprache meinen besonderen Apostolischen Segen. Die Kirche schart sich um Maria Regina Caeli am 31. Mai 1. Unser Herr Jesus bekräftigte, bevor er sich auf wunderbare Weise von der Erde löste, um am Tag seiner Himmelfahrt zum Vater zurückzukehren, den elf Aposteln seine wichtigste Verheißung: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird“ (Apg 1,8). Da kehrten sie eilends nach Jerusalem zurück und versammelten sich im Abendmahlssaal. Und in gespannter Erwartung dieses geheimnisvollen Ereignisses „verharrten sie dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern“ (Apg 1,14). 118 AUDIENZEN UND ANGELUS 2. Diese unvergleichliche Szene tritt heute hochaktuell wieder vor unsere Augen. Die Kirche versammelt sich geistig im Abendmahlssaal, um sich auf das neue Pfingsten, ein einzigartiges Pfingsten, vorzubereiten, das mit dem Beginn des Marianischen Jahres zusammenfallt. „Inmitten der Probleme, Enttäuschungen und Hoffnungen, des Abfalls und der Rückkehr von Gläubigen in unserer Zeit bleibt die Kirche dem Geheimnis ihrer Geburt treu... Die Kirche ist immer im Abendmahlssaal.“ (Dominum et vivificantem, Nr. 66) In diesen „verborgenen Mauern“ (vgl. A. Manzoni, La Pentecoste) hört sie sozusagen von neuem ihre beginnenden Atemzüge, ihre ersten Herzschläge. Und sie schart sich um Maria, ihre große geistliche Mutter, die Mutter des ganzen Gottesvolkes, der Hirten wie der Gläubigen. 3. Wir alle zusammen, Hirten und Gläubige, richten unsere Augen auf die Jungfrau im Gebet. Demütig beseelt sie als treibende Kraft die Urzelle der Christengemeinde, die dazu bestimmt war, das Licht des Evangeliums bis an die äußersten Grenzen der Erde und bis zur endgültigen Erfüllung der Geschichte auszustrahlen. Wir verharren mit ihr im Gebet im solidarischen Dienst an der heutigen Menschheit in der Überzeugung, daß „unsere schwierigste Epoche in besonderer Weise des Gebetes bedarf“ (Dominum et vivificantem, Nr. 65). Vor allem wir bedürfen seiner, die wir die Gnade und die Verantwortung haben, der kirchlichen Gemeinschaft als lebendige Glieder anzugehören, und berufen sind, die Kraft des Heiligen Geistes glaubwürdig zu bezeugen, des einzigartigen Geschenkes, das uns gegeben wurde, damit alles in Christus erneuert werde. Die Jungfrau Maria, der „Tempel des Heiligen Geistes“, wacht unaufhörlich mit ihrem mütterlichen Herzen über unsere Erwartung des Pfingstfestes und des Beginns des Marianischen Jahres. Nach dem Gebet des Regina Caeli sagte der Papst: Heute wird der Welttag der sozialen Kommunikationsmittel begangen, der in diesem Jahr unter dem Thema steht: Die sozialen Kommunikationsmittel im Dienst der Gerechtigkeit und des Friedens. Gerechtigkeit und Frieden sind überaus große und von allen ersehnte Güter. Jesus, der kam, um die Gerechtigkeit auf die Erde zu bringen, pries die Friedensstifter „selig“ und hinterließ, als er den Aposteln nach der Auferstehung erschien, ebendieses wertvolle Geschenk. Die sozialen Kommunikationsmittel spielen aufgrund ihres enormen Informations- und Bildungspotentials in dieser Hinsicht eine sehr wichtige Rolle. 119 AUDIENZEN UND ANGELUS Am heutigen letzten Tag des Marienmonats lade ich euch ein, die Gottesmutter auch darum zu bitten, daß sie den Medienschaffenden und den Benutzern eine echte Sensibilität für die christlichen Werte schenke. Das Wort wurde Fleisch Ansprache bei der Generalaudienz am 3. Juni 1. In den voraufgegangenen Katechesen haben wir anhand der synoptischen Evangelien gezeigt, wie der Glaube an die Gottessohnschaft Christi durch die Offenbarung des Vaters im Bewußtsein seiner Jünger und Zuhörer und vor allem im Bewußtsein der Apostel Gestalt annimmt. Zu der sich heranbildenden Überzeugung, daß Jesus der Sohn Gottes im eigentlichen und vollen (nicht übertragenen) Sinn des Wortes ist, trägt vor allem das Zeugnis des Vaters selbst bei, der durch die Theophanien, die sich bei der Taufe im Jordan und dann während der Verklärung auf dem Berg ereigneten, in Christus seinen Sohn offenbart („mein ... Sohn“). Wir haben auch gesehen, wie die Offenbarung der Wahrheit über die Gottessohnschaft Jesu durch das Wirken des Vaters in den Geist und das Herz der Apostel eindringt. Das geht aus den Worten Jesu an Petrus hervor: „Nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel“ (Mt 16,17). 2. Im Licht dieses Glaubens an die Gottessohnschaft Christi, der nach der Auferstehung noch viel mehr Kraft gewann,sind im Johannesevangelium und insbesondere in seinem Prolog (Joh 1,1-18) zu lesen. Dieser ist eine einmalige Synthese, die den Glauben der apostolischen Kirche zum Ausdruck bringt: jener ersten Generation von Jüngern, der es gegeben war, mit Christus Kontakt zu haben, ob unmittelbar oder durch die Apostel, die über das sprachen, was sie persönlich gehört und gesehen hatten und worin sie die Verwirklichung all dessen sahen, was das Alte Testamentüber ihn vorhergesagt hatte. Das, was zuvor offenbart worden, aber in einem gewissen Sinn hinter einem Schleier verborgen geblieben war, wurde jetzt im Licht der Taten Jesu und besonders aufgrund der Ostergeschehnisse transparent, klar und verständlich. Auf diese Weise stellt das Johannesevangelium (das als letztes der vier Evangelien geschrieben wurde) in gewissem Sinn das vollständigste Zeugnis dar über Christus als den Sohn Gottes, den Sohn, „eines Wesens mit dem Vater“. Der Heilige Geist, der den Aposteln von Jesus verheißen worden war und „sie 120 AUDIENZEN UND ANGELUS alles lehren“ sollte (vgl. Joh 14,26), erlaubt dem Evangelisten wahrhaftig, „die Tiefen Gottes zu ergründen“ (vgl. 1 Kor 2,10) und sie in dem inspirierten Prolog zum Ausdruck zu bringen. 3. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist“ (Joh 1,1-3). „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14)... „Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht . Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf ‘ (Joh 1,10-11). „Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind“ (Joh 1,12-13). „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige,der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“ (Joh 1,18). 4. Der Johannesprolog ist gewiß der Schlüsseltext, in dem die Wahrheit über die'Gottessohnschaft Christi voll zum Ausduck kommt. Er, der in der Zeit „Fleisch“, d. h. Mensch geworden ist, ist von Ewigkeit her das Wort selbst, d. h. der eingeborene Sohn: der Gott, der „amHerzen des Vaters ruht“. Er ist der Sohn, seines Wesens mit dem Vater“, er ist „Gott von Gott“. Vom Vater empfangt er die Fülle der Herrlichkeit. Er ist das Wort, durch das alles geworden ist. Alles, was existiert, verdankt Ihm deshalb jenen „Anfang“ von dem das Buch Genesis spricht (vgl. Gen 1,1), den Anfang der Schöpfung. Der ewige Sohn selbst, als er in die Welt kommt als Wort, das „Fleisch geworden“ ist, bringt der Menschheit die Fülle der „Gnade und Wahrheit“ mit. Er bringt die Fülle der Wahrheit, weil er über den wahren Gott berichtet, den niemand je gesehen hat. Und er bringt die Fülle der Gnade, weil er allen, die ihn aufnehmen, die Macht gibt, in Gott wiedergeboren zu werden: Kinder Gottes zu werden. „Aber die Welt erkannte ihn nicht“, stellte der Evangelist fest, und auch als er „in sein Eigentum“ kam, nahmen „die Seinen ... ihn nicht auf1. 5. Die im Johannesprolog enthaltene Wahrheit ist dieselbe, die wir in anderen Büchern des Neuen Testamentes finden. So lesen wir z. B. im Hebräerbrief, daß Gott „in dieser Endzeit... zu uns gesprochen (hat) durch den Sohn, den er zum Erben des Alls eingesetzt und durch den er auch die Welt erschaffen hat; er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens; er trägt das All durch sein machtvolles Wort, hat die Reinigung von den Sünden 121 AUDIENZEN UNDANGELUS bewirkt und sich dann zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt“ (Hebr 1,2-3). 6. Der Prolog des Johannesevangeliums bringt also (wie auf andere Art der Hebräerbrief) in der Form biblischer Andeutungen zum Ausdruck, wie sich in Christus all das erfüllte, was im Alten Bund gesagt worden war, angefangen vom Buch Genesis, über das mosaische Gesetz (vgl. Joh 1,17) und die Propheten bis zu den Weisheitsbüchem. Der Ausdruck „das Wort“ (das im Anfang „bei Gott“ war) entspricht dem hebräischen „dabar“. Auch wenn im Griechischen der Ausdruck „logos“ zu finden ist, ist der Begriff vor allem alttestamentarischen Ursprungs. Aus dem Alten Testament entlehnt er gleichzeitig zwei Dimensionen: die von „hochma“, d.h. Weisheit, verstanden als „Plan“ Gottes in bezug auf die Schöpfung, und die von „dabar“ (logos), verstanden als Verwirklichung dieses Planes. Das Zusammentreffen mit dem Wort „logos“ aus der griechischen Philosophie hat damals die Annäherung dieser Wahrheiten an die von dieser Philosophie geformten Geisteshaltungen erleichtert. 7. Wenn wir jetzt im Bereich des Alten Testamentes — und im besonderen bei Jesaja — bleiben, lesen wir: „So ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verläßt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, sondern bewirkt, was ich will, und erreicht all das, wozu ich es ausgesandt habe“ (Jes 55,11). Dort zeigt es sich, daß das biblische „dabar = Wort“ nicht nur „Wort“, sondern auch „Verwirklichung“ (Tat) ist. Man kann sagen, daß sich bereits in den Büchern des Alten Bundes eine gewisse Personifizierung des „Wortes“ (dabar, logos) wie auch der „Weisheit“ (sofia) zeigt. In der Tat lesen wir im Weisheitsbüch: „Eingeweiht in das Wissen Gottes, bestimmte sie (die Weisheit) seine Werke“ (Weish 8,4), und weiter: „Mit dir ist die Weisheit, die deine Werke kennt.und die zugegen war, als du die Welt erschufst. Sie weiß, was dir gefällt und.was recht ist ...Sende sie vom heiligen Himmel und schick sie vom Thron deiner Herrlichkeit, damit sie bei mir sei und alle Mühe mit mir teile und damit ich erkenne, was dir gefällt“ (Weish 9, 9-10). 8. Wir sind also den Anfangsworten des Johannesprologs sehr nahe. Doch näher kommen die Verse des Weisheitsbuches, die lauten: „Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab .. .mitten in das dem Verderben geweihte Land. Es trug das scharfe Schwert deines unerbittlichen Befehls“ (Weish 18,14-16). Dennoch wird dieses ;,Wort“, das die Weis- 122 AUDIENZEN UND ANGELUS heitsbücher andeuten, jene Weisheit, die von Anfang an bei Gott ist, in bezug auf die geschaffene Welt betrachtet, die sie ordnet und leitet (vgl. Spr 8, 22-27). Das „Wort“ im Johannesevangelium hingegen ist nicht nur „im Anfang“, sondern von ihm wird offenbart, daß es ganz Gott zugewandt (pros ton Theon) und selbst Gott ist! „Das Wort war Gott.“ Er ist der Gottes-Sohn, „der Einzige, der .. .am Herzen des Vaters ruht“. Er ist der reine Ausdruck Gottes in Person, „der Abglanz seiner Herrlichkeit“ (vgl. Hebr 1,3). 9. Eben dieser Sohn — das Wort, das Fleisch wurde — ist derjenige, für den Johannes am Jordan Zeugnis ablegt. Über Johannes den Täufer lesen wir im Prolog: „Es trat ein Mensch auf, der von Gott gesandt war; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht..(Joh 6-7). Dieses Licht ist Christus — als Wort. Wir lesen noch im Prolog: „In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen“ (Joh 1,4). Das ist „das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet“ (Joh 1, 9). Das Licht, das „in der Finsternis (leuchtet), und die Finsternis hat es nicht erfaßt“ (Joh 1, 5). Folglich ist nach dem Prolog des Johannesevangeliums Jesus Christus Gott, weil er der eingeborene Sohn Gottes des Vaters ist: das Wort. Er kommt in die Welt als Quelle des Lebens und der Heiligkeit. Hier sind wir wirklich am entscheidenden Kernpunkt unseres Glaubensbekenntnisses angelangt: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Die Worte aus der Heiligen Schrift, die ihr eben zu Beginn der heutigen Audienz in mehreren Sprachen gehört habt, bilden den feierlichen Anfang des Johannesevangeliums, den sogenannten Prolog. Dieser enthält wohl das ausführlichste und tiefste Zeugnis des Neuen Testamentes über die wahre Gottessohnschaft Jesu Christi. Die Apostel und ersten Jünger Jesu kannten die prophetischen Hinweise des Alten Bundes auf einen alles überbietenden Boten und Messias Gottes. Sie waren nun Jesus von Nazaret nachgefolgt und hatten seine unerhörte Botschaft vernommen, seine befreienden Taten gesehen. Diese Erfahrungen haben sich ihnen schließlich im Licht des göttlichen Geistes zum sicheren Glaubensurteil verdichtet: Dieser Jesus von Nazaret, der Sohn Marias, ist zugleich ewiger Sohn Gottes, des Vaters; mit diesem teilt er das gemeinsame göttliche Wesen. Der Apostel und Evangelist Johannes hat als letzter das Leben Jesu dargestellt. So hat er mehr Zeit gehabt, sich in das Geheimnis der Person Jesu lie- 123 AUDIENZEN UND ANGELUS bend, betend und denkend zu vertiefen. Die Frucht seiner Meditationist der genannte Prolog; der wie eine Vorhalle in sein Evangelium einführt. Seine allerersten Worte lauten: ;,Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott“ {Joh 1,1). Etwas weiter heißt es dann: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vomVater, voll Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14). Indem Johannes die Person Jesu als das vollkommene und entscheidende „Wort“ Gottes bezeichnet, schenkt er den Christen aller Jahrhunderte eine unerschöpfliche Quelle für ihr Beten und Betrachten. Dabei geht es aber nicht um einen weltfernen Gegenstand hoher Spekulation, sondern um den Sohn Gottes, der unser „Fleisch“ angenommen.hät, also unser Bruder geworden ist.. Für dieses Geschenk seines Prologes müssen wir dem Evangelisten auch heute, noch dankbar sein. Liebe Besucher deutscher Sprache, euch alle und jeden einzelnen grüßeich noch einmal von Herzen und erbitte euch einen jugendlichen, frohen Glauben an die liebende Nähe Gottes inmitten eures Lebens mit seinen Freuden und Sorgen, seinen Ängsten und Hoffnungen. Habt eine gesunde Heimkehr und gebt meinen Segen weiter an all eure Lieben zu Hause! Maria geht auf dem Pilgerweg voran Regina Caeli am Pfingstsonntag, 7. Juni ; Liebe Brüder und Schwestern, Römer und Pilger! 1. Heute ist ein großer Tag. Wie die Apostel, als sie zusammen mit Maria am ersten Pfingsttag aus dem Abendmahlssaal heraustraten, bücken auch wir mit neuem Herzen auf den Pügerweg der Kirche: Wir blicken auf das Marianische Jahr, das mit der feierlichen Eröffnung heute nacht begonnen hat. . Maria, die Mutter Gottes, „Tempel des Heiligen Geistes“, Mutter Christi und der Kirche, weist uns mit ihrem Licht den-Weg in das 3. christliche Jahrtausend. 2 . Indem wir heute das Geheimnis des Erscheinens der Kirche auf dem Horizont der Geschichte wiedererleben, empfinden wir die Lebenskraft und das Feuer der. immerwährenden Jugend, die den mystischen Leib Christi auch nach zwanzig Jahrhunderten unaufhörlich durchströmen. Wir blicken in die 124 AUDIENZEN UND ANGELUS kommende Zeit und machen uns die letzte Weisung des Meisters zu eigen. „... und ihr werdet meine Zeugen sein.. .bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8). Die jungfräuliche Mutter steht vor uns, diskret und überzeugend, im Glanz ihrer geistlichen Schönheit, als Führerin, Trösterin und Vorbild von einzigartigem Wert, insbesondere als Vorbild des Glaubensgehorsams. An der Schwelle des ihr gewidmeten Jahres, das die Söhne und Töchter der Kirche in den einzelnen Ortskirchen voll Freude aufgenommen und begonnen haben, wiederhole ich dankbar den schlichten und hohen Lobpreis: „Selig ist die, die geglaubt hat.“ (Lk 1,45). Im neuen Volk Gottes „hat Maria als erste geglaubt“ (vgl. Redemptoris Mater, Nr. 26). Ihre Pilgerschaft des Glaubens begann bei der Verkündigung des Engels und entfaltete sich in den Ereignissen der Menschwerdung und der Erlösung. Es war eine innerliche und gleichzeitig äußerliche, mit der Geschichte ihres göttlichen Sohnes verbundene Pilgerschaft der Seele. Deshalb geht sie „auf diesem kirchlichen Pilgerweg durch Raum und Zeit und noch mehr der Geschichte der Seelen“ voran (Redemptoris Mater, Nr. 25). 3. Indem man die verschiedenen Dimensionen der Pilgerschaft des Glaubensweges Mariens hervorhebt, erfaßt man zutiefst den Sinn der Pilgerschaft, der dem Begriff des Gottesvolkes innewohnt und eingehend vom Konzil behandelt wurde. Die auserlesene Tochter Israels, Mutter Jesu und unsere Mutter, die als erste der Kirche in die endgültige Herrlichkeit des Himmels eingegangen ist, „leuchtet ... auch hier auf Erden ... als Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes dem wandernden Gottesvolk voran“ {Lumen genti-um, Nr. 68). In diese Perspektive ist auch die Bischofssynode über die Laien hineingestellt , die der Vorsehung gemäß im Läufe des Marianischen Jahres und im Rpsen-kranzmonat stattfinden wird. In dieser kirchlichen Versammlung wird Maria als inspirierende Kraft und auch als vorbildliche Gestalt des gläubigen Laien, insbesondere der Frau, in bezug auf ihre Berufung und Sendung in Kirche und Welt anwesend sein. Die Mutter des Erlösers nehme wohlwollend die Huldigung und die Initiativen auf , die die Ortskirchen ihr in dieser bevorzugten Zeit widmen; sie nehme sie an und bekräftige sie durch ihre Fürsprache.. Nach dem Gebet des Regina Caeli sagte der Papst: Heute nachmittag pilgere ich zum Heiligtum der.Madonna del Divino Amore. Ich werde die heilige Jungfrau darum bitten, daß das Marianische Jahr reiche Früchte des Guten bringe. Ich werde sie anflehen, daß in diesem Maria gewid- 125 AUDIENZEN UNDANGELUS meten Jahr alle an Christus Glaubenden — in Ost und West — sich im Gebet um Maria, die Mutter Gottes und unsere Mutter, vereinen. Ich werde auch um einen guten Ausgang meiner Pastoraireise in Polen beten, die ich — so Gott will — morgen früh antreten werde. Ich lade alle ein, sich diesen Gebetsmeinungen anzuschließen und entbiete allen meine Grüße und besten Wünsche für das Marianische Jahr. Herr, gut wie das Brot... Ansprache bei der Generalaüdieüz am 17. Juni 1. „Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Lie- be bis zur Vollendung“ (Joh 13,1). So lautet die Schriftstelle des Johannesevangeliums, auf die die Kirche in Polen ihre Reflexion während des Nationalen Eucharistischen Kongresses gerichtet hat; Als Gast konnte ich eine Woche lang an den Hauptfeierlichkeiten des Kongresses teilnehmen und zusammen mit meinen Landsleuten über die Eucharistie im Licht jener Johannesworte nachdenken, die uns in besonderer Weise zum Wesen des Geheimnisses selbst hinführen. . 2. Aus ganzem Herzen danke ich Gott dafür, daß ich die verschiedenen Stationen des Kongresses miterleben konnte, die in einigen wichtigen Zentren aufeinariderfolgten, angefangen von Warschau, der Hauptstadt Polens, über Lublin, Tarnow, Krakau, dann Stettin, Gdingen und Danzig an der baltischen Küste, schließlich über Tschenstochau und Lodz wieder nach Warschau, wo die Hauptfeier des Eucharistischen Kongresses stattfand. Die Liebe, mit der Christus uns bis zur Vollendung liebte, indem er das Sakrament seines Leibes und Blutes einsetzte, trägt vor allem Früchte in der Heiligkeit, zu der alle in der Kirche berufen sind. In organischem Zusammenhang mit dem Leitwort des Kongresses standen die Seligsprechungen zunächst von Karolina Kozka in Tarnow, einem Mädchen aus dem einfachen polnischen Volk, das seine Jungfräulichkeit verteidigte und dabei das Martyrium erlitt, und dann die des Bischofs Michal Közal in Warschau , der im Konzentrationslager Dachau durch sein Leben und seinen Tod für Christus Zeugnis ablegte. 3. In Verbindung mit der Eucharistie standen auch die Sakramente, die ich auf den einzelnen Etappen meiner Pilgerfahrt durch Polen spendete: das Sakrament der Priesterweihe in Lublin, das Ehesakrament mit der Erneuerung 126 AUDIENZEN UND ANGELUS des Eheversprechens von seiten der verheirateten Paare in Stettin, die Krankensalbung in Danzig und die Erstkommunion der Kinder in Lodz. Besonders hervorzuheben ist hier die ausgezeichnete geistliche und liturgi-sche Vorbereitung all dieser eücharistischen Treffen, an denen Hunderttausende von Gläubigen teilnahmen, und mehrmals ging die Zahl der Anwesenden über eine Million hinaus. Es ergänzten einander die Schönheit des Gemeinschaftsgebetes, die durch die Gesänge sowohl des Chores als auch der ganzen Gemeinde besonders hervorgehoben wurde, und die langen Momente tiefen Schweigens und der Sammlung, wenn die liturgische Handlung es erforderte. 4. Parallel zu diesem vielfältigen Erleben des eücharistischen Geheimnisses wurde während der Pilgerfahrt eine weitere Gedankenlinie entfaltet, die in der gesamten Botschaft des Evangeliums mit der Eucharistie verbunden ist: die der moralischen Verpflichtung im persönlichen und im gemeinschaftlichen Bereich, beginnend bei der Familie, über die verschiedenen Gruppen der menschlichen Arbeitswelt bis hin zur Gemeinschaft im Vollsinn: Gesellschaft und Nation. So hatte ich nacheinander Gelegenheit zur Begegnung mit den Wissenschaftlern, die auf Einladung der Katholischen Universität von Lublin aus ganz Polen zusammengekommen waren; mit den polnischen Bauern, die sich in Tar-now um das erste polnische Mädchen vom Land scharten, das zur Ehre der Altäre erhoben wurde; mit den Seeleuten in Gdingen und an der Küste; mit den Industriearbeitern in Danzig und dann in einer Fabrik in Lodz mit den Frauen, die in der Textilindustrie tätig sind. Zum Schluß traf ich mit den Vertretern der Kultur und nationalen Kunst in der Heilig-Kreuz-Kirche in Warschau zusammen. Sehr wichtig war dann das Treffen mit den Jugendlichen: den Jugendvertretem aus ganz Polen, inbesondere der Universitätsjugend auf der Westerplatte. Schon zuvor fand — außerhalb des Programms — die von früher her traditionelle Begegnung mit der Krakauer Jugend statt. Die Wahrheit über Christus, der uns bis zur Vollendung liebte, ist für alle Gesellschaftsgruppen von einer besonderen Aussagekraft. Sie ist ein Zeugnis, das den Menschen überall auf seinem Lebens- und Berufungsweg stärkt, ein anspruchsvolles und zugleich heilbringendes Zeugnis. In besonderer Weise zeigt sich dies bei den Menschen, die von Christus berufen sind, sich voll in seinen Dienst zu stellen: den Priestern und den gottgeweihten Menschen, den Ordensfrauen und -männern, den Seminaristen. Alle diese Gruppen haben im Besuchsprogramm einen entsprechenden Platz gefunden. 127 AUDIENZEN UND ANGELUS 5. Beim Rückblick auf diesen Besuch insgesamt, das Programm, aber auch die in den Predigten und Ansprachen aufgegriffenen Themen, muß man anerkennend eine große Reife der,gesamten Gesellschaft feststellen. Dank dieser Reife war es möglich, viele, wesentliche und schwierige Probleme anzuschneiden: Probleme, in deren Umfeld im Laufe der letzten Jahre ernste Spannungen erwachsen sind. Alle diese Probleme konnten öffentlich aufgegriffen und entsprechend ihrer Bedeutung erläutert werden, die ihnen das Evangelium, die Kirche und ihre Soziallehre beimessen. J Die Tatsache, daß sich älTdaS so abspielen konnte, wie es geschehen ist, dient gewiß der Verbesserung des Dialogs, der die soziale Gerechtigkeit und den Frieden zum Ziel hat: den Frieden im Inneren, aber auch auf der internationalen Ebene der heutigen Welt. Nirgends wurden der streng religiöse Charakter der liturgischen Feiern und die Ruhe der anderen Begegnungen im Verlauf des Besuches gestört. , 6. Außerdem gab es im Verlauf dieser Pilgerfahrt viele bedeutende Ereignisse, die ich wenigstens aufzählen möchte:: — die Meßfeier in der Kathedrale auf dem Wawel bei den Reliquien der sei. Königin Hedwig und am Grab ihres Gemahls Wladyslaw Jagiello im Zusammenhang mit der 600-Jahr-Feier der Taufe Litauens; ■ — die heilige Messe auf dem Jäsna Gora (Tschenstochau) in Verbindung, mit der Eröffnung des Marianischen Jahres; dort habe ich auch Maria; der Königin Polens, meinen Hirtendienst,; seine Früchte und alle Hoffnungen anvertraut; ; . . . — der Besuch des Konzentrationslagers Majdanek bei Lublin; — Besuch am Grab von.Kardinal Stefan Wyszynski und bei seinem Denkmal im Zentrum der Hauptstadt; — der Besuch am Grab des verstorbenen Priesters Jerzy Popieluszko; — der Besuch der Kreuze in Danzig, die;an die Opfer von 1970 erinnern. .■ Als besonders wichtige Ereignisse sind außerdem zu nennen: — die Begegnung mit dem Polnischen Ökumenischen Rat; — das Treffen mit den Vertretern der jüdischen Gemeinde; — der Besuch der Mariä-Himmelfahrtskirche in Warschau, die den Gläubigen der katholischen ukrainischen Kirche gehört- : ; Und auf einer anderen Ebene sind noch von Bedeutung: — der Besuch im Königsschloß in Warschau zu Beginn der Pilgerfahrt und zwei Unterredungen mit dem, Vorsitzenden des Staatsrates; schließlich die Begegnung mit dem Friedensnobelpreisträger Lech Wälesa. 7. Bei der heutigen Gelegenheit möchte ich den Vertretern des Staates und den verschiedenen Verwaltungsorganen aufrichtig danken und meine Ach- 128 AUDIENZEN UND ANGELUS tung aussprechen; sie schufen die günstigsten Bedingungen für diesen vom Programm und der Thematik her so reichhaltigen Besuch. Dem Episkopat und seinem Vorsitzenden, dem Kardinalprimas, bin ich zutiefst dankbar für die sehr glückliche und fruchtbare Initiative, den’ Nationalen Kongreß zu veranstalten. Die gemeinsam verlebte Woche war nicht so sehr Abschluß, sondern vielmehr Beginn einer intensiven Seelsorgearbeit der Kirche in Polen, die auf alle Diözesan- und Pfarrzentren, Gemeinschaften, Kreise und Familien übergehen muß. 8. Während ich noch den Klang des Liedes im Ohr habe; „Herr, gut wie das Brot, du liebtest uns bis zur Vollendung“, bitte ich den Güten Hirten demütig und vertrauensvoll, der von mir in meiner Heimat geleistete Dienst möge auf die Fürsprache Unserer Lb. Frau vom Jäsna Gora reiche Frucht tragen. Und ich bitte alle, in derselben Meinung zu beten. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Auch euch möchte ich bei dieser Generalaudienz bitten, zusammen mit mir Gott zu danken für den guten Verlauf meiner Pastoraireise in meine polnische Heimat, von der ich soeben wohlbehalten zurückgekehrt bin. Ich konnte dort eine Woche lang an den Feiern des Nationalen Eucharistischen Kongresses teilnehmen, der in einigen größeren Städten vor mehreren Hunderttausenden von Gläubigen stattfand. Die festlichen Liturgien waren durch das Schriftwort verbunden: „Da Jesus die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ (Joh 13,1): Christi Liebe zu uns und sein Lebensopfer an den Vater im Himmel bilden ja den geistigen Kern des Glaubensgeheimnisses der heiligen Eucharistie. Die höchste menschliche Antwort auf diese erlösende Liebe Christi ist ein Leben in Glaube und Heiligkeit. Als großes Zeichen hierfür konnte ich während des Besuches wieder zwei heiligmäßige Christen der Verehrung der Gläubigen offiziell vorstellen: ein junges Mädchen vom Lande, das sein Leben dahingegeben hat in Verteidigung seiner Jungfräulichkeit, und ein polnischer Bischof, der im Konzentrationslager Dachau zu Tode gekommen ist. Bei diesen festlichen heiligen Messen war ich beeindruckt von dem innigen Beten und Singen in der Gemeinschaft so vieler gläubiger Menschen, das ab und zu von Zeiten der stillen Meditation unterbrochen wurde. Eng verbunden mit dieser dankbaren Verehrung der Eucharistie waren die Gelegenheiten, wo ich den Menschen die praktischen moralischen Konse- 129 AUDIENZEN UND ANGELUS quenzen hieraus für ihr persönliches Leben in Familie und Beruf, in Gesellschaft und Kirche aufzeigen konnte.Dabei bin ich den verschiedenen Ständen in der Kirche wie auch einigen Berufsgruppen wie den Bauern, den Werftarbeitern, den Textilarbeiterinnen, den Wissenschaftlern und Künstlern begegnet. Es war möglich, dabei auch schwierige Probleme offen anzusprechen, die oft Ursache großer gesellschaftlicher Spannungen sind, und darzulegen, welche Bedeutung ihnen das Evangelium Christi und die Soziallehre der Kirche beimessen und in welcher Richtung eine christlich begründete Lösung gefunden werden kann. Vertrauensvoll bitte ich Christus, den Guten Hirten, daß diese seelsorgliche Reise in mein Heimatland auf die Fürsprache Marias reiche Frucht bringe. Zugleich grüße ich alle hier anwesenden deutschsprachigen Besucher von Herzen. Ein besonderer Gruß gilt heute einer Gruppe von Mitarbeitern der Religiösen Schulwochen aus den Bistümern Münster und Paderborn und von der Evangelischen Landeskirche Westfalen. Euch allen erbitte ich ein tiefes Erleben der vielfachen christlichen Zeugnisse dieser Stadt, dem Bischofssitz des Nachfolgers des Apostels Petrus. Gelobt sei Jesus Christus! Marienheiligtümer sind echte Gebetsstätten Angelus am 21. Juni Liebe Brüder und Schwestern! 1. Am Pfingstfest haben wir mit großem Jubel das Marianische Jahr zur Vorbereitung auf das dritte christliche Jahrtausend eröffnet, und beim Rosenkranzgebet am Vorabend sahen wir verschiedene der großen Marienheiligtümer der Erde angeschlossen. Ohne Zweifel sind in diesem Jahr, das der besonderen Verehrung der Muttergottes geweiht ist, die Marienheiligtümer aller Diözesen bevorzugte Wallfahrtsziele der Gläubigen. Die marianischen Heiligtümer sind Orte, die die besondere Gegenwart Mariens im Leben der Kirche bezeugen. Sie bilden einen Teil des geistlichen und kulturellen Erbes eines Volkes und haben eine große Anziehungs- und Aussagekraft. In ihnen suchen, wie ich in der Enzyklika Redemptoris Mater hervorgehoben habe, „nicht nur einzelne oder örtliche Gruppen, sondern bisweilen ganze Nationen und Kontinente die Begegnung mit der Mutter des Herrn, mit derjenigen, die selig ist, weil sie geglaubt hat“ (Nr. 28). Darum könnte man, so habe ich hinzugefügt, „von einer eigenen Geographie des Glaubens und der 130 AUDIENZEN UNDANGELUS marianischen Frömmigkeit sprechen, die alle diese Orte einer besonderen Pilgerschaft des Gottesvolkes umfaßt, das die Begegnung mit der Muttergottes sucht, um im Bereich der mütterlichen Gegenwart, derjenigen, die geglaubt hat, den eigenen Glauben bestärkt zu finden“ (ebd.). 2. Die Marienheiligtümer sind wie das Haus der Mutter, Haltepunkte und Raststätten auf dem langen Weg, der zu Christus führt, Stätten, an denen man durch den einfachen und demütigen Glauben derer, die „arm sind vor Gott“ (vgl. Mt 5,3), mit den großen Reichtümem in Berührung kommt, die Christus der Kirche anvertraut und geschenkt hat, vor allem die Sakramente, die Gnade, die Barmherzigkeit, die Liebe zu den leidenden und kranken Brüdern. Die Marienheiligtümer sind echte Gebetsstätten wie der Abendmahlssaal, wo Gläubige jeder Herkunft die Möglichkeit und die Freude haben, sich zusammen mit Maria, der Mutter Jesu (vgl. Apg 1,14), inständig ins Gebet zu vertiefen, nicht nur in das liturgische Gebet, sondern auch in die gesunden Formen der Volksfrömmigkeit, die nicht selten die religiöse Anlage eines ganzen Volkes offenbaren. Sie weisen mitunter eine eindrucksvolle theologische Scharfsicht auf, verbunden mit außergewöhnlicher poetischer Inspiration. An verschiedenen Sonntagen des Marianischen Jahres möchte ich beim Angelusgebet einigen marianischen Heiligtümern ein Gedenken widmen mit einer Besinnung auf ihre Geschichte und auf die geistliche Botschaft, die die Gläubigen bei ihrer Wallfahrt zu erfassen suchen, um sie im Alltag zu leben und in die Tat umzusetzen. Die Muttergottes möge uns mit ihrem Schutz beistehen! Gott sandte seinen Sohn, damit wir leben Ansprache bei der Generalaudienz am 24. Juni 1. Indem der Johannesprolog, dem die vorausgegangene Katechese gewidmet war, von Jesus als dem Logos, dem Wort, dem Gottessohn, spricht, drückt er zweifellos die wesentliche Kernwahrheit über Jesus Christus aus, die Wahrheit, die den Hauptinhalt der Selbstoffenbarung Gottes im Neuen Bund bildet und als solche feierlich von der Kirche bekannt wird. Es ist der Glaube an den Gottessohn, der als ewiges Wort „eines Wesens mit dem Vater“ ist, von Ewigkeit her „gezeugt“, „Gott von Gott, Licht von Licht“, in keiner Weise „geschaffen“ (und „adoptiert“). Der Prolog zeigt auch die Wahrheit von der göttlichen Präexistenz Jesu Christi als des „eingeborenen Sohnes“ auf, der „am Herzen des Vaters ruht“. Auf diesem Fundament nimmt die Wahrheit über den 131 AUDIENZEN UNDANGELUS Gottessohn, der in die Welt gekommen ist, um vom Vater aus eine hesondere Mission zu erfüllen, volle Gestalt an („Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14)). Diese Sendung (missio Verbi) spielt eine wesentliche Rolle im göttlichen Heilsplan. Darin ist die höchste und endgültige Verwirklichung des Heilsplanes Gottes in bezug auf die Welt und den Menschen enthalten. 2. Im ganzen Neuen Testament finden wir die Wahrheit von der Sendung des Sohnes durch den Vater ausgedrückt, die in der messianischen Sendung Jesu Christi konkret wird. In diesem Zusammenhang sind vor allem die zahlreichen Stellen des Johannesevangeliums bedeutsam, auf die man zunächst Bezug nehmen muß. Als er mit den Jüngern und sogar mit seinen Feinden spricht, sagt Jesus: „Von Gott bin ich ausgegangen und gekommen. Ich bin nicht in meinem eigenen Namen gekommen, sondern er hat mich gesandt“ (Joh 8,42). „Ich urteile nicht allein, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat.“ (Joh 8,16). „Ich bin es, der über mich Zeugnis ablegt, und auch der Vater, der mich gesandt hat“ (Joh 8,18). „Der mich gesandt hat, bürgt für die Wahrheit. Ihr kennt ihn nur nicht. Ich kenne ihn, weil ich von ihm komme und weil er mich gesandt hat“ (Joh 7,28-29). „Diese Werke, die ich vollbringe, legen Zeugnis dafür ab, daß mich der Vater gesandt hat“ (Joh 5,36). „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu Ende führen“ (Joh 4,34). 3. Viele Male, wie man im Johannesevangelium sieht, spricht Jesus von sich — in erster Person — als einem Gesandten des Vaters. Dieselbe Wahrheit kommt in besonderer Weise im Hohepriesterlichen Gebet zum Ausdruck, wo Jesus seine Jünger dem Vater anvertraut und betont: „Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt“ (Joh 17,18). Fast in direktem Bezug zum Hohepriesterlichen Gebet lauten die ersten, am Abend des Auferstehungstages an die Jünger gerichteten Worte: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21). 4.. Obwohl die Wahrheit über Jesus Christus als den vom Vater gesandten Sohn vor allem in den Johannestexten herausgestellt wird, ist sie aber auch in den synoptischen Evangelien enthalten. Aus ihnen erfahren wir z. B., daß Jesus gesagt hat: „Ich muß auch, den anderen Städten das Evangelium vom Reich Gottes verkünden; denn dazu bin ich gesandt worden“ (Lk 4,43). Besonders erhellend ist das Gleichnis von den bösen Winzern. Sie mißhandeln die Knechte, die der Weinbergbesitzer gesandt hat, „um bei ihnen seinen An- 132 AUDIENZEN UNDANGELUS teil an den Früchten des Weinbergs holen zu lassen“, und töten viele von ihnen. Zuletzt beschließt der Weinbergsbesitzer, seinen eigenen Sohn zu ihnen zu senden: „Schließlich blieb ihm nur noch einer: sein geliebter Sohn. Ihn sandte er als letzten zu ihnen, denn er dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben. Die Winzer aber sagten zueinander: Das ist der Erbe. Auf, wir wollen ihn töten, dann gehört das Erbgut uns. Und sie packten ihn und brachten ihn um und warfen ihn aus dem Weinberg hinaus“ (Mk 12,6-8). Bei der Erläuterung des Gleichnisses erinnert Jesus an die Worte des Psalmes 118 über den Stein, den die Bauleute verwarfen: eben dieser Stein ist zum Stützpunkt, d. h. Eckstein geworden (vgl. Ps 118,22). 5. Das Gleichnis vom Sohn, der zu den Winzern gesandt wird, ist bei allen Synoptikern aufgezeiehnet (vgl. Mk 12,1-12, Mt 21,33-46; Lk 20,9-19). In ihm scheint klar die Wahrheit über Christus als den vom Vater gesandten Sohn auf. Ja, hier ist sogar der Opfer- und Erlösungscharakter dieser Sendung ganz deutlich unterstrichen. Der Sohn ist wirklich der, „den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat“ (.Joh 10,35). Also hat Gott nicht nur „in dieser Endzeit ... zu uns gesprochen durch den Sohn“ (vgl. Hebr 1,1-2), sondern hat diesen Sohn für uns hingegeben in einem Akt unbegreiflicher Liebe, indem er ihn in die Welt gesandt hat. 6. Mit derselben Sprache sagte es das Johannesevangelium noch in ganz besonders tiefer Weise: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Und weiter: „Denn Gott hat seinen Sohn ... in die Welt gesandt, ... damit die Welt durch ihn gerettet wird“ (Joh 3,17). An anderer Stelle schreibt Johannes:, ,Gott ist die Liebe. Die Liebe Gottes wurde unter uns dadurch offenbart, daß Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben.“ Nicht darin besteht die Liebe, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat“ (1 Joh 4,8-10). Und deshalb fügt er hinzu, daß wir, wenn wir Jesus,sein Evangelium, seinen Tod und seine Auferstehung annehmen, „die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen (haben). Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm“ (vgl. Joh 4,16). 7. Paulus bringt dieselbe Wahrheit im Brief an die Römer zum Ausdruck: „Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben — wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ (Rom 8,32). Christus wurde für uns „hingegeben“, wie wir in Joh 3,16 lesen; er wurde als Opfer „für 133 AUDIENZEN UNDANGELUS uns alle hingegeben“ (Röm 8,32). Der Vater hat „seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt“ (Joh 4,10). Das Glaubensbekenntnis verkündet dieselbe Wahrheit: „Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er (das Wort Gottes) vom Himmel gekommen.“ 8. Die Wahrheit über Jesus Christus als den Sohn, den der Vater gesandt hat, um die Welt zu erlösen und dem Menschen, der von der Sünde und daher von den Mächten der Finsternis gefangen ist, Heil und Befreiung zu bringen, bildet den Kern der Frohbotschaft. Jesus Christus ist der „eingeborene Sohn“ (Joh 1,18), der, um seine messianische Sendung zu erfüllen, „nicht daran festhielt, wie Gott zu sein, sondern sich entäußerte und wie ein Sklave und dem Menschen gleich wurde ... Er war gehorsam bis zum Tod“ (vgl. Phil 2,6-8). In dieser von ihm freiwillig angenommenen Situation als Mensch, als Gottesknecht, verkündete er: „Der Vater ist größer als ich“ (Joh 14,28) und „ich tue immer das, was ihm gefällt“ (vgl. Joh 8,29). Aber gerade dieser frei angenommene Gehorsam, diese Unterwerfung unter den Vater im Gegensatz zum „Ungehorsam“ des ersten Adam bleibt Ausdruck der tiefsten Verbindung zwischen dem Vater und dem Sohn und spiegelt die dreifältige Einheit wieder: „Die Welt soll erkennen, daß ich den Vater liebe und so handle, wie es mir der Vater aufgetragen hat“ (Joh 14,31). Diese Einheit des Willens zum Heil des Menschen offenbart endgültig die Wahrheit über Gott in seinem innersten Wesen: Liebe. Zugleich enthüllt sie die Urquelle des Heils der Welt und des Menschen: „Das Leben war das Licht der Menschen“ (Joh 1,4). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Mit der Kirche bekennen wir Christus als „Gott von Gott, Licht vom Licht, eines Wesens mit dem Vater1 ‘; so im Glaubensbekenntnis der Messe. Christus ist das ewige Wort, von dem Johannes im Prolog seines Evangeliums spricht und dann hinzufügt: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). Jesus Christus, der eingeborene Sohn Gottes, der vom Vater zu unserem Heil in die Welt gesandt wird: das ist die zentrale Wahrheit unseres Glaubens, die zentrale Wahrheit über Christus selbst. Das ganze Neue Testament spricht an vielen Stellen von dieser Sendung des Sohnes, besonders das Johannesevangelium. Jesus selber betont häufig, daß er vom Vater gesandt worden ist: „Ich bin nicht in meinem eigenen Namen gekommen, sondern er (Gott) hat mich 134 AUDIENZEN UNDANGELUS gesandt“ (Joh 8,42). Im Hohepriesterlichen Gebet sagt er: „Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt“ {Joh 17,18). Ähnliche Aussagen finden wir auch in den anderen Evangelien. So zum Beispiel bei Lukas: „Ich muß auch anderen Städten das Evangelium vom Reich Gottes verkünden; denn dazu bin ich gesandt worden“ (Lk 4,43). In allen drei synoptischen Evangelien steht das Gleichnis von den bösen Winzern, die den Sohn ermorden, den der Herr des Weinberges ihnen sendet. Dieses Gleichnis unterstreicht zugleich den Opfercharakter dieser Sendung. Gott sendet seinen Sohn, um ihn als Opfer für unser Heil hinzugeben. Johannes sagt es ausdrücklich, daß Christus vom Vater gesandt worden ist, „damit die Welt durch ihn gerettet wird“ {Joh 3,17). Nach dem ersten Johannesbrief ist Gott die Liebe, die sich uns darin offenbart, daß er uns „seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat“ {1 Joh 4,10). Mit dieser kurzen Zusammenfassung meiner heutigen Audienzansprache grüße ich sehr herzlich alle.Pilger deutscher Sprache: die genannten Gruppen, die Familien und Einzelpilger. Den Schwestern, die an einem geistlichen Emeuerungskurs in La Storta teilnehmen, erbitte ich die besondere Erleuchtung und Führung des Heiligen Geistes, auf daß sie in der Liebe und Erkenntnis Christi wachsen und ihn in ihrem Apostolat mutig bezeugen. Zugleich wünsche ich allen Pilgern erlebnisreiche und fruchtbare Tage in der Ewigen Stadt und erteile allen heutigen Audienzteilnehmem von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. Litauen — Land Mariens Angelus am 28. Juni Liebe Brüder und Schwestern! 1. Heute morgen hat sich die Kirche Roms, zusammen mit den Schwesterkirchen Europas, bei einer feierlichen Konzelebration im Petersdom mit den Bischöfen Litauens im Geist vereint, die heute in Wilna die Sechshundertjahrfeier der „Taufe“ dieser Nation begehen. Gleichzeitig hatte ich die Freude, einen großen Sohn dieses Volkes zur Ehre der Altäre zu erheben: den Diener Gottes Georg Matulaitis (Matulewicz), einen beispielhaften Bischof und Ordensmann, Gründer und Reformator von Ordenskongregationen, der von großer Liebe zu Maria, der Immaculata, erfüllt war, einen unermüdlichen und unerschrockenen Seelsorger. 135 AUDIENZEN UND ANGELUS 2. In diesen sechshundert Jahren seit der Erstverkündigung des Evangeliums hat der Glaube in Litauen feste Wurzeln geschlagen: er ist tief in die Seele des Volkes gedrungen und hat sein Brauchtum, sein geistiges Lehen, seine Kultur und sein künstlerisches Erbe nachhaltig beeinflußt. Besonders tief empfunden ist die Marienverehrung, so daß der Papst Pius XI. bei seinem Besuch als Apostolischer Visitator in diesem Land sagte: „Litauen ist das Land Mariens.“ Das berühmteste Heiligtum ist ohne Zweifel das der „Pforte der Morgenröte“ in Wilna, das die Litauer „Ausras Vartai“ nennen. Seit vierhundert Jahren ist es ein Ort des Gebetes und der geistlichen Erbauung für das ganze Volk, das in dem wundertätigen Bild der „Mutter der Barmherzigkeit“ jene verehrt, die Mutter Gottes und Fürsprecherin und Beschützerin der Menschen ist und bei der man in der Not vertrauensvoll Hilfe sucht. Trotz der Zerstörungen und des Verfalls, den die Zeiten mit sich brachten, ja trotz des Einsturzes der Mauer, die die Hauptstadt umgab und in deren Nähe sich das herrliche Tor der Morgenröte befand, blieb dieses Heiligtum immer unversehrt mitten in allen Belagerungen, in Feuersbrünsten und Schlachten: in seiner geistigen Ausstrahlung blieb es stets ein Zufluchtsort des Friedens, ein fester Bezugspunkt nicht nur für die Litauer, sondern auch für die Katholiken der benachbarten Nationen. Es wurde so zu einem Zeichen der Hoffnung für ein Volk, erkennbar an der Heilsbotschaft, die von diesem Heiligtum ausstrahlt: eine Botschaft der Liebe, des Friedens, der Gerechtigkeit und der Freiheit. 3. Ein anderes Zentrum marianischer Frömmigkeit, das in besonderer Weise erwähnt zu werden verdient, ist das Heiligtum von Siluva, zu dem jährlich zahlreiche Gläubige in großer Andacht, oft unter Schwierigkeiten und Opfern, zusammenströmen. Besonders groß ist der Zustrom der Pilger am Fest der Geburt Mariens. Andere viel besuchte marianische Heiligtümer sind die von Zemäiciu Kalva-rija, von Krekenava und von Pivasiunai. Seit Jahrhunderten und auch heute noch kommen zahlreiche Gläubige aus allen litauischen Diözesen zu diesen Mittelpunkten des Glaubens und der Frömmigkeit und vertrauen sich derjenigen an, die Jesus am Kreuz uns als Mutter und Mittlerin der Gnade geschenkt hat. Ich lade euch alle ein, zusammen mit mir zu beten, daß — wie ich im Brief zur Jubiläumsfeier an die litauischen Bischöfe geschrieben habe —, „das Gedächtnis der sechshundert Jahre christlichen Lebens der Brüder und Schwestern Litauens ihnen helfe, auch weiterhin und immer Christus und der Kirche treu zu sein“. 136 AUDIENZEN UND ANGELUS Nach dem Angelusgebet sagte der Papst: Während ich von ganzem Herzen alle anwesenden Pilger begrüße, richte ich ein Wort besonderer Zuneigung an jene, die aus verschiedenen Teilen der Welt hierhergekommen sind, um an der Sechshundertjahrfeier der „Taufe“ Litauens und an der Seligsprechung des Dieners Gottes, Georg Matalaitis (Matulewicz), teilzunehmen. O glückliches Rom Angelus am 29. Juni „O Roma felix, quae tantorum principum es purpurata pretioso sanguine.“ 1. Spontan kommt uns heute, am Hochfest der heiligen Petrus und Paulus, die berühmte Strophe des liturgischen Hymnus aus dem Herzen, gerade in dieser Stadt, dem Zentrum des Katholizismus, wo sie für ihren Glauben an Christus als Märtyrer starben: „O glückliches Rom, durch den Purpur des kostbaren Blutes dieser beiden Fürsten ausgezeichnet! Nicht durch deinen Glanz, sondern durch ihre Verdienste übertriffst du alle andere Schönheit der Welt.“ Rom freut sich über dieses Fest. Die Stadt freut sich, daß sie es auch wieder als staatlichen Feiertag begehen kann. Das Hochfest der beiden Apostelfürsten ist in Rom gewiß ganz besonders volkstümlich: sein Ursprung geht auf eine sehr frühe Zeit zurück, seit dem dritten Jahrhundert war sein Datum immer der 29. Juni. . 2. Ein einziger Tag ist dem Gedächtnis der zwei Apostel geweiht, obgleich sie an verschiedenen Tagen das Martyrium erlitten. Beide aber haben das Evangelium in Rom verkündet, und beide haben ihr Blut in dieser Stadt vergossen. Heute werden wir aufgefordert, uns mit dem Glauben des Petrus an den göttlichen Meister zu wenden und zu sagen: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes“ (Joh 6,68-69). Und auf das inspirierte Wort des Paulus hörend, wollen wir uns mit solchem Eifer einsetzen, daß auch wir eines Tages sagen können: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten“ (2 Tim 4,7). 137 AUDIENZEN UND ANGELUS 3. Ich möchte euch einladen, heute die heiligen Petras und Paulus für die Stadt Rom zu bitten, daß sie, vor allem auch durch die nächste Diözesan-Pa-storalsynode, immer ihr Erbe lebendig halte. Aber auch für die Universalkirche wollen wir beten, daß sie stets „Säule und Fundament der Wahrheit “ sei. Sodann wollen wir für die ganze Menschheit beten, daß die göttliche Gnade viele Brüder erleuchte und sie zu der einen Wahrheit rufe, die die heiligen Petras und Paulus gelebt und mit unerschrockenem Eifer gepredigt haben. Auch die heilige Jungfrau, die Königin der Apostel, stehe uns bei. Sein Vater ist unser Vater Ansprache bei der Generalaudienz am 2. Juli 1. Vielleicht gibt es keinen besseren Ausdruck für die Selbstoffenbarang Gottes im Sohn als das Wort „Abba — Vater“. „Abba“ ist ein aramäischer Ausdruck, der im griechischen Text des Markusevangeliums (Mk 14,36) beibehalten wurde. Er taucht genau dort auf, wo Jesus sich an den Vater wendet. Und obwohl man es in allen Sprachen übersetzen kann, gibt es seinen einzigartigen, unwiderruflichen Inhalt am besten auf den Lippen Jesu von Nazaret wieder. 2. In der Tat bringt „Abba“ nicht nur das traditionelle Gotteslob zum Ausdruck: „Ich preise dich, Herr, Vater des Himmels und der Erde“ (Mt 11,25), sondern offenbart aus dem Mund Jesu auch das Bewußtsein von der einmaligen und ausschließlichen Beziehung, die zwischen dem Vater und ihm, zwischen ihm und dem Vater besteht. „Abba“ drückt diesselbe Wirklichkeit aus, auf die Jesus in so schlichter und zugleich außerordentlicher Weise mit den Worten anspielt, die im Text des Matthäusevangeliums (Mt 11,27) und auch in jenem des Lukas (Lk 10,22) erhalten geblieben sind: „Niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.“ Das heißt, die Bezeichnung „Abba“ gibt nicht nur Zeugnis vom Geheimnis des wechselseitigen Bandes zwischen dem Vater und dem Sohn, sondern faßt gewissermaßen die ganze Wahrheit vom inneren Leben Gottes in seiner trinitarischen Tiefe zusammen: jenes wechselseitige Erkennen des Vaters und des Sohnes, aus dem die ewige Liebe hervorgeht. 3. Das Wort „Abba“ gehört zum Sprachgebrauch innerhalb einer Familie und bezeugt diese besondere Einheit von Personen, die zwischen dem Vater 138 AUDIENZEN UND ANGELUS und dem von ihm gezeugten Sohn besteht, zwischen dem Sohn, der den Vater liebt und vom ihm geliebt wird. Als Jesus sich dieses Wortes bediente, um von Gott zu sprechen, mußte er unter seinen Zuhörern Verwunderung und sogar Empörung hervorrufen. Ein Jude hätte nicht einmal im Gebet davon Gebrauch gemacht. Nur wer sich im eigentlichen Sinn für den Sohn Gottes hielt, konnte über Ihn und zu Ihm als dem Vater, „Abba“, d. h. „mein Vater“, „Vati“, „Papa“, sprechen. 4. Bei Jeremias heißt es an einer Stelle, Gott erwarte, als Vater angerufen zu werden: „Ich dachte, du würdest mich Vater nennen“ (Jer 3,19). Dies ist wie eine Prophezeiung, die sich in den messianischen Zeiten erfüllen sollte. Jesus von Nazaret verwirklichte und überstieg sie, indem er von sich in bezug auf Gott als von dem sprach, der „den Vater kennt“, und sich dabei der kindlichen Ausdrucksweise „Abba“ bediente. Er spricht ständig vom Vater und ruft zum Vater wie einer, der das Recht hat, sich an ihn einfach mit dem Anruf „Abba — mein Vater“ zu wenden. 5. All dies wurde von den Evangelisten aufgezeichnet. Vor allem im Markusevangelium ist zu lesen, daß Jesus, als er in Getsemani betete, ausrief: „Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst“ (Mk 14,36). Die Parallelstelle bei Matthäus lautet: „Mein Vater“, d. h. „Abba“, obwohl das aramäische Wort nicht buchstäblich wiederholt wird (vgl. Mt 26,39-42). Auch wenn der Text des Evangeliums sich auf „Vater“ allein beschränkt (wie in Lk 22,42, und auch in einem anderen Zusammenhang bei Joh 12,27), ist der wesentliche Inhalt der gleiche. 6. Jesus hat seine Zuhörer verstehen gelehrt, daß das Wort „Gott“ und insbesondere das Wort „Vater“ aus seinem Mund „Abba“ — „mein Vater“ bedeutete. Dies gilt schon von seiner Kindheit an; so sagte der knapp zwölfjährige Jesus zu seinen Eltern, die ihn drei Tage lang gesucht hatten: „Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meinem Vater gehört?“ {Lk 2,49). Und am Ende seines Lebens, im Hohepriesterlichen Gebet, mit dem er seine Sendung beschließt, besteht er darauf, Gott zu bitten: „Vater, die Stunde ist da. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht“ {Joh 17,1). „Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast“ {Joh 17,11). „Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt, ich aber habe dich erkannt“ {Joh 17,25). Bereits in der Ankündigung der Letzten Dinge im Gleichnis vom Weltgericht erscheint er als deqenige, der sagt: „Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid ...“ {Mt 25,34). Am Kreuz spricht er jene letzten Worte: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ {Lk 23,46). 139 AUDIENZEN UND ANGELUS Als Auferstandener schließlich kündigt er seinen Jüngern an: „Und ich werde die Gabe, die mein Vater verheißen hat, zu euch.absenden“ (Lk 24,49). . 7. Jesus Christus, der mit soviel Tiefe „den Vater erkennt“, ist gekommen, den Menschen, die der Vater ihm gegeben hat, Seinen Namen zu offenbaren (vgl. Joh 17,6). Ein besonderer Augenblick dieser Offenbarung des Vaters ist die Antwort, die er seinen Jüngern gibt, als sie ihn bitten: „Lehre uns beten!“ (vgl. Lk 11,1). Da spricht er ihnen das Gebet vor, das mit den Worten „Unser Vater“ {Mt 6,9-13) oder „Vater“ {Lk 11,2-4) beginnt. Durch die Offenbarung dieses Gebetes erkennen die Jünger, daß sie in besonderer Weise an der Gotteskindschaft teilhaben, von der der Apostel Johannes im Prolog seines Evangeliums sagen wird: „Allen aber, die ihn aufhahmen (d.h. allen, die das Wort, „das Fleisch geworden ist“, aufnahmen), gab er Macht, Kinder Gottes zu werden“ {Joh 1,12). Seiner eigenen Weisung entsprechend, beten sie deshalb zu Recht: „Vaterunser“. . \ 8. Jesus unterscheidet aber immer zwischen „meinem Vater“ und „eurem Vater“. Auch nach der Auferstehung sagt er zu Maria von Magdala: „Geh ... zu meinen Brüdern, und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott“ {Joh 20,17). Weiter ist zu beachten, daß an keiner Stelle des Evangeliums zu lesen ist, Jesus habe seinen Jüngern empfohlen, mit dem Wort „Abba“ zu beten. Dieses betrifft ausschließlich seine persönliche Beziehung als Sohn zum Vater. Zugleich ist jedoch der „Abba“ Jesu wirklich auch derjenige, der „unser Vater“ ist, wie aus dem Gebet hervorgeht, das er die Jünger lehrte. Er ist es durch Teilhabe oder, besser, durch Adoption, wie die Theologen aus der Schule des hl. Paulus lehren werden, der im Brief an die Galater schreibt: „Gott (sandte) seinen Sohn ..., damit wir die Sohnschaft erlangen“ {Gal 4,4f; vgl. Thomas v. Aquin, HI, q. 23, aa. 1 und 2). 9. In diesem Zusammenhang muß man auch die folgenden Worte aus dem Brief an die Galater lesen und auslegen: „Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater“ {Gal 4,6). Dazu kommen die Worte aus dem Brief an die Römer: „Ihr habt nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht, ... sondern ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater!“ {Röm 8,15). Wenn wir deshalb als Adoptivkinder (adoptiert in Christus „Söhne im Sohn“, sagt der hl. Paulus, vgl. Röm 8,29) Gott als „Vater“ und „unseren Vater“ anrufen, beziehen sich diese Worte auf denselben Gott, zu dem Jesus mit unvergleichlicher Vertraulichkeit sagte: „Abba, ... mein Vater“. 140 AUDIENZEN UND ANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Auch euch möchte ich bitten, mit mir einige Augenblicke nachzusinnen über das tiefe Geheimnis der Person Jesu von Nazaret, das besonders deutlich wird, wenn er von seinem Vater spricht und damit Gott selbst meint. Jesus hat dabei in seiner aramäischen Muttersprache ein Wort gebraucht, das seinen Zuhörern so sehr aufgefallen sein muß, daß es der Evangelist Markus sogar in den griechischen Text seines Evangeliums übernommen hat. Dieses Wort heißt „Abba“ — „mein Vater“. Es gehört zur intimen Sprache in der Familie und will dem ganz engen, von Liebe und Achtung getragenen Verhältnis von Vater und Sohn Ausdruck geben. Ein gläubiger Jude hätte es kaum gewagt, sich mit diesem intimen Wort „Abba“ an den alles überragenden Gott zu wenden. Und so zeigt uns Jesus gerade durch den Gebrauch dieses Wortes, wie unendlich nahe und eng er sich Gott verbunden weiß. Hier offenbart uns der Herr seine einmalige Einheit mit Gott, wie er sie in jenen Worten weiter ausgeführt hat, die wir zu Beginn dieser Audienz gehört haben; betend spricht Jesus: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmel und der Erde ... Niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ {Mt 11,25.27). Und tatsächlich hat uns Jesus den Vater im Himmel, seinen eigenen göttlichen Vater, offenbaren wollen. So will er uns in seine liebende Gemeinschaft mit Gott hineinnehmen. Der Apostel Paulus wird sagen, daß Gott uns gleichsam wie „Adoptivkinder“ seinem eingeborenen, wesensgleichen Sohn als Brüder und Schwestern an die Seite stellt, nachdem dieser unsere Menschennatur angenommen hat. Besonders eindrucksvoll wird uns diese „Adoption“ deutlich, wenn Jesus uns auf die Bitten der Jünger ein Gebet schenkt, in dem wir diese neue, ungeahnte Beziehung zu Gott ausdrücken dürfen: Es ist das „Vaterunser“. Betet es oft und innig; sucht dabei bewußt die geistige Gemeinschaft mit Jesus Christus, damit euer Beten von seiner Liebe und Treue zu Gott umfangen werde und so eine Tiefe erhalte, die wir, auf uns allein gestellt, ihm nie geben könnten. — Gern schließe ich eure Anliegen auch in mein Beten ein und.segne euch alle von Herzen. 141 AUDIENZEN UNDANGELUS Jede Pilgerfahrt ein Glaubensweg Angelus am 5. Juli Liebe Brüder und Schwestern! 1. Jedes Volk, jede Nation und in manchen Regionen beinahe jede Stadt oder jeder Ort haben ihr größeres oder kleineres Marienheiligtum, das eng mit der religiösen und manchmal auch mit der bürgerlichen Geschichte der Menschen verbunden ist. Im Laufe der Jahrhunderte sind unzählige Generationen zu bekannten oder einfachen Wallfahrtskirchen gepilgert, um „die Jungfrau in ihren kostbaren oder bescheidenen Bildern zu verehren, und haben dort Gnade und Trost, das Licht des Glaubens und die Kraft zur Umkehr sowie Zuflucht in Lebensschwierigkeiten und inneren Krisen gefunden“ (Insegnamenti di Paolo VI., IV, 1966, p. 902). Jeder von uns bewahrt vielleicht in seinem Herzen die Erinnerung und Liebe zu einem Marienheiligtum, wo unser Leben von einem Ruf, einer Einladung der Gottesmutter tief geprägt wurde, die mit Milde und Entschiedenheit sagte: „Tut das, was mein Sohn euch sagt“ (vgl. Joh 2,5). 2. Heute wallfahren wir in geistlicher Weise zu einem Heiligtum, das mit dem Gedenken an die Geburt der seligsten Jungfrau verbunden ist. Einer alten Tradition nach, von der Spuren im Jakobusevangelium, einem Apokryph des 2. Jahrhunderts, vorhanden sind, befand sich in der Nähe des Tempels in Jerusalem das Haus, wo die selige Jungfrau geboren wurde. Vom 5. Jahrhundert an haben die Christen das Gedächtnis der Geburt Mariens in der großen Kirche gefeiert, die gegenüber dem Tempel neben dem Betesda-Teich errichtet wurde, wo Jesus den Gelähmten geheilt hatte (vgl. Joh, 1-9). Im 7. Jahrhundert rühmte der hl. Soronios, Patriarch von Jerusalem, dieses Heiligtum so: „Wenn ich die heilige Betesda-Kirche betrete, wo die verehrungswürdige Anna die Maria zur Welt brachte, werde ich meinen Fuß in den Tempel, den Tempel der reinsten Gottesmutter, setzen, ich werde die mir so teuren Mauern küssen und umarmen. Ich werde diesen Ort, wo die Jungfrau und Königin im Haus der Väter geboren wurde, nicht gleichgültig durchschreiten. Ich werde auch jenen Ort sehen, von wo der Gelähmte, nachdem er auf Anordnung des Wortes geheilt worden war, sich von der Erde erhob und seine Bahre mitnahm“ (Anacr., XX: PG 87/3, 3821-3824). Die Kreuzritter fanden nur Überreste von dieser alten Kirche; sie erbauten jedoch daneben eine „zu Ehren Mariens“ an der Stelle ihrer Geburt, die heute 142 AUDIENZEN UND ANGELUS Anna-Kirche genannt wird. Wie immer die geschichtliche Wahrheit sein mag, Tatsache ist, daß an diesem Ort bereits von Anfang an das Gedächtnis der Geburt der Mutter des Erlösers gefeiert wurde. Im Laufe der Jahrhunderte kamen zahllose Pilger, um die seligste Jungfrau Maria zu verehren und sie um ihre mütterliche Fürsprache zu bitten, wobei sie die Worte des Magnifikats beherzigten. Sie fanden in ihr das Vorbild für jede echte Pilgerfahrt, die immer ein Glaubensweg, ein geistlicher Weg im ständigen, treuen Hören auf das Wort Gottes ist. Der Abglanz seiner Herrlichkeit Ansprache bei der Generalaudienz am 8. Juli 1. „Abba — mein Vater“: Alles, was wir in der vorausgegangenen Katechese gesagt haben, erlaubt uns, noch tiefer in die einmalige und außerordentliche Beziehung des Sohnes zum Vater einzudringen, die in den Evangelien, sowohl bei den Synoptikern als auch bei Johannes, und im ganzen Neuen Testament Ausdruck findet. Obwohl im Johannesevangelium häufiger Stellen anzutreffen sind, die diese Beziehung (man könnte sagen, „in erster Person“) hervorheben, den Schlüsselsatz dazu findet man jedoch in den Synoptikern (Mt und Lk): „Niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11,27 und Lk 10,22). Der Sohn offenbart also den Vater als den, der ihn „kennt“ und der ihn als Sohn gesandt hat, um jetzt und endgültig durch ihn zu den Menschen „zu sprechen“ (vgl. Hebr 1,2). Ja, eben diesen eingeborenen Sohn hat der Vater für das Heil der Welt „hingegeben“, damit der Mensch in ihm und durch ihn das ewige Leben erlange (vgl. Joh 3,16). 2. Immer wieder, besonders aber beim letzten Abendmahl, will Jesus seine Jünger ausdrücklich wissen lassen, daß er mit dem Vater durch ein Band besonderer Zugehörigkeit vereint ist. „Alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein“ (Joh 17,10), sagt er im Hohepriesterlichen Gebet, als er von den Aposteln Abschied nimmt, um seiner Passion entgegenzugehen. Dann bittet er um Einheit für seine derzeitigen und zukünftigen Jünger. Er gebraucht dabei Worte, die diese Verbundenheit und Gemeinschaft ausdrücklich mit jener in Beziehung setzen, die nur zwischen dem Vater und dem Sohn besteht. In der Tat bittet er: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir 143 AUDIENZEN UND ANGELUS gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie,wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich“ (Joh 17,21-23). 3. Wenn Jesus für die Einheit seiner Jünger und Zeugen bittet, offenbart er zugleich, welche Einheit und Gemeinschaft zwischen ihm und dem Vater besteht: Der Vater ist „im“ Sohn, und der Sohn ist „im“ Vater. Diese besondere „Immanenz“, das gegenseitige Durchdringen — Ausdruck der Gemeinschaft der Personen — enthüllt das Maß der gegenseitigen Zugehörigkeit und die Innigkeit der gegenseitigen Beziehung des Vaters und des Sohnes. Jesus erklärt sie, indem er betont: „Alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein“ (Joh 17,10). Es ist eine Beziehung gegenseitigen Besitzens in der Einheit des Wesens, und zugleich ist es eine Beziehung des Schenkens. Tatsächlich sagt Jesus: „Sie haben jetzt erkannt, daß alles, was du mir gegeben hast, von dir ist“ (Joh 17,7). 4. Im Johannesevangelium sind die Zeichen von Aufmerksamkeit, Verwunderung und Sammlung zu spüren, womit die Apostel im Abendmahlssaal in Jerusalem die Worte Jesu am Vorabend des Ostergeschehnisses aufnahmen. Aber in gewisser Weise hatte er die Wahrheit des Hohepriesterlichen Gebetes schon im voraus am Tempelweihfest öffentlich zum Ausdruck gebracht. Auf die Herausforderung der Versammelten: „Wenn du der Messias bist, sag es uns offen!“, antwortete Jesus: „Ich habe es euch gesagt; aber ihr glaubt nicht. Die Werke, die ich im Namen meines Vaters vollbringe, legen Zeugnis für mich ab.“ Dann bestätigt Jesus, daß diejenigen, die ihn hören und glauben, kraft eines Geschenkes des Vaters zu seinem Schafstall gehören: „Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie .. . Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle, und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen“ (Joh 10,24-30). 5. Die Reaktion der Gegner ist in diesem Fall heftig: „Da hoben die Juden wiederum Steine auf, um ihn zu steinigen“. Als Jesus nach den Werken fragt, die er im Auftrag des Vaters vollbracht hat und um derentwillen sie ihn steinigen wollen, antworten sie ihm: „Wegen Gotteslästerung, denn du bist nur ein Mensch und machst dich selbst zu Gott.“ Die Antwort Jesu ist unmißverständlich: „Wenn ich nicht die Werke meines Vaters vollbringe, dann glaubt ihr mir nicht. Aber wenn ich sie vollbringe, dann glaubt wenigstens den Werken, wenn ihr mir nicht glaubt. Dann werdet ihr erkennen und einsehen, daß in mir der Vater ist und ich im Vater bin“ (vgl. Joh 10,31-38). 144 AUDIENZEN UND ANGELUS 6. Wir spüren deutlich die Bedeutung dieses entscheidenden Augenblicks im Leben und in der Offenbarung Christi. Die Wahrheit über das besondere Band, die besondere Einheit zwischen dem Sohn und dem Vater, stößt bei den Juden auf Widerstand: Wenn du der Sohn bist in dem Sinn, der aus deinen Worten spricht, dann machst du dich, der du Mensch bist, zu Gott. In diesem Fall sprichst du größte Lästerung aus. Die Zuhörer verstanden also den Sinn der Worte Jesu von Nazaret: als Sohn ist er „Gott von Gott“ — „eines Wesens mit dem Vater“ —, aber deshalb nahmen sie die Worte nicht an und wiesen sie sogar bedingungslos mit aller Entschiedenheit ab. Obwohl es nun bei diesem Streitgespräch nicht zur Steinigung kommt (vgl. Joh 10,39), wird Jesus am Tag nach dem Hohepriesterlichen Gebet des Abendmahlssaales den Kreuzestod erleiden müssen. Die anwesenden Juden werden schreien: „Wenn du Gottes Sohn bist, ... steig herab vom Kreuz!“ (Mt 27,40); und sie werden darüber spotten: „Er hat auf Gott vertraut: der soll ihn jetzt retten, wenn er an ihm Gefallen hat; er hat doch gesagt: Ich bin Gottes Sohn“ {Mt 27,42-43). 7. Auch in der Stunde auf Golgota bekräftigt Jesus die Einheit mit dem Vater. Wir lesen im Hebräerbrief: „Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt“ {Hebr 5,8). Aber dieser „Gehorsam bis zum Tod“ (vgl. Phil 2,8) war letzter und endgültiger Ausdruck seiner innigen Einheit mit dem Vater. Als Jesus am Kreuz mit dem Tod rang, rief er, wie das Markusevangelium sagt: „Eloi, Eloi. lama sabachtani?, d. h. übersetzt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34). Auch wenn die Worte das Gefühl der Verlassenheit bekunden, das er als für uns leidender Mensch psychisch empfindet, so drückt dieser Schrei doch die innigste Einheit des Sohnes mit dem Vater in der Erfüllung seines Auftrages aus: „Ich habe ... das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast“ (vgl. Joh 17,4). Die Einheit des Sohnes mit dem Vater offenbarte sich in jenem Augenblick mit einer endgültigen göttlich- menschlichen Tiefe im Heilsmysterium der Welt. 8. Noch im Abendmahlssaal sagt Jesus zu den Aposteln: „Niemand kommt zum Vater außer durch mich. Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen...“ Philippus sagte zu ihm: „Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns.“ Jesus antwortete ihm: „Schon so lange bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat (sieht), hat den Vater gesehen ...“ „Glaubst du nicht, daß ich im Vater bin und daß der Vater in mir ist?“ {Joh 14,6-10). „Wer mich sieht, sieht den Vater.“ Das Neue Testament ist vom Licht dieser Wahrheit des Evangeliums ganz durchdrungen. Der Sohn ist „der Abglanz seiner (des Vaters) Herrlichkeit“, er ist „das Ebenbild des unsichtbaren Got- 145 AUDIENZEN XJND ANGELUS tes“ (Kol 1,5). Er ist die Erscheinung Gottes. Als er Mensch wurde, Knechtsgestalt annahm und gehorsam war bis zum Tod am Kreuz (vgl. Phil 2,7-8), wurde er zugleich für alle, die auf ihn hörten, „der Weg“: der Weg zum Vater, mit dem er „die Wahrheit und das Leben“ ist (.Joh 14,6). Auf dem mühevollen Weg, dem Bild Christi gleichförmig zu sein, sind die an ihn Glaubenden, wie der hl. Paulus sagt, „zu einem neuen Menschen geworden“, der zur vollen Gotteserkenntnis nach dem Bild dessen erneuert wird, der „Modell“ ist (vgl. Kol 3,10). Das ist der feste Grund der christlichen Hoffnung. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Jesus Christus ist das zentrale Geheimnis unseres Glaubens. Wir betrachten heute seine einzigartige Beziehung zum Vater. Christus ist der eingeborene Sohn Gottes, der allein den Vater keimt und gesandt worden ist, um ihn den Menschen zu offenbaren. An vielen Stellen der Evangelien unterstreicht Jesus die innere Einheit, die ihn mit seinem himmlischen Vater verbindet. So beim Letzten Abendmahl, wo er betet: „Alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein“ (Joh 17,10). Oder: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin“ (Joh 17,21). Der Vater ist im Sohn und der Sohn im Vater. Diese gegenseitige Durchdringung der göttlichen Personen offenbart die innige wechselseitige Beziehung zwischen Vater und Sohn. Es ist die Einheit der göttlichen Personen in der einen göttlichen Wesenheit. Deshalb kann Jesus an einer anderen Stelle sogar sagen: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). Diese zentrale Aussage Jesu provoziert den heftigen Widerstand seiner Gegner. Sie wollen ihn steinigen „wegen Gotteslästerung; denn du bist nur ein Mensch — so sagen sie — und machst dich selbst zu Gott“ (Joh 10,33). Seine Gegner haben ihn also richtig verstanden und bestätigen seine Aussage: Christus ist als Sohn Gottes „Gott von Gott“ — „gleichen Wesens mit dem Vater“. Noch am Kreuz werden sie ihm diesen außergewöhnlichen Anspruch Vorhalten: „Wenn du Gottes Sohn bist, hilf dir selbst, und steig herab vom Kreuz!“ (Mt 27,40). Auch sein Gehorsam bis zum Tod am Kreuz ist Ausdruck seiner innigsten Verbundenheit und Einheit mit dem Vater. — Der Apostel Paulus nennt Christus „das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15). Darum kann Christus auch sagen: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9). Diese zentrale Wahrheit unseres Glaubens empfehle ich, liebe Brüder und Schwestern, eurer persönlichen Betrachtung und Verehrung. Zugleich grüße 146 AUDIENZEN UND ANGELUS ich euch damit herzlich zu der heutigen Audienz. Möge das Gebet an den Gräbern der Apostel euch in eurem Glauben an Christus bestärken, den Petrus als den „Sohn des lebendigen Gottes“ bekannt hat. Mit besten Wünschen für schöne und erholsame Ferientage erteile ich euch allen von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. In Christus Glieder der Familie Gottes Angelus in Val Visdonde (Belluno) am 12. Juli „Er erhörte mich von seinem heiligen Berg“ (Ps 3,5). 1. Heute fügt sich das mittägliche Gebet des Angelus glücklich in das bezaubernde Panorama dieser Berge von Cadore zwischen den Gipfeln und Wäldern des „grünen Comelico“ ein, aus dem zu jeder Jahreszeit in ruhevoller Majestät ein Chor zur Verherrlichung Gottes aufsteigt. In diesem wunderbar schönen Rahmen gewinnt das „Unser Lieben Frau vom Schnee“ geweihte Kirchlein, das hier schlicht und einladend steht, eine ganz eigene Note geistlicher Innigkeit. 2. Der Geist eilt zu den marianischen Heiligtümern, die sich ohne Zahl, von einem Ende der Halbinsel bis zum andern, auf den Bergen und Hügeln dieser geliebten italienischen Erde finden. Viele von ihnen verdanken ihr Entstehen der Anregung der hl. Jungfrau selbst, die sozusagen den „Weg ihres kindlichen und mütterlichen Fiat“ (Re-demptoris Mater, Nr. 14), der sie gleich nach der Verkündigung ins „Bergland“ (Lk 1,39) geführt hatte, noch einmal ging und bat, in der erhabenen Einsamkeit der Berge möge ihr ein Heiligtum errichtet werden, eine Oase des Gebets und des Gottesdienstes, an der das eucharistische Opfer die wirkliche Gegenwart ihres göttlichen Sohnes erneuere. Die Vorliebe Mariens für Gebirgsgegenden, die von Natur aus dem Himmel entgegenstreben, hat ihren tiefen Sinn. Jeder von uns kann ihn in die tröstliche Sicherheit des Psalmisten fassen: „Er erhörte mich von seinem heiligen Berg“ (Ps 3,5). 3. Im Geist des Marianischen Jahres erhält der Kranz von Heiligtümern, der die Berge Italiens im gleichen religiösen Aufschwung verbindet, den Wert eines Symbols: er wird zum besonderen Sinnbild des inneren Weges der See- 147 AUDIENZEN UND ANGELUS len, für den die Jungfrau von Nazaret das unvergleichliche Beispiel bietet: ein Weg, der durch Christus, den Hermund Erlöser, zu denunerforschlichen Höhen Gottes führt. Maria, die „Königin der Dolomiten“, „Unsere Liebe Frau vom Schnee“ und mit vielen anderen Titeln geziert, unter denen sie in den berühmtesten Heiligtümern und in den einsamsten Kapellen angerufen wird, schütze die geliebte italienische Nation. Nach dem Angelusgebet sagte der Papst: Aufs neue grüße ich herzlich alle Vertreter aus dem kirchlichen, dem staatlichen und dem militärischen Bereich, die zu diesem Treffen gekommen sind. Erneut gilt mein Beifall auch den Waldarbeitern der Regionen Venetien und Friaul und den staatlichen Forstbehörden. Ich ermutige sie, sich weiterhin mit Ausdauer für den Schutz der natürlichen Umwelt einzusetzen, die der Mensch unserer Zeit wieder in ihrer ganzen Bedeutung für sein Überleben auf Erden zu entdecken beginnt. Der Einsatz für den Menschen nimmt seinen Weg über den Einsatz für die Umwelt, den Lebensraum, in den Gott ihn gestellt hat. Gern richte ich auch einen Gruß an die zahlreichen Pilger aus den umliegenden Ländern, vor allem an die aus dem Gebiet von Comelico und Cadore, und an alle Anwesenden. Meine Lieben, der Glaube, der euch hierhergeführt hat, möge beständig euer Leben beseelen, dank auch der Arbeit der Priester, die euch in den einzelnen Pfarrgemeinden durch Gebet, Sakramente und Predigt zu Christus führen. Allen gereiche mein Segen zu Trost und Ermutigung. Einen besonderen Gruß möchte ich den Vertretern der Regionen Vorbehalten, die zur Organisation „Alpen-Adria“ gehören, in der alle Regionen des östlichen Alpenraumes zusammengeschlossen sind: Venetien, Friuli Venezia Giu-lia, Trentino Alto Adige, Lombardei, Oberösterreich, Kärnten, Salzburg, Steiermark, Slowenien und Bayern. Meine Lieben, euch und alle, die zu der Organisation gehören, die ihr vertretet, fordere ich auf, mit Vertrauen jeden Beitrag zu leisten, der geeignet ist, die Verständigung und die Zusammenarbeit zwischen euren Ländern zu begünstigen, zur Förderung jener Solidarität, die ihre tiefen Wurzeln in der Natur des Menschen hat und in seiner Berufung, in Christus Glied der Familie Gottes zu sein; allen meinen Apostolischen Segen. 148 AUDIENZEN UND ANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst: Schließlich grüße ich auch die Gruppe katholischer Pfadfinder, die ihr aus eurem Ferienlager beim Wallfahrtsort Maria Luggau zu dieser festlichen Messe herübergekömmen seid: Euch allen und jedem einzelnen gilt mein Gebet und Segen für den weiteren Lebensweg. Für den Vater leben Ansprache bei der Generalaudienz am 15. Juli 1. In der voraufgegangenen Katechese haben wir Jesus Christus als Sohn betrachtet, der innig mit dem Vater verbunden ist. Diese Einheit erlaubt und gebietet es ihm, zu sagen: „Der Vater ist in mir, und ich bin im Vater“. Und dies nicht nur beim vertrauten Gespräch im Abendmahlssaal, sondern auch in der öffentlichen Erklärung während des Laubhüttenfestes (vgl. Joh 7,28-29). Jesus geht sogar noch weiter und bekräftigt eindeutig: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). Diese Worte werden als Gotteslästerung betrachtet und rufen die heftige Reaktion unter den Zuschauern hervor: „Sie hoben Steine auf, um ihn zu steinigen“ (vgl. Joh 10,31). In der Tat sollte nach dem Gesetz des Mose die Gotteslästerung mit dem Tod bestraft werden (vgl. Dtn 13,10-11). 2. Nun ist es wichtig zu erkennen, daß eine organische Verbindung besteht zwischen der Wahrheit dieser innigen Einheit des Sohnes mit dem Vater und der Tatsache, daß Jesus als Sohn ganz „für den Vater“ lebt. Denn wir wissen, daß das ganze Leben und das ganze irdische Dasein Jesu ständig auf den Vater ausgerichtet ist und vorbehaltlos dem Vater geschenkt wird. Bereits mit zwölf Jahren ist sich Jesus, der Sohn Marias, seiner Beziehung zum Vater genau bewußt und verhält sich entsprechend seiner inneren Gewißheit. Deshalb antwortet er auf den Vorwurf seiner Mutter, als sie und Josef ihn nach dreitägiger Suche finden: „Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meinem Vater gehört?“ (Lk 2,49). 3. Auch in der heutigen Katechese nehmen wir vor allem Bezug auf den Text des vierten Evangeliums, denn das Bewußtsein und Verhalten Jesu, das er schon als Zwölfjähriger zeigt, hat seine tiefe Wurzel in dem, was wir zu Beginn der großen Abschiedsrede lesen, die er, nach Johannes, während des letzten Abendmahls hielt, am Ende seines Lebens, als er seine messianische Sendung beschließen sollte. Der Evangelist sagt von ihm: „Jesus wußte, daß 149 AUDIENZEN UND ANGELUS seine Stunde gekommen war...; daß ihm der Vater alles in die Hand gegeben hatte und daß er von Gott gekommen war und zu Gott zurückkehrte“ {Joh 13,1.3). Der Hebräerbrief stellt dieselbe Wahrheit heraus, wenn er in gewisser Weise auf die Präexistenz Jesu, des Sohnes Gottes, selbst Bezug nimmt: „An Brand- und Sündopfem hast du kein Gefallen. Da sagte ich: Ja, ich komme — so steht es über mich in der Schriftrolle —, um deinen Willen, Gott, zu tun“ (.Hebr 10,5-7). 4. Den Willen des Vaters tun heißt in den Worten und Werken Jesu: ganz,, für den Vater leben“. „Wie mich der lebendige Vater gesandt hat, so lebe ich für den Vater“, sagt Jesus, als er die Einsetzung der Eucharistie ankündigt.“ (vgl. Joh 6,57). Den Willen des Vaters zu tun, bedeutet für Christus sein Leben selbst. Das bekundet er mit den Worten, die er nach der Begegnung mit der Samariterin an die Jünger richtet: „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu Ende zu führen“ {Joh 4,34). Jesus lebt aus dem Willen des Vaters. Das ist seine „Speise“. 5. Und auf diese Weise lebt er: d. h. ganz auf den Vater ausgerichtet, weil er vom Vater gekommen ist und zum Vater zurückkehrt und weiß, daß der Vater den Sohn liebt und „alles in seine Hand gegeben“ hat {Joh 3,35). Indem Jesus sich in allem von diesem Bewußtsein leiten läßt, verkündet er vor den Söhnen Israels: „Ich aber habe ein gewichtigeres Zeugnis als das des Johannes (das Zeugnis, das Johannes der Täufer für ihn ablegte): Die Werke, die mein Vater mir übertragen hat, damit ich sie zu Ende führe, diese Werke, die ich vollbringe, legen Zeugnis dafür ab, daß mich der Vater gesandt hat“ {Joh 5,36). Im selben Zusammenhang sagt er: „Amen, amen, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, wenn er den Vater etwas tun sieht. Was nämlich der Vater tut, das tut in gleicher Weise der Sohn“ {Joh 5,19). Und er fügt hinzu: „Denn wie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, wen er will“ {Joh 5,21). 6. Der Abschnitt aus der Rede über das Himmelsbrot {Joh 6), den wir gerade zitiert haben: „Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich für den Vater lebe“, wird manchmal anders übersetzt: „Ich lebe durch den Vater“ {Joh 6,57). Die eben aas Joh 5 zitierten Worte stehen im Einklang mit dieser zweiten Auslegung. Jesus lebt „durch den Vater“ — in dem Sinn, daß alles, was er tut, voll dem Willen des Vaters entspricht: Es ist das, was der Vater selbst tut. Gerade deshalb ist das Menschenleben des Sohnes, sein Handeln und sein Dasein auf Erden in so vollständiger Weise auf den Vater ausgerichtet — Jesus lebt ganz „durch den Vater“ —, weil in ihm die Quelle all dessen seine ewige 150 AUDIENZEN UNDANGELUS Einheit mit dem Vater ist. „Ich und der Vater sind eins“ {Joh 10,30). Seine Werke sind der Beweis für die enge Gemeinschaft der göttlichen Personen. In den Werken tut sich die Gottheit selbst als Einheit des Vaters und des Sohnes kund: die Wahrheit, die bei den Zuhörern auf so großen Widerstand stieß. 7. Die weiteren Folgen dieses Widerstandes gleichsam voraussehend, sagt Jesus ein andermal während seines Konfliktes mit den Juden: „Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin. Ihr werdet erkennen, daß ich nichts im eigenen Namen tue, sondern nur das sage, was mich der Vater gelehrt hat. Und er, der mich gesandt hat, ist bei mir; er hat mich nicht allein gelassen, weil ich immer das tue, was ihm gefallt“ {Joh 8,28-29). 8. Jesus hat wirklich den Willen des Vaters bis zum Äußersten vollbracht. Durch sein Leiden und seinen Tod am Kreuz hat er bestätigt, daß er immer „das tut, was dem Vater gefallt“: er hat den Heilswillen zur Erlösung der Welt erfüllt, in dem der Vater und der Sohn vereint sind, weil sie ewig „eins“ sind {Joh 10,30). Als Jesus am Kreuz starb, rief er mit lauter Stimme: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist1 ‘ (Lk 23,46). Diese seine letzten Worte bezeugten, daß sein ganzes Dasein auf Erden bis zuletzt auf den Vater ausgerichtet war. Indem er als Sohn „durch den Vater“ lebte, lebte er ganz „für den Vater“. Und wie er vorhergesagt hatte, ließ ihn der Vater nicht im Stich. Im Ostergeheimnis von Tod und Auferstehung haben sich die Worte erfüllt: „Wenn ihr den Menschensohn von der Erde erhöht habt, werdet ihr erkennen, daß ich es bin.“ „Ich bin“; das sind dieselben Worte, mit denen einst der Herr, der lebendige Gott, Mose geantwortet hatte, als dieser nach seinem Namen fragte (vgl. Ex 3,13f.). 9. Wir lesen im Hebräerbrief die überaus tröstlichen Worte: „Damm kann er auch die, die durch ihn vor Gott hintreten, für immer retten; denn er lebt allezeit, um für sie einzutreten“ {Hebrl,25). Derjenige, der als Sohn, „eines Wesens mit dem Vater“, „durch den Vater“ lebt, hat dem Menschen den Weg zum ewigen Heil offenbart. Schlagen auch wir diesen Weg ein und gehen wir ihn weiter, damit wir an jenem Leben „für den Vater“ teilhaben, dessen Fülle in Christus ewig fortdauert. 151 AUDIENZEN UND ANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Im Credo bekennen wir mit der Kirche Jesus Christus als den menschgewordenen Sohn Gottes. Christus ist so eng mit seinem himmlischen Vater verbunden, daß er von sich sagen kann: „Ich und der Vater sind eins“ (Job, 10,30). Aus dieser inneren Einheit lebt Christus sein irdisches Leben ganz für den Vater. Schon als zwölfjähriger Junge fragt er seine Eltern, die ihn mit Sorge gesucht haben: „Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meinem Vater gehört?“ (Lk 2,49). Nach dem Hebräerbrief sagte Christus bei seinem Eintritt in die Welt: „Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert ... Ja, ich komme ..., um deinen Willen, Gott, zu tun“ (Hebr 10,5-7). Im Reden und Tun den Willen des Vaters zu tun, bedeutet für Jesus, ganz für den Vater zu leben. Er nennt es seine Speise, „den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu Ende zu führen“ (Joh 4,34). Christus lebt in dieser unmittelbaren Ausrichtung auf den Vater, weil er vom Vater ausgegangen ist und wieder zum Vater zurückkehrt. Er sagt von sich: „Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, wenn er den Vater etwas tun sieht. Was nämlich der Vater tut, das tut in gleicher Weise der Sohn“ (Joh 5,19). Wie im Sein sind somit Vater und Sohn auch im Handeln vollkommen eins. Durch diese vollkommene Ausrichtung auf den Vater ist Christus für uns der Weg zum Heil und zum ewigen Leben geworden. Mit dieser kurzen Betrachtung grüße ich herzlich alle heutigen Audienzteilnehmer deutscher Sprache: die genannten Gruppen und auch alle Einzelpilger. Mein besonderer Gruß gilt der Pilgergruppe des Spätberufenenseminars Sankt Joseph in Fockenfeld-Konnersreuth. Auf eurem Weg zum Priestertum seid ihr in verstärktem Maße in die Nachfolge Christi gerufen, auf seinen Weg des Gehorsams zum Vater. Euch und allen Pilgern erbitte ich als Gnade dieser Romwallfahrt einen lebendigen Glauben und vertiefte Treue zu eurer jeweiligen christlichen Berufung. Mit besten Ferienwünschen erteile ich euch und euren Lieben in der Heimat von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. 152 AUDIENZEN UND ANGELUS Wo Maria ist, fließt die Gnade über Angelus in Castel Gandolfo am 19. Juli Liebe Brüder und Schwestern! 1. Heute möchte ich euch einladen, eure Gedanken auf das Marienheiligtum von Lourdes am Ufer des Gave zu lenken, wo die Gottesmutter 1858 erschienen ist und zu Buße und Gebet, besonders für die Sünder, aufgefordert hat. Dieses einzigartige Marienheiligtum, Ziel so vieler Wallfahrten, weist uns auf zwei Dinge hin: auf das Geheimnis von der Unbefleckten Empfängnis und auf die barmherzige Liebe, die sich darum bemüht, das menschliche Leiden, sei es körperlich oder moralisch, zu lindem. Und diese beiden Werte sind eng miteinander verbunden. Lourdes ist ein Appell, sich der dringenden Bedürfnisse des Menschenherzens bewußt zu werden und sich hochherzig in den Dienst an den Armen, Kranken, Leidenden und der Rettung der Sünder zu stellen. Aber wer richtet diesen Aufruf an uns? Es ist die geheimnisvolle Anwesenheit Marias. Die Unbefleckte Empfängnis, die Allerreinste, die Heiligste, die Gnadenvolle, sie wurde inL Zustand der totalen Makellosigkeit empfangen, weil sie, gemäß dem Graß des Engels bei der Verkündigung, voll der Gnade ist, ganz frei von der Erbsünde und ihren Folgen. 2. So ist Maria ein auserlesenes und einzigartiges Instrument der Erlösung in Christus: ein bevorzugter Kanal seiner Gnade, ein auserwählter Weg, durch den ein überaus reicher und wunderbarer Gnadenstrom zu den Menschen gelangt. Wo Maria ist, dort fließt die Gnade über, dort geschieht die Heilung des Menschen: die Heilung an Leib und Seele. Wie ich im Rahmen meiner Pilgerfahrt nach Lourdes 1983 sagte, lernen wir deshalb „an der Grotte in Lourdes und in den Hospitälern, worin die Liebe zum Leben besteht: in der Hilfe, die den Kranken geleistet wird; dort oben in der Beichtkapelle im Anhören all des moralischen Elends, in der tröstenden Vergebung Christi“ (.Ansprache in der unterirdischen Basilika vom 15. 8. 83). Nach Lourdes fährt man nicht nur, um zu empfangen — Gnaden oder auch, wenn Gott sie gewährt, die Gnade der körperlichen Heilung —, sondern auch um zu geben und die Bereitschaft zu geben, zu lernen, um eifriger und wirksamer für das Heil der Welt zu arbeiten. In Lourdes müssen wir uns auch Bernadette zum Vorbild nehmen, ihre Verfügbarkeit, ihre Willigkeit, ihre Demut und ihren Mut, mit denen sie, jedes Opfer auf sich nehmend, die Botschaft Gottes aufzunehmen wußte, die Gott durch Maria für ihr persönliches Leben 153 AUDIENZEN UNDANGELUS und durch sie für den Nächsten und — wir können sagen — die ganze Menschheit gehabt hat. In der Tat hat die Kirche selbst nach der öffentlichen Anerkennung der Erscheinungen, die Bischof Laurence im Jahr 1862 bekanntgab, die Botschaft der Dame von Massabielle als ihre eigene, als für sie bestimmte, empfunden. Das wird auch durch die besondere Verehrung bestätigt, die alle meine Vorgänger, angefangen von Papst Pius IX., für das Heiligtum in Lour-des hegten, um so mehr, als es in den Vatikanischen Gärten, wie ihr wißt, seit langem eine Nachbildung der Erscheinungsgrotte gibt. Und es freut mich hier zu wiederholen, was ich bereits in Lourdes sagte, daß „ich gern Vor dieser Grotte bete und daß ich jedes Jahr am 11. Februar in St. Peter eine Messe für die Kranken feiere“. O Unbefleckte Jungfrau von Lourdes, bleibe bei uns in der Stunde des Leidens und der Prüfung! Mach, daß wir, wenn wir das Geheimnis deiner Schönheit betrachten, durch die Verdienste Christi, deines Sohnes, die Vergebung unserer Schuld erlangen. Amen. Nach dem Angelusgebet sagte der Papst: Allen, die von dem heftigen Unwetter betroffen wurden, das gestern die nördliche Lombardei heimgesucht hat, bin ich zutiefst nahe. Ich bete für die Todesopfer und spreche den Verletzten und allen, die schweren Schaden erlitten haben, meine Verbundenheit und Ermutigung aus. In verschiedenen Sprachen begrüßte der Papst die zahlreichen Püger aus den einzelnen Ländern. In deutscher Spache sagte er: . Zum heutigen ersten Angelusgebet in Castel Gandolfo grüße ich auch herzlich alle Teilnehmer deutscher Sprache. Ihr wißt um das zu Pfingsten eröffnete Marianische Jahr. Nehmt persönlich daran teil und vertieft eure Liebe und Verehrung zur Gottesmutter. Sie schütze und begleite euch auf euren Wegen. Das erbitte ich euch mit meinem besonderen Segen. 154 AUDIENZEN UND ANGELUS Sein ganzes Leben war Gebet Ansprache bei der Generalaudienz am 22. Juli 1. Jesus Christus ist der Sohn, der mit dem Vater innig vereint ist; der Sohn, der ganz „durch den Vater lebt“ (vgl. Joh 6,57); der Sohn, dessen ganzes Erdendasein vorbehaltlos dem Vater geschenkt wird. An diese Themen der vergangenen Katechesen knüpft die heutige eng an, wenn sie das Gebet Jesu behandelt. Gerade im Gebet wird die Tatsache besonders deutlich, daß der Sohn mit dem Vater innig vereint ist, sich ihm schenkt und auf ihn mit seiner ganzen menschlichen Existenz ausgerichtet ist. Das heißt, daß das Thema vom Gebet Jesu bereits in den voraufgegangenen Themen mitgesagt war, so daß man davon sprechen kann, daß Jesus von Nazaret „allzeit betete und darin nicht nachließ“ (vgl. Lk 18,1). Das Gebet war das Leben seiner Seele, und sein ganzes Leben war Gebet. Die Menschheitsgeschichte kennt keine andere Gestalt, die in solcher Fülle und auf solche Weise mit Gott im Zwiegespräch verweilte wie Jesus von Nazaret: der Menschensohn und zugleich Sohn Gottes, „eines Wesens mit dem Vater“. 2. In den Evangelien gibt es jedoch Stellen, die das Gebet Jesu hervorheben und ausdrücklich davon sprechen, daß „Jesus betete“. Dies geschieht zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten und unter verschiedenen Umständen. So z. B.: „In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging an einen einsamen Ort, um zu beten“ (Mk 1,35). Dies tat er nicht nur zu Beginn des Tages (als Morgengebet), sondern auch im Laufe des Tages und am Abend, ganz besonders aber nachts. So lesen wir: „Sein Ruf verbreitete sich immer mehr, so daß die Menschen von überall herbeiströmten. Sie alle wollten ihn hören und von ihren Krankheiten geheilt werden. Doch er zog sich an einen einsamen Ort zurück, um zu beten“ (Lk 5,15-16). Und ein andermal: „Nachdem er sie weggeschickt hatte, stieg er auf einen Berg, um in der Einsamkeit zu beten. Spät am Abend war er immer noch allein auf dem Berg“ (Mt 14,23). 3. Die Evangelisten unterstreichen die Tatsache, daß das Gebet die besonders wichtigen Ereignisse im Leben Christi begleitet: „Zusammen mit dem ganzen Volk ließ auch Jesus sich taufen. Und während er betete, öffnete sich der Himmel...“ (Lk 3,21). Hier folgt die Beschreibung der Theophanie, die sich während der Taufe Jesu im Jordan ereignete. In ähnlicher Weise leitet das Gebet die Theophanie auf dem Berg der Verklärung ein: „Jesus (nahm) Petrus, 155 AUDIENZEN UND ANGELUS Johannes und Jakobus beiseite und stieg mit ihnen auf einen Berg, um zu beten. Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes ...“ {Lk 9,28-29). 4. Das Gebet war auch Vorbereitung auf wichtige Entscheidungen und bedeutende Augenblicke in Hinsicht auf die messianische Sendung Christi. So zieht er sich, bevor er an die Öffentlichkeif tritt, in die Wüste zurück, um zu fasten und zu beten (vgl. Mt 4,1-11 und par.); und auch vor der Wahl der Apostel ging Jesus „auf einen Berg, um zu beten. Und er verbrachte die ganze Nacht im Gebet zu Gott. Als es Tag wurde, rief er seine Jünger zu sich und wählte aus ihnen zwölf aus; sie nannte er auch Apostel“ {Lk 6,12-13). Ebenso vor dem Bekenntnis des Petrus bei Cäsarea Philippi: „Jesus betete einmal in der Einsamkeit, und die Jünger waren bei ihm. Da fragte er sie: Für wen halten mich die Leute? Sie antworteten: Einige für Johannes den Täufer, andere für Elija; wieder andere sagen: Einer der alten Propheten ist auferstanden. Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Petrus antwortete: Für den Messias Gottes: {Lk 9,18-20). 5. Tief ergreifend ist das Gebet vor der Auferweckung;des Lazarus: „Jesus erhob seine Augen und sprach: Vater, ich danke dir, daß du mich erhört hast. Ich wußte, daß du mich immer erhörst: aber wegen der Menge, die um mich herumsteht, habe, ich es gesagt: denn sie sollen glauben, daß du mich gesandt hast“ {Joh 11,41-42). 6. Das Gebet beim Letzten Abendmahl (das sogenannte Hohepriesterliehe Gebet) sollte man hier ganz wiederholen. Wir wollen versuchen, wenigstens die Stellen zu berücksichtigen, die in den voraufgegangenen Katechesen noch nicht erwähnt worden sind, und zwar: „Jesus ... erhob seine Augen zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht. Denn du hast ihm Macht über alle Menschen gegeben, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben schenkt“ {Joh 17,1-2). Jesus betet für das, was das wesentliche Ziel seiner Sendung ist: die Ehre Gottes und das Heil der Menschen. Und er fügt hinzu: „Das ist däs,ewi-ge Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast. Ich habe dich auf der Erde verherrlicht und das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast. Vater, verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war“ {Joh 17,3-5). 7. Indem er das Gebet weiterführt, gibt der Sohn dem Vater beinahe Rechenschaft über seine Sendung auf Erden: „Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie gehörten dir, und du hast 156 AUDIENZEN UND ANGELUS sie mir gegeben, und sie haben an deinem Wort festgehalten. Sie haben jetzt erkannt, daß alles, was du mir gegeben hast, von dir ist“ (Joh 17,6-7)... Dann fügt er hinzu: „Für sie bitte ich; nicht für die Welt bitte ich, sondern für alle, die du mir gegeben hast; denn sie gehören dir...“ (Joh 17,9). Es sind jene, die das Wort Christi „aufgenommen haben“, jene, die „geglaubt haben“, daß ihn der Vater gesandt hat. Jesus bittet vor allem für sie, denn „sie sind in der Welt, und ich gehe zu dir“ (Joh 17,11). Er bittet, daß „sie eins seien“, daß „niemand verloren gehe“ (und hier erinnert der Meister an den „Sohn des Verderbens“), damit sie „meine Freude in Fülle in sich haben“ (vgl. Joh 17,13). Während die Jünger im Hinblick auf seinen Abschied in der Welt bleiben müssen und gehaßt werden, weil sie wie ihr Meister „nicht von der Welt sind“, bittet Jesus: „Ich bitte nicht, daß du sie aus der Welt nimmst, sondern daß du sie vor dem Bösen bewahrst“ (.Joh 17,15). 8. Und weiterbittet JesusimAbendmahlsgebetfürdie Jünger: „Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit. Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. Und ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind“ (Joh 17,17-19). Dann schließt Jesus in dasselbe Gebet die kommenden Generationen seiner Jünger ein. Er betet vor allem um die Einheit, „damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich“ (Joh 17,23). Gegen Ende seines Gebetes kommt Jesus auf die zuvor ausgesprochenen Hauptgedanken zurück und betont noch stärker ihre Bedeutung. In diesem Zusammenhang bittet er für alle, die ihm der Vater „gegeben“ hat, damit sie „dort bei mir sind, wo ich bin. Sie sollen meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast, weil du mich schon geliebt hast vor der Erschaffung der Welt“ (Joh 17,24). 9. Das Hohepriesterliche Gebet Jesu ist wirklich die Synthese jener Selbstoffenbarung Gottes im Sohn, die im Mittelpunkt der Evangelien steht. Der Sohn spricht zum Vater im Namen jener Einheit, die er mit ihm bildet („Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir“: Joh 17,21). Zugleich betet er darum, daß sich die Früchte der Heilssendung, um derentwillen er in die Welt gekommen ist, unter den Menschen verbreiten. So offenbart er das Geheimnis der Kirche (mysterium Ecclesiae), das seiner Heilssendung entspringt, und er betet darum, daß es sich zukünftig inmitten der „Welt“ entwickle. Er öffnet den Ausblick auf die Herrlichkeit, zu der all jene zusammen mit ihm berufen sind, die sein Wort,,aufnehmen“ 10. Wenn man im Gebet des Letzten Abendmahls Jesus zum Vater als seinen „wesensgleichen“ Sohn sprechen hört, so tritt kurz danach im Gebet von Get- 157 AUDIENZEN UND ANGELUS semani vor allem seine Wahrheit als Menschensohn in Erscheinung. „Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht“ (Mk 14,34), sagt er zu den Seinen, als er den Ölberg betritt. Allein gelassen, wirft er sich zu Boden, und Worte seines Gebetes zeigen die Tiefe seines Leidens. So sagt er: „Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst“ (Mk 14,36). 11. Auf dieses Gebet in Getsemani scheinen sich besonders die Worte des Hebräerbriefes zu beziehen: „Als er auf Erden lebte, hat er mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete Und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte.“ Und der Autor des Briefes fugt hinzu: „er ist erhört und aus seiner Angst befreit worden“ (Hehr 5,7) .Ja, auch das Gebet in Getsemani wurde erhört, denn auch darin ist—bei aller echt menschlichen Haltung dem Leiden gegenüber — vor allem die Einheit Jesu mit dem Vater zu spüren in dem Willen, der am Ursprung seiner Heilssendung steht: die Welt zu erlösen. 12. Gewiß betete Jesus unter den verschiedenen Umständen, die der Tradition und dem religiösen Gesetz Israels entsprachen — als er als Zwölfjähriger mit den Verwandten zum Tempel von Jerusalem zog (vgl. Lk 2,41 ff.); oder als er, wie die Evangelisten berichten, „wie gewohnt am Sabbat in die Synagoge“ ging (vgl. Lk 4,16). Besondere Aufmerksamkeit verdient jedoch das, was die Evangelien über das persönliche Gebet Christi sagen. Die Kirche hat dies nie vergessen und findet im persönlichen Dialog Christi mit Gott Quelle, Anregung und Kraft für ihr eigenes Gebet. Wenn Jesus betet, dann zeigt sich in persönlichster Weise das Geheimnis des Sohnes, der ganz „durch den Vater lebt“, in inniger Einheit mit ihm. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Als Sohn Gottes steht Christus in einem sehr innigen Verhältnis zu seinem himmlischen Vater. Das zeigt sich in einer besonderen Weise in seinen Gebeten. Sein ganzes Leben und Wirken ist begleitet und geprägt vom Gebet. Immer wieder berichten die Evangelien, daß Jesus sich an einen einsamen Ort zurückzog, um zu beten. So zum Beispiel Matthäus: „Nachdem er sie (die Jünger) weggeschickt hatte, stieg er auf einen Berg, um in der Einsamkeit zu beten“ (Mt 14,23). Ebenso begleitet Jesus auch alle wichtigen Ereignisse und Entscheidungen mit seinem Gebet: seine Taufe im Jordan, seine Verklärung 158 AUDIENZEN UND ANGELUS auf dem Berg Tabor und die Wahl der Apostel. Von letzterer sagt Lukas: „In diesen Tagen ging Jesus auf einen Berg, um zu beten. Und er verbrachte die ganze Nacht im Gebet zu Gott. Als es Tag wurde, rief er seine Jünger zu sich und wählte aus ihnen zwölf aus“ (Lk 6,12-13). Das wichtigste und ausführlichste Gebet Jesu finden wir beim Letzten Abendmahl: das Hohepriesterliche Gebet. Christus betet darin für die zwei wesentlichen Anliegen seiner Sendung: für die Verherrlichung Gottes und das Heil der Menschen. Er bittet: „Vater, die Stunde ist da. Verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn dich verherrlicht“ (Joh 17,1). Bei seinem Gebet für die Jünger bittet er vor allem um ihre Einheit, „damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt hast“ (.Joh 17,23). Während das Hohepriesterliche Gebet uns Christus in seiner innigen Gemeinschaft und Vertrautheit mit seinem Vater offenbart, begegnen wir bei seinem Gebet im Garten von Getsemani Jesus vor allem in seiner Menschlichkeit, in seiner Verlassenheit und in seinem Leiden: „Abba, Vater, ... Nimm diesen Kelch von mir. Aber nicht, was ich will, sondern was du willst, soll geschehen“ (Mk 14,36). Liebe Brüder und Schwestern, mit einem herzlichen Willkommensgruß zu dieser Audienz empfehle ich heute den betenden Jesus eurer persönlichen Betrachtung und Nachahmung. Christus ermahnt auch uns ausdrücklich im Evangelium, „daß wir allezeit beten und darin nicht nachlassen sollen“ (vgl. Lk 18,1). Diese Einladung Jesu richte ich heute besonders an die Gruppe der Schwestern des göttlichen Erlösers, die in Rom zu ihrem Generalkapitel versammelt sind. Gerade bei Ordensleuten muß das ständige Gebet die Seele ihres täglichen Lebens und Wirkens sein. Von Herzen erteile ich euch und allen Pilgern deutscher Sprache meinen besonderen Apostolischen Segen. Zur Wahrheit bekehren Angelus am 26. Juli Liebe Brüder und Schwestern! 1. Heute richten wir unsere Gedanken auf das Heiligtum von Fatima in Portugal. Wie ihr wißt, vollenden sich in diesem Jahr sieben Jahrzehnte seit den Erscheinungen Unserer Lieben Frau vor den drei Kindern. Ich hatte die Freude, mich am 13. Mai 1982 persönlich auf einer Pilgerfahrt an diese glorreiche und berühmte marianische Stätte zu begeben, die das Ziel ungezählter Pilgerscharen aus aller Welt ist. Ich bin dorthin gegangen, „in meinen Händen den Ro- 159 AUDIENZEN UND ANGELUS senkranz, auf meinen Lippen den Namen Mariens Und in meinem Herzen das Lied auf die Barmherzigkeit Gottes“, wie ich damals in Fatima in der Gebetsstunde am Vorabend sagte. In der Predigt bei der heiligen Messe erinnerte ich dann daran, daß gemäß der beständigen Lehre der Kirche die Offenbarung Gottes in Jesus Christus zur Vollendung gekommen ist. Er ist die Fülle der Offenbarung, und Privatoffenbarungen müssen im Licht dieser öffentlichen Offenbarung bewertet werden. Das hat die Kirche bewogen, die Botschaft von Fatima anzunehmen und vor allem deren Übereinstimmung mit der Lehre des Evangeliums festzustellen. Der eigentliche Kern der Botschaft von Fatima ist der Ruf zur Bekehrung und zum Gebet, und gerade darin besteht ja auch die eindringliche Aufforderung Christi im Evangelium. 2. Die Erscheinungen der heiligen Jungfrau in Fatima 1917, bestätigt von sie begleitenden außergewöhnlichen Zeichen, bilden gewissermaßen einen Bezugspunkt, einen Punkt, von dem etwas in unser Jahrhundert ausstrahlt. Maria, unsere himmlische Mütter, ist gekommen, um die Gewissen aufzurütteln, um Licht zu werfen auf den wahren und echten Sinn des Lebens, um zur Bekehrung von der Sünde und zum geistlichen Eifer anzuspomen, um in den Seelen die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten anzufachen. Maria ist uns zu Hilfe gekommen, weil viele leider die Einladung des Sohnes Gottes zur Rückkehr ins Haus des Vaters nicht annehmen wollen. Von ihrem Heiligtum in Fatima aus fordert Maria bis heute immer wieder mit ihrer dringenden und mütterlichen Bitte auf, sich zur Wahrheit und zur Gnade zu bekehren, sie lädt ein zum sakramentalen Leben, besonders zum Bußsakrament und zur Eucharistie, und zur von Opfergeist begleiteten Verehrung ihres Unbefleckten Herzens. 3. Hören wir die Stimme der himmlischen Mutter! Die ganze Kirche möge sie hören! Die ganze Menschheit vernehme sie, denn die heilige Jungfrau will nur das ewige Heil der Menschen nach dem Plan der göttlichen Vorsehung! Wenden wir unsere Herzen voll Vertrauen zu Unserer Lieben Frau von Fatima mit den Worten, die ich an jenem Tag im Weiheakt vor ihrer Statue gesprochen habe: „Hilf uns, die Gefahr des Bösen zu überwinden, die sich so leicht in den Herzen der heutigen Menschen einnistet... Von Hunger und Krieg: befreie uns! ... Von den Sünden gegen das Leben des Menschen .... von jeder Ungerechtigkeit im sozialen, nationalen und internationalen Leben ... vom Versuch, in den Herzen der Menschen die Wahrheit Gottes zu ersticken . . . von leichtfertiger Übertretung der Gebote Gottes: befreie uns! ... Noch einmal zeige sich in der Geschichte der Welt die unendliche Macht der erbarmenden 160 AUDIENZEN UNDANGELUS Liebe! ... In deinem unbefleckten Herzen offenbare sich allen das Licht der Hoffnung!“. Nach dem Angelusgebet sagte der Papst: In den ersten Augusttagen werden sich zahlreiche Vertreter von Weltreligionen in Hiei, Japan, zu einem Tag des Gebets für den Frieden versammeln. Dieses Treffen, veranstaltet von der Japanischen Konferenz der Vertreter der Religionen, eines Zusammenschlusses des Großteils der Vereinigungen von Gläubigen in jedem Land, möchte sich an den Zielsetzungen inspirieren, die das Treffen in Assisi im Oktober vorigen Jahres beseelten. Bei jener Gelegenheit sagte ich zum Abschied zu den Teilnehmern, die aus allen Teilen der Welt gekommen waren: „Wir haben aufs neue die Verpflichtung auf uns genommen, den uns eigenen Beitrag zum Aufbau des Friedens zu leisten. Bemühen wir uns, im Geist dieser feierlichen Verpflichtung zu leben und diese Botschaft unter jenen auszubreiten, die zu unseren einzelnen Glaubensgemeinschaften gehören. Seien wir bereit, Werkzeuge des Friedens unter allen Völkern zu sein!“ Meine Gedanken richten sich auf dieses Treffen, das in einer Nation stattfindet, die so hart von den Verwüstungen des Krieges betroffen wurde, und ich versichere allen, daß ich inständig zum Herrn beten werde um eine brüderlichere, solidarischere und friedlichere Welt. In deutscher Sprache sagte der Papst: Herzlich grüße ich auch alle anwesenden Pilger und Besucher aus den deutschsprachigen Ländern. Ich wünsche euch frohe und bereichernde Tage in Rom und auf eurer Reise durch Italien und erbitte euch hierfür wie auch für eine gute Heimkehr Gottes Segen und steten Beistand. Dem Herrn Dank sagen Ansprache bei der Generalaudienz am 29. Juli 1. Das Gebet Jesu, des Sohnes, der „vom Vater ausgegangen ist“, bringt in besonderer Weise die Tatsache zum Ausdruck, daß er „zum Vater geht“ (vgl. Joh 16,28). Er selbst „geht“ und er führt all jene zum Vater, die der Vater „ihm gegeben hat“ (vgl. Joh 17,6). Außerdem hinterläßt er allen das beständige Erbe seines Gebetes als Sohn: „Wenn ihr betet, ... so sollt ihr sprechen: Unser Vater...“ (vgl. Mt 6,9; Lk 11,2). Wie aus dieser von Jesus gelehrten For- 161 AUDIENZEN UNDANGELUS mel hervorgeht, ist sein Gebet an den Vater von einigen Grundzügen gekennzeichnet: das Gebet ist vom Lob erfüllt, von der grenzenlosen Hingabe an den Willen des Vaters und, was uns betrifft, von der inständigen Bitte um Vergebung. In diesen Rahmen paßt insbesondere das Dankgebet. 2. Jesus sagt: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast...“ (Mt 11,25) . Mit den Worten „Ich preise dich“ will Jesus den Dank für das Geschenk der Offenbarung Gottes zum Ausdruck bringen, denn „niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11,27). Auch das Hohe-priesterliche Gebet, das wir bei der letzen Katechese untersucht haben, ist von einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit durchdrungen, obwohl es den Charakter einer besonderen Bitte an sich hat, die der Sohn am Schluß seiner Sendung auf Erden an den Vater richtet. Man kann sogar sagen, daß die Danksagung der wesentliche Inhalt nicht nur des Gebetes Christi, sondern auch seiner existentiellen Vertrautheit mit dem Vater ist. Im Mittelpunkt all dessen, was Jesus tut und sagt, findet sich das Bewußtsein des Schenkens; alles ist Geschenk Gottes, des Schöpfers und Vaters; und eine dem Geschenk angemessene Antwort ist die Dankbarkeit, die Danksagung. 3. Besonders zu beachten sind die Stellen in den Evangelien, vor allem die von Johannes, wo diese Danksagung besonders hervorgehoben wird. Ein solches Beispiel ist das Gebet bei der Auferweckung des Lazarus: „Vater, ich danke dir, daß du mich erhört hast“ (Joh 11,41). Bei der wunderbaren Speisung (in der Nähe von Kafamaum) „nahm Jesus die Brote, sprach das Dankgebet und teilte an die Leute aus, soviel sie wollten; ebenso machte er es mit den Fischen“ ... (Joh 6,11). Zuletzt, bei der Einsetzung der Eucharistie, „nahm (Jesu) den Kelch, sprach das Dankgebet“ (Lk 22,17; vgl. auch Mk 14,23; Mt 26,27), bevor er die Einsetzungsworte über Brot und Wein sagte. Diese Form wird über den Kelch gesprochen, während man über das Brot auch den „Segen“ spricht. Dennoch hat nach dem Alten Testament der Ausdruck „Gott preisen“ auch die Bedeutung von „Dank sagen“ neben jener von „Gott loben“ und „den Herrn bekennen“. 4. Im Dankgebet wird die biblische Tradition weitergeführt, die vor allem in den Psalmen Ausdruck findet. „Wie schön ist es, dem Herrn zu danken, deinem Namen, du Höchster, zu singen ... Denn du hast mich durch deine Taten froh gemacht; Herr, ich will jubeln über die Werke deiner Hände“ (Ps 92,2-5). „Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig. 162 AUDIENZEN UNDANGELUS So sollen alle sprechen, die vom Herrn erlöst sind... sie alle sollen dem Herrn danken für seine Huld, für sein wunderbares Tun an den Menschen. Sie sollen ihm Dankopfer weihen.“ (zebah todah) (Ps 107, 1.2.21-22) „Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig ... Ich danke dir, daß du mich erhört hast; du bist für mich zum Retter geworden ... Du bist mein Gott, dir will ich danken; mein Gott, dich will ich rühmen“ (Ps 118, 1.21.28). „Wie kann ich dem Herrn all das vergelten, was er mir Gutes getan hat? ... Ich will dir ein Opfer des Dankes bringen und anrufen den Namen des Herrn“ (Ps 116,12.1.12.17). „Ich danke dir, daß du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke.“ (Ps 139,14) „Ich will dich rühmen, mein Gott und König, und deinen Namen preisen immer und ewig“. (Ps 145,1) 5. Auch im Buch Jesus Sirach lesen wir: „Preiset den Herrn für all seine Werke! Verherrlicht seinen Namen, feiert ihn mit Lobgesang ... Sprecht unter lautem Jubel: alle Werke Gottes sind gut, sie genügen zur rechten Zeit für jeden Bedarf ... Man sage nicht: Wozu dies, wozu das? Denn alles ist für seinen Zweck bestimmt“ (Sfr 39,14-16.21). Die Aufforderung des Sirach, „den Herrn zu preisen“, klingt lehrhaft. 6. Jesus hat dieses für das Alte Testament so bedeutsame Erbe aufgegriffen und in der Reihenfolge preisen — bekennen — lobsingen die Dimension der Danksagung entfaltet. Man kann deshalb sagen, daß der Höhepunkt dieser biblischen Tradition beim Letzten Abendmahl erreicht wird, als Jesus das Sakrament seines Leibes und Blutes einsetzt, bevor er diesen Leib und dieses Blut am Kreuz opfert. Der hl. Paulus schreibt: „Jesus, der Herr, nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (1 Kor 23-24). Ähnlich berichten die Synoptiker ihrerseits vom Dankgebet über den Kelch: „Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, reichte ihn den Jüngern, und sie tranken alle daraus. Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird“ (Mk 14,23-24; vgl. Mt 26,27; Lk 22,17). 7. Der ursprüngliche griechische Ausdruck für „er sprach das Dankgebet“ ist „(BVi>xaCt8tf|8ac;)“ (von „eucharistein“) — davon „Eucharistie“. Das Opfer des Leibes und Blutes Christi, als heiligstes Sakrament der Kirche, erfüllt und übersteigt also zugleich jene Lobopfer, von denen man in den Psalmen (zebah todah) spricht. Von frühester Zeit an verbanden die Christengemeinden die Feier der Eucharistie mit der Danksagung, wie ein Text der „Didache“ zeigt, der am Ende des 1. Jahrhunderts und zu Beginn des 2. Jahr- 163 AUDIENZEN UNDANGELUS hunderts wahrscheinlich in Syrien, vielleicht in Antiochia selbst verfaßt wurde. „Wir danken dir, unser Vater, für den heiligen Weinstock Davids, deines Dieners, den du uns durch Jesus Christus, deinen Diener, offenbart hast.. „Wir danken dir, unser Vater, für das Leben und die Erkenntnis, die du uns durch Jesus Christus, deinen Diener, erfüllt hast...“ „Wir danken dir, heiliger Vater, für deinen heiligen Namen, den du in unseren Herzen wohnen läßt, und für die Erkenntnis, den Glauben und die Unsterblichkeit, die du uns durch Jesus Christus, deinen Diener, offenbart hast“ (£>t-dache 9,2-3; 10,2). 8. Das Danklied der Kirche, das die Eucharistiefeier begleitet, kommt aus ihrem innersten Herzen, ja aus dem Herzen des Sohnes selbst, der aus der Danksagung lebte. Man kann gut sagen, daß sein Gebet, ja sogar sein ganzes Erdendasein die Grundwahrheit offenbarte, auf die im Jakobusbrief hinge-wieseii wird: „Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben, vom Vater der Gestirne ...“ {Jak 1,17). Indem Christus, der Menschensohn, der „neue Adam“, aus der Danksagung lebte, besiegte er die Sünde an der Wurzel selbst, die unter dem Einfluß des „Vaters der Lüge“ vom Herzen des „ersten Adam“ Besitz ergriffen hatte (vgl. Gen 5). Das Dankgebet macht dem Menschen wieder das von Gott „von Anfang an“ empfangene Geschenk bewußt und bringt die Bereitschaft, das Geschenk zu erwidern, zum Ausdruck: aus tiefstem Herzen sich selbst und alles andere Gott zu schenken — als Rückerstattung, denn alles hat in ihm seinen Anfang und seinen Ursprung. „Lasset uns danken dem Herrn, unserem Gott“, lautet die Einladung, die die Kirche in den Mittelpunkt der Eücharistiefeier stellt. Auch in dieser Aufforderung erklingt laut das Echo der Danksagung, aus der der Sohn Gottes auf Erden lebte. Und das Gottesvolk antwortet gemeinsam mit dem vielstimmigen schlichten und herrlichen Bekenntnis: „Dignum et iustum est — Das ist würdig und recht!“ In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Euch allen ein herzliches Willkommen zur heutigen Audienz. Unsere wöchentlichen Überlegungen verweilen weiterhin bei Jesus Christus und seinem innigen Verhältnis zum Vater. Als Söhn Gottes ist er vom Vater ausgegangen und kehrt wieder zum Vater zurück. Sein ganzes Leben und Wirken ist auf den 164 AUDIENZEN UND ANGELUS Vater ausgerichtet; so besonders auch sein Gebet. Unter den von ihm in den Evangelien erwähnten Gebeten kommt dem Dankgebet eine vorrangige Bedeutung zu. Jesus dankt Gott für die Offenbarung, die den Klugen und Weisen verborgen, den Unmündigen aber zuteil geworden ist. Er ist sich dessen bewußt, daß letztlich alles Geschenk Gottes ist und daß Dank die einzig angemessene Antwort darauf ist. Jesus dankt ferner ausdrücklich bei der Auferweckung des Lazarus und vor allem bei der Einsetzung der Eucharistie. Bevor Jesus Brot und Wein nimmt, um sie in seinen Leib und in sein Blut zu verwandeln, spricht er das Dankgebet. „Eucharistie“ selbst bedeutet Danksagung. Das Dankgebet Christi und der Kirche ist die Fortsetzung von jenem Lobpreis und Dank, den wir in den alttestamentlichen Psalmen finden. Er erhält in der Feier der Eucharistie seinen höchsten Ausdruck und seine bleibende aktuelle Gegenwart. Die Kirche fordert uns, liebe Brüder und Schwestern, in ihrer Liturgie immer wieder zum Dankgebet auf. Stimmen wir mit unserem persönlichen Gebet in ihren ununterbrochenen Lobpreis von Gottes Güte und Liebe ein. Diese herzliche Einladung richte ich heute an alle anwesenden Pilger und Besucher, besonders an die Priester und Ordensleute unter euch; so namentlich an die Gruppe von Schönstatt-Priestem und an die Pilgergruppe des Spätberufenen-seminars Sankt Matthias in Waldram/Wolfratshausen. Wie wir nach den Worten Jesu ständig beten sollen, so soll unser ganzes Leben ein steter Lobpreis und Dank vor Gott sein. Dazu erbitte ich euch und allen Pilgern von Herzen Gottes Beistand mit meinem besonderen Apostolischen Segen. Jeder Christ ist ein Apostel Angelus am 2. August Liebe Brüder und Schwestern! 1. Die Bischofssynode, die im kommenden Oktober Zusammentritt, um das Thema der Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt zu behandeln, rückt nun näher. Im Blick auf dieses große kirchliche Ereignis und in der Vorbereitung darauf ist es angemessen, daß alle Gläubigen sich Gedanken über die mit dem Laienapostolat verbundenen Themen machen. Jeder Christ ist ja — wie ich bei unseren sonntäglichen Gesprächen bereits betont habe — von seinem Wesen her ein Apostel. Diese hohe Auszeichnung verpflichtet ihn, persönlich und in Gemeinschaft jede Anstrengung zu unter- 165 AUDIENZEN UND ANGELUS nehmen, damit Wirklichkeit werde, was er im Gebet erbittet, wenn er sagt: „Dein Reich komme!“ Das Wesen des Menschen ist von Natur aus auf Gemeinschaft angelegt. Durch die Taufe erhält der Mensch dazu noch seinen Platz im Gottesvolk und er wird Glied am mystischen Leib Christi. So wird durch ein gemeinsames Band höherer Art seine Natur als Gesellschaftswesen noch mehr bekräftigt. Darum hat das II. Vatikanische Konzil ganz besonders den Wert des in Gemeinschaft durchgeführten Apostolats hervorgehoben und unterstrichen, daß es „in glücklicher Weise ebenso einem menschlichen wie einem christlichen Bedürfnis (entspricht). Es stellt zugleich ein Zeichen der Gemeinschaft und der Einheit der Kirche in Christus dar“ {Apostolicam actuositatem, Nr. 18). 2. So gesehen, hat der Zusammenschluß der Laien zu Apostolatszwecken nichts mit taktischen Hilfsmitteln zu tun, die der Augenblick nahelegt, sondern er ist grundlegend die gebührende persönliche und gemeinschaftliche Antwort auf die christliche Berufung. Daraus ergibt sich als elementares Prinzip notwendig eine ganz enge Beziehung zwischen persönlicher christlicher Reife und Lebenskraft des gemeinschaftlichen Apostolates. Diese Reife ist unbedingt erforderlich als Basis für echte apostolische Intitiativen, beseelt von jenem Geist und jenen Charismen, die, wie der hl. Paulus sagt, ,,zum Aufbauen, nicht zum Niederreißen gegeben sind“ (2 Kor 13,10). 3. Nicht umsonst hat das Konzil sich eingehend mit der Notwendigkeit und der Eigenart der Ausbildung für das Apostolat beschäftigt. Eine solche Bildung „verlangten nicht nur der stetige geistliche und geistige Fortschritt des Laien selbst, sondern auch die verschiedenen Sachbereiche, Personen und Aufgaben, denen sich sein Wirken anpassen muß“ {Apostolicam actuositatem, Nr. 28). Es bedarf einer ständigen Weiterbildung, verbunden mit dem inneren Wachstum, das die ganze Struktur einer nach dem Bild Christi geformten Persönlichkeit umfaßt. Die apostolischen Vereinigungen und Bewegungen stellen schon in sich Bildungsstätten dar, vor allem im Hinblick auf die besonderen Ziele, die sie sich gesteckt haben. Doch immer bleibt das Wirken der Seelsorger, denen das apostolische Reifen der Laien dringend am Herzen liegen muß, von erstrangiger Bedeutung als einer der kennzeichnendsten Aspekte ihres Dienstes. Die kommende Synode wird Gelegenheit haben, zu dieser weit ausgereiften Thematik bestärkend mit ihren Überlegungen beizutragen. Möge die Jungfrau Maria uns gütig ihre mütterliche Fürsprache schenken. 166 AUDIENZEN UNDANGELUS Nach dem Angelusgebet gedachte der Papst der Erdrutschkatastrophe in Oberitalien und sagte: Meine Gedanken gehen nach Valtellina, zu den Opfern des ungeheuren Bergsturzes und denen, die gezwungen waren, ihre Wohnungen, ihre Dörfer, ihre Arbeitsplätze mit großer Trauer im Herzen zu verlassen, um zu sehen, wie in kurzer Zeit die Frucht langdauemder Mühen zerstört wurde. Ich teile den Schmerz und die Angst derer, die in dem, was ihnen teuer war, so hart betroffen wurden, und bitte alle, sich mit mir im Gebet zu vereinen, auf daß der Herr die Opfer der Tragödie in seinen Frieden aufnehme, ihre Angehörigen mit seinem Trost stütze und den Geflüchteten Hoffnung und Mut schenke. Unser Gebet bringe auch allen Ermutigung, die sich hochherzig in Hilfswerken und bei Wiederaufbau der zerstörten Orte einsetzen. Möge es dieser harten Prüfung nicht an Solidarität der christlichen Nächstenliebe fehlen. Für alle rufen wir die Hilfe Marias, der Trösterin der Betrübten, an. Ferner rief der Papst zum Gebet für den Nahen Osten auf: Tief schmerzen mich die ernsten Meldungen aus Saudiarabien, wo es einige hundert Tote und Verletzte gegeben hat. Diese Nachricht kommt noch zu den anderen, täglich mehr Besorgnis erregenden Informationen über den Krieg zwischen Iran und Irak und die Spannungen am Persischen Golf hinzu. Ich lade alle ein, für die Opfer und alle Leidtragenden zu beten und Gott, den Allmächtigen, den Heiligen und Barmherzigen zu bitten, allen innere Einsicht und Gedanken der Brüderlichkeit und der Versöhnung zu geben. Beim Gruß an die Pilger aus verschiedenen Sprachgebieten sagte der Papst auf deutsch: Auch den deutschsprachigen Pilgern danke ich für die Teilnahme am heutigen Angelus-Gebet. Ich grüße euch alle herzlich und wünsche euch schöne erholsame Ferien. Mögen sie euch geistig und religiös bereichern. Das treue tägliche Gebet ist dafür eine wertvolle Hilfe und Kraftquelle. Die Jungfrau Maria begleite euch mit ihrem besonderen Schutz und Beistand! 167 AUDIENZEN UND ANGELUS Jesus ist der Sohn Gottes Ansprache bei der Generalaudienz am 5. August 1. „Vom Vater bin ich ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater‘ ‘ {Joh 16,2). Jesus Christus ist sich seiner Herkunft vom Vater bewußt: Er ist Sohn, weil er vom Vater ausgeht. Als Sohn ist er, vom Vater gesandt, in die Welt gekommen. Diese Sendung (missio), gründend im ewigen Ursprung Christi, des Sohnes, im Vater, hat in ihm, dem Vater, ihre Wurzeln. Daher offenbart der Vater in dieser Sendung den Sohn und gibt Zeugnis für Christus als seinen Sohn, während der Sohn seinerseits den Vater offenbart. Denn „niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ {Mt 11,27). Der Sohn, der „vom Vater ausgegangen ist“, erklärt und bestätigt seine Sohnschaft, insofern er vor der Welt „den Vater offenbart“. Und er tut das nicht nur durch die Worte des Evangeliums, sondern auch durch sein Leben, durch die Tatsache, daß er vollkommen „für den Vater lebt“, und zwar bis zum Opfer seines Lebens am Kreuz. 2. Diese Heilssendung des Sohnes Gottes als Mensch vollzieht sich „in der Kraft“ des Heiligen Geistes. Das bezeugen zahlreiche Stellen der Evangelien und des ganzen Neuen Testamentes. Im Alten Testament war die Wahrheit über die enge Beziehung zwischen der Sendung des Sohnes und dem Kommen des Heiligen Geistes (die ebenfalls, seine „Sendung“ ist), noch verborgen, wenn auch in gewisser Weise schon angekündigt. Eine besondere Vorausverkündigung sind die Worte des Jesaja, auf die Jesus sich zu Beginn seiner mes-sianischen Tätigkeit in Nazaret beruft: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht: damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“ {Lk 4,18-19; vgl. Jes 61,1-2). Diese Worte beziehen sich auf den Messias: Messias bedeutet ja „Gesalbter“, das heißt, derjenige, der in der Kraft des Geistes des Herrn kommt. Jesus bestätigt vor seinen Landsleuten, daß diese Worte sich auf ihn beziehen: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (vgl. Lk 4,21). 3. Diese Wahrheit über den Messias, der in der Kraft des Heiligen Geistes kommt, findet — ebenfalls zu Beginn seiner messianischen Tätigkeit — ihre Bestätigung bei der Taufe Jesu im Jordan. Besonders dicht ist der Text des Jo- 168 AUDIENZEN UND ANGELUS hannes, der die Worte des Täufers wiedergibt: „Ich sah, daß der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft. Das habe ich gesehen, und ich bezeuge: Er ist der Sohn Gottes“ (Joh 1,32-34). Jesus ist also der Sohn Gottes, derjenige, der „vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen ist“ (vgl. Joh 16,28), um den Heiligen Geist zu bringen: „um mit dem Heiligen Geist zu taufen“ (vgl. Mk 1,8), das heißt, um für die mit der Sünde belasteten Kinder Adams die neue Wirklichkeit der Wiedergeburt aus Gott einzusetzen. Das Kommen des Sohnes Gottes in die Welt, seine menschliche Empfängnis und seine jungfräuliche Geburt haben sich durch den Heiligen Geist vollzogen. Der Sohn Gottes ist Mensch geworden und aus der Jungfrau Maria geboren durch den Heiligen Geist, in seiner Kraft. 4. Das Zeugnis, das Johannes über Jesus von Nazaret als Sohn Gottes abgibt, steht in enger Beziehung zum Text des Lukasevangeliums, wo wir bei der Verkündigung lesen, daß Maria das an sie gerichtete Wort hört: „Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben“ (Lk 1,31-32). Und als sie fragt: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“, erhält sie die Antwort: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,34-35). Wenn also das „Ausgehen vom Vater“ und das „Kommen in die Welt“ (vgl. Joh 16,28) des Sohnes Gottes als Mensch (der Menschensohn) sich in der Kraft des Heiligen Geistes vollzogen hat, so wird dadurch das Geheimnis des dreifältigen Lebens Gottes offenbar. Und diese lebenspendende Kraft des Heiligen Geistes wird von Beginn des messianischen Wirkens Jesu an bestätigt, wie es sich aus den Texten der Evangelien, sowohl der synoptischen (Mk 1,10; Mt 3,16; Lk3,22), wie auch des Johannesevangeliums erweist (Joh 1,32-34). 5. Schon im Evangelium der Kindheit, als von Jesus gesagt wird, daß „die Gnade Gottes auf ihm ruhte“ (vgl. Lk 2,40), wird indirekt die heiligende Gegenwart des Heiligen Geistes hervorgehoben. Doch vom Augenblick der Taufe im Jordan an sprechen die Evangelien viel ausdrücklicher vom Wirken Christi in der Kraft des Geistes: „Danach (nach der Taufe) trieb der Geist Jesus in die Wüste“, sagt Markus (Mk 1,12). Und in der Wüste ließ der Geist Gottes zu, daß Jesus nach einem vierzig Tage dauernden Fasten vom Geist der Finsternis versucht wurde, wobei er seinen ersten messianischen Sieg über 169 AUDIENZEN UNDANGELUS ihn davontrug (vgl. Lk 4,1-14). Auch während seiner öffentlichen Tätigkeit offenbart Jesus mehrmals die gleiche Kraft des Heiligen Geistes hinsichtlich der Besessenen. Er selbst hebt das mit den Worten hervor: „Wenn ich aber die Dämonen durch den Geist Gottes austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen“ (Mt 12,28). Der Abschluß des ganzen messianischen Kampfes gegen die Mächte der Finsternis war das Osterereignis: der Tod am Kreuz und die Auferstehung dessen, der in der Kraft des Heiligen Geistes vom Vater gekommen ist. 6. Auch nach der Himmelfahrt ist Jesus im Bewußtsein seiner Jünger geblieben, den „Gott gesalbt hat mit dem Heiligen Geist und mit Kraft“ (Apg 10,38). Sie dachten daran, daß dank dieser Kraft die Menschen, die den Unterweisungen Jesu zuhörten, Gott lobten und sagten: „Ein großer Prophet ist unter uns aufgetreten: Gott hat sich seines Volkes angenommen“ {Lk 7,16), „noch nie hat ein Mensch so gesprochen“ {Joh 7,46), und sie bezeugten, daß dank dieser Kraft Jesus „machtvolle Taten, Wunder und Zeichen“ vollbrachte (vgl. Apg 2,22), so daß „alle Leute versuchten, ihn zu berühren; denn es ging eine Kraft von ihm aus, die alle heilte“ {Lk 6,19). In all dem, was Jesus von Nazaret, der Menschensohn, tat und lehrte, verwirklichten sich die Worte des Propheten Jesaja (vgl. Jes 42,1) über den Messias: „Seht das ist mein Knecht, den ich erwählt habe, mein Geliebter, an dem ich Gefallen gefunden habe. Ich werde meinen Geist auf ihn legen“ {Mt 12,18). 7. Diese Kraft des Heftigen Geistes hat sich bis auf den Grund kundgetan im Erlösungsopfer Christi und in seiner Auferstehung. Jesus ist wahrhaft der Sohn Gottes, „den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat“ {Joh 10,36). Dem Willen des Vaters gehorchend bringt er sich durch den Geist Gott als makellose Opfergabe dar, und diese Opfergabe reinigt unser Gewissen von toten Werken, damit wir dem lebendigen Gott dienen können (vgl. Hebr 9,14). Derselbe Heilige Geist hat, wie der Apostel Paulus bezeugt, „Jesus von den Toten auferweckt“ (Rom 8,11), und durch dieses „Auferstehen von den Toten“ empfängt Jesus Christus die Fülle der messianischen Macht und wird endgültig vom Heiligen Geist als „Sohn Gottes in Macht“ offenbart (wörtlich: „dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten“ Röm 1,4) . 8. Jesus Christus, der Sohn Gottes, kommt also in die Welt durch den Heiligen Geist, und als Menschensohn erfüllt er bis auf den Grund seine messiani-sche Sendung in der Kraft des Heiligen Geistes. Wenn aber Jesus Christus während seiner ganzen heftwirkenden Tätigkeit und schließlich im Leiden 170 AUDIENZEN UND ANGELUS und der Auferstehung durch diese Kraft handelt, dann ist es der Heilige Geist selbst, der ihn als den Sohn Gottes offenbart. So leuchtet heute durch den Heiligen Geist die Gottheit des Sohnes, Jesus von Nazaret, vor der Welt auf. „Und — wie der hl. Paulus schreibt — keiner kann sagen: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet“ (i Kor 12,3). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Jesus Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, ist das zentrale Geheimnis unseres Glaubens. Er wurde von Gott in die Welt gesandt, um den Menschen seinen Vater als ihren Vater zu offenbaren. Diese seine Sendung geschieht in der Kraft des Heiligen Geistes. Schon beim Propheten Jesaja heißt es über den kommenden Messias: „Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt“. Diese Salbung ist Salbung mit dem Geist des Herrn. Und Jesus bestätigt in der Synagoge von Nazaret, daß dieses Prophetenwort'sich in ihm erfüllt hat (vgl. Lk 4,18-20). Diese Wahrheit wird bei der Taufe Jesu bestätigt. Johannes der Täufer bezeugt: „Ich sah, daß der Geist vom Himmel herabkam ... und auf ihm blieb“. Er selbst hatte die göttliche Weisung erhalten: „Auf wen du den Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft“ (vgl. Joh 1,32-33). Das ganze Leben und Wirken Jesu steht unter dem Wirken des Heiligen Geistes. Schon bei der Verkündigung sagt der Engel zu Maria: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten“ {Lk 1,35). Später ist es der Geist, der Jesus in die Wüste führt (vgl. Mk 1,12), und wiederum die Kraft des Geistes, in der er die Dämonen austreibt (vgl. Mt 12,28). Die in Christus anwesende Kraft des Geistes Gottes kommt zu ihrer vollen Wirkung in seinem Erlösungsopfer am Kreuz und in seiner Auferstehung. In seiner Kraft opfert er sich Gott als Sühne für unsere“ Sünden und erwirkt unsere Neugeburt im Heiligen Geist. Christus ist, wie Paulus im Römerbrief zusammenfassend sagt, „der Nachkomme Davids, der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten“ (Rom 1,4). Jesus Christus ist in die Welt gekommen, um uns den Heiligen Geist, den Geist der Gotteskindschaft zu bringen. Nehmt diesen Gedanken, liebe Brüder und Schwestern, von unserer heutigen Begegnung mit in euren Alltag. Ich freue mich über eure Teilnahme an dieser Audienz und grüße euch alle und jeden einzelnen sehr herzlich. Zugleich wünsche ich euch schöne und erholsame Ferien und erbitte euch dazu von Herzen Gottes Schutz und Beistand mit meinem besonderen Apostolischen Segen. 171 AUDIENZEN UNDANGELUS Vertrauen in die schöpferische Kraft der Jugend Angelus am 9. August 1. In diesem geschichtlichen Augenblick der Kirche und im Bereich der mit Eifer ausgeübten Tätigkeiten des Laienapostolats kommt den Vereinigungen der Jugendlichen besondere Bedeutung zu. Gerade an sie, die Jugend der ganzen Welt, hat das Konzil seine letzte Botschaft gerichtet und sie aufgefordert, jeden Egoismus zu bekämpfen und hochherzig, rein, ehrfürchtig und aufrichtig zu sein. Es hat sie aufgerufen, eine besondere Welt aufzubauen. Es hat ihr gegenüber Vertrauen und Liebe zum Ausdruck gebracht (vgl. Botschaft an die Jugend, 8. Dez. 1965). Auf diese Weise wollten die Konzilsväter — ich war einer von ihnen — den reichen Schatz an Lehren und pastoralen Weisungen, die in der großen Versammlung herangereift waren, in einer einprägsamen Synthese zusammenfassen; und sie vertrauten sie mit herzlicher Zuversicht der schöpferischen Kraft der Jungen Generation an. 2. Das Aufblühen von Jugendvereinigungen und Jugendbewegungen, das wir vor Augen haben, ist ein Anzeichen dafür, daß dieser Auftrag hochherzig angenommen wurde. Es würde zu weit führen und auch, wenigstens zum Teil, überflüssig sein, Beweise dafür aufzuzählen, so sehr sprechen schon die Zeugnisse der Großmut für sich, die Scharen von Jugendlichen erbringen, „die jenen hochherzigen Charakter besitzen, Menschen, wie sie unsere Zeit dringend fordert“ {Gaudium et spes, Nr. 31), eine Generation, die „im Bewußtsein der eigenen Bedeutung im gesellschaftlichen Leben rascher daran teilzuhäben beansprucht“ (ebd., Nr. 7). Dem Ideal des Apostolates verschrieben, beginnen sie schon unter ihren Altersgenossen auf allen Sektoren des jugendlichen Lebens mit ernsthafter und verantwortlicher Tätigkeit (vgl. Apostolicam actuosita-tem, Nr. 12). Ich kann nicht umhin — und ich danke vor allem dem Herrn dafür —, das Wiederansteigen der Priesterberufe und der Berufungen zum gottgeweihten Leben, vor allem zum kontemplativen Leben, zu erwähnen, das eine der trostvollsten Erscheinungen, eine Quelle großer Hoffnung, darstellt. 3. Auch die außerordentliche Bischofssynode, die vor etwa zwei Jahren zum Gedenken an den zwanzig Jahre zurückliegenden Abschluß des Konzils stattfand und dessen Weisungen wieder aufnahm, hat sich „mit besonderer Liebe und großem Vertrauen an die jungen Menschen“ gerichtet und erklärt, daß sie 172 AUDIENZEN UNDANGELUS „Großes von ihrer hochherzigen Hingabe“ erwartet. Sie hat die Jugend aufgerufen, „das Erbe des Konzils mit innerem Schwung aufzunehmen und voranzutreiben“ (Schlußdokument, C,6). Es bleibt in der Tat noch viel zu tun, damit alle Möglichkeiten des Apostolates genutzt werden, über die die Welt der Jugendlichen verfügt, und es müssen Bedingungen dafür geschaffen werden, die ihnen erlauben, die ganze Vitalität, deren sie fähig ist, zum Ausdruck zu bringen. Das Apostolat der Jugend mit seiner als Sauerteig wirkenden großen mitzie-henden Kraft bedarf heute einer neuen Bewertung im Licht der kirchlichen Gemeinschaft und im Blick auf das „Morgen“ im Herannahen des dritten christlichen Jahrtausends. Die Synode über die Laien wird sicherlich der geeignetste „Ort“ für konstruktive und aufhellende Überlegungen sein. Das junge Mädchen von Nazaret, die besondere Patronin unserer Jugend, vermittle all denen Licht, die auf diese Ziele hin das Ereignis der Synode durch ihre Arbeit vorbereiten. In deutscher Sprache sagte der Papst: Ein herzliches „Grüß Gott!“ und Willkommen auch allen deutschsprachigen Pilgern. Das heutige Erlebnis weltweiter Gebetsgemeinschaft schenke euch Freude und neuen Mut für euren christlichen Glauben. Es ist eine große Gnade und Aufgabe, zur Kirche Jesu Christi zu gehören. Steht stets treu zu Christus und zu eurer christlichen Berufung. Maria, die Mutter des Herrn, begleite euch mit ihrem besonderen Schutz und Beistand! Der auferstandene Christus bringt den Geist Ansprache bei der Generalaudienz am 12. August 1. Jesus Christus, der Sohn Gottes, vom Vater in die Welt gesandt; wird durch den Heiligen Geist im Schoß der Jungfrau von Nazaret Mensch, und in der Kraft des Heiligen Geistes vollbringt er als Mensch seine messianische Sendung bis zum Kreuz und zur Auferstehung. In bezug auf diese Wahrheit (die Gegenstand der letzten Katechese war), muß man sich den Text des hl. Irenäus vergegenwärtigen, der schreibt: „Der Heilige Geist stieg auf den Sohn Gottes herab, der Menschensohn geworden ist, und zusammen mit ihm gewöhnte er sich daran, im Menschengeschlecht zu wohnen, in den Menschen, die das Werk Gottes sind, zu bleiben, in ihnen den Willen des Vaters zu erfüllen und ihr Greisenalter in die Neuschöpfung Christi umzugestalten“ (Adversus hae- 173 AUDIENZEN UNDANGELUS reses, EI, 17,1). Dies ist eine sehr bezeichnende Stelle, die mit anderen Worten das wiederholt, was wir schon aus dem Neuen Testament erfahren haben, daß nämlich der Sohn Gottes Mensch geworden ist durch den Heiligen Geist, in dessen Kraft er seine messianische Sendung erfüllt hat, um so die Sendung und die Herabkunft dieses Geistes, der „die Tiefen Gottes ergründet“ (vgl. 1 Kor 2,10), in die Seelen der Menschen vorzubereiten, um seine Gegenwart und sein heiligendes Wirken im Leben des Menschen zu erneuern und zu festigen. Interessant ist der Ausdruck des Irenäus, daß der Heilige Geist, der im Menschensohn wirkt, „sich zusammen mit ihm daran gewöhnt, im Menschengeschlecht zu wohnen“. 2. Im Johannesevangelium lesen wir: „Am letzten Tag des Festes, dem großen Tag, stellte sich Jesus hin und rief: Wer Durst hat, komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt. Wie die Schrift sagt: Aus seinem Innern werden Ströme von lebendigem Wasser fließen. Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben; denn der Geist war noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war“ (Joh 7,37-39). Jesus kündigt das Kommen des Heiligen Geistes an, indem er sich des Bildes vom „lebendigen Wasser“ bedient, denn „der Geist ist es, der lebendig macht“ (Joh 6,63). Die Jünger werden von Jesus selbst diesen Geist zu gegebener Zeit empfangen, wenn Jesus „verherrlicht“ sein wird: der Evangelist denkt an die österliche Verherrlichung durch Kreuz und Auferstehung. 3. Als jene Zeit, das heißt die „Stunde“ Jesu, nahegekommen ist, nimmt Jesus bei seiner Abschiedsrede im Abendmahlssaal seine Ankündigung wieder auf und verheißt mehrmals den Aposteln das Kommen des Heiligen Geistes als neuen Beistandes (Paraklet). Er sagt zu ihnen: „Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird“ (Joh 14,16-17). „Der Beistand, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14,26). Und weiter: „Wenn der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen ...“ (Joh 15,26). Jesus schließt mit den Worten: „Wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn euch senden. Und wenn er kommt, wird er die Welt überführen (und aufdecken), was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist...“ (Joh 16,7-8). 174 AUDIENZEN UND ANGELUS 4. Die angeführten Texte enthalten in großer Dichte die Offenbarung der Wahrheit über den Heiligen Geist, der vom Vater und vom Sohn ausgeht. (Mit diesem Thema habe ich mich eingehender befaßt in der Enzyklika „Dominum et vivificantem“). Zusammenfassend können wir sagen: Als Jesus am Vorabend seines Leidens im Abendmahlssaal zu den Aposteln spricht, verbindet er sein nahe bevorstehendes Weggehen mit dem Kommen des Heiligen Geistes. Für Jesus besteht ein kausaler Zusammenhang: Er selbst muß durch das Kreuz und die Auferstehung hindurch fortgehen, damit der Geist der Wahrheit auf die Apostel und auf die ganze Kirche als Beistand herabkommen kann. Dann wird der Vater den Geist „im Namen des Sohnes“ senden, er wird ihn in der Kraft des Erlösungsgeheimnisses senden, das sich durch diesen Söhn, Jesus Christus, erfüllen muß. Darum darf man mit Recht behaupten, wie Jesus es tut, daß auch der Sohn ihn senden wird: „... der Beistand, den ich euch vom Vater aus senden werde“ (Joh 15,26). 5. Diese Verheißung, die Jesus am Vorabend seines Leidens und Sterbens an die Apostel richtete, hat er am Tag seiner Auferstehung erfüllt. Das Evangelium des Johannes erzählt ja, daß Jesus, als er sich den Jüngern zeigte, die sich immer noch im Schutz des Abendmahlssaales aufhielten, sie grüßte, und da sie über das außerordentliche Ereignis bestürzt waren, „hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert“ (Joh 20,22-23). Im Text des Johannes wird theologisch etwas unterstrichen, was hervorgehoben zu werden verdient. Der auferstandene Christus ist deijenige, der sich den Aposteln zeigt und ihnen den Heiligen Geist „bringt“, er ist deijenige, der ihn ihnen in gewissem Sinn in den Zeichen seines Kreuzestodes „gibt“ („Er zeigte ihnen seine Hände und seine Seite“, Joh 20,20). Und da es der Geist ist, „der lebendig macht“ (Joh 6,63), empfangen die Apostel zusammen mit dem Heiligen Geist die Fähigkeit und die Gewalt, Sünden zu vergeben. 6. Was in so bezeichnender Weise am Tag der Auferstehung selbst geschieht, wird von den anderen Evangelisten an den folgenden Tagen gewissermaßen entfaltet, an denen Jesus fort fahrt, die Apostel auf den großen Augenblick vorzubereite'n, in dem Kraft seines Fortgehens der Heilige Geist endgültig auf sie herabkommt, daß seine Ankunft der Welt offenkundig wird. Das wird zugleich der Augenblick der Geburt der Kirche sein: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8). Diese Verheißung, die sich direkt auf das Kommen des Beistandes bezieht, hat sich am Pfingsttag erfüllt. 175 AUDIENZEN UNDANGELUS 7. Zusammenfassend können wir sagen, Jesus Christus ist der, der als ewiger Sohn im Vater seinen Ursprung hat, er ist derjenige, der vom Vater „ausgegangen“ ist und Mensch wurde durch den Heiligen Geist. Und nachdem er seine messianische Sendung als Menschensohn in der Kraft des Heiligen Geistes erfüllt hat, „geht er zum Vater“ (vgl. Joh 14,12). Indem er als Erlöser der Welt zum Vater geht, „gibt“ er seinen Jüngern und sendet er für alle Zeiten auf die Kirche denselben Geist herab, in dessen Kraft auch er als Mensch gehandelthat. In dieser Weise führt Jesus Christus als derjenige, der „zum Vater geht“, durch den Heiligen Geist alle jene „zum Vater“, die ihm im Lauf der Jahrhunderte folgen werden. 8. „Nachdem er: durch die rechte Hand Gottes erhöht worden war und vom Vater den verheißenen Heiligen Geist empfangen hatte, hat er (Jesus Christus) ihn ausgegossen“ (Apg 2,33), wird der Apostel Petrus am Pfmgsttag sagen. „Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft:, Abba, Vater!“ (Gal 4,6), wird der Apostel Paulus schreiben. Der Heilige Geist, „der vom Vater ausgeht“ (Joh 15,26) ist gleichzeitig der Geist Jesu Christi: der Geist des Sohnes. 9. Gott hat Christus den Heiligen Geist „unbegrenzt“ gegeben, verkündet Johannes der Täufer nach dem vierten Evangelium. Und der hl. Thomas von Aquin erklärt dazu in seinem klaren Kommentar, daß die Propheten den Geist „in begrenztem Maß“ empfingen und darum ihre Aussagen nur „partiell“ sein konnten. Christus hingegen hat den Geist „unbegrenzt“ empfangen, sei es als Gott, insofern der Vater durch die ewige Zeugung ihm das unbegrenzte Rauchen des Geistes mitteilt; sei es als Mensch, insofern Gott ihn durch das Völlmaß der Gnade mit dem Heiligen Geist erfüllt hat, damit er ihn jedem Gläubigeneingieße“ (vgl. Super Evang. S. Ioannis Lectura, c.HT, 1.6, nn. 541-544) . Der Doctor Angelicus bezieht sich auf den Text des Johannes (Joh 3,34): „Denn der, den Gott gesandt hat, verkündet die Worte Gottes; denn er gibt (ihm) den Geist unbegrenzt“ (nach der Übersetzung bedeutender Bibelwissenschaftler). Wir können wirklich zutiefst bewegt mit dem Evangelisten Johannes zusammen ausrufen: „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen“ (Joh 1,16); wir sind wahrhaft Teilhaber am Leben Gottes geworden im Heiligen Geist. Und über dieser Welt der Söhne des ersten Adam, die zum Tod bestimmt sind, sehen wir machtvoll Christus sich erheben, den „letzten Adam“, der lebendigmachender Geist“ wurde (1 Kor 15,45). 176 AUDIENZEN UND ANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Jesus Christus, der vom Geist gesalbte Sohn Gottes, ist zur Zeit der Inhalt unserer wöchentlichen Katechese. In der Kraft des Heiligen Geistes führt er als Mensch die messianische Sendung aus bis zum Tod am Kreuz und zur Auferstehung. Durch sein Erlösungswerk bereitet er das Kommen des göttlichen Geistes auch in die Herzen der Menschen vor. Im Johannesevangelium ruft Jesus aus: „Wer Durst hat, der komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt ... Aus seinem Innern werden Ströme von lebendigem Wasser fließen. Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten...“ {Joh 7,37). In seiner Rede im Abendmahlssaal verheißt Jesus mehrmals den Aposteln das Kommen des Heiligen Geistes. Er spricht von einem „anderen Beistand“, dem „Geist der Wahrheit“, den der Vater in seinem Namen senden wird (vgl. Joh 14,16-26). Später sagt er sogar, daß er selbst ihn vom Vater senden werde, nachdem er von ihnen fortgegangen sein wird: „Es ist gut für euch, daß ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden“ {Joh 16,7). Diese Verheißung des Geistes erfüllt Jesus selbst am Tag seiner Auferstehung, als er seinen Aposteln erscheint. Nach dem Friedensgruß „hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert“ {Joh 20,22-23). Die synoptischen Evangelien verbinden hingegen die Geistsendung vor allem mit dem Pfingsfest, an dem die Kirche geboren wird, und ihr öffentliches Zeugnis für Christus beginnt von „Jerusalem... bis an die Grenzen der Erde“ {Apg 1,8). Herzlich grüße ich durch diese kurzen Darlegungen alle deutschsprachigen Audienzteilnehmer: die Familien, Gruppen und auch alle Einzelpilger. Mein besonderer Gruß gilt der Schwestemgruppe der Dillinger Franziskanerinnen anläßlich ihres Generalkapitels. Christus ist die Fülle unseres Lebens durch und im Heiligen Geist. Erbitten wir uns von ihm immer wieder neu das kostbare Geschenk seines Geistes. Von Herzen erteile ich euch und allen anwesenden Pilgern mit besten Wünschen für schöne und erholsame Ferien meinen Apostolischen Segen. 177 AUDIENZEN UND ANGELUS Maria ist wirklich in den Himmel aufgenommen Angelus am 15. August 1. „In Maria ließest du, Herr, für dein Volk, das auf Erden pilgert, ein Zeichen des Trostes und der sicheren Hoffnung aufleuchten“ (Präfation der Messe von der Aufnahme Marias in den Himmel). Heute, am Fest der Aufnahme Marias in den Himmel, läßt die Kirche uns in der Liturgie der Messe so beten. Bei den Gläubigen war seit den ältesten Zeiten der Glaube lebendig, daß Maria wirklich mit Seele und Leib in den Himmel aufgenommen wurde, und als die Botschaft des Evangeliums sich ausbreitete, hat er sich überall als sichere Wahrheit durchgesetzt. Der 15. August wurde durch ein Edikt des oströmischen Kaisers Mauritius (582 bis 602) als Fest der „Dormitio“, des Entschlafens Marias, festgelegt, und im Abendland wurde es zusammen mit anderen marianischen Gedenktagen von Papst Sergius I. (687 bis 701) am gleichen Datum eingeführt. Wie ihr euch wohl erinnert, war es Pius XII., der am 1. November 1950 diese Wahrheit als von Gott geoffenbarten Glaubenssatz verkündete. Das 2. Vatikanische Konzil hat die verkündigte Lehre voll übernommen, als es bestätigte: „Schließlich wurde die unbefleckte Jungfrau, von jedem Makel der Erbsünde unversehrt bewahrt, nach Vollendung des irdischen Lebenslaufs mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen und als Königin des Alls vom Herrn erhöht, um vollkommener ihrem Sohn gleichgestaltet zu sein“ (Lumen gentium, Nr. 59). 2. Wir glauben also mit absoluter Sicherheit, daß die heilige Maria, Mutter Christi und unsere geistige Mutter, schon im Himmel ist und mit Seele und Leib sich zusammen mit Christus der ewigen Glückseligkeit Gottes erfreut! Wir, Pilger auf dieser Erde, „bemühen uns noch, die Sünde zu besiegen und in der Heiligkeit zu wachsen“ (vgl. ebd., Nr. 65). Wir schauen auf zu Maria, die in den Himmel aufgenommen ist, um uns an ihrem Lichtglanz zu erfreuen, um aufmerksam zu hören, was sie uns lehrt, um auf ihre Güte zu vertrauen und ihre Tugenden nachzuahmen im Bemühen und in der Erwartung, einmal zu ihr in ihre Herrlichkeit zu gelangen! Im wunderbaren Glanz ihres verherrlichten Leibes ist die heilige Jungfrau ein mahnender und endgültiger Anruf an die ganze Menschheit: Sie, die mit vollkommenem Vertrauen dem Wort Gottes geglaubt und es in innigster Verbundenheit mit Christus gelebt hat, lehrt uns, daß der wahre Sinn des Daseins jenseits des Irdischen liegt und daß die irdischen und körperlichen Wirklichkeiten nur im Blick auf die Ewigkeit ihren echten Wert gewinnen. 178 AUDIENZEN UND ANGELUS 3. Das Fest der Aufnahme Marias in den Himmel, das wir im Marianischen Jahr feiern, sei für alle ein Anlaß und ein Ansporn zu einem überzeugteren und konsequenteren christlichen Leben und einer beständigeren und vertrauensvolleren Marienverehrung. „Komm, hilf deinem Volk, das fällt, sich aber auch müht, vom Falle aufzustehn!“ So habe ich mich in der Enzyklika „Redemptoris Mater“ an Maria gewandt. Und ich wiederhole es heute, am Fest der in den Himmel Aufgenommenen, und fordere alle auf, die „erhabene Mutter des Erlösers“ anzurufen. Die Kirche sieht ja Maria „tief in der Geschichte der Menschheit verwurzelt ... sie erblickt sie mütterlich und teilnahmsvoll anwesend bei den vielfältigen und schwierigen Problemen, die heute das Leben der einzelnen, der Familien und der Völker begleiten; sie sieht in ihr die Helferin des christlichen Volkes beim unaufhörlichen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, damit es nicht „falle“, oder, wenn gefallen, wieder „aufstehe“ (Redemptoris Mater, Nr. 52). Während dieses Marianischen Jahres möge sich unser Gebet inständiger zu Maria erheben, damit sie uns mit ihrem mütterlichen Schutz beistehe. In deutscher Sprache sagte der Papst: Herzlich grüße ich zum heutigen Marienlob auch alle deutschsprachigen Teilnehmer. Wir preisen mit Maria die Großtaten Gottes, der sie an diesem Festtag mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen hat. Sie hat mit Christus, ihrem Sohn, schon teil an seiner endgültigen Auferstehung und zeigt uns vom Himmel her zugleich auch das Ziel unseres irdischen Pilgerweges. Möge Maria uns alle durch ihren mütterlichen Schutz und Beistand sicher dorthin geleiten! Stellung der Frau in der Kirche Angelus am 16. August 1. Bei diesen sonntäglichen Begegnungen der Besinnung und des Gebetes zur Vorbereitung auf die Bischofssynode über die Berufung der Laien habe ich schon mehrmals auf die Berufung der Frau in der Kirche und in der Welt hingewiesen. Nachdem wir gestern das Fest der Aufnahme Marias in den Himmel gefeiert haben, ist es nur natürlich, daß wir an sie denken als an eine vorbildliche Gestalt, in der auf ganz besondere Weise das Bild der Frau aufleuchtet. 179 AUDIENZEN UND ANGELUS In der Enzyklika Redemptoris Mater (Nr. 46) habe ich geschrieben, „daß die Gestalt Marias von Nazaret schon allein dadurch die Frau als solche ins Licht stellt, daß sich Gott im erhabensten Geschehen der Menschwerdung seines Sohnes dem freien und tätigen Dienst einer Frau anvertraut hat. Man kann daher sagen, daß die Frau durch den Blick auf Maria dort das Geheimnis entdeckt, wie sie ihr Frausein würdig leben und ihre wahre Entfaltung bewirken kann.“ 2. Wir müssen weiter daran denken, daß neben der Jungfrau-Mutter in der „Fülle der Zeit“, in Augenblicken von größter geschichtlicher und religiöser Bedeutung, noch andere Frauen eine Rolle zu spielen hatten. Es sind jene „vielen“ Frauen, die Jesus und die Apostel begleiteten und ihnen ihren mütterlichen Beistand zusicherten (vgl. Lk 8,2-3); es sind die „Töchter Jerusalems“, die in das grausame Geschehen des Kreuzweges eine Note der Barmherzigkeit einfügen (vgl. Lk 23,27-30); die Frauen, die zu Füßen des Kreuzes zusammen mit der Mutter die furchtbare Qual des Sohnes teilen (vgl. Joh 19,23); die Frauen, die den Vorzug haben, in der Frühe des Ostertages die ersten Zeuginnen und Botinnen der Auferstehung zu sein (vgl. Lk 24,9); die Frauen, die im Abendmahlssaal zusammen mit Maria die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. In der Welt des Evangeliums ist die Präsenz der Frauen groß. Aber es genügen schon diese Beispiele, um zu belegen, daß der Frau, wenn sie auch nicht zu der charakteristischen Sendung berufen ist, die der göttliche Meister den Aposteln als für sie bestimmt anvertraut hat, doch Rollen zugeteilt sind, denen in Verbindung mit der Ausbreitung der Frohen Botschaft vom Reich große Bedeutung zukommt. 3. Das Konzil hat im Licht der Offenbarungsbotschaft die Würde der Frau als lebenswichtiges Glied im Gottesvolk und im mystischen Leib Christi unterstrichen. Und die Tatsache, daß der Beitrag der Frau im Bereich der Evangelisierung, der Katechese, der Liturgie, der Theologie und allgemein innerhalb der Sendung der Kirche in der Welt in diesen Jahren beträchtlich zugenommen hat, ist sicherlich keine geringe Frucht der Lehren und Weisungen des Konzils. Dies scheint nun der geeignete Augenblick zu sein, um gründlicher zu untersuchen, auf welche Weise den Frauen zugesichert werden kann, daß sie „an den verschiedenen Bereichen des Apostolats der Kirche wachsenden Anteil nehmen“ (Apostolicam actuositatem, Nr. 9). Im Blick auf Maria, die „den Weg weist zur Bestätigung der gleichen Würde von Mann und Frau bei der Verschiedenheit der Charismen und der Dienste“ 180 AUDIENZEN UND ANGELUS (Instrumentum laboris, Nr. 26), wird die kommende Synode zweifellos Beiträge zu weiterer Vertiefung anbieten. Dazu erbitten wir die Hilfe der himmlischen Mutter. In deutscher Sprache sagte der Papst: Einen herzlichen Willkommensgruß auch den Pilgern deutscher Sprache. Gern empfehle ich euch dem besonderen Schutz der Gottesmutter, deren Aufnahme in den Himmel wir gestern gefeiert haben. Auch unser Leib und die ganze sichtbare Schöpfung sind bestimmt zur Auferstehung und Verherrlichung mit Christus. Auf eurem irdischen Pilgerweg begleite euch Gott mit seinem besonderen Schutz und Segen! Jesus ist wahrhaft der Sohn Gottes Ansprache bei der Generalaudienz am 19. August 1. Die Katechesen über Jesus Christus haben ihren Kern in dem zentralen Thema, das der Offenbarung entnommen ist: Jesus Christus, der Mensch, der von der Jungfrau Maria geboren wurde, ist der Sohn Gottes. Alle Evangelien und die anderen Bücher des Neuen Testaments dokumentieren diese grundlegende christliche Wahrheit. In den vorausgehenden Katechesen versuchten wir sie zu beleuchten, indem wir ihre verschiedenen Aspekte darlegten. Das Zeugnis des Evangeliums liegt den feierlichen Lehraussagen der Kirche in den Konzilien zugrunde, die sich in den Glaubensbekenntnissen, vor allem im nizäno- konstantinopolitanischen, und natürlich auch im beständigen ordentlichen Lehramt der Kirche widerspiegeln, so wie in ihrer Liturgie, im Gebet und im geistlichen Leben, das von ihr angeregt und geleitet wird. : 2. Die Wahrheit über Jesus Christus, den Sohn Gottes, bildet in der Selbstoffenbarung Gottes, in der sich das unsagbare Geheimnis eines einzigen Gottes in der heiligsten Dreifaltigkeit enthüllt, den Schlüsselpunkt. In der Tat hat Gott, der, wie es im Brief an die Hebräer heißt, „in dieser Endzeit zu uns gesprochen hat durch den Sohn“ (Hebr 1,2), damit die Wirklichkeit seines innersten Lebens enthüllt, jenes Lebens, in dem er als absolute Einheit in der Gottheit gleichzeitig Dreifaltigkeit, das heißt, göttliche Gemeinschaft von drei Personen ist. Von dieser Gemeinschaft gibt der Sohn unmittelbar Zeugnis, der „vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen ist“ (vgl. Job 16,28). Nur Er. Im Alten Testament, als Gott „durch die Propheten gespro- 181 AUDIENZEN UNDANGELUS chen hat“ (vgl. Hebr 1,1), war dieses innerste Geheimnis Gottes nicht bekannt. Gewiß, einige Elemente der alttestamentlichen Offenbarung bildeten die Vorbereitung auf die Offenbarung durch das Evangelium. Dennoch konnte nur der Sohn Gottes uns in dieses Geheimnis einführen. Denn „niemand hat'Gott je gesehen“: niemand das innerste Geheimnis seines Lebens gekannt. Nur der Sohn: „Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“ (Joh 1,18). 3. Im Laufe der vorausgehenden Katechesen war es uns gegeben, die Hauptaspekte dieser Offenbarung zu erwägen, dank derer die Wahrheit über die göttliche Sohnschaft Jesu Christi in voller Klarheit vor uns aufleuchtet. Zum Abschluß dieses Zyklus unserer Meditationen ist es gut, einige Momente in Erinnerung zu rufen, in denen sich, zusammen mit der Wahrheit über die göttliche Sohnschaft des Menschensohns, des Sohnes Marias, das Geheimnis des Vaters und des Heiligen Geistes enthüllt. In zeitlicher Reihenfolge ist das erste bereits der Augenblick der Verkündigung in Nazaret. Nach dem Wort des Engels ist ja der, der von der Jungfrau geboren werden soll, der Sohn des Höchsten, der Sohn Gottes. Mit diesen Worten wird Gott als Vater offenbart, und der Sohn Gottes wird als jener vorgestellt, der durch den Heiligen Geist geboren werden soll („Der Heilige Geist wird über dich kommen“ (Lk 1,35)). So schließt der Bericht über die Verkündigung das Geheimnis der Dreifaltigkeit ein: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Dieses Geheimnis ist auch in der Theophanie bei der Taufe Jesu im Jordan gegenwärtig, als der Vater durch eine Stimme aus der Höhe Zeugnis gibt für den geliebten Sohn und die Stimme begleitet wird vom Geist, der „wie eine Taube“ auf Jesus herabkam {Mt 3,16). Diese Gotteserscheinung ist wie eine sichtbare Bestätigung der Worte des Propheten Jesaja, auf die Jesus sich in Nazaret zu Beginn seiner messianischen Tätigkeit berief: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt...“ (ZA 4,18; vgl. Jes 61,1). 4. Später, während Jesus seinen Dienst ausübt, begegnen wir den Worten, mit denen er selbst seine Zuhörer in das Geheimnis der göttlichen Dreifaltigkeit einführt. Unter diesen ist auch die „freudvolle Erklärung“, die wir in den Evangelien von Matthäus {Mt 11,25-27) und Lukas {Lk 10,21-22) finden. Wir nennen sie freudvoll, weil Jesus, wie wir im Text lesen, „in dieser Stunde, vom Heiligen Geist erfüllt, voll Freude ausrief {Lk 10,21): „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den 182 AUDIENZEN UND ANGELUS Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ {Mt 11,25-27). So werden wir also dank dieser „Freude Jesu im Heiligen Geist“ in die „Tiefen Gottes“ eingeführt, in die Tiefen, die nur der Geist erforscht; in die innerste Einheit des Lebens Gottes, in die unergründliche Gemeinschaft der Personen. 5. Diese von Matthäus und Lukas berichteten Worte stimmen vollkommen mit vielen Aussagen Jesu im Johannesevangelium überein, wie wir in den früheren Katechesen bereits gesehen haben. Beherrschend steht über allen das Bekenntnis, das sein Einssein mit dem Vater offenbart: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). Es wird im Hohepriesterlichen Gebet und in den Abschiedsreden insgesamt, in denen Jesus die Apostel auf sein Fortgehen im Lauf der österlichen Ereignisse vorbereitet, wieder aufgenommen und entfaltet. 6. Und gerade hier, im Blick auf dieses Fortgehen, spricht Jesus die Worte, die das Geheimnis des Heiligen Geistes und die Beziehung, in der er zum Vater und zum Sohn steht, in endgültiger Weise offenbaren. Christus, der sagt: „Ich bin im Vater und der Vater ist in mir“, kündigt den Aposteln gleichzeitig das Kommen des Heiligen Geistes an und bestätigt: dieser ist „der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht“ {Joh 15,26). Jesus fügt hinzu, er werde „den Vater bitten“, daß dieser Geist der Wahrheit den Jüngern gegeben wird, damit er „für immer als Beistand bei ihnen bleibt“ (vgl. Joh 14,16). Und er versichert den Aposteln: „Der Vater wird den Heiligen Geist in meinem Namen senden“ (vgl. Joh 14,26). Das alles, so sagt Jesus abschließend, wird geschehen nach seinem Fortgehen in den österlichen Ereignissen von Kreuz und Auferstehung: „... gehe ich, so werde ich ihn zu euch senden“ {Joh 16,17). 7. „An jenem Tag werdet ihr erkennen, daß ich im Vater bin ...“, versichert Jesus weiter, das heißt, durch den Heiligen Geist wird das Geheimnis der Einheit des Vaters und des Sohnes voll aufgehellt werden: „Ich im Vater — und der Vater in mir.“ In dieses Geheimnis kann in der Tat nur „der Geist“ Klarheit bringen, „der die Tiefen Gottes ergründet“ (vgl. 1 Kor 2,VS), jene Tiefen, in denen in der Gemeinschaft der Personen die Einheit des göttlichen Lebens in Gott begründet ist. So fällt auch Licht in das Geheimnis der Menschwerdung des Sohnes in seiner Beziehung zu den Gläubigen und zur Kirche, auch dies durch den Heiligen Geist. Jesus sagt ja: „An jenem Tag (wenn die Apostel den Geist der Wahrheit empfangen werden) werdet ihr erkennen: (nicht nur) Ich bin in meinem Vater, (sondern auch) ihr seid in mir, und ich bin in euch“ {Joh 14,20). Die Menschwerdung ist daher das Fundament unserer 183 AUDIENZEN UND ANGELUS göttlichen Sohnschaft durch Christus und die Grundlage des Geheimnisses der Kirche als Leib Christi. 8. An dieser Stelle ist es aber wichtig zu betonen, daß die Menschwerdung, auch wenn sie unmittelbar den Sohn betrifft, das Werk des einen und dreieinen Gottes ist (4. Laterankonzil). Das bezeugt schon der Inhalt der Verkündigung selbst (vgl. Lk 1,26-36). Und dann hat Jesus während seiner ganzen Lehrtätigkeit „Horizonte aufgerissen, die der menschlichen Vernunft unerreichbar sind“, wie wir in der Konstitution Gaudium et spes lesen (Nr. 24), jene nämlich des inneren Lebens des einen Gottes in der Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Schließlich erfüllte Jesus nach Vollendung seiner messianischen Sendung, als er die Apostel am vierzigsten Tag nach der Auferstehung endgültig verließ, ganz und gar das, was er schon mit den Worten angekündigt hatte: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21). Denn er sagte zu Ihnen: „Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,19). Mit diesen Schlußworten des Evangeliums übergab Jesus Christus der Kirche, ehe sie ihren Weg in die Welt antrat, die höchste Wahrheit seiner Offenbarung: die Wahrheit der unteilbaren Einheit in der Dreifaltigkeit. . Und seitdem kann die Kirche in tief innerer Bewegung staunend und anbetend mit dem Evangelisten Johannes bekennen, wie er es am Ende des Prologs zum vierten Evangelium tat: „Niemand hat Gott je gesehen. Der einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“ (Joh 1,18). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! In den Evangelien, den heiligen Schriften der Kirche, offenbart uns Jesus von Nazaret auf vielfältige Weise, daß die Wurzeln seiner Person in Gott selbst liegen, daß er von Gott Vater ausgegangen ist und mit ihm fortwährend tief und einmalig verbunden bleibt. All das ist gemeint, wenn die Kirche Jesus Christus als den Sohn Gottes bekennt und hiermit den Kern ihres Glaubens angibt. Diese Offenbarung der göttlichen Sohnschaft Jesu enthält zugleich den Hinweis auf das Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit: Der eine und einzige wahre Gott lebt in der ewigen Gemeinschaft von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Beim Evangelisten Lukas heißt es hierzu: „In dieser Stunde rief Jesus, vom Heiligen Geist erfüllt, aus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen 184 AUDIENZEN UND ANGELUS aber offenbart hast... Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand weiß, wer der Sohn ist, nur der Vater, und niemand weiß, wer der Vater ist, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ (Lk 10,21 f.). Mit dieser und vielen weiteren Aussagen hat uns der Herr in die unendliche Tiefe des dreifältigen Lebens Gottes schauen lassen, deren ganze Dimension nur der Heilige Geist selbst erfassen kann. Im Johannesevangelium steht dann das alles überragende Wort Jesu: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). Aus der Kraft dieser innigen Einheit sendet der auferstandene Herr den Aposteln und der ganzen Kirche seinen Heiligen Geist, der sie im Laufe ihres geschichtlichen Weges in alle Wahrheit tiefer einführen soll. Voller Staunen und Dankbarkeit kann so die Kirche zu allen Zeiten mit den Worten des Evangelisten Johannes bekehren: „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“. (Joh 1,18). Möchten diese kurzen Darlegungen in euch allen das gleiche Staunen und eine ähnliche Dankbarkeit bewirken für diese Offenbarung des dreifältigen Lebens Gottes. Hierfür gelten euch mein Gebet und mein Segen. Gelobt sei Jesus Christus! Neuer Stil der Zusammenarbeit Angelus am 23. August Liebe Brüder und Schwestern! 1. Das Leben der Laienvereinigung bildet eines der großen Themen, denen das Konzil sorgsame Aufmerksamkeit, gewidmet hat. Es hielt sich dabei die konstante Linie in der Kirchengeschichte und die Erfahrung der neuen Zeit vor Augen, die, besonders seit der Mitte des letzten Jahrhunderts, zahlreiche Organisationen des Apostolats, verschieden nach Art, Gestalt und Aktionsradius, entstehen und sich ausbreiten sah. Das 2. Vatikanische Konzil wollte dieser Erscheinung einen kräftigen Anstoß geben und verfolgte damit die Linie der damals gereiften ekklesiologischen und pastoralen Ausrichtung. Es hat darum das Recht der Laien, Vereinigungen zu gründen und dafür verantwortlich zu sein, ausdrücklich anerkannt und unterstrich die rechtmäßige Selbständigkeit dieser Vereinigungen, bestätigt durch ihre naturgemäße Verbundenheit mit dem Wirken der Hierarchie (vgl. Apostolicam actuositatem, Nr. 19; Lumen gentium, Nr. 37). Es hat alle Kräfte angespomt, Ziele aufgezeigt und Richtlinien gegeben. 185 AUDIENZEN UND ANGELUS 2. Nachdem eine Anfangsphase von Ungewißheiten und Schwierigkeiten, die eine Krisensituation auslösten, überwunden ist, leben wir heute in einer von großem Eifer gekennzeichneten, vielversprechenden Zeit. Im Geist des Konzils „gibt es einen neuen, guten Stil der Zusammenarbeit zwischen Klerus und Laien in der Kirche“ (Außerordentliche Bischofssynode 1985, Schlußdokument, II, C, 6). Organisationen, die eine weit zurückreichende Geschichte haben, wie beispielsweise die Dritten Orden und die Bruderschaften, denen das Konzil besondere Überlegungen gewidmet hatte (vgl. Apostolicam actuositatem, Nr. 20), betonten bewußt ihre eigene Identität und das ihnen eigene Wirkungsfeld. Neben den althergebrachten Formen des Zusammenschlusses und zuweilen aus den gleichen Wurzeln sind neue Bewegungen und Vereinigungen entstanden, die ihr eigenes Gesicht und ihre besonderen Ziele haben: So groß ist der Reichtum und so vielfältig sind die Möglichkeiten, die der Heilige Geist im Gefüge der Kirche unterhält, und so groß ist auch die Fähigkeit zur Initiative und zur Hochherzigkeit unter unseren Laien. 3. Diese Gegebenheiten, die die fruchtbare Vitalität der Kirche und ihre Weisheit im Bewerten des „Alten und Neuen“ (Mt 13,52) bestätigen, erfordern eine ausgesprochene Feinfühligkeit, um die Harmonie zwischen der Einheit und der Vielgestaltigkeit aufrechtzuerhalten. Alle Vereinigungen, welcher Art und von welchem Wirkungsbereich sie auch seien, sind dazu bestimmt, die Sendung der Kirche, die sie in ihrem eigenen Umfeld und im Dienst der Menschheit entfaltet, reicher zu gestalten. Sie können nur in der kirchlichen Gemeinschaft — verstanden in der Tiefe und Weite ihrer Dimensionen — entstehen und sich entwickeln, um die Gewähr zu haben, daß ihre Charismen echt sind und ihre Werke Frucht tragen. Es ist dies ein Kapitel, das, auch wegen seiner nicht wenigen neuen Aspekte, Probleme aufgibt und Aussichten bietet, die den Syriodenvätem zweifellos genaue Analysen abverlangen werden. Das augenblickliche Blühen der Vereinigungen darf nicht nur nicht aufs Spiel gesetzt werden, sondern muß geordnet weiterwachsen, um immer reichere und reifere Früchte zu tragen. Das erwirke uns die Fürsprache der Jungfrau Mutter, die wir mit besonders innigem Vertrauen in diesem ihr geweihten Jahr anrufen. . In deutscher Sprache sagte der Papst: Ein herzlicher Willkommensgruß gilt allen anwesenden Pilgern und Besuchern aus den deutschsprachigen Ländern. Mit dem Apostolischen Segen erbitte ich euch aus der Begegnung mit den ehrwürdigen Stätten Roms Stärkung 186 AUDIENZEN UND ANGELUS eures Glaubens und Erweiterung eures Herzens und wünsche euch eine glückliche Heimkehr. Jesus Christus — wahrer Gott und wahrer Mensch Ansprache bei der Generalaudienz am 26. August 1. „Ich glaube ... an Jesus Christus, seinen (des Vaters) eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria.“ Der Zyklus der Katechesen über Jesus Christus, den wir hier darlegen, bezieht sich immer wieder auf die in den Worten des Apostolischen Glaubensbekenntnisses zum Ausdruck kommende Wahrheit, die wir gerade zitiert haben. Sie stellen uns Christus als wahren Gott — Sohn des Vaters — und zugleich als wahren Menschen, Sohn der Jungfrau Maria, vor. Die vorausgegangenen Katechesen haben uns bereits einen Zugang zu dieser grundlegenden Glaubenswahrheit eröffnet. Jetzt aber müssen wir versuchen, noch mehr in die Tiefe ihres wesentlichen Gehalts einzudringen: Wir müssen uns fragen, was „wahrer Gott und wahrer Mensch“ bedeutet. Es ist dies eine Wahrheit, die sich vor den Augen unseres Glaubens durch die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus enthüllt. Und da sie — wie jede andere offenbarte Wahrheit — nur durch den Glauben richtig aufgenommen werden kann, geht es hier um „rationabile obsequium fidei“, um die dem Glauben angemessene Ehrfurcht. Die folgenden Katechesen, die sich auf das Geheimnis des Gottmenschen konzentrieren, wollen dazu dienen, einen solchen Glauben zu fördern. 2. Wir haben schon früher hervorgehoben, daß Jesus Christus, wenn er von sich selbst sprach, oft die Bezeichnung „Menschensohn“ gebrauchte (vgl. Mt 16,28; Mk 2,20). Dieser Titel war mit der messianischen Tradition des Alten Testaments verbunden und entsprach gleichzeitig jener „Pädagogik des Glaubens“, deren Jesus sich bewußt bediente. Er wollte nämlich, daß seine Jünger und seine Zuhörer selbst zu der Entdeckung kämen, daß der „Menschensohn“ zugleich auch der wahre Sohn Gottes war. Wir haben dafür einen besonders bedeutungsvollen Beweis in dem Bekenntnis, das Petrus im Gebiet von Cäsarea Philippi ablegte und auf das wir schon in den früheren Katechesen hingewiesen haben. Jesus fordert mit Fragen die Apostel heraus, und als Petrus zur ausdrücklichen Anerkennung der göttlichen Identität Jesu gelangt, bestätigt Jesus das Zeugnis des Petrus und nennt ihn „selig ..., denn nicht 187 AUDIENZEN UNDANGELUS Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater“ (vgl. Mt 16,17). Der Vater ist es, der für den Sohn Zeugnis gibt, denn nur er kennt den Sohn (vgl. Mt 11,27). 3. Trotz der Diskretion aber, an die Jesus sich durch die Anwendung des erwähnten pädagogischen Prinzips hielt, wurde die Wahrheit über seine göttliche Sohnschaft nach und nach offenkundiger aufgrund dessen, was er sagte und vor allem dessen, was er tat. Während sie aber für die einen einen Gegenstand des Glaubens bildete, war sie für die andern ein Grund zu Widerspruch und Anschuldigung. Das zeigte sich entscheidend beim Prozeß vor dem Syn-edrium. Das Markusevangelium berichtet: „Der Hohepriester wandte sich an ihn und fragte: Bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten? Jesus sagte: Ich bin es. Und ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen sehen“ (Mk 14,61-62). Im Lukasevangelium ist die Frage so formuliert: „Du bist also der Sohn Gottes? Er antwortete ihnen: Ihr sagt es— ich bin es“ (Lk 22,70). 4 . Die Reaktion der Anwesenden ist einhellig: „Er hat Gott gelästert! ... Jetzt habt ihr die Gotteslästerung selbst gehört ...Er ist schuldig und muß sterben!“ (Mt 26,65-66). Diese Beschuldigung ist sozusagen die Frucht einer materiellen Auslegung des alten Gesetzes. Wir lesen ja im Buch Levitikus: „Wer den Namen des Herrn schmäht, wird mit dem Tod bestraft; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen“ (Lev 24,16). Jesus von Nazaret, der vor den offiziellen Vertretern des Alten Bundes erklärt, der wirkliche Sohn Gottes zu sein, spricht damit nach ihrer Überzeugung eine Gotteslästerung aus. Damm „ist er schuldig und muß sterben“, und das Urteil wird vollstreckt, wenn auch nicht nach alttestamentlichem Strafrecht durch Steinigung, sondern dem römischen Gesetz entsprechend durch Kreuzigung. Sich „Sohn Gottes“ zu nennen, bedeutet, „sich zu Gott machen“ (vgl. Joh 10,33), und forderte einen radikalen Protest von seiten der Hüter des Monotheismus des Alten Bundes heraus. 5. Was sich in dem gegen Jesus eingeleiteten Prozeß schließlich erfüllte, war in Wirklichkeit schon vorher angedroht worden, wie die Evangelien, vor allem das des Johannes, berichten. Wir lesen darin mehr als einmal, daß die Zuhörer Jesu ihn steinigen wollten, wenn das,-was sie aus seinem Mund gehört hatten, ihnen wie eine Gotteslästerung erschien. Als Gotteslästerung betrachteten sie z. B. seine Worte über das Thema vom Guten Hirten, (vgl. Joh 10,27.29) und die Folgerang, die er daraus zog, als er sagte: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). 188 A UDIENZEN UND ANGEL US Der Bericht des Evangeliums fährt fort: „Da hoben die Juden wiederum Steine auf, um ihn zu steinigen. Jesus hielt ihnen entgegen: Viele gute Werke habe ich im Auftrag des Vaters vor euren Augen getan. Für welches dieser Werke wollt ihr mich steinigen? Die Juden antworteten ihm: Wir steinigen dich nicht wegen eines guten Werkes, sondern wegen der Gotteslästerung; denn du bist nur ein Mensch und machst dich selbst zu Gott (.Joh 10,31-33). 6. Entsprechend war die Reaktion auf das andere Wort Jesu: „Noch ehe Abraham wurde, bin ich“ {Joh 8,58). Auch hier fand sich Jesus einer gleichen Frage und Beschuldigung gegenüber: „Für wen gibst du dich aus?“ {Joh 8,53), und die Antwort auf diese Frage hatte die Androhung der Steinigung zur Folge (vgl. Joh 8,59). Es ist also klar: Auch wenn Jesus von sich selbst vor allem als vom „Menschensohn“ sprach, so gab doch alles, was er tat und lehrte, Zeugnis dafür, daß er der Sohn Gottes im wörtlichen Sinn war; das heißt, daß er eins war mit dem Vater und daß daher auch er Gott war wie der Vater. Den eindeutigen Gehalt dieses Zeugnisses erweist sowohl die Tatsache, daß Christus von manchen anerkannt und angenommen wurde: „Viele kamen zum Glauben an ihn“ (vgl. z. B. Joh 8,30) —, als auch, und noch mehr, die Tatsache, daß er bei anderen eine radikale Opposition, ja die Anklage der Gotteslästerung fand und die Entschlossenheit, ihn der Strafe zu unterwerfen, die vom Gesetz des Alten Bundes für Gotteslästerung vorgesehen war. 7. Unter den Aussagen Christi zu diesem Thema erscheint besonders bedeutsam der Ausdruck: „Ich bin“. Der Zusammenhang, in dem er gebraucht wird, zeigt, daß Jesus sich hier auf die Antwort beruft, die Gott selbst dem Mose gegeben hat, als dieser ihn nach seinem Namen fragte: „Ich bin der ,Ich-bin-da‘ ... So sollst du zu den Israeliten sagen: Der ,Ich-bin-da‘ hat mich zu euch gesandt“ {Ex 3,14). Christus bedient sich nun des gleichen Ausdrucks „Ich bin“ in sehr bezeichnenden Zusammenhängen. Zum Beispiel in jenem in bezug auf Abraham, von dem wir gesprochen haben: „Noch ehe Abraham wurde, bin ich“. Aber nicht nur dort, sondern z. B. auch an der folgenden Stelle: „Wenn ihr nicht glaubt, daß Ich es bin, werdet ihr in euren Sünden sterben“ {Joh 8,24). Und: „Wenn ihr den Menschensohn erhöht habt, dann werdet ihr erkennen, daß Ich es bin“ {Joh 8,28), und ferner: „Ich sage es euch schon jetzt, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubt: Ich bin es“ {Joh 13,19). Dieses „Ich bin“ findet sich auch an anderen Stellen in den synoptischen Evangelien (z. B. Mt 28,20; Lk 24,39); aber in den oben genannten Aussagen über den Gebrauch des Namens Gottes, wie er im Buch Exodus gegeben ist, 189 AUDIENZEN UNDANGELUS scheint es besonders klar und bestimmt. Christus spricht von seiner österlichen „Erhöhung“ durch das Kreuz und die darauf folgende Auferstehung und sagt: „Dann werdet ihr erkennen, daß Ich es bin.“ Das heißt, dann wird es voll offenbar, daß ich der bin, dem der Name Gottes zusteht. Mit dieser Aussage zeigt Christus also, daß er der wahre Gott ist Noch vor seinem Leiden betet er so zum Vater: „Alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein“ (Joh 17,10) und bestätigt dadurch auf andere Weise: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). Vor Christus, dem menschgewordenen Gott, wollen auch wir uns mit Petrus verbinden und im gleichen Aufschwung des Glaubens wiederholen: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ (Mt 16,16). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Wer ist Jesus von Nazaret? Mit der Antwort auf diese Frage steht oder fällt das Christentum. Denn zum bleibenden Kern unseres Glaubens gehört, daß wir Jesus als wahren Sohn Gottes in einem einzigartigen, einmaligen Sinne bekennen. Hat sich der Herr selbst während seines irdischen Lebens eindeutig als Sohn Gottes bekannt? Gewiß nennt er sich in den Evangelien — wohl aus pädagogischen Gründen — meistens „Menschensohn“. Dieser den Juden geläufige Ausdruck erinnerte sie an den Messias, den sie erwarteten, an einen ganz besonderen Gottesboten und Künder der Heilstaten des Allmächtigen. Als solcher aber war er doch immer nur ein Geschöpf Gottes. Dagegen gibt es in der Heiligen Schrift einige Stellen, in denen Jesus darüber hinausgeht, indem er einen einmaligen Anspruch erhebt. In der Schriftlesung, die diese Audienz eingeleitet hat, spricht er zunächst wohl auch von sich selbst als dem „Menschensohn“. Von diesem aber sagt er dann, daß er „Zur Rechten des allmächtigen Gottes sitzt“. Zur Rechten Gottes sitzen: das macht den Menschensohn gleichrangig mit Gott selbst; das enthält den Anspruch, von Gottes Wesen zu sein. Und die Zuhörer Jesu, die Ältesten des Volkes, die Hohenpriester und Schriftgelehrten, haben diesen Anspruch aus den Worten Jesu richtig herausgehört und verstanden. So folgern sie zu Recht: „Du bist also der Sohn Gottes!“ Und er antwortet ihnen: „Ihr sagt es — ich bin es“ (Lk 22,66-71). Das aber erscheint ihnen wie eine Gotteslästerung, da sie die Einzigartigkeit Gottes mit aller Macht verteidigen wollten. Wer diese Frage stellte durch den Anspruch, Sohn Gottes zu sein, beging für ihre Ohren eine Gotteslästerung, die durch 190 AUDIENZEN UND ANGELUS Steinigung bestraft werden mußte. Eine solche Drohung sprechen sie denn auch an mehreren Stellen der Evangelien gegen Jesus aus. Den Anspruch, wahrhaft Gottes Sohn zu sein, richtet der Herr auch an uns heute. Wie den Petrus und die anderen Apostel fragt er auch uns: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Möge es uns der Geist Gottes schenken, ehrlich und offen bekennen zu können: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ (Mt 16,15 f.). Um diese Glaubensüberzeugung ein ganzes Leben lang laßt uns füreinander beten! Mit diesem Gebetswunsch grüße ich noch einmal alle deutschsprachigen Besucher: die Väter und die Mütter, die Alleinstehenden, die Priester und Ordensleute, vor allem auch die jungen Menschen. Einen besonderen Gruß richte ich an die große Pilgergruppe aus Telfs in Tirol: Ich freue mich über eure ehrliche Bereitschaft, euch intensiv auf unsere Begegnung im nächsten Jahr in eurer Heimat geistig vorzubereiten. Gott segne all eure Bemühungen! Die Laien haben Teil an den apostolischen Aufgaben Angelus am 30. August Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich möchte die heutige Betrachtung dem Beitrag widmen, den die gläubigen Laien dem Leben und den Aufgaben der Ortskirchen zu geben aufgerufen sind. Diesbezüglich gibt es ein sehr bedeutungsvolles Wort in dem Konzilsdokument, das sie betrifft: „Innerhalb der Gemeinschaften der Kirche“ — lesen wir im Dekret über das Apostolat der Laien — „ist ihr Tun so notwendig, daß ohne dieses auch das Apostolat der Hirten meist nicht zu seiner vollen Wirkung kommen kann“ (Apostolicam actuositatem, Nr. 10). Es geht sozusagen um ein unentbehrliches Verlängern des priesterlichen Dienstes. 2. Es ist eine radikale Bekräftigung, deren Reichweite richtig verstanden und in die Praxis umgesetzt werden kann im Licht der „Communio-Ekklesiolo-gie“, die die gesamte Konzilslehre durchzieht. In der Tat wird die Diözese definiert als „der Teil des Gottesvolkes“, der eine „Teilkirche“ (bildet), „in der die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche Christi wahrhaft wirkt und gegenwärtig ist“ (Christus Dominus, Nr. 11). Die Pfarrei ihrerseits ist gleichsam die „Zelle“ der Diözese (Apostolicam actuositatem, Nr. 10). 191 AUDIENZEN UND ANGELUS Hier finden die apostolischen Aufgaben und Ideale der Kirche ihr natürliches Umfeld. Hätten die Laien nicht Teil daran, würde ihre kirchliche Identität verdunkelt. Durch ihre aktive Teilhabe — sei es in institutionalisierter Form, sei es in richtiger „Kreativität“ — wächst in der kirchlichen Gemeinde ein immer reiferes Bewußtsein, Kirche zu sein.. Die Gegenwart der Laien in den Pastoralräten der Diözesen und Pfarreien, das Wachsen der apostolischen Initiativen in den verschiedensten Bereichen — im katechetischen, liturgischen, karitativen, missionarischen und im sozialen Bereich — verzeichnen nach allgemeinem Urteil einen bemerkenswerten Grad in der Verwirklichung jener Pastoral des Miteinanders, die unsere Zeit erfordert. Es bestehen folglich gute Voraussetzungen zur Lösung der weiteren Probleme, die sich aus der Entwicklung der kirchlichen Situation ergeben. 3. Der Beitrag der Laien kann nur spezifischer Natur sein, d. h. begründet in ihrem Wesen. In der Diözese und früher noch in der Pfarrei werden sie dank der Taufe hineingelenkt auf die Vorrechte der christlichen Berufung. Es ist nur natürlich, daß sie empfinden sollten, diesen so großen Reichtumg Frucht tragen zu lassen — vor allem in ihrem eigenen Umfeld. Es ist wiederum das n. Vatikanische Konzil, das betont, daß „die Pfarrei... ein augenscheinliches Beispiel für das gemeinschaftliche Apostolat (bietet); was immer sie in ihrem Raum an menschlicher Unterschiedlichkeit vorfindet, schließt sie zusammen und fügt es dem Ganzen der Kirche ein“ (Apostolicam actuositatem, Nr. 10). Mein Vorgänger Paul VI. hat diese Realität gut zusammengefaßt in der Formulierung, daß die Pfarrei „unsere erste und normale geistliche Familie ist, die sich ergibt aus der lebenstiftenden Kraft eines spezifischen seelsorglichen Dienstes und aus der verbindenden Wirksamkeit desselben Glaubens und derselben Liebe“ (Insegnamenti di Paolo VI, VH, 1969, p. 1203). Die Vollversammlung der Bischofssynode wird sicherlich Gelegenheit haben, diese vitale Thematik zu vertiefen. Für ihre Arbeit, die Anfang Oktober beginnt, erbitten wir den Schutz der hl. Jungfrau. 192 AUDIENZEN UNDANGELUS Jesus Christus ist von Ewigkeit zu Ewigkeit Ansprache bei der Generalaudienz am 2. September 1. In der Katechese am vergangenen Mittwoch haben wir unser Augenmerk besonders auf jene Aussagen Christi gerichtet, in denen er von sich unter Verwendung des Ausdrucks „Ich bin“ spricht. Der Zusammenhang, in dem diese Aussagen vor allem im Johannesevangelium stehen, läßt den Schluß zu, daß Jesus mit dem genannten Ausdruck auf den Namen Bezug nimmt, mit dem der Gott des Alten Bundes sich selbst vor Mose bezeichnet, als er ihm den Auftrag erteilt, zu dem dieser berufen ist: „Ich bin der ,Ich-bin-da,... So sollst du zu den Israeliten sagen: Der ,Ich-bin-da, hat mich zu euch gesandt“ {Ex 3,14). Jesus spricht von sich auf diese Weise zum Beispiel im Verlauf der Diskussion über Abraham: „Noch ehe Abraham wurde, bin ich“ {Joh 8,58). Schon diese Formulierung läßt uns begreifen, daß „der Menschensohn“ hier von seiner Existenz bei Gott vor seinem Kommen in die Welt Zeugnis gibt. Und das ist nicht die einzige Aussage dieser Art. 2. Christus spricht mehr als einmal von dem Geheimnis seiner Person, und die zusammenfassendste Aussage dürfte wohl die sein: „Vom Vater bin ich ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater“ {Joh 16,28). Jesus richtet diese Worte in der Abschiedsrede am Vorabend des Ostergeschehens an die Apostel. Sie weisen mit aller Klarheit daraufhin, daß Christus, ehe er in die Welt „kam“, als Sohn beim Vater „war“. Sie zeigen also sein ewiges Sein bei Gott auf. Jesus gibt klar und deutlich zu verstehen, daß seine irdische Existenz nicht von diesem ewigen Sein bei Gott getrennt werden kann. Ohne dieses Sein bei Gott von Ewigkeit her kann seine Wirklichkeit als Person nicht richtig verstanden werden. 3. Es gibt eine ganze Reihe ähnlicher Aussagen. Wenn Jesus daraufhinweist, daß er vom Vater in die Welt gekommen ist, beziehen sich seine Worte gewöhnlich auf seine Existenz bei Gott von Ewigkeit her. Besonders klar wird das im Johannesevangelium. Jesus sagt vor Pilatus: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege“ {Joh 18,37). Und es ist vielleicht nicht ohne Bedeutung, daß Pilatus ihn später fragt: „Woher stammst du?“ {Joh 19,9). An einer noch früheren Stelle lesen wir: „Mein Zeugnis ist gültig. Denn ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe“ {Joh 8,14). Was jene Frage „woher stammst du?“ betrifft, so 193 AUDIENZEN UND ANGELUS können wir dem nur von Johannes wiedergegebenen Gespräch, das Jesus des Nachts mit Nikodemus führte, eine bedeutsame Erklärung entnehmen: „Niemand ist in den Himmel hinaüfgestiegen außer dem, der vom Himmel herabgestiegen ist: der Menschensohn“ {Joh 3,13). Dieses „Kommen“ vom Himmel, vom Vater, weist darauf hin, daß Christus schon „vorher“ bei Gott „war“, was natürlich auch in bezug auf seinen „Weggang“ aus der Welt verstanden werden muß: „Und was werdet ihr sagen, wenn ihr den Menschen-sohn hinaufsteigen seht, dorthin, wo er vorher war?“ - fragt Jesus nach seiner Rede über das „himmlische Brot“ in der Synagoge von Kafamaum (vgl. Joh 6,62). 4. Die ganze irdische Existenz Jesu als Messias ergibt sich aus jenem „vorher“ und ist mit ihm wie mit einer Grunddimension verknüpft, nach welcher der Sohn „eines Wesens“ mit dem Vater ist. Wie vielsagend sind gerade unter diesem Aspekt die Worte des „Hohenpriesterlichen Gebets“ im Abendmahlssaal: „Ich habe dich auf der Erde verherrlicht und das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast. Vater, verherrliche du mich j etzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war“ {Joh 17,4-5). Auch in den synoptischen Evangelien ist an vielen Stellen vom „Kommen“ des Menschensohnes zur Rettung der Welt die Rede (vgl. z. B. Lk 19,10; Mk 10,45; Mt 20,28). Doch die Texte des Johannes enthalten eine besonders klare Bezugnahme auf die Existenz Christi „vor“ seinem Kommen in die Welt. 5. Die vollständigste Zusammenfassung dieser Wahrheit enthält der Prolog des vierten Evangeliums. Man kann wohl behaupten, daß die Wahrheit über die Existenz des Menschensohnes bei Gott vor seinem Kommen in die Welt in diesem Text eine weiterführende, ja gewissermaßen endgültige erläuternde Darlegung erfährt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott, alles ist durch das Wort geworden. .. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfaßt“ {Joh 1,1-5). In diesen Sätzen bekräftigt der Evangelist das, was Jesus von sich selbst sagte, als er sprach: „Vom Vater bin ich ausgegangen und in die Welt gekommen“ {Joh 16,28), oder als er betete, der Vater möge ihn mit jener Herrlichkeit verherrlichen, die er bei ihm hatte, bevor die Welt war (vgl. Joh 17,5). Zugleich ist das Sein des Sohnes beim Vater aufs engste mit der Offenbarung des Mysteriums von der Dreieinigkeit Gottes verbunden: der Sohn ist das ewige Wort, er ist „Gott von Gott“, eines Wesens mit dem Vater, wie es das Glaubensbekenntnis des Konzils von Nizäa ausdrückt. Diese vom Konzil erarbeitete For- 194 AUDIENZEN UNDANGELUS mulierung hält sich sehr genau an den Prolog des Johannesevangeliums: „Das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ Wenn wir die Existenz Christi beim Vater von Ewigkeit her geltend machen, kommt das einer Anerkennung seiner Göttlichkeit gleich. Zu seinem Wesen gehört wie zum Wesen des Vaters die Ewigkeit. Das wird mit der Bezugnahme auf die ewige Existenz beim Vater vor aller Zeit angesprochen. 6. Der Prolog des Johannes stellt durch die darin enthaltene Wahrheit über das Wort gleichsam die endgültige Vervollständigung dessen dar, was schon das Alte Testament über die Weisheit gesagt hatte. Rufen wir uns zum Beispiel folgende Stellen in Erinnerung: „Vor der Zeit, am Anfang, hat er mich erschaffen, und bis in Ewigkeit vergehe ich nicht“ (Sir 24,9); „Der Schöpfer ließ mein Zelt zur Ruhe kommen und sprach: In Jakob sollst du wohnen“ (Sir 24,7-8). Die Weisheit, von der das Alte Testament spricht, ist ein Geschöpf, gleichzeitig aber hat sie Eigenschaften, die sie über die gesamte Schöpfung erheben: „Sie ist nur eine und vermag doch alles; ohne sich zu ändern, erneuert sie alles“ (Weish 7,27). Die im Prolog des Johannes enthaltene Wahrheit über das Wort bestätigt gewissermaßen noch einmal die im Alten Testament vorliegende Offenbarung über die Weisheit und geht zugleich entscheidend über sie hinaus: das Wort ist nicht nur „bei Gott“, sondern es „ist Gott“. Als das Wort in der Person Jesu Christi in diese Welt kam, „kam es in sein Eigentum“, denn „die Welt ist durch das Wort geworden“ (vgl. Joh 1,10-11). Es kam „zu den Seinen“, weil es „das wahre Licht war, das jeden Menschen erleuchtet“ (vgl. Joh 1,9). Die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus besteht in diesem „Kommen“ des Wortes, das der ewige Sohn ist, in die Welt. 7. „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater voll Gnade und Wahrheit“ {Joh 1,14). Noch einmal sei es gesagt: der Prolog des Johannesevangeliums ist der ewige Widerhall der Worte Jesu, als er verkündete: „Vom Vater bin ich ausgegangen und in die Welt gekommen“ {Joh 16,28) , wie auch jener Worte seines Gebets, der Vater möge ihn mit der Herrlichkeit verherrlichen, die er bei ihm hatte, ehe die Welt war (vgl. Joh 17,5). Der Evangelist hat die alttestamentliche Offenbarung über die Weisheit ebenso vor Augen wie das gesamte Ostergeschehen: den „Weggang“ des Herrn durch Kreuz und Auferstehung, in dem allen, die Augenzeugen dieses Geschehens gewesen waren, die Wahrheit über Christus, Menschensohn und wahren Gott, vollständig Mar geworden ist. 195 AUDIENZEN XJNDANGELUS 8. In engem Zusammenhang mit der Offenbarung des Wortes, also mit dem Sein Christi bei Gott vor seiner Menschwerdung, findet auch die Wahrheit über den „Immanuel“ ihre Bestätigung. Diese Bezeichnung - wörtlich übersetzt heißt Immanuel „Gott mit uns“ - drückt ein besonderes und personhaftes Gegenwärtigsein Gottes in der Welt aus. Jene von Christus in seiner Selbstoffenbarung gebrauchte Formulierung „Ich bin“ bekundet eben dieses von Jesaja (vgl. Jes 7,14) prophezeite, in Nachahmung des Propheten im Matthäusevangelium (vgl. Mt 1,23) verkündete und im Prolog des Johannes bestätigte Gegenwärtigsein Gottes unter den Menschen: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). Die sprachliche Ausdrucksweise der Evangelisten ist vielfältig, aber die Wahrheit, die sie ausdrücken, ist ein und dieselbe. In den synoptischen Evangelien verkündet Jesus sein „ich bin bei euch“ besonders in schwierigen Augenblicken und Situationen, wie zum Beispiel beim Sturm auf dem See (Mt 14,27; Mk 6,50; Joh 6,20) oder auch im Hinblick auf die apostolische Sendung der Kirche: „Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage, bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,29). 9. Das Wort Christi: , ,Vom Vater bin ich ausgegangen und in die Welt gekommen“ (Joh 16,28) enthält eine Heilsbedeutung. Alle Evangelisten bestätigen das. Der Prolog des Johannes faßt es in die Worte: „Allen aber, die ihn (- das Wort) aufhahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden“, das heißt also die Möglichkeit, „aus Gott geboren zu werden“ (vgl. Joh 1,12-13). Das ist die Kemwahrheit der ganzen christlichen Heils- und Erlösungslehre, die mit der geoffenbarten Wirklichkeit vom menschgewordenen Gottessohn organisch zusammenhängt. Gott ist Mensch geworden, damit der Mensch wahrhaftig am Leben Gottes teilhaben, ja gewissermaßen selbst Gott werden kann. Schon den frühen Kirchenvätern war das sehr genau bewußt. Man denke nur an den hl. Irenäus, der zur Nachfolge Christi, des einzigen wahren und sicheren Lehrmeisters, mit den Worten aufforderte: „Aufgrund seiner unermeßlichen Liebe ist er zu dem geworden, was wir sind, um uns die Möglichkeit zu geben, das zu sein, was er ist“ (vgl. Adversus haereses, V. Praef.: PG 7,1120). Diese Wahrheit eröffnet uns unbegrenzte Horizonte für den konkreten Ausdruck unseres christlichen Lebens im Lichte des Glaubens an Christus, Sohn Gottes und Wort des Vaters. 196 AUDIENZEN UND ANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst:: Liebe Brüder und Schwestern! Wenn wir über Jesus von Nazaret sprechen und dabei seine Worte und Taten uns lebendig vor Augen treten, sind wir uns ganz gewiß, daß er ein wirklicher Mensch war, Kind einer Menschenmutter und so letztlich auch Bruder von uns allen, die wir fast 2000 Jahre nach ihm leben. Das ist aber nur eine Dimension seiner Person. Eine zweite, noch wichtigere Dimension wird von Jesus selbst in den Evangelien immer wieder angesprochen: Seine Existenz als Person beginnt nicht erst mit seiner Menschengeburt, sondern währt von Ewigkeit her, weil er „aus Gott“ ist und an Gottes Wesen teilhat. Im Johannesevangelium ist diese Selbstoffenbarung des innersten Wesens Jesu besonders deutlich formuliert: Dort sagt er einmal in sehr dichter Weise: „Vom Vater bin ich ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater“ {Joh 16,28). Derselbe Jesus, den wir als wahren Menschen und unseren Bruder verehren, ist in seiner einen und selben Person so ewig wie Gott, so göttlich wie Gott: Er selbst ist Gott, Sohn des göttlichen Vaters und dessen endgültiges Wort an unsere Welt. Diese Kernwahrheit unseres Glaubens stellt Johannes sogar an den Anfang seines ganzen Evangeliums. Ihr kennt die ersten Worte jenes berühmten Prologs; wir haben sie zu Beginn dieser Audienz ja bereits gehört. Johannes schreibt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott“ {Joh 1,1). Dieses ewige Wort Gottes ist in Jesus Christus Mensch geworden und mit allen Konsequenzen in die Bedingungen von Raum und Zeit eingetreten. So ist er unser „Immanuel“ geworden, das heißt übersetzt „Gottmituns“, wie ihn das Alte Testament seit langem angekündigt hatte. Er ist eine Brücke zwischen Gott und der Schöpfung, ein wahrer Mittler zwischen der unendlichen Heiligkeit des Schöpfers und dieser von Schuld und Sünde geprägten Erde: Er ist unser Herr und Erlöser. Wer sich im Glauben ganz auf ihn einstellt, seine Maßstäbe für das eigene Leben übernimmt, darf sich auf dem rechten Weg wissen; ein solcher wird das gottgewollte Ziel seines Lebens als Mensch und Person finden. Wir wollen füreinander beten, daß uns allen diese entscheidende Lebensaufgabe mit der Gnade Gottes gelingt. Mit dieser kurzen Erinnerung an den Kern unseres christlichen Glaubens grüße ich alle Besucher aus deutschsprachigen Ländern und Gegenden; j edem einzelnen von euch gelten meine Aufmerksamkeit und meine besten Wünsche. Be- 197 AUDIENZEN UND ANGELUS sonders der Gruppe von Missionaren von der Heiligen Familie wünsche ich einen guten Erfolg für ihre Arbeit an der reichen Missionsgeschichte ihrer Kongregation. Mein herzlicher Glückwunsch gilt dann den anwesenden Franziskanerinnen von Salzkotten, die ihr vierzigjähriges Ordensjubiläum auf den Spuren ihrer Gründerin hier in Rom und des heiligen Franziskus in Assisi begehen möchten. Unser aller Dank darf ich dann den Kirchenchören aus der Diözese Würzburg bekunden für das Geschenk ihres Gesanges, an dem wir uns erfreuen konnten. Allen Pilgern dieser Di özesanwall fahrt wünsche ich einen fruchtbaren Aufenthalt in Rom und eine sichere Heimkehr zu ihren Familien. Auch aus Österreich sind einige größere Gruppen unter uns : Ich nenne besonders die Pilgerfahrt der Katholischen Männerbewegung der Steiermark und die Jubiläumswallfahrt der Pfarrei St. Christoph in Wien. Mögen diese Tage an den heiligen Stätten euren Glauben stärken und eure Liebe zur Kirche Christi vertiefen! Einen besonderen Glückwunsch richte ich schließlich an die Jungen und Mädchen aus Südtirol, die einen Schülerwettbewerb des Südtiroler Landtages gewonnen haben und auf ihrer Romfahrt zusammen mit dem Präsidium des Landtages an dieser Audienz teilnehmen wollten. Bevor ich euch nun verlasse und zu den Besuchergruppen anderer Länder und Sprachen in die Audienzhalle hinübergehe, möchte ich euch alle meines Gebetes versichern und euch mit meinem Segen dem mächtigen Schutz Gottes, unseres barmherzigen Vaters, anempfehlen. Maria, Mutter der Gläubigen Angelus in Castel Gandolfo am 6. September 1. Während meines Pastoralbesuches in einigen Diözesen der Vereinigten Staaten, den ich am nächsten Donnerstag beginne und den ich euren Gebeten empfehlen möchte, findet in Kevelaer, in Deutschland, der Internationale Mariologische und Marianische Kongreß statt über das Thema: „Maria, Mutter der Gläubigen“. Indem sie im Glauben ihre persönliche Mission als Mutter Christi, des Göttlichen Wortes und Menschensohns, angenommen hat, ist Maria zum Vorbild für jeden Christen geworden, den sie auf den Wegen in dieser Welt begleitet: So lädt uns das Thema des Kongresses ein, über die Heilsrolle Mariens innerhalb der Heilssendung der Kirche in der Welt tiefer nachzudenken und daraus Früchte für das tägliche Leben in unserer Zeit zu ziehen. 198 AUDIENZEN UNDANGELUS Deshalb bitte ich euch, mit mir zu beten, damit die Anliegen und die Arbeiten des kommenden Kongresses von Kevelaer unter dem Schutz unserer himmlischen Mutter den Segen und die Hilfe des Heiligen Geistes erhalten zum Wohl der gesamten Kirche und der ganzen Welt. 2. Die Gedanken gehen auch zum Marienheiligtum, das nach Maria, Trösterin der Betrübten, benannt ist und bei dem der Kongreß stattfindet. Vor ungefähr 350 Jahren hatte ein Händler, bekanntlich den inneren Antrieb, neben einem bereits vorhandenen Kreuz an der Straße von Kevelaer einen Bildstock für die Gottesmutter mit dem Jesuskind aufzustellen. Zu diesem Zweck bediente er sich einer einfachen Ansichtskarte mit der Reproduktion der Gnadenmutter von Luxemburg, die ihm lieb geworden war. Deshalb sind sie hier beisammen, das Kreuz Jesu und die heilige Gottesmutter: Seit damals pilgern die Gläubigen ununterbrochen zu ihr und bringen alle Nöte und Sorgen des persönlichen, familiären und gesellschaftlichen Bereiches mit sich: „Sancta Maria, consolatrix afflictorum, ora pro nobis“ — hl. Maria, Trösterin der Betrübten, bitte für uns! Diesen so zahlreichen Pilgern aus dem Rheinland und Westfalen wie auch aus dem nahen Holland und sogar aus Belgien wollte ich mich ebenfalls anschließen, als ich im Mai dieses Jahres Kevelaer besuchte und dem mütterlichen Schutz Mariens die ganze Kirche in den einzelnen Gliedern des Gottesvolkes anvertraute: die Familie, die Jugend, die Arbeiter und besonders die Einsamen und Verlassenen, die Kranken und Alten. Auch jetzt vertraue ich Maria die Kirche und den Pastoraldienst an, zu dem ich mit der Pilgerfahrt in die Vereinigten Staaten aufbreche. Die heilige Jungfrau stehe mir bei und lenke meine Schritte inmitten ihrer Söhne und Töchter jenseits des Ozeans, zu denen ich im Namen Christi gehe. In deutscher Sprache sagte der Papst: Auch die deutschsprachigen Besucher grüße ich herzlich beim heutigen Angelus-Gebet. Ich wünsche euch erholsame Ferientage, an denen ihr euch geistig und religiös bereichert. Eine wertvolle Hilfe dafür ist das tägliche Gebet, das Atemholen der Seele. Laßt euch dabei anregen von der seligen Jungfrau Maria und ihrer Glaubenstreue. 199 AUDIENZEN UNDANGELUS Jesus ist das Leben Ansprache bei der Generalaudienz am 9. September 1. Der Katechesezyklus über Jesus Christus hat die geoffenbarte Wirklichkeit des Gottmenschen zum Mittelpunkt. Jesus Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch. Das ist die Wirklichkeit, die in der Wahrheit der unzerstörbaren Einheit der Person Christi konsequent zum Ausdruck kommt. Diese Wahrheit können wir nicht bruchstückhaft behandeln und noch weniger einen Aspekt vom andern trennen. Aufgrund des analytischen und fortschreitenden Charakters der menschlichen Erkenntnis und zum Teil auch aufgrund der Weise, diese Wahrheit darzustellen, die wir in der Quelle der Offenbarung selbst, vor allem der Heiligen Schrift, finden, müssen wir hier trotzdem an erster Stelle das aufzuzeigen versuchen, was die Gottheit beweist und damit auch das, was die Menschheit des einen Christus beweist. 2. Jesus Christus ist wahrer Gott. Er ist Gott Sohn, eines Wesens mit dem Vater (und dem Heiligen Geist). In dem Ausdruck „Ich bin“, den Jesus Christus in bezug auf die eigene Person anwendet, finden wir einen Widerhall des Namens, mit dem Gott sich selbst offenbarte, als er zu Mose sprach (vgl. Ex 3.14) . Weil Christus auf sich selbst das gleiche „Ich bin“ (vgl. Joh 13,19) anwendet, ist zu bedenken, daß dieser Name Gott nicht nur als den Absoluten (die Existenz des Seins in sich um seiner selbst willen) bezeichnet, sondern als denjenigen1, der mit Abraham ünd seinen Nachkommen einen Bund geschlossen hat und der Kraft dieses Bundes Mose sendet, Israel, d. h. die Nachkommen Abrahams, aus der Fronknechtschaft Ägyptens zu befreien. Deshalb hat das „Ich bin“ auch eine soteriologische Bedeutung an sich, es spricht vom Gott des Bundes, der mit dem Menschen (wie mit Israel) ist, um ihn zu retten. Indirekt spricht es vom Immanuel, dem „Gott mit uns“ (vgl. Jes 7.14) . 3. Das „Ich bin“ von Christus (vor allem im Johannesevangeliüm) ist in derselben Weise zu verstehen. Zweifellos weist es auf die göttliche Präexistenz des Sohnes, des Wortes, hin (darüber wurde in der vorausgegangenen Katechese gesprochen), aber gleichzeitig ruft es die Vorhersage Jesajas über den Immanuel, den „Gott mit uns“, in Erinnerung. „Ich bin“ bedeutet deshalb — sowohl im Johannesevangelium wie in den synoptischen Evangelien — auch „Ich bin bei euch“ (vgl. Mt 28,20). „Vom Vater bin ich ausgegangen und in die Welt gekommen“ {Joh 16,28), ... „um zu suchen und zu retten, was verloren 200 AUDIENZEN UND ANGELUS ist“ (Lk 19,10). Die Wahrheit vom Heil (die Soteriologie), die bereits im Alten Testament in der Offenbarung des Namens Gottes vorhanden ist, wird bestätigt und findet ihren tiefsten Ausdruck durch die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus. Eben in diesem Sinn ist der Menschensohn wahrer Gott: Sohn, eines Wesens mit dem Vater, der „bei uns“ sein wollte, um uns zu erlösen. 4. Diese einleitenden Überlegungen müssen wir uns immer vor Augen halten, wenn wir aus dem Evangelium all das herauszuholen versuchen, was die Gottheit Christi offenbart. Hier einige wichtige Abschnitte dazu aus den Evangelien, vor allem das letzte Gespräch des Meisters mit den Aposteln am Vorabend seines Leidens, wenn er vom „Haus des Vaters“ spricht, in dem er für sie einen Platz vorbereiten geht (vgl. Joh 14,1-3). Als Thomas ihn nach dem Weg fragt, antwortet Jesus: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Jesus ist der Weg, weil niemand zum Vater kommt außer durch ihn (vgl. Joh 14,6). Ja sogar: wer ihn sieht, sieht den Vater (vgl. Joh 14,9). „Glaubst du nicht, daß ich im Vater bin und daß der Vater in mir ist?“ {Joh 14,10). Es ist leicht festzustellen, daß in diesem Zusammenhang das „Sich Wahrheit und Leben nennen“ das gleiche bedeutet, wie die Attribute des göttlichen Seins: Wahrheit-Sein, Leben-Sein, auf sich zu beziehen. Am Tag darauf wird Jesus zu Pilatus sagen: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege“ (Joh 18,37). Zeugnis für die Wahrheit kann vom Menschen gegeben werden, aber „die Wahrheit sein“ ist ein ausschließlich göttliches Attribut. Wenn Jesus als wahrer Mensch Zeugnis für die Wahrheit gibt, so entspringt diese Zeugenschaft der Tatsache, daß er selbst „die Wahrheit“ in der bestehenden Wahrheit Gottes ist: „Ich bin ... die Wahrheit.“ Deshalb kann er auch sagen, daß er „das Licht der Welt“ ist, so daß der, der „ihm nachfolgt, nicht in der Finsternis umhergehen, sondern das ewige Leben haben wird“ (vgl. Joh 8,12). 5. Das gilt in gleicher Weise auch für das andere Wort Jesu: „Ich bin ... das Leben“ {Joh 14,6). Der Mensch, der ein Geschöpf ist, kann das Leben „haben“, er kann es auch „hingeben“, wie Christus sein Leben für das Heil der Welt hingibt (vgl. Mk 10,45 und par.). Wenn Jesus davon spricht, „das Leben hinzugeben“, drückt er sich wie ein wahrer Mensch aus. Aber er „ist das Leben“, weil er wahrer Gott ist. Das bekräftigt er selbst vor der Auferweckung des Lazarus, als er zu Martha, der Schwester des Verstorbenen, sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ {Joh 11,25). In der Auferstehung wird er endgültig bestätigen, daß das Leben, das er als Menschensohn hat, dem Tod 201 AUDIENZEN UNDANGELUS nicht unterliegt. Denn er ist das Leben und ist deshalb Gott. Weil er das Leben ist, kann er es auch den anderen mitteilen: „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“ (Joh 11,25). Christus kann auch - in der Eucharistie - zum „Brot des Lebens“ (vgl. Joh 6,35.48), „das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist“ (Joh 6,51), werden. Auch in diesem Sinn vergleicht sich Christus mit dem Weinstock, der die ihm aufgepropften Reben belebt (vgl. Joh 15,1), d. h. all jene, die zum mystischen Leib gehören. 6. Diesen so transparenten Worten im Hinblick auf das im „Menschensohn“ verborgene Geheimnis der Gottheit können wir noch einige weitere hinzufügen, wo derselbe Begriff in Bilder gekleidet ist, die bereits dem Alten Testament und besonders den Propheten zugehören und die Jesus auf sich selbst bezieht. Dies ist z. B. der Fall beim Bild des Hirten. Das Gleichnis vom guten Hirten ist wohlbekannt, wo Jesus von sich und seiner Heilssendung spricht: „Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe“ {Joh 10,11). Im Buch Ezechiel lesen wir: „Denn so spricht Gott, der Herr: Jetzt will ich meine Schafe selber suchen und mich selber um sie kümmern... Ich werde meine Schafe auf die Weide führen ... Die verlorengegangenen Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden, die schwachen kräftigen... Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist“ (Ez 34,11.15-16). „Ihr seid meine Schafe, ihr seid die Herde meiner Weide. Ich bin euer Gott“ (Ez 34,31). Ein ähnliches Bild finden wir auch bei Jeremias (vgl. Jer 23,3). 7. Der Gott des Alten Bundes hat in den Aussagen der Propheten auch oft sich selbst als Bräutigam Israels, seines Volkes, vorgestellt. “Denn dein Schöpfer ist dein Gemahl, ,Herr der Heere1 ist sein Name. Der Heilige Israels ist dein Erlöser“ (Jes 54,5; vgl. auch Hos 2,21-22). Auf dieses Gleichnis bezieht sich Jesus mehrere Male in seiner Lehre (vgl. Mk 2,19-20 und par.; Mt 25,1-12; Lk 12,36; auch Joh 3,27-29). Es wird später vom hl. Paulus weiterentwickelt, der in seinen Briefen Christus als Bräutigam der Kirche vorstellt (vgl. Eph 5,25-29). 8. Alle diese und ähnliche andere von Jesus in seiner Lehre verwandte Ausdrücke erhalten ihre ganze Bedeutung, wenn wir sie im Zusammenhang mit dem, was er tat und sagte, betrachten. Sie bilden „thematische Einheiten“, die im Zyklus der vorliegenden Katechesen über Jesus Christus ständig mit dem Gesamt der Betrachtungen über den Gott-Menschen verknüpft bleiben müssen. Christus: wahrer Gott und wahrer Mensch. „Ich bin da“ als Name Gottes 202 AUDIENZEN UND ANGELUS bezeichnet das göttliche Wesen, dessen Eigenschaften oder Attribute sind: die Wahrheit, das Licht, das Leben und auch das, was sich in den Bildern des guten Hirten und des Bräutigams ausdrückt. Der von sich seihst sagte: „Ich bin der Ich-bin-da“ (Ez 3,14), gab sich auch als der Gott des Bundes zu erkennen, als der Schöpfer und zugleich der Erlöser, als der Immanuel: Gott, der rettet. All dies bewahrheitet und verwirklicht sich in der Menschwerdung Jesu Christi. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Jesus von Nazaret hat sich nach Auskunft der Evangelien auf unterschiedliche Weise seinen Zuhörern als eine Person kundgetan, die Anteil hat an Gottes eigenem göttlichem Wesen. Eine dieser Weisen war sehr diskret, für den hellhörigen Menschen aber durchaus deutlich: Mehrmals wendet Jesus Namen und Eigenschaften auf sich selbst an, die im Alten Testament und so im Verständnis der gläubigen Juden bisher nur von Gott selbst galten. Im Johannesevangelium vergleicht sich Jesus einmal mit Abraham und spricht die tiefen Worte: „Noch ehe Abraham wurde, bin ich. Da hoben sie Steine auf, um auf ihn zu werfen“ (Joh 8,58).'Seine Zuhörer hatten nämlich richtig verstanden, daß Jesus mit diesem absoluten „Ich bin“ auf den berühmten Gottesnamen anspielte, der dem Mose offenbart worden war. Gott hatte zu Mose gesagt: Ich bin der „Ich-bin-da“ (Ex 3,14) - ich bin immer gegenwärtig - ich bin vor und nach aller Zeit - zugleich aber bin ich euch hilfreich und rettend zugegen - ich bin ewig, und ich bin da für euch. Diesen Gottesnamen beansprucht Jesus nun für sich selbst, wenn er sagt: „Noch ehe Abraham wurde, bin ich.“ Mit solchen Worten deutet der Herr an, daß in ihm, dem Menschen, das Wesen Gottes selbst verborgen ist. Derselbe Anspruch wird deutlich, wenn Jesus von sich sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Ein bloßer Mensch könnte wohl sagen: Ich zeige den Weg; ich vermittle Wahrheit; ich schenke Leben, aber niemals: Ich bin der Weg, ich bin die Wahrheit, ich bin das.Leben. So sprechen kann nur, wer sich selbst wesentlich und von Natur aus mit Gott verbunden weiß, wer also auch selbst göttlicher Natur ist. Dasselbe gilt, wenn Jesus sich „das Licht der Welt“ nennt (Joh 8,12), wenn er sich selbst als „Hirt“ bezeichnet, nachdem die Propheten in berühmten Bildern Gott selbst als den Hirten seines Volkes Israel beschrieben hatten. Ebenso bekamt war das Bild des „Bräutigams“ für Gottvater, der seine Liebe der „Braut“, dem Volk Israel, entgegenbringt. Und auch dieses Bild wendet Jesus 203 AUDIENZEN UNDANGELUS auf sich selbst an; Paulus führt es dann weiter, indem er Christus den Bräutigam der Kirche nennt. So führt uns der Herr diskret, aber eindringlich an das tiefste Geheimnis seiner Person heran: Er ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Ich bete für euch alle, daß diese wesentliche Wahrheit unseres Glaubens stets euer Leben präge und in euch Freude und Hoffnung wecke. Gott segne die Wege eures Lebens! Dies sei mein Segenswunsch an euch alle, die Väter und Mütter, die Alleinstehenden, die Künder und Jugendlichen, die Priester und Ordensleute. Möge der Aufenthalt in Rom und beim Vatikan die Liebe und Treue zur Kirche Christi in euch vertiefen. Seid euch stets dessen gewiß: Der Nachfolger des Apostels Petrus, der Papst, geht mit euch denselben Pilgerweg des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Die Mutter Christi und Mutter der Kirche schenke uns ihre Fürbitte, damit wir alle dabei das Ziel unseres Lebens in Gott erreichen. . Die Evangelisierung erfordert eine immer reifere Inkulturation Ansprache bei der Generalaudienz am 23. September 1. Laßt uns danken dem Herrn, unserm Gott. Heute möchte ich zusammen mit dem Episkopat und der Kirche in den USA Gott, unserm Herrn, Dank sagen für den Dienst, den ich im Laufe der zweiten Pilgerreise in diesem Land erfüllen konnte. Indem ich: Gott, danke, danke ich gleichzeitig den Menschen, die in verschiedener Weise zum Gelingen dieses besonderen Ereignisses beigetragen haben. An erster Stelle danke ich meinen Brüdern im Bischofsamt und dann allen Mitarbeitern, dem Klerus und den Laien. Ein besonderes Dankeswort richte ich an den Präsidenten der Vereinigten Staaten, Ronald Reagan, an seine Gemahlin und an alle Vertreter der föderalen Obrigkeiten und jene der einzelnen Bundesstaaten für die so fürsorgliche und diskrete Zusammenarbeit. Ich danke den Organen der sozialen Kommunikation und denen des Sicherheitsdienstes. Außerdem danke ich Vizepräsident George Bush für sein Grußwort bei meinem Abflug von Detroit.. 2. Das Ereignis eines solchen Besuches verdient eine aufmerksame Analyse von verschiedenen Blickwinkeln aus. Im Rahmen einer kurzen Ansprache können nur die Hauptteile dieser päpstlichen Pilgerfahrt in den weiten Raum der Vereinigten Staaten angedeutet werden. Der voraufgegangene Besuch von 204 AUDIENZEN UND ANGELUS 1979 galt den nordöstlichen und zentralen Landesteilen. Diesmal führte der Weg vor allem durch die Regionen des amerikanischen Südens und Westens. Stationen waren nacheinander: Miami (Florida), Columbia (South-Caroli-na), New Orleans (Louisiana), San Antonio (Texas) —, Phoenix (Arizona), und dann der Pazifikküste entlang: Los Angeles, Monterey, San Francisco (Kalifornien), schließlich im Nordwesten der Aufenthalt in Detroit (Michigan). Überall stand im Mittelpunkt des Besuches die Eucharistiefeier: die heilige Messe bildete die Hauptbegegnung mit der Ortskirche (ausgenommen in Columbia, wo die Begegnung den Charakter des ökumenischen Gebetstreffens hatte). Hervorzuheben ist die hervorragende liturgische Vorbereitung, die sich besonders in der Perfektion der Gesänge und der reifen Teilnahmen der Gemeinde zeigte. 3. Ein Blick auf den Besuch insgesamt veranlaßt mich, die Aufmerksamkeit auf den vielfältigen Pluralismus zu lenken, der während dieser Reise deutlich geworden ist. Vor allem der ethnische Pluralismus. Der Südwesten der Vereinigten Staaten ist besonders mit der hispanischen Welt verknüpft. Von den Ländern des lateinamerikanischen Kontinentes aus ist die Erstevangelisierung ausgegangen, die bis zum heutigen Tag Spuren hinterlassen hat in den Namen der Hauptstädte und kirchlichen Zentren (z. B. San Antonio, Los Angeles, San Francisco u. a.). Heute tritt diese ethnische Präsenz mit neuer Kraft zutage, indem sie zugleich auch Zeichen der Frömmigkeit und Verehrung, die für Lateinamerika typisch sind, in den Vordergrund rückt. Das französische Erbe zeigt sich hauptsächlich in New Orleans und im gesamten Staate Louisiana. 4. Wenn man von ethnischen Elementen spricht, kann man unmöglich die Ureinwohner von Amerika (die amerikanischen Eingeborenen, die Indianer) vergessen. Unmöglich ist es auch, die Schwarzen außer acht zu lassen, die einst als Sklaven aus Afrika hierhergebracht worden waren. Heute stellen sie eine bemerkenswerte ethnische Gruppe im „Mosaik“ der amerikanischen Gesellschaft dar. Im Rahmen dieses Besuches hatte ich Gelegenheit, mich getrennt mit den einzelnen genannten Gruppen zu treffen. An der Westküste fallen besonders die Gruppen asiatischer Herkunft auf. Ihre Präsenz in der Kirche und in der Liturgie ist inzwischen deutlich sichtbar. Im Osten des Landes herrschen dagegen die Nachkommen der Völkerauswanderungen vor und unter ihnen die Söhne und Töchter der so zahlreichen polnischen Auswanderer, denen ich in Detroit begegnen konnte. 205 AUDIENZEN UNDANGELUS 5. Innerhalb des ethnischen Pluralismus der Vereinigten Staaten entfaltet sich seit Generationen der konfessionelle (religiöse) Pluralismus. Die katholische Kirche zählt ca. 23 Prozent der amerikanischen Gesamtbevölkerung von mehr als 50 Millionen. Neben ihr setzt sich die Gesamtzahl der Christen in den Vereinigten Staaten aus den anderen zahlreichen christlichen Kirchen und Gemeinschaften zusammen. Der ökumenische Dialog und die Zusammenarbeit werden sehr gepflegt, ausgenommen die mit einigen extremistischen Gemeinschaften und mit den Sekten. Eine Kundgebung des Geistes, der diese Zusammenarbeit belebt, war das Treffen und das gemeinsame Gebet in Columbia, während dem ich eine Predigt gehalten habe, die der christlichen Familie gewidmet war. 6. Lebendige Kontakte werden auch gepflegt mit den nichtchristlichen Religionen Asiens, dem Buddhismus und Hinduismus, vor allem in Los Angeles und in San Francisco. Dort fand auch die Begegnung mit den Vertretern dieser Religionen sowie mit denen des Islams und des Judentums statt. Die jüdische Gemeinde in den Vereinigten Staaten zählt sehr viele Mitglieder und ist sehr einflußreich. Als eines der wichtigsten Ereignisse des Besuches ist das Treffen zu nennen, das programmgemäß zu Beginn der Pilgerfahrt in Miami stattgefunden hat und einen neuen, bedeutenden Fortschritt im Dialog zwischen der Kirche und dem Judentum darstellt, gemäß dem Geist der Konzilserklärung Nostra aetate. 7. Zum Ausdruck bringen möchte ich Worte der besonderen Anerkennung für die Weise, in der die Kirche und besonders ihre Oberhirten in den Vereinigten Staaten diesen Besuch aufgenommen haben. Er beschränkte sich nicht nur auf eine liturgische Begegnung während der heiligen Messe — die jedoch immer offensichtlich einen zentralen Ehrenplatz einnahm —, sondern gliederte sich in Begegnungen, die man Arbeitstreffen nennen könnte und die sichtbar machten, wie die Kirche in Amerika ihre Aktivität in den verschiedenen Sektoren der Mission etitfaltet, die ihr aufgetragen ist. An erster Stelle ist hier das Treffen mit der Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten zu nennen, das Gelegenheit bot, die heiklen Probleme der Lehre und der Seelsorge aufzugreifen, die sich im Leben der Kirche in dieser so großen und vielfältigen Gesellschaft stellen, die die Vereinigten Staaten bilden. 8. Ähnliches ist von den Treffen zu sagen, die in demselben Geist geplant waren und stattfanden, den Treffen mit den Priestern und mit den Ordensmän-nem und -frauen wie auch mit den Laien. Dann die „Arbeits“-Treffen mit den Vertretern der Erziehungseinrichtungen und der Schulen (von den Elementar- 206 AUDIENZEN UNDANGELUS schulen bis zu den Universitäten), mit den Vertretern der karitativen Einrichtungen, unter denen besonders das in den Vereinigten Staaten besonders stark entwickelte Netz der katholischen Krankenhäuser herausragt: Daraus ergab sich ein Gesamtbild der Arbeit und der Ergebnisse, die der amerikanische Katholizismus im Laufe der beinahe zweihundertjährigen Tätigkeit der Kirche erzielen konnte. In fünf Jahren, 1992, wird das 200. Gründungsjahr der katholischen Hierarchie in den Vereinigten Staaten gefeiert werden. Ich möchte noch an das Treffen mit der Jugend und an jenes mit der Medien-und Filmwelt in Hollywood erinnern. 9. Der Besuch hat in diesem Jahr, 1987, stattgefunden, während die Vereinigten Staaten die Zweihundertjahrfeier der Proklamierung der Verfassung begehen. Sie ist von grundlegender Bedeutung nicht nur für die Entwicklung der Gesellschaft und der amerikanischen Staaten, der Wirtschaft und der Kultur, sondern auch für die Entwicklung der Kirche in diesem riesigen Land. Einer der Grundsätze, die in der Verfassungscharta bekräftigt werden, ist die Religionsfreiheit, dank derer — in Form von Trennung zwischen Kirche und Staat — sich das kirchliche Leben in den verschiedenen Bereichen in zunehmender Weise entfaltet hat. 10. Diese Tatsache hat ihren angemessenen Widerschein im Kontext des jüngsten Besuches gefunden, der unter anderem eine tiefe Bindung des US-amerikanischen Katholizismus mit der Weltkirche durch die echte Einheit mit ihrem apostolischen Zentrum, der Kirche von Rom, gezeigt hat. Der Bischof von Rom dankt der gesamten amerikanischen Gesellschaft und insbesondere der Kirche, die auf j enem Kontinent lebt, für die herzliche Gastfreundschaft! Und er wünscht ihr zugleich eine fruchtbringende Evangelisierung, die den Bedürfnissen der Gesellschaft von heute entspricht und gekennzeichnet ist durch hohe Errungenschaften im Bereich der materiellen Kultur, der Zivilisation und besonders im Bereich der Organisation, der Wissenschaft und der Technik. Man kann sagen, in diesem Zusammenhang, die Evangelisierung erfordere eine immer reifere „Inkulturation“. 11. Gleichzeitig ist es nicht möglich, das Gleichnis aus dem Evangelium zu vergessen, das uns die Gestalt des reichen Prassers und des armen Lazarus vor Augen führt. Die Kirche und das Christentum in Amerika müssen sich der Herausforderung tief bewußt sein, vor die sie die Welt heute stellt durch die Spaltung in einen reichen Norden (die Länder in voller Entwicklung) und einen unterentwickelten Süden (die sogenannte Dritte Welt). 207 AUDIENZEN UND ANGELUS Im Namen des Evangeliums müssen die Kirche und das Christentum dieser Herausforderung ständig ihre Stimme verleihen. Und gemeinsam muß nach entsprechenden Lösungen gesucht werden. Die Weltkirche, die Menschen und Völker des ganzen Erdballs vereint, will mit neuer Kraft diesen Dienst in Angriff nehmen. 12. Am Schluß der Amerikareise hatte ich Gelegenheit, den Besuch in Fort Simpson abzustatten, wohin ich aufgrund der schlechten Wetterverhältnisse vor drei Jahren im Lauf meines Kanadaaufenthaltes nicht gelangen konnte. Diesmal war es mir möglich, mit den Gemeinden der Indianer, der Inüit und der Metis, zusammenzutreffen, die im Norden Kanadas ansässig sind. Ich empfehle dem Heiligen Geist diese Ureinwohner des nordamerikanischen Kontinentes, die diesem Besuch eine so große Bedeutung beigemessen haben. Die göttliche Vorsehung gewähre ihnen ein Leben in der vollen Würde der Kinder Gottes und der Bürger dieses großen Landes, mit gleichen Rechten und Pflichten. Hinweis auf den Jahrestag des Konzils von Nizäa: Am 24. September 787 wurde das zweite Konzil von Nizäa eröffnet. Wie kann man den Jahrestag eines so bedeutenden Ereignisses außer acht lassen? Das Konzil sollte in der Tat den Triumph des wahren Glaubens in bezug auf die Heiligen- und Ikonenverehrung sicherstellen. Indem es die Ikonenverehrung für erlaubt erklärte, zog jenes Konzil eine neue Konsequenz aus unserem Glauben an die Wirklichkeit der Menschwerdung des Wortes Gottes. Es war das Ergebnis langjähriger, enger Zusammenarbeit zwischen der Kirche von Rom und all jenen, die in Konstantinopel für die Orthodoxie kämpften und litten! Dieser Jahrestag ist deshalb auch ein Programm und eine Ermutigung auf unserem Weg zur wiedergefundenen Einheit. Um diesen Jahrestag hervorzuheben, findet in wenigen Tagen in Istanbul ein geschichtlich-theologisches Symposium zwischen Katholiken und Orthodoxen statt. Andererseits ist nicht auch die Tatsache bedeutsam, daß ich in diesem Gedenkjahr, Anfang Dezember, mit Freude den Besuch des Ökumenischen Patriarchen, Seiner Heiligkeit Dimitrios I., erwarte? Der Herr vervielfacht die Zeichen, die uns den Weg weisen, der einzuschlagen ist. Bitten wir Ihn, uns zu leiten und unsere Schritte zum heißersehnten Ziel hin zu beschleunigen. 208 AUDIENZEN UND ANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Herzlich grüße ich auch euch, die ihr aus den deutschsprachigen Ländern hierher nach Rom und zum Vatikan gekommen seid. Die Begegnung mit dem Nach-folger des Apostels Petrus möge euch daran erinnern, wie ihr über eure Bischöfe und den Papst mit den ersten Aposteln und damit mit Jesus selbst verbunden seid, mit unserem Erlöser und dem Herrn der Kirche. Ihr seid Mitglieder eurer Ortskirche und zugleich der weltweiten Kirche Christi auf allen Erdteilen. In den vergangenen zwei Wochen habe auch ich wieder diese Weltkirche erleben dürfen: Soeben bin ich von meinem zweiten Besuch in den Vereinigten Staaten von Amerika zurückgekehrt. Neben den geistlichen Höhepunkten der Reise, den großen Eucharistiefeiern mit dem ganzen Volk Gottes einer Stadt oder Region, ist es wieder zu zahlreichen Begegnungen mit einzelnen Ständen, Gruppen oder Berufen gekommen, die mir ein anschauliches Bild der Vielvölkergemeinschaft der USA vermittelt haben: Indianer - europäische Einwanderer im Norden - spanischgeprägte Völker im Süden und Westen - die Nachkommen afrikanischer Sklaven — Asiaten — und eine beachtliche jüdische Gemeinde. Diese blutsmäßige Vielfalt ist begleitet von einer starken religiösen und weltanschaulichen Vielfalt, die aber vor allem im Bereich der Christen schon zu zahlreichen ökumenischen Initiativen geführt hat, die das Zeugnis für Christus und seine entscheidende Wahrheit stärken. Das Verfassungsprinzip der Vereinigten Staaten, das eine ziemlich strikte Trennung von Staat und Kirche vorsieht, hat im allgemeinen die Selbständigkeit der amerikanischen Ortskirchen verstärkt und zu einer besonderen Sensibilität für echte Religionsfreiheit geführt. Andererseits hat dieser Besuch des Bischofs von Rom in einer Reihe von nordamerikanischen Diözesen in lebendiger Form daran erinnert, daß die Kirche Christi über alle Länder- und Kulturgrenzen hinweg eine weltweite Einheit bildet, in deren Dienst gerade der Nachfolger des Petrus in Rom steht. So wichtig es ist, daß eine Ortskirche bewußt und ehrlich die eigene kulturelle Umgebung bejaht und in ihr lebt, so ist es doch ebenso wichtig, daß die Ortskirche das Wohl der Gesamtkirche berücksichtigt und sich auch deren Anliegen zu eigen macht. Dieses Grundprinzip wird zu einer ganz besonders dringenden Herausforderung, wenn es sich um ein relativ reiches und entwickeltes Land handelt, das in gesamtmenschlicher Solidarität den mühseligen Weg ärmerer und benachteiligter Völker begleiten muß. Abschließend bitte ich auch euch, mit mir zusammen dem Herrn der Geschichte zu danken, daß alle Etappen dieser nicht leichten Reise gut verlaufen sind. Mögen bleibende Früchte für das Reich Gottes daraus erwachsen! 209 AUDIENZEN UND ANGELUS Den anwesenden Gruppen und Einzelbesuchern wünsche ich einen gesegneten Romaufenthalt. Einen besonderen Gruß richte ich dabei an die beiden offiziellen Pilgergruppen des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem aus der Schweiz und aus Aachen: Gern nehme ich euer Treuebekenntnis zum Felsen Petri sowie zur geistlichen Grundlage eures Rittertums entgegen und begleite euren Pilgerweg im Rahmen des Marianischen Jahres mit meinem besonderen Gebet. Gelobt sei Jesus Christus! Das Evangelium der Arbeit im konkreten Alltag weiterschreiben Angelus am 27. September Liebe Brüder und Schwestern! 1. Die Weltbischofssynode über die Laien, deren Vorbereitung ich auch in diesen sonntäglichen Kurzansprachen seit Februar d. J. verfolgt habe, steht nunmehr vor der Tür. In wenigen Tagen, am 1. Oktober, werde ich die Freude haben, die große Versammlung zu eröffnen, die, im Gebet, im Studium und im Dialog vereint, die verschiedenen Aspekte des gewählten Themas entfalten wird, das, wie bekannt, von der „Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt zwanzig Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil“ handelt. 2. Das Konzil sagt: „Männer und Frauen, die etwa beim Erwerb des Lebensunterhalts für sich und ihre Familie, ihre Tätigkeit so ausüben, daß sie ein entsprechender Dienst für die Gemeinschaft ist, dürfen überzeugt sein, daß sie durch ihre Arbeit das Werk des Schöpfers weiterentwickeln, daß sie für die Wohlfahrt ihrer Brüder sorgen und durch ihre persönliche Bemühung zur geschichtlichen Erfüllung des göttlichen Plans beitragen“ (Gaudium et spes, Nr. 34). Kraft der Sakramente der christlichen Initiation erhält die menschliche Arbeit selbst eine neue Bedeutung, so daß man - wie ich in der Enzyklika Laborem exercens ausführlich darlegte - von einer authentischen Spiritualität der Arbeit sprechen kann, die im „Evangelium der Arbeit“ wurzelt, das in den biblischen Berichten von der Schöpfung und dem dreißigjährigen Leben Christi als Arbeiter im Haus von Nazaret deutlich niedergelegt ist. 210 AUDIENZEN UND ANGELUS Ja, wo die Glieder des mystischen Leibes Christi geistige oder körperliche Arbeit im vollen Bewußtsein ihrer christlichen Identität verrichten, dort wird im konkreten Alltag „das Evangelium der Arbeit“ weitergeschrieben. 3. Der Mensch, der arbeitet, der Mensch während seiner Arbeit liegt der Kirche sehr am Herzen. Sie will seine Personenwürde in all ihren Dimensionen unbedingt schützen. Zu diesem Zweck zählt sie auf die Mithilfe der Laien und ruft sie dazu auf, die ihrer besonderen Zuständigkeit entsprechende Rolle wahrzunehmen. Die Verkündigung des Evangeliums in der und für die Welt der Arbeit erfordert den Beitrag der Laien, die die in ihr vorhandenen Probleme zum Gegenstand ihrer Sorge machen müssen, wie z. B. die Arbeitslosigkeit, besonders die der Jugend, die Gewährleistung der sozialen Gerechtigkeit für alle Kategorien, angefangen bei denen, die am meisten gefährdet und besonders schutzbedürftig sind: Frauen, Einwanderer, Schichtarbeiter usw. Die christlichen Organisationen und Verbände der Arbeiter können nicht umhin, als bindende Pflicht die Notwendigkeit zu empfinden, sich zu Wortführern der Förderung des arbeitenden Menschen zu machen in allen Instanzen, in denen die Arbeitspolitik und -planung auf internationaler, Landes- und Ortsebene entwickelt wird. Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz, die wir im Oktober dieses Marianischen Jahres mit noch mehr Liebe verehren werden, begleite mit ihrem besonderen Schutz die Tage der Synode, von der die Berufung und Sendung der Laien neue Lebenskraft erwarten. Gott richtet, weil er liebt Ansprache bei der Generalaudienz am 30. September 1. Gott ist der Richter der Lebenden und der Toten; der höchste Richter, der Richter aller. Bereits in der Katechese, die dem Herabkommen des Heiligen Geistes auf die Heiden vorausgeht, sagt Petrus zu Christus: „Das ist der von Gott eingesetzte Richter der Lebenden und der Toten“ (Apg 10,42). Diese göttliche Vollmacht (exousia) ist - schon in Christi Lehre - mit dem Menschensohn verbunden. Der bekannte Text über das Weltgericht im Matthäusevangelium beginnt mit den Worten: „Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Und alle Völker werden vor ihm zusammengerufen werden, und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet“ {Mt 211 AUDIENZEN UNDANGELUS 25.31— 33). Der Text spricht dann vom Ablauf des Prozesses und kündigt das Urteil an-das zustimmende: „Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist“ (Mt 25,34) und das verdammende: „Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist!“ (Mt 25,41). 2. Jesus Christus, der Menschensohn, ist zugleich wahrer Gott, denn er hat die göttliche Vollmacht, über die Werke und die Gewissen der Menschen zu urteilen, und diese Vollmacht ist endgültig und universal. Er selbst erklärt, warum gerade er diese Vollmacht hat, mit den Worten: „Auch richtet der Vater niemand, sondern er hat das Gericht ganz dem Sohn übertragen, damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren“ (Joh 22-23). Diese Vollmacht verbindet Jesus mit der Kraft, lebendig zu machen. „Wie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, wen er will“ (Joh 5,21). „Denn wie der Vater das Leben in sich hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben in sich zu haben. Und er hat ihm Vollmacht gegeben, Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist“ (Joh 5,26-27). Also ist, nach dieser Aussage Jesu, die göttliche Vollmacht, Gericht zu halten, an die Mission Christi als Erlöser, als Retter der Welt, gebunden. Und selbst das Gericht gehört zum Erlösungswerk, zur Heilsordnung: es ist ein abschließender Heilsakt. Denn der Zweck des Weltgerichts ist die volle Teilnahme am göttlichen Leben als letztes Geschenk an den Menschen - die endgültige Erfüllung seiner ewigen Berufung. Zugleich ist die Vollmacht, Gericht zu halten, mit der äußeren Offenbarung der Herrlichkeit des Vaters in seinem Sohn als Retter des Menschen verknüpft. „Der Menschensohn wird ... in der Hoheit seines Vaters kommen und jedem Menschen vergelten, wie es seine Taten verdienen“ (Mt 16,27). Die Rechtsordnung ist von Anfang an in die Gnadenordnung eingeschrieben. Das Weltgericht soll diese Verbindung endgültig bestätigen: Jesus sagt klar, daß „die Gerechten im Reich ihres Vaters wie die Sonne leuchten“ werden (Mt 13,43), aber nicht weniger eindeutig kündigt er auch die Verwerfung jener an, die das Böse getan haben (vgl. Mt 7,23). 3. Die göttliche Vollmacht, über alle und jeden einzelnen Gericht zu halten, hat der Menschensohn inne. Der klassische Text im Matthäusevangelium (Mt 25.31- 46) hebt besonders die Tatsache hervor, daß Christus diese Vollmacht nicht nur als Gottessohn, sondern auch als Mensch ausübt. Er tut es - und spricht das Urteil aus - im Namen der Solidarität mit jedem Menschen, der von den anderen Gutes oder Böses empfängt: „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben“ (Mt 25,35) , oder „Ich war hungrig, und ihr habt mir 212 AUDIENZEN UNDANGELUS nichts zu essen gegeben“ {Mt 25,42). Eine „Grundmaterie“ des Weltgerichtes sind die Werke der Barmherzigkeit gegenüber dem Mitmenschen. Christus identifiziert sich gerade mit diesem Nächsten. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). „Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan“ (Mt 25,45). Gemäß diesem Matthäustext wird jeder vor allem nach der Liebe gerichtet werden. Aber zweifellos werden die Menschen auch nach ihrem Glauben gerichtet werden: „Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem wird sich auch der Menschensohn bekennen“ (Lk 12,8); „Wer sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich der Menschensohn schämen, wenn er in seiner Hoheit kommt und in der Hoheit des Vaters“ (Lk 9,26; vgl. auch Mk 8.38) . 4. Dem Evangelium entnehmen wir also diese Wahrheit, die eine der Grundwahrheiten des Glaubens ist: Gott ist der endgültige und universale Richter über alle Menschen, und diese Vollmacht wurde dem Sohn vom Vater übertragen (vgl. Joh 5,22) in enger Verbindung mit seiner Heilsmission. Dies bezeugen ganz besonders eindrucksvoll die Worte Jesu während des nächtlichen Gesprächs mit Nikodemus: „Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird“ (Joh 3,17). Wenn wahr ist, daß Christus, wie besonders aus den Synoptikern hervorgeht, im eschatologischen Sinn Richter ist, so ist auch wahr, daß die göttliche Vollmacht, Gericht zu halten, mit dem Heilswillen Gottes in Verbindung steht, der sich in der ganzen messianischen Sendung Christi kundtut, wie es besonders Johannes unterstreicht: „Um zu richten, bin ich in diese Welt gekommen: damit die Blinden sehend und die Sehenden blind werden“ (Joh 9.39) . „Ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um sie zu retten“ (Joh 12,47). 5. Zweifellos ist Christus vor allem Retter und stellt sich als solcher dar. Er betrachtet es nicht als seinen Auftrag, über die Menschen nach rein menschlichen Maßstäben zu urteilen (vgl. Joh 8,15). Er ist vor allem derjenige, der den Weg zum Heil lehrt und nicht der Ankläger der Schuldigen. „Denkt nicht, daß ich euch beim Vater anklagen werde; Mose klagt euch an, ... denn über mich hat er geschrieben“ (Joh 5,45-46). Worin besteht also das Gericht? Jesus antwortet: „... mit dem Gericht verhält es sich so: Das Licht kam in die Welt, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse“ (Joh 3,19). 213 AUDIENZEN UNDANGELUS 6. Dazu ist also zu sagen, daß angesichts dieses Lichtes, das Gott ist, der sich in Christus offenbart hat, angesichts dieser Wahrheit in gewissem Sinn die Werke selbst jeden einzelnen richten. Der Willen Gottes, den Menschen zu retten, findet seinen endgültigen Ausdruck im Wort und Werk Christi, im gesamten Evangelium bis zum Ostergeheimnis des Kreuzes und der Auferstehung. Dieser Heilswillen wird zugleich zum tiefsten Fundament, sozusagen zum Hauptkriterium des Gerichtes über die Werke und Gewissen der Menschen. Vor allem in diesem Sinn: „... Der Vater hat das Gericht ganz dem Sohn übertragen“ (.Joh 5,22), indem er in ihm jedem Menschen die Möglichkeit der Rettung bietet. 7. Leider ist im gleichen Sinn der Mensch bereits gerichtet, wenn er die Möglichkeit verweigert, die sich ihm bietet: „Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet“ (Joh 3,18). Nicht glauben heißt eigentlich: das dem Menschen in Christus angebotene Heil verweigern („weil er an den Namen des einzigen Sohnes Gottes nicht geglaubt hat“: ebd.). Es ist dieselbe Wahrheit, die in der Weissagung des greisen Simeon angedeutet und im Lukasevangelium wiedergegeben wird, als er über Christus ankündigte: „Dieser ist dazu bestimmt, daß in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden“ (LA: 2,34). Dasselbe kann man sagen von dem Hinweis auf den „Stein, den die Bauleute verworfen haben“ (Lk 20,17). 8: Es ist aber eine Glaubensgewißheit, daß „der Vater ... das Gericht ganz dem Sohn übertragen (hat)“ (Joh 5,22). Wenn nun die göttliche Vollmacht zu richten Christus zusteht, heißt das, daß er, der Menschensohn, wahrer Gott ist, denn nur Gott steht das Gericht zu. Und weil diese Vollmacht des Gerichtes im Heilswillen wurzelt, wie aus dem Evangelium hervorgeht, ist sie eine neue Offenbarung des Bundesgottes, der zu den Menschen korrimt als „Immanuel“, um sie von der Knechtschaft des Bösen zu befreien. Es ist die christliche Offenbarung des Gottes, der Liebe ist. So wird die zu stark menschlich geformte Auffassung vom Gericht Gottes korrigiert, das nur als kalter Richterspruch wenn nicht sogar als Rache betrachtet wird. In Wahrheit erscheint dieses Wort, das eindeutig biblischer Herkunft ist, als letztes Kettenglied der Liebe Gottes. Gott richtet, weil er liebt und im Hinblick auf die Liebe. Das Gericht, das der Vater Christus überträgt, ist entsprechend dem Maß der Liebe des Vaters und unserer Freiheit. 214 AUDIENZEN UNDANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Von Jesus Christus, unserem Herrn, bekennen wir im Apostolischen Glaubensbekenntnis, daß er einst kommen wird, „zu richten die Lebenden und die Toten“. Das letzte, entscheidende Richteramt, das ausschließlich Gott selbst zukommt, hat der Vater, wie wir in der Lesung zu Beginn dieser Audienz gehört haben „ganz dem Sohn übertragen, damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren“ (Joh 5,22f.). Jesus von Nazaret, wahrer Mensch und wahrer Gott, am Kreuz gestorben, von den Toten auferweckt und zur Rechten des Vaters erhoben, wird für uns alle der Richter unseres Lebens sein. In seinem Urteil wird er die Ehre Gottes unwiderleglich heraussteilen; er wird die tiefste Wahrheit aller Dinge offenlegen; die volle Gerechtigkeit wird er verkünden. Dies alles soll das ewige Leben einleiten, das der Richter Jesus Christus allen schenkt, die sich während ihres irdischen Lebens um jene Ehre Gottes, um seine Wahrheit und Gerechtigkeit bemüht haben. So wird das Gericht Christi dargestellt als der letzte, abschließende Akt seines Erlösungswerkes, das unsjaden Weg zum ewigen Leben in Gott eröffnen will. DerHerr wird uns mit derselben göttlichen Liebe richten, die ihn stellvertretend für unsere Leiden und Lasten den Weg zum Kreuz und in die Erniedrigung hat gehen lassen. Jedes Gefühl von Rache oder hämischer Mißgunst müssen wir für das Gericht Gottes ausschließen: Gott ist die Liebe, auch dort, wo sich die Trennung vollziehen muß und zwischen Recht und Unrecht, zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Liebe und Haß. Gegenstand des Gerichtes werden die Taten und die Unterlassungen der Menschen sein, mögen sie sich direkt auf Gott beziehen oder mögen sie unmittelbar die Mitmenschen betreffen. Das Maß unserer Liebe, das hier enthalten ist, wird entscheiden. Es zählt aber auch die Glaubensentscheidung des Menschen, dort, wo sie ihm geschichtlich möglich geworden ist. Müssen wir das Gericht Gottes furchten? Ernstnehmen: ja! - Fürchten: nein! In Jesus Christus leuchten uns die unendliche Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes entgegen, die bereits unseren irdischen Weg helfend und ermutigend begleiten. Dies ist der Kern unserer Hoffnung; dies ist der Grund unseres Vertrauens in das Richteramt Christi. Diese kurzen Erwägungen zu einem wichtigen Thema unseres Glaubens darf ich euch mit auf den Weg geben, zurück in eure Heimat, zu euren Lieben zu Hause. Ich begleite alle eure verschiedenen Lebenswege mit meinem Gebet, besonders die jungen Menschen, die soeben beginnen, Verantwortung zu übernehmen, und die alten Menschen, die nun die Summe ihres Lebens vor 215 AUDIENZEN UNDANGELUS Gott ziehen. Zugleich wollen wir uns alle aufrichtig zu unseren;kranken Mitmenschen bekennen, wie wir sie stellvertretend für so viele andere auch heute hier unter uns sehen: Vor allem grüße ich dabei heute die Teilnehmer der bereits bewährten Initiative aus der Schweiz „Rom im Rollstuhl“. Mein herzlicher Gruß gilt dann auch der Dankwallfahrt der Diözese Essen mit ihrem Bischof Franz Hengsbach, die zugleich die erste Leserfahrt der verdienten Bistumszeitung RUHRWORT darstellt. Ich danke euch für dieses lebendige Zeichen eurer Verbundenheit sowie auch — und dies wohl im Sinne aller Anwesenden — für das frohe und gekonnte Spiel eurer Bergmannskapelle aus Gelsenkirchen. Euch allen gilt mein Gebet und besonderer Segen! Zum Wachstum der Kirche beitragen Angelus am 4. Oktober Liebe Brüder und Schwestern! 1. Die Proklamierung dreier neuer Seliger, die soeben in der Petersbasilika stattgefunden hat, ist für die Kirche ein besonders aktuelles Zeichen des Lichtes und der Ermutigung, weil sie alle Laien der christlichen Gemeinschaft auf den Wunsch und das Bemühen, heilig zu werden, hinweist. Die heutige Feier zu Beginn der Bischotssynode über die Berufung und Sendung der Laien führt unsere Betrachtung zu einem erhellenden Text des II. Vatikanischen Konzils hin: „Jedem ist also klar, daß alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges zur Fülle des christlichen Lebens und zur voll-kornmenen Liebe berufen sind. Durch diese Heiligkeit wird auch in der irdischen Gesellschaft eine menschlichere Weise zu leben gefördert“ (.Lumen gentium, Nr. 40). Die Bischofssynode will das Gewissen der Laien in bezug auf diesen universalen „Ruf zur Heiligkeit aus Liebe“ (Instrumentum laboris, Nr. 35) beleben, indem sie in der Kirche das Bewußtsein stärkt, daß alle Glieder des Gottesvolkes, kraft des Glaubens, den sie empfangen haben, aufgefordert sind, alle ihre Kräfte zum Ruhm der Dreifaltigkeit und zum Wohl der Menschen einzusetzen. Sie, die Laien, sind deshalb gehalten, aufgrund einer einzigartigen Beru-fung, zum Wachstum des geistlichen Lebens der Kirche beizutragen, damit sie als ganze ihren fortschreitenden Aufstieg zur Heiligkeit verwirklicht. 2. Heute möchte ich vor allem an die herausragenden Gestalten von Gläubigen erinnern, die inmitten der Welt leben und unter normalen Lebensbedin- 216 AUDIENZEN UND ANGELUS gungen in Familie und Gesellschaft ein ganz vom Glauben durchwirktes Dasein führen, indem sie, dem Willen Gottes gemäß, die zeitlichen Wirklichkeiten selbst ordnen. Wie viele Familienmütter und -väter z. B. wußten, geleitet vom Heiligen Geist in ihrer Treue zur übernatürlichen Berufung als Christen, ihren Lebensalltag nach heroischen Tugendbeispielen zu formen. Indem sie in ihrem Denken und ihren Werken sich ständig bemühten, den Anregungen der Gnade zu folgen, konnten sie manchmal mit außerordentlicher Lebenskraft zu den höchsten Gipfeln der Güte und der Heiligkeit gelangen. Solche Beispiele bestätigen, daß jeder Laie, auch wenn er seinem Stand nach sich den Dingen der Welt widmet, im vollen Sinn Christ, d. h. heilig sein kann. 3. Der Laie wird heilig, indem er das Reich Gottes auf eigene Weise sucht. Er ist berufen, seine Heiligung nicht außerhalb der ihm anvertrauten irdischen Aufgaben zu wirken, sondern vielmehr dadurch, daß er die eigenen Pflichten mit einem tiefen religiösen Sinn durchdringt und sozusagen Tag für Tag, Augenblick für Augenblick die Gegenwart des Geistes Gottes aufspürt, der, wie er das Weltall erfüllt, so auch seine Seele leitet. Der Laie ist berufen, sich selbst zu heiligen, indem er auf dieses innere Wirken des Geistes antwortet und das bleibt, was er ist, ein Mensch unter Menschen. 4. Richten wir unsere Bitte an die heilige Jungfrau, um von ihr das Geschenk der Heiligung der Laien in der Kirche zu erbitten. Maria möge durch ihre Fürsprache in allen Gläubigen einen starken Wunsch nach Heiligkeit wecken, indem sie allen das Beispiel ihres einzigartigen Zeugnisses anbietet. Als Frau und Mutter in der häuslichen Atmosphäre von Nazaret und in allem einer normalen Frau ihrer Zeit gleich, lebte sie das Geheimnis tiefster Gottverbundenheit, weil sie Mutter Gottes, Mutter der Kirche und unsere Mutter in der Gnadenordnung ist. Bitten wir sie, daß sie uns alle auf dem Weg zur Heiligung erleuchtet! Gott vergibt unsere Sünden Ansprache bei der Generalaudienz am 7. Oktober 1. Verbunden mit der göttlichen Vollmacht zu richten, die Christus sich zuerkennt und mit der die Evangelisten, besonders Johannes, uns bekanntmachen, wie wir in der voraufgegangenen Katechese festgestellt haben, gibt es jene, die Sünden zu vergeben. Wir haben gesehen, daß die göttliche Vollmacht, den einzelnen und alle zu richten, die besonders in der apokalyptischen Beschrei- 217 AUDIENZEN UNDANGELUS bung des Endgerichtes hervorgehoben wird, tief mit dem göttlichen Willen, den Menschen in Christus und durch Christus zu erlösen, verknüpft ist. Der erste Augenblick der Heilsverwirklichung ist die Sündenvergebung. Man kann sagen, daß die offenbarte Wahrheit von der Vollmacht, Gericht zu halten, ihre Fortsetzung in all dem findet, was die Evangelisten über die Vollmacht der Sündenvergebung sagen. Diese Macht gehört Gott allein. Wenn Jesus Christus, der Menschensohn, dieselbe Macht hat, heißt das, daß er Gott ist, wie er selbst gesagt hat: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). Ja, vom Beginn seiner messianischen Sendung an beschränkt sich Jesus nicht nur darauf, die Notwendigkeit der Umkehr zu verkünden. „Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ {Mk 1,15) und zu lehren, daß der Vater bereit ist, den reuigen Sündern zu verzeihen, sondern er selbst vergibt Sünden. 2. Gerade in solchen Momenten scheint die Vollmacht, die Christus zu besitzen behauptet und ohne zu zögern sich selbst zuschreibt, mit noch hellerer Klarheit auf. Er bekräftigt z. B., „daß der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Sünden zu vergeben“ (Mk 2,10). Er sagt das zu den anwesenden Schriftgelehrten in Kafarnaum, als ein Gelähmter zu ihm gebracht wird, damit er ihn heile. Der Evangelist Markus schreibt, Jesus habe, als er den Glauben sah, den die Begleiter des Gelähmten hatten, die sogar die Decke durchgeschlagen hatten, um die Tragbahre des armen Kranken vor ihm niederlassen zu können, zum Gelähmten gesagt: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben“ {Mk 2,5). Die anwesenden Schriftgelehrten dachten im stillen: „Wie kann dieser Mensch so reden? Er lästert Gott. Wer kann Sünden vergeben außer dem einen Gott?“ {Mk 2,7). Jesus, der sofort erkannte, was sie dachten, scheint sie herausfordern zu wollen: „Was für Gedanken habt ihr im Herzen? Ist es leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben!, oder zu sagen: Steh auf, nimm deine Tragbahre, und geh umher? Ihr sollt aber erkennen, daß der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Sünden zu vergeben. Und er sagte zu dem Gelähmten: Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Tragbahre und geh nach Hause!“ {Mk 2,8-11). Die Leute, die dieses Wunder sahen, wurden von Staunen ergriffen, priesen Gott und sagten: „So etwas haben wir noch nie gesehen“ {Mk 2,12). Verständlich ist die Bewunderung für diese außerordentliche Heilung und auch das Gefühl des Schreckens oder der Hochachtung, das, laut Matthäus, die Menge ergreift angesichts der Offenbarung dieser Vollmacht, zu heilen, die Gott den Menschen gegeben hat (vgl. Mt 9,8); oder, wie Lukas schreibt, angesichts des „Unglaublichen“ (Lk 5,26), das an jenem Tag zu sehen war. Aber jenen, die über den Hergang dieses Ereignisses nachdenken, scheint diese Wunderheilung als die Bekräftigung der Wahrheit, die von Jesus ver- 218 AUDIENZEN UND ANGELUS kündet und von den Schriftgelehrten geahnt und angefochten wurde: „Der Menschensohn hat die Vollmacht, hier auf der Erde Sünden zu vergeben“ (vgl. Mk 2,10). 3. Achten wir auch auf die Genauigkeit Jesu in bezug auf seine Vollmacht, auf der Erde Sünden zu vergeben: d. h. es ist eine Vollmacht, die er bereits in seinem geschichtlichen Leben, während er als Menschensohn in den Dörfern und auf den Straßen von Palästina umhergeht, und nicht nur in der Stunde des Weltgerichtes ausübt, nach der Verherrlichung seines Menschseins. Bereits auf Erden ist Jesus der „Gott mit uns“, der Gott-Mensch, der die Sünden vergibt. Ebenfalls zu beachten ist, daß in allen Fällen, in denen Jesus von der Sündenvergebung spricht, die Anwesenden widersprechen und Anstoß nehmen. So auch in dem Text, wo der Vorfall mit der Sünderin beschrieben wird, die sich dem Meister nähert, während er im Haus des Pharisäers zu Tisch sitzt. Jesus sagt zur Sünderin: „Deine Sünden sind dir vergeben“ (0:7,48). Die Reaktion der Gäste ist bezeichnend. Sie dachten: „Wer ist das, daß er sogar Sünden vergibt?“ (0 7,49). 4. Auch in dem Vorfall mit der Frau, „die beim Ehebruch ertappt worden war11 und von den Schriftgelehrten und Pharisäern Jesus vorgeführt wurde, um sein Urteil'aufgrund des mosaischen Gesetzes zu provozieren, finden wir einige sehr.bedeutsame Einzelheiten, die der Evangelist Johannes festhalten wollte. Bereits die erste Antwort Jesu an die Ankläger der Frau: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie“ (Joh 8,7), zeigt uns seine realistische Betrachtung der.menschlichen Situation, angefangen bei der seiner Fragesteller, die nacheinander fortgingen. Beachten wir außerdem die tiefe Menschenfreundlichkeit; mit der er die Unglückliche behandelt, deren Fehler er bestimmt mißbilligt. So empfiehlt er ihr: „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh 8,11). Aber er drücktisie nicht nieder unter die Last eines Urteils ohne Widerruf. Den Worten Jesu können wir die Bekräftigung seiner Vollmacht, die Sünden zu vergeben, und damit der Transzendenz seines göttlichen Ichs entnehmen. Nachdem er die Frau gefragt hatte: „Hat dich keiner verurteilt?“ und die Antwort „Keiner, Herr“ erhalten hatte, erklärt er: „Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr“ (Joh 8,10f.). In diesem „auch ich nicht“ schwingt die Vollmacht zu richten und zu vergeben mit, die das Wort in Einheit mit dem Vater hat und das es in seiner Menschwerdung zur Rettung jedes einzelnen von uns ausübt. 5. Das, was für uns in diesem Heilsplan und der Sündenvergebung zählt, ist, daß wir aus ganzem Herzen den lieben, der zu uns kommt als der ewige Willen 219 AUDIENZEN UNDANGELUS der Liebe und der Vergebung. Jesus selbstlehrt es uns, währender mit den Pharisäern zu Tisch sitzt und ihre Verwunderung sieht über die Tatsache, daß,er die Bezeigungen der Liebe und Verehrung von seiten der Sünderin annimmt. Er erzählt ihnen das Gleichnis von den zwei Schuldnern, von denen einer dem Geldverleiher 500, der andere fünfzig Denare schuldete, und beiden erließ er sie. „Wer von ihnen wird ihn nun mehr lieben?“ Simon antwortet: „Ich nehme an, der, dem er mehr erlas sen hat .“Und Er antwortete:,, Du hast recht... Siehst du diese Frau? ... Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie (mir) so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe“ (vgl. Lk 7,42-47). Die komplexe Psychologie in der Beziehung zwischen dem Geldverleiher und dem Schuldner, zwischen der Liebe, die Vergebung findet, und der Vergebung, die neue Liebe hervorruft, zwischen dem strengen Maß des Gebens und Emp-fangens und der Großzügigkeit des dankbaren Herzens, das grenzenlos schenken will, ist in diesen Worten Jesu zusammengefaßt, die für uns eine Aufforderung sind, die rechte Haltung vor dem Gott-Menschen einzunehmen, der seine göttliche Vollmacht, die Sünden zu vergeben, ausübt, um uns zu retten. 6. Da wir alle vor Gott Schuldner sind, fügt Jesus dem Gebet, das er seine Jünger gelehrt hat und das sie allen Glaubenden überliefert haben, die grundlegende Bitte an den Vater hinzu:, „Und erlaß uns unsere Schulden“ (Mt 6,12), die in der Schreibweise des Lukas heißt: „Erlaß uns unsere Sünden“ (Lk11,4). Wiederum will er uns die Wahrheit einschärfen, daß nur Gott die Vollmacht hat, die Sünden zu vergeben (vgl. Mk2,l). Aber zugleich übt Jesus diese göttliche Vollmacht kraft der anderen Wahrheitaus, die er auch gelehrt hat, d. h. daß der Vater nicht nur „das Gericht ganz dem Sohn übertragen“ (Joh 5,22), sondern ihn auch mit der Vollmacht, die Sünden zu vergeben, bekleidet hat. Offensichtlich handelt es sich nicht um ein gewöhnliches „ Amt“, das einem reinen Menschen anvertraut wurde, der es durch göttlichen Auftrag ausübt: Die Bedeutung der Worte, mit denen Jesus sich selbst die Vollmacht der Sündenvergebung zuschreibt — und wirklich vergibt er sie in vielen in den Evangelien aufgezeichneten Fällen —, ist stärker und schwerwiegender für das Denkvermögen der Zuhörer Christi, die ihm Vorhalten, er wolle sich zu Gott machen, und ihn der Gotteslästerung anklägen, und zwar mit solcher Erbitterung, daß sie ihn in den Tod am Kreuz führen. 7. Das „Amt“ der Sündenvergebung vertraut Jesus hingegen den Aposteln und ihren Nachfolgern an, als er ihnen nach der Auferstehung begegnet: „Empfangt denHeiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben“ (Joh 20,22). Als Menschensohn, der sich ebenso mit der Person des 220 AUDIENZEN UND ANGELUS Sohnes Gottes identifiziert, läßt Jesus die Sünden aus eigener Kraft nach, die ihm vom Vater im Geheimnis der trinitarischen Gemeinschaft und der hypostatischen Union mitgeteilt wurde; als Menschensohn, der in seiner Menschennatur um unseres Heiles willen leidet und stirbt, sühnt Jesus unsere Sünden und erlangt die Vergebung vom Einen Dreifältigen Gott; als Menschensohn, der in seiner messianischen Sendung das Heilswerk fortsetzen muß bis zur Fülle der Zeiten, überträgt Jesus den Aposteln die Vollmacht, die Sünden zu vergeben, um den Menschen zu helfen, in Übereinstimmung von Glauben und Handeln mit dem ewigen Willen des Vaters, „der voll Erbarmen ist“ (Eph 2,4), zu leben. Auf diesem unendlichen Erbarmen des Vaters, auf dem Opfertod Christi, des Gottes-und Menschensohnes, derfüruns gestorben ist, auf dem Werk des Heiligen Geistes, der durch den Dienst der Kirche ununterbrochen in der Welt „die Vergebung der Sünden“ wirkt (vgl. Enzyklika Dominum et vivificantem), gründet unsere Hoffnung auf Heil. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Euch alle begrüße ich heute sehr herzlich in so großer Zahl zu dieser Audienz hier im Vatikan. In der vergangenen Woche betrachteten wir bei dieser Gelegenheit Jesus Christus als den kommenden Richter der Lebenden und der Toten. An diesemMorgen sehen wir nun, daß er sein göttliches Richteramt auch schon jetzt in der Zeit ausübt, indem er den Menschen ihre Sünden vergibt. Das Gericht, das der Vater seinem Sohn übertragen hat, ist zutiefst verbunden mit dem göttlichen Willen, daß die Menschen gerettet werden und durch Christus das Heil erlangen. Vom Beginn seiner messianischen Sendung ruft Christus nicht nur zur Bekehrung der Sünder auf, sondern vergibt ihnen zu verschiedenen Anlässen auch selbst ihre Sünden. Bei der Heilung des Gelähmten bekennt er ausdrücklich, „daß der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Sünden zu vergeben“ (.Mk 2,10). Als die Pharisäer Christus deshalb der Gotteslästerung beschuldigen, da doch nur Gott Sünden vergeben kann, bekräftigt er seine Vollmacht zur Sündenvergebung noch durch die körperliche Heilung des Kranken. Zur Sünderin, die mit Tränen der Reue seine Füße benetzt und sie mit ihren Haaren trocknet, sagten „Deine Sünden sind dir vergeben“ (L£7,48). Ebenso nimmt er die Ehebrecherin gegenüber ihren Anklägern in Schutz: „Frau, hat dich keiner verurteilt? ... Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh 8,10-11). Auch in diesen Worten Jesu spüren wir seine 221 AUDIENZEN UNDANGELUS Vollmacht des Gerichtes und der Vergebung. Worauf es ihm vor allem ankommt, ist, daß der Sünder sich seinem Verzeihen und seiner Liebe ganz öffnet. Darum sagt er über die reuige Sünderin: „Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie (mir) so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe“ (Lkl,Al). Wir alle sind vor Gott Schuldner. Deshalb hat Jesus auch die Bitte um Vergebung in das Gebet des Vaterunser aufgenommen. Zugleich hat er die Vollmacht zur Sündenvergebung den Aposteln und ihren Nachfolgern übertragen: „Empfanget den heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben“ (Joh 20,22). Durch die Vermittlung der Kirche setzt Christus in der Welt und in der Geschichte sein Heilswerk der Vergebung der Sünden fort. Öffnen wir uns, liebe Brüder und Schwestern, wieder neu dieser Frohen Botschaft Jesu Christi! Im Sakrament der Beichte ist es Christus selbst, der euch die Vergebung eurer Sünden zuspricht. Indem ich euch heute diese beglückende Glaubenswahrheit ganz besonders anempfehle, grüße ich euch alle noch einmal sehr herzlich: die zahlreichen genannten Gruppen und alle Einzelpilger. Einen besonderen Willkommensgruß richte ich neben den vielen Pfarrgrup-pen an die Franziskanerinnen von Salzkotten, die an einem geistlichen Erneuerungskurs teilnehmen, ferner auch an die heute wiederum sehr zahlreichen Jugendlichen; namentlich an den großen Pilgerzug der Ministranten und Jugendlichen in liturgischen Diensten aus der Diözese Osnabrück. Möge euer Dienst bei der Liturgie stets von einem lebendigen und frohen Glauben geprägt sein. Und sucht auch gerade ihr immer wieder neu die Gemeinschaft mit Christus im Sakrament der Versöhnung. Euch und allen Rompilgern wünsche ich einen schönen und fruchtbaren Aufenthalt in der Ewigen Stadt und erteile euch allen und euren Lieben in der Heimat von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. Durch Maria zu Christus Angelus am 11. Oktober Liebe Brüder und Schwestern! 1. Wenn wir des 25. Jahrestages des Konzilsbeginns gedenken, können wir jetzt nicht umhin, der seligen Jungfrau Maria unsere besondere Dankbarkeit zu bezeugen; ihr und auch dem hl. Josef hatte Papst Johannes XXIH. in der Eröffnungsansprache der ersten Sitzungsperiode die Arbeiten dieser Weltver- 222 AUDIENZEN UND ANGELUS Sammlung der Bischöfe anvertraut. Es geschah gewiß auch mit Hilfe Mariens, daß die Konzilsväter unter der Führung des Heiligen Geistes die Richtlinien dieser so großartigen und von der Vorsehung gewollten kirchlichen Erneuerung ausarbeiten konnten, die in die Wirklichkeit umzusetzen wir uns bemühen müssen. Der Schutz der Gottesmutter über dem Konzil war ein Ausdruck ihrer geistlichen Mutterschaft, die — wie es in Lumen gentium heißt — „in der Gnadenökonomie unaufhörlich fortdauert... bis zur ewigen Vollendung aller Auserwählten“ (Nr. 62). „In ihrer mütterlichen Liebe trägt sie Sorge für die Brüder ihres Sohnes, die noch auf der Pilgerschaft sind und in Gefahren und Bedrängnissen weilen“ (ebd.). 2. Mit Freude wurde von den Konzilsvätern die Proklamierung Mariens zur Mutter der Kirche aufgenommen, die Papst Paul VI. in der Schlußrede der dritten Sitzungsperiode vornahm, indem er die Apostolische Konstitution De Ecclesia promulgierte, deren VIH. Kapitel das Geheimnis der seligsten Jungfrau behandelt. Diese Mutterschaft Mariens veranlaßt sie, wie ich in der Enzyklika Redempto-ris Mater sagte, der Kirche auf ihrem Weg durch die Menschheitsgeschichte „voranzugehen“ (vgl. Nr. 49). Die Mutter des Herrn schreitet vor uns her, um uns den Weg zu Christus zu weisen und ihn durch ihre ständige Fürsprache gangbarer zu machen; sie zeigt sich und handelt „als Sprecherin für den Willen des Sohnes, als Wegweiserin zu jenen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit sich die erlösende Macht des Messias offenbaren kann“ (Nr. 21). 3. Die Tatsache, daß der 25. Jahrestag des Konzils in das Marianische Jahr fällt, soll für jeden Gläubigen—wie ich in der vorgenannten Enzyklika betonte — eine Aufforderung sein, „auch all das erneut und vertieft zu bedenken, was das Konzil über die selige Jungfrau und Gottesmutter Maria im Geheimnis Christi und der Kirche gesagt hat“ (Nr. 48). Dann wird es nicht ausbleiben, daß jeder einzelne zu verstärktem Einsatz angespomt wird, den konziliaren Richtlinien hochherzig zu entsprechen, um so zum Aufbau einer kirchlichen und sozialen Wirklichkeit beizutragen, die weitgehend nach den Grundsätzen des Evangeliums, der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens, ausgerichtet ist. Bitten wir die heilige Jungfrau, daß sie uns den Weg zu diesen Zielen öffne, und wir versprechen unsererseits größere Treue und eine eifrigere Antwort auf ihre mütterlichen Erwartungen. 223 AUDIENZEN UND ANGELUS Die Kirche lebt aus dem Geist der Gemeinschaß Angelus am 13. Oktober 1. Unser Gebet zu Maria erhält heute am Weltmissionstag eine besonders tiefe Bedeutung. Dieser.Tag, der jedes Jahr begangen wird, betont die Aktualität und Dringlichkeit des Missionsauftrags. In tiefer Dankbarkeit all denen gegenüber, die in den verschiedenen Teilen der Welt ihre Kraft der Evangelisierung widmen, möchte ich in Übereinstimmung mit dem Thema der Bischofssynode die vitale Bedeutung des Dienstes unterstreichen, den die Laien „in den Missionen und für die Missionen“ leisten. Schon das Konzil hat mit Bezug auf die jungen Kirchen festgestellt, daß „von der Ursprungszeit der Kirche an alle Mühe auf die Bildung reifer christlicher Laien verwendet werden muß“ (Adgentes, Nr. 21). Gelegentlich meiner Pasto-ralbesuche bei vielen dieser jungen Kirchen konnte ich mit Freude feststellen, daß die Weisung des Konzils Wirklichkeit wird. Immer zahlreicher sind die Laien, die in den Pastoralräten oder in Ausübung der verschiedenen Dienstämter oder in Vereinigungen und Bewegungen aktiv und qualifiziert mit den Bischöfen und Priestern in den verschiedenen Initiativen des Apostolats Zusammenarbeiten. Diese lebendige Tätigkeit der Laien in den Missionen ist ein tröstliches Zeichen dafür, daß die Kirche sich — wie es der Herr gewünscht hat — im Geist der Gemeinschaft und Zusammenarbeit entwickelt. 2. Wie könnte man nicht in diesem Zusammenhang des Beitrags jener verdienstvollen Schar von Laienaposteln gedenken, die man Katecheten nennt? Man muß anerkennen, daß sie „einen einmaligen und unersetzlichen Beitrag zur Ausbreitung desGlaubens und der Kirche leisten“ (Ad gentes, Nr, 21); Unter Leitung der Priester engagieren sich die Katecheten unter Opfern, die Lehre des Evangeliums darzulegen und liturgische Feiern und Werke der Nächstenliebe vorzubereiten bzw. durchzuführen (vgl. Codex Iuris Canonici, c. 785). Auch den Katecheten gilt mein Dank zusammen mit der Ermutigung, ihren so wertvollen Dienst großzügig weiterzuführen. 3. Eine besondere Erwähnung verdient eine andere Gruppe von Laien, die ihren Dienst in der Mission tut. Ich möchte mich beziehen auf jene christlichen Laien, die als Freiwillige aufgrund einer inneren Berufung in die Mission gehen und sich für einige Jahre verschiedenen Tätigkeiten widmen, die sie im Geist des Dienstes und in Gemeinschaft mit den Hirten ausüben. Auch sie sind von der Kirche gesandt. Auch ihnen wird das Kreuz als Leitbild und Hilfe über- 224 AUDIENZEN UND ANGELUS reicht. Ich möchte sie wissen lassen, daß der Papst ihnen nahe ist und sie aufruft, immer und vor allem echte Zeugen ihres Glaubens zu sein und konkreter Ausdruck der Liebesverbundenheit zwischen den Kirchen. Auf die Fürsprache Marias, Leitstern der Evangelisierung, und der Märtyrer, die heute morgen in das Buch der Heiligen aufgenommen wurden, vertraue ich die ganze Gemeinschaft der Kirche Christus dem Herrn an, dem ersten Missionar des Vaters, damit sie wachse im Bewußtsein, missionarisch zu seih und fortfahre in einer tatkräftigen Zusammenarbeit mit den hochherzigen Verkündern des Evangeliums. Meine Worte werden nicht vergehen Ansprache bei der Generalaudienz am 14. Oktober 1. In den Evangelien finden wir einen anderen Beweis dafür, daß Jesus sich dessen bewußt war, göttliche Autorität zu besitzen und die Evangelisten und die christliche Urgemeinde von dieser Autorität überzeugt waren. In der Tat stimmen die Synoptiker miteinander überein, indem sie sagen, daß „die Menschen sehr betroffen (waren) von seiner Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der (göttliche) Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten“ (Mk 1,22; auch Mt 7,29; Lk 4,32). Diese wertvolle Information gibt uns Markus bereits zu Beginn seines Evangeliums. Sie bestätigt uns, daß die Leute sofort den Unterschied zwischen der Lehre Christi und jener der jüdischen Schriftgelehrten gespürt hatten, und nicht nur von der Weise, sondern auch vom Inhalt her. Die Schrift-gelehrten stützten ihre Lehre auf den Text des mosaischen Gesetzes, das sie erläuterten und auslegten; Jesus folgte überhaupt nicht der Methode eines „Lehrers“ oder „Kommentators“ des alten Gesetzes, sondern verhielt sich wie ein Gesetzgeber und letztlich wie einer, der Macht hatte über das Gesetz. Zu beachten: Die Zuhörer wußten wohl, daß es sich um das göttliche Gesetz handelte, das Moses gegeben worden war kraft einer Vollmacht, die Gott selbst ihm als Vertreter und Mittler beim Volk Israel gewährt hatte. Die Evangelisten und die christliche Urgemeinde, die über diese Beobachtung der Zuhörer inbezug auf die Lehre Jesu nachdachten, wurden sich der allseitigen Bedeutung noch besser bewußt, weil sie diese mit dem ganzen nachfolgenden Dienst Christi vergleichen konnten. Für die Synoptiker und ihre Leser war es deshalb klar, von der Bekräftigung einer Vollmacht über das mosaische Gesetz und über das ganze Alte Testament zu jener der Präsenz einer göttlichen Vollmacht in Christus überzugehen und nicht nur wie in einem Gesandten oder Boten Gottes, wie es bei Moses der Fall gewesen war: Indem Christus sich 225 AUDIENZEN UND ANGELUS die Vollmacht zuschrieb, das Gesetz Gottes maßgeblich zu erfüllen und auszulegen oder sogar in neuer Weise zu geben, brachte er sein Bewußtsein zum Ausdruck, „Gott gleich zu sein“ (vgl. Phil 2,6). 2. Daß die Vollmacht, die Christus sich über das Gesetz zugeschrieben hat, eine göttliche Autorität mit sich bringt, wird durch die Tatsache bewiesen, daß er kein anderes Gesetz schafft und das alte nicht außer Kraft setzt: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen“ {Mt 5,17). Es ist klar, daß Gott das Gesetz, das er selbst gegeben hat, nicht „außer Kraft“ setzen könnte. Er kann aber - wie Jesus Christus es tut - seine volle Bedeutung aufhellen, seinen rechten Sinn verständlich machen sowie die irrigen Ausle-gungenundwillkürlichenAnwendungenrichtigstellen,denendasVolkundihre Lehrer und Meister selbst es unterworfen haben, indem sie den Schwächen und Begrenzungen dermenschlichen Natur nachgaben. Jesus verkündet, proklamiert und fordert deshalb eine höhere „Gerechtigkeit“ als die der Schriftgelehrten und Pharisäer (vgl. Mt 5,20), die „Gerechtigkeit“, die Gott selbst sich vorgegeben hat und mit der treuen Beobachtung des Gesetzes in bezug auf das „Himmelreich“ verlangt. Der Menschensohn wirkt also als ein Gott, der das wiederherstellt, was Gott ein für allemal gewollt und festgelegt hat. 3. In der Tat sagt er vom Gottesgesetz vor allem: „Amen, das sage ich euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist“ {Mt 5,18). Es ist eine wirksame Erklärung, mit der Jesus sowohl die wesentliche Unwandelbarkeit des mosaischen Gesetzes als auch die messianische Erfüllung bekräftigen will, die es in seinem Wort erhält. Es handelt sich um eine „Fülle“ des alten Gesetzes, die er zeigt, indem er lehrt „wie einer, der Macht hat“ über das Gesetz, und die sich vor allem in der Liebe zu Gott und zum Nächsten kundtut. „An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten“ {Mt 22,40). Es handelt sich nicht um eine „Erfüllung“, die dem „Geist“ des Gesetzes entspricht, der bereits durch den „Buchstaben“ des Alten Testamentes durchscheint, den Jesus mit der Autorität dessen aufgreift, zusammenfaßt und vorlegt, der auch Herr des Gesetzes ist. Ebenfalls eine Erfüllung sind die Gebote der Liebe und auch des hoffnungweckenden Glaubens in das messianische Werk, die er dem alten Gesetz hinzufügt, indem er dessen Inhalt deutlich macht und die verborgenen Möglichkeiten entfaltet. Sein Leben ist ein Vorbild dieser Erfüllung, so daß Jesus zu seinen Jüngern nicht nur und nicht so sehr sagen kann: Folgt meinem Gebot, sondern: Folgt mir, ahmt mich nach, geht im Licht, das von mir kommt! 226 AUDIENZEN UNDANGELUS 4. Die Bergpredigt, wie sie von Matthäus wiedergegeben wird, ist die Stelle des Neuen Testamentes, wo man die Vollmacht über das Gesetz, das Israel als Fundament des Bundes von Gott erhalten hat, von Jesus klar bestätigt und entschlossen ausgeübt sieht. Dort, nachdem er die unvergängliche Bedeutung des Gesetzes und die Pflicht, es zu beobachten, betont hatte (Mt 5,18-19), geht Jesus dazu über, die Notwendigkeit einer höheren „Gerechtigkeit“ zu bekräftigen, die höher ist als „jene der Schriftgelehrten und.der Pharisäer“, d. h. einer Beobachtung des Gesetzes, die vom neuen Geist des Evangeliums, der Liebe und Lauterkeit, beseelt ist. Die konkreten Beispiele sind bekannt. Das erste besteht in der Überwindung des Zorns, des Grolls, der Abneigung, die sich im Herzen des Menschen leicht einnisten, auch wenn man eine äußerliche Beobachtung der mosaischen Vorschriften vorweisen kann, darunter jene, nicht zu töten: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber jemand tötet, soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein“ {Mt 5,21-22). Däs gleiche gilt für den, der einen andern durch Schimpfworte, Hohn und Spott beleidigt. Damit wird jedes Nachgeben gegenüber dem Feindseligkeitstrieb verurteilt, das potentiell schon «in Verwunden und sogar Töten ist, wenigstens in geistiger Weise, weil es die Ökonomie der Liebe in den menschlichen Beziehungen verletzt und den anderen Böses antut; und dieser Verurteilung will Jesus das Gesetz der Nächstenliebe gegenüberstellen, das den Menschen bis in die innersten Empfindungen und Bewegungen seines Geistes hinein reinigt und neu ordnet. Jesus macht die Treue zu diesem Gesetz zur unerläßlichen Bedingung für die religiöse Praxis, selbst: „Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, so laß deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe“ {Mt 5,23-24). Da es sich um ein Gesetz der Liebe handelt, ist es sogar unwichtig, wer im Herzen etwas gegen den andern hat: die von Jesus verkündete Liebe stellt alle auf die gleiche Stufe und eint alle in dem Willen zum Guten, in der Herbeiführung oder Wiederherstellung der Harmonie in den Beziehungen zum Nächsten, sogar in Streitsachen und Gerichtsverfahren (vgl. Mt 5,25). 5. Ein anderes Beispiel der Vervollkommnung des Gesetzes ist jenes in bezug auf das sechste Gebot des Dekalogs, in dem Moses den Ehebruch verbot. Mit übertriebenen und sogar paradoxen Worten, die geeignet waren, Aufmerksamkeit zu erregen und den Seelenzustand der Zuhörer zu erschüttern, ver-kündet'Jesus: „Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist:,Du sollst nicht die Ehe brechen1, Ich aber sage euch ..." (Mt 5,27), und er verurteilt auch die unreinen 227 AUDIENZEN UNDANGELUS Blicke und Begierden, während er empfiehlt, die Gelegenheiten zu meiden, den Mut zur Abtötung zu hüben und alle Handlungen und Verhaltensweisen den Erfordernissen des Heils der Seele und des ganzen Menschen entsprechend unterzuordnen (vgl. Mt 5,29-30). Mit diesem Fall ist in gewisser Weise ein anderer verknüpft, den Jesus sogleich aufgreift:„Ferner ist gesagt worden: ,Wer seine Frau aus der Ehe entläßt, muß ihr eine Scheidungsurkunde geben“, Ich aber sage euch...“ Und er erklärt das Zugeständnis für hinfällig, das dem Volk Israel vom alten Gesetz „aufgrund der Hartherzigkeit“ (vgl. Mt 19,8) gemacht worden war. Damit verbietet er auch diese Form der Verletzung des Gesetzes der Liebe, übereinstimmend mit der Wiederherstellung der Unauflöslichkeit des Ehebundes (vgl. Mt 19,9). 6. In derselben Verfahrensweise stellt Jesus dem alten Verbot, einen Meineid zu schwören, jenen, überhaupt nicht zu schwören, gegenüber (Mt 5,33-38),' und der Grund, der ganz klar aufscheint, wurzelt wieder in der Liebe: Man darf dem Nächsten gegenüber nicht skeptisch oder mißtrauisch sein, wenn er gewöhnlich offen und ehrlich ist; vielmehr ist es notwendig, auf der einen und der anderen Seite dieses Grundgesetz im Reden und Handeln zu befolgen: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein. Alles andere stammt vom Bösen“ (Mt 5,37). 7. Und weiter: „Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: ,Auge für Auge und Zahn für Zahn“/Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand ...“ (Mt 5,38-39); und mit anschaulichen Worten lehrt Jesus, die andere Wange hinzuhalten, nicht nur das Hemd, sondern auch den Mantel wegzuschenken, die Gewalttätigkeit anderer nicht mit Gewalt zu beantworten, und vor allem: „Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab“ (Mt 5,42). Das Gesetz der Wiedervergeltung ist aus dem persönlichen Leben des Jüngers Jesu radikal auszuschließen— was auch immer die Pflicht der Gesellschaft sein mag, die eigenen Glieder vor den Übeltätern zu schützen und diejenigen, die durch Verletzung der Bürger- und selbst der Staatsrechte schuldig geworden sind, zu.bestrafen. 8. Und hier die endgültige Vervollkommnung, in der alle anderen ihren dynamischen Mittelpunkt finden: „Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: ,Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen“, Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er läßt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er läßt regnen über Gerechte und Ungerechte ...“ (Mt 5,43-45). 228 AUDIENZEN UND ANGELUS Der allgemeinen Auslegung des alten Gesetzes, das den Nächsten mit dem Juden, ja sogar dem frommen Juden identifizierte, stellt Jesus die authentische Interpretation des Gebotes Gottes entgegen und fügt die religiöse Dimension des Bezugs zum gütigen und barmherzigen: Vater im Himmel hinzu, der allen Wohltaten erweist und deshalb das höchste Beispiel der universalen Liebe ist. Jesus schließt mit den Worten: „Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist“ {Mt 5,48). Er fordert von seinen Jüngern Vollkommenheit in der Liebe. Das neue, von ihm hervorgebrachte Gesetz ist in der Liebe zusammengefaßt. Diese Liebe läßt den Menschen in seinen Beziehungen zu den anderen die klassische Freund-Feind-Gegenüberstellung überwinden und wird aus dem Innern der Herzen heraus danach trachten, in entsprechende Formen der gesellschaftlichen und politischen Solidarität umgesetzt zu werden, die auch institutioneilen Ausdruck findet. Die Ausstrahlung des „neuen Gebotes“ Jesu wird deshalb sehr weitreichend in der Geschichte sein. 9. In diesem Augenblick drängt es uns vor allem, hervorzuheben, daß in den wichtigen Abschnitten der Bergpredigt die Gegenüberstellung wiederholt wird: „Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist... Ich aber sage euch“; dies jedoch nicht, um das göttliche Gesetz des Alten Bundes „abzuschaffen“, sondern um seine „vollkommene Erfüllung“ aufzuzeigen, entsprechend dem von Gott als Gesetzgeber beabsichtigten Sinn, den Jesus in neues Licht stellt und dessen ganzen Wert als Verwirklichung neuen Lebens und Schöpfer einer neuen Geschichte er deutlich macht. Und er tut es, indem er sich eine Vollmacht zuerkennt, die diejenige Gottes als Gesetzgeber ist. Man kann sagen, daß in seiner sechsmaligen Wiederholung: „Ich aber sage euch“ das Echo der Selbstdefinition Gottes widerhallt, die Jesus sich auch züerkannt hat: „Ich bin“ (vgl. Joh 8,58). 10. Schließlich muß an die Antwort erinnert werden, die Jesus den Pharisäern gab, als sie seine Jünger tadelten, weil diese Ähren von den Kornfeldern abrissen, um sie am gleichen Tag, während des Sabbats, zu essen und so das mosaische Gesetz brachen. Jesus nennt ihnen zunächst das Beispiel Davids und seiner Begleiter, die nicht zögerten, die heiligen Brote zu essen, um ihren Hunger zu stillen; dann jenes der Priester, die am Sabbat nicht das Ruhegesetz beachten, weil sie ihren Gottesdienst im Tempel verrichten. Dann schließt er mit zwei endgültigen, für die Pharisäer unerhörten Aussagen: „Ich sage euch: Hier ist einer, der größer ist als der Tempel..und: „Der Menschensohn ist Herr über den Sabbat“ {Mt 12,6.8; vgl. Mk 2,27-28). Diese Erklärungen offenbaren klar das Bewußtsein, das Jesus von seiner göttlichen Vollmacht hatte. 229 AUDIENZEN UND ANGELUS Sich „einen der größer ist als der Tempel- zu nennen, war ein ziemlich deutlicher Hinweis auf seine göttliche Transzendenz. Sich dann als „Herrn über den Sabbat“ zu proklamieren, d. h. über ein Gesetz, das Gott selbst Israel gegeben hatte, war die offene Verkündigung der eigenen Vollmacht als Herrscher des messianischen Reiches und Verkünder des neuen Gesetzes. Es handelte sich also nicht um einfache Abweichungen vom mosaischen Gesetz, die auch von den Rabbinern in Ausnahmefällen genehmigt worden waren, sondern um eine Wiederherstellung, eine Vervollkommnung und eine Erneuerung, die Jesus unvergänglich nennt: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“ {Mt 24,35). Was von Gott kommt, ist ewig, so wie Gott ewig ist. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Auch in unserer Zeit lebt unter den Menschen die Frage: „Wer ist dieser Jesus von Nazaret?“ Das Evangelium nach Markus gibt uns dazu gleich im ersten Kapitel einen wertvollen Hinweis. Dort heißt es: Jesus ging „in die Synagoge und lehrte. Und die Menschen waren sehr betroffen von seiner Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten“ (Mk l,21f.). Markus bezeugt uns hier den Eindruck der Zuhörer Jesu: Während ihre Schriftgelehrten in den Bethäusem und im Tempel die Autorität der mosaischen Gesetzesbücher als gegeben voraussetzen und sie den Menschen nur auslegten, stand Jesus vor ihnen und verhielt sich in seiner Verkündigung wie ein Gesetzgeber in eigener Autorität. Ja, er beanspruchte sogar Vollmacht über das Gesetz des Mose, das für den gläubigen Juden den heiligen Willen Gottes enthielt. Er sei zwar nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, wohl aber, es zu vertiefen und zu vollenden. Die Evangelisten und die erste christliche Gemeinde verbanden mit dieser auffallenden Beobachtung aus der Predigt Jesu viele weitere Hinweise auf eine besondere Autorität des Herrn; wie sie im gesamten öffentlichen Wirken Christi deutlich wurden. Ich erinnere hier nur an jene bekannte Redeweise Jesu, die uns in seiner Bergpredigt sechsmal begegnet: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt worden ist... Ich aber sage euch ...“ (z. B. Mt 5,21). Für die aufmerksamen Zuhörer Jesu lag die Folgerung auf der Hand: Wer Autorität beansprucht über das, was „zu den Alten gesagt worden ist“, das heißt im damaligen Sprachgebrauch, was Gott selbst den Vorfahren offenbart hat, der beansprucht, auch in sich selbst göttliche Autorität zu besitzen; ein solcher Mensch gibt damit sein Bewußtsein kund, „Gott gleich“ zu sein, wie der 230 AUDIENZEN UND ANGELUS Apostel Paulus in seinem Philipperbrief knapp formuliert. So ist auch jener Hinweis des ersten Markuskapitels von der allesüberragenden Autorität Jesu wiederum ein Teil jener breiten Offenbarungsgrundlage, die letztlich zur bekannten Aussage im christlichen Glaubensbekenntnis geführt hat: „Wir glauben ... an den einen Herrn Jesus Christus ... Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott. Liebe Pilger deutscher Sprache! Diese kurze Erinnerung an eine Kemwahr-heit unseres Glaubens möchte ich euch mit auf den Weg geben, wenn ihr wieder in eure Heimat zurückkehrt, an den Ort, wo euer glaubwürdiges Lebenszeugnis von so vielen erwartet wird. In besonderer Weise betrifft diese Sendung die Gruppe von Neupriestern aus dem Päpstlichen Kolleg Germani-cum-Hungaricum, die heute mit zahlreichen Verwandten und Freunden unter uns weilen. Antwortet treu und mutig auf die euch erwiesene Freundschaft Jesu Christi und stellt seine erlösende und befreiende Vollmacht unter euren Mitmenschen überzeugend dar. In herzlicher Verbundenheit bete ich für euch und für alle, die euer junges Priesterleben mit Rat und Hilfe begleiten. Mögen weitere Jugendliche diesen Ruf Gottes zu einer engeren Nachfolge Jesu vernehmen und ihm hochherzig Folge leisten. Ist es vermessen zu hoffen, daß auch unter euch hier Anwesenden solche vom Herrn Berufene sind? In der Gnade Gottes gehet hin in Frieden! Glaubt an Gott — glaubt an mich Ansprache bei der Generalaudienz am 21. Oktober 1. Die Fakten, die wir in der voraufgegangenen Katechese untersucht haben, sind, zusammengenommen, sprechend und beweisend im Hinblick auf das Bewußtsein von der eigenen Göttlichkeit, das Jesus zeigt, wenn er auf sich selbst den Namen Gottes bezieht, die göttlichen Eigenschaften, die Vollmacht des Endgerichts über die Taten aller Menschen, die Vollmacht, Sünden zu vergeben, selbst die Vollmacht über das Gesetz Gottes. Sie alle sind Aspekte der einen Wahrheit, die er eindringlich bekräftigt, jener Wahrheit, wahrer Gott, eines Wesens mit dem Vater, zu sein. Das sagt er offen zu den Juden, während er mit ihnen am Tag des Tempelweihfestes im Tempel spricht: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). Und doch spricht Jesus, wenn er sich die Attribute zulegt, die Gott eigen sind, von sich selbst als dem „Menschensohn“, sei es aufgrund der personalen Einheit von Mensch und Gott in ihm, sei es mit dem Ziel, der geplanten Pädagogik zu folgen und die Jünger allmählich — beinahe an der Hand haltend — zu den geheimnisvollen Höhen und 231 AUDIENZEN UNDANGELUS Tiefen seiner Wahrheit zu führen. Als „Menschensohn“ zögert er nicht zu fordern: „Glaubt an Gott, und glaubt an mich!“ (/oh 14,1). Der Ablauf des ganzen Gesprächs in den Kapiteln 14-17 bei Johannes und besonders die Antworten, die Jesus Thomas und Philippus gibt, beweisen, daß, wenn er fordert, sie mögen an ihn glauben, es sich nicht nur um den Glauben an den Messias als den Gesalbten und Gesandten Gottes handelt, sondern um den Glauben an den Sohn, der eines Wesens mit dem Vater ist. „Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ (Joh 14,1). 2. Diese Worte sind im Zusammenhang mit dem zwischen Jesus und den Aposteln beimletzten Abendmahl geführten Gespräch zu untersuchen, das im Johannesevangelium wiedergegeben wird. Jesus sagt zu den Aposteln, er gehe, um für sie einen Platz im Haus des Vaters vorzubereiten (vgl. Joh 14,2-3). Und als Thomas ihn nach dem Weg zu diesem Haus, zu diesem neuen Reich fragt, antwortet Jesus, daß „er der Weg, die Wahrheit und das Leben ist“ (vgl. Joh 14,6). Als Philippus ihn bittet, den Jüngern den Vater zu zeigen, wiederholt Jesus ganz eindeutig: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst du sagen: Zeig uns den Vater? Glaubst du nicht, daß ich im Vater bin und daß der Vater in mir ist? Die Worte, die ich zu euch sage, habe ich nicht aus mir selbst. Der Vater, der in mir bleibt, vollbringt seine Werke. Glaubt mir doch, daß ich im Vater bin und daß der Vater in mir ist; wenn nicht, glaubt wenigstens aufgrund der Werke“ {Joh 14,9-11). Es ist nicht möglich, sich des tiefen Eindrucks zu erwehren, den diese Erklärung Jesu auf den menschlichen Verstand macht, wenn man nicht schon von vornherein von einem gegen Gott gerichteten Vorurteil ausgeht. Jenen, die den Vater annehmen und ihn sogar in ihrer Frömmigkeit suchen, zeigt Jesus sich selbst und sagt: Seht, der Vater ist in mir! 3. Allenfalls, um Gründe für die;Glaubwürdigkeit zu bieten, beruft Jesus sich auf seine Werke: auf all das, was er vor den Augen der Jünger und aller Leute vollbracht hat. Es handelt sich um heilige und oft wunderwirkende Werke, die als Zeichen seiner Wahrheit getan wurden. Deshalb verdienter, daß man an ihn glaubt. Jesus sagt es nicht nur im Kreis seiner Apostel, sondern vor dem ganzen Volk. So lesen wir, daß am Tag nach dem triumphalen Einzug in Jerusalem die große Menschenmenge, die zum Paschafest gekommen war, über die Gestalt des Christus diskutierte und zumeist nicht an Jesus glaubte, obwohl er „so viele Zeichen vor ihren Augen getan hatte“ {Joh 12,37). „Jesus aber rief aus: Wer an mich glaubt, glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat, und werlmich sieht, sieht den, der mich gesandt hat“ {Joh 12,44). Man kann deshalb sagen, daß Jesus Christus sich mit Gott identifiziert 232 AUDIENZEN UNDANGELUS als Gegenstand des Glaubens, der von seinen Jüngern gefordert und ihnen an-geboten wird. Und er erklärt ihnen: „Was ich also sage, sage ich so, wie es mir der Vater gesagt hat“ (Joh 12,50); eine offensichtliche Anspielung auf das göttliche Aussprechen des ewigen Wortes, in dem der Vater den Sohn als Wort im trinitarischen Leben zeugt. Dieser Glaube, gebunden an die Taten und Worte Jesu, wird zur „logischen Konsequenz“ für jene, die Jesus aufrichtig anhören, seine Taten beobachten und über seine Worte nachdenken. Aber er ist auch die unerläßliche Voraussetzung und Bedingung, die Jesus von denen fordert, die seine Jünger werden oder aus seiner göttlichen Vollmacht Nutzen ziehen wollen. 4. Kennzeichnend in dieser Hinsicht ist das, was Jesus zum Vater des epileptischen Jungen sagt, der von Kindheit an von einem „stummen Geist“ besessen ist, der in ihm schrecklich wütet. Der arme Vater bittet Jesus: „Wenn du kannst, hilf uns; hab Mitleid mit uns! Jesus sagte zu ihm: Wenn du kannst? Alles kann, wer glaubt. Da rief der Vater des Jungen: Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ (Mk 9,22-23). Und Jesus bewirkt die Heilung und die Befreiung jenes Unglücklichen. Er verlangt jedoch vom Vater des Jungen eine Öffnung der Seele im Glauben. Diese haben ihn im Laufe der Jahrhunderte so viele einfache Menschen in Bedrängnis geboten, die sich wie der Vater des Besessenen an ihn um Hilfe wandten in den zeitlichen und vor allem geistlichen Nöten. 5. Wo hingegen die Menschen, gleich welcher sozialen und kulturellen Lage, ihm aufgrund von Stolz und Unglauben Widerstand entgegensetzen, bestraft Jesus diese ihre Haltung, indem er ihnen keinen Zugang gewährt zu den Wohltaten, die von seiner göttlichen Vollmacht gewährt werden. Bezeichnend und eindrucksvoll ist das, was man über die Bewohner von Nazaret liest, unter die Jesus kurz nach Beginn seines Wirkens und den ersten vollbrachten Wundem zurückgekehrt war. Sie staunten nicht nur über seine Lehre und seine Taten, sondern nahmen sogar Anstoß an ihm, d. h., sie sprachen darüber und behandelten ihn voll Mißtrauen und Feinseligkeit als unerwünschte Person. „Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie. Und er konnte dort kein Wunder tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er wunderte sich über ihren Unglauben“ (Mk 6,4-6). Die Wunder sind „Zeichen“ der göttlichen Vollmacht Jesu. Wenn die Anerkennung dieser Vollmacht hartnäckig verhindert wird, verliert das Wunder seinen Daseinsgrand. Im übrigen antwortet er auch den Jüngern, die Jesus fragen, warum sie, obwohl sie von ihm die Vollmacht erhalten hatten, den Dämon nicht aus- 233 AUDIENZEN UND ANGELUS treiben konnten: „Weil euer Glaube so klein ist. Amen, das sage ich euch: Wenn euer Glaube auch nur so groß ist wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berg sagen: „Rück von hier nach dort!“, und er wird wegrücken. Nichts wird euch unmöglich sein“ (Mt 17,19-20). 6. Dies unterstreicht Jesus auch nach der Wunderheilung des Blindgeborenen, als er ihm begegnet und ihn fragt? „Glaubst du an den Menschensohn? Der Mann antwortete: Wer ist das, Herr? (Sag es mir,) damit ich an ihn glau- be. Jesus sagte zu ihm: Du siehst ihn vor dir; er, der mit dir redet, ist es. Er aber sagte: Ich glaube, Herr! Und er warf sich vor ihm nieder“ (Joh 9,35-38). Es ist der Glaubensakt eines einfachen Menschen, das Bild aller Demütigen, die Gott suchen (vgl. Dtn 29,3 \Jes 6,9; Jer 5,21; Ez 12,2); er erlangt die Gnade eines nicht nur physischen, sondern geistlichen Augenlichts, damit er den „Menschensohn“ erkennt zum Unterschied der Selbstgenügsamen, die nur ihrer eigenen Urteilsfähigkeit trauen und das Licht ablehnen, das von oben kommt, und sich deshalb selbst vor Christus und vor Gott zur Blindheit verdammen (vgl. Joh 9,39-41). 7. Die entscheidende Bedeutung des Glaubens wird noch deutlicher klar im Gespräch zwischen Jesus und Marta vor dem Grab des Lazarus: „Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Marta sagte zu ihm: Ich weiß, daß er auferstehen wird bei der Auferstehung am Letzten Tag. Jesus erwiderte ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das? Marta antwortete ihm: Ja, Herr, ich glaube, daß du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll“ (Joh 11,23-27). Und Jesus erweckt Lazarus von den Toten auf nicht nur zum Zeichen der eigenen Vollmacht, die Toten aufzuerwecken, weil er Herr des Lebens ist, sondern auch aufgrund der Vollmacht, den Tod zu besiegen, denn — so hat er zu Marta gesagt — er ist die Auferstehung und das Leben! 8. Die Lehre Jesu über den Glauben als Bedingung des Heilswirkens wird im nächtlichen Gespräch mit Nikodemus zusammengefaßt und gefestigt. Dieser, „ein führender Mann unter den Juden“, ist ihm wohlgesinnt und bereit, ihn als „Lehrer, der von Gott gekommen ist“, anzuerkennen (Joh 3,2). Jesus führt mit ihm ein langes Gespräch über das „neue Leben“ und schließlich über die neue Heilsordnung, die auf dem Glauben an den Menschensohn gründet, der „erhöht“ werden muß, „damit jeder, der (an ihn) glaubt, in ihm das ewige Leben hat“ (Joh 3,15). Der Glaube an Christus ist also grundlegende Voraussetzung für die Rettung, das ewige Leben; der Glaube an den eingeborenen 234 AUDIENZEN UNDANGELUS Sohn, der eines Wesens mit dem Vater ist und in dem sich die Liebe des Vaters kundtut. „Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird“ (Joh 3,17). Das Gericht ist in Wirklichkeit immanent zur Entscheidung, die man trifft, indem man den Glauben an Christus annimmt oder ablehnt: „Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er an den Namen des einzigen Sohnes Gottes nicht geglaubt hat“ (Joh 3,18). Im Gespräch mit Nikodemus weist Jesus auf das Ostergeheimnis als den Kernpunkt des Glaubens hin, der rettet. „Der Menschensohn (muß) erhöht werden, damit jeder, der (an ihn) glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,14-15). Dies kann auch der „kritische Punkt“ des Glaubens an Christus genannt werden. Das Kreuz war die endgültige Glaubensprobe für die Jünger und die Apostel Christi. Aber die Tatsache, daß er am dritten Tag auferstanden ist, half ihnen, die letzte Prüfung erfolgreich zu überwinden. Auch Thomas, der als letzter die österliche Glaubensprobe bestand, brach bei seiner Begegnung mit dem Auferstandenen in jenes herrliche Glaubensbekenntnis aus: „Mein Herr und mein Gott“ (Joh 20,28). Wie zuvor Petrus in Cäsarea Philippi (vgl. Mt 16,16), so läßt Thomas bei dieser Osterbegegnung spontan den Glaubensruf ertönen, der vom Vater kommt: Jesus, der Gekreuzigte und Auferstandene, ist „Herr und Gott“! 9. Gleich nach dem Bericht über dieses Bekenntnis des Glaubens und Jesu Antwort, der die „selig“ nennt, „die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29), bietet Johannes ein erstes Schlußwort zu seinem Evangelium an: „Noch viele andere Zeichen, die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind, hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan. Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen“ (Joh 20,30-31). All das, was Jesus tat und lehrte, alles, was die Apostel verkündet und bezeugt und die Evangelisten niedergeschrieben haben, alles, was die Kirche von deren Lehre bewahrt und wiederholt, soll dem Glauben dienen, damit wir, glaubend, das Heil erlangen. Das Heil — und damit das ewige Leben — ist an die messianische Sendung Jesu Christi gebunden, aus der die ganze „Logik“ und Ordnung des christlichen Glaubens kommt. Das verkündet Johannes bereits im Prolog seines Evangeliums: „Allen aber, die ihn aufnahmen/gab er Macht, Kinder Gottes zu werden“ (Joh 1,12). 235 AUDIENZEN UND. ANGEL US In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Der Evangelist Johannes schildert uns besonders deutlich, welches Selbstbewußtsein Jesus in sich trug und auch vor den Menschen bezeugte: Er bekennt sich dort eindeutig als gottgleich und eins mit Gottvater. „Ich und der Väter sind eins“, so bekundet er mitten im Tempel vor einer großen Volksmenge. Verschiedene bekannte Gottestitel bezieht Jesus auf sich selbst; er beansprucht das endgültige Urteil über die. Taten der Menschen; er vertieft und vollendet das überlieferte Gesetz des Mose wie der göttliche Gesetzgeber selbst. Und so ist es ganz folgerichtig, daß der Herr dann auch den gleichen Glauben der Menschen einfordert, wie sie ihn bisher nur Gott selbst entgegengebracht haben. In einem Gespräch über den Weg zum Vater sagt Jesus zu den Aposteln: „Glaubet an Gott und glaubt an mich!“ (Joh 14,1). Und auch in dieser liebevollen Begegnung des Meisters mit seinen Jüngern betont er seine völlige Einheit mit Gottvater. So sagt er dem Philippus: „Wer mich gesehen hat, hat den Väter gesehen. Wie kannst du also sagen: Zeig uns den Vater?“ (Joh 14,9). Dann fügt er hinzu: „Glaubt mir doch, daß ich im Väter bin und daß der Väter in mir ist“ (Joh 14,11). Diese und ähnliche Worte stellen auch für uns eine ganz klare Glaubensforderung dar. Wer mit reinem Herzen und ohne Vorurteile das gesamte Leben und Wirken Jesu betrachtet, kann mit der Gnade Gottes durchaus ein verantwortetes Ja zu diesem Anspruch des Herrn sprechen. Ohne ein solches bewußtes Ja zur Gottesgleichheit Jesu kann jedoch niemand sein Jünger sein oder sich Christ nennen; ohne einen solchen Glauben kann niemand Anteil gewinnen an seiner befreienden und erlösenden Vollmacht. Darum geht es dem Herrn letztlich: um unser Heil; oder in den Worten des Evangelisten Johannes, mit denen er sein Evangelium vorläufig abschließt: „Noch viele andere Zeichen, die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind, hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan. Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen“(/o/z 20,30f.). Beten wir füreinander, daß uns dieser Glaube unser ganzes Leben hindurch gelinge, an hellen wie an dunklen Tagen. Mit diesem Gebetswunsch grüße ich euch alle noch einmal von Herzen. Einen besonderen Gruß richte ich heute an die Gruppe der Niels-Stensen-Gemeinschaft und wünsche euch einen guten Erfolg bei den vielfältigen Vorbereitungen auf die nicht mehr ferne Seligsprechung eures großen Bischofs und Patrons. Ein froher Glückwunsch gilt dann 236 AUDIENZEN UNDANGELUS der Pilgergruppe der Pfarrei Sankt Severus in Boppard zum siebenhundert-fiinfzigsten Bestehen dieser bekannten Ortsgemeinde am Rheinstrom. Lebt die beste Ideale dieser langen Vergangenheit mit neuer Frische in der gegenwärtigen Zeit, als Bürger und Christen von heute, zum Wohl für Stadt und Gemeinde; Euch und allen anwesenden Besuchern deutscher Sprache gelten mein Dank und meine Verbundenheit. Die Dinge sagen, wie sie sind Angelus am 25. Oktober Liebe Brüder und Schwestern! 1. Unsere Gedanken gehen heute zum Heiligtum Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz in Pompei, einem Wallfahrtsort, der Dr. Moscati, den heiligzusprechen ich heute morgen die Freude hatte, sehr lieb geworden war. Auf seinen Reisen nach Amalfi, Salerno und Campobasso, zu Krankenbesuchen und anderen Anlässen machte er dort häufig Halt. „Wieviel innere Freude empfinde ich“ — das vertraute er einem Bekannten an — „mich in der Wallfahrtskirche von Pompei mitzuteilen! Zu Füßen der Gottesmutter komme ich mir sehr klein vor, und ich sage ihr die Dinge, wie sie sind.“ Auch wir wollen uns heute in geistiger Weise zu diesem Zentrum der Marienverehrung begeben, um der Gottesmutter unser Herz zu öffnen und ihr „die Dinge zu sagen, wie sie sind“. Das Heiligtum von Pompei mit seinem weiten internationalen Echo, den unzähligen Pilgerscharen, die herbeiströmen, und dem angrenzenden Gebäudekomplex der Hilfswerke gibt Zeugnis von den gewaltigen Energien, die die Marienverehrung zu erwecken imstande ist, Energien, die sich schließlich in eine leidenschaftliche Liebe für den Menschen umsetzen, den ganzen Menschen in seinen geistlichen, sozialen Und zeitlichen Dimensionen. Am Anfang des Werkes von Bartolo Longo steht bekanntlich die Liebe zum Menschen, dem leidenden Menschen des ausgehenden 19. Jahrhunderts im Tal von Pompei, der ein unwürdiges Leben der Entbehrungen und Unwissenheit führte. Bartolo Longo verstand, daß das, was diese armen Menschen am nötigsten hatten, die Katechese und die mütterliche und barmherzige Anwesenheit Mariens war, die in einem einfachen Bild der Rosenkranzmadonna besser spürbar gemacht wurde. Es war am 13. November 1875 in dem Kirchlein im Tal von Pompei aufgestellt worden. 237 AUDIENZEN UNDANGELUS 2. Dieses Bild wurde bald zum Mittelpunkt der Bewegung der Frömmigkeit und Nächstenliebe auf internationaler Ebene. Der geistlichen Intuition von Bartolo Longo entsprechend, sollten die Marienfrömmigkeit und das Rosen-kranzgebet nicht nur für die armen Landarbeiter im Tal von Pompei, sondern für die ganze Kirche und die ganze Gesellschaft außerordentlich wirksame Mittel sein zur Förderung des Menschen und zur weltweiten Befriedung. Wir wollen heute die Einladung annehmen, die uns vom sei. Bartolo Longo und dem neuen Heiligen Dr. Giuseppe Moscati zu einer neuen, verstärkten Marienverehrung kommt. Die Madonna von Pompei, die unter dem Titel „Jungfrau vom Rosenkranz“ verehrt wird, zeigt uns ein bevorzugtes Mittel, in der Verehrung zu ihr fortzuschreiten und unsere Beziehung im Glauben und in der Liebe zu Jesus, ihrem Sohn, zu vertiefen: den Rosenkranz. Die Betrachtung der Geheimnisse, in denen sich unsere Heilsgeschichte entwickelt, die Anrufung Gottes, des Vaters, mit denselben Worten, die uns Jesus gelehrt hat, der rhythmische Fluß der „Gegrüßet seist du, Maria“, der sich fast wie eine Rosengirlande um die reinste, schönste und heiligste aller Frauen flechtet, machen den Rosenkranz zu einem außerordentlich inhaltsreichen Gebet, trotz der einfachen Struktur, die erlaubt, es unter den verschiedensten Umständen zu sprechen. Liebe Brüder und Schwestern, nehmen wir den Rosenkranz in die Hand, um Maria unsere Verehrung auszudrücken, von ihr zu lernen, eifrige Jünger des göttlichen Meisters zu sein, und um ihren himmlischen Beistand zu erflehen sowohl in unseren täglichen Nöten als auch in den großen Problemen, die die Kirche und die ganze Menschheit bedrängen. Ich grüße alle Bischöfe, Priester und Gläubigen von Kampanien und besonders jene von Neapel zusammen mit Kardinal Corrado Ursi und seinem Nachfolger auf dem neapolitanischen Erzbischofsstuhl. Zugleich schließe ich in dieses Gebet alle im Sanitätsbereich Tätigen ein: die Ärzte, Krankenpfleger und -pflegerinnen und alle anderen, die unseren lieben kranken Brüdern und Schwestern beistehen. Wir besuchen im Geist alle Räume der Sanitätsarbeit, alle Kliniken und Krankenhäuser in Italien und in der Welt. Mögen sie immer bevorzugte Orte der Nächstenliebe, des Dienstes am leidenden Menschen, des Dienstes am Leben sein vom Augenblick seiner Empfängnis im Mutterschoß an. Und so stehen wir von neuem vor unserem lieben Heiligen, Giuseppe Moscati, um mit ihm zu beten, wie er den Rosenkranz, den „Engel des Herrn“ betete im Heiligtum von Pompei, in seiner Stadt Neapel und überall in Italien und außerhalb Italiens. 238 AUDIENZEN UND ANGELUS Laßt alles zurück um meinetwillen Ansprache bei der Generalaudienz am 28. Oktober 1. Auf unserer Suche nach Hinweisen im Evangelium auf das Bewußtsein, das Christus von seiner Göttlichkeit hatte, haben wir in der vorausgegangenen Katechese die Forderung, an ihn zu glauben, unterstrichen, die er an seine Jünger gestellt hat: „Glaubet an Gott, und glaubt an mich!“ (Joh 14,1): eine Forderung, die nur Gott erheben kann. Diesen Glauben verlangt Jesus, wenn er eine göttliche Vollmacht offenbart, die alle natürlichen Kräfte übersteigt, z.B. bei der Auferweckung des Lazarus (vgl. Joh 11,38-44); er verlangt ihn auch in der Stunde der Prüfung als Glauben an die heilbringende Kraft seines Kreuzestodes, wie er am Ende des Gesprächs mit Nikodemus erklärtfvgl. Joh 3,14-15); und es ist der Glaube an seine Göttlichkeit: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9). Der Glaube bezieht sich auf eine unsichtbare Wirklichkeit, die über der sinnlichen Wahrnehmung und Erfahrung liegt und sogar die Grenzen des menschlichen Verstandes übersteigt (argumentum non apparentium: „Erfahrung von Dingen, die man nicht sieht“ (vgl. Hehr 11,1); er bezieht sich, wie der hl. Paulus sagt, auf das, „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist“, aber was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben (vgl. 1 Kor 2,9). Jesus verlangt einen solchen Glauben, als er am Vortag seines aus menschlicher Sicht schmachvollen Todes zu den Aposteln sagt, er gehe, um für sie im Haus seines Vaters einen Platz vorzubereiten (vgl. Joh 14,2). 2. Diese geheimnisvollen Dinge, diese unsichtbare Wirklichkeit ist identisch mit dem unendlichen Gott, dem unendlichen Gut, der ewigen Liebe, der in höchstem Maße würdig ist, über alles hinaus geliebt zu werden. Deshalb stellt Jesus zusammen mit der Forderung nach dem Glauben das Gebot der Gottesliebe „über alles hinaus“, das bereits dem Alten Testament eigen war, aber von Jesus in neuer Form wiederholt und bekräftigt wurde. Auf die Frage: „Welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?“ antwortet Jesus zwar mit den Worten des mosaischen Gesetzes: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken“ (Mt 22,37; vgl. Dtn 6,5). Aber der volle Sinn, den das Gebot auf den Lippen Jesu annimmt, geht aus dem Bezug auf andere Angaben des Kontextes hervor, in dem er sich bewegt und lehrt. Zweifellos will er einprägen, daß nur Gott über alles Geschaffene hinaus geliebt werden kann und muß; und nur in bezug auf Gott 239 AUDIENZEN UNDANGELUS kann es im Menschen das Bedürfnis nach einer alles übersteigenden Liebe geben. Nur Gott kann kraft dieses Bedürfnisses nach radikaler und totaler Liebe den Menschen zur vorbehaltlosen, grenzenlosen, unteilbaren Nachfolge berufen, wie wir bereits im Alten Testament lesen: „Ihr sollt dem Herrn, eurem Gott, nachfolgen ... auf seine Gebote sollt ihr achten, ... ihr sollt ihm dienen, an ihm sollt ihr euch festhalten“ (Dtn 13,5). Ja, nur Gott „ist gut“ im absoluten Sinn (vgl. Mk 10,18, auch Mt 19,17). Nur er „ist Liebe“ (loh 4,16), dem Wesen und der Definition nach. Hier erscheint jedoch ein neues und überraschendes Element im Leben und in der Lehre Christi. 3. Jesus fordert dazu auf, ihm persönlich nachzufolgen; Dieser Ruf steht sozusagen im Mittelpunkt des Evangeliums selbst. Auf der einen Seite ruft Jesus; auf der anderen hören wir die Evangelisten von Menschen sprechen, die ihm folgen, und sogar von einigen, die alles verlassen, um ihm zu folgen. Denken wir. an all die Berufungen, von denen uns die Evangelisten berichtet haben: „Einer seiner Jünger sagte zu ihm: Herr, laß mich zuerst heimgehen und meinen Vater begraben! Jesus erwiderte: Folge mir nach; laß dieToten ihre Toten begraben!“ (Mt 8,21-22); eine drastische Weise zu sagen: Laß alles zurück, sofort, um meinetwillen. So beschreibt es Matthäus. Lukas fügt die apostolischen .Merkmale dieser Berufung hinzu: „Geh und verkünde das Reich Gottes“ (Lk 9,60). Ein andermal, als er an der Zollbank vorbeigeht, sagt Jesus zu Matthäus, der uns dies bestätigt, und befiehlt ihm beinahe: „Folge mir nach! Da stand Matthäus auf und folgte ihm“ (Mt 9,9; vgl. Mk 2,13-14). Jesus nachzufolgen bedeutet oftmals nicht nur, die Tätigkeiten hinter sich zu lassen und die Beziehungen abzubrechen, die man in der Welt hat, sondern sich auch vom bequemen Wohlstand, in dem man lebt, loszureißen und den eigenen Besitz den Armen zu geben. Nicht alle fühlen sich imstande, diese Trennung durchzuführen. Der reiche Jüngling war nicht dazu imstande, obwohl er von Kindheit an das Gesetz beobachtet und.den Weg der Vollkommenheit ernstlich gesucht hatte. Aber „als der junge Mann das hörte (die Aufforderung Jesu), ging er traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen“ (Mt 19,22; vgl .Mk 10,22). Andere hingegen nehmen das „Folge mir nach!“ nicht nur an, sondern wollen wie Philippus von Betsaida ihre Überzeugung, den Messias gefunden zu haben, auch anderen mitteilen (vgl. Joh l,43f.). Selbst Simon hört bereits bei der ersten Begegnung, daß ihm gesagt wird: „Du sollst Kephas heißen. Kephas bedeutet: Fels (Petrus)“ (Joh 1,42). Der Evangelist Johannes vermerkt: „Jesus bückte ihn an“; in diesem eindringlichen Blick lag das stärkste und verlockendste „Folge mir nach!“ denn je. Aber scheinbar wollte JeSus im Hinblick auf die besondere Berufung des Petras und vieüeicht seines natürlichen Temperaments wegen seine Fähigkeit, diese Einladung ab- 240 AUDIENZEN UNDANGELUS zuwägen und anzunehmen, allmählich reifen lassen. Das buchstäbliche ^Folge mir nach!“ an Petrus wird in der Tat erst nach der Fußwaschung beimletzten Abendmahl (vgl.Joh 13,36) und dann endgültig nach der Auferstehung am See von Tiberias (vgl. Joh 21,9) kommen. 4. Zweifellos verstehen Petrus und die anderen Apostel — Judas ausgenommen — den Ruf zur Jesusnachfolge und nehmen ihn an als eine Ganzhingabe ihrer selbst und aller Dinge um der Verkündigung des Gottesreiches willen. Sie selbst erinnern Jesus daran durch die Worte des Petrus: „Du weißt, wir haben alles verlassen.und sind dir nachgefolgt“ (Mt 19,22). Lukas fügt hinzu: „unser Eigentum“ (Lk 18,28). Und Jesus selbst scheint genau angeben zu wollen, um welche „Dinge“ es sich handelt, als er Petrus antwortet: „Amen, ich sage euch: Jeder, der um des Reiches Gottes willen Haus oder Frau, Brüder, Eltern oder Kinder verlassen hat, wird dafür schon in dieser Zeit das Vielfache erhalten und in der kommenden Welt das ewige Leben“ (Lk 18,29-30). Bei Matthäus wird das Verlassen der Schwestern, der Mutter, der Äcker „um meines Namens willen“ genannt: wer das getan habe, verspricht Jesus, „wird dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben gewinnen“ (Mt 19,29). Bei Markus wird noch weiter das Verlassen all dieser Dinge „um meinetwillen und um des Evangeliums willen“ und die Belohnung erläutert: „Jeder ... wird das Hundertfache dafür empfangen: Jetzt in dieser Zeit wird er Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter, Kinder und Äcker erhalten, wenn auch unter Verfolgungen, und in der kommenden Welt das ewige Leben“ (Mk 10,29-30). Ohne uns jetzt um die plastische Ausdrucksweise Jesu zu kümmern, fragen wir uns: Wer ist dejjenige, der dazu auffordert, ihm zu folgen, und dem, der ihm folgt, so hohe Belohnung, ja sogar das „ewige Leben“ verspricht? Kann ein einfacher Menschensohn so viel versprechen, kann man ihm glauben und nachfolgen, kann er so großen Einfluß nicht nur auf die glücklichen Jünger, sondern auf Tausende und Millionen von Menschen aller Zeiten haben? 5. In Wirklichkeit erinnerten sich die Jünger sehr wohl an die Autorität, mit der Jesus sie aufgefordert hatte, ihm zu folgen; dabei hatte er nicht gezögert, von ihnen eine Radikalität der Hingabe zu verlangen, die er in geradezu paradoxen Worten ausdrückte; so sagte er z.B., er sei nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert, d.h. Trennungen und Spaltungen in den Familien selbst hervorzurufen aufgrund seiner Nachfolge; und schließlich urteilte er: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig“ (Mt 10,37-38). 241 AUDIENZEN UND ANGELUS Noch strenger und beinahe hart ist die Formulierung von Lukas: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben haßt (hebräisch, um zu sagen: trennt sich nicht von), dann kann er nicht mein Jünger sein“ (vgl. Lk 14,26). Angesichts dieser Worte Jesu kann man nicht umhin, über die Erhabenheit und Schwierigkeit der christlichen Berufung nachzudenken. Ohne Zweifel sind die konkreten Formen der Christusnachfolge von ihm selbst abgestuft entsprechend den Umständen, den Möglichkeiten, den Sendungsaufträgen und den Charismen der Personen und Schichten. Die Worte Jesu sind, wie er selbst sagt, „Geistund Leben“ (vgl. Joh 6,63). Man kann nicht verlangen, daß sie auf alle in gleicher Weise angewandt werden. Aber nach Thomas von Aquin gilt die evangelische Forderung des heroischen Verzichts wie die der evangelischen Räte Armut, Keuschheit, Selbstverleugnung, um Christus nachzufolgen — und dasselbe kann gesagt werden vom Selbstopfer im Martyrium, anstatt den Glauben und die Christusnachfolge zu verraten — für alle als eine Pflicht „secundum praeparationem animi“ (vgl. S. Th. 11-11, g. 184, а. 7, ad 1). d. h. entsprechend der Gefügigkeit des Geistes, das zu erfüllen, was verlangt wird, im Fall, daß man berufen würde; dies bringt für alle eine innere Loslösung, eine Opferbereitschaft, eine Selbsthingabe an Christus mit sich, ohne die es keinen echten Geist des Evangeliums gibt. б. Aus dem Evangelium selbst geht hervor, daß es besondere Berufungen gibt, die von einer Wahl Christi abhängig sind; wie jene der Apostel und vieler Jünger, die ziemlich klar von Markus angedeutet wird, wenn er schreibt: „Jesus stieg auf einen Berg und rief die zu sich, die er erwählt hatte, und sie kamen zu ihm. Und er setzte zwölf ein, die er bei sich haben ... wollte“ (Mk 3,13-14). Jesus selbst sagt, gemäß Johannes, in der Abschiedsrede zu den Aposteln: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“ (Joh 15,16). Nirgendwo geht hervor, daß er denjenigen endgültig verdammt habe, der ihm auf dem Weg der Ganzhingabe um des Evangeliums willen nicht nachfolgen wollte (vgl. den Fall des reichen Jünglings: Mk 10,17-27). Es ist ein Mehr, das von der freien Hochherzigkeit des einzelnen gefordert wird. Gewiß ist jedoch die Berufung zum christlichen Glauben und zur Liebe universal und verpflichtend: zum Glauben an das Wort Jesu, zur Liebe zu Gott über alles hinaus und zum Nächsten wie zu sich selbst, „denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht“ (1 Joh 4,20). 7. Wenn er die Anforderungen der Antwort auf die Berufung in seine Nachfolge festlegt, verheimlicht Jesus niemandem, daß ihm nachzufolgen, Opfer 242 AUDIENZEN UNDANGELUS kostet, manchmal sogar das äußerste Opfer. In der Tat sagt er zu seinen Jüngern: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen“ CMt 16,24-25). Markus unterstreicht, daß Jesus mit den Jüngern auch die Volksmenge herbeigerufen hätte und zu allen sprach von der Selbstverleugnung, die dem abgefordert wird, der ihm nachfolgen will, von der Annahme des Kreuzes und dem Verlust des Lebens „um meinetwillen und des Evangeliums willen“ (Mk 8,34-35); und dies, nachdem er von seinem zukünftigen Leiden und Tod gesprochen hatte (vgl. Mk 8,31-32). 8. Zugleich aber preist Jesus diejenigen selig, die „um des Menschensohnes willen“ (Lk 6,22) verfolgt werden: „Freut euch und jubelt: Euer: Lohn im Himmel wird groß sein“ (Mt 5,12). Und wir fragen uns erneut: Wer ist derjenige, der mit Autorität ruft, ihm nachzufolgen, der Haß, Beleidigungen und Verfolgungen aller Art ankündigt (vgl. Lk 6,22) und einen „Lohn im Himmel“ verspricht? Nur ein Menschensohn, der sich dessen bewußt war, Sohn Gottes zu sein, konnte so sprechen. In diesem Sinn verstanden ihn die Apostel und die Jünger, die uns seine Offenbarung und seine Botschaft überliefert haben. In diesem Sinn wollen auch wir ihn verstehen und mit dem Apostel Thomas wiederholen: „Mein Herr und mein Gott! In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Mit besonderer Freude grüße ich euch heute in so großer Zahl bei dieser Audienz. Wir sind hier versammelt, um gemeinsam zu beten und uns gegenseitig in unserem Glauben zu bestärken. In unserer heutigen kurzen Betrachtung richten wir unseren Blick auf Jesus Christus, der sich uns in den Evangelien als Sohn Gottes offenbart. Christus verlangt von uns, daß wir an ihn glauben, wie wir an Gott glauben (vgl. Joh 14,1); eine Forderung, die nur Gott machen kann. Der Glaube bezieht sich auf eine unsichtbare Wirklichkeit, die unsere Sinne und Erfahrung übersteigt. Sein Gegenstand und Inhalt ist letztlich Gott selbst, das höchste Gut und die ewige Liebe. Darum setzt Christus neben die Forderung des Glaubens das Gebot der Liebe zu Gott mit ganzem Herzen und ganzer Seele, über alles Geschaffene hinaus. Gleichzeitig ruft er die Menschen in seine per- 243 AUDIENZEN TJND ANGELUS sönliche Nachfolge ohne Grenzen und Vorbehalte: „Folge mir nach“, sagt er zu einem seiner Jünger, „laß die Toten ihre Toten begraben“ {Mt 8,22). Den reichen Jüngling fordert er auf, seinen Reichtum um des Himmelreiches willen an die Armen zu verschenken. Christus nachzufolgen besagt, alles zu verlassen, um ganz ihm zu gehören. Er fordert die vorbehaltlose Liebe seiner Jünger. Deshalb sagt er: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig“ (Mt 10,37). Bei Lukas heißt es sogar: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein“ (Lk 14,26). Christus kann eine solche radikale Nachfolge nur darum fordern, weil er von der Göttlichkeit seiner Sendung und seiner eigehen Gottessohnschaft überzeugt ist. Nicht ein Mensch, sondern nur er als Sohn Gottes kann sodann denen, die ihm in dieser Radikalität nachfolgen auch noch verheißen, daß sie dafür schon in dieser Zeit das Vielfache als Lohn und in der kommenden Welt das ewige Leben erhalten (vgl. Lk 18,29). ■ ' Gewiß, die konkreten Formen dieser Nachfolge Christi sind verschieden nach den Möglichkeiten, den Aufgaben und Charismen der einzelnen Personen und Gemeinschaften. Christus selbst ruft nur bestimmte Menschen in seihe engere Nachfolge. Dennoch gilt sein Anspruch auf vollkommene Verfügbarkeit für alle — entsprechend der jeweiligen Umstände. Die Berufung zum Glauben und zu christlicher Liebe ist universal und für alle verpflichtend, An alle richtet er die Worte: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen“ (Mt 16,24-25). So wie Christus kann nur ein Mensch sprechen, der sich dessen bewußt ist, der Sohn Gottes zu sein. Erneuern wir deshalb, liebe Brüder und Schwestern, heute unseren Glauben in seine Gottessohnschaft. Bekennen wir in Anbetung vor ihm mit dem Apostel Thomas: „Mein Herr und mein Gott!“ Mit dieser Einladung an euch grüße ich noch einmal alle genannten Gruppen aus verschiedenen Pfarreien, Städten und Verbänden; darunter besonders die heute sehr zahlreichen Kirchenchöre sowie alle Jugendlichen und Schüler. Einen besonderen Willkommensgruß richte ich an die- Mitglieder der Kol-pingsfamilie Hagen-Boele und ermutige sie in ihrem sozialen und karitativen Einsatz; ferner an die Pilgergruppe der „Marianischen Männerkongregation in München“ anläßlich der diesjährigen Seligsprechung von Pater Rupert Mayer. Gern empfehle ich euch erneut seiner besonderen Fürsprache und seinem Schutz. . • . . Einen eigenen herzlichen Gruß verdienen sodann noch der große Pilgerzug aus dem Erzbistum Paderborn und aus Essen sowie die Pilger aus dem Bistum 244 AUDIENZEN UNDANGELUS Münster mit zahlreichen Behinderten. Möge euch alle dieses Erlebnis weltweiter kirchlicher Gemeinschaft in eurem Glauben und in eurer Treue zu Christus stärken und festigen und euch eurer christlichen Berufung froh machen. Das erbitte ich euch und allen hier anwesenden Pilgern deutscher Sprache vom Herrn mit meinem besonderen Apostolischen Segen. Den Toten im Gebet begegnen Angelus am 1. November 1. „Freut euch alle im Herrn am Fest aller Heiligen!“ Mit neuer Freude wenden wir uns heute an die „Königin aller Heiligen“, an dem Tag, an dem wir das gemeinsame Gedenken aller, der Mutter der Kirche und all jener im Licht des Herrn feiern, die im Himmel die triumphierende Kirche sind. Wir ehren sie, die demütig und still hier auf Erden in ständiger Erfüllung des Willens Gottes lebte und jetzt inmitten der Engel und Heiligen von Gott verherrlicht ist. Wir ehren unsere Brüder und Schwestern, die in ihrem irdischen Leben Christus bezeugt haben und jetzt in der Herrlichkeit des Himmels den Löhn der Anschauung Gottes genießen. Freuen wir uns mit unseren vielen Brüdern und Schwestern, die uns vorangegangen sind und denselben Weg wie wir aus der Verbannung in die Heimat zurückgelegt haben. 2. Morgen, am 2. November, werden wir im Geist noch weiter über den Horizont der Zeit hinausblicken, um unseren lieben Verstorbenen im Gebet zu begegnen. Heute abend werde ich die heilige Messe auf dem Verano-Friedhof feiern und das eucharistische Opfer für alle diejenigen darbringen, die uns an allen Orten der Welt auf dem Weg zur ewigen Heimat vorangegangen sind. Ich werde ihrer gedenken, indem ich den Herrn bitte, sie.„in das Land der Verheißung, des Lichtes und Friedens“ aufzunehmen. Mein Gedenken wird besonders all denen gelten, die ihr Leben lassen mußten aufgrund der Bosheit der Menschen, der Ungerechtigkeit, der Unterdrückung, der Gewaltanwendung oder infolge schwerer Naturkatastrophen. Ich werde Gott, den gütigen Vater, bitten, er möge all diesen unseren Brüdern und Schwestern die Freude und den Frieden in der Ewigkeit schenken. 245 AUDIENZEN UND ANGELUS 3. Auch ihr besucht die Friedhöfe, um eurer Toten zu gedenken und ihnen eine Liebe zu bezeigen, die über den Tod hinausgeht: ihr bringt Blumen und Kerzen, aber bringt ihnen vor allem im Geist der Gemeinschaft der Heiligen den Trost und die Hilfe des Gebetes. Von unseren lieben Verstorbenen kommt ein Wort der Gewißheit und der Hoffnung zu uns: mit dem Tod „wird das Leben gewandelt, nicht genommen. Und wenn die Herberge der irdischen Pilgerschaft zerfällt, ist uns im Himmel eine ewige Wohnung bereitet“. Während wir diese katholische Glaubenswahrheit bekennen, wenden wir uns an die heilige Jungfrau, die Mutter des Erlösers und unsere Mutter, sie möge für unsere Verstorbenen eintreten und immer an unserer Seite sein, sie, die „Trösterin der Betrübten“, die „Mutter der heiligen Hoffnung“ und die „Königin aller Heiligen“. Christus überwand das Hinfällige und Vergängliche Ansprache bei der Generalaudienz am 4. November 1. Gehen wir noch einmal die Themen der Katechesen über Jesus, den „Menschensohn“, durch, der sich zugleich als wahrer „Gottessohn“ zu erkennen gibt: „Ich und der Väter sind eins“ (.Joh 10,30). Wir haben gesehen, daß er auf sich selbst den Namen und die Eigenschaften Gottes bezog; er sprach von seiner göttlichen Präexistenz in Einheit mit dem Vater (und mit dem Heiligen Geist, wie wir in einem weiteren Katechesezyklus erläutern werden), er schrieb sich die Vollmacht über das Gesetz zu, das Israel von Gott durch Moses im Alten Bund empfangen hatte (besonders in der Bergpredigt: Mt 5); und zusammen mit dieser Vollmacht schrieb er sich auch jene der Sündenvergebung zü (vgl. Mk 2,1-12 und par.; Lk 7,48; Joh 8,11) und die Vollmacht, das Endgericht zu halten über die Gewissen und Taten aller Menschen (vgl. z. B. Mk 25,31-46; Joh 5,27-29). Schließlich lehrte er wie einer, der Macht hat, und er verlangte Glauben an seine Worte, forderte dazu auf, ihm nachzufolgen bis in den Tod und versprach als Lohn das „ewige Leben“. An diesem Punkt angelangt, haben wir alle Elemente und alle Gründe zur Verfügung, um zu bestätigen, daß Jesus Christus sich selbst als jener offenbart hat, der das Reich Gottes in der Geschichte der Menschheit errichtet. 2. Der Boden der Offenbarung des Gottesreiches war bereits im Alten Testament vorbereitet worden, besonders während der zweiten Geschichtsperiode Israels, die in den Texten der Propheten urtd Psalmen erzählt wurde, die auf 246 AUDIENZEN UNDANGELUS die Verbannung und andere schmerzliche Erfahrungen des auserwählten Volkes folgten. Wir erinnern uns besonders der Lieder der Psalmisten an Gott, der „König der ganzen Erde“ und „König über alle Völker“ ist (Ps 47,8-9); und an die jubelnde Anerkennung: „Dein Königtum ist ein Königtum für ewige Zeiten, deine Herrschaft währt von Geschlecht zu Geschlecht“ (Ps 145,13). Der Prophet Daniel seinerseits spricht vom Gottesreich, „das in Ewigkeit nicht untergeht... Es wird alle jene Reiche zermalmen und endgültig vernichten; es selbst aber wird in Ewigkeit bestehen“. Dieses Reich wird vom „Gott des Himmels“ errichtet (— Himmelreich) und unter der Herrschaft Gottes selbst bleiben, der es „keinem anderen Volk überlassen“ wird (vgl. Dan 2,44). 3. Indem er sich in diese Tradition eingliedert und diese Auffassung des Alten Bundes teilt, verkündet Jesus von Nazaret vom Beginn seiner messianischen Sendung an eben dieses Reich: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe“ (Mk 1,15). Auf diese Weise greift er einen der ständigen Beweggründe der Erwartung Israels auf, gibt jedoch der eschatologischen Hoffnung, die sich in der letzten Phase des Alten Testamentes abgezeichnet hatte, eine neue Ausrichtung; er verkündet, daß sie bereits hier auf Erden ihre anfängliche Erfüllung findet, denn Gott ist Herr der Geschichte; gewiß ist sein Reich auf eine endgültige Vollendung jenseits dieser Zeit ausgerichtet, aber es beginnt sich bereits hier auf der Erde zu verwirklichen und entwickelt sich in gewissem Sinn „innerhalb“ der Geschichte. In dieser Perspektive verkündet und offenbart Jesus, daß die Zeit der früheren Versprechungen, Erwartungen und Hoffnungen „erfüllt“ und das Reich Gottes „nahe“ ist; ja, es ist schon in seiner Person selbst anwesend. 4. Jesus Christus belehrt in der Tat nicht nur über das Reich Gottes und macht es zur Hauptwahrheit seiner Lehre, sondern errichtet dieses Reich in der Geschichte Israels und der ganzen Menschheit. Und darin offenbart sich seine göttliche Vollmacht, seine Herrschaftsgewalt in bezug auf alles, was in Zeit und Raum die Zeichen der alten Schöpfung und der Berufung, „neue Schöpfung“ zu sein (vgl. 2 Kor 5,17; Gal 6,15), in sich trägt, in der in Christus und durch Christus alles Hinfällige und Vergängliche überwunden und für immer der wahre Wert des Menschen und alles Geschaffenen festgelegt wird. Eine einzigartige und ewige Macht ist es, die Jesus Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, am Ende seiner Mission auf Erden sich zuerkennt, als er den Aposteln erklärt: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde“; und kraft dieser seiner Macht befiehlt er ihnen: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Na- 247 AUDIENZEN UND ANGELUS men des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch.geboten habe. Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,18-20). 5. Bevor er zu diesem endgültigen Akt in der Verkündigung und Offenbarung der göttlichen Herrschaftsgewalt des „Menschensohnes“ gelangt, verkündet Jesus mehrmals, daß das Reich Gottes in die Welt gekommen ist. Ja, im Streitgespräch mit den Gegnern, die nicht zögern, den Werken Jesu dämonische Macht zuzuschreiben, widerlegt er sie mit einer Beweisführung, die sogar mit der Bestätigung schließt: „Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen“ (Lk 11,20). In ihm und durch ihn nimmt also der geistliche Raum der Gottesherrschaft Gestalt an: das Reich Gottes tritt in die Geschichte Israels und der gesamten Menschheit ein, und er ist imstande, es zu offenbaren und zu zeigen, daß er die Macht hat, über seine Verwirklichung zu entscheiden. Er beweist es durch die Austreibung der Dämonen: alles psychologischer und geistlicher Raum, der für Gott zurückerobert wurde. 6. Auch der endgültige Auftrag, den Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, den Aposteln gibt (vgl. Mt 28,18-20), wurde von ihm in jeder Hinsicht vorbereitet. Der entscheidende Augenblick der Vorbereitung war die Berufung der Apostel: „Und er setzte zwölf ein, die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte, damit sie predigten und mit seiner Vollmacht Dämonen austrieben“ (Mk 3,14-15). Inmitten der zwölf wird Simon Petrus Empfänger einer besonderen Vollmacht in bezug auf das Reich: „Ich aber sage dir: Du bist Petras, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was. du:auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein“ (Mt 16,18-19). Wer so spricht, zeigt sich überzeugt davon, das Reich zu besitzen, die gesamte Herrschaftsgewalt darüber zu haben und die „Schlüssel“ dazu einem Bevollmächtigten und Stellvertreter anzuvertrauen in einer Weise und in noch stärkerem Maße, als es ein König auf Erden bei seinem Statthalter oder Premierminister tun würde. 7. Diese offensichtliche Überzeugung Jesu erklärt, warum er .während seines Dienstes von seinem gegenwärtigen und zukünftigen Werk als einem neuen Reich spricht, das in die Menschheitsgeschichte eingefügt worden ist: nicht nur als angekündigte Wahrheit, sondern als lebendige Wirklichkeit, die sich entwickelt, die wächst und die ganze menschliche Masse durchsäuert, wie 248 AUDIENZEN UND ANGELUS wir im Gleichnis vom Sauerteig lesen (vgl. Mtl3,33;Lk 13,21). Dieses und die anderen Gleichnisse vom Reich (vgl. bes. Mt 13) bestätigen, daß es die Kem-idee Jesu , aber auch der Inhalt seines messianischen Werkes war, das sich seinem Willen gemäß in der Geschichte auch nach seiner Rückkehr zum Vater fortsetzen soll mittels einer sichtbaren Struktur, an deren Spitze Petrus steht (vgl. Mt 16,18-19). 8. Die Struktur des Reiches Gottes wird in dem Augenblick errichtet, in dem Christus es den von ihm erwählten Aposteln überträgt: „Darum vermache ich (lat. dispono) euch das Reich, wie es mein Vater mir vermacht hat“ (Lk 22,29). Und die Übertragung des Reiches ist zugleich eine Sendung: „Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt“ (.Joh 17,18). Nach der Auferstehung, als er vor den Aposteln erscheint, wiederholt Jesus: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch ... Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert“ (Joh 20,21-23). Man beachte: Im Denken Jesu, in seinem messianischen Werk, in seinem Sendungsauftrag an die Apostel ist der Beginn seines Reiches in dieser Welt eng mit seiner Vollmacht verknüpft, die Sünde zu besiegen, die Macht des Satans in der Welt und in jedem Menschen auszulöschen. Deshalb ist das Reich an das Ostergeheimnis, den Kreuzestod und die Auferstehung Christi gebunden, „Agnus Dei qui tollit peccata mundi...“, und als solches ist es in der geschichtlichen Sendung der Apostel und ihrer Nachfolger strukturiert. Die Errichtung des Reiches Gottes hat sein Fundament in der Versöhnung des Menschen mit Gott, die sich in Christus und durch Christus im Ostergeheimnis erfüllt (vgl. 2 Kor 5,19; Eph 2,13-18; Kol 1,19-20). 9. Der Aufbau des Reiches Gottes in der Menschheitsgeschichte ist Zweck und Ziel der Berufung und Sendung der Apostel — und damit der Kirche — in der gesamten Welt (vgl. Mk 16,15; Mt 28,19-20). Jesus wußte, daß diese Sendung wie seine messianische Sendung heftigem Widerstand begegnen und diesen auslösen würde. Von den Tagen an, als er sie zu den ersten Versuchen der Zusammenarbeit mit ihm aussandte, warnte er die Apostel: „Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ (Mt 10,16). Im Text von Matthäus ist auch das zusammengefaßt, was Jesus später über das Schicksal seiner „Missionare“ sagen sollte (vgl. Mt 10,17-25); ein Thema, auf das er in einer seiner letzten Auseinandersetzungen mit den Schriftgelehrten und Pharisäern zurückkommt, indem er betont: „Darum hört: Ich sende Propheten, Weise und Schriftgelehrte zu euch; ihr aber werdet einige von ihnen 249 AUDIENZEN UND ANGELUS töten, ja sogar kreuzigen, andere in euren Synagogen auspeitschen und von Stadt zu Stadt verfolgen“ {Mt 23,34); ein Schicksal, das im übrigen auch schon den Propheten und anderen bedeutenden Gestalten des Alten Bundes widerfahren war, auf die der Text Bezug nimmt (vgl. Mt 23,35). Aber Jesus gab seinen Jüngern die Gewißheit, daß sein und ihr Werk fortdauern wird: et portae inferi non praevalebunt... (und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen). Trotz der Widerstände und Widersprüche, die es im Laufe seiner geschichtlichen Entwicklung erfahren hat, trägt das Reich Gottes, das ein für allemal in der Welt mit der Kraft Gottes durch das Evangelium und das Ostergeheimnis des Sohnes errichtet wurde, nicht nur immer die Merkmale seines Leidens und Sterbens an sich, sondern auch das Siegel seiner göttlichen Vollmacht, die in der Auferstehung erstrahlt ist. Die Geschichte sollte es beweisen. Aber die Gewißheit der Apostel und aller Glaubenden gründet in der Offenbarung der göttlichen Vollmacht des geschichtlichen eschatologischen und ewigen Christus, von dem das Zweite Vatikanische Konzil lehrt: „Christus ist gehorsam geworden bis zum Tod. Deshalb wurde er vom Vater erhöht (vgl. Phil 2,8-9) und ging in die Herrlichkeit seines Reiches ein. Ihm ist alles unterworfen, bis er selbst sich und alles Geschaffene dem Vater unterwirft, damit Gott alles in allem sei“ (vgl. 1 Kor 15,27-28) {Lumen gentium, Nr. 36). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Wenn wir die Heilige Schrift darüber befragen, mit welchen Worten Jesus von Nazaret sich als Sohn Gottes mit gottgleicher Natur bekennt, dürfen wir nicht nur auf direkte und ausdrückliche Formulierungen dieser Kernwahrheit unseres Glaubens achten. Ebenso wichtig hierfür sind Worte und Taten Jesu, in denen die Gottessohnschaft indirekt enthalten oder vorausgesetzt wird. Hierzu gehört sicher auch das meiste, was der Herr vom Reich Gottes sagt: Er selbst verkündet das Nahen der Herrschaft Gottes und beginnt sie persönlich bereits zu verwirklichen inmitten unserer irdischen Geschichte. „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Dies sind die ersten Worte, die der Evangelist Markus von der Predigt Jesu berichtet (Mk 1,15). Und als die Menschen herausfinden wollten, mit welcher Vollmacht er Dämonen austreibe, stellt Jesus fest: „Wenn ich die Dämonen durch den Finger Gottes — das heißt durch Gottes Macht — austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen“ (Lk 11,20). Wenn der Herr unter den Menschen Liebe und Barmherzigkeit lebt und wirkt, ist dies 250 AUDIENZEN UND ANGELUS ein Zeichen dafür, daß sich hier Gottes Wille, zu erlösen, durchsetzt. Sein Reich der Wahrheit und Gerechtigkeit, sein Reich des Friedens und der Heiligkeit beginnt Fuß zu fassen inmitten der geschichtlichen und gesellschaftlichen Ereignisse des Menschenlebens und der ganzen Schöpfung. Zugleich sorgt der Herr dafür, daß dieser Beginn des Heilswerkes Gottes auf der Erde sicher fortbestehen kann: Er wählt Jünger aus als seine Apostel, als seine Boten und Stellvertreter. Einem unter ihnen, dem Petrus, überträgt er zum gleichen Zweck eine besondere Vollmacht; wir alle kennen die berühmten Worte des Meisters: „Du bist Petrus — ein Fels also —, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen“, das heißt, der Tod wird gegen die Kirche als ganze nichts ausrichten (Mk 16,18). Denn der Herr selbst schenkt ihr fortwährend sein göttliches, unzerstörbares Leben. „Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20); mit diesen trostvollen Worten Jesu beschließt Matthäus sein Evangelium. Wir alle sind als Jünger Jesu, als getaufte Christen dazu berufen, an der Seite des Herrn und mit seiner Hilfe das Reich Gottes in uns wie auch in der Gesellschaft wachsen zu lassen. Diese brüderliche Erinnerung möchte ich auch den deutschsprachigen Besuchern mit auf den Weg geben: den Vätern und den Müttern, den Alleinstehenden, den Jungen wie den Alten. Euch alle grüße ich noch einmal von Herzen und erbitte euch Gottes reiche Gnade für ehren weiteren Lebensweg. Maria — Quelle des wahren Lebens Angelus am 8. November Liebe Brüder und Schwestern! 1. Wir nehmen heute unsere Betrachtungsreihe über die Marienheiligtümer wieder auf. Wir beginnen, indem wir unsere Gedanken auf jenes lenken, das als das Hauptmarienheiligtum betrachtet werden kann, weil es den unvergleichlichen Vorzug besitzt, in der Stadt zu stehen, in der Maria den größten Teil ihres Lebens in der Geschichte zugebracht hat. Es handelt sich um die Verkündigungsbasilika in Nazaret. Der großartige, zweistöckige Bau umfaßt die Überreste der vorausgegangenen Bauten, die im Laufe der Jahrhunderte um eine Grotte und eine an sie anschließende einfache Behausung aus Felsenstein herum errichtet worden waren. Vor wenigen Jahren entdeckten die Archäologen bei Grabungen in der 251 AUDIENZEN UNDANGELUS Grotte sichtbare Zeichen der althergebrachten Volksfrömmigkeit und unter anderem einen Grafitto an der Felsenwand der Grotte selbst, der nahezu auf die Epoche Jesu zurückgeht und in griechischer Inschrift lautet: „Chaire Maria“. Es sind die im Lukasevangelium aufgezeichneten Worte des Erzengels, die hier eingeritzt wurden zur Bestätigung der Überzeugung, daß sie an eben diesem Ort gesprochen wurden. 2. Der Ausdruck „Chaire“, gewöhnlich mit „Ave“ übersetzt, bedeutet eigentlich „Freue dich“ und erinnert an die Ankündigungen messianischer Freude, die die Propheten an die „Tochter Sions“ ‘ richten (Ze/3,14), um ihr das Kommen des Hermunter sein Volk zuzusichern. Der ErzengelGabriel verkündet Maria, der wahren „Tochter Sions“, die Erfüllung der Verheißung und offenbart ihr, daß die neue Anwesenheit des Retters inmitten des Volkes in ihr die Gestalt eines wirklichen, echten Menschen annehmen werde. „Voll der Gnade“ ist ihr neuer Name, der ihr im Auftrag Gottes selbst gegeben wurde, und er bedeutet, daß Maria das Ziel schlechthin des: göttlichen Wohlwollens ist und immer bleibt. Ihr ist einebesondere Berufung in der Heilsgeschichte Vorbehalten. Aus der Wirklichkeit, die in diesem gnadenvollen Namen Ausdruck findet, der die Einzigartigkeit Marias bezeichnet, erwachsen all ihre anderen Vorzüge. Die Worte des Erzengels waren der erste Lobpreis, der im Namen aller Engelschöre an die Königin des Himmels gerichtet wurde, und die Menschenkinder wollten sie dann ausschmücken, um aus ihnen das Mariengebet vor allen anderen zu machen. 3. In Nazaret besucht man auch die Kirche der Ernährung, auch St. Josefskirche genannt, und die sogenannte Marienquelle, aus der seit der damaligen Zeit die Bevölkerung von Nazaret Wasser schöpfte. Ich lade alle ein, während des Tages häufig das „Ave Maria“ zu beten, um gleichsam aus der Quelle des wahren Lebens zu schöpfen. Nach dem Angelüsgebet sagte der Papst: Heute wird in ganz Italien das Erntedankfest gefeiert. Es will uns im Gedanken an die Gaben und Wohltaten, die uns die Vorsehung des Schöpfergottes geschenkt hat, zum Dank an ihn auffordem. Ich möchte meine Stimme mit der der italienischen Bischofskonferenz vereinen und alle einladen, bei dieser Gelegenheit zu bedenken, welche Verantwortung wir gegenüber den Gütern: der Schöpfung haben. Gott hat sie der ganzen Menschheit gegeben, damit sie sie in beständiger Arbeit zum Gebrauch und zum Nutzen aller entfalte und fruchtbar mache. 252 AUDIENZEN UND-ANGELUS Mit. besonders dankbarer Anerkennung möchte ich heute der Landarbeiter gedenken und ihnen wiederum meine liebevolle Hochschätzung zum Ausdruck bringen. Ich möchte sie auffordem, die echten, ihnen überlieferter! Werte aufrechtzuerhalten und die Erde in gutem Zustand zu bewahren, damit die kommenden Generationen auf ihr weiterhin eine.menschenwürdige Bleibe finden können. Durch den Glauben zum Weg des Heils Ansprache bei der Generalaudienz am 11. November 1. Am Pfingsttag, nachdem er Licht und Kraft des Heiligen Geistes empfan- gen hatte, legt Petrus ein klares und mutiges Zeugnis für Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen, ab: „Israeliten, hört diese Worte: Jesus, der Nazoräer, den Gott vor euch beglaubigt hat durch machtvolle Taten, Wunder und Zeichen ... habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und umgebracht. Gott aber hat ihn von den Wehen des Todes befreit und auferweckt“ (Apg 2,22-24). • r Diese Zeugenschaft enthält eine Synthese der ganzen messianischen Tätigkeit Jesu von Nazaret, den Gott „durch machtvolle Taten, Wunder und Zeichen beglaubigt hat“. Sie ist ein Entwurf der ersten christlichen Katechese, die uns das Haupt des Apostelkollegiums, Petrus, selbst bietet. 2. Etwa zweitausend Jahre später muß der derzeitige Nachfolger des Petrus im Verlauf seiner Katechesen über Jesus Christus nun den Inhalt dieser ersten Apostelpredigt vom Pfingsttag auslegen. Bisher haben wir vom Menschensohn gesprochen, der durch seine Lehre wissen ließ, daß er wahrer Sohn Gottes, „eines Wesens“ mit dem Vater ist (vgl. Joh 10,30). Sein Wort war von „machtvollen Taten, Wundem und Zeichen“ begleitet. Diese Ereignisse begleiteten die Worte und folgten ihnen nicht nur, um ihre Glaubwürdigkeit zu bestätigen,: sondern gingen ihnen oft voraus, wie uns die Apostelgeschichte zu verstehen gibt, wenn sie „alles berichtet, was Jesus von Anfang getan und gelehrt hat“ (vgl. Apg 1,1). Die Taten selbst und besonders die „Wunder und Zeichen“ bezeugten, daß „das Reich Gottes nahe war“ (vgl. Mk 1,15), d. h.y daß es mit Jesus in die zeitliche Geschichte des Menschen eingetreten war und in den Geist jedes Menschen eindringen wollte. Zugleich bezeugten sie, daß es wirklich der-Sohn Gottes war, der sie vollbrachte. Deshalb also müssen die jetzigen Katechesen über die Wunder und Zeichen Jesu an die über seine Gottessohnschaft anknüpfen. 253 AUDIENZEN UND ANGELUS 3. Bevor wir die Bedeutung dieser „Wunder und Zeichen“, wie sie Petrus am Pfingsttag ganz klar genannt hat, stufenweise untersuchen, ist es notwendig festzustellen, daß sie (die Wunder und Zeichen) gewiß zum wesentlichen Inhalt der Evangelien gehören als Aussagen über Christus, die von Augenzeugen herrühren. Es ist keinesfalls möglich, die Wunder aus dem Text und dem Kontext des Evangeliums auszuschließen. Die Analyse nicht nur des Textes, sondern auch des Kontextes spricht für ihre historische Natur und bestätigt, daß sie wirklich geschehene und von Christus vollbrachte Tatsachen sind. Wer sich ehrlich, mit Vernunft und wissenschaftlicher Begutachtung mit ihnen befaßt, kann sich ihrer nicht etwa mit dem Hinweis wie reine, spätere Erfindungen entledigen. 4. In diesem Zusammenhang ist es gut zu beachten, daß diese Tatsachen nicht nur von den Aposteln und Jüngern Jesu bezeugt und erzählt, sondern in vielen Fällen von seinen Gegnern bestätigt werden. Zum Beispiel ist es sehr bedeutungsvoll, daß letztere die von Jesus vollbrachten Wunder nicht leugnen, sondern behaupten, sie seien der Macht des „Dämons“ zuzuschreiben. Sie sagten nämlich: „Er ist von Beelzebub besessen; mit Hilfe des Anführers der Dämonen treibt er die Dämonen aus“ {Mk 3,22; vgl. auch Mt 8,32; 12,24; Lk 11,14-15). Und bekannt ist die Antwort Jesu auf diesen Einwand, dessen inneren Widerspruch er aufdeckt: „Und wenn sich der Satan gegen sich selbst erhebt und mit sich selbst in Streit liegt, kann er keinen Bestand haben, sondern es ist um ihn geschehen“ {Mk 3,26). Aber in diesem Augenblick zählt für uns mehr, daß auch die Gegner Jesu seine „Taten, Wunder und Zeichen“ als Wirklichkeiten, als wahrhaft geschehene „Tatsachen“ nicht leugnen. Vielsagend ist auch der Umstand, daß die Gegner Jesus beobachteten, um zu sehen, ob er am Sabbat heilte, damit sie ihn der Verletzung des Gesetzes des Alten Testamentes anklagen konnten. So war es z. B. im Fall des Mannes mit der verdorrten Hand (vgl. Mk 3,1-2). 5. Zu erwägen ist auch die Antwort, die. Jesus nicht mehr seinen Gegnern, sondern diesmal den Boten Johannes des Täufers gibt, die zu ihm gesandt wurden, um ihn zu fragen: „Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ {Mt 11,3). Jesus antwortet darauf: „Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder, Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet“ {Mt 11,4-5; vgl. auch Lk 7,22). Jesus beruft sich in seiner Antwort auf die Weissagung des Jesaja über das Kommen des Messias (vgl. Jes 35,5-6), die zweifellos im Sinn einer Erneuerung und einer geistlichen Heilung Israels und der Menschheit verstanden werden konnte, 254 AUDIENZEN UND ANGELUS aber im Kontext des Evangeliums, wo sie Jesus in den Mund gelegt wird, allgemein bekannte Tatsachen bezeichnet, die die Jünger des Täufers ihm als Zeichen der Messianität Christi berichten können. 6. Alle Evangelisten vermerken die Tatsachen, auf die Petrus am Pfmgsttag hinweist: „machtvolle Taten, Wunder und Zeichen“ {Apg 2,22). Die Synoptiker erzählen viele einzelne Ereignisse, aber manchmal verwenden sie auch verallgemeinernde Formeln, so z. B. im Markusevangelium: „... er heilte viele, die an allen möglichen Krankheiten litten, und trieb viele Dämonen aus“ (Mk 1,34); ähnlich Matthäus und Lukas: „Er ... heilte im Volk alle Krankheiten und Leiden“ {Mt 4,23); „es ging eine Kraft von ihm aus, die alle heilte“ (Lk 6,19). Diese Worte geben die große Anzahl der von Jesus vollbrachten Wunder zu verstehen. Im Johannesevangelium finden wir ähnliche Formeln nicht, aber die Beschreibung in allen Einzelheiten von sieben Ereignissen, die der Evangelist „Zeichen“ und nicht „Wunder“ nennt. Mit diesem Ausdruck will er auf das hinweisen, was wesentlicher ist als diese Tatsachen: das Offenbarwerden des Wirkens Gottes in Person, der in Christus gegenwärtig ist. Die Bezeichnung „Wunder“ hingegen verweist mehr auf den „außerordentlichen“ Aspekt, den diese Ereignisse in den Augen derer besitzen, die sie gesehen oder von ihnen gehört haben. Aber auch Johannes betont vor dem Abschluß seines Evangeliums: „Noch viele andere Zeichen, die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind, hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan“ (Joh 20,30), Und er begründet die von ihm getroffene Auswahl: „Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen“ {Joh 20,31). Auch die Synoptiker und das vierte Evangelium zielen daraufhin: anhand der Wunder die Wahrheit des Sohnes Gottes aufzuzeigen und zum Glauben zu führen, der Anfang des Heils ist. 7. Im übrigen, als Petrus am Pfingsttag Zeugnis ablegt für die gesamte Sendung Jesu von Nazaret, „den Gott beglaubigt hat durch machtvolle Taten, Wunder und Zeichen“, kann der Apostel nicht umhin, daran zu erinnern, daß derselbe Jesus gekreuzigt wurde und auferstanden ist (vgl. Apg 2,22-24). Er weist auf das Ostergeschehen hin, in dem das vollkommenste Zeichen des Heils- und Erlösungswirkens Gottes in der Menschheitsgeschichte gegeben wordenist. In diesem Zeichen,könnte man sagen, ist das „Gegen-Wünder“ des Kreuzestodes und das „Wunder“ der Auferstehung (das Wunder aller Wunder) eingeschlossen, die zu einem einzigen Geheimnis verschmelzen, damit in ihm der Mensch die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus bis auf den Grund lesen und durch den Glauben an ihn den Weg des Heils antreten kann. 255 AUDIENZEN UND ANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern!' Am Pfingstfest bekennt Petrus vor den Juden, daß Gott Jesus von Nazaret, den sie gekreuzigt haben, „durch machtvolle Taten, Wunder und Zeichen“ vor ihnen beglaubigt habe. Das größte unter ihnen ist seine Auferweckung von den Toten. Diese erste Predigt des Apostels enthält eine kurze Synthese der ganzen niessianischen Tätigkeit Jesu {Apg 2,22ff.). Jesus Christus lehrte nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten, durch „Wunder und Zeichen“. Diese bezeugen den Menschen, daß das Reich Gottes unter ihnen angebrochen ist unddaß Christus der Sohn Gottes ist. Die von Jesus gewirkten Zeichen und Wunder gehören zum vollständigen Inhalt des Evangeliums. Sie dürfen und können daraus nicht wegdiskutiert werden. Der konkrete biblische Kontext selbst bekräftigt oft ihr tatsächliches Geschehen. Auch die Gegner Jesu erkennen diese häufig ausdrücklich an. S o zum Beispiel, wenn sie ihm fälschlicherweise Vorhalten, daß er durch den Anführer der Dämonen die Dämonen austreibe (vgl. Mk 3,22). Die Gesandten von Johannes dem Täufer lädt Jesus ein, diesem zu berichten, was sie sehen: „Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet“ {Mt 11,4-5). Alle vier Evangelien berichten von solchen Zeichen und Wundem; die Synoptiker mehrmals mit der allgemeinen Feststellung: „Und er heilte viele, die an,allen möglichen Krankheiten litten, und trieb viele Dämonen aus“ (Mk 1,3). Auch Johannes bekennt am Ende seines Evangeliums, daß Jesus noch viele andere Zeichen getan habe, die nicht in seinem Buch aufgeschrieben sind; und er fährt fort: „Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen“ (Joh 20,30-31). Mit dieser kurzen Betrachtung grüße ich herzlich alle heute anwesenden deutschsprachigen Pilger: aus Deutschland, Österreich und aus Südtirol. Möge durch unsere heutige Begegnung euer Glaube ah Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, neu gestärkt und eure Liebe zur Kirche vertieft Werden. Bekennt euch zu ihm mutig in euren Pflichten des Alltags. Er allein gibt unserem Leben Sinn und Ziel. Für eure Pilgerreise erbitte ich euch seinen besonderen Schütz und erteile euch und allen euren Lieben von Herzen meinen Apostolischen Segen. ' i 256 AUDIENZEN UND ANGELUS Maria — zeige uns Jesus! Angelus am 15. November 1. Bei der heutigen geistlichen Marienwallfahrt möchte ich meine Gedanken auf Unsere Liebe Frau vom Pilar in Saragossa, Spanien, lenken, deren Basilika zu besuchen ich die Freude hatte. Damals hat „sich ein Wunsch erfüllt, nämlich als frommer Sohn Mariens vor der heiligen Säule niederzuknien“ (Predigt vom 6.11.82). Dieses verehrungswürdige Heiligtum, am Ufer des Ebro erbaut, ist ein herrliches Zeichen der Gegenwart Marias seit Beginn der Verkündigung der Frohen Botschaft auf der spanischen Halbinsel. Nach einer sehr alten, örtlichen Überlieferung erschien die Gottesmutter dem Apostel Jakobus in Saragossa, um ihn zu trösten, und sie versprach ihm ihre Hilfe und ihren mütterlichen Beistand bei der apostolischen Verkündigung. Nicht nur: als Zeichen ihres Schutzes hinterließ sie ihm eine Marmorsäule, die während der Jahrhunderte in einer Kapelle verehrungsvoll aufbewahrt wurde und die dann dem Heiligtum den Namen gab. 2. Seither wurde „el Pilar de Zaragoza“ (wie sie in Spanien heißt) „als Symbol der Glaubensfestigkeit der Spanier angesehen“ (Predigt vom 6.11.82). Zugleich ist sie ein Wegweiser, der zur Kenntnis Christi durch die apostolische Verkündigung führt. In diesem Sinn bewahrheitet sich in bedeutungsvoller Weise, was ich dazu in der Enzyklika Redemptoris Mater geschrieben habe: „Alle, die unter den verschiedenen Völkern und Nationen der Erde die Generationen hindurch das Geheimnis Christi, des menschgewordenen Wortes und Erlösers der Welt, gläubig aufnehmen, wenden sich nicht nur mit Verehrung an Maria und gehen vertrauensvoll zu ihr wie zu einer Mutter, sondern suchen auch in ihrem Glauben Kraft für den eigenen Glauben“ (Nr. 27) . . Deshalb haben unzählige Christen zu allen Zeiten die Madonna vom Pilar seliggepriesen. Die Christen Spaniens haben im „pilarf‘ einen deutlichen Hinweis auf die Säule gesehen, die die Wanderung des Volkes Israel in das verheißene Land anführte (vgl. Num 14,14). Und so konnten sie die Jahrhunderte hindurch singen: „Wir haben eine Säule, die uns führt“ (vgl. Eingangslied bei der Messe der Madonna del Pilar). Ja, wir haben als Führer eine Säule, die das neue Israel, die Kirche, auf ihrem Pilgerweg zum verheißenen Land führt: Christus. Die Madonna vom Pilar ist der „Leuchtturm“, der „Thron der Herrlichkeit“, 257 AUDIENZEN UND ANGELUS der den Glauben eines Volkes.leitet und festigt, das nicht müde wird, im „Salve Regina“ zu wiederholen: „Zeige uns Jesus!“ 3. „Das ist es, was Maria unentwegt tut und was auf so vielen Muttergottesbildern wie dem vom Pilar zum Ausdruck kommt. Ihren Sohn im Arm, zeigt sie ihn uns als „den Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Predigt vom 6.11.82). Und wenn wir zu unserem Unglück aufgrund der Sünde die Freundschaft mit Gott verlieren, „suchen wir unbewußt nach dem, der die Vollmacht hat, Sünden zu vergeben (vgl. Lk 5,24), und wir suchen ihn durch Maria; ihre Heiligtümer sind Stätten der Umkehr, der Buße, der Versöhnung mit Gott. Sie erweckt, in uns die Hoffnung auf Besserung und Beharrlichkeit im Guten“ (Predigt vom 30.1.79). Heilige Jungfrau vom Pilar, vermehre unseren Glauben, stärke unsere Hoffnung, entzünde unsere Liebe. Amen.“ Nach dem Angelusgebet sagte der Papst: 1. : Heute wird in Italien der Tag des ausländischen Mitbürgers gefeiert. In dem diesjährigen Thema wird die Bedeutung der Familie für die Auswanderungserscheinungen hervorgehoben. Sie hat normalerweise zweifellos das Hauptgewicht in diesem Phänomen: Man emigriert, um eine Familie zu erhalten oder zu gründen. Wir möchten wünschen, daß die beteiligten Regierungen den Rechten der Familien und nicht nur der Arbeitskraft des einzelnen verstärkte Aufmerksamkeit widmen. Denn aus dem Zusammenhalt und Bestand der Familien vor allem erwächst auch das Wohl der Nationen. Ich begrüße von Herzen den heutigen Gedenktag und bitte den Herrn,-daß dieser „Tag“ dazu diene, in der öffentlichen Meinung größere Sensibilität für dieses Problem zu wecken, damit rasch entsprechende Lösungen gefunden werden. 2. Der kommende Samstag, 21. November, das Fest der Darstellung Marias im Tempel, wird wie jedes Jahr als Tag „pro orantibus“ gefeiert, der uns einlädt, besonders an die kontemplativen Nonnen und Klausurschwestem zu denken. Für die weltliche Mentalität erscheint die Lebensform dieser unserer Schwestern immer als ein Stein, „an dem man anstößt, ein Fels, an dem man zu Fall kommt“ (vgl. Rom 9,33); und doch ist sie außerordentlich fruchtbar für das Heil der Welt. Die kontemplative Berufung, in dieser ausschließlichen Form ausgeübt, ist ein wesentlicher Teil des Lebens der Kirche. Deshalb lade ich euch alle ein, am nächsten Samstag in besonderer Weise dieser unserer gottgeweihten Schwestern zu gedenken. Wir müssen ihnen dank- 258 AUDIENZEN UND ANGELUS bar sein für das Beispiel, das sie uns geben, und das Gute, das sie der Kirche tun. Helfen wir ihnen in ihrer manchmal sehr schweren Not, und beten wir für sie zum Zeichen des Dankes für die Gebete, die sie Tag und Nacht für uns erheben. Auch heute geschehen Wunder Ansprache bei der Generalaudienz am 18. November 1. Wenn wir aufmerksam die „machtvollen Taten, Wunder und Zeichen“ betrachten, mit denen Gott die Sendung Jesu Christi beglaubigt hat, gemäß den vom Apostel Petrus am Pfingsttag gesprochenen Worten, stellen wir fest, daß Jesus beim Vollbringen dieser „Wunder und Zeichen“ im eigenen Namen gewirkt hat aus der Überzeugung seiner göttlichen Vollmacht und zugleich seiner engen Verbindung mit dem Vater heraus. Wir stehen also noch und wieder vor dem Geheimnis des „Menschensohnes und Gottessohnes“, dessen Ich alle Grenzen der Menschennatur, die er doch aus freier Wahl angenommen hat, und alle menschlichen Möglichkeiten der Verwirklichung und auch nur des Wissens übersteigt. 2. Ein Blick auf mehrere einzelne von den Evangelisten aufgezeichnete Ereignisse erlaubt uns, die geheimnisvolle Gegenwart zu erkennen, in deren Namen Jesus Christus seine Wunder wirkt. Hier sieht man ihn, wie er auf die Bitten eines Aussätzigen, der zu ihm sagt: „Wenn du willst, kannst du-ma-chen, daß ich rein werde“, antwortet, weil „er Mitleid mit ihm hatte“, und einen Befehl ausspricht, der in einem solchen Fall Gott und nicht einem reinen Menschen angemessen ist: „Ich will es — werde rein! Im gleichen Augenblick verschwand der Aussatz, und der Mann war rein“ (vgl. Mk 1,40-42). Und ähnlich im Fall des Gelähmten, der durch eine durchgeschlagene Dachöffnung hinabgelassen worden war: „Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Tragbahre, und geh nach Hause“ (vgl. Mk 2,1-12). Und weiter: Im Fall der Tochter des Jairus lesen wir, daß Jesus „das Kind an der Hand faßte und zu ihm sagte: Talita kum!, das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf! Sofort stand das Mädchen auf und ging umher“ (Mk 5,41-42). Im Fall des toten jungen Mannes in Nain: „Ich befehle dir, junger Mann: Steh auf. Da richtete sich der Tote auf und begann zu sprechen“ (Lk 7,14-15). In so vielen dieser Ereignisse sehen wir aus den Worten Jesu den Ausdruck eines Willens und einer Vollmacht zu Tage treten, auf die er sich in seinem In- 259 AUDIENZEN UND ANGELUS nem bezieht und die er, man könnte sagen, mit der größten Selbstverständlichkeit ausdrückt, als würde sie Teil seiner geheimnisvollen Natur sein, die Vollmacht, den Menschen Gesundheit, Heilung und sogar Auferweckung und Leben zu schenken! 3. Besondere Aufmerksamkeit verdient die vom vierten Evangelisten in allen Einzelheiten beschriebene Auferweckung des Lazarus. Wir lesen: „Jesus ... erhob seine Augen und sprach: Vater, ich danke dir, daß du mich erhört hast. Ich wußte, daß du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herum steht, habe ich es gesagt; denn sie sollen glauben, daß du mich gesandt hast. Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Da kam der Verstorbene heraus“ (Joh 11,41-44). In der genauen Beschreibung dieses Ereignisses wird hervorgehoben, daß Jesus den Freund Lazarus durch die eigene Vollmacht und in engster Verbindung mit . dem Vater auferweckt. Hier werden die Worte Jesu bestätigt:„Mein Vater ist noch im-mer am Werk, und auch ich bin am Werk“ (Joh 5,17); hier wird das, man kann sagen, im voraus offenbar, was Jesus im Abendmahlssaal während seines Gesprächs mit den Aposteln beim letzten Abendmahl über seine Beziehung zum Vater und sogar seine Wesenseinheit mit ihm sagen Wird. 4. Die Evangelien zeigen anhand der verschiedenen Wunder und Zeichen, wie die göttliche Vollmacht, die in Jesus Christus, am Werk ist, über die menschliche Welt hinausgeht und sich als Herrschaftsgewalt auch über die Näturkräfte manifestiert. Bezeichnend ist die Begebenheit des gebändigten Wirbelsturms! „Plötzlich erhob sich ein heftiger Wirbelsturm.“ Die Apostel, dieEischer, erschrecken und wecken Jesus, der im Boot liegt und schläft. „Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei-still! Und der Wind legte sich, und es trat völlige Stille ein ... Da ergriff sie große Furcht, und sie sagten zueinander: Was ist das für ein Mensch, daß ihm sogar der Wind und der Sec gehorchen?“ (vgl. Mk 4,37-41). Zu dieser Reihe von Ereignissen gehört auch der wiederholte wunderbare Fischfang auf Jesu Wörthin („Wenn du es sagst“) nach.den vorherigen, erfolglosen Versuchen (vgl. Lk 5,4-6; Joh 21,3-6). Dasselbe kann man sagen in bezug auf den Hergang des Ereignisses, auch von dem in Kana in Galiläa gewirkten „ersten Zeichen“, wo Jesus den Dienern befiehlt, die Krüge mit Wasser zu füllen und dem für das Festmahl Verantwortlichen,,das Wasser, das zu Wein geworden war“ zu bringen (vgl. Joh 2,7-9). Wie bei den wunderbaren Fischlangen sind auch in Kana in Galiläa Menschen am Werk: die Apostel als Fischer in einem Fall, die Hochzeitsdiener im anderen. Aber es ist klar, daß die außerordentliche Wirkung ihres Tuns nicht von ihnen kommt, sondern 260 AUDIENZEN UNDANGELUS von dem, der ihnen den Befehl zu handeln gegeben hat und der mit seiner geheimnisvollen göttlichen Vollmacht am Werk ist. Dies wird von der Reaktion der Apostel, insbesondere des Petrus, bestätigt, der nach dem wunderbaren Fischfang Jesus zu Füßen fiel und sagte: „Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder“ (Lk 5,8); einer der vielen Fälle von Erregung, die die Form ehrerbietiger Furcht und auch Schreckens annimmt, sei es in den Aposteln wie Simon Petrus, sei es unter den Leuten, wenn sie den Flügelschlag des göttlichen Geheimnisses verspüren. 5. Eines Tages, nach der Himmelfahrt, werden auch jene von ähnlicher „Furcht“ ergriffen, die die „Wunder und Zeichen sehen, die durch die Apostel geschehen“ (vgl. Apg 2,43). In der Apostelgeschichte heißt es: „Selbst die Kranken trug man auf die Straßen hinaus und legte sie auf Betten und Bahren, damit, wenn Petrus vorüberkam, wenigstens sein Schatten auf einen von ihnen fiel“ (Apg 5,15). Aber diese „Wunder und Zeichen“, die die Anfänge der apostolischen Kirche begleiteten, wurden von den Aposteln nicht im eigenen Namen, sondern im Namen Jesu .Christi vollbracht und waren deshalb ein weiterer Beweis seiner göttlichen Vollmacht. Man ist beeindruckt, wenn man die Antwort und den Befehl des Petrus an den Gelähmten, der ihn an der Schönen Pforte des Tempels um ein Almosen bat, liest: „Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, geh umher! Und er faßte ihn an der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich kam Kraft in seine Füße und Gelenke“ (Apg 3,6-7); oder das, was wiederum Petrus zu einem Gelähmten namens Äneas sagte: „Jesus Christus heilt dich. Steh auf, und richte dir dein Bett! Sogleich stand er auf“ (Apg 9,34). . Auch der andere Apostelfürst, Paulus, wenn er im Römerbrief daran erinnert, was er „als Diener Christi Jesu für die Heiden wirkte“, beeilt sich hinzuzufügen, daß sein einziger „Ruhm“ in diesem Dienst besteht: „Denn ich wage nur von dem zu reden, was Christus, um die Heiden zum Gehorsam zu führen, durch mich in Wort und Tat bewirkt, in der Kraft von Zeichen und Wundern, in der Kraft des Geistes Gottes“ (Röm 15,17-19). 6. In der Urkirche und besonders während der Evangelisierung der damaligen Welt durch die Apostel waren „machtvolle Taten, Wunder und Zeichen“ (Apg 2,22) sehr zahlreich, wie Jesus selbst ihnen versprochen hatte. Aber man kann sagen, daß diese sich in der Heilsgeschichte und besonders in den für die Verwirklichung des Planes Gottes entscheidenden Momenten laufend wiederholt haben. So geschah es bereits im Alten Testament in Verbindung mit dem „Auszug“ Israels aus der Knechtschaft von Ägypten und dem Weg in das 261 AUDIENZEN UND ANGELUS verheißene Land unter der Führung von Moses. Als mit der Menschwerdung des Sohnes Gottes „die Zeit erfüllt war“ (vgl. Gal 4,4), erhalten diese wunderbaren Zeichen des göttlichen Wirkens neue Bedeutung und' Wirksamkeit, durch die göttliche Autorität Christi und den Bezug auf seinen Namen — und damit auf seine Wahrheit, seine Verheißung, seinen Auftrag und seine Verherrlichung —, mit dem die Apostel und so viele Heilige der Kirche sie vollbringen. Auch heute geschehen Wunder, und in jedem von ihnen wird das Antlitz des „Menschensohnes und Gottessohnes“ sichtbar und ein Gnaden-und Heilsgeschenk bestätigt. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Im Leben jedes einzelnen von euch müßte etwas aufleuchten von jener erbar-mungsvollen Liebe Jesu Christi, die er bis zum Einsatz seines Lebens in Wort und Tat bekundet hat. In euren Familien, bei eurer Berufsarbeit, in Schule und Freizeit ergeben sich zahllose Gelegenheiten hierfür. Nutzt sie mit der Kraft eures Christenglaubens für eine menschenwürdige Zukunft dieser Erde, für das Kommen des Reiches Gottes. Mit diesem Segenswunsch grüße ich euch alle, heute vor allem die beiden großen Gruppen aus dem Raum München mit der Lesergemeinde einer Zeitung aus Weiden in der Oberpfalz sowie aus dem Raum Hamburg, der ich die Reisegruppe der Katholischen Akademie Hamburg hinzufugen darf. Mit aufmerksamer Anteilnahme grüße ich sodann die Teilnehmerinnen am Generalkapitel der Marienschwestern von der Unbefleckten Empfängnis und wünsche ihnen einen fruchtbaren und geisterfüllten Verlauf ihrer Beratungen. Stellvertretend für alle anwesenden Jugendlichen grüße ich die Schülerinnen mit Lehrerinnen von der Liebfrauenschule bei Rottenburg. Gott schenke euch allen eine gesunde Heimkehr zu euren Lieben mit einer guten Erinnerung an Rom und den Vatikan. Gelobt sei Jesus Christus! Einen besonderen Gmß richte ich an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages im Ausschuß für Welternährung, Weltwirtschaft und Weltforstwirtschaft, die anläßlich der derzeitigen Vollversammlung der FAO in Rom weilen. Ich danke Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, für Ihren heutigen Besuch und ermutige Sie in Ihrem verantwortungsvollen Wirken in den wichtigen Bereichen von Ernährung und Wirtschaft. Ihnen stellen sich dort lebensnotwendige Aufgaben für Menschen und Völker, die heute nur noch in weltweiter Zusammenarbeit angepackt werden können und nach umfassenden Lösungen verlangen. Dies fordern nicht nur äußere, grenzüberschreitende Sachzwänge, sondern vor allem 262 AUDIENZEN UND ANGELUS eine wachsende weltweite Solidarität unter den Nationen sowie die Suche nach Gerechtigkeit, Frieden und sozialem Fortschritt in der ganzen Völkergemeinschaft. Von Herzen segne ich Sie und Ihr Wirken. Nach der Generalaudienz sagte der Papst: Brüder und Schwestern! In diesen Tagen erreichen uns Nachrichten von der schweren Hungersnot, die wiederum einige Regionen von Äthiopien betroffen hat. In Gefahr sind Tausende von Menschenleben, denen die Mittel für den Lebensunterhalt fehlen. Ich möchte alle zur Teilnahme an den Initiativen einladen, die insbesondere die katholischen Hilfsorganisationen unternommen haben, um möglichst rasch die Gefahr abzuwenden. Einen besonderen Appell möchte ich an alle Verantwortlichen richten, den freien Durchgang der für die hungerleidenden Menschen bestimmten Lebensmittel zu gewährleisten. Bitten wir den Herrn, er möge in allen Verantwortlichen die Gefühle menschlicher Solidarität wecken, die, alle anderen Erwägungen überwindend, in den Herzen der Brüder und Schwestern in Not Hoffnung wachrufen. Gott ist in ihrer Mitte Angelus am 22. November 1. Heute sind unsere Augen und unser Herz auf die Stadt der seligsten Jungfrau Maria gerichtet, die Kiew heißt, am Ufer des Flusses Dnjepr, inmitten der weiten. Steppen der Ukraine. Die Kiewer Rus mit ihrer Bekehrung zum Christentum vor tausend Jahren empfing den christlichen Glauben von der byzantinischen Kirche in einer Epoche, in der die nachfolgende Entfremdung von der lateinischen Kirche noch nicht vollzogen worden war. Sie erhielt deshalb den Glauben in der byzantinischen Form zusammen mit der Heiligen Schrift, den Werken der heiligen Väter und der liturgischen Bücher, die bereits von den Brüdern Kyrill und Method aus Thessaloniki, „Slawenapostel“ genannt, ins Altslawische übersetzt worden waren. Den Missionaren folgten dann zahlreiche Mönche, Künstler, die die Kirchen mit Mosaiken, Fresken und Ikonen schmückten. Die Kirche der alten Kiewer Rus übernahm von der byzantinischen eine große Verehrung der Gottesmutter. Zahllose Gotteshäuser sind der Madonna ge- 263 AUDIENZEN UND ANGELUS weiht. Die erste Kathedrale von Kiew, der Gründerstadt, wurde der Aufnahme Mariens in den Himmel geweiht. Sie übertraf an Schönheit alle Kirchen der Kiewer Rus, wie ein Chronist der damaligen Zeit schreibt: „Der Fürst schmückte sie mit Gold und Silber, mit Edelsteinen und reichen Schätzen, so daß es in den Nachbarländern keine gab, die ihr gleichen konnte.“ 2. In dem herrlichen Mosaik in der Apsis tritt auf strahlendem Goldgrund die erhabene Figur der betenden Gottesmutter hervor, das Symbol oder besser die Ikone der Kirche im Gebet, die fortwährend für die Rettung aller Menschen Fürsprache einlegt. Sie heißt „unzerstörbare Wand“. Der Künstler^ der dieses Mosaik schuf, berechnete mit großer Genauigkeit die Wirkung und den Einfallswinkel der Sonnenstrahlen zur Mittagsstunde, der Zeit des Angelusgebetes . Im hellen Sonnenlicht erstrahlt das himmelblaue und violette goldbestickte Kleid der Madonna in einzigartigem Glanz. Die Zusammenstellung des Kleides und seine Verzierung lassen die Ikone noch eindrucksvoller, noch mystischer und majestätischer angehaucht erscheinen. In der Apsisrundung sind in griechischer Schrift die Worte des Psalms 46 zu lesen: „Gott ist in ihrer Mitte, darum wird sie niemals wanken; Gott hilft ihr, wenn der Morgen anbricht“ (Ps 46,6). 3. Kiew ist eine heilige Stadt, eine marianische Stadt schlechthin. In ihr wird die betende Madonna als Schutzherrin der Stadt und als Mutter aller anderen Städte der Rus angerufen. Hier hilft sie den Gläubigen seit tausend Jahren und tritt für sie ein bei ihrem Sohn Jesus. Schon vor 950 Jahren weihte ihr Fürst Ja-roslaw der Weise von Kiew sein ganzes Volk. Jetzt, zur Tausendjahrfeier der Taufe der Kiewer Rus erneuert das christliche Volk von Kiew und der Ukraine vor ihr das Gott im Augenblick der Taufe gemachte Gelöbnis, damit sie es im neuen Jahrtausend seiner christlichen Geschichte beschützen möge. Mit allen Gläubigen dieses geliebten Landes richten auch wir unser Gebet an die heilige Jungfrau. Nach dem Angelusgebet sagte der Papst: Besonders begrüße ich die englischsprachigen Pilger, vor allem die aus England, Schottland und Wales, die zur,Seligsprechung der englischen Märtyrer hier in Rom sind/Das wirksame Zeugnis dieser Männer des Glaubens ist ein mächtiges Zeichen für alle, die ihren Glauben an Jesus Christus als Herrn und König bekennen. Sie bekräftigten ihr Zeugnis für die Wahrheit durch das Opfer ihres Lebens, und indem sie den Tod erlitten, bekannten sie ihren Glauben an das Leben. 264 AUDIENZEN. UND ANGELUS Ich bete, damit eure Pilgerfahrt nach Rom zu dieser feierlichen Zeremonie euren eigenen Glauben und eure Liebe zu Christus, der der Weg, die: Wahrheit und das Leben ist, erneuere. Christus befreit von Sünde und Tod Ansprache bei der Generalaudienz am 25. November 1. Ein Text des hl. Augustinus gibt uns den Schlüssel zum Verständnis der Wunder Christi als Zeichen seiner Heilsvollmacht: „Die Menschwerdung für uns hat viel mehr zu unserer Rettung beigetragen als die Wunder, die er unter uns vollbracht hat; und die Seele von den Übeln geheilt zu haben ist wichtiger, als die Heilung der Krankheiten des Leibes, der bestimmt ist zu sterben“ (Augustinus, In Io.Ev.Tn, 17,1). In bezug auf dieses Heil der Seele und die Erlösung der gesamten Welt hat Jesus auch die Wunder in der körperlichen Ordnung vollbracht. Deshalb ist das Thema der heutigen Katechese folgendes: durch „machtvolle Taten, Wunder und Zeichen“, die er gewirkt hat , hat Jesus Christus seine Vollmacht kundgetan, den Menschen vor dem Bösen zu retten, das die unsterbliche Seele und ihre Berufung zur Vereinigung mit Gott gefährdet. 2. Das wird in besonderer Weise bei der Heilung des Gelähmten in Kafar-naum offenbar. Da die Leute, die ihn hingetragen haben, das Haus, in dem Jesus lehrt, nicht durch die Tür betreten können, lassen sie den Kranken durch eine Dachöffnung hinab, so daß der Arme sich zu Füßen des Meisters wiederfindet. „Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben! “Diese Worte erwecken in einigen Anwesenden den Verdacht der Gotteslästerung: „Er lästert Gott. Wer kann Sünden vergeben außer dem einen Gott?“ Sozusagen als Antwort für jene, die so dachten, wendet sich Jesus ah die Anwesenden: „Ist es leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm deine Tragbahre und geh umher? Ihr sollt aber erkennen, daß der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Sünden zu vergeben. Und er sagte zu dem Gelähmten: Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Tragbahre und geh nach Hause! Der Mann stand sofort auf, nahm seine Tragbahre und ging vor aller Augen weg“ (vgl. Mk 2,1-12; analog Mt 9,1-8; Lk 5,18-26: „Er ging heim, Gott lobend und preisend“: Lk 5,25). Jesus selbst macht in diesem Fall klar, daß das Wunder der Heilung des Gelähmten Zeichen für die Heilsvollmacht ist, weshalb er die Sünden vergibt. 265 AUDIENZEN UND ANGELUS Jesus vollbringt dieses Zeichen, um kundzutun, daß er als Erlöser der Welt gekommen ist, dessen Hauptaufgabe ist, den Menschen vom geistigen Übel, der Sünde, zu befreien, denn sie trennt den Menschen von Gott und verhindert das Heil in Gott. 3. Mit demselben Schlüssel kaim man die besondere Kategorie der Wunder Christi erklären, die die „Dämonenaustreibung“ ist. „Verlaß diesen Mann, du unreiner Geist!“, befiehlt Jesus, nach dem Markusevangelium, als er einem Besessenen bei Gerasa begegnet (vgl. Mk 5,8). Bei dieser Gelegenheit werden wir Zeugen eines ungewöhnlichen Zwiegespräches. Als der „unreine Geist“ sich von Christus bedroht fühlt, schreit er ihm entgegen: „Was habe ich mit dir zu tun, Jesus, Sohn des höchsten Gottes? Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht! Jesus fragte ihn: Wie heißt du? Er antwortete: Mein Name ist Legion; denn wir sind viele“ (Mk 5,7-9). Wir stehen hier an der Schwelle einer dunklen Welt, wo physische und psychische Faktoren mitspielen, die zweifellos ihr Gewicht haben in der Verursachung pathologischer Zustände, In ihnen tritt die dämonische Wirklichkeit zutage, die in der menschlichen Sprache vielfach dargestellt und beschrieben wird, die aber Gott als entschieden feindlich gegenübersteht. Damit steht sie auch gegen den Menschen und gegen Christus, der gekommen ist, den Menschen von dieser Macht des Bösen zu befreien. Aber auch der „unreine Geist“ bricht beim.Zu-sammenprall mit der „anderen Gegenwart“ in das Geständnis aus, das aus einem entarteten, aber klaren Intellekt kommt: „Sohn des höchsten Gottes!“ 4, Im Markusevangelium finden wir ebenfalls die Beschreibung des Ereignisses, das gewöhnlich als Heilung eines besessenen Jungen (Epileptikers) gekennzeichnetist. In der Tat sind die vom Evangelisten beschriebenen Symptome für diese Krankheit charakteristisch („Schaum vor dem Mund, er knirscht mit den Zähnen und wird starr“). Trotzdem stellt der Vater des Epileptikers Jesus seinen Sohn als von einem bösen Geist besessen vor, der ihn mit Konvulsionen überfällt und zu Boden wirft, so daß er sich mit Schaum vor dem Mund hin und her wälzt. Es ist gut möglich, daß in einem Krankheitszustand wie diesem der Böse sich einschleicht und wirksam ist; aber man kann auch annehmen, daß es sich um einen Fall von Epilepsie handelt, Von der Jesus den Jungen, den sein Vater für besessen gehalten hat, heilt. Trotzdem ist es bedeutsam, daß Jesus die Heilung bewirkt, indem er dem „stummen und tauben Geist“ befiehlt: „Verlaß ihn und kehr nicht mehr in ihn zurück!“ (vgl. Mk 9,17-27). Das ist eine Bekräftigung seiner Sendung und Vollmacht, den Menschen vom Übel der Seele bis zu den Wurzeln zu befreien. 266 AUDIENZEN UNDANGELUS Jesus zeigt klar seinen Sendungsauftrag, den Menschen vom Übel und vor allem von der Sünde, dem geistigen Übel, zu befreien: eine Sendung, die mit seinem Kampf gegen den bösen Geist verbunden ist und ihn erklärt: denn dieser ist der erste Urheber des Bösen in der Geschichte des Menschen. Wie wir in den Evangelien lesen, betont Jesus mehrmals, daß dies der Sinn seines eigenen und des Wirkens seiner Apostel sei. So bei Lukas: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen. Seht, ich habe euch die Vollmacht gegeben, ... die ganze Macht des Feindes zu überwinden. Nichts wird euch schaden können“ (Lk 10,18-19). Nach Lukas berichten die zweiundsiebzig Jünger Jesus nach der Rückkehr von ihrer ersten Mission: „Herr, sogar die Dämonen gehorchen uns, wenn wir deinen Namen aussprechen“ {Lk 10,17). So offenbart sich die Macht des Menschensohnes über die Sünde und den Urheber der Sünde. Der Name Jesu, dem sich auch die Dämonen gebeugt haben, bedeutet Retter. Doch seine Heilsvollmacht findet ihre endgültige Erfüllung im Kreuzesopfer. Das Kreuz kennzeichnet den vollen Sieg über Satan und Sünde, denn der Plan des Vaters, den sein eingeborener Sohn durch seine Menschwerdung ausführt, ist: in der Schwachheit zu siegen und durch die Erniedrigung am Kreuz zur Herrlichkeit der Auferstehung und des Lebens zu gelangen. Auch in diesem paradoxen Geschehen leuchtet seine göttliche Macht auf, die zu Recht „Macht des Kreuzes“ heißen kann. 6. Auch der Sieg über die schwerwiegende Folge der Sünde, den Tod, gehört zu dieser Vollmacht und der Mission des Retters der Welt, die sich in „machtvollen Taten, Wundern und Zeichen“ offenbart hat. Der Sieg über Sünde und Tod kennzeichnet den Weg der messianischen Sendung Jesu von Nazaret nach Golgota. Unter den „Zeichen“, die besonders auf seinen Weg zum Sieg über den Tod hinweisen, sind vor allem die Totenerweckungen: „Tote stehen auf,“ (Mt 11,5), antwortet Jesus auf die Frage, ob er der Messias ist, die von den Jüngern Johannes’ des Täufers an ihn gerichtet wurde (vgl. Mt 11,3). Und unter den verschiedenen von Jesus auferweckten „Toten“ verdient Lazarus von Be-tanien besondere Beachtung, weil seine Auferweckung gleichsam ein „Vorspiel“ auf den Kreuzestod und die Auferstehung Christi ist, in denen sich der endgültige Sieg über Sünde und Tod erfüllt. 7. Der Evangelist Johannes hat uns eine Beschreibung des Ereignisses in allen Einzelheiten hinterlassen. Uns genügt, den Schluß zu berichten. Jesus bittet, den Stein, mit dem das Grab verschlossen ist, wegzunehmen („Nehmt den Stein weg!“) Mafia, die Schwester des Lazarus, bemerkt, daß der Bruder bereits seit vier Tagen im Grab liegt und die Verwesung des Leibes sicher schon begonnen hat. Trotzdem ruft Jesus mit lauter Stimme: „Lazarus, komm 267 AUDIENZEN UND ANGELUS heraus!“ „Da kam der Verstorbene heraus“, bestätigt der Evangelist (vgl. Joh 11,38-43). Durch dieses Ereignis kommen viele der Anwesenden zum Glauben. Andere aber gehen zu den Vertretern des Hohen Rates, um das Geschehene zu melden. Die Hohenpriester und Pharisäer sind darüber besorgt, sie denken an eine mögliche Reaktion der römischen Besatzung: „Dann werden die Römer kommen und uns die heilige Stätte und das Volk nehmen“ {Joh 11,48). Gerade da fallen auf den Hohen Rat die berühmten!Worte des Kaja-phas: „Ihr versteht überhaupt nichts. Ihr bedenkt nicht, daß es besser für euch ist, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht.“ Und der Evangelist merkt an: „Das' sagte er nicht aus sich selbst; sondern weil er der Hohepriester jenes Jahres war, sagte er es aus prophetischer Eingebung.“ Um welche Eingebung handelt es sich? Hier gibt uns Johannes die christliche Deutung dieser Worte, die von einer unendlichen Reichweite sind: „Jesus sollte nicht nur für das Volk sterben, sondern auch, um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“ (vgl. Joh 11,49-52). 8. Wie man sieht, enthält die Beschreibung des Johannes von der Auferwek- kung des Lazarus auch wesentliche Hinweise auf die Heilsbedeutung dieses Wunders. Es sind endgültige Hinweise, denn gerade daraufhin wird vom Hohen Rat die Entscheidung gefällt, Jesus zu töten (vgl. Joh 11,53). Es ist der heilbringende Tod „für das Volk“ und, „um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“: für die Rettung der Welt. Aber Jesus hatte ja bereits gesagt, daß dieser Tod auch der endgültige Sieg über den Tod sein wird. Bei der Auferweckung des Lazarus hat er Marta versichert: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben“ (vgl. Joh 11,25-26). - 9. Am Ende unserer Katechese kehren wir noch einmal zum Text des hl. Au- gustinus zurück: „Wenn wir jetzt die von unserem -Herrn und Erlöser Jesus Christus vollbrachten Taten betrachten, sehen wir; daß die auf so wunderbare Weise sich geöffneten Augen der Blinden vom Tod wieder geschlossen wurden ,unddie durch das Wunder gelösten Glieder der Gelähmten durch den Tod wieder erstarrt sind; alles, was zeitweise am sterblichen Leib geheilt Worden war, wurde am Ende zerstört; aber die Seele, die geglaubt hat, ging in das ewige Leben ein.: Mit diesem Kranken wollte der Herr ein großes Zeichen für die Seele geben, die glauben sollte; um ihre Sünden zu vergeben, war er gekommen, und um ihre Schwachheiten zu heilen, hatte er. sich erniedrigt“ (Augustinus,/«Io.£v. Tr., 17,1). . : ' Ja, alle „machtvollen Taten, Wunder und Zeichen“ Christi sind mit seiner Offenbarung als Messias, als Sohn Gottes verbündet!,.der allein die Vollmacht 268 AUDIENZEN UND ANGELUS hat, den Menschen von Sünde und Tod zu befreien. Er ist wirklich der Retter der Welt. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Unsere Überlegungen bei den Generalaudienzen gelten weiterhin Jesus Christus, dem menschgewordenen Gottessohn. Er ist in die Welt gekommen, um uns aus der Macht des Bösen zu befreien. Christus selbst unterstreicht diese seine Heilssendung durch Zeichen und Wunder. Dabei geht es ihm vor allem um die Befreiung des Menschen aus den Fesseln der Sünde, die seine unsterbliche Seele bedroht. Darum spricht Jesüs dem Gelähmten von Kafamaum, bevor er ihn von seinen körperlichen Gebrechen heilt, die Vergebung der Sünden zu: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!“ (Mk 2,5). Bei verschiedenen anderen Anlässen treibt Christus aus Menschen auch direkt Dämonen und unreine Geister aus. Bei der Heilung eines besessenen Jungen gebietet er dem bösen Geist: „Verlaß ihn, und kehr nicht mehr in ihn zurück!“ Und der Evangelist fährt fort: „Da zerrte der Geist den Jungen hin und her und verließ ihn mit lautem Geschrei“ (Mk 9,25-26). Dieselbe erlösende Vollmacht gibt Christus auch seinen Aposteln. Denn er erwählt sie, wie Markus berichtet, „damit sie predigten und mit seiner Vollmacht Dämonen austrie-ben“ (Mk 3 ,15-16). Diese Heilsvollmacht Jesu Christi kommt zu ihrer größten Wirksamkeit und Entfaltung in seinem Kreuzesopfer. Dies ist sein endgültiger Sieg über die Sünde, die Dämonen und den Tod. Er wird schon zeichenhaft vorweggenommen durch die Wunder der Totenerweckungen, besonders deutlich bei der Erweckung des Lazarus. Christus besitzt nicht nur die Vollmacht, sondern ist selber die erlösende Macht, die die Menschen von Sünde und Tod befreit. Er sagt von sich: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Zugleich betont er, daß auch wir alle an diesem seinem endgültigen Sieg über Sünde und Tod teilhaben können, indem er fortfährt: „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben“ (Joh 11,25 ff.). Diesen lebensspendenden, erlösenden Glauben erbitte ich euch, liebe Brüder und Schwestern. Zugleich grüße ich euch herzlich und wünsche euch schöne und fruchtbare Tage in der Ewigen Stadt. Für Gottes bleibenden Schutz und Beistand erteile ich euch und euren Lieben in der Heimat von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. 269 AUDIENZEN UND ANGELUS Freude auf die brüderliche Begegnung Angelus am 29. November Liebe Brüder und Schwestern! 1. Heute möchte ich eure Aufmerksamkeit auf ein kurz bevorstehendes Ereignis lenken, das uns alle mit Freude erfüllt. Am Donnerstag, 3. Dezember, wird der Ökumenische Patriarch Dimitrios I. zu Besuch nach Rom kommen und sich einige Tage bei uns aufhalten. Mit seinem Kommen erwidert der hohe Gast dieselbe Geste, die ich ihm gegenüber mit meinem Besuch in Istanbul im November 1979 zum Ausdruck bringen konnte durch die Teilnahme an den Feierlichkeiten anläßlich des Festes des Patrons des Ökumenischen Patriarchats, des Apostels Andreas, Bruder des Petrus. 2. Dieser Besuch ist Teil eines langen, von Johannes XXIII. und Patriarch Athenagoras, dem Vorgänger von Dimitrios, begonnenen Weges, der von Paul VI., mir und Patriarch Dimitrios fortgesetzt wurde und der.nach so vielen Jahrhunderten zur Wiederherstellung der Einheit der Christen in der einen Kirche Christi führen soll. Der Besuch des Patriarchen Dimitrios ehrt uns alle und ist ein weiterer, bedeutungsvoller Schritt zum besseren gegenseitigen Verständnis und gemeinsamen Erleben wichtiger kirchlicher Ereignisse. Ich empfehle diesen bedeutenden Anlaß eurem Gebet, damit Christus uns helfe, ihn in seiner ganzen Fülle zu erleben. Beten wir, daß er all die Früchte zeitige, die wir erhoffen; daß er die Freude einer brüderlichen Begegnung, daß er den Frieden bringe, der Frucht der Liebe ist. 3. Morgen wird im Ökumenischen Patriarchat das Fest des hl. Andreas gefeiert. Wie jedes Jahr hat sich eine Delegation der katholischen Kirche unter Leitung von Kardinal Johannes Willebrands nach Instanbul begeben. Der Kardinal übermittelt die Gefühle der Kirche von Rom zu diesem bevorstehenden Besuch des Ökumenischen Patriarchen. Hoffen wir, daß der hl. Andreas Fürsprache einlegt, damit unsere Gebete Gott besonders wohlgefällig seien. Ist die Tatsache, daß dieser Besuch des Patriarchen Dimitrios bei der Kirche von Rom in dem der Jungfrau Maria geweihten Jahr stattfindet, nicht von höchster Bedeutung? Wir alle wissen um die tiefe Frömmigkeit, mit der die Orientalischen Kirchen und insbesondere die von Konstantinopel die heilige 270 AUDIENZEN UND ANGELUS Gottesmutter verehren. Maria, die dem Werk des Sohnes treu gefolgt ist und im Abendmahlssaal mit allen Aposteln die Ausgießung des Geistes empfangen hat, verfolgt gewiß unsere Schritte des einen zum andern. Ihr empfehle ich diesen historischen Augenblick. Sie, die „ganz Heilige“, bitte ich zusammen mit euch um die Kraft, „auf der Pilgerschaft des Glaubens, für die Maria selbst das bleibende Beispiel ist“, Fortschritte machen zu können, damit wir gemeinsam, Katholiken und Orthodoxe, zu der vom Herrn gewollten Einheit gelangen (vgl. Redemptoris Mater, Nr. 30). Wunder offenbaren den Heilsplan Ansprache bei der Generalaudienz am 2. Dezember 1. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die Wunder Christi in den Evangelien als Zeichen des Gottesreiches dargestellt werden, das in die Geschichte des Menschen und der Welt eingetreten ist. „Wenn ich ... die Dämonen durch den Geist Gottes austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen“, sagt Jesus {Mt 12,28). Wieviel und wie lange man über das Thema „Wunder“ auch diskutieren mag und bereits diskutiert hat (im übrigen haben die christlichen Apologeten bereits Antwort gegeben), sicher ist, daß man die „machtvollen Taten, Wunder und Zeichen“, die Jesus und sogar den „in seinem Namen“ wirkenden Aposteln und Jüngern zuerkannt worden sind, nicht aus dem reinen Zusammenhang des Evangeliums herausreißen kann. Bei der Verkündigung der Apostel, in der die Evangelien hauptsächlich ihren Ursprung haben, hörten die ersten Christen die Berichte der Augenzeugen über diese außerordentlichen Ereignisse, die vor nicht allzu langer und deshalb — wir können sagen — geschichtskritisch nachprüfbarer Zeit geschehen waren; sie waren deshalb keinesfalls überrascht darüber, daß diese in die Evangelien eingefügt worden waren. Wie sehr sie in den folgenden Zeiten auch angefochten werden mochten — aus den reinen Quellen des Lehens und der Lehre Christi geht als erste Gewißheit hervor: Die Apostel, die Evangelisten und die ganze Urkirche sahen in jedem einzelnen dieser Wunder die Herrschaftsgewalt Christi über die Natur und ihre Gesetze. Wer Gott als Vater, Schöpfer und Herrn der Schöpfung offenbart, während er diese Wunder aus eigener Vollmacht wirkt, offenbart sich selbst als den Sohn, der eines Wesens mit dem Vater und ihm gleich ist in der Herrschaftsgewalt über die Schöpfung. 271 Audienzen und angelus 2. Einige Wunder haben aber auch andere, zusätzliche Aspekte zur grundlegenden-Bedeutung, die göttliche Vollmacht des Menschensohnes zu-beweisen, in der Ordnung des Heilsplans. So bemerkt der Evangelist Johannes, während er vom ersten vollbrachten „Zeichen“ in Kana in Galiläa spricht, daß Jesus damit ,;seine Herrlichkeit offenbarte und seine Jünger an ihn glaubten“ (vgl. Joh 2,11). Das Wunder soll den Glauben bewirken, aber es geschieht während eines Hochzeitsmahls. Deshalb kann man sagen, daß das •,Zeichen“ zumindest in der Absicht des Evangelisten dazu dient, den ganzen göttlichen Heilsplan des Bundes und der Gnade hervorzuheben, der in den Büchern des Alten und Neuen Testamentes oft mit dem hochzeitlichen Bild ausgedrückt wird. Das Wunder von Kana in Galiläa könnte deshalb mit dem Gleichnis vom Hochzeitsmahl, das ein König für seinen Sohn vorbereitete, und mit dem eschatologischen „Himmelreich“ verbunden sein, „mit dem es ist wie mit einem solchen Festmahl“ (vgl. Mt 22,2). Das erste Wunder Jesu könnte als ein „Zeichen“ dieses Reiches gelesen werden. Wenn man vor allem bedenkt, daß „die Stunde Jesu“, d. h. die Stunde seines Leidens und seiner Verherrlichung noch nicht gekommen war (vgl. Joh 2,4; 7,30; 8,20; 12,23.27; 13,1; 17,1), kann das durch die Fürsprache Marias erhaltene Wunder als „Zeichen“ und symbolische Ankündigung dessen betrachtet werden, was im Begriff war, zu geschehen. 3. Als „Zeichen“ des Heilsplanes läßt sich noch klarer das Wunder der Brotvermehrung bei Kafarnaum lesen. Johannes verbindet es mit den Worten, die Jesus am 1hg danach spricht, als er mit Nachdruck die Notwendigkeit unterstreicht, sich „für die Speise, die für das ewige Leben bleibt“ durch den „Glauben an den, der mich gesandt hat“, zu bemühen (vgl:Joh 6,29); Jesus spricht von sich selbst als dem wahren Brot, „das der Welt-das Leben gibt“ (vgl. Joh 6,33) und sogar als dem, der sein Fleisch „für das Leben der Welt“ hingibt (vgl. Joh 6,51): Die Ankündigung seines heilbringenden Leidens und Sterbens ist klar, nicht ohne Hinweisend Vorbereitung auf die Eucharistie, die am Vortag seines-Leidens als sakramentale Speise für das ewige Leben eingesetzt werden sollte (vgl. Joh 6,52-58). 272 AUDIENZEN UND ANGELUS den Glauben an seine wirksame und schützende Gegenwart auch in den bewegtesten Stunden der Geschichte einpflanzen will, in denen sich im Geist Zweifel an seinem göttlichen Beistand einnisten könnten. In der christlichen Homiletik und Spiritualität wurde das Wunder oft als „Zeichen“ der Gegenwart Jesu aüsgelegt und als Gewißheit des Glaubens an ihn von seiten der Christen und der Kirche. ■ 5. Jesus, der auf dem See zu den Jüngern hingeht, gibt ein weiteres „Zeichen“ seiner Gegenwart und verspricht ständige Wachsamkeit über die Jünger und die Kirche. „Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!“ sagt Jesus zu den Aposteln,, die ihn für ein Gespenst gehalten hatten (vgl. Mk 6,49-50; Mt 14,26-27; Joh 6,16-21). Markus weist auf den Schrecken und die Bestürzung der Apostel hin: „Denn sie waren nicht zur Einsicht gekommen, als das mit den Broten geschah; ihr Herz war verstockt“ {Mk 6,52). Matthäus gibt die Bitte des Petrus wieder, der auf dem Wasser Jesus entgegengehen will, und vermerkt seine Angst und seinen Hilferuf, als er unterzugehen glaubt. Jesus rettet ihn, weist ihn aber liebevoll zurecht: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ {Mt 14,31). Der Evangelist fügt noch hinzu, daß die Jünger im Boot vor Jesus niederfielen und sagten: „Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn“ {Mt 14,33). 6. Der mehrmalige wunderbare Fischfang ist für die Apostel und für die Kirche ein „Zeichen“ der Fruchtbarkeit ihrer Sendung, wenn sie mit der Heilsmacht Christi tief verbunden bleiben (vgl. Lk 5,4-10; Joh 21,3-6). So schließt Lukas in den Bericht die Tatsache ein, daß Simon Petrus Jesus zu Füßen lallt und sagt: „Herr, geh weg von mir, ich bin ein Sünder“ {Lk 5,8). Jesus antwortet: „Fürchte dich nicht, von jetzt an wirst du Menschen fangen“ {Lk 5,10). Johannes läßt auf den Bericht vom Fischfang nach der Auferstehung den Auftrag Christi an Petrus folgen: „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe“ (vgl. Joh 21,15-17). Es ist eine bedeutsame Verbindung. <5> <5> Man kann also Sagen, daß die Wunder Christi die Offenbarung der göttlichen Allmacht in bezug auf die Schöpfung sind, die sich in ihrer messiani-schen Vollmacht über Menschen und Dinge kundtut. Zugleich sind sie „Zeichen“, durch die das göttliche Heilswerk offenbar wird, der Heilsplan, der mit Christus in der Geschichte des Menschen eingeleitet und endgültig verwirklicht und damit der sichtbaren Welt aufgeprägt wird, die ja auch das Werk Gottes ist. Die Leute, die wie die Apostel auf dem See die „Wunder“ Christi sehen, fragen sich: „Was ist das für ein Mensch, daß ihm sogar der Wind und der See gehorchen?“ {Mk 4,41). Durch diese „Zeichen“ werden sie darauf 273 AUDIENZEN UND ANGELUS vorbereitet, das Heil anzunehmen, das Gott durch seinen Sohn dem Menschen bringen will. Das ist der wesentliche Zweck aller Wunder und Zeichen, die Christus vor den Augen seiner Zeitgenossen gewirkt hat, und der Wunder, die im Laufe der Geschichte von seinen Aposteln und Jüngern unter bezug auf die Heilsvollmacht seines Namens getan werden sollten: „Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, geh umher!“ (Apg 3,6). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Auch wer seit seiner Schulzeit die Heilige Schrift nicht mehr zur Hand genommen haben sollte, erinnert sich doch wohl immer noch an einige große Wundertaten, die Jesus von Nazaret nach dem Zeugnis der Evangelien gewirkt hat. Die Wunder Jesu gehörten zweifellos zur Erstverkündigung der Apostel, aus der die vier Evangelien hervorgegangen sind. Ihre Zuhörer hatten noch die Möglichkeit, Augenzeugen der Taten des Herrn zu vernehmen, um sich den geschichtlichen Gehalt jener Wundererzählungen bestätigen zu lassen. Trotz späterer Zweifel und einiger Gegenargumente können wir doch mit Gewißheit sagen: die Apostel, die Evangelisten und die Christen der Ur-kirche erkannten in den Wundern die Macht Christi über die Natur und ihre Gesetze. Derselbe Jesus von Nazaret, der uns Gottvater als Schöpfer und Herrn der Schöpfung verkündet, offenbart sich als gottgleich, als Sohn Gottes, wenn er in den Wundern seine schöpferische Vollmacht aufscheinen läßt. So beweisen diese Wunder auf ihre Art durchaus die Gottessohnschaft Christi. Darüber hinaus offenbart jedes Wunder aber auch noch eine bestimmte Seite der Heilsbotschaft, die der Herr uns vorlegt. So ist die „Hochzeit zu Kana“ gewiß ein Hinweis auf das himmlische Gastmahl, das die Heilige Schrift öfters als Bild für das Fest des ewigen Lebens bei Gott benutzt. Die „Brotvermehrung“ erinnert uns an Jesus und sein lebenschaffendes Wort, die wahre Speise für das Leben der Welt. Der „Sturm auf dem Meer“ wurde zu allen Zeiten aufgefaßt als ein Bild für die beständige Gegenwart des Herrn im Auf und Ab der Geschichte der Kirche mit all ihren Stürmen und Untiefen. Liebe Brüder und Schwestern aus den Ländern deütscher und niederländischer Sprache: Ein gläubiger Mensch kann auch in seinem eigenen Leben Wunder Gottes entdecken, die ihn aufblicken lassen zu seinem Herrn und Schöpfer, dessen gute Vorsehung sie ganz spontan erfahren und. preisen. Möge der Heilige Geist euch allen solche beglückenden Erfahrungen schenken, die eurem Leben Zuversicht und neue Kraft geben können. Das erbitte ich euch mit meinem Segen. 274 AUDIENZEN UND ANGELUS Athos — Garten der Jungfrau Angelus am 6. Dezember Zu meiner Freude befindet sich neben mir der Ökumenische Patriarch Dimi-trios I. zum Angelusgebet. Wir begrüßen ihn herzlich und danken ihm für seinen Besuch in Rom. 1. Ziel unserer geistlichen Pilgerfahrt ist heute ein Ort, der den Orthodoxen lieb und teuer ist: der Berg Athos. Er wird auch „Garten der Jungfrau“ genannt, denn der athonischen Überlieferung nach sei das Schiff der Jungfrau Maria auf dem Weg nach Ephesus durch einen Sturm von der Route abgelenkt worden und beim Berg Athos gelandet. Im Mittelpunkt des „Gartens der Jungfrau“ wird die Ikone „Axion Estin“ aufbewahrt, das am meisten verehrte Bild der griechisch-orthodoxen Welt. Diese Ikone der „Jungfrau der Barmherzigkeit“ (Eleousa) stellt Maria, auf dem rechten Arm den Sohn, dar, der die geöffnete Schriftrolle mit dem Jesaja-Spruch 61,1 in der Hand hält: „Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir,“ dem Text, der von Jesus in der Synagoge in Nazaret zu Beginn seines öffentlichen Wirkens dargelegt wurde (vgl. Lk 4,16 f.). Die Ikone heißt „Axion Estin“ in Erinnerung an ein Wunder, das sich in der Skete ereignete, die heute dem hl. Andreas geweiht ist, in der Nähe von Karies, dem Verwaltungszentrum des heiligen Berges. Einer frommen Überlieferung nach habe der Erzengel Gabriel in Gestalt eines Mönches in der Nacht vom 10. zum 11. Juni des Jahres 982 zum ersten Mal während der nächtlichen Liturgiefeier (Agrypnia) den Hymnus gebetet, der mit den Worten „Axion Estin“ beginnt: „Es ist wahrhaft recht, dich, Gottesgebärerin, selig zu preisen, denn du bist überaus heilig, ganz rein und Mutter unseres Gottes. Wir lobpreisen dich, die du verehrungswürdiger bist als die Cherubime und unvergleichlich herrlicher als die Seraphime. Du hast, ohne deine Jungfrauenschaft zu verlieren, das Wort Gottes zur Welt gebracht. Du bist wahrhaftig die Mutter Gottes.“ 2. Seit dieser Zeit wird auf dem Berg Athos an jedem 11. Juni das Fest der Ikone begangen und vor ihr der Hymnus gesungen, der zum volkstümlichsten der orthodoxen Frömmigkeit wurde. Das Bild wurde von der Skete des hl. Andreas in die Kirche des Protaton in Karies überführt und auf dem Thron in der Mitte des Heiligtums aufgestellt. Tag und Nacht brennt vor dem Bild eine Kerze in einem kostbaren Kandelaber aus Gold und Diamanten. Die Mönche lösen sich ununterbrochen vor der Ikone im Gebet und in der Wache ab. 275 A UDIENZEN UND ANGEL US Die Jungfrau „Axion Estin“ segne in Fülle alle die in ihrem „Garten“ ihrem Sohn mit entschlossener Hochherzigkeit ihr Leben geweiht haben, jener Hochherzigkeit, die für das Mönchsleben kennzeichnend ist. Sie leite im Gehorsam und auf dem Pilgerweg des Glaubens alle die Männer, die nie aufhören für die Kirche zu beten, damit sie bewahrt werde in der Integrität des heiligen Erbes, das ein für allemal dem christlichen Volk übermittelt wurde. _••• : ?■ Loreto zeigt die Weihnacht Angelus am 8. Dezember Liebe Brüder und Schwestern im Herrn! . 1, Unter den verschiedenen marianischen Heiligtümern möchte ich heute an die berühmte Wallfahrtskirche von. Loreto erinnern, eines der bekanntesten unter den mehr als 1500 italienischen Gotteshäusern, die Mariä geweiht sind. Darüber hinaus, was die Überlieferungen über die. wunderbare „Übertragung“ des Hauses , von Nazaret berichten, die immer noch Gegenstand des Studiums und der Analyse seitens der Historiker und Mariologen sind, beeindruckt die außerordentliche, seit Anfang des 14. Jahrhunderts beglaubigte Beteiligung des Volkes an diesem Heiligtum, das sich bald aus einem bescheidenen Kirchlein zu einem prachtvollen Gotteshaus entwickelte mit herrlichen Kunstwerken und einer gewaltigen Architektur. Die Volksfrömmigkeit zur Madonna von Loreto ist so alt wie die Überlieferung der Begebenheit von der Übertragung des Hauses von Nazaret auf den „Lorbeerhügel“ bei Ancona. Einfache und unbekannte Pilger zusammen mit hochangesehenen Persönlichkeiten sind nach Loreto gekommen, um zur heiligen Jungfrau zu beten: Große Heilige und auch viele Päpste haben sieh dorthin begeben. Ich selbst war als Pilger in Loreto:im September. 1979 und dann im April 1985 aus Anlaß des Italienischen Kirchentags über die Versöhnung. . Das Heiligtum von Loreto ist gewiß eine an Ereignissen reiche und von Glauben und Frömmigkeit erfüllte Seite der Kirchengeschichte. 2. Weshalb ein so großer Volkszulauf in Loreto? Welche Botschaft geht aus diesen geheimnisvollen Mauern.hervor? ■ : <■ Die einzigartige Anziehungskraft, die das Marienheiligtum von Loreto seit nunmehr siebenhundert Jahren auf die Gläubigen ausübt, besonders auf die Kranken, die Armen, die Einfachen, die Benachteiligten, entspringt eben 276 ATiniF.N7.EN UND ANGELUS seiner einzigartigen und unvergänglichen Botschaft, der Botschaft von der Menschwerdung Gottes um des Heiles des Menschen willen! • In Loreto denkt man:über die Geburt Christi, des Göttlichen Wortes, nach und entdeckt sie wieder; über sein einfaches, verborgenes Leben auf Erden — für uns und mit uns. In Loreto wird die geheimnisvolle Wirklichkeit von Weihnachten und der Heiligen Familie in gewisser Weise greifbar und zum persönlichen, innerlich bewegenden und wandelnden Erlebnis. Der Gedanke an das einfache Haus, in dem das menschgewordene Wort jahrelang gelebt hat, überzeugt den Pilger davon, daß Gott den Menschen wirklich so liebt, wie er ist, und ihn ruft, ihn begleitet, ihn erleuchtet, ihm verzeiht, ihn rettet. In Loreto empfangen tagtäglich unzählige Scharen aus aller Welt die Sakramente der Buße und der Eucharistie, und viele kehren um vom Unglauben zum Glauben, von der Sünde zur Gnade, von der Lauheit und Oberflächlichkeit zum geistlichen Eifer und zur Zeugnispflicht. 3., Loreto ist ein Ort des Friedens für die Seele, der besonderen Begegnung mit Gott, der Zuflucht für den, der die Wahrheit und den Sinn seines eigenen Lebens sucht. Loreto ist das Heiligtum der Menschwerdung, die die Liebe Gottes verkündet, die Würde jeder Person, die Heiligkeit der Familie, den Wert der Arbeit und der Stille, die Notwendigkeit des Gebetes, des Gebotes der Liebe zu allen Brüdern und Schwestern. Hören wir seine Botschaft und vertrauen wir Maria, unserer Mutter! Zeichen der Liebe Gottes Ansprache bei der Generalaudienz am 9. Dezember 1. Als „Zeichen“ der göttlichen Allmacht und der Heilsmacht des Menschensohnes sind die von den Evangelien berichteten Wunder auch die Offenbarung. der Liebe Gottes zum Menschen, insbesondere zum Menschen, der leidet, der in der Not ist, der um Heilung, Verzeihung und Erbarmen bittet. Sie sind deshalb „Zeichen“ der erbarmenden Liebe, die im Alten und Neuen Testament verkündet wird (vgl. Dives in misericordia). Vor allem beim Lesen des Evangeliums verstehen und „fühlen“ wir beinahe, daß die Wunder Jesu ihren Ursprung in dem liebenden und erbarmungsvollen Herzen Gottes haben, das in seinem eigenen Menschenherzen lebt und pulsiert. Jesus vollbringt sie, um jede Art des Übels, das auf der Welt besteht, zu überwinden, das leibliche Übel, das moralische Übel, d. h. die Sünde, und schließlich den, der „der Vater der Sünde“ in der Geschichte des Menschen ist: den Satan. 277 A UDIENZEN UND ANGEL US Die Wunder geschehen deshalb „zugunsten des Menschen“. Sie sind Werke Jesu, die im Einklang mit dem Heilsziel seiner Sendung das Gute dort wiederherstellen, wo sich das Böse eingenistet und Unordnung und Zerstörung hervorgerufen hat. Die Menschen, an denen die Wunder gewirkt werden oder die ihnen beiwohnen, sind sich dieser Tatsache bewußt, und zwar so sehr, daß sie nach Markus „außer sich vor Staunen“ sagten: „Er hat alles gut gemacht; er macht, daß die Tauben hören und die Stummen sprechen“ (Mk 7,37). 2. Aus einer aufmerksamen Prüfung der Evangeliumstexte geht hervor, daß die „Wunder und Zeichen“ des Menschensohnes sich aus keinem anderen Beweggrund als der Liebe zum Menschen, der erbarmenden Liebe, erklären lassen. Im Alten Testament ließ Elija „Feuer vom Himmel“ fallen, um seine Macht als Prophet zu bekräftigen und den Unglauben zu bestrafen (vgl. 2 Kon 1,10). Als die Apostel Jakobus und Johannes Jesus veranlassen wollten, ein sa-maritisches Dorf, das ihnen die Gastfreundschaft verweigerte, durch „ein Feuer vom Himmel“ zu bestrafen, verbot er ihnen entschieden, ein solches Ansuchen zu stellen. Der Evangelist sagt, daß „Jesus sich umwandte und sie zurechtwies“ (vgl. Lk 9,55). Viele Kodizes und die Vulgata fügen hinzu: „Ihr wißt nicht welchen Geistes ihr seid. Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, die Seelen der Menschen zu verlieren, sondern um sie zu retten.“ Jesus hat nie ein Wunder gewirkt, um jemanden zu bestrafen, auch nicht die, die sich schuldig gemacht hatten. 3. In diesem Zusammenhang ist die Einzelheit bedeutsam, die mit der Verhaftung Jesu im Garten von Getsemani verbunden ist. Petrus war bereit, den Meister mit dem Schwert zu verteidigen; er „zog es, schlug nach dem Diener des Hohenpriesters und hieb ihm das rechte Ohr ab; der Diener hieß Mal-chus“ (Joh 18,10). Aber Jesus verbot ihm den Gebrauch des Schwertes. Ja, „er berührte, das Ohr und heilte den Mann“ {Lk 22,51); ein weiterer Beweis, daß Jesus die wunderwirkende Fähigkeit nicht zur eigenen Verteidigung gebraucht. Und er sagt zu seinen Jüngern, er wolle den Vater nicht darum bitten, ihm „mehr als zwölf Legionen Engel zu schicken“, damit er ihn vor den anstürmenden Feinden rette (vgl. Mt 26,53). Alles, was er tut, auch wenn er Wunder wirkt, tut er in enger Verbindung mitdem Vater. Er tut es für das Gottesreich und zum Heil des Menschen. Er tut es aus Liebe, 4. Deshalb weist er schon zu Beginn seiner messianischen Sendung alle vom Versucher gemachten „Vorschläge“ zu einem Wunder zurück, angefangen von dem, aus Steinen Brot werden zu lassen (vgl. Mt 4,3-4). Die Vollmacht des Messias wurde ihm nicht um der Auffälligkeit oder, des eitlen Ruhmes 278 AUDIENZEN UND ANGELUS willen gegeben. Er ist gekommen, um „für die Wahrheit Zeugnis abzulegen“ (vgl. Joh 18,37), ja, er ist sogar „die Wahrheit“ (vgl. Joh 14,6), und er wirkt immer in voller Übereinstimmung mit seiner Heilssendung. Alle seine „Wunder und Zeichen“ bringen diese Übereinstimmung im Rahmen des „messia-nischen Geheimnisses“ Gottes zum Ausdruck, der sich sozusagen in der Natur eines Menschensohnes verborgen hat, wie die Evangelien, besonders das des Markus, zeigen. Wenn in den Wundem fast immer die göttliche Vollmacht aufblitzt, die die Jünger und die Leute manchmal erfassen, so daß sie in Christus den „Sohn Gottes“ erkennen und lobpreisen, so entdeckt man andererseits auch die Güte, die Lauterkeit und die Schlichtheit, die die augenscheinlichsten Gaben des „Menschensohnes“ sind. 5. In der Weise, in der die Wunder vollbracht werden, merkt man die große Schlichtheit Jesu, man könnte sagen, seine Demut, Freundlichkeit und seine Rücksichtnahme. Wieviel geben uns in dieser Hinsicht die Worte zu denken, die Jesus bei der "Auferweckung der Tochter des Jairus sprach: „Das Kind ist nicht gestorben, es schläft nur“ {Mk 5,39), als wolle er die Bedeutung dessen, was er im Begriff war, zu tun, abschwächen. Dann schärfte er ihnen ein, „niemand dürfe etwas davon erfahren“ {Mk 5,43). Dasselbe tat er auch in anderen Fällen, z. B. nach der Heilung eines Taubstummen (vgl. Mk 7,36) und nach dem Messiasbekenntnis des Petms {Mk 8,29-30). Bedeutsam ist, daß Jesus, um den Taubstummen zu heilen, „ihn beiseite, von der Menge wegnahm“. „Danach blickte er zum Himmel auf, seufzte...“. Dieser „Seufzer“ scheint ein Zeichen des Mitleids und zugleich des Gebets zu sein. Das Wort „Effata!“ (Öffne dich!) bewirkt, daß „sich die Ohren des Taubstummen öffneten und seine Zunge von ihrer Fessel befreit wurde (vgl. Mk 7,33-35). 6. Wenn Jesus einige seiner Wunder am Tag des Sabbat vollbringt, tut er es nicht, um den sakralen Charakter des Gott geweihten Tages zu verletzen, sondern um zu zeigen, daß dieser geheiligte Tag in besonderer Weise vom Heilswirken Gottes gekennzeichnet ist. „Mein Vater ist noch immer am Werk, und auch ich bin am Werk“ {Joh 5,17). Und dieses Wirken geschieht zum Wohl des Menschen und steht deshalb nicht im Gegensatz zur Heiligkeit des Sabbat, sondern hebt sie hervor: „Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat. Deshalb ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat“ {Mk 2,27-28). <6> <6> Wenn man den Bericht des Evangeliums über die Wunder Jesu annimmt — und es besteht kein Grund, ihn nicht anzunehmen, ausgenommen das Vorur- 279 A UDIENZEN UND ANGEL US teil gegen das Übernatürliche —, kann man eine einzige Logik nicht in Zweifel ziehen, die alle diese „Zeichen!“ verbindet und der Heilsökonomie Gottes entspringen läßt: Sie dienen der Offenbarung seiner Liebe zu uns, der erbarmenden Liebe, die das Böse durch das Gute überwindet, wie die Anwesenheit und das Handeln Jesu Christi in der Welt selbst zeigen. In diese Ökonomie eingegliedert, sind die „Wunder und Zeichen“ Gegenstand unseres Glaubens an den Heilsplan Gottes und das von Christus gewirkte Geheimnis der Erlösung. Als Tatsachen gehören sie zum Bericht des Evangeliums, dessen Erzählungen ebenso zuverlässig sind wie die und mehr als sie— die in anderen, geschichtlichen Werken enthalten sind. Es ist klar, daß das eigentliche Hindernis, sie als geschichtliche und als Glaubensfakten anzunehmen, das Vorurteil gegen das Übernatürliche ist, auf das wir hingewiesen haben; dasjenige dessen, der die Macht Gottes begrenzen oder auf die natürliche Ordnung der Dinge einschränken will, fast auf eine Selbstverpflichtung Gottes, sich an seine Gesetze zu halten. Aber diese Auffassung stößt mitder elementarsten philosophischen und theologischen Idee von Gott zusammen, dem unendlichen Sein, subsistierend und allmächtig, das keine Grenzen hat außer im Nichtsein und damit im Absurden. , : . Zum Abschluß dieser Katechese kommt spontan die Feststellung, daß diese Unendlichkeit im Sein und in der Macht auch Unendlichkeit in der Liebe ist; wie die Wunder zeigen, die in den Plan der Menschwerdung und der Erlösung eingefügt sind als „Zeichen“ der erbarmenden Liebe, mit der Gott seinen Sohn in die Welt gesandt hat „für uns Menschen und um unseres Heiles willen“. Er hat sich für uns hingegeben bis zum Tod. „So sehr hat er geliebt“ (vgl. Joh 3,16). Auf eine so große Liebe müssen wir voll Dankbarkeit hochherzig Antwort geben durch das glaubwürdige Zeugnis unseres Tuns. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Bei den Generalaudienzen gelten unsere Überlegungen seit einiger Zeit den Wundern Jesu, die von seiner Gottheit Zeugnis geben. Sie sind in einer besonderen Weise Ausdruck und Offenbarung der Liebe Gottes zu den Menschen. Sie geschehen — wie alles Wirken Jesu — „für uns und um unseres Heiles willen“, um das Böse aller Art zu überwinden, das es in der Welt gibt. Durch seine Wunder kommt Christus den Menschen in Liebe zu Hilfe, er heilt, erweckt und verzeiht. Er benützt sie niemals, uin jemanden damit zu bestrafen. Im Gegenteil, er heilt sogar dem Diener des Hohenpriesters,Ider ihn 280 AUDIENZEN UNDANGELUS im Garten Geisemani gefangennehmen will, das Ohr, welches Petrus ihm abgeschlagen hatte (vgl. Lk 22,51). Alles, was Jesus tut, wirkt er in inniger Gemeinschaft mit seinem Vater — und eben darum aus Liebe. Er benutzt seine göttliche Macht nur im Einklang mit seiner messianischen Sendung. Deshalb lehnt er auch die ihm vom Versucher in der Wüste vorgeschlagenen Wunder entschieden ab. Christus vermeidet jegliche äußere Zurschaustellung. Er vollbringt die Wunder mit großer Einfachheit und möglichst unauffällig. Den Leuten, die sie miterleben, schärft er mitunter sogar ein, „niemand dürfe etwas davon erfahren“ (Mk 5,43). Zusammenfassend können wir somit heute über die Wunder Jesu sagen, daß sie zur Heilsökonomie Gottes gehören. Sie dienen dazu, Gottes erlösende und heilende Liebe zu uns Menschen zu offenbaren. Als „Zeichen“ sind sie Gegenstand unseres Glaubens, als Tatsachen gehören sie zur geschichtlichen Wahrheit der Evangelien, die nur auf Grund rationalistischer Vorurteile geleugnet werden kann. ‘ Mit dieser kurzen Betrachtung grüße ich herzlich alle deutschsprachigen Pilger bei der heutigen Audienz. Das Heilswirken Jesu bezeugt uns Gottes große Liebe zu uns Menschen. Nehmen wir seine Liebe gerade jetzt in der Adventsund Weihnachtszeit wieder mit offenem und dankbarem Herzen entgegen. Erwidern wir sie ihm durch aufrichtige Gegenliebe und durch tätige Nächstenliebe zu unseren Brüdern und Schwestern. Für reiche adventliche Gnaden erteile ich euch und allen, die euch verbunden sind, von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. Stern der Neuevangelisierung Angelus am 13. Dezember 1. Unsere geistliche Wallfahrt geht heute zum Heiligtum der. Madonna von Guadalupe, das sich in Mexikostadt auf dem Hügel Tepeyac erhebt. Es ist das berühmteste marianische Zentrum von ganz Amerika, eines der am meisten besuchten in der katholischen Welt. Sein Ursprung geht auf den Anfang der Evangelisierung der Neuen Welt zurück, als die an das Evangelium Glaubenden noch eine ganz kleine Schar waren. Die heilige Jungfrau erschien in jenen Jahren einem indianischen Landmann, Juan Diego, und beauftragte ihn, dem Ortsbischof ihren Wunsch zu übermitteln, oben auf dem Hügel eine ihr geweihte Kirche erstehen zu lassen. Bevor der Bischof dieser Botschaft Gehör schenkte, bat er um ein „Zeichen“. Daraufhin ging Juan Diego auf Geheiß der „himmlischen Frau“ einen Strauß 281 AUDIENZEN UNDANGELUS Rosen pflücken — im Monat Dezember, auf dem ausgedörrten Hügel in zweitausend Meter Höhe. Zu seinem großen Erstaunen fand er die Rosen, und er brachte sie ihr. Im gleichen Augenblick wurde auf dem aus Naturfasern grobgewebten Umhang des Indios das Bild sichtbar, das man heute unter dem Namen „Unsere Liebe Frau von Guadalupe“ verehrt. Es zeigt Maria als junge Frau von dunkler Hautfarbe, die unter ihrer Brust den göttlichen Sohn trägt, der bald geboren werden sollte. Sie ist es, die ihn der .Welt zum Heil aller schenkt. 2. ; Maria sagte zu Juan Diego, und sie wiederholt es heute gegenüber jedem Christen: „Ich, deine Mutter, bin da. Du stehst unter meinem Schutz. Ich bin dein Heil. Du bist in meinem Herzen“. Die Jungfrau stellte sich so als Mutter Jesu und Mutter der Menschen vor. Die Marienerscheinung auf dem Hügel von Tepeyac setzte im ganzen alten Aztekenreich den Anfang zu einer außergewöhnlichen Bewegung von Bekehrungen zum Evangelium mit Auswirkungen auf ganz Mittel- und Südamerika und sogar bis zur fernen Inselgruppe der Philippinen. Auf meiner ersten Reise in diesen Kontinent nannte ich deshalb Unsere Liebe Frau von Guadalupe „Stern der Evangelisierung“ und „Mutter der Kirche in Lateinamerika“. 3. Die Madonna von Guadalupe ist auch heute das große Zeichen der Nähe Christi, mit dem sie jeden Menschen einlädt, in Gemeinschaft zu treten, um zum Vater zu gelangen. Zugleich ist Maria die Stimme, die die Menschen zur Gemeinschaft untereinander auffordert, unter Achtung der gegenseitigen Rechte und der gerechten Verteilung der Güter der Erde. Heute bitten wir sie, daß sie der Kirche die besten Wege weise, die beim Einsatz für eine Neuevangelisierung zu gehen sind. Von ihr erbitten wir die Gnade, dieser edlen Sache mit neuem missionarischen Eifer zu dienen. Maria bitten wir auch, die Bemühungen derer zu unterstützen, die für den Aufbau der Gerechtigkeit und Solidarität in den Beziehungen unter den Menschen arbeiten, die Gott in Christus zu einer einzigen Familie machen will- 282 AUDIENZEN UND ANGELUS Wunder — ein Ruf zum Glauben Ansprache bei der Generalaudienz am 16. Dezember 1. Die „Wunder und Zeichen“, die Jesus wirkte, um seine messianische Sendung und das Kommen des Gottesreiches zu bekräftigen, sind auf den Ruf zum Glauben hingeordnet und eng mit ihm verbunden. Dieser Ruf hat in bezug auf das Wunder zweierlei Formen: Der Glaube geht dem Wunder voraus, ja, er ist die Voraussetzung, daß es gewirkt wird; der Glaube ist eine Folge des Wunders, hervorgerufen in den Seelen derer, die es empfangen haben oder Zeugen davon waren. Bekanntlich ist der Glaube eine Antwort des Menschen auf das Wort der göttlichen Offenbarung. Das Wunder ereignet sich in natürlicher Verbindung mit dem Wort des offenbarenden Gottes. Es ist ein „Zeichen“ seiner Anwesenheit und seines Wirkens, man kann sagen, ein besonders ausdrucksstarkes Zeichen. All das erklärt zur Genüge den besonderen Zusammenhang,! der zwischen den „Wundern und Zeichen“ Christi und dem Glauben besteht: ein Zusammenhang, der sich in den Evangelien ganz klar abzeichnet. 2. In den Evangelien gibt es eine lange Reihe von Texten, in denen der Ruf zum Glauben als unerläßliche und regelmäßige Grundursache der Wunder Christi erscheint. Am Anfang dieser Reihe sind die Seiten zu nennen, die die Mutter Christi in ihrem Verhalten in Kana in Galiläa und zuvor noch vor allem im Augenblick der Verkündigung beschreiben. Man könnte sagen, daß gerade hier der Höhepunkt ihrer Verbundenheit mit dem Glauben ist, die während des Besuches bei Elisabeth von dieser bestätigt wird mit den Worten: „Selig ist die, die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ (Lk 1,45). Ja, Maria hat geglaubt wie kein anderer, weil sie davon überzeugt war, daß „für Gott nichts unmöglich ist“ (vgl. Lk 1,37). In Kana in Galiläa hat ihr Glaube in gewisser Weise die Stunde der Offenbarung Christi vorweggenommen. Auf ihre Fürsprache hat sich das erste „Wunderzeichen“ erfüllt, um dessentwillen die Jünger Jesu „an ihn glaubten“ (vgl. Joh 2.11). Wenn das Zweite Vatikanische Konzil lehrt, daß Maria dem Gottesvolk auf dem Weg des Glaubens ständig vorangeht (vgl. Lumen gentium, Nr. 58 und 63; Redemptoris Mater, Nr. 5-6), können wir sagen, daß die erste Grundlage dieser Aussage sich bereits im Evangelium findet, das die „Wunderzeichen“ in Maria und für Maria in bezug auf den Ruf zum Glauben wiedergibt. 283 AUDIENZEN UND ANGELUS. 3. Dieser Ruf wiederholt sich viele Male. Zum Synagogenvorsteher Jairus, der gekommen war, um für seine Tochter zu bitten, daß sie am Leben bleibe, sagt Jesus: „Sei ohne Furcht; glaube nur!“ (Mk 5,36). Und er sagt: „Sei ohne Furcht...“, weil einige Jairus davon abrieten, sich an Jesus zu wenden. Als der Vater des besessenen Jungen um Heilung des Sohnes bittet und sagt: „Doch wenn du kannst, hilf uns!“, antwortet Jesus: „Wenn du kannst? Alles kann, wer glaubt“ (Mk 9,22-24). Erinnern wir uns schließlich an das wohlbekannte Zwiegespräch zwischen Jesus und Martha vor der Auferweckung des Lazarus: „Ich bin die Auferstehung und das Leben ... Glaubst du das?“ „Ja, Herrlich glaube ...“ (Joh 11,25-27). 4. Derselbe Zusammenhang zwischen „Wunderzeichen“ und Glauben wird im umgekehrten Sinn von anderen Tatsachen mit negativem Vorzeichen bestätigt. Rufen wir uns einige in Erinnerung. Im Markusevangelium lesen wir, daß Jesus in Nazaret keine Wunder tun konnte, „nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er wunderte sich über ihren Unglauben“ (Mk 6,5-6). Wir kennen den behutsamen Verweis, den Jesus einmal an Petrus richtete: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ Das geschah, als Petrus, der anfangs mutig über das Wasser auf Jesus zuging, „wegen des heftigen Windes Angst bekam und unterzugehen begann (vgl. Mt 14,29-31). 5. Jesus unterstreicht mehrmals, daß das von ihm vollbrachte Wunder an den Glauben gebunden ist. „Dein Glaube hat dir geholfen“, Sagt er zu der Frau, die seit zwölf Jahren an Blutungen litt; sie war von hinten an ihn herangetreten, hatte nur sein Gewand berührt und'war geheilt worden (vgl. Mt 9,20-22; auch Lk 8,48 und Mk 5,34). : Ähnliche, Worte sagt Jesus, während er den blinden Bartimäus heilt, der. am Ausgang von Jericho inständig um seine Hilfe bat und immer lauter schrie: „Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!“ (vgl. Mk 10,46-52). Bei Markus antwortet Jesus: „Geh! Dein Glaube hat dir geholfen.“ Lukas formuliert die Antwort: „Du sollst wieder sehen. Dein Glaube hat dir geholfen“ (Lk 18,42). In gleicher Weise spricht Jesus zu dem von der Lepra geheilten Samariter (vgl. Lk 17,19). Zwei andere Blinde, die darum bitten, das Augenlicht wiederzuerlangen, fragt Jesus: „Glaubt ihr, daß ich euch helfen kann?“ ... „Ja, Herr!“ „Wie ihr geglaubt habt, so soll es geschehen“ (Mt 9,28-29). <7> <8> <7> Besonders rührend ist die Begebenheit der kanaanäischen Frau, die nicht aufhörte, Jesus um Hilfe für ihre Tochter zu bitten, die von einem Dämon ge- 284 AUDIENZEN UND'ANGELUS quält wurde. Als die Kanaanäerin vor Jesus niederfiel und ihn bat, ihr zu helfen, antwortete er: „Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen.“ Es warein Hinweis auf den Volksunterschied zwischen Israeliten und Kanaanäem, den Jesus als Sohn Davids in seinem praktischen Verhalten nicht übersehen konnte; er wies zum methodologischen Zweck darauf hin, um den Glauben zu wecken. Und da gelangt die Frau intuitiv zu einem ungewöhnlichen Akt des Glaubens und der Demut, als sie sagt: „Ja, du hast recht, Herr! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“ Angesichts dieser so demütigen, liebenswürdigen und vertrauensvollen Worte antwortet Jesus: „Frau, dein Glaube ist groß. Was du willst, soll geschehen“ (vgl. Mt 15,21-28). Es ist ein schwer zu vergessendes Ereignis, vor allem wenn man an die unzähligen „Kanaanäer“ aller Zeiten, aller Länder, Rassen und jeder sozialen Herkunft denkt, die die Hand ausstrecken und um Verständnis und Hilfe in ihren Schwierigkeiten und ihrer Not bitten! 7. Man beachte, wie in der Erzählung des Evangeliums die Tatsache ständig betont wird, daß Jesus, wenn „er den Glauben sieht“, das Wunder vollbringt. Das wird klar gesagt im Fall des Gelähmten, der durch eine abgedeckte D'ach-öffiiung vor Jesus hinuntergelassen wurde (vgl. Mk 2,5; Mt 9,2; Lk 5,20). Aber diese Beobachtung kann man in vielen anderen von den Evangelisten aufgezeichneten Fällen machen. Der Glaubensfaktor ist unerläßlich; aber kaum tritt er hervor, ist das Herz Jesu geneigt, die Bitten der Menschen in Not zu erhören, die sich an ihn wenden, damit er ihnen mit seiner göttlichen Vollmacht helfe. . ■ <9> <9> Noch einmal stellen wir fest, daß —wie wir am Anfang sagten — das Wunder ein „Zeichen“ von Gottes Macht und Liebe ist, die den Menschen in Christus retten: Aber gerade deshalb ist es auch ein an den Menschen gerichteter Ruf zum Glauben. Es soll den, an dem das Wunder geschah, und die Augenzeugen des.Wunders veranlassen, zu glauben. Dies gilt für die Apostel selbst, vom ersten „Zeichen“ an, das Jesus in Kana in Gäliäa wirkte: „da glaubten seine Jünger an ihn“ (vgl. Joh 2,11).: Als sich dann die wunderbare'Brotvermehrung bei Kafamaum ereignete, mit der die Ankündigung der Eucharistie verbunden ist, bemerkt der Evangelist: „Daraufhin zogen sich viele Jünger zurück und wanderten nicht mehr mit ihm umher“, weil sie nicht mehr imstande waren, die Worte Jesu anzuhören, die ihnen „unerträglich“ schienen. „Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt auch ihr Weggehen? Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben er- 285 AUDIENZEN UND ANGELUS kannt: Du bist der Heilige Gottes“ (vgl. Joh 6,66-69). Der Glaubensanfang ist also grundlegend in der Beziehung zu Christus , sei es als Bedingung, das Wunder zu erhalten, sei es als Zweck, zu dem es gewirkt wurde. Das tritt am Schluß des Johannesevangeliums ganz klar hervor, wo wir lesen: „Noch viele andere Zeichen, die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind, hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan. Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen“ (Joh 20, 30-31). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Wenn ich euch fragte: „Wozu hat Jesus Wunder gewirkt?“, würdet ihr mir sicher antworten: „damit die Menschen an ihn glauben... damit sie ihn gläubig annehmen als ihren Herrn und Erlöser“. Der Glaube wäre also eine Folge der Wunder. Wenn wir aber in den Evangelien selbst nachforschen, werden wir überrascht feststellen, daß dort der Glaube häufig schon als Voraussetzung für das Wunderwirken Jesu geschildert wird. Der Herr zeigt seine Barmherzigkeit gegenüber den Leidenden und Suchenden nur dann, wenn diese sich mit gläubigem Vertrauen an ihn wenden. Gewiß nimmt er bereits den ersten Anfang eines Glaubens an; auch mag dieses äufkeimende Zutrauen noch keineswegs dem Herrn in seiner ganzen gottgleichen Autorität gelten: Das kleinste Glaubenslicht nimmt Jesus ernst. In bewegender Weise bekennt der Vater eines kranken Sohnes im Markusevangelium diese Unvollkommenheit seines Glaubens. Als er vor Jesus steht und dieser an sein Vertrauen appelliert, ruft er vor aller Ohren aus: „Ich glaube —hilf meinem Unglauben!“ (Mk 9,24). Natürlich sollen die Wunder Jesu diesen Anfangsglauben dann auch vertiefen und stärken, ja manchmal sogar erst wecken. Auch dafür gibt es in der Heiligen Schrift eine Reihe von Beispielen. Nach seiner Darstellung des Wunders auf der Hochzeit zu Kana fügt der Evangelist Johannes hinzu: „und seine Jünger glaubten an ihn“ (Joh 2,11). Ja, dasselbe Evangelium endet mit dieser ausdrücklichen Sinnbestimmung der Wunderzeichen Jesu; dort heißt es: „Diese (Zeichen) sind aufgeschriebenj, damit ihr glaubt, daß Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen“ (Joh 20,31). Von Herzen grüße ich die Besucher deutscher Sprache: Ich verspreche euch mein Gebet vor allem an den kommenden Festtagen, daß sich euer Glaube an das Wunder der Menschwerdung Gottes neu belebe und kräftige, damit auch euer Leben dadurch einmal seine ewige Vollendung finde. - 286 AUDIENZEN UNDANGELUS Wie Maria lieben Angelus am 20. Dezember 1. Auf unserer geistigen Wallfahrt begeben wir uns heute nach Betlehem, zum Heiligtum der Geburt. Seit die Hirten erstmals Maria, den neugeborenen Heiland und Josef aufsuchten und dann erzählten, „was ihnen über dieses Kind gesagt worden war“ (Lk 2,17), wurde diese „mystische Grotte“, wie sie die Gläubigen der ersten Generationen nannten, als Heiligtum betrachtet, das von Christen und Nichtchristen anerkannt wurde. Auch nachdem Kaiser Hadrian sie im Jahr 135 mit Schutterde hatte bedecken und darauf einen Hain pflanzen lassen zu Ehren einer heidnischen Gottheit, geriet die Grotte in der frommen Überlieferung nicht in Vergessenheit. Als Kaiser Konstantin im Jahr 325 den Erdhügel wieder abtragen ließ, um dort eine Kirche zu bauen, wurde sie fast vollständig intakt vorgefunden. Der Kernpunkt der herrlichen Geburtskirche, der einzigen noch erhaltenen unter den drei von diesem Kaiser erbauten Basiliken, ist die Krypta, die heilige Grotte, wo die selige Jungfrau „ihren Sohn, den Erstgeborenen, gebar. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe“ (vgl. Lk 2,7). Beim Besuch der Basilika kann man in die Grotte hinuntersteigen und die Apsis bewundern, die in einer Nische den Geburtsaltar verdeckt. Man kann aber vor allem an der darunter gelegenen Marmorplatte mit dem eingesetzten Stern beten, der von der lateinischen Inschrift „Hic de Virgine Maria Jesus Christus natus est“ umrahmt wird. 2. Dieses Heiligtum ist in besonderer Weise mit der seligen Jungfrau verbunden. Hier haben nicht nur das christliche Volk, sondern auch hochgestellte Persönlichkeiten anderer Religionen ihre Hochachtung und Verehrung gegenüber der Mutter Jesu zum Ausdruck gebracht, die eben an diesem geheiligten Ort, den der hl. Hieronymus den „erhabensten Ort des Erdkreises“ nennt („augustissimum orbis locum“: Epis 58), den Retter der Welt gebar. 3. Ja, das Heiligtum von Betlehem erinnert uns an die Gottesmutter, die Theotokos. Es läßt uns die erhabene Mutter des Erlösers (alma Redemptoris Mater) verehren, die im marianischen Jahr vor unseren Augen in noch hellerem Licht erstrahlt. Wir betrachten sie, wie sie selbstvergessen auf ihren Sohn, das göttliche Kind, schaut, das von ihrem reinsten Leib Fleisch angenommen hat. Wir betrachten sie aber auch, wie sie sich um uns alle, Brüder und Schwestern ihres Erstgeborenen, sorgt. Die Mutterschaft Marias läßt uns 287 AUDIENZEN. UND ANGELUS den Sinn und Wert entdecken, ihre geistlichen Söhne und Töchter zu sein. Aber wenn wir es sind, sind wir auch verpflichtet, so wie sie zu sein, in neuer Weise zu denken und zu lieben, in den Menschen ihre Söhne und Töchter und unsere Brüder und Schwestern zu sehen und in unserem Herzen das menschgewordene Wort aufzunehmen. 4. Im Gejst dieses Heiligtums von Betlehem lenke ich meine Gedanken zu allen Marienwallfahrtskirchen, in denen die selige Jungfrau, unter den vielfältigen Bezeichnungen verehrt, doch immer auf das Geheimnis der Menschwerdung hinweist. Das Licht von Betlehem hat auch die schöne Initiative für die Kinder der römischen Pfarreien und Schulen inspiriert. Sie sind auf diesen Platz gekommen und haben die Jesuskind-Figuren mitgebracht, damit sie gesegnet werden, bevor sie sie zuhause in ihre Krippe legen. Meine Lieben, das Jesuskind, das ihr in den Händen tragt, möge euch immer mehr in der Liebe zu ihm, dem Freund der Kleinen, wachsen lassen. Das kommende Weihnachtsfest verstärkt noch unsere Verbundenheit mit dem Land, wo Jesus, der Fürst des Friedens und der Liebe, geboren wurde. Dieses Land kann nicht weiterhin Schauplatz von Gewaltakten, Auseinandersetzungen und Ungerechtigkeiten sein, verknüpft mit.Leid und Schmerz für die Be-völkerung,. der ich mich ganz besonders nahe fühle. Bitten wir Gott den Allmächtigen, er möge die beteiligten Parteien und alle, die imstande sind mitzuhelfen, dazu inspirieren, den Gewaltakten ein Ende zu setzen und friedliche Lösungen zu finden. Darum bitten wir auf die Fürsprache Marias, der Mutter Jesu, die wir jetzt anrufen. Nach dem Angelusgebet sagte der Papst: Ich grüße alle, die an dem unter Mitarbeit der Diözesan-Caritas veranstalteten ,Solidaritätszug für die Nomaden und ihre Probleme teilgenommen haben; Die bestehenden Schwierigkeiten sind mir wohlbekannt, und ich bete zum Herrn, daß mit dem guten Willen aller eine gerechte Lösung gefunden werde, die den berechtigten Erwartungen entspricht, im Einklang auch mit den Werten der Liebe und des Friedens, die im Weihnachtsmysterium ihre Krönung finden. 288 AUDIENZEN UND ANGELUS Freude über die Menschwerdung Gottes Ansprache bei der Generalaudienz am 23. Dezember Liebe Brüder und Schwestern! 1. Der Advent, den wir mit dem Hinhören auf die eindringliche Aufforderung der Kirche, wachsam und in Erwartung zu leben, begonnen haben, geht zu Ende mit dem Fest, das wir so sehr ersehnen, weil es Freude und Licht bringt. Die Liturgie hat uns mehr und mehr auf die bevorstehende Feier des Weihnachtsfestes vorbereitet, indem sie die Ereignisse, die Worte und die Personen, die der Geburt des menschgewordenen Gottes den Weg bereitet haben, uns zum Nachdenken und zum Gebet vor Augen stellte. Das Wort Gottes ist Fleisch geworden und kann weder von menschlichen Worten noch vom Lärm der Welt überboten werden. Es ist das allmächtige Wort, das durch nichts verdunkelt werden kann. Um aber aufgenommen zu werden, muß es demütige und reine Herzen finden, wie jenes der Jungfrau Maria. Maria erkannte ihr Kleinsein vor Gott, dem sie sich ganz geschenkt hatte und dem allein sie sich anvertraute, da sie ihn über alles liebte. Gerade darum wurde ihr, der Gnadenvollen, der kostbarste Schatz gewährt, der Sohn Gottes, und in ihr wurde die Seligpreisung, die Jesus selbst ausgesprochen hatte, höchste Wirklichkeit: „Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich“ {Mt 5,3). Wir wollen darum die Mutter des Erlösers und unsere Mutter bitten, uns zu helfen, daß unsere Seele die Empfindungen mit ihr teile, die sie in den Tagen vor der Geburt Christi erfüllten. Voll Staunen und verwirrt vor der Demut Gottes, vor seiner Hingabe an uns, können wir dann in dem Kind, das in der Krippe liegt, die Weite, die Höhe und Tiefe der göttlichen Liebe ermessen (vgl. Eph 3,18). 2. Die unverwechselbare Atmosphäre froher Erwartung, kennzeichnend für diese Tage, so nahe dem Fest der Ankunft Gottes unter uns, macht auch unsere heutige Audienz zu einem besonderen Erlebnis. Bei dieser Gelegenheit möchte ich euch, liebe Brüder und Schwestern, auffordem, diesen Sinn für die Majestät Gottes wachzuhalten. Das heißt nicht, man solle Angst vor ihm haben, so, als ob er ein Fremder oder ein Rivale sei, wie ihn gewisse zeitgenössische philosophische Strömungen darstellen. Gott verlangt einfach, daß wir seine grenzenlose Liebe zugleich mit seiner Größe und Güte anerkennen und in Anbetung zu ihm gehen. Gehen wir also mit großem Glauben zum Jesus- 289 REISEN kind, dann werden wir immer besser lernen, wie die ganze Menschheit in ihm Versöhnung und Leben findet und vom Vater angenommen wird. In Christus schenkt uns der Allmächtige ein Herz, das fähig ist, ihn zu erkennen und sich ihm zuzuwenden (vgl. Jer 24,7) auf dem Weg, den uns die „frohe Botschaft“ von einem Gott weist, der Mensch geworden ist, auf daß der Mensch Gott werden könne. Als Pilger des Glaubens und der Liebe wollen wir uns auf den Weg zu Christus machen. Er ist die vollkommene Verwirklichung der Verheißungen des Vaters. 3. Mit diesen Gedanken wende ich mich besonders an euch hier bei dieser Begegnung anwesende Jugendliche und schlage euch vor, über das Verhalten der Hirten nachzudenken und ihnen nachzufolgen, die als erste von den Engeln die Verkündung der Geburt des Heilands vernahmen und zur Grotte eilten. Um Jesus, Maria und Josef zu finden, muß man sich auf den Weg machen und alle Kompromisse, Falschheit und Eigensucht hinter sich lassen. Man muß innerlich bereit sein für die Anregungen, die er gewiß jedem Herzen, das offen ist zu hören, eingeben wird. Das wünsche ich euch für die kommenden Weihnachtsfesttage! Mögt ihr zusammen mit dem Jesuskind und seiner heiligsten Mutter in ungestörter Freude diese gesegneten Tage verleben. Einen besonderen Gruß und Wunsch richte ich an euch, liebe Kranke. Vor meinen Augen stehen all die unglücklichen und schmerzlichen Situationen der Welt, alle Kranken und Leidenden — sei es zu Hause oder in den Krankenhäusern. Ich möchte für sie, jeden einzelnen und alle, eindringlich die Worte Jesu wiederholen: „Habt Vertrauen; ich bin es, fürchtet euch nicht!“ (Mk 6,50). Das Leiden ist nicht notwendigerweise eine Strafe oder ein Verhängnis. Es kann eine, wenn auch geheimnisvolle, von der Vorsehung gebotene Gelegenheit sein zur Offenbarung der Werke Gottes (vgl. Joh 9,1-3). Das Jesuskind lasse euch Leidende seine Friedensbotschaft spüren. Zum Schluß grüße ich ganz herzlich euch, liebe Brautleute. Eure Anwesenheit läßt mich an das neue Jahr denken, das bald beginnen wird. Auch die Menschheit erneuert sich jeden Tag, und die Vorsehung schenkt der Kirche und der Welt neue Menschenleben. Schaut auf die Grotte von Betlehem: die Personen, die ihr dort seht (vgl. Lk 2,16), könnt ihr euch zum Vorbild und Beispiel nehmen. Wie Jesus, der nicht gekommenist, umsich dienenzu lassen, sondern um zu dienen, wie Maria und Jesus, die ihn den Menschen dargeboten haben, so lernt auch ihr, euch zu verschenken und das Glück und die Freude mitzuteilen, mit denen Gott euch erfüllt hat. Mit der mütterlichen Hilfe Marias werde eure junge Familie zu einer „Hauskirche“, in der Jesus geboren wird. 290 AUDIENZEN UNDANGELUS Euch und allen Anwesenden wünsche ich gesegnete Weihnachten und erteile von Herzen meinen Segen. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Auch euch gilt in der Vorfreude des Weihnachtsfestes mein herzlicher Gruß, sei es, daß ihr hier zugegen seid oder über Radio mit dieser Audienz verbunden seid. Weihnachten ist das Fest der Freude und des Friedens, der Freundschaft und der Liebe. Wie an keinem anderen Fest des Jahres bezeugen sich die Menschen in diesen Tagen einander ihre Aufmerksamkeit und Zuneigung durch gute Wünsche und Geschenke. Wir tun dies, weil Gott selber uns im Geheimnis der Heiligen Nacht seine Menschenfreundlichkeit erwiesen und uns seinen eingeborenen Sohn als unseren Bruder geschenkt hat. In Christus ist Gott unser „Immanuel Gott mit uns“ geworden, in ihm sind wir nun untereinander alle Brüder und Schwestern. Vergessen wir in aller äußeren Festfreude, bei unserem gegenseitigen Sich-Beschenken nicht diesen inneren, tieferen Anlaß, der unserer Weihnachtsfeier den eigentlichen, christlichen Sinn und Inhalt gibt. Eine neue, lebendige Erfahrung dieser Nähe Gottes im menschgewordenen Kinde von Betlehem wünsche ich euch und euren Lieben für die kommenden Festtage und erbitte euch allen in diesem Sinn ein „frohes und gnadenreiches Weihnachtsfest“ mit meinem besonderen Apostolischen Segen. Zur Geburt in Gott berufen Angelus am 26. Dezember Liebe Brüder und Schwestern, Römer und Gäste! 1. Wir versammeln uns hier auf dem Petersplatz um die Krippe, die ein sichtbares Zeichen des Festes und der Oktav von Weihnachten ist. Wir versammeln uns um das Weihnachtsmysterium. Gestern haben wir die Tiefe und die Schönheit dieses erhabenen menschlich-göttlichen Geheimnisses betrachtet, und heute, am Fest des ersten Märtyrers, des hl. Stephanus, betrachten wir dasselbe Mysterium in einem scheinbar ganz anderen Augenblick, der jedoch ebenso tief mit dem Weihnachtsgeheimnis verbunden ist. Ja, das Andenken 291 REISEN des ersten Märtyrers in Jerusalem, das Gedenken des heiligen Diakons Stephanus, führt uns auf den tiefsten Grund des Weihnachtsgeheimnisses, der Menschwerdung des Sohnes Gottes. Er ist Mensch geworden, geboren aus Maria, der Jungfrau, um uns zu Gottes-kindem zu machen, wie uns der Evangelist Johannes gestern bei der dritten Eucharistiefeier von Weihnachten in Erinnerung rief. Er hat uns die Kraft, die Macht gegeben, Kinder Gottes zu werden, und das soll heißen, daß wir alle zu einer Neugeburt, nicht nur zur irdischen Geburt, berufen sind. Wir sind zur Geburt in Gott berufen, die ihre Vollendung nach dem irdischen Leben findet, aber bereits in diesem Leben beginnt. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Erzmärtyrer Stephanus sozusagen die Inkarnation dieser Wahrheit, die uns durch die heilige Geburt Jesu offenbart wurde. So erleben wir heute das Fest der Geburt Jesu, das Geheimnis von Betlehem in der Krippe, so leben wir in dem Ausblick, den die Weihnacht uns eröffnet hat. 2. Herzlich grüße ich alle Anwesenden. Ich freue mich, daß die Krippe auf dem Petersplatz so viele Römer und so viele Gäste anzieht, besonders die Jugend, die Kinder, die den Sohn Gottes als ihresgleichen, als einen von ihnen, als kleines, neugeborenes Kind sehen wollen. Beten wir deshalb für die Familien, die Kinder, die Mütter, die Eltern, für unsere Mutter Kirche, die uns zum ewigen Leben zeugt, zur endgültigen Geburt des Menschen in Gott selbst. Familie von heute — Gesellschaft von morgen Angelus am 27. Dezember Liebe Brüder und Schwestern! 1. Der heutige Sonntag, der unmittelbar auf das Weihnachtsfest folgt, wird von der Kirche dem Fest der Heiligen Familie gewidmet. Nachdem wir in den vergangenen Tagen unsere Aufmerksamkeit auf das Geheimnis des Gottessohnes gerichtet haben, der zum Heil aller Menschen Kind wurde, sind wir heute eingeladen, über die Wiege der Liebe und der Aufnahme nachzudenken, die Familie genannt wird. 292 REISEN Der offizielle Name des liturgischen Festes lautet: „Die heilige Familie von Jesus, Maria und JosefSchon der Name allein bringt die erhabene Wirklichkeit einer gott-menschlichen Tatsache zum Ausdruck. Er stellt uns ein Vorbild vor Augen, das im Leben nachgeahmt werden soll. Jede, vor allem die christliche Familie bemühe sich, die Harmonie, die Ehrbarkeit, den Frieden und die Liebe in sich zu verwirklichen, die die wunderbaren Eigenschaften der Familie von Nazaret waren. 2. Die Heiligkeit der Familie ist der Hauptweg und der unerläßliche Zugang zum Aufbau einer neuen und besseren Gesellschaft, um einer Welt, auf der so viele Gefahren lasten, neue Hoffnung für die Zukunft zu geben. Mögen deshalb die christlichen Familien von heute von der Heiligen Familie, dem Kernpunkt der vorbehaltlosen Liebe und Hingabe, zu lernen wissen. Der Sohn Gottes, zum Kind geworden, empfing wie alle aus einer Frau Geborenen die ständige Fürsorge der Mutter. Maria, Jungfrau geblieben, widmete täglich ihr eigenes Leben der hohen Sendung der Mutterschaft, und auch deshalb preisen die Völker sie heute selig. Josef, dazu bestimmt, das Geheimnis der Gottessohnschaft Jesu und der jungfräulichen Mutterschaft Marias zu schützen, erfüllte bewußt seine Aufgabe, in Schweigen und im Gehorsam zum göttlichen Willen. Welche Lehre, welches Geheimnis! 3. Der Gottessohn ist auf die Erde gekommen, um jeden Menschen zu retten, indem er ihn aus dem tiefsten Innern heraus umwandelt, um ihn sich selbst, dem Sohn des himmlischen Vaters, ähnlich zu machen. Während der Verwirklichung dieser Aufgabe hat er den größten Teil seines irdischen Lebens im Schoß einer Familie zugebracht, um uns die unersetzliche Bedeutung dieser Urzelle der Gesellschaft verständlich zu machen, die potentiell den ganzen Organismus in sich trägt. Die Familie ist von sich aus heilig, denn heilig ist das menschliche Leben, das nur im Bereich der Institution der Familie in menschenwürdiger Weise gezeugt wird, sich entwickelt und heranreift. Die Gesellschaft von morgen wird das sein, was die Familie heute ist. Sie ist heute leider jeder Art von Gefahren ausgesetzt von seiten jener, die ihr Gefüge zu zerrütten und ihre natürliche und übernatürliche Einheit zu zerstören suchen, indem sie die moralischen Werte, auf denen die Familie;gründet, erschüttern mit allen Mitteln, die die heutige Permissivität der Gesellschaft zur Verfügung stellt, besonders durch die Massenmedien, und indem sie das wesentliche Prinzip der Achtung vor der Heiligkeit jedes menschlichen Lebens vom ersten Lebensstadium an leugnen. Es ist notwendig, den echten Sinn für die menschlichen und christlichen Vorzüge der Familie und ihrer un- 293 REISEN umstößlichen Aufgabe wiederzuerlangen: eine von der Liebe eng zusammen^ gefügte Gemeinschaft zu sein, um dem werdenden Leben ein Heim voll Wärme und Geborgenheit zu bieten, wo der junge Mensch zur Achtung vor sich selbst und den anderen erzogen werden kann, zur Einsicht für die wahren Werte und zur Kenntnis und Liebe des himmlischen Vaters, „nach dessen Namen jedes Geschlecht im Himmel und auf der Erde benannt wird“ (Eph 3,15). Liebe Brüder und Schwestern, bitten wir Jesus, Maria und Josef, daß überall das unvergleichliche Geschenk der Heiligkeit der Familie wiederauflebe. Für empfangene Wohltaten danken Ansprache bei der Generalaudienz am 30. Dezember Liebe Brüder und Schwestern! 1. Während wir noch vom Licht des Weihnachtsgeheimnisses überflutet sind und die Botschaft von Betlehem hören — die Botschaft des Heils, des Friedens und der Brüderlichkeit unter allen Menschen guten Willens —, leitet uns in dieser Audienz ein besonderer Beweggrund und veranlaßt uns, einige Überlegungen anzustellen. Der Grund ist der Ablauf des bürgerlichen Kalenderjahres, denn wir stehen vor der Vigil des letzten Tages von 1987. Die Betrachtung über den Ausgang dieser zwölf Monate, die morgen ihren Abschluß finden, führt uns vor allem dahin, Gott für die unzähligen empfangenen Wohltaten zu danken. Sie ist aber auch eine Einladung, Rückschau zu halten auf unser Leben, um zu prüfen, ob es wirklich in den wesentlichen Werten verankert ist, für die es sich zu leben lohnt, und Schlußbilanz zu ziehen sowie den Plan für das neue Jahr aufzustellen. Sie führt uns dahin, mit einem Wort, auf unser Leben zu schauen, nicht als sei es eine selbständige und sich selbst genügende Einheit, sondern unter den geheimnisvollen und heilsamen Einfluß der göttlichen Vorsehung gestellt, die alles zum Wohl ihrer Geschöpfe wendet. Die Zeit, in der wir jetzt leben und wirken, ist von unschätzbarem Wert: in ihr wird die irdische Stadt aufgebaut, und in ihr kündigt sich das Reich Gottes an und nimmt seinen Anfang, das seine Fülle jenseits der Zeit erlangen wird. 2. Diese Betrachtung führt uns dahin, die Kirche als Pilgerin auf Erden zu sehen und die Christen als Wanderer auf dem Weg zur himmlischen Heimat. In dieser kirchlichen Wirklichkeit erstrahlt die heilige Jungfrau in hellem Licht. Sie ging „den Pilgerweg des Glaubens und hielt in Treue ihre Vereinigung mit 294 REISEN dem Sohn“ {Lumen gentium, Nr. 58). Sie lehrt uns, auf dieser Erde fortzuschreiten und auf Jesus, die Frucht ihres Leibes, als Bezugspunkt zu blicken. Gerade das ist die Bedeutung von Weihnachten, des Festes der Mutter und des Sohnes. Dies ist aber auch die Bedeutung des Marianischen Jahres, das mit dem neuen Jahr seinen Fortgang nimmt und die Frömmigkeit der Gläubigen für den Großteil des Jahres 1988 bestimmen wird. Dazu möchte ich wünschen, daß die Fortsetzung des Marianischen Jahres noch mehr Gelegenheit biete, die Gottesmutter im Vorsehungsplan der Menschwerdung und der Erlösung zu erkennen. In ihre menschliche und geistliche Schönheit mögen unsere Augen eintauchen, die von den profanen Bildern unserer Umgebung oft beleidigt und geblendet werden; Bildern, von denen wir eingekreist und fast angegriffen werden. Wenn wir den Blick fest auf Maria heften, die gesegnete unter den Frauen, können wir in uns: die Linie und die Struktur des neuen, von ihrem Sohn erlösten Menschen aufbauen. Inmitten einer Welt, die gekennzeichnet ist von Kriegsherden, von Haß und Auseinandersetzungen jeder Art, wird es die heilige Jungfrau, wenn wir sie anzurufen wissen, nicht an ihrer Hilfe und an ihrer Fürsprache fehlen lassen, damit wir so vielen schmerzlichen Situationen begegnen können. Sie wird uns lehren, in den wechselseitigen Beziehungen zu lieben und Erbarmen Zu üben. Sie wird uns die Güte und Barmherzigkeit offenbaren, die Gott allen Geschöpfen erweist. „Diese Offenbarung — so schrieb ich in der Enzyklika Dives in misericordia — ist deshalb besonders fruchtbar, weil sie sich in Maria auf das einzigartige Taktgefühl ihres mütterlichen Herzens gründet, auf ihre besondere Empfindsamkeit und die Fähigkeit, alle Menschen zu erreichen, welche die erbarmende Liebe leichter von Seiten einer Mutter annehmen. Das ist eines der großen und lebensspendenden Geheimnisse des Christentums, dem Geheimnis der Menschwerdung innig verbunden“ (Nr. 9). 3. Wenn es so gelebt wird, wird das Marianische Jahr weiterhin ein sehr wichtiger und für unser persönliches und ewiges Schicksal entscheidender Zeitabschnitt sein, in dem es uns hilft, die Orientierung in der Zerstreuung der heutigen Welt zu finden, eine große Harmonie in unserem Umfeld zu fördern, unsere Denk- und Lebensart zu erneuern und ein wahres christliches Bewußtsein aufzubauen. Ich wende mich vor allem an die Jugend und rufe sie auf, sich die Botschaft dieses Marianischen Jahres zu Herzen zu nehmen, das die Menschen auf das große Jubiläum der Erlösung vorbereiten soll, das im Jahr 2000 nach der Geburt Jesu stattfindet. Die Jugendlichen, die Hauptfiguren des dritten Jahrtausends, sollen das Magnifikat aufzunehmen wissen und es in allen Bereichen 295 REISEN widerhallen lassen, besonders unter den Benachteiligten, den Unterdrückten und Verachteten, damit alle wissen, daß Gott — wie die Jungfrau verkündet hat — „die Niedrigen erhöht und die Hungernden mit seinen Gaben beschenkt“ (vgl. Lk 1,52-53). Ich wende mich auch an die Kranken, und heute insbesondere an die Gruppe der Blinden und Taubstummen der Freiwilligen Caritas von Avezzano: Ich lade sie ein, ihre Leiden als wertvollen Beitrag zum göttlichen Plan des Heils und der Tröstung aufzuopfem. So sind auch die jungen Familien, die Brautleute, aufgerufen, die Kirche mit jungem Leben und dem Beispiel einer echten christlichen Lebensführung aufzubauen. Dadurch wirken sie mit an der allgemeinen Erneuerung der Gesellschaft und des Lebens der Kirche. Je mehr sie sich die Heilige Familie von Nazaret zum Vorbild nehmen, die in diesen Tagen in der Krippe dargestellt ist, um so stärker wird ihr eigener Beitrag sein. Allen wünsche ich ein gesegnetes und glückliches neues Jahr und erteile von Herzen meinen Segen. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Noch immer tragen wir die frohe Botschaft der heiligen Weihnacht im Herzen: die Botschaft von der liebenden Nähe Gottes zu seiner Schöpfung, die Botschaft vom Wert des Menschen in den Augen seines Schöpfers, die Botschaft vom Weg zu wahrer Brüderlichkeit unter allen Menschen. Im Licht dieser Grundwahrheiten unseres gläubigen Lebens nähern wir uns wieder dem Ende eines alten und dem Beginn eines neuen Jahres. Gewiß hat jeder von uns neben dunkleren Tagen auch helle Tage erlebt, Ereignisse, für die wir der göttlichen Vorsehung zu diesem Jahreswechsel aus ganzem Herzen danken dürfen. Zugleich aber sind wir in diesen Tagen aufgefordert nachzuprüfen, ob sich unser Lebensweg an Wegweisern orientiert, die Gott, selbst aufgestellt hat, indem er uns als ein geistbegabtes Geschöpf von unendlichem Wert geschaffen hat. Wir Christen brauchen die Tage von Silvester und Neujahr nicht mit Lärm und Getöse zu erfüllen, um Furcht vor bösen Geistern zu vertreiben. Es genügt, daß wir uns wieder möglichst tief auf unsere große Berufung zu Kindern Gottes besinnen und jeden Schritt in die Zukunft aus diesem befreienden Bewußtsein setzen. Wenn wir mutig und konsequent auf Gott zugehen, verliert die dunkle Zukunft ihren Schrecken; sie wird dann vielmehr Tag für Tag ein neues Angebot, das Reich Gottes auf Erden voranzubringen und darin auch unser persönliches Lebensziel zu finden. Maria, die Mutter des Herrn, wird 296 REISEN dabei gern unsere Weggefährtin sein, vor allem in diesem ihr geweihten besonderen Marianischen Jahr. Herzlich grüße ich mit diesen Anregungen die deutschsprachigen Besucher, unter ihnen vor allem die Gruppe von der Kantonsschule im Kollegium zu Schwyz in der Schweiz. Euch allen wünsche ich ein gesegnetes neues Jahr! 297 II. Predigten und Ansprachen bei den Reisen 1. Pastoralbesuch in Civitavecchia (Italien) (19. März) REISEN Christus ist der sichere Hafen Ansprache an die Hafenarbeiter von Civitavecchia am Fest des hl. Josef, 19. März Liebe Brüder und Schwestern! 1. Bei meinem heutigen Besuch in Civitavecchia durfte eine Begegnung mit euch, Hafenarbeitern, Fischern und Seeleuten, nicht fehlen, repräsentiert ihr doch eine sehr aktive Seite der Stadt, die sich am Tyrrhenischen Meer erhebt und seit der Antike über einen riesigen Hafen verfügt, der ihr durch Jahrhunderte hindurch eine wachsende Entwicklung in Handel, Wirtschaft und Kultur in den Beziehungen zu den Völkern des gesamten Mittelmeerraumes sichern sollte. Ich begrüße euch alle herzlich, euch Seeleute und alle, die in der Hafenkommandantur, bei den Eisenbahnen, in den Autotransportunternehmen in verschiedener Form mit den Hafenarbeitern Zusammenarbeiten. Ich grüße im besonderen alle zivilen und militärischen Behörden, die ihren Beistand den Passagieren, den Auswanderern, dem Personal auf den Ankerplätzen und allen, die sich um Hilfe an sie wenden, leisten. Meine Gedanken gelten allen, zusammen mit dem Zeichen der aufrichtigen Anerkennung für die wertvolle Arbeit im Hafen, die oft mit wahrem Opfergeist vollbracht wird. Niemandem können nämlich die besonderen Bedingungen entgehen, in denen sich jene befinden, die sich für lange Zeit einschiffen: Man weiß um die Schwierigkeiten, denen sie wegen der periodischen Abwesenheit von ihren .Familien und wegen der Gefahren entgegengehen, denen sie die Unwägbarkeiten des Meeres aussetzen. Aber es entgeht einem auch nicht das Faszinierende des Lebens auf dem Meer, das jedem Schiffsreisenden die Möglichkeit zu immer neuen Bekanntschaften und Freundschaften bietet, zu Begegnungen mit geschichtsträchtigen Seestädten, die reich an Kunstschätzen, an wunderbaren Bildern von unendlicher Weite und eindrucksvollen Horizonten sind; Bilder, Begegnungen, Kontakte, die den Gesichtskreis einer engen Denkweise sprengen sowie den Menschen und seine wechselnde Art zu denken, kennen und lieben lehren. 2. Ich möchte eure Betrachtung auf die Bedeutung eurer Tätigkeit lenken, die viel zur wirtschaftlichen Entwicklung und zum zivilen Fortschritt der Nation beiträgt. 302 REISEN Denn die Tätigkeit eines jeden von euch ist im Rahmen seiner Spezialausbildung und Zuständigkeit auf das Gemeinwohl ausgerichtet. Der Hafenarbeiter bringt eine Beziehung zum Ausdruck, die über den engen Rahmen eines territorialen Bezirkes hinausgeht und sich zu dem umfassenderen Horizont von Personen und Dingen ausweitet, die aus den verschiedensten Orten und Räumen herstammen. Es ist eine Beziehung, die, während sie die Verbesserung der Lebensbedingungen aller, die sieleben, anstrebt, zugleich deren menschliches Wachstum fördert, indem sie hier durch die Begegnung mit immer neuen Wirklichkeiten die Kenntnisse erweitert. So wird auf besonders klare Weise klar, wie sich jede Arbeit auf die Reifung des Menschen auswirkt. Denn die Arbeit bringt nicht nur materiellen, äußeren Reichtum für den Menschen hervor, sondern auch geistige, in seinem Inneren wohnende Reichtümer, wie die Solidarität, die Freundschaft und die Brüderlichkeit. So verstanden, läßt die Arbeit die pragmatische Auffassung vom Fortschritt als unmittelbarem Gewinn oder Nutzen dessen, der sie vollbringt, überwinden und stellt sie als Dienst an j edem Menschen und als Förderung seiner Würde dar. Ihr seid als Hafenarbeiter verantwortungsvolle Vorkämpfer für internationale Verbindungen, die auch heute noch — trotz der Fortschritte in Technologie und Wissenschaft — das Meer bevorzugen, in dem sie ein Echo von Traditionen und ruhmreichen Taten wiederfinden, die zwar niemals in Vergessenheit geraten sind, aber auch weiterhin ein wertvoller Hinweis- und Bezugspunkt sein sollen. Der Aufenthalt in einem wie im vorliegenden Fall einzigartigen Hafen erweckt das Interesse der Kirche, weil sie, die Ausdruck und Werkzeug der Kommunikation zwischen den Völkern ist, die Verwirklichung jenes Strebens nach Liebe und Brüderlichkeit in der Einheit der Herzen und des Verstandes begünstigt, das eine wesentliche Komponente ihrer Sendung darstellt. 3. Als mein Vorgänger Sixtus IV. den Wiederaufbau und die jenen Zeiten angemessene Modernisierung dieses gewaltigen Hafens, dessen erste Errichtung auf Kaiser Trajan zurückgeht, beschloß und plante, ließ er sich von großen Zielsetzungen des Wohlstandes und der Zivilisation bewegen. Es sind Zielsetzungen, die in ihren sittlichen, kulturellen und religiösen Auswirkungen — auch wenn sie sich heute wegen der veränderten Zeit- und Raumverhältnisse in ganz anderer Weise darstellen — noch immer gültig sind. Unter diesem Gesichtspunkt muß sich euer Einsatz konsequent und harmonisch entfalten und vor allem eine gewünschte Erweiterung und Verbesserung der sozialen Beziehungen auf j eder Ebene im Licht der uns von Christus hinter-lassenen und von der Kirche in der Zeit sich zu eigen gemachten Lehren bewirken. 303 REISEN 4. Ihr, die ihr die Wellen des Meeres durchfurcht, blickt auf die Apostel, von denen einige Fischer waren. Ihr Leben und ihr Erlebnis auf dem See erinnert an das Leben und Erleben der Seeleute aller Zeiten. Hören wir den Evangelisten Matthäus: „Jesus stieg in das Boot, und seine Jünger folgten ihm. Plötzlich brach auf dem See ein gewaltiger Sturm los, so daß das Boot von den Wellen überflutet wurde. Jesus aber schlief. Da traten die Jünger zu ihm und weckten ihn; sie riefen: Herr, rette uns, wir gehen zugrunde! Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst, ihr Kleingläubigen? Dann stand er auf, drohte den Winden und dem See, und es trat völlige Stille ein“ (Mt 8,23-26). Eine andere Episode aus dem Evangelium führt uns Jesus vor Augen, wie er auf dem Wasser desselben Sees geht, seine Jünger erreicht, die wegen Gegenwindes in Seenot geraten sind, und zu ihnen sagt: „Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nipht!“ (Mt 14,27). Und sogleich legte sich der Wind. Liebe Brüder, diese Worte des Herrn sollen auch für euch Grund zu Vertrauen und Ermutigung in den Schwierigkeiten und dunklen Stunden sein; sie sollen Gewähr sein für den ständigen Beistand, an dem er es keinem mangeln läßt, der sich vertrauensvoll an ihn wendet: an ihn, der den Schlüssel zu allen Geheimnissen des menschlichen Herzens hat und der jeder Handlung den letzten Sinn gibt. Wenn ihr wie die Apostel auf eurem Lebensweg Jesus zum Weggelährten habt, dann braucht ihr weder Sturm noch Gegenwind zu fürchten. Das Bild vom Boot ist Symbol der Kirche in der Welt. Der hl. Augustinus, dessen Bekehrung vor 1600 Jahren wir in diesem Jahr gedenken, durchfurchte auf seinen Reisen von und nach Afrika das Meer und versäumte es nicht, als großer Denker, der er war, in diesem Zusammenhang eine geistliche Betrachtung zu formulieren: „Wir sind Seefahrer, wenn wir auf die Wogen und Stürme dieser irdischen Welt blicken. Aber wir gehen nicht unter, weil wir vom Holz des Kreuzes getragen werden“ (Tract. in Io. 27,7). Die Kirche ist dieses rettende Holz, das euch die sichere Überfahrt gewährleistet, und Christus ist der sichere Hafen, er ist der Leuchtturm, der eurer Seefahrt die Richtung weist und sie erleuchtet. Wer auf dem Meer reist, braucht auch einen Kompaß, sonst kommt er vom Kurs ab: die selige Jungfrau, die in Civitavecchia hoch verehrt wird, sei euer Kompaß, sie, der Stern des Meeres. Ich rufe auf euch den Schutz der hl. Jungfrau und Märtyrerin Fermina herab, deren Bildnis ihr zum Zeichen der liebenden Zuneigung und des Glaubens heute hier im Hafen aufgestellt habt, auf daß sie euch alle, die ihr als Seeleute, Schiffer, Hafen- und Werftarbeiter tätig seid, schütze und euch beistehe. Ihre Fürsprache bei unserem Herrn Jesus Christus und der seligen Jungfrau und Gottesmutter erwirke euch, daß ihr euch zusammen mit euren hier ver- 304 REISEN sammelten Familien stets der Gaben heiterer Ruhe, des Friedens und der Liebe erfreuen könnt. Mein Segen begleite euch. Seit der Antike mit Rom verbunden Ansprache an die Vertreter der Behörden in Civitavecchia am 19. März Herr Minister, Herr Bürgermeister, Brüder und Schwestern! 1. Ihnen allen meinen herzlichen Gruß, den Bewohnern dieser alten und liebenswerten Stadt, wie auch denen, die aus der Umgebung gekommen sind, um an unserer brüderlichen Begegnung teilzunehmen, und allen, die durch Radio und Fernsehen geistig mit uns verbunden sind. Ich danke dem Herrn Minister und dem Herrn Bürgermeister für ihre aufrichtigen und vornehmen Grußworte. Ich freue mich, heute in einer Küstenstadt zu sein, die von jeher mit der Geschichte Roms verbunden war, bei einer Bevölkerung, die das Geschenk des Evangeliums im Herzen bewahrt und es in den Wechselfällen der Geschichte und den Widrigkeiten des Lebens zu schützen weiß, beseelt von. dem Willen, sich eine Zukunft aufzubauen, die der ruhmreichen Vergangenheit würdig ist. Mein Besuch gilt vor allem der Welt der Arbeit, aber er möchte die ganze Diözese einschließen, die vielfältigen lebendigen Kräfte, die in ihr tätig sind. Allen möchte ich ein Wort der Ermutigung bringen und sie auffordem, auf die umwandelnde Kraft des Evangeliums zu vertrauen, die auch die Welt von heute zu retten vermag. Liebe Brüder und Schwestern, ich bin hier als der Nachfolger des Petrus, des Fischers aus Galiläa, den der göttliche Meister zum Haupt der Apostel gemacht hat. Es ist mein lebhafter Wunsch, euch in dem Glauben zu bestärken, den der Sohn Gottes selbst auf die Erde gebracht hat, und euch zu sagen, daß die Wahrheiten Gottes unverzichtbar sind für jeden Menschen, der sich selbst finden und seine Zukunft ohne Risiko aufbauen will. Eure zweitausendjährige Vergangenheit, eine Geschichte steter Wiedergeburten, muß euch immer wieder zu bedenken geben, daß die Schwierigkeiten der heutigen Zeit sich überwinden lassen und kein Grund sind, der Mutlosigkeit zu verfallen. Sie sollen vielmehr ein Ansporn sein, mit Optimismus und Ausdauer weiterzugehen. 2. Eure Stadt nahm ihren Anfang unter dem Namen Centocelle (Hundertzellen) wegen der vielen natürlichen Einbuchtungen an der felsigen Küste, in de- 305 REISEN nen die römischen Dreiruderer sicher landen konnten. Sie entwickelten sich dann durch das Werk der berühmten Meister im Zeitalter Trajans zum römischen Hafen und in den folgenden Jahrhunderten wurden sie zu einer Festung, bei deren Ausbau viele große Architekten der Renaissance zusammenarbeiteten. Eine Stadt, offen und fest gegründet zugleich, wie alle Küstenstädte, aber auch, und gerade deshalb, im Lauf der Zeit den Angriffen derer ausgesetzt, die sich ihrer zu bemächtigen suchten, um nach Rom vorzustoßen. Die Geschichte von Civitavecchia kannte tragische und heroische Perioden. Als das Römische Reich sich seinem Ende zuneigte, hielt die Stadt dem Angriff der Goten stand. Im Mittelalter erfuhr sie nach hartem Widerstand Verwüstungen durch die Sarazenen. Im letzten Weltkrieg entluden sich am 3. August 1943 über ihr massive Bombardierungen des Luftkrieges, die das Opfer von zweitausend Menschenleben und umfangreiche Gebäudeschäden kosteten. Es ist also eine Stadt, die Leid erfahren hat, die aber auch mit Würde zu leiden wußte. In diesem historischen Rahmen kommt der christliche Glaube in besonderer Weise zum Aufleuchten. Er wurde schon in der Urzeit des Evangeliums hier angenommen und war für eure Väter immer Quelle der Kraft, der Hoffnung und der Neugeburt. Für diesen Glauben starben in der Zeit der römischen Verfolgungen viele Einwohner der Stadt und wurden Vorbilder und Fürsprecher für eure Vorfahren in den einzelnen Jahrhunderten. Zwei Seiten einer Entwicklung 3. Liebe Brüder und Schwestern, eure Vorfahren, die die Zerstörung durch die Sarazenen im 9. Jh. überlebten, wollten auf dem Platz, auf dem die erste Stadt gestanden hatte, eine neue errichten, jene, die den heutigen Namen trägt, so, als ob damit angedeutet werden sollte, daß die Gegenwart mit der Vergangenheit verbunden sein muß, um die Zukunft vorzubereiten. Gegenüber dem bloßen Feldbau gaben sie der Rückkehr zum Meer den Vorzug, aus dem sie schon immer ihren Lebensunterhalt gezogen hatten. Und so erhob sich die alte, zusammengewürfelte Siedlung dann als mauerumwehrte Stadt aus den Ruinen. Zu ihrem Aufbau trug der Genius dessen bei, der in den römischen Himmel die Kuppel von St. Peter aufragen ließ. Von da an spielte sich das Leben der Arbeitswelt großenteils um den Hafen ab, den Militär- und den Zivilhafen. In der Nachkriegszeit wurden Industriebezirke geschaffen, die Schaltzentrale des großen Thermokraftwerkes und Werkstätten verschiedener Art. Doch es gibt auch die Kehrseite der Medaille, das weiß ich wohl. Die Entwicklung ist begrenzt geblieben. Die Industrialisierung hat nicht so zugenommen, wie ihr es erwartet hattet. Einige Werften schließen ihre Tore. Die jun- 306 REISEN gen Leute haben Schwierigkeiten, sich in die Arbeitswelt einzugliedern. Die Arbeitslosigkeit ist im Steigen. Und mit der Arbeitslosigkeit zeigen sich in besorgniserregendem Maß die zahlreichen Übel, die in Untätigsein und Niedergeschlagenheit natürlich ihre Nahrung finden. 4. Nichtsdestoweniger aber habt ihr viele Gründe, mit Hoffnung und Vertrauen auf das Morgen zu schauen. Beruft euch also auf eure Tradition, um noch einmal eine Neugeburt zu erleben und mit frischem Schwung das Neue auf dem Alten aufzubauen! Civitavecchia ist eine geordnete Stadt, Gewalttätigkeiten sind ihr fremd. Die Familie ist von Grund auf gesund. Die Religion wird bewußt aus der Tiefe des Herzens gelebt trotz der säkularisierten Umgebung. Darum möchte ich die Gläubigen auffordem, sich für ein neues Erwachen des Glaubens einzusetzen, das dann auch eine echte soziale Wiedergeburt verspricht. Haltet fest an der Wertschätzung und dem Sinn für die Familie, an der Achtung der menschlichen Person in jedem Augenblick ihres Daseins. Noch einmal grüße ich euch alle herzlich und segne euch. Würde der Arbeit — Würde des Menschen Ansprache an Arbeiter und Angestellte in Civitavecchia am 19. März 1. Ich danke euch für den Empfang und spreche euch meine Freude über diese Begegnung in eurer Stadt aus, hier, wo die sozialen Probleme euren Verstand und euren Arbeitsfleiß in Anspruch nehmen, in unmittelbarem Kontakt mit der physikalischen und menschlichen Umwelt einer der größten thermoelektrischen Anlagen Europas. Ich grüße euch alle und würde gern freundschaftlich mit jedem einzelnen von euch ein herzliches Wort über die Probleme austauschen, die euch bedrängen. Von Herzen danke ich für die Begrüßungsworte, die an mich gerichtet wurden: in den Worten eurer Vertreter hörte ich die Erwartungen und Sorgen von euch allen mitschwingen wie auch den Willen und die Bereitschaft zur weiteren Verteidigung und Förderung der Arbeit und ihrer Würde. Ich möchte allen Arbeitern der drei großen thermoelektrischen Anlagen von Fiumaretta, Nord- und Süd-Torrevaldaliga meine Sympathie zum Ausdruck bringen. Ich freue mich, den Präsidenten der nationalen Elektrizitätsgesellschaft (ENEL), die diese Anlage errichtet hat und betreibt, begrüßen und ihm meine guten Wünsche aussprechen zu können. 307 REISEN Auch allen anderen Arbeitern aus der Groß- und aus der Kleinindustrie, aus der Handwerkerschaft, dem Handel, dem Transportwesen, der öffentlichen Verwaltung, der Landwirtschaft möchte ich die Hand schütteln — kurz, allen Personengruppen, die die schöpferische, aktive, eifrige Bevölkerung von Ci-vitavecchia ausmachen. Ich möchte alle in einer ideellen und brüderlichen Umarmung willkommen heißen, wohl wissend um eure Probleme, eure Ängste, aber auch um euren Stolz auf die Würde, die euch in den verschiedenen Funktionen eurer Tätigkeit zukommt. Denn jeder Arbeiter ist Zeuge des Wertes, den seine Arbeit besitzt, da sie eine Wirklichkeit darstellt, die aufs engste mit dem Menschen und seiner Identität verbunden ist. Die Arbeit gestattet jeder Person, sie selbst zu sein, weil sie vom Elend befreit, auf sicherste Weise den Lebensunterhalt garantiert, eine wertvolle und bewußte Teilnahme an den sozialen Verantwortlichkeiten außerhalb jeder Unterdrückung und geschützt vor Situationen, die die Würde verletzen, gewährt und begünstigt; in der Arbeit entfaltet sich eine Kultur, das heißt das Selbstbewußtsein, in den Bereich der materiellen und geistigen Werte einbezogen zu sein mit der Möglichkeit und dem Vorteil, mehr zu haben, um mehr sein zu können. Eben das möchte ich am Fest des hl. Josef bekräftigen, der viele Jahre lang an der Seite Jesu gearbeitet hat, mit dem menschgewordenen Sohn Gottes im selben Handwerksberuf verbunden, Zeuge der Demut und der physischen Arbeit Jesu im Haus in Nazaret. Josef nahm zuerst aus dem direkten Zeugnis des Herrn das Wesen und den hohen Wert des „Evangeliums der Arbeit“ auf und konnte daher am Arbeitsfleiß Jesu die menschliche, religiöse und erlösende Bedeutung der alltäglichen Mühe ablesen. „Jesus,, der menschgewordene Sohn Gottes, Erlöser aller Menschen, war viele Jahre seines Lebens ein Arbeiter. Die Arbeit Jesu als Arbeiter gehört somit zum Werk der Erlösung des Menschen, der göttlichen Erlösung des Menschen“ (Insegnamenti, VHI-1, 1985, S. 1906). 2. Im Lichte Christi, des Erlösers des Menschen und der menschlichen Arbeit, und mit dem Beispiel des hl. Josef vor Augen, des demütigen Zimmermanns, der jeden Tag in der Arbeit seine Würde, frei und verantwortlich zu sein, voll verwirklicht hat, spricht der Papst heute zu euch, Arbeiterinnen und Arbeiter, um euch die ganze Hochachtung auszusprechen, die die Kirche euch und demBeitrag entgegenbringt, den ihr zum sozialen Wohl leistet. Die Kirche empfindet es in ihrem Dialog mit der Welt der Arbeit als ihren — heute besonders dringenden — Auftrag, nachdrücklich und klar die Würde und den zentralen Charakter der Werte der Person geltend zu machen. Sie warnt daher vor jedem Versuch, den Menschen auf ein bloßes Räderwerk der großen Pro- 308 REISEN duktionsmaschinerie zu reduzieren. Der Mensch ist in den Produktionsprozeß einbezogen, aber er läßt sich nicht darauf beschränken: er geht über ihn hinaus, weil der Mensch nicht nur Materie ist, sondern auch Geistund als solcher Träger einer Bestimmung, die ihn über den zeitlichen Horizont hinaus auf das Ewige ausrichtet. Darum stellt die Kirche heute mit lebhafter Hoffnung in allen Bereichen des menschlichen Lebens, auch in dem der Arbeit, zahlreiche Zeichen für ein neues Hungern und Dürsten nach dem Transzendenten und Göttlichen fest. Die Welt der Arbeit scheint von Tag zu Tag mehr die Bedeutung der Stellung Gottes im Leben zu entdecken und ist bestrebt, zu einer Gemeinschaft zu werden, die auf Solidarität und brüderliche Liebe begründet ist. Gott als Garant von Sozialforderungen 3. Nur wenn die Welt der Arbeit die vertikale Dimension des Menschen voll zurückgewinnt, wird sie die Würde der Arbeit bis zum Letzten geltend machen und sie gegen die Angriffe verteidigen können, die sie von verschiedenen Seiten beeinträchtigen. Die Würde der Arbeit hängt nicht von der Art der Tätigkeit ab, in der sie ihren Ausdruck findet, sondern vom Menschen, der diese Tätigkeit ausführt und dabei etwas von sich selbst, von seinem Verstand und seiner Kreativität in sie hineinlegt. Die Würde der Arbeit verteidigt man, indem man die Würde des Menschen verteidigt. Und die Würde des Menschen hat ihr Fundament darin, daß er „nach dem Abbild und Gleichnis Gottes“ geschaffen ist. Diesen göttlichen Widerschein, der in jedem Menschen erstrahlt, anerkennen heißt, den Keim für sämtliche Sozialforderungen zu legen, die der Schutz der Rechte des Arbeiters notwendig macht. Männer und Frauen aus der Welt der Arbeit, ich spreche zu euch mit großer Offenheit: Gott steht auf eurer Seite! Der Glaube an ihn erstickt nicht eure gerechten Forderungen, sondern er begründet sie, weist ihnen die Richtung, unterstützt sie. Und Gott bleibt der oberste Garant für eure Rechte. Vor seinem Richterstuhl wird eines Tages jeder Mensch stehen, um sich für die gegenüber seinen Mitmenschen begangenen Ungerechtigkeiten zu verantworten. Wer an Gott glaubt, akzeptiert es daher schon jetzt, sich selber und seine Art und Weise des Umgangs mit anderen auf allen Gebieten, besonders aber im Bereich der Arbeit, in Frage zu stellen. Der Glaube schläfert das Gewissen nicht ein: vielmehr legt er in das Gewissen den Antrieb zur ständigen Erforschung der Bedingungen, die der angeborenen Würde des Menschen am besten entsprechen, der mit Verstand und Freiheit ausgestattet und daher fähig ist, sich selbst verantwortungsvoll zu leiten. 309 REISEN Diese angeborene Würde des Menschen muß hauptsächlich in der Arbeit zum Ausdruck kommen. Das sei besonders heutzutage mit Nachdruck gesagt, wo der immer raschere technologische Fortschritt Gefahr läuft, den Arbeiter zu unterdrücken, indem er ihn isoliert und an den Rand drängt. Am Horizont zeichnet sich als Folge einer Produktionsstruktur, in die die Person mit ihrer Fähigkeit zu Initiative und Verantwortung in immer geringerem Maße einbezogen wird, die Gefahr einer neuen Versklavung der Arbeit ab. Die Lösung dieser problematischen Spannung liegt nicht in einer Verlangsamung oder gar in der Einstellung der technologischen Entwicklung. Sie wird vielmehr aus dem ständigen Bemühen um Umschulung des Arbeiters und aus der Schaffung immer weiterer Räume für sein gewissenhaftes und verantwortungsvolles Einflußnehmen auf die Leitung des Betriebes hervorgehen. In diesem Kampf für den Schutz der Würde des Arbeiters müssen die Gläubigen in vorderster Reihe stehen, da sie den ursprünglichen Plan Gottes im Hinblick auf den Menschen anerkennen. Steht etwa nicht auf der ersten Seite der Bibel der verpflichtende Auftrag, „die Erde zu bevölkern und zu unterwerfen?“ Der Mensch ist aufgerufen, sich als Mitarbeiter Gottes am Schöpfungswerk zu betätigen. Jede Produktionstätigkeit muß daher so strukturiert sein, daß sie eines „Mitarbeiters Gottes“ würdig ist! Die Welt des Schöpfers ist kein unerschöpfliches Reservoir 4. Unter den Problemen, die den heutigen Menschen quälen, ist hier in Civi-tavecchia das Problem der Energieversorgung besonders hautnah wahrzunehmen. Wir stehen vor einer dauernden Steigerung der Energienachfrage, die von der zunehmenden Industrialisierung und von einem höheren Pro-Kopf-Verbrauch im Zusammenhang mit dem Ansteigen der Bevölkerung und der Verbesserung des Lebensstandards ausgelöst wird. Das ist ein Problem, das unmittelbar die Verantwortung der öffentlichen Behörden betrifft und zugleich eine Verpflichtung für den Bereich wissenschaftlicher Forschung darstellt. Meine Aufgabe ist es, die — uns alle angehende — Verpflichtung zur Achtung vor den Gütern zu unterstreichen, die Gott geschaffen hat und allen zur Verfügung stellen wollte. Tatsache hingegen ist, daß wirklich beängstigende und besorgniserregende Höchstwerte der Verschmutzung der natürlichen Umwelt erreicht worden sind. Diese Situation, die natürlich die ganze Welt betrifft, läuft Gefahr, gerade unter den Arbeitern ihre ersten Opfer zu fordern. Es muß eine neue Art der Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen für die Produktion und den Vertretern der Wissenschaft ins Leben gerufen werden, um nicht in Richtung einer Einbahnentwicklung weiterzugehen, die sich am 310 REISEN Ende als tödliche Gefahr für alle heraussteilen würde. Unser Planet würde sich nämlich schon sehr bald als unbewohnbar erweisen, wenn man es ablehnte, nachhaltig nach den Instrumenten zu suchen, die die negativen Auswirkungen der verschiedenen Technologien auffangen und berichtigen können. Es gilt, die Fragen bezüglich der Sicherheit mit ebensolchem Eifer zu beantworten, wie er bisher in der Förderung der die Energieerzeugung und Produktion betreffenden Interessen zum Ausdruck kam, um die Achtung und Erhaltung sämtlicher Möglichkeiten und Schönheiten des Universums zu gewährleisten. Wir sind in eine Welt einbezogen, die geschätzt und geachtet wird, und dürfen nicht der Versuchung nachgeben, das Gleichgewicht dieser Welt zu verändern. Gelehrte und Wissenschaftler jeder Seite und Richtung sollten sich daher tief verpflichtet fühlen wegen der steigenden Nachfrage nach Energie, die der Bedarf der modernen Gesellschaft mit großer Dringlichkeit stellt, aber sie müssen auch der lebenswichtigen Forderung Rechnung tragen, daß nicht das wesentliche Gleichgewicht der Natur gestört werden darf, ist das doch die erste Voraussetzung, um den Aufbau einer Welt der Gerechtigkeit und des Friedens zu gewährleisten, in welcher der Mensch bewußtes Subjekt und Baumeister des technologischen Fortschritts in harmonischer Beziehung zum Kosmos ist. <10> <10> Jeder Arbeiter, jeder Arbeiter der Industrie und der Energieerzeugung, ist auch ein Mensch, der unablässig mit der Wirklichkeit der Schöpfung und ihren Gesetzen in Kontakt steht. Die Welt, die uns umgibt und auf der wir mit unserer Arbeit tätig sind, enthüllt uns mit den eindrucksvollen Kräften, die in der Natur vorhanden sind, unaufhörlich die von Gott gewollte wunderbare Ordnung. Aus diesem täglichen Kontakt, und sei es auch in harter Arbeit, kennt der Mensch die physische Welt, aber er ist zusätzlich angehalten, über ihre Beziehung zu Gott nachzudenken und die unendliche Macht des Schöpfers und Gesetzgebers des Universums zu erkennen. Jeder Arbeiter kann sich auf diese Weise als Teilhaber an einem göttlichen Plan fühlen und voll Dankbarkeit den erhabenen Auftrag annehmen, „sich die Schöpfung untertan zu machen und zu beherrschen“, um den ganzen Reichtum des Kosmos zum Vorteil des Menschen wiederherzustellen. Wir können sagen, daß sich hier ein religiöser Zusammenhang auftut, in dem jeder Arbeiter das Vorhandensein und den Wert einer ernstzunehmenden und bindenden moralischen Verpflichtung entdeckt: die Verpflichtung, sämtliche Techniken und Entdeckungen auf das größte Wohl der Menschheit hin auszurichten. Im Kontakt mit den Kräften des Universums, die sich als immer erstaunlicher und wertvoller erweisen, spürt jeder Arbeiter, wie groß die Verantwortung aller daran ist, nach der von Gott festgelegten Ordnung zu arbeiten. 311 REISEN Die Arbeit ist eine von Gott aufgetragene Pflicht lind eine von den vielfältigen Bedürfnissen der Existenz auferlegte Notwendigkeit; Arbeit heißt aber auch miteinander einen Weg gehen, indem man mit Liebe und Achtung für das Wohl aller zusammenarbeitet. Arbeiter und Arbeiterinnen von Civitavecchia, öffnet euer Herz der Brüderlichkeit und Solidarität und folgt damit dem Vorbild Christi! Nehmt die Botschaft an, die das Evangelium unablässig an euch richtet! Das Wort Christi ist Quelle der Würde, es ist Verkündigung der Freiheit , es ist Anlaß, sich auf dem gemeinsamen Weg zur Förderung des Menschen für immer bessere Ziele einzusetzen. Es führt euch eine neue Fülle moralischer Kräfte vor Augen, die die mitunter harte und eintönige Arbeit erleichtern und sie anziehender und menschlicher machen. Der Herr schenke euch immer neue Kraft, damit ihr jeden Tag mit Festigkeit und Ausdauer die Welt der Technik zum größten Wohl der Gemeinschaft der Arbeiter, der ganzen Gesellschaft, jedes Menschen hinführen könnt. Bei diesem Einsatz steht euch Christus zur Seite. Er geht mit euch, so wie er auf der Straße nach Emmaus an der Seite der beiden Jünger ging, die von den Geschehnissen, die sich in jenen Tagen in Jerusalem zugetragen hatten, verstört waren. Die Gefahr ist heute wie damals, daß wir ihn nicht erkennen und darum der von Enttäuschung und Trostlosigkeit ausgesetzt bleiben. Im Evangelium steht geschrieben, daß die beiden Jünger zuletzt „ihn daran erkannt haben, daß er das Brot brach“ (vgl. Lk 24,35). Der Hinweis auf die Eucharistie liegt auf der Hand. Auch heute wird in der christlichen Gemeinde „das Brot gebrochen“, wenn sie am Sonntag zur Feier der Messe zusammenkommt, zum Gedenken an das Leiden, den Tod und die Auferstehung des Herrn. Der Arbeiter darf sich der Solidarität Jesu und der Kirche bewußt sein Liebe Brüder und Schwestern, ich wünsche euch, daß ihr wieder die Freude entdeckt, an der Messe an Sonn- und Feiertagen teilzunehmen. Da wird jeder von euch beim Hören des Wortes Gottes und beim Teilen des eucharistischen Brotes jedes Mal aufs neue die Erfahrung der froh stimmenden Gegenwart des auferstandenen Herrn machen und in ihm die Bestätigung jener Werte finden können, die der täglichen Arbeit und dem Leben selbst Sinn verleihen. Ihm vertraue ich eure Probleme, eure Sorgen, eure Hoffnungen an: Möge er immer mit euch gehen, damit euch eure Schritte zur Gerechtigkeit, Solidarität, zum Frieden führen. Arbeiterinnen und Arbeiter, Christus ist mit euch, die Kirche ist mit euch! Sie will dem Anliegen eurer wahren Würde dienen: einer Würde, die in Jesus ein erhabenes und außerordentlich beredtes Vorbild findet, der sich in Nazaret 312 REISEN über die Arbeitsbank des Zimmermanns beugte, an der Seite seines vermeintlichen Vaters Josef und Marias, die sich der Erledigung der häuslichen Angelegenheiten widmete. An die Heilige Familie von Nazaret richte ich mein Gebet für euch und für eure Familien, vor allem für die Jugendlichen auf der Suche nach der ersten Beschäftigung: mögen allen ruhige und frohe Tage in einer Gesellschaft geschenkt sein, die sich auf dem Weg in eine immer gerechtere und menschlichere Zukunft befindet! Als lebendiges und heiliges Opfer darbringen Ansprache an Priester, Ordensleute und Laienbewegungen in der Kathedrale von Civitavecchia am 19. März Liebe Brüder und Schwestern, Priester, Ordensleute und Mitglieder der Laienbewegungen von Civitavecchia und Tarquinia! 1. Dieses unser Treffen in der Kathedrale macht in außergewöhnlicher Weise jenes Geheimnis der Gemeinschaft offenkundig, von dem der hl. Paulus sagt: „Ein Leib und ein Geist, ... eine Taufe ... Aber jeder von uns empfing die Gnade in dem Maß, wie Christus sie ihm geschenkt hat“ (.Eph 4,4-5.7). Wir danken dem Heiligen Geist, daß heute an dieser heiligen Stätte in besonderer Weise dieses Geheimnis der Einheit in der Vielfalt aufleuchtet, das ein Merkmal der Kirche, des mystischen Leibes Christi, ist ein Merkmal darum auch eurer Ortskirche. Dieses Geheimnis der Einheit in der Vielfalt gründet in der Taufe, die uns Christus gleichgestaltet und in jedem von uns in verschiedener Art und verschiedenem Grad die Züge des Antlitzes Christi nachbildet: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt“ (Gal 3,27). Jeder von euch ist berufen, auf eine besondere Weise Christus im Volk Gottes und vor der Welt zu bezeugen, ihn enger nachzuahmen, die Merkmale klarer und deutlicher zu bezeugen, die kennzeichnend sind im Leben, der Botschaft, dem Tod und der Auferstehung Christi; die Merkmale seiner Liebe, seiner grenzenlosen Hingabe und seines Opfers, des Geheimnisses seiner Gegenwart unter uns. Wir danken dem Heiligen Geist, der euch zu diesem Zeugnis berufen hat, jeden von euch einem besonderen Charisma entsprechend, „damit es anderen nützt“ (vgl. 1 Kor 12,7). 313 REISEN Durch diese Charismen werden wir auch „Glieder, die zueinander gehören“ (Röm 12,5), um einen einzigen Leib zu bilden, und damit „alle Glieder einträchtig füreinander sorgen“ (7 Kor 12,25). Sie sind also ein bleibendes Prinzip der Einheit, der Versöhnung, der missionarischen Ausbreitung, des mutigen Zeugnisses, der immer neuen Initiativen der Liebe und Gerechtigkeit. Das ganze Leben ist Gottesdienst 2. Mit diesen Überlegungen, die ein Dank nicht an Gott, sondern auch an euch sein möchten, grüße ich euch herzlich, liebe hier anwesende Brüder und Schwestern. Es ist mir eine Freude, bei euch zu sein. Eine Freude, die darin besteht, die Kirche zu erfahren. Sie läßt an das Wort des Psalmisten denken: „Wie gut und schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen!“ (Es-132/133, 1). Ich danke besonders eurem Erzbischof Girolamo Grillo für seine, im Namen aller an mich gerichteten Grußworte, bei denen er auch die Probleme, die Aussichten und Hoffnungen eurer kirchlichen Gemeinschaft anklingen ließ. Es ist besonders bedeutsam, daß wir uns in der Kathedrale, dem geistigen Zentrum der Diözese treffen, in dieser schönen Kirche, die einmal den Söhnen des Hl. Franziskus gehört hat, und die nach den Schäden, die der letzte Weltkrieg ihr zugefügt hat, in bewundernswerter Weise wiederhergestellt wurde. Sie ist das Symbol für den Titel einer Bischofsstadt, den Civitavecchia im vorigen lahrhundert nach vielen hundert Jahren wiedererhalten hat, einen Titel, den die Stadt schon in frühester christlicher Zeit besaß. Am heutigen Festtag möchte ich euch alle in diesem so bedeutsamen Gotteshaus in eurer Berufung bestärken mit den Worten des hl. Paulus: „Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gelallt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst. Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefallt, was gut und vollkommen ist“ (Röm 12,1-2). 3. Die Taufe verbindet uns mit dem Opfer, das Christus, der Hohepriester und Opfergabe zugleich ist, dem Vater für das Heil der Welt darbringt. Dieses Sakrament macht aus uns „neue Geschöpfe“, es schafft in uns jenen „neuen Menschen“, den „geisterfüllten Menschen“, der „den Geist Christi“ besitzt (7 Kor 2,16) und der in Christus Sünde und Tod besiegt. In diesem Wachsen des neuen Menschen besteht das Kriterium für jede wahre Erneuerung in der Kirche, die Erneuerung, die im Fruchtbringen aus der Taufgnade 314 REISEN besteht und sich ausdrückt in der Hingabe seiner selbst „als lebendiges und heiliges Opfer“, das Gott gefallt. Ihr Priester seid berufen, diese Taufgnade zu leben, indem ihr durch das Sakrament der Priesterweihe Christus, dem Priester, gleichgestaltet handelt und — wie wir auch sagen könnten — „in persona Christi“ leidet. Ihr Ordensmänner und Ordensfrauen im aktiven und kontemplativen Leben seid berufen — wie uns das Konzil im Dekret Perfectae caritatis (Nr.5) lehrt —, eure Weihe an Gott so zu leben, daß darin die Taufweihe voller zum Ausdruck kommt. Durch die Profeß der evangelischen Räte habt ihr „auch der Welt entsagt“ (ebd. Nr. 5), ihr weist die diesseitsbezogene Mentalität mit ihren Verführungen und eitlen Sorgen zurück, um Zeichen zu sein für die zukünftige Menschheit nach der Auferstehung. Ihr Laien, die ihr in Bewegungen und Verbänden euer Christsein noch tiefer leben wollt, laßt euch vom Heiligen Geist in der „Freiheit der Kinder Gottes“ dazü anregen, die zeitliche Wirklichkeit mit der Lebenskraft des Evangeliums zu durchdringen, damit in ihr ein Bild des kommenden Gottesreiches sichtbar werden kann. Transzendenz muß wieder in das Denken eingebracht werden 4. Die tiefgreifenden sozialen und kulturellen Umgestaltungen der letzten Zeiten zeigen auch in eurer kirchlichen Gemeinschaft die dringende Notwendigkeit für einen Neueinsatz in der Evangelisierung auf. Sie muß in besonderer Weise auf das Phänomen der Entchristlichung, auf die Probleme der Familie, der Jugend, der alten Menschen und der Arbeitswelt Rücksicht nehmen. Es ist klar, liebe Brüder und Schwestern, daß ihr kraft der Aufgaben, die ihr übernommen habt, auf Grund eurer Berufung „in vorderster Front“ dieser komplexen Situation entgegentreten müßt. Ihr müßt in der heutigen Gesellschaft Zeugen des Übernatürlichen sein. In dieser Hinsicht ist es immer wichtig, nie von jener kirchlichen Gesamtschau abzuweichen, die in der Taufgnade gründet. Diese Sicht des Glaubens gibt euch immer den rechten Maßstab, um euch in eurer Berufung treu zu erhalten, euer Handeln wahrhaft übernatürlich wirksam zu machen und euch davor zu bewahren, daß Leitbilder euch beeinflussen, die euch von der Denkweise Christi entfernen würden. Man muß erfinderisch sein, man muß Initiative ergreifen, aber immer im Licht der Glaubensmaßstäbe. Man muß in beständigem Kontakt mit der heutigen Welt bleiben — dabei denke ich besonders an den Einsatz von euch Laien —, aber immer von der Weisheit des Evangeliums erleuchtet. 315 REISEN Materialismus ist der Feind, menschlicher Personalität 5. Heute ist der 50. Jahrestag des Erscheinens der Enzyklika Divini Redemp-toris Pius’ XI., die das Datum des 19. März 1937 trägt. Auf dem bedeutsamen Weg der Soziallehre der Kirche bietet dieses wichtige Dokument gültige Weisungen für das Leben der heutigen Welt durch die Wahrheit des Evangeliums, vor allem da, wo es Bezug nimmt auf die Probleme der sozialen Gerechtigkeit durch Überwindung eines atheistischen Materialismus, der Arbeit, Technik und Natur des geistigen Ideals der Humanisierung beraubt. Heute macht sich, Gott sei Dank, von verschiedenen Seiten her das Zeugnis einer neuen Sensibilität für die transzendente Dimension des Daseins bemerkbar, und das läßt darauf hoffen, daß man sich des Primates Gottes im menschlichen Leben wieder neu bewußt wird. Ihr alle seid berufen, euren Beitrag zum Aufbau einer Gesellschaft zu leisten, die Gott die erste Stelle zuerkennt, und die sich auf die Wahrheit, die Liebe, die Gerechtigkeit und den Frieden gründet. Der hl. Josef, dessen Fest wir heute feiern, und Maria, die in eurem Heiligtum der Mutter der Gnaden in Allumiere und in dem von Valverde in Tarquinia so sehr verehrt wird, mögen euch auf eurem Weg des Glaubens und des Zeugnisses stärken. Allen erteile ich von Herzen meinen Segen. Der hl. Josef - Treuhänder des göttlichen Geheimnisses Homilie bei der Eucharistiefeier in Civitavecchia am Hochfest des hl. Josef, 19. März 1. „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen“ {Mt 1,20). Das sind die Schlüsselworte im Leben des hl. Josef aus dem Stamm Davids. Mit ihnen vertraut der ewige Vater einem Menschen — dem Zimmermann aus Nazaret — ein großes Geheimnis Gottes an. Dieses Geheimnis war zuvor der gleichfalls aus Nazaret stammenden Jungfrau anvertraut worden, die zur Zeit der Verkündigung dieses Geheimnisses bereits vor aller Welt mit Josef verlobt war. Sie war also nach dem Gesetz Israels seine Braut. Sie lebte jedoch noch nicht in seinem Haus. Sie war mit keinem Mann bekannt, wie sie selbst dem Engel erklärte (vgl. Lk 1,34). Ihr also wurde zuerst das Geheimnis der Menschwerdung anvertraut. Das Geheimnis des Sohnes, der „eines Wesens mit dem Vater ist“: des Sohnes Gottes, der 316 REISEN durch die Kraft des Hl. Geistes Mensch geworden ist, um den ewigen Willen Gottes zu erfüllen. Die Jungfrau aus Nazaret war dazu auserwählt worden, seine Mutter zu sein. Josef— das ,, Pendant“ zu Maria im Vertrauen auf Gottes Ratschluß 2. Das göttliche Geheimnis der Menschwerdung ist also vor allen anderen Maria anvertraut worden. In ihr „ist das Wort Fleisch geworden“ (vgl. Joh 1,14), als sie bei der Verkündigung ihren Willen den unerforschlichen Plänen Gottes unterwarf. Und sie erwarb sich als erste das Verdienst, selig genannt zu werden: „Selig ist die, die geglaubt hat“ (Lk 1,45); sie hat sich das Verdienst erworben, von da an von allen Geschlechtern selig gepriesen zu werden (vgl. Lk 1,48). Josef wird zusammen mit Maria zum Teilhaber an demselben Geheimnis Gottes, und zwar nach ihr, wovon das Evangelium des heutigen Hochfestes Zeugnis gibt: „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von den Sünden erlösen“ {Mt 1,20-21). Der Name Jesus bedeutet nämlich „Rettung (die von Gott kommt)“, „Heil“ und somit: „Retter“, „Heiland“. Josef, dem Zimmermann aus Nazaret, und Maria ist also dasselbe Geheimnis Gottes anvertraut worden; ein großes Geheimnis, das von Ewigkeit an in Gott verborgene Geheimnis, das in der Geschichte der Menschheit „Fleisch geworden“ und den Augen der Herzen der Menschen den Augen des Glaubens offenbart worden ist. 3. Von Josef könnte man wiederholen, was ihre Verwandte Elisabet von Maria gesagt hat: „Selig ist die, die geglaubt hat.“ In der Tat vergleicht die Liturgie des heutigen Festes den Glauben Josefs mit dem Abrahams, von dem der Apostel als dem Vater unseres Glaubens spricht (vgl. Rom 4,16-18): „Ich habe dich zum Vater vieler Völker bestimmt“, lesen wir im Römerbrief (Röm 4,17). Tatsächlich berufen sich auf den Glauben Abrahams nicht nur die Anhänger des Alten Bundes, die Israeliten, und nicht nur die Christen, sondern auch die Muslime. Josef, der demütige Zimmermann aus Nazaret, ist Erbe dieses Glaubens. Und zugleich offenbart ihm der Gott, der Israel bereits durch den Glauben Abrahams bekannt war, wie er es zuvor Maria offenbart hatte, das Geheimnis, das Abraham nicht enthüllt worden ist, das Geheimnis, auf welches das Alte Testament nach und nach alle Generationen vorbereitete. 317 REISEN Josef, ein Sohn Israels, ein gerechter Mann, wird zum Treuhänder des göttlichen Geheimnisses, das als Wirklichkeit in sein Leben, unter das Dach seines Hauses eingedrungen ist — durch Maria. Josef ist dem Geheimnis, das ihm von Gott anvertraut worden war, treu geblieben. 4. Heute, am 19. März, sammelt sich die Kirche um Josef aus Nazaret. Die Kirche bewundert die Schlichtheit und Tiefe seines Glaubens. Sie bewundert und verehrt seine Redlichkeit, seine Demut, seinen Mut. Wie viele Werte hat Gott Josef in seinem demütigen und verborgenen Leben als Handwerker in Nazaret anvertraut! Er hat ihm seinen ewigen Sohn anvertraut, der in Josefs Haus all das empfing, was die Wahrheit des Menschensohnes ausmacht. Gott hat Josef Maria, ihre Jungfräulichkeit und ihre Mutterschaft — ihre jungfräuliche Mutterschaft — anvertraut. Er hat ihm die Heilige Familie anvertraut, Gott hat Josef das anvertraut, was das Heiligste in der Geschichte der Schöpfung ist. Und jener einfache Mann, jener Zimmermann, hat dieses Vertrauen Gottes nicht unbeachtet gelassen. Er hat sich bis zuletzt als treu, aufmerksam, vorausblickend, eifrig erwiesen — nach dem Vorbild eben dieses ewigen Vaters. Und darum ist Josef zum Mann des Vertrauens der ganzen Kirche geworden. Das betrifft das gesamte Leben der Kirche und alles, was zu ihrer Sendung auf Erden gehört. In besonderer Weise betrifft es zwei große Bereiche des menschlichen Lebens, in denen die Kirche ihren evangelischen Dienst erfüllt: — den Bereich des Familienlebens und — den Bereich der menschlichen Arbeit Beide Bereiche sind eng miteinander verbunden und vereint. <11> <11> Da ich über das Thema Arbeit heute morgen bei der Begegnung mit den Arbeitern gesprochen habe, möchte ich mich jetzt auf einige Überlegungen zu den Themen Liebe in Ehe und Familie beschränken. Man weiß um die Bedeutung dieses Themas und auch darum, wie oft sich unsere Gesellschaft leider von den grundlegenden Prinzipien und Werten entfernt, die das menschliche Handeln in diesem Bereich leiten sollen. Alle Christen müssen sich in einem immer wieder erneuerten Bemühen der Gewissensüberzeugung durch das Beispiel und das Wort engagieren. Sie müssen immer aufs neue die unverzichtbaren Werte heraus stellen, ohne die das Leben aufhört, menschenwürdig zu sein und die Gesellschaft in ihren eigentlichen Wurzeln gefährdet ist. 318 REISEN 6. Das heutige Fest des hl. Josef ist in besonderer Weise das Fest der christlichen Familie. Und nach einem verbreiteten Volksbrauch ist es auch der „Vatertag“, das Fest des Familienvaters. Und das ist gut zu verstehen, ist doch der hl. Josef ein wunderbares Vorbild für die Väter der ganzen Welt. Aber heute ist nicht nur das Fest der Väter. Es ist auch das Fest der Mütter, der Kinder, der Großväter und Großmütter in ihren gegenseitigen, angemessenen Beziehungen der Liebe, der Achtung und der Wertschätzung. Es ist das Fest der familiären Bande und Zuneigungen in ihrer so tiefen und spontanen Natürlichkeit und in ihrer hohen sittlichen, zivilen und religiösen Bedeutung. Denn das Fest der Familie ist auch nicht zu trennen vom Fest des menschlichen Lebens, das in der Familie entsteht, das behütet, beschützt, aufgezogen, erzogen, zur Reife und zum verantwortlichen Eintritt in die Kirche und in die Gesellschaft geführt wird. 7. Aufgrund dieser Gegebenheit muß die Familie die erste Schule der Liebe und der Solidarität sein, die erste Schule aller menschlichen und christlichen Tugenden. Groß ist also die Verantwortung der Eltern! Die Familie ist eine Liebesgemeinschaft: wo sich jedes Mitglied verstanden, angenommen und geliebt fühlt und die anderen zu verstehen, anzunehmen und zu lieben versucht. Die Familie ist eine Lebensgemeinschaft, sie ist offen für das Leben. In ihr beschränkt man sich deshalb nicht darauf, alles auszuschließen, was die Entstehung und die Entwicklung des menschlichen Lebens im physischen Sinn verletzt, sondern man trachtet auch, die Haltungen zu vermeiden, die sie in ihrem sittlichen Wert entwürdigen, wie zum Beispiel Demütigungen, Mangel an Respekt, Vernachlässigung vor allem gegenüber den alten oder kranken oder weniger begabten Mitgliedern. Die Liebe und das Leben, die in der Familie erblühen, dürfen nicht in den begrenzten Rahmen der eigenen Familie eingeschlossen werden, sondern sie müssen in konkreten Entscheidungen zum kirchlichen, gesellschaftlichen und sozialen Dienst Verbreitung finden: die Familie ist offen für den Dienst. Die Familiengemeinschaft braucht regelmäßige Begegnung mit Gott 8. Die Familie ist nicht nur offen für die menschlichen Werte, sondern auch für die höheren Werte des Geistes. Sie hat nämlich eine grundlegende Aufgabe bei der ersten Verkündigung des Glaubens und bei der christlichen Anleitung der Kinder. Der Einsatz, den die Eltern bei der religiösen Erziehung der Kinder entfalten, ist ein großartiger Ausdruck des allgemeinen Priestertums der Gläubigen. Dabei sind die Eltern unersetzliche Werkzeuge der Gnade, die Gott den Seelen im Hinblick auf das Heil mitteilen will. 319 REISEN Die Familie ist eine Gemeinschaft des Gebets: es kommt nicht nur darauf an, daß gebetet wird, sondern daß gemeinsam gebetet wird. In der christlichen Familie dürfen die Gebetsstunden nicht fehlen, um sich miteinander nicht allein vom Brot, sondern auch von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt, zu nähren. Ein einigender Augenblick, dem Vorrang zukommt, ist für die Familie sodann das gemeinsame Erleben des Sonntags mit der Teilnahme an der hl. Messe und an den Sakramenten. Wie es für jede christliche Gemeinschaft, angefangen bei der Universalkirche, gilt, findet auch die Familie in der Allerheiligsten Eucharistie das Zentrum ihres geistigen Gleichgewichts und die ewige Quelle ihres Wachstums und ihrer Lebenskraft. Gott sei Dank fehlt es heute, vor allem im Bereich mancher Laienbewegungen, nicht an Familien, die ihr Christentum so gründlich leben. 9. „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen.“ Josef, Ehemann der Jungfrau, der Muttergöttes, lehre uns unablässig die ganze göttliche Wahrheit und die ganze menschliche Würde, die in der Berufung von Eheleuten und Eltern enthalten sind! Heiliger Josef, erwirke uns von Gott, daß wir mit Festigkeit mit der Gnade des großen Sakraments Zusammenarbeiten, in dem Mann und'Frau sich einander die Liebe, die Treue und die eheliche Redlichkeit bis zum Tod geloben! Heiliger Josef, gerechter Mann, lehre uns die verantwortliche Liebe gegenüber denen, die Gott uns in besonderer Weise anvertraut: die Liebe zwischen den Ehegatten, die Liebe zwischen den Eltern und denen, welchen die Eltern das Leben schenken! Lehre uns die Verantwortung gegenüber jedem Leben vom ersten Augenblick der Empfängnis bis zum letzten Augenblick auf dieser Erde! Lehre uns eine große Achtung vor dem Geschenk des Lebens! Lehre uns eine tiefe Verehrung für den Schöpfer, Vater und Spender des Lebens! Heiliger Josef, Patron der menschlichen Arbeit, hilf uns bei jeder Arbeit, die Berufung des Menschen auf Erden ist! Lehre uns, dieschwierigsten Probleme im Zusammenhang mit der Arbeit im Leben der Generationen, angefangen von der Jugend, und im Leben der Gesellschaften zu lösen! Heiliger Josef, Beschützer der Kirche, heute, an deinem Hochfest, beten wir zu Gott mit folgenden Worten: „Allmächtiger Gott, der du die Anfänge unserer Erlösung dem aufmerksamen Schutz des hl. Josef anvertraut hast, gewähre durch seine Fürsprache deiner Kirche die treue Mitarbeit an der Erfüllung des Heilswerkes.“ 320 REISEN Nun werde ich — dem von dieser Eucharistiefeier vorgesehenen Programm entsprechend — den Akt vornehmen, mit dem die Diözese der Gnadenreichen Muttergottes der Alaunhütten anvertraut werden soll, und werde ihr verehrtes Bildnis krönen, als Zeichen der Dankbarkeit an die Gottesmutter und in der Hoffnung auf reiche himmlische Segnungen, die euch dank der seligsten Jungfrau zuteil werden mögen. Gott ist Liebe, Erbarmen und Verzeihen Ansprache an die Häftlinge in der Strafvollzugsanstalt in Civitavecchia am 19. März Liebe Brüder! 1. Auch euch gilt mein Besuch, den ich dieser antiken Stadt abstatte, und deshalb ist es mir eine Freude, jeden von euch herzlich zu begrüßen. Ich bin hierhergekommen, an den Ort eures Leidens und eurer Wartezeit, um euch die Liebe und die Sorge der Kirche zu bekunden, die immer an euch denkt, für euch betet und sich um euch sorgt. Ich begrüße die anwesenden Autoritäten und ich danke allen, die diese Begegnung ermöglicht haben. Diejenigen, die eine Strafe verbüßen, müssen — trotz allem, was auch geschehen sein mag — wie Brüder verstanden und geliebt werden. Von hier aus versteht man den Wert und den Ansporn des Wortes Jesu: „Ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen... Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ {Mt 5,36-40). Der christliche Glaube läßt an jedem Ort Quellen der göttlichen Gnade entspringen und wandelt das, was zuvor Schuld und Strafe war, in Möglichkeiten des Verdienstes und des Heils um. Ich möchte, daß mein Besuch euren Herzen Freude bringe und jede kirchliche Gemeinschaft dazu ansporne, eure Anwesenheit zu spüren, euch zu besuchen, euch zu helfen und vor allem — wenn ihr hier entlassen werdet — euch aufzunehmen und von neuem in das soziale Gefüge einzugliedem. Ich verspreche, bei der heiligen Messe für euch zu beten, damit der Herr euch und eure Familien stütze und euch geistliche Kraft und Hoffnung schenke. Der Herr erleuchte außerdem diejenigen, die für euch sorgen, in den verschiedenen Aufgaben, die sie erfüllen, damit die Schwermut und Traurigkeit, die schmerzlichen Begleiterinnen eures Lebens, durch den Geist der Freundschaft und des gegenseitigen Verstehens erleichtert werden. 321 REISEN 2. Ich benütze die Gelegenheit, auch meine Hochschätzung zum Ausdruck zu bringen für das, was getan wurde, um den Strafvollzug zu erleichtern. Viele Vorurteile der Vergangenheit sind überwunden worden, und die traditionelle Auffassung vom Strafvollzug ist einer menschlicheren, mehr an der Person orientierten, konstruktiveren Sicht gewichen. Die Gesetzgebung ist aufmerksamer und empfänglicher geworden und hat wichtige Änderungen bewirkt, darunter eine angemessenere Fürsorge im gesundheitlichen, psychologischen, kulturellen und religiösen Bereich;, die Arbeitsmöglichkeit; den alternativen Strafvollzug in einer integrativen Gemeinschaft; die fortschreitende Wiedereingliederung in das soziale Netz der Gesellschaft. Es handelt sich um wertvolle Initiativen, damit der Strafvollzug nicht nur eine Bestrafung oder Wiedergutmachung, sondern grundlegend befreiend für eine echte moralische und bürgerliche Wiederherstellung wird. Die Kirche ermutigt jedes Bemühen um Besserung und Humanisierung und ruft die Verantwortlichen der Justiz zu einer tiefen und ständigen Sensibilität auf. Gott nimmt sich jedes Menschen an, besonders aber des am Rande Stehenden 3. Trotzdem spürt ihr, liebe Brüder, die ihr noch innerhalb dieser Mauern bleiben müßt, die Last und manchmal die Beängstigung eurer Lage. Und deshalb möchte ich euch besonders an den Trost erinnern, den der christliche Glaube allen schenkt, denn wir alle, ganz gleich in welcher Situation wir uns befinden, benötigen dringend der Tröstungen, nicht nur der irdischen und vergänglichen, sondern der sicheren und ewigen. Der erste Trost ist die Gewißheit, daß Gott Liebe, Erbarmen und Verzeihung ist, weil er Vater ist! Dies ist die erste und höchste Wahrheit, die Jesus uns kundtat: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab ... Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird“ (Joh 3,16-17). Christus ist gekommen, um uns der Liebe Gottes zu versichern und uns seine Verzeihung zu schenken: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, um die Sünder zur Umkehr zu rufen, nicht die Gerechten“ (Lk 5,31). „Ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben, umzukehren“ (Lk 15,7) Welche Schuld man auch auf sich geladen hat, wenn man wirklich bereut und den Vorsatz hat, gegen den Willen Gottes nicht mehr zu verstoßen, verzeiht er, löscht er jede Sünde aus, schenkt er wieder seine Gnade und seine Freundschaft: „Gott hat seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt, damit wir durch 322 REISEN ihn leben“ (i Joh 4,9). Der größte und wertvollste Trost ist die Gewißheit von der Freundschaft dessen, der uns aus Liebe erschaffen hat und der niemanden im Stich läßt. Der Christ weiß auch, daß der Priester, der Christus selbst vertritt, mit Hilfe des Bußsakraments die Gnade und die Gewißheit des Verzei-hens Gottes schenkt. Ein zweiter Trost kommt aus der Gewißheit, daß jeder von uns seinen Platz und seinen Sendungsauftrag im Plan der Vorsehung hat. Sicher erscheint uns der Plan der Vorsehung in der allgemeinen Heilsökonomie der Heilsgeschichte unerforschlich: Die Bestimmungen der einzelnen Personen sind vom Geheimnis umhüllt, und es gibt viele verworrene und schmerzliche Lebensschicksale. Und doch bekräftigen die Vernunft und der Glaube, daß nichts und niemand dem Höchsten verborgen bleibt, der alles begleitet, stützt und leitet und doch die Freiheit des Menschen achtet. Wir befinden uns zweifellos in einem außerordentlichen Geheimnis; wir wissen jedoch, daß wir eine Mission zu erfüllen haben und daß Gott das Böse nur zuläßt, um ein noch größeres Gut und eine noch höhere Freude zu erlangen. Jeder, wenn er will, kann ein harmonischer Ton in der himmlischen und ewigen Symphonie sein. Zum Schluß, ein letzter, echter und süßer Trost ist die Möglichkeit, Gutes zu tun, zu lieben, sich nützlich zu erweisen, mit Hochherzigkeit und Nächstenliebe eine Arbeit oder eine Aufgabe zu verrichten, das eigene Leben in ein Geschenk, in einen Ausdruck der Güte und in liebevollen Eifer umzuwandeln. In der Tat, welch tiefe Freude empfinden wir, wenn in uns die Güte gesiegt hat und es uns gelungen ist, geduldig, hochherzig, ausgeglichen zu sein! Dies sind die größten und sichersten Tröstungen, die aus dem christlichen Glauben kommen, und die ich euch wünsche. Und ich ermutige euch zu Gottvertrauen und zum Gebet! Der gerechte Josef soll Impuls sein, den rechten Weg zu finden 4 . Meine Lieben! Der letzte Besuch eines Papstes in Civitavecchia war jener Pius’ IX., der am 26. Oktober 1868 auch dieses Gebäude besuchte, das damals gerade erst fertiggestellt worden war. Ihr wißt, daß Pius IX. ein großer Verehrer des hl. Josef war, dessen Fest wir heute feiern: In der Tat dehnte dieser Papst im Jahr 1847 das Schutzfest auf die ganze Kirche aus, und am 8. Dezember 1870 proklamierte er ihn zum Schutzherrn der gesamten Kirche. Nun auf der Linie meines großen Vorgängers, der einmal hier war, empfehle auch ich euch dem liebevollen Schutz des hl. Josef, des Gerechten, der mit außerordentlicher Liebe das Jesuskind und seine Mutter, die seligste Jungfrau, behütete. Ruft ihn an! Spürt mit innerer Freude seine tröstliche Gegenwart! Der hl. Josef helfe und schütze euch und eure Familien! Voll Liebe erteile ich euch und allen euren Angehörigen meinen Segen. 323 REISEN Die Gottesmutter schaut uns an Ansprache an die Jugend in Civitavecchia am 19. März Liebe Jugend! ' 1. Zum Abschluß meines Besuches in Civitavecchia möchte ich an euch, die ihr mit großer Aufmerksamkeit an dieser Feier teilnehmt, ein kurzes Grußwort richten. Herzlich grüßen möchte ich auch die Vertreter der „Jugendrepublik“, die — wie ich weiß — hier anwesend sind. Heute haben wir des hl. Josef gedacht, der im Evangelium als „gerecht“ (Mt 1,19) bezeichnet wird. Er wird als ein frommer Mensch charakterisiert, der sich bemüht, in den Geschehnissen des Lebens den Willen des Herrn zu erkennen und der gänzlich bereit ist, auch jenen Plänen Gottes zu folgen, die ihm noch nicht offenbart sind. Liebe Jugendliche, auch ihr müßt euch täglich zwischen vielen Möglichkeiten entscheiden, die sich eurem Herzen und Verstand anbieten. Mögt ihr fähig sein, all dem den Vorzug zu geben, was euch für eure menschliche und göttliche Reifung von Nutzen sein kann, auch wenn es euch Opfer abverlangt. 2. Josefs Bemühungen finden eine beispielhafte Ergänzung in der wachsamen und mütterlichen Sorge Mariens. Die Religionsgeschichte dieser eurer Stadt, die wertvolle und lebendige Andenken bereithält, bezeugt auch jenes Zeichen besonderer Liebe, das die Selige Jungfrau im vergangenen Jahrhundert hier setzen wollte. Wohlbekannt ist euch der Ruf, den eine kleine Gruppe euch Gleichaltriger bei jenem unerwarteten Ereignis ausstieß: „Die Gottesmutter schaut uns an!“ In der Tat, liebe Jugendliche, Maria schaut euch an. Noch heute beugt sie sich zu euch herab, um euch zu sagen, daß sie über euren Lebensweg, eure Jahre und die Gegenwart wacht. Es ist ein liebender Blick, der euch beschützt und zur Nachfolge auf den Weg des Sohnes einlädt. Durch diese Nachfolge könnt ihr eurem Leben den wahren und vollkommenen Sinn geben. 3. Ebenso wie Maria beobachtet euch die Kirche mit ständigem liebevollem Vertrauen. Sie bietet euch ihre Mitarbeit an, um euch standhaft und froh zu machen. Sie tut dies auch dann, wenn ihr bei der schwierigen Suche nach Erstbeschäftigung und Festanstellung Leiden und Enttäuschung erlebt und euch die Mutlosigkeit übermannt. Die Kirche braucht euch. Sie braucht jeden einzelnen von euch, um die Mission zu erfüllen, die ihr vom Herrn anvertraut 324 REISEN worden ist. Die Kirche ist mit der Jugend. Denn sie bleibt jung in der Rolle, die ihr Jesus Christus zur Rettung der Menschen und zum Bau einer besseren, dem Schöpfungsplan ähnlicheren Welt übertragen hat. Liebe Jugendliche, haltet euch stets fest vor Augen, daß ihr berufen seid, für das Reich Gottes und die Geschichte in dieser Welt Großes zu vollbringen. Anläßlich des diesjährigen Welttages der Jugend und im Zuge des bevorstehenden Marianischen Jahres möget ihr die Bedeutung eurer Berufung vertiefen. Im Bewußtsein der Aufgabe, die euch erwartet, und voller Hoffnung und Begeisterung mögt ihr der Zukunft entgegensehen und stets voll Freude sein. Der Papst liebt euch und gibt euch seinen Segen. 325 REISEN 2. Pastoraireise durch Lateinamerika (31. März bis 13. April) REISEN Liebe und den Frieden künden Radio- und Fernsehbotschaft an die Bevölkerung von Uruguay am 30. März Meine lieben Brüder und Schwestern, liebe Freunde und Einwohner von Uruguay! 1. Der Friede des Herrn sei allezeit mit euch! Dieser Gruß, der allen Söhnen und Töchtern der Kirche so vertraut ist, kommt spontan aus meinem Innern und beseelt mein Gebet, das ich für euch an den Herrn richte, vor allem am Vorabend meines Pastoralbesuches in eurem geliebten Land. Ich bin voller Freude, weil mit Gottes Hilfe mein sehnlicher Wunsch, euch zu besuchen, Wirklichkeit wird; der Wunsch, als Bruder und Freund euch in eurer Heimat aus der Nähe kennenzulernen und die Bande, die uns im selben Glauben vereinen, wenn möglich noch enger zu knüpfen in einer einzigartigen Hoffnung und in einer Liebe ohne Schranken und ohne Grenzen. Deshalb habe ich gern die liebenswürdige Einladung des uruguayischen Episkopats und der Regierung der Republik zu einem Besuch eures hochgeschätzten Vaterlandes angenommen. An dieser Stelle sei heute meine aufrichtige Dankbarkeit für diese vornehme Geste zum Ausdruck gebracht. 2. Uruguay hat im Verlauf seiner Geschichte seine Berufung zu Frieden und Eintracht unter Beweis gestellt. So hat euer Land eine führende Rolle gespielt, als in jüngster Zeit schwere Spannungen zwischen zwei Brudernationen bestanden, die zu einer Vermittlung durch den Papst führten. Deshalb ist es für mich ein Grund zur Freude, in Montevideo den glücklichen Abschluß dieser Vermittlertätigkeit in Erinnerung rufen zu können, die den Zusammenhalt und das Verständnis von zwei Brudervölkern sichtbar gemacht hat, die aus derselben Geschichte und Kultur hervorgegangen sind. Bei diesem Pastoralbesuch, der notgedrungen nur kurz sein kann, schätze ich mich glücklich, daß ich mit meinen Brüdern im Bischofsamt Zusammenkommen kann, mit den Priestern, Ordensleuten, Katecheten, aktiven Laien und vielen Freunden, Söhnen und Töchtern der Kirche, die ihre Hoffnung auf den Papst, den Nachfolger des Apostels Petrus, setzen, dem der Herr mit Nachdruck aufgetragen hat, seine Brüder im Glauben zu stärken“ (vgl. Lk 22,32). Ich weiß, daß ihr euch geistlich und mit großer Erwartung und Vorfreude auf dieses kirchliche Ereignis vorbereitet, das, so bete ich zu Gott, ein günstiger Augenblick reicher Gnade für alle Einwohner der geliebten Nation Uruguay sein möge. Von Montevideo aus will mein Wort in alle Teile des Landes gelan- 327 REISEN gen als Botschaft der Liebe und des Friedens, als Aufruf zur Brüderlichkeit, als Ermunterung zur Hoffnung. 3. Ich bitte für euch mit Inbrunst zum Herrn, daß die Begegnung mit dem Papst sich in einen Anstoß zu einer neuen Evangelisierung des lateinamerikanischen Kontinents verwandle, der mit großem Vertrauen auf Gott die Vorbereitung trifft, den 500. Jahrestag der Annahme des christlichen Glaubens zu feiern. Ich danke lebhaft euch allen, insbesondere den zivilen und kirchlichen Behörden für das Engagement, mit dem ihr euch einsetzt für den Erfolg der pastora-len Ziele dieses Besuches zum Wohle der Kirche und des ganzen geliebten Volkes von Uruguay. Diese sehnlichen Wünsche und Hoffnungen vertraue ich Maria an, der Mutter Jesu und Mutter der Kirche, dem „Stern unseres Morgens, der Jungfrau der Dreiunddreißig“, wie ihr gerne in einem Lied eure Patronin nennt, daß sie unsere Gebete zum Thron des Allerhöchsten begleite, während ich euch von Herzen meinen Segen erteile im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Als Bote der Versöhnung und des Friedens Radio- und Femsehbotschaft an das chilenische Volk am 30. März Liebe Brüder und Schwestern! Voll Freude und Hoffnung sende ich euch am Vorabend meiner Pastoraireise zu eurem Land vom Sitz des Apostels Petrus, dem Zentrum des katholischen Glaubens aus, den wohlgemeinten herzlichen Gruß: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (Gal 1,3). Meine Gedanken gehen schon jetzt zu den Bischöfen, Priestern, Diakonen und Ordensleuten sowie den Menschen und Städten, die ich werde besuchen dürfen, und zu allen Chilenen ohne Unterschied, Männer und Frauen, für die ich jeden Tag bete und die ich von ganzem Herzen im Herrn segne. Aus innerstem Herzen sage ich der göttlichen Vorsehung Dank, weil sie mir Gelegenheit gegeben hat, als Pilger der Evangelisierung in euer Land zu kommen. Ich komme nach Chile in dem beglückenden Wissen, daß seit den ersten Tagen seiner Entdeckung im fernen November 1520 der Herr in dieses gesegnete 328 REISEN Land durch das majestätische und eindrucksvolle Tor der Magallanes-Straße seinen Einzug halten wollte. Dort, nicht weit vom südlichsten Punkt, wurde nach der Überlieferung zum erstenmal die heilige Messe in Chile gefeiert. Dort hat dann Christus ein neues und fruchtbares Kapitel in der Heilsgeschichte aufgeschlagen und schon damals dieses Land Gott dem Vater anvertraut. Hier in dieser wunderbaren Landschaft von Feldern und Bergen, Stränden und Meeren, Wüsten und Wasserläufen schlug Gott seine Wohnung auf und lebt nun für immer in den Herzen der Chilenen, indem er aus ihnen allen eine einzige Familie von Brüdern und Schwestern macht, um das Kreuz des Erlösers geschart, das die ersten Missionare aufgepflanzt haben. Mit der Feier der Eucharistie und der Predigt der christlichen Lehre wurden im Lande die tiefen und unzerstörbaren Wurzeln des Glaubens gelegt, die die Geschichte hindurch für Chile und für den ganzen lateinamerikanischen Kontinent die gediegene Grundlage eines tief christlichen Humanismus bildeten als unerschöpfliche Quelle kostbarer geschichtlicher, kultureller und sozialer Werte. Von Anfang an scheuten sich die Missionare nicht, ihr Leben einzusetzen für die Aussaat des Wortes Gottes, und sie leisteten damit einen echten und hochherzigen Beitrag zur Einheit der Nation. Sie forderten zugleich die Liebe und das friedliche Zusammenleben, ohne die Aufgabe zu vernachlässigen, aus Liebe auch ein deutliches Wort zu sprechen, wenn die Verpflichtungen zur Liebe und Gerechtigkeit mißachtet wurden. Mit Gottes Gnade hoffe ich nun, am 1. April in euer geliebtes Land zu kommen als Bote des Lebens, der Liebe, der Versöhnung und des Friedens, die von Christus, dem Erlöser, ausgehen. Dies ist die pastorale Aufgabe, die ich bei euch erfüllen möchte, um damit dem Auftrag Jesu an Petrus und seine Nachfolger zu entsprechen: Stärke deine Brüder im Glauben (vgl. Lk 22,32). Freudig und dankbar habe ich die Einladung angenommen, die mir seinerzeit die Bischofskonferenz von Chile und die Regierung eurer Nation zukommen ließen. Ich werde also euer Land von der Hauptstadt Santiago aus nach Süden durchqueren und dabei Valparaiso, Punta Arenas, Puerto Montt, Concepciön und Temuco besuchen; dann nach Norden über La Serena und Antofagasta. Gern hätte ich in meine apostolische Reise weitere Städte und Orte eingeschlossen, doch ihr wißt, daß mein Besuch allen ohne Unterschied nach Herkunft und sozialer Stellung gilt. Ihr wißt, daß ich sehr gerne die Einladung angenommen habe, die ihr auf Hunderttausenden von Emblemen angebracht habt: „Heiliger Vater, ich lade Sie ein!“ Ihr wißt ferner, daß ich wenigstens mit meinem Gruß oder mit meinem Segen überall hinkommen, und, wo immer ich mich aufhalte, euch alle geistig umarmen möchte. Euch allen gilt mein Wort der Ermunterung und der Hoffnung. 329 REISEN Den Gedanken vom Reich Gottes in eine unruhige Gesellschaft tragen Mein Besuch erstreckt sich auf den Bereich des Religiösen und Pastoralen. Ich möchte der Sache des Reiches Gottes dienen, das ein „Reich der Wahrheit und des Lebens, ein Reich der Heiligkeit und der Gnade, ein Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens“ ist (vgl. Präfation der Messe zum Christkönigsfest). Es gelallt mir sehr zu wissen, daß ihr euch unter Leitung eurer Hirten mit intensivem Gebet vorbereitet, damit der Besuch des Nachfolgers Petri reiche Früchte bringe, eure Liebe erneuere und Ansporn zur erneuten Evangelisierung sei, zugleich Stärkung der ordentlichen und ständigen Seelsorge einer jeden Diözese unter Leitung ihres Bischofs. Schon jetzt möchte ich meinen Dank den kirchlichen, zivilen und militärischen Behörden, aber auch allen lieben Gläubigen aussprechen für die hochherzige Zusammenarbeit, damit die Tage, die ich, so Gott will, unter euch verbringen kann, die Bande der Brüderlichkeit und den Willen zu friedlichem Zusammenleben aller Chilenen verstärken, weil sie vom Glauben aus urteilen und den Weg zum ewigen Leben vor Augen haben. Ich bitte euch, begleitet mich mit euren Gebeten und Opfern! Der allerseligsten Jungfrau von Karmel aber, der Königin und Patronin von Chile, empfehle ich meine apostolische Pilgerfahrt und segne euch alle zum Zeichen meines Wohlwollens im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. ... um an eurer Seite zu gehen, euren Glauben zu stärken Radio- und Fernsehbotschaft an das argentinische Volk am 30. März Liebe Brüder und Schwestern in Argentinien! Nur wenige Tage vor meinem zweiten Besuch in eurem Land möchte ich euch mit dieser Botschaft durch Radio und Fernsehen meine herzlichsten und aufrichtigsten Grüße senden. Mit Freude habe ich die Einladung angenommen, die mir seinerzeit die Repräsentanten und der Episkopat eurer geliebten Nation zukommen ließen und nehme wieder den Pilgerstab in die Hand, um an eurer Seite zu gehen, euch im Glauben zu stärken (vgl. Lk 22,32) und Christus zu verkündigen, der unter euch gegenwärtig ist. 330 REISEN So Gott will, werde ich am 6. April eintreffen und fast eine Woche bei euch bleiben. Es ist mein sehnlichster Wunsch — und ich bitte unseren Herrn darum —, daß diese wenigen Tage eine freudige Bekundung des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung auf Christus werden. Nach dem festgelegten Programm werde ich einen guten Teil eurer großen Nation besuchen: Buenos Aires, Bahia Bianca, Viedma, Mendoza, Cordoba, Tucuman, Salta, Corrientes, Parana und Rosario. Obwohl ich leider nicht mehr Orte besuchen kann, möchte ich doch für alle Einladungen, die ich bekommen habe, herzlich danken. Ich unternehme diese Reise, wobei meine Gedanken und mein Herz bei allen geliebten Söhnen und Töchtern sind, die „den argentinischen Boden bewohnen“. Ich werde eng mit ihnen verbunden sein, wo immer ich mich gerade befinde. Ich habe ferner von dem Eifer und der Begeisterung gehört, mit der ihr euch geistlich auf diesen Besuch des Nachfolgers Petri vorbereitet. Schon heute spreche ich meinen herzlichen Dank aus für die verdienstvolle Arbeit, die zahlreiche Priester, Ordensleute und Laien unter Führung eurer Bischöfe geleistet haben. Herzlich danke ich auch den Repräsentanten der Republik für all ihre Zusammenarbeit, um diese Reise zu erleichtern. Alle bitte ich, viel zu beten, daß der Herr bei Gelegenheit dieser Pastoraireise reiche geistliche Früchte schenke, damit das Wort Gottes, dem ich gern meine Stimme als Hirte der universalen Kirche leihe, die Herzen erreicht und in ihnen das Verlangen weckt, den Lehren des Meisters treu zu bleiben. In besonderer Weise gilt mein Gruß den Jugendlichen, denen ich in Buenos Aires zu begegnen hoffe, um auch den Welttag der Jugend zu feiern: Zumal euch, liebe Jugendliche, gilt meine Botschaft der Hoffnung, denn ihr seid die Hoffnung der Kirche und der Welt. Möge der Friede Christi immer in eurem Vaterland und in euren Herzen herrschen! Schon jetzt vereinige ich mich mit euch, geliebte Argentinier, im Gebet zum Herrn, daß dieser Besuch ein neuer Impuls sei für die Sendung der Kirche in Argentinien und in ganz Lateinamerika, die mit Dank gegen Gott sich auf die 500-Jahr-Feier der Evangelisierung des Kontinentes vorbereitet. Die Früchte dieser Reise lege ich jetzt schon in die Hände der allerseligsten Jungfrau, unserer Mutter von Lujan, und ich empfehle euch ihrem Schutz. Euch alle segne ich von Herzen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. 331 REISEN Kirche möchte Baumeister des Friedens sein Ansprache bei der Ankunft in’Montevideo (Uruguay) am 31. März Herr Präsident, verehrte Brüder im Bischofsamt, Vertreter des öffentlichen Lebens, „Orientales“, Söhne und Töchter von Uruguay! 1. Wenn ich meinen ersten Gruß an die ganze Nation und an die Kirche in Uruguay richte, möchte ich vor allem Gott danken, daß er mir Gelegenheit gegeben hat, diese apostolische Reise zu unternehmen. In seinem Namen wünsche ich euch Frieden und Wohlergehen für die ganze Republik Uruguay! Mein Gruß gilt an erster Stelle dem Herrn Präsidenten der Republik. Die Worte, die er eben im Namen der Regierung der Nation und aller ihrer Bürger an mich gerichtet hat, sind zweifellos Ausdruck der Freude aller Bewohner von Uruguay über die Anwesenheit des Papstes bei ihnen und in ihrem eigenen Land. Ich danke Ihnen also, Herr Präsident, für diese liebenswürdige Aufnahme, die mir wie einem Ihresgleichen die Pforten dieses Volkes geöffnet hat, das für seine Gastfreundschaft wohlbekannt ist. Ich habe gern Ihre freundliche Einladung und die des Episkopates von Uruguay angenommen, diesen Besuch zu machen, der die überlieferten Bande der Freundschaft dieses geschätzten Volkes mit dem Apostolischen Stuhl noch enger knüpft und vor allem die Gemeinschaft zwischen dem Nachfolger des Petrus sowie den Hirten und Gläubigen dieser Kirche hier in Uruguay besiegeln soll. Ich grüße auch die übrigen hier anwesenden Behördenvertreter und die Mitglieder der Regierung sowie alle, die sich persönlich dafür eingesetzt haben, diesen Besuch Wirklichkeit werden zu lassen. Mein brüderlicher Gruß gilt ferner jedem einzelnen meiner geliebten Brüder, den Bischöfen dieses Landes. Herzlich grüße ich auch alle Priester, die männlichen und weiblichen Ordensleute, Diakone, Seminaristen und Laien, die sich für die Evangelisierung der Kirche einsetzen. Euch allen, Männern und Frauen, Kindern und Jugendlichen, Erwachsenen und Alten gilt mein Gruß, meine Zuneigung und mein Segen. Das Herz des Papstes ist offen, um voll Freude im Herrn das ganze Volk von Uruguay willkommen zu heißen. 2. Uruguay ist eine Nation des lateinamerikanischen Kontinents, die sich ausgezeichnet hat durch ihren Beitrag für den Frieden. Beweis dafür war die Hilfe zur Überwindung der Meinungsverschiedenheiten zwischen Argentinien und Chile über ihr südliches Grenzgebiet. Ich erachte es daher als meine Pflicht, in Montevideo das glückliche Ergebnis der päpstlichen Vermittlung 332 REISEN zu erwähnen. Euer Vaterland zeichnet sich ferner aus durch entschiedenes Eintreten für den sozialen Fortschritt und die Beteiligung aller am Gemeinwohl, dazu das gemeinschaftliche Bemühen zur Förderung der Schulbildung und Kultur. In eurem Land leben unterschiedliche soziale und politische Auffassungen einmütig nebeneinander, ferner Gruppen verschiedener religiöser Glaubensauffassungen; all das geschieht in einem Klima der Achtung und Toleranz. Wohlbekannt ist auch, und ich betone es gern, daß die Uruguayer ein herzliches Volk sind, das Freundschaft anzuknüpfen und zu schätzen weiß. Ich bin daher sicher, daß ihr auch meine Worte richtig versteht, die Worte eines Freundes und Vaters, der alle achtet und auch alle liebt. Die Geschichte eures Volkes ist tief verbunden mit der Geschichte der Verkündigung und Verbreitung des Evangeliums in Amerika. Der christliche Glaube hat in eurer Geschichte und Kultur eine unauslöschliche Spur hinterlassen und muß Licht für Gegenwart und Zukunft dieser Republik Uruguay sein. 3. Das Evangelium Christi ist eine Botschaft der Liebe, Gerechtigkeit und Freiheit; es garantiert die Würde der menschlichen Person und bildet den Sauerteig für ein friedliches und brüderliches soziales Zusammenleben von Personen, Gruppen und Völkern. Die katholische Kirche möchte in der ganzen Welt Baumeister des Friedens sein, der sich auf Gerechtigkeit gründet, der Achtung und dem Schutz der legitimen Rechte, zumal der Schwächsten und Notleidenden. Auch die Barche in Uruguay bemüht sich, loyal und im Geist der Dienstbereitschaft zur Einheit und Harmonie unter den Bürgern beizutragen, indem sie immer die moralische Besserung der einzelnen und der Sozialordnung anstrebt. Der Papst möchte mit seinem Besuch ferner alle Katholiken bei ihrem Dienst am Gemeinwohl und in ihrer Treue zum Evangelium Christi ermuntern, damit sie, Seele der Gesellschaft in Uruguay, Erbauer einer Gesellschaft im Zeichen der Liebe sind, die die integrale Förderung von Mensch und Gesellschaft ins Auge faßt. 4. Als Überbringer einer Botschaft des Lebens und der Hoffnung lade ich euch ein, Christus die Pforten eurer Herzen zu öffnen; ich rufe zumal die Jugendlichen dazu auf, Verheißung der Zukunft und Pioniere der Geschichte dieses Volkes im dritten Jahrtausend, das schon nahe ist, voller Ungewißheit und Herausforderungen an die Menschheit. Gern würde ich über mehr Zeit verfügen, um euer Land besser kennenzulernen, seinen Bewohnern zu begegnen und mir noch direkter Sorgen und Hoff- 333 REISEN nungen zu eigen machen. Es wird eine andere, nicht zu ferne Gelegenheit geben. Möge dieser kurze Besuch im Dienst des Friedens und der geistlichen Erneuerung stehen: dies ist das große Anliegen meines Kommens. Diesen Wunsch vertraue ich zusammen mit euren Anliegen der Jungfrau der Treinta y Tres an, der Patronin von Uruguay, und ich rufe ihren mütterlichen Schutz an für alle eure Familien und Heimstätten. Uruguay, der Papst grüßt und segnet dich! Nimm die Botschaft des Friedens und der Freundschaft an, die der Nachfolger des Petrus dir verkündet! Dank für euer Willkommen! In freundschaftlicher Verbundenheit und mit der Liebe eines Vaters segne ich euch alle von Herzen. Den Sieg der Vernunft gefeiert Ansprache im Taranco-Palast in Montevideo (Uruguay) am 31. März Herr Präsident der Republik, meine Herren Regierungsmitglieder, meine Herren Außenminister von Argentinien und Chile, Exzellenzen, meine Damen und Herren! 1. In diesem Augenblick fühle ich in mir eine große Freude über das Zusammensein mit so vielen hohen Persönlichkeiten an einem Ort, der Stätte eines denkwürdigen Ereignisses war: eines historischen Ereignisses, das einige Jahre später mit dem Sieg des guten Willens und der Verständigung unter Menschen und Völkern seinen Höhepunkt erreichte und das gerade deshalb eine unvergeßliche Seite im Buch der Geschichte Lateinamerikas bleiben wird. Zwischen zwei Ländern, die aufgrund ihres geschichtlichen Ursprungs und ihrer historischen Wurzeln, aufgrund ihres Glaubens, ihrer Sprache und ihrer Geographie Bruderländer sind, existierten — wie alle wissen — alle Streitigkeiten; diese brachten sie im Jahr 1978 an den Rand eines bewaffneten Konflikts. Heute bringen wir Gott unseren innigen Dank dar und beglückwünschen uns alle dazu, daß die Verantwortlichen jener beiden Länder nicht zur Zerstörungskraft der Waffen griffen, sondern die Geistesgröße besaßen, sich für den Dialog und das Verhandeln zu entscheiden. Sie waren entschlossen, die Spannungen nach den Kriterien der Gerechtigkeit zu überwinden und vor allem den Frieden sicherzustellen. Bei dieser Gelegenheit muß auch Uruguay öffentlich dafür gedankt werden, daß es in solidarischer und konstruktiver Haltung großzügig den Ort zur Ver- 334 REISEN fügung gestellt hat, an dem mit der Unterzeichnung der beiden Abkommen von Montevideo in diesem Taranco-Palast der erste Schritt auf jenem Weg getan wurde. Bis zum Ziel waren dann noch viel guter Wille, Klugheit, Weisheit und Ausdauer bei allen Beteiligten nötig. Ein Lehrstück über den Gebrauch der Vernunft 2. Es war eine freie und entscheidende Wahl mit dem Ziel, gewaltlose Lösungen für internationale Konflikte zu suchen; sie ehrt alle, die daran beteiligt waren. Es war eine praktische und überzeugende Lehre dafür, daß Menschen und Nationen, wenn sie es wirklich wollen, in Frieden Zusammenleben können, indem sie die Macht der Vernunft über die Vernunft der Macht stellen. Es war die Bestätigung dafür, daß die Geschichte nicht von blinden Trieben beherrscht wird, sondern in ihrem Ablauf von gerechten und verantwortungsvollen Entscheidungen abhängt, die von den Menschen in Freiheit angenommen werden. Der Krieg ist also nicht etwas Schicksalhaftes und Unvermeidliches. Wir haben uns heute gerade deswegen in diesem Taranco-Palast zusammengefimden, um des Ereignisses vom 8. Januar 1979 zu gedenken, nämlich des Vertrauens in die Wirksamkeit der friedlichen Mittel für die Lösung von Streitfragen zwischen zwei Ländern und des ausdrücklichen Verzichts auf Anwendung von Gewalt. Bevor ich Chile und Argentinien besuche — wie ich es beim Abschluß der von beiden Ländern von mir erbetenen Vermittlertätigkeit versprochen hatte —, habe ich es für richtig gehalten, jener Geste des guten Willens, jener ersten Etappe auf dem Weg zum Frieden zu gedenken. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch dem verstorbenen Kardinal Antonio Samore, meinem Sondergesandten bei jenem Anlaß, öffentliche Anerkennung zollen. Mit großem Takt und Verantwortungsbewußtsein hat er es verstanden, auf beiden Seiten die Überzeugung zu wecken und zu festigen, daß die Barrieren zwischen beiden Nationen überwunden werden müssen. In diesem Palast trafen dank seiner Bemühungen die beiden Außenminister mit ihm zusammen und legten das Fundament für den ersehnten Frieden. Nicht nur Krieg vermieden, sondern auch Dialog eröffnet 3. Auf dieser Grundlage wurden dann aufgrund der gemeinsamen Bemühungen der beiden Länder und des Hl. Stuhls die Realität eines konsolidierten Friedens und einer vielversprechenden Zusammenarbeit aufgebaut; zu danken ist dies der täglichen Kleinarbeit der zuständigen Delegationen, die die berechtigten nationalen Interessen darstellten und verteidigten (und der zuverlässigen Kompetenz meiner Mitarbeiter bei der Vermittlung). Diese Reali- 335 REISEN tät gewann endgültig Gestalt in dem am 29. November 1984 Unterzeichneten Friedens- und Freundschaftsvertrag. Dieser Vertrag trat durch den Austausch der Ratifizierungsurkunden am darauffolgenden 2. Mai in Kraft. Er rechtfertigt um so mehr unsere heutige Gedenkfeier, als er in sich den augenfälligen Beweis dafür darstellt, daß Argentinien und Chile mit dem Wagnis des Dialogs und der Verhandlungen den richtigen Weg einschlugen. Der Vertrag beschränkt sich nicht auf eine Regelung der anlänglichen Meinungsverschiedenheiten — was an sich schon ein positives Ergebnis gewesen wäre; er sichert darüber hinaus den Weg des Dialogs, des Verhandelns auch für die Lösung möglicher neuer Streitfragen. Sein Text schließt die feierliche Verpflichtung ein, die Bande des Friedens und der Freundschaft zu bewahren, zu stärken und weiterzuentwickeln und enthält eine Reihe von Klauseln mit dem Ziel, vor allem das Entstehen von Streitfragen zu verhindern und zugleich die guten Beziehungen zwischen beiden Nationen zu erhalten und zu stärken. Zwar sind sich Argentinien und Chile bewußt, daß trotz besten Willens auch in Zukunft Konfliktsituationen auftreten können; in dem Vertrag verpflichten sie sich jedoch, Gewaltanwendung von vornherein zu vermeiden und die Streitfragen einzig und allein mit friedlichen Mitteln zu lösen. Die Einhaltung dieser feierlichen Verpflichtung wird sichergestellt und erleichtert durch ein detailliertes System für die friedliche Beilegung von Streitragen. Ich freue mich, heute in diesem Taranco-Palast, in dem der Same für reife Früchte des Friedens und der Zusammenarbeit gelegt wurde, vor einer so ausgesuchten Vertretung der internationalen Gemeinschaft den doppelt beispielhaften Wert dieses Vertrages hervorheben zu können. Durch ihn haben die Beteiligten eine schwierige, hundertjährige Streitfrage gelöst und darüber hinaus Lösungswege für eventuelle künftige Meinungsverschiedenheiten vorgezeichnet. Bei dieser Gelegenheit möchte ich vor der ganzen Welt den dringenden Aufruf erneuern, daß die geduldige Suche nach friedlichen Wegen für eine wirksame und ehrenvolle Lösung aller gegenwärtigen Konflikte — der offenen und der schwelenden, der nationalen und der internationalen — durch nichts geschwächt werde. Gegenüber allen, die Konflikte unter Umgehung von Dialog und Vernunft oder unter Gewaltanwendung lösen möchten, wiederhole ich jetzt die dringende Aufforderung, die ich am Tag des Inkrafttretens dieses Vertrages erhoben habe: daß der Dialog und das Verhandeln „der Weg sein möge, den die Länder einschlagen, die sich jetzt aufgrund verschiedener Kontroversen feindselig gegenüberstehen“. Mögen jene, die versucht sind, zur Gewalt zu greifen, um Ziele zu verfolgen, die legitim erscheinen können, niemals daran zweifeln, daß es immer Möglichkeiten des Verhandelns mit der Aussicht auf echte und für alle ehrenvolle und annehmbare Lösungen gibt. 336 REISEN Der Rückgriff auf die Macht, auf die Gewalt, bei dem Versuch, Konflikt oder Unrechtssituationen auf internationaler und sogar auf nationaler Ebene zu lösen, ist in der Regel — über andere schwere Mißstände hinaus — mit einem hohen Preis an Menschenleben verbunden. Das macht ihn als Lösungsweg unmöglich. Der Weg, der wirklich zum Frieden führt, erfordert andererseits den aufrichtigen Willen, ihn zu gehen und zugleich die Annahme des Gesprächspartners als eines Trägers von erwägenswerten Erwartungen und Vorschlägen und nicht als eines Feindes, den es zu unterwerfen oder zu unterdrücken gilt. Zu Gott, der reich ist an Erbarmen und den wir Christen als den „Fürsten des Friedens“ (Jes 9,5) anrufen, richte ich mein Gebet voller Hoffnung, daß in den Herzen aller Menschen der Friede herrschen möge. Die Kirche muß ihrer Sendung treu bleiben Predigt während der Eucharistiefeier in Montevideo (Uruguay) am 1. April 1. „Der Herr ist mein Hirte“ (Ps 23,1). Diese Worte, die die Kirche in der heutigen Liturgie verkündet, möchte ich noch einmal wiederholen, um von Herzen im Namen des Herrn und Hirten unserer Seelen alle hier in der Hauptstadt von Uruguay Versammelten zu begrüßen. Als im Dezember 1978 sich über Südamerika die Gefahr eines Krieges ankündigte, weilte ein von mir beauftragter Abgesandter, Kardinal Antonio Samore, hier in eurer Hauptstadt, und es war dank der Hilfe Gottes und des guten Willens der Menschen möglich, den ersten Schritt zur Vermittlung zu tun. Mit der Unterzeichnung der Abmachung von Montevideo entschieden sich die beiden Länder Argentinien und Chile, gemeinsam den Weg einer friedlichen Lösung für eine sehr umstrittene Frage zu beschreiten. Durch meine Anwesenheit in eurer Stadt wollte ich während meines Aufenthaltes in Südamerika auch den glücklichen Abschluß der Verhandlungen über das südliche Gebiet in Erinnerung bringen und zusammen mit euch Gott, unserem Herrn, danken. Er ist der Gute Hirt der Völker und Nationen; er ist der Gute Hirt eines jeden Menschen. 2. In seinem Namen und im Namen Jesu Christi grüße ich die ganze Kirche in Uruguay und in der gesamten Gesellschaft dieser Nation. An erster Stelle möchte ich den Herrn Präsidenten der Republik und die bürgerlichen Autori- 337 REISEN täten nördlich und südlich vom Rio Negro, in jeder der 19 Provinzen, meinen herzlichen Gruß im Herrn entbieten: Gnade und Friede der Kirche Gottes in Uruguay! 3. Wir begehen liturgisch die Fastenzeit. Das Wort Gottes bringt heute unsere Gedanken und Herzen zum Menschensohn, der persönlich inmitten der Apostel sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung ankündigt. Er belehrte sie darüber, der Menschensohn müsse vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er werde getötet, aber nach drei Tagen werde er auferstehen (vgl. Mk 8,31). Beim Sprechen dieser Worte übernimmt Jesus bewußt die Züge des Mannes voller Schmerzen, den der Prophet Jesaja verkündet hatte (vgl. Jes 53,2-3). Er wußte mit Sicherheit, daß die Worte des Propheten sich auf den Messias und auf ihn selber bezogen. 4. Heute haben wir im Evangelium gehört, wie Jesus seine Jünger fragt: „Für wen halten mich die Menschen?“ Sie geben ihm verschiedene Antworten, und Jesus fragt sie dann erneut: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ Petrus antwortet und sagt ihm: „Du bist der Messias“ (Mk 8,27.29). Im Anschluß daran lehrt Jesus die Apostel, daß der Messias eben derj enige ist, an dem sich die Verheißung des Jesaja über den Mann der Schmerzen erfüllt. Als daher Petrus, der kurz zuvor ein herrliches Zeugnis über den Messias abgelegt hatte, nicht alles das annehmen wollte, was Jesus über seine Erniedrigung und sein Leiden sagte, tadelte ihn der Meister ungewöhnlich streng: „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern das, was die Menschen wollen“ (Mk 8,33). Zu jenem Zeitpunkt sah Petrus im Messias in der Tat einen König, eine Autorität im Sinn dieser Welt, die sich auf den Thron Davids setzen und die Nation von ihren Unterdrückern befreien sollte. Petrus drückte sich in der Art der Menschen aus, die Pläne Gottes dagegen gingen in eine andere Richtung. Der vom Propheten Jesaja verkündete Messias mußte zum Mann der Schmerzen werden, „von den Menschen verschmäht und verachtet“. Der Messias Christus sollte als Erlöser unsere Leiden auf sich nehmen, wegen unserer Verbrechen durchbohrt und wegen unserer Sünden zermalmt werden (vgl. Jes 53,3-5). Liebe Brüder und Schwestern, Volk Gottes in Uruguay: bedenkt aufmerksam die Worte der heutigen Liturgie, und nehmt die göttliche Wahrheit über den Menschensohn an. Sie enthält heilbringende Macht; in ihr ist die volle Wahrheit über die Befreiung des Menschen enthalten. 338 REISEN 5. „Der Herr ist mein Hirte.“ So singt heute die Kirche hier bei der Liturgiefeier in Montevideo in Uruguay und in aller Welt... Der Herr ist unser Hirte: ja Er, der gekreuzigte und auferstandene Christus, der Erlöser des Menschen und der Welt. Die von diesem Christus gegründete Kirche aber setzt durch die Geschichte hindurch sein Erlösungswerk fort. Sie kann daher den Weg, den die Menschheit einschlägt, oder das historische Schicksal des einzelnen Menschen nicht gleichgültig hinnehmen. So lehrt das II. Vatikanische Konzil in den einleitenden Worten der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihrem Herzen seinen Widerhall fände“ (Gaudium et spes, Nr. 1). Das setzt natürlich nicht voraus, die Kirche hätte irgendwelche irdischen Ansprüche, besteht doch ihr einziges Streben darin, das Heilswerk Christi weiterzuführen, der in diese Welt kam, um von der Wahrheit Zeugnis zu geben, um zu retten und nicht um zu verdammen (vgl. Joh 18,37), um zu dienen, nicht um bedient zu werden (vgl. Mt 20,28; vgl. Gaudium et spes, Nr. 3). Die Kirche muß in Treue zu ihrer Sendung die Probleme, die die Menschheit in jedem Augenblick ihrer Geschichte bedrängen, im klaren und reinen Licht betrachten, das vom Evangelium herkommt und immer aktuell bleibt, weil es Wort Gottes ist. Dies bietet sie an und möchte es weiter anbieten in Erfüllung des von Christus selber empfangenen Auftrags. Für sich selber erbittet sie nur Freiheit, damit ihre Stimme ungehindert jeden erreichen kann, der sie hören möchte. <12> <12> Liebe Leute von Uruguay: euer Vaterland ist von Grund auf katholisch. Eure Vorfahren bedienten sich des Rates tüchtiger Priester, die die ersten Schritte des uruguayischen Volkes auf die Lehre Christi und seiner Kirche hinlenkten und sie dem Schutz der heiligen Jungfrau empfahlen, die unter dem Titel der „Treinta y Tres“ angerufen wird und heute gemeinsam mit dem Gekreuzigten hier den Vorsitz führt. Das Uruguay von heute wird dann die Wege zu echter Versöhnung und integraler Entwicklung finden, wonach es so sehr verlangt, wenn es seine Augen nicht von Christus abwendet, dem Friedensfürsten und König der ganzen Welt. 339 REISEN Wahrhaft glückendes Menschsein ist nicht unter Preis zu erlangen Und wenn eure Nation — die große Familie von Uruguay — immer der Heilsbotschaft Christi treu sein will, so darf die Gemeinschaft der Familie — die grundlegende Zelle eurer Gesellschaft — Christus nicht gleichgültig gegenüberstehen, sondern muß, wie ich in Rom euren Bischöfen bei ihrem letzten Ad-limina-Besuch sagte, eine „geeinte Familie sein, moralisch gesund, Erzieherin zum Glauben, voll Achtung vor den Rechten einer jeden Person und darum bemüht, die Achtung vor dem Leben eines jeden Menschen vom ersten Augenblick seiner Empfängnis an hochzuhalten“ (Ansprache vom 14. Januar 1985). Heute fehlt es leider nicht an Menschen, die den Eheleuten und Familien ein vermeintliches Glück zu niedrigem Preis anbieteri möchten. Ich bitte euch daher: Laßt euch nicht betrügen! Laßt euch vielmehr vom Wort Gottes erleuchten, das vom Lehramt der Kirche authentisch ausgelegt wird, weil dieses das Charisma der Wahrheit besitzt aufgrund des Beistands des Hl. Geistes, den ihr Christüs bis zum Ende der Zeiten versprochen hat. Die Kirche bietet euch keinen leichten Weg an: will der Christ zur Auferstehung gelangen, so darf er nicht den Weg verlassen, den der Meister gegangen ist. Sie garantiert euch aber andererseits einen sicheren, guten Weg, denn unser Wegweiser ist der Herr, und er ergießt in unsere Herzen Friede und Freude, wie die Welt sie nicht geben kann. Laßt euch bei den Schwierigkeiten, die es im ehelichen Leben geben mag, nicht irreleiten durch die leicht gemachte Ehescheidung, die nur scheinbare Lösungen bringt, denn sie verschiebt die Probleme im Grunde ja nur in andere Bereiche und erschwert sie. Christen wissen, daß die ihrer Natur nach unauflösliche Ehe durch Christus geheiligt worden ist, weil er ihr Anteil gab an der treuen und unzerstörbaren Liebe zwischen ihm und seiner Kirche (vgl. Eph 5,32). Angesichts der Spannungen und Konflikte aber, die sich ergeben können, zumal, wenn die Familie in einem von Permissivität und Hedonismus geprägten Klima zu leben hat, denkt daran, daß „jede Familie immer vom Gott des Friedens gerufen (ist), die frohe und erneuernde Erfahrung der ,Versöhnung1 zu machen, der wiederhergestellten Gemeinschaft, der wiedergefundenen Einheit“ (Familiaris consortio, Nr. 21). Zumal durch den Empfang des Sakramentes der Versöhnung und des Leibes Christi in der hl. Kommunion gewinnen christliche Familien die notwendige Kraft und Gnade zur Überwindung der Hindernisse, die ihre Einheit bedrohen (vgl. ebd.), und sie vergessen nicht, daß echte Liebe sich im Leiden bewährt. 340 REISEN 7. Ein Wort der Ermunterung und der Hoffnung gelte heute auch euch, liebe Jugendliche von Uruguay. Alle wissen um meine Zuneigung und Wertschätzung für die Jugend. Daher bedauere ich es, daß es mir bei diesem Besuch nicht möglich war, eine außerordentliche Begegnung mit euch zu haben, wo ihr doch die Hoffnung eures Landes und auch der Kirche seid. Euch ist es beschieden, in einer schwierigen Zeit zu leben — dies stimmt; doch nicht weniger gewiß’ ist, daß wir einen der erregendsten Zeitabschnitte in der Geschichte miterleben, in der ihr Zeugen und Pioniere tiefreichender Wandlungen seid. Ihr, die Jugendlichen, besitzt eine einzigartige Empfindsamkeit für die neue Welt, die auf uns zukommt und die eure jungen Arme in hochherzigem Einsatz braucht. Für den Aufbau dieser Welt müßt ihr Großes unternehmen. Wollt ihr konsequent nach euren berechtigten Idealen leben und nicht nachgeben, so müßt ihr schon jetzt mutig, geduldig und ehrlich mit euch selber sein mit einem unverbrüchlichen Glauben. Ihr wißt, daß der Mensch von Gott die einzigartige Berufung empfangen hat zu lieben. Diese Liebe kann Wirklichkeit werden in der Ehe oder in der gänzlichen Hingabe seiner selbst für das Himmelreich. In beiden Fällen ist es die Treue, die die Liebe veredelt. Ich hätte euch noch vieles zu sagen, und vor allem würde es mir Freude machen, euch anzuhören — also von euren Lippen zu vernehmen, welches eure Anliegen und Sorgen sind, eure Probleme und Schwierigkeiten. Auf jeden Fall hoffe ich, viele von euch am Palmsonntag in Buenos Aires zu sehen. Wir werden dort den Welttag der Jugend feiern mit Jugendlichen aus allen fünf Kontinenten und zumal von diesem großen „Kontinent der Hoffnung“, Lateinamerika. Angesichts Gottes Unermeßlichkeit kann der Mensch seinen Standort bestimmen 8. Liebe Brüder und Schwestern! Bei diesem ersten Abschnitt meiner apostolischen Reise nach Südamerika möchte auch ich wie der hl. Paulus „meine Knie vor dem Vater beugen, nach dessen Namen jedes Geschlecht im Himmel und auf der Erde benannt wird“ (Eph 3,14-15), weil ich durch meine Pilgerreise einen besonderen Dank Gott gegenüber aussprechen möchte, der die Vermeidung eines Krieges und die Sicherung des Friedens angesichts der zwischen Chile und Argentinien umstrittenen südlichen Gebiete möglich gemacht hat. Ich denke an die letzten Tage des Jahres 1978 und die ersten von 1979, wo die Spannung unter den Bürgern dieser beiden Nationen und irgendwie unter allen Bewohnern Lateinamerikas ihrem Höhepunkt zustrebte. Es 341 REISEN waren sorgenvolle Tage, und gerade damals spürte ich im Vertrauen auf Gott den Impuls, jene Geste des Friedens vorzuschlagen, die ebenso gefährlich wie hoffnungsvoll war. 9. An diesem glücklichen Tag danke ich heute dem Allerhöchsten in inniger Vereinigung mit den Hirten und Gläubigen dieser geliebten Einzelkirche und bitte euch zugleich, innig für den Frieden in ganz Amerika zu beten. Beten wir für die soziale und internationale Gerechtigkeit, die Voraussetzung für wahren Frieden ist. Bitten wir Gott, daß die Rechte der Menschen, der Völker und Nationen der ganzen Welt geachtet werden. Euch aber, geliebte Einwohner dieser Stadt und dieser Gegend, die ihr mich heute als den Nachfolger des Petrus aufnehmt, wünsche ich mit den Worten des Apostels, daß Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne; daß ihr immer besser die Liebe Christi erkennt, die alles Begreifen übersteigt; daß ihr mit der ganzen Fülle Gottes erfüllt werdet (vgl. Eph 3,17-19). Ihm aber, den wir mit den Worten der Liturgie der Fastenzeit als Mann der Schmerzen, als unseren Erlöser, als Friedensfürst, gekreuzigt und auferstanden, betrachten, Ihm, der nach der Macht, die bereits in uns am Werk ist, viel mehr tun kann als wir erbitten und denken können, Ihm sei Ehre und Ruhm in der Kirche und in den Herzen aller Menschen guten Willens, in alle Ewigkeit (vgl. Eph 3,20-21). Amen. Die ganze Wahrheit verkünden Ansprache bei der Begegnung mit dem Klerus und den Ordensleuten in der Kathedrale von Montevideo (Uruguay) am 1. April Ehrwürdige Brüder im Bischofsamt! Liebe Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen, geweihte Personen, Diakone und Seminaristen, die ihr hier versammelt oder im Geist kirchlicher Gemeinschaft mit uns verbunden seid! 1. Oftmals habe ich an euch, an eure Evangelisierungsarbeit und an die Verpflichtung gedacht, die ihr übernehmt, um die Botschaft Christi zu den Männern und Frauen eures geliebten Landes gelangen zu lassen. Während ich heute in dieser Kathedrale der Hauptstadt Montevideo unter euch weile, empfinde ich eine tiefe Freude, die sich in einem unaufhörlichen Dankgebet an Gott äußern will. Es freut mich vor allem, daß trotz der knappen Zeit, die ich bei dieser Gelegenheit in eurer Heimat bleiben werde, diese Begegnung geplant wurde — 342 REISEN und daß es tatsächlich die erste überhaupt ist —, um euch so an meiner Liebe und Zuneigung teilhaben zu lassen und euch persönlich zu sagen, wie sehr ich eure hochherzige und unersetzliche Mitarbeit an der großartigen Aufgabe der Neu- oder Reevangelisierung dieses Landes schätze, das vom Papst so geliebt wird und das große Hoffnungen in der gesamten lateinamerikanischen Kirche weckt. Zum ersten Mal kommt der Nachfolger Petri zu euch auf Besuch. Gebe der Herr, daß dieser bedeutsame Augenblick eine günstige Gnadenstunde sein möge, um euch im Glauben zu festigen und in eurem Bewußtsein die Bande inniger Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhl, mit euren Bischöfen und mit so vielen über die ganze Welt zerstreuten Brüdern zu stärken. Brüderlich mit euch in dem tröstlichen Geheimnis vom mystischen Leib Christi verbunden, auch ohne euch zu kennen, lieben sie euch und beten für euch, wie ihr das für sie tut. Sichtbares Fundament dieser Einheit ist das Petrusamt, wie es Christus selbst gewünscht hat und wie es von euch und von den vielen Söhnen der Kirche, mit denen ich auf meinen Missionsreisen zusammentreffe, empfunden und verstanden wird. Volksbildung ist Grundlage für sinnvolle Entwicklung Nun möchte ich sehr herzlich für die Begrüßungsworte danken, die Msgr. Jose Cottardi, Erzbischof von Montevideo, im Namen der Bischofskonferenz Uruguays und in euer aller Namen soeben an mich gerichtet hat. Es hat in mir besondere Befriedigung hervorgerufen, zu erfahren, daß ihr in einem Evangelisierungsbemühen ganz eigener Art engagiert seid, um in allen und in jeder einzelnen der Diözesen Uruguays die Volksmission zu fördern, die auf traditionelle Weise ein unersetzliches Mittel für eine regelmäßige und nachdrückliche Erneuerung des christlichen Lebens darstellt (vgl. Catechesi tradendae, Nr. 47). Darum ermuntere ich euch, diese „Mission“ mit allem Enthusiasmus, mit evangelischer Hochherzigkeit und Mut in einem Klima vollkommener Einheit und Gemeinschaft mit euren Bischöfen vorzubereiten, damit es euch gelingt, mit Gottes Hilfe die Ziele zu erreichen, die ihr euch, dem von Puebla abgesteckten Weg folgend (vgl. Nr. 165-339), gesetzt habt, das heißt kapillarartig allen Männern und Frauen Uruguays die Wahrheit über Christus, über die Kirche und über den Menschen zu bringen als Heilsbotschaft, die die Herzen und die ganze Gesellschaft verwandelt. Das Wort Gottes soll die Umstände verändern, nicht umgekehrt 2. Uns klingt immer der Auftrag des göttlichen Meisters lebendig in den Ohren: „Geht zu allen Völkern ... und lehrt sie alles zu befolgen, was ich euch 343 REISEN geboten habe“ (vgl. Mt 28,19-20). Im Bewußtsein so großer Verantwortung müßt ihr die apostolische Besorgnis des hl. Paulus als eure eigene empfinden, als er ausrief: „Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde“ (1 Kor 9,16). Und wie derselbe Apostel empfiehlt, müßt ihr das Wort verkünden, „ob man es hören will oder nicht“ (2 Tim 4,1-2), voll überzeugt von der Kraft, die der Wahrheit innewohnt, zu der sich die Kirche seit zweitausend Jahren bekennt. Jede Evangelisierungstätigkeit ist infolgedessen darauf ausgerichtet zu erreichen, daß sich jede Person und jede Gemeinde voll dem Wort Gottes öffnet. „Der Glaube ist in seinem tiefsten Wesen die Öffnung des menschlichen Herzens gegenüber der göttlichen Gabe“ (Dominum et vivificantem, Nr. 51). Die Kirche wird euch unendlich dankbar sein, wenn ihr nicht müde werdet, den Brüdern zu helfen, das göttliche Wort so zu empfangen, wie es ist: von Gott als seine Initiative und seine Gabe geoffenbart und inspiriert, von der Kirche verkündet, in der Liturgie gefeiert und von den Heiligen gelebt. Nur so werden eure Gemeinden in der Lage sein, das Wort angesichts der neuen Ereignisse in authentischer Weise „wieder zu lesen“. „Dieser Geist vervollkommnet den Glauben ständig durch seine Gaben, um das Verständnis der Offenbarung mehr und mehr zu vertiefen“ (Dei verbum, Nr. 5). Wie jede Ortskirche, kann auch die eure mit berechtigtem Stolz auf bedeutende Monumente verweisen, die wie in dieser Kathedrale an die Wirkung dieser Kraft und evangelischen Wahrheit in eurer Heimat erinnern. Ich beziehe mich unter anderem auf Personen, die als strahlende Gestalten im Laufe der Geschichte immer noch größer werden: der erste Apostolische Vikar Dämaso Antonio Larranaga, nach dem eure vor kurzem errichtete Katholische Universität Uruguays benannt wurde; euer erster Bischof, der Diener Gottes Msgr. Jacinto Vera, ein eifriger und vorbildlicher Bischof; und jener große Denker und Lehrer Msgr. Mariano Soler, der erste Erzbischof dieser Kirchenprovinz. Das Beispiel und das unvergängliche Werk dieser und vieler anderer berühmter Namen der Kirche in Uruguay dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Heute ist mehr denn je notwendig, die Fackel der evangelischen Wahrheit hochzuhalten, um den unsicheren und hoffnungslosen Schritten vieler unserer Brüder zu leuchten, die vom rechten Weg abgetrieben werden. Der Weg der Kirche ist der Mensch, in dessen Herz „der Heilige Geist nicht aufhört, Hüter der Ordnung zu sein“ (Dominum et vivificantem, Nr. 67). 3. Trotzdem dürfen wir nicht vergessen, daß die wirksame und verwandelnde Kraft des geoffenbarten Wortes nicht von der menschlichen Beredsamkeit, mit der es verkündet wird, herrührt, sondern von der ihm selbst innewohnenden Wahrheit, das heißt von seiner Authentizität als Wort Gottes. Es ist der 344 REISEN Meister selbst, der es bei der Weitergabe der vom Vater empfangenen Botschaft für notwendig hält zu unterstreichen, daß er in voller Treue zu seiner göttlichen Quelle handle: „Das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat“ (Joh 14,24). Die evangelische Botschaft wird nicht authentisch und infolgedessen nicht imstande sein, das christliche Leben tiefgreifend zu erneuern, wenn es nicht in seiner ganzen Reinheit und Unversehrtheit verkündet wird. Es muß also die Versuchung überwunden werden, das Evangelium auf gewisse Abschnitte zu beschränken, die nach eigenem Geschmack und Gutdünken oder in Übereinstimmung mit vorgefaßten ideologischen Einstellungen interpretiert werden. Hoffnung und Vertrauen sind Untugenden der Kirche Laßt euch nicht entmutigen angesichts eines scheinbaren Mißerfolges in eurem Apostolat. Hören wir dagegen die Stimme Christi, der zu uns, wie einst zu seinen Aposteln, immer wieder sagt: „Fahrt hinaus auf den See! Dort werft eure Netze zum Fang aus!“ (Lk 5,4). Ja, als echte Apostel erheben wir im Augenblick der Gefahr unseren Blick zum Herrn, um ihm zu sagen: „Wir vertrauen auf dich, und in deinem Namen werden wir auch weiterhin die Netze auswerfen; auch auf Kosten von Opfern und Unverständnis müssen wir alle ohne Furcht die vollständige und echte Wahrheit über deine Person, über die Kirche, die du gegründet hast, über den Menschen und über die Welt, die du mit deinem Blut erlöst hast, ohne Einschränkungen oder Zweideutigkeiten verkünden.“ Wir werden daher nicht in rein soziologischen, psychologischen oder politischen Angaben oder Tatsachen die Kriterien für unsere Lehre und unser Verhalten finden, sondern im Glauben, in der Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus und in der vollen Treue zur Lehre der Kirche. 4. Bedenkt, liebe Brüder und Schwestern! Falls ihr nicht diese besonderen lichtvollen Erkenntnisse liefert, die allein aus dem Evangelium aufleuchten, werdet ihr euch kaum oder gar nicht von anderen Sozialanalytikern und Sozialarbeitern unterscheiden. Wenn eure Zuhörer gewahr werden, daß euer Blick nicht mehr über das innerhalb des weltlichen Horizonts Wahrnehmbare hinausgeht, werden sie sich verwundert fragen, wo und worin sich die Originalität eurer Anwesenheit und eurer Botschaft denn äußert. Oftmals macht zum Glück der im Volk Gottes vorhandene „sensus fidei“ (Glaubenssinn) die Gläubigen dafür empfänglich, das echte Brot des Evangeliums unverzüglich anzunehmen, unter Zurückweisung des verfälschten. Euer Bemühen um Evangelisierung, das von Gebet und Buße unterstützt und vom heiligmachenden Geist beseelt und ermutigt wird, wird zur Umkehr füh- 345 REISEN ren müssen, das heißt zur Rückkehr derjenigen zur Wahrheit und Freundschaft mit Gott, die sich durch Verlust der Gnade von ihm entfernt hatten; euer Wort und euer Beispiel müssen für die Gewohnheitschristen Ansporn sein, aus ihrem Zustand aufzubrechen; sie müssen die Seelen begeistern, damit sie mit Freude den Geist der Seligpreisung leben; sie müssen Berufe von Männern und Frauen wecken, die sich für eine völlige Hingabe ihres Lebens an den Dienst Gottes und ihrer Brüder entscheiden. 5. Bei eurer apostolischen Arbeit werdet ihr eine vorrangige Sorge auf die Bekehrung des Herzens legen müssen. Warum? Weil aus dem Innern des Menschen all das kommt, was ihn von seinem Schöpfer trennt und wo die Trennungsschranken zu seinen Brüdern errichtet werden (vgl. Mt 7,20-23). „Die Kirche erachtet es gewiß als bedeutend und dringlich, Strukturen zu schaffen, die menschlicher und gerechter sind, die die Rechte der Person mehr achten, weniger beengend und unterdrückend sind; sie ist sich aber dessen bewußt, daß die besten Strukturen, die idealsten Systeme schnell unmenschlich werden, wenn nicht die unmenschlichen Neigungen im Herzen des Menschen geläutert werden, wenn nicht bei jenen, die in diesen Strukturen leben oder sie bestimmen, eine Bekehrung des Herzens und des Geistes erfolgt“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 36). Das ist der „Nerv“ eurer missionarischen Aufgabe, wo euch niemand wird ersetzen können, da ihr ja kluge Mitarbeiter des Heiligen Geistes, des „Erstbewegers der Evangelisierung“ (ebd., Nr. 75), sein müßt bei einer Arbeit, die normalerweise nicht Aufmerksamkeit hervorruft noch mit rein menschlichen Maßstäben gemessen werden kann. Ehrliche Bewegung hin zu Gott macht die Welt menschlicher Weder Mißerfolg noch Erfolg sollen euch je dazu verleiten, eure Berufung als Diener zu vergessen: überlaßt es dem Herrn, der wachsen läßt, wie und wann er es will (vgl. 1 Kor 3,7), ahmt zugleich den Apostel Paulus nach, der es fertig brachte, Entbehrungen zu ertragen und in Überfluß zu leben, da er zu allem und für alles vorbereitet war: auf Sattsein und Hunger, auf Überfluß und Entbehrung: „Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt“ (Phil 4,12-13). Ich würde wünschen, daß als Frucht unserer Begegnung bei euch das dringende Bedürfnis neu belebt wird, der empfangenen Gnade zu entsprechen, und daß ihr mit erneutem Enthusiasmus auf der Suche nach der Heiligkeit, zu der wir durch Gottes Erwählung bestimmt sind, eure ganze Liebesfähigkeit einsetzt. Nur wenn wir uns um Identifizierung mit Christus bemühen, werden wir wahrhaftig mit dem Apostel sagen können: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). Erst dann werden wir den nötigen Mut auf- 346 REISEN bringen, um die „Zivilisation der Liebe“ aufzubauen, eine Welt, die solidarischer, menschlicher und zugleich göttlicher ist und von der unwiderstehlichen Kraft der Liebe bewegt wird. 6. Wenn die Taufe der entscheidende Augenblick unserer geistigen Einpfropfung in Christus ist, wird das neue Leben, das daraus hervorquillt, um sich entsprechend entwickeln zu können, des dauernden Lebenssaftes der sakramentalen Gnade bedürfen. Angesichts der Möglichkeit eines weiteren Bruches unsererseits richtete der Herr das Sakrament der Buße oder Wiederversöhnung ein. Wie ihr wohl wißt, hat die Bischofssynode von 1983 dieses hochwichtige Thema studiert. In dem Apostolischen Schreiben Reconciliatio et paenitentia werdet ihr die dazugehörigen pastoralen Richtlinien finden. Wir müssen häufig an diese Lebensquelle, die das Sakrament der Wiederversöhnung darstellt, herantreten. Dort werdet ihr immer die liebevollen Arme Gottes unseres Vaters, den wahren Frieden, den allein Christus geben kann, und die echte, dem neuen Leben des Geistes entsprechende Erneuerung finden. Euch Priester ermahne ich als Diener der Wiederversöhnung, zu einer erneuerten Wertschätzung der Feier dieses Sakraments zu gelangen, in dem sich Jesus eurer bedient, um ins Innerste des Herzens zu gelangen. Hört nicht auf zu studieren und zu beten, damit ihr auf der Höhe des Geheimnisses von der Aussöhnung des Menschen mit Gott bleibt, eine so unerhörte Befugnis, daß sie voll Erstaunen ausrufen läßt: „Wer kann Sünden vergeben außer dem einen Gott?“ (Mk2,7). Darum bitte ich euch, stets zur Verfügung zu stehen. Schmälert nicht die Zeit, die ihr euch der Verwaltung dieses Sakraments widmet, um die Gläubigen auf den Weg der Vollkommenheit zu führen. Denkt daran, daß Gott immer auf den Sohn wartet, der nach Hause zurückkehrt, damit ihm mit eurer Hilfe Vergebung und Versöhnung zuteil wird. Und eure eigene Erfahrung, persönlich an dieses Sakrament heranzutreten, soll ein größerer Ansporn für eure pastorale Hingabe und ein weiterer Anlaß sein, ständig eure „österliche Freude“ zu erleben (Presbyterorum Ordinis, Nr. 11). In der Eucharistie scheint das Geheimnis der grenzenlosen Liebe Gottes auf 7. Macht euch den Umgang mit dem in der Eucharistie tatsächlich gegenwärtigen göttlichen Meister zur Gewohnheit. Nur so werdet ihr den Gläubigen das Geheimnis des christlichen Lebens enthüllen können. Das sind Worte von Jesus selbst: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5). Seid Zeugen der Liebe Christi, die in der Eucharistie zum Ausdruck kommt: einer 347 REISEN Liebe, die zu einer grenzenlosen Hochherzigkeit und einer vorbehaltlosen Hingabe an ihn und durch ihn an jeden, der ihn mit aufrichtigem Herzen sucht, anspornt. Wie könntet ihr sonst die Bedeutung eures geweihten Lebens und den Sinn eures totalen Einsatzes ohne diese tägliche und innige Begegnung mit Christus erklärbar machen? Es ist dringend notwendig, in den Gläubigen die Verehrung für dieses unbeschreibliche Sakrament, seine Feier im Meßopfer und seinen häufigen Empfang mit der gebührenden Vorbereitung zu wecken und zu pflegen. Wenn sich das geistliche Wachstum der Gläubigen auf die Eucharistie konzentriert, ist die Lebenskraft der Kirche gesichert. Deshalb hat es mich mit Freude erfüllt, zu erfahren, daß ihr 1988 ein „Eucharistisches Jahr“ zu feiern plant. Immer, ganz besonders jedoch während der Feier dieses Jahres, werdet ihr mit eurer Liebe der ewigen Hingabe Jesu Christi im Sakrament, Vorbild für den Dienst an unserem Bruder, entsprechen müssen. Andererseits wird euch das in Kürze beginnende Märianische Jahr als Vorbereitung darauf dienen, im Abendmahlssaal mit Maria zu leben (vgl. Apg 1,14) und wie sie mit dem Erlösungsopfer Christi verbunden zu sein, das in der Eucharistie aktualisiert wird. 8. In den letzten Jahren ist innerhalb der apostolischen und pastoralen Sendung der Kirche mit besonderer Entschlossenheit und Nachdruck die sogenannte „bevorzugte Option für die Armen“ unterstrichen worden. Wie ihr wißt, stieß diese vom Zweiten Vatikanischen Konzil (vgl. Lumen gentium, Nr. 8) betonte Vorliebe für die Armen sogleich in der ganzen Kirche und ganz besonders in Lateinamerika auf warme Annahme. Es könnte gar nicht anders sein, da es sich um die ewige Botschaft des Evangeliums handelt. So hat Christus gehandelt (vgl. Lk 4,18); so machten es die Apostel; und auf diese Weise hat die Kirche während ihrer zweitausendjährigen Geschichte gelebt. Armut — nicht nur eine Frage des Geldes Doch durch diese Tatsache, „bevorzugt“ zu sein, weist diese „Option“ darauf hin und impliziert, daß sie weder ausgeschlossen noch ausschließend sein darf. Die Heilsbotschaft, die uns Christus bringt, ist für „alle Geschöpfe“ (Mk 16,15) bestimmt. Es handelt sich um eine „Option“, die sich auf das Wort Gottes gründet und nicht auf Kriterien, die von Humanwissenschaften oder gegensätzlichen Ideologien geliefert werden, welche die Armen oft auf wirtschaftliche oder sozio-politische Kategorien beschränken. Sie jedoch muß sich verwirklichen, indem sie den Menschen ganzheitlich sieht, das heißt mit seiner irdischen und ewigen Berufung. Und genau hier entdecken wir im Licht der Offenbarung, daß die absoluteste Armut die Gottverlassenheit als 348 REISEN Folge der Sünde ist. Folglich ist die erste Befreiung, wofür Christus gekommen ist, dem Menschen zu bringen, die Befreiung von der Sünde, vom moralischen Übel, das in seinem Herzen nistet und das seinerseits Wurzel und Ursache der Strukturen der Unterdrückung ist. Ihr werdet euch wirksam den Armen und ihren Problemen nähern, um sie dem Evangelium gemäß zu erleuchten, wenn ihr das Herz eines Armen habt, der das Wort Gottes so aufnimmt, wie es ist, und wenn ihr ein Leben echter Selbstlosigkeit in der Nachfolge Christi annehmt. 9. Wer sich wie ihr, Priester und geweihte Personen, bedingungslos für Christus entschieden hat, muß immer Baumeister der Einheit sein, nie der Spaltung im Namen bestimmter ideologischer Auffassungen oder politischer Wahltaktiken, so berechtigt sie sein mögen. Ihr habt die Verantwortung, die sittlichen und moralischen Prinzipien zu verkünden sowie die konkreten Anwendungen der Grundprinzipien, die die wirtschaftliche, soziale und politische Tätigkeit inspirieren müssen, damit sie wahrhaft „human“, „menschlich“ sind. Überlaßt jedoch den zuständigen und gut ausgebildeten Laien in ihrem moralischen Bewußtsein die Ordnung der irdischen Angelegenheiten, und nehmt nicht ihren Platz ein, während ihr den spezifisch euch zugedachten vernachlässigt. Solches Verhalten weist keineswegs auf Gleichgültigkeit den irdischen Problemen gegenüber hin, sondern ist Zeichen einer radikalen Berufung, die ihr aus erhabeneren Gründen angenommen habt. Christus braucht viele Hände für viele Aufgaben 10. Mir ist bekannt, daß viele von euch, geliebte Ordensleute und geweihte Personen, in qualifizierter Weise in den verschiedenen Bereichen des kirchlichen Apostolats vertreten sind: in den Pfarreien und Gemeinden, in den Kollegien und Spitälern, auf dem Land. Ich weiß, daß ihr mit den Kindern, mit den Jugendlichen, mit den alten Menschen, mit den Studenten, mit den Kranken, mit den Armen und Ausgestoßenen und mit vielen anderen Personengruppen arbeitet, die alle materielle und geistliche Hilfe nötig haben. Arbeitet mit Freude und Begeisterung in diesen Diensten und auch in den bescheidenen und wenig angesehenen Aufgaben, die nun einmal zur Evangelisierungstätigkeit als ganzer gehören. Vergeht nicht, daß die Liebe Gottes durch euch und über euch geht, denn er hat von eurem Herzen und euren Händen und von eurem ganzen Leben Gebrauch machen wollen, um sich zu allen hin auszustrecken und allen nahezukommen. Nicht wenige von euch widmen sich aus Berufung dem Unterricht auf seihen verschiedenen Ebenen, von der Elementarschule und höheren Schule bis zur 349 REISEN Katholischen Universität, die vor kurzem gegründet wurde. Das erzieherische Wirken bedarf der umfassenderen Unterstützung und hochherzigen Mitarbeit der ganzen Ortskirche, damit der gesäte Samen zu einem dichtgewachsenen Baum werden kann und reife und reichliche Früchte zum Wohl der gesamten Gesellschaft Uruguays hervorbringt. Groß ist eure Verantwortung, wenn ihr eure Kräfte einem Gebiet widmet, das fürdieGegenwartundZukunftdes Lebens der Kirche in euremLand von so großer Bedeutung ist. Denkt daran, daß sieeuch, euch in besonderer Weise, die ungeheure Aufgabe der Evangelisierung der Kultur in einer Welt anvertraut hat, die, auch wenn sie einerseits immer säkularisierter erscheint, andererseits bekundet, daß ohne Gott das Leben des Menschen keinen Sinn hat. Nur eine von christlicher Hoffnung durchdrungene Kultur, die auf diese überaus wichtigen Besorgnisse des menschlichen Herzens Antwort zu geben vermag, wird den Namen eines „neuen Humanismus“ verdienen, „in dem der Mensch sich vor allem von der Verantwortung für seine Brüder und die Geschichte her versteht ‘ (Gaudium et spes, Nr. 55). Inder Welt leben, aber nicht aus der Welt 11. Auch hier sind die Ordensfrauen der Klausurorden anwesend, die aus den verschiedenen Klöstern kommen, die es in Uruguay Gott sei Dank gibt. Ihr wißt, liebe Töchter, daß ihr im Herzen der Kirche einen priviligierten Platz einnehmt, weil ihr nach Art der hl. Theresa von Jesus und vieler anderer kontemplativer Seelen gleichsam „die Liebe im Herzen der Kirche“ seid. Ihr lebt mit der tiefen Freude zu wissen, daß ihr durch euer anspruchsvolles und strenges Leben auch Glaubensverkünderinnen, Evangelisatoren mit „geheimnisvoller apostolischer Fruchtbarkeit“ seid (vgl. Perfectae caritatis, Nr. 7). Danke für euer Gebet und für eure hochherzige Hingabe aus der Stille des Kreuzganges! Und ihr, geliebte ständige Diakone und Seminaristen! Ihr sollt wissen, daß ihr die schöne Hoffnung der immer jungen Kirche seid. Ich bin gewiß, daß ihr sie nicht enttäuschen werdet. Liebe Seminaristen, wenn ihr den Mut habt, auszuharren, indem ihr eure Freude über eure Berufung zeigt, Zeichen und Zeugen des Guten Hirten zu sein, werden viele Jugendliche ohne Furcht eurem Beispiel folgen, sich voll und ganz dem Dienst Gottes und der Kirche zum Wohl der Brüder zu widmen. Die geweihten Personen, die Säkularinstituten oder Vereinigungen apostolischen Lebens angehören, möchte ich ermuntern, ihre Evangelisierungsarbeit mit immer wieder neuer Hochherzigkeit und Enthusiasmus weiterzuführen, während sie die Weihe in der Welt leben, um die menschlichen Situationen und Strukturen mit dem Evangelium zu durchdringen. 350 REISEN 12. Zum Abschluß dieser willkommenen Begegnung vertraue ich alle und jeden und jede einzelne von euch der mütterlichen Sorge der allerseligsten Jungfrau Maria, Stern der Evangelisierung, an. Ihr der Mutter Jesu Christi und Mutter der Kirche, vertraue ich auch eure apostolischen Sorgen an. Eure Schutzpatronin, die Jungfrau der Dreiunddreißig, möge euch helfen, stets getreu euren Verpflichtungen und Idealen zu leben, voll Freude darüber, daß ihr euer von allem Egoismus entleertes Leben zu einer Schenkung an Gott und an die Brüder gemacht habt. Mit diesen Wünschen erteile ich euch und allen euren Brüdern und Schwestern von Herzen meinen Apostolischen Segen. Vom Geist des Evangeliums beseelt Ansprache bei der Ankunft in Santiago de Chile am 1. April Herr Präsident der Republik, meine Herren Regierungsmitglieder, geliebte Brüder im Bischofsamt, Vertreter der Zivil- und Militärbehörden, geliebte Brüder und Schwestern! 1. Gelobt sei Jesus Christus! Dies sollen die ersten Worte sein, die auf dem mir lieben Boden Chiles über meine Lippen kommen. Mit ihnen möchte ich meinen Gruß, mein Gebet und mein Motto meines apostolischen Dienstes zum Ausdruck bringen, gilt doch mein Streben als Hirte der Weltkirche und gleichzeitig auch das Streben der Kirche nur dem Lob und dem Ruhm Jesu Christi und der Verkündigung seines heiligen Namens an alle Völker, da es keinen anderen Namen gibt, in dem wir das Heil finden können (vgl. Apg 9,12). Auf meinen ausgedehnten Pastoraireisen in den verschiedenen Zonen der Erde komme ich heute zu dieser geliebten Nation. Mit großer Freude und tiefer Dankbarkeit gegen Gott und seine teure Mutter habe ich mit tiefer Bewegung den Boden dieses geschätzten Landes geküßt; ich wollte auf diese Weise mit ausdrücklicher Sympathie und besonderer Liebe alle Chilenen ohne Unterschied umarmen: die Männer und Frauen, die Familien, die betagten Menschen, die Jugendlichen und die Kinder. Ich komme zu euch als Diener der Diener Gottes, als Bischof von Rom, der den Pilgerstab in der Hand hält, das Kreuz Christi, des Retters, und der sich zum Sendboten der Evangelisierung, zum Boten neuen Lebens und des wahren Friedens macht: „Friede sei mit euch allen, die ihr in der Gemeinschaft mit Christus seid“, sage ich zu euch mit den Worten des hl. Petrus (i Petr 351 REISEN 5,14). Dieser Gruß spricht den tiefsten Wunsch aus, den ich als euer Bruder und als Hirte eurer Seelen im Herzen trage. 2. Gott schenkt mir heute die Gnade, meinen so sehnlichen Wunsch, euch zu besuchen, verwirklicht zu sehen. Meine Freude darüber ist groß. Ich danke für den herzlichen Willkommensgruß, mit dem ihr eurer großzügigen Gastfreundschaft Ausdruck verliehen habt, einer Eigenschaft dieses vornehmen und liebenswürdigen chilenischen Volkes. Ich weiß, daß ihr schon lange auf diese Begegnung gewartet habt, daß es euer sehnlicher Wunsch war, den Papst zu empfangen, um ihm eure Liebe zum Ausdruck zu bringen und das Band der Treue zu festigen, das euch mit dem Nachfolger Petri vereint. Bei diesem Besuch in eurem Land lobe und preise ich Gott, der es mit Naturschönheiten reich gesegnet hat und hier — wie eure Sagen berichten — all das konzentrierte, womit er das Schöpfungswerk vollenden wollte: Gebirge, Seen und Meere, verschiedene Klimazonen, reiche Vegetation und dürre Wüsten, bezaubernde Farben und Panoramen. Ich bewundere die natürliche Schönheit eures Landes, vor allem jedoch bewundere ich euren Glauben, den ich stärken und neu entfachen möchte. Ihr seid ein christliches Volk, und das ist euer größter Reichtum. Ihr habt das Licht des Evangeliums schon vor fast 500 Jahren empfangen, und jetzt kommt der Nachfolger Petri, um euch zu ermutigen, das Evangelium von neuem ernsthaft zu leben. 3. Meine Pilgerfahrt durch eure Städte Santiago, Valparaiso, Punta Arenas, Puerto Montt, Concepciön, Temuco, La Serena und Antofagasta Wird also eine Reise zur Verkündung des Evangeliums sein. Meine Botschaft gilt in gleicher Weise allen Söhnen und Töchtern Chiles; sie ist eine österliche Botschaft und daher eine Botschaft des Lebens: des Lebens in Christus, der in seiner Kirche gegenwärtig ist, auch in der Kirche von Chile, um in der Welt den Sieg des Guten über das Böse zu fordern, den Sieg der Liebe über den Haß, der Einheit über die Rivalität, der Hochherzigkeit über den Egoismus, des Friedens über die Gewalt, des friedlichen Zusammenlebens über den Kampf, der Gerechtigkeit über die Ungerechtigkeit, der Wahrheit über die Lüge: mit einem Wort, den Sieg des Verzeihens, des Erbarmens und der Versöhnung. Dieses Leben in Christus und durch ihn ist es, das der menschlichen Existenz hier auf Erden ihre Fülle verleiht, während es gleichzeitig Unterpfand des ewigen Lebens im Himmel ist. 4. Mit dem Evangelium in der Hand möchte ich mich als Pilger im Herzen aller Männer und Frauen Chiles fühlen, im Herzen dieses Volkes, das mit Ge- 352 REISEN genwartsproblemen, die eine Herausforderung darstellen, seine konkrete historische Erfahrung lebt. Ich komme, um an eurem Glauben, euren Sorgen, euren Freuden und Leiden teilzuhaben. Ich bin hier, um eure Hoffnung neu zu beleben und euch mit brüderlicher Liebe zu stärken. Als Sendbote Christi, als Verkünder seiner Botschaft im Dienst des Menschen, in Einheit mit allen Hirten der Kirche verkünde ich die unveräußerliche Würde der menschlichen Person, die von Gott nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen wurde und für das ewige Heil bestimmt ist. Von diesem ausschließlich religiösen und pastoralen Geist beseelt, möchte ich mit euch das Ostergeheimnis Jesu Christi feiern, um ihn in der Geschichte eurer geliebten Heimat präsent zu machen. Wir werden gemeinsam die Lehren des Herrn betrachten, gemeinsam beten und gemeinschaftlich versuchen, die Botschaft des göttlichen Erlösers in unser Herz und in die Strukturen der Gesellschaft eindringen zu lassen, um sie nach dem Plan Gottes zu verwandeln durch die Bekehrung der Herzen und den Aufbau eines versöhnten Landes. 5. Mit Freude habe ich die liebenswürdige und wiederholte Einladung sowohl des Herrn Präsidenten der Republik als auch eurer Bischöfe zu einem Besuch bei euch angenommen. Ihnen, Herr Präsident, gilt mein ergebener Gruß und der Ausdruck meiner Dankbarkeit für Ihre herzlichen Worte des Willkommens. Ein Gruß und ein Dank, der sich auch auf die übrigen hier anwesenden Persönlichkeiten erstreckt: auf die Mitglieder der Regierungsjunta, die Staatsminister, die Mitglieder des Obersten Gerichtshofes und die übrigen Vertreter der zivilen und militärischen Behörden. Meinen Gefühlen des Dankes gebe ich Ausdruck durch die herzliche Umarmung meiner Brüder im Bischofsamt, die hier anwesend sind, um mich im Namen der geliebten Kirche von Chile willkommenzuheißen. Herzlich grüße ich auch die Priester, Ordensleute, Katechisten und Laien, die mit ihrem apostolischen Wirken und ihrem christlichen Zeugnis das Reich Christi in Treue zu Gott und der Kirche aufbauen. Schließlich grüße ich alle Bewohner des Landes, welcher sozialen Schicht sie auch immer angehören mögen; insbesondere jedoch gilt mein liebevoller Gruß den Armen, den Kranken, den an den Rand Gedrängten und allen, die an Leib oder Seele leiden. Sie sollen wissen, daß ihnen die Kirche nahe ist, sie liebt, sie in ihren Nöten und Schwierigkeiten begleitet, ihnen helfen will, die Prüfungen zu bestehen und sie aufruft, auf die göttliche Vorsehung und auf die für das Opfer versprochene Belohnung zu vertrauen. 353 REISEN 6. Vom Geist des Evangeliums, der Freundschaft und Brüderlichkeit beseelt, möchte ich meinen Besuch beginnen. Zu Beginn meiner Pilgerfahrt im Frieden Christi richte ich voll Vertrauen meinen Blick auf das Nationalheiligtum von Maipu, um eure Herrin, die allerheiligste Jungfrau vom Berg Karmel, zu bitten, mich zu erleuchten und meine Schritte auf den Straßen Chiles zu lenken. „Du (Maria) bist das Gedächtnis der Kirche! Die Kirche lernt von dir, Maria, daß Mutter sein ein lebendiges Gedächtnis haben bedeutet, d. h. die Geschicke der Menschen und Völker im Herzen zu bewahren und darüber nachzudenken; die freudigen und die schmerzhaften“ (Neujahrspredigt, 1.1.87, Nr. 7). Möge Gott durch die machtvolle Fürbitte Mariens, der Mutter Chiles, der Jungfrau des Nordens und Südens, der Herrin des Meeres und des Gebirges, dieses Land segnen. Geliebte Chilenen: Gott segne dieses Volk mit dem Frieden und erwecke in euren Herzen die Freude des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung, die ich aus ganzem, Herzen in diesen Tagen mit euch teilen möchte! Gelobt sei Jesus Christus!: Christus ist der endgültige Sieg Ansprache an die Priester, Ordensleute, Diakone und Seminaristen in der Kathedrale von Santiago de Chile am 1. April 1. „Seht doch auf eure Berufung, Brüder!“ (7 Kor 1,26). Mit diesen Worten lud der Apostel Paulus die Christen von Korinth zum Nachdenken über die Bedeutung der eigenen Berufung ein. Mit diesen Worten möchte ich heute beginnen, liebe Priester, Ordensleute, Diakone und Seminaristen, und euch einladen, über das Geschenk nachzudenken, das jeder von euch empfangen hat, als er von Gott gerufen wurde, damit ihr noch einmal die Größe eurer Berufung erkennt und von Dankbarkeit gegenüber demjenigen erfüllt werdet, der Großes an euch getan hat (vgl. Lk 1,49). „Da sind nicht viele Weise im irdischen Sinn, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme“ (7 Kor 1,26). Seht, meine Brüder, den Ansatzpunkt, den der Apostel hervorheben will: die Unzulänglichkeit unserer menschlichen Mittel und Möglichkeiten, der beschränkte Wert unserer Fähigkeiten für die Sendung, die Christus den Dienern seiner Kirche anvertraut hat. Ohne Zweifel rückt uns gerade diese Wirklichkeit — das klare Bewußtsein der persönlichen 354 REISEN Unwürdigkeit — mit evangelischem Verhalten an die göttliche Erwählung „näher heran“ und unterstreicht außerdem den übernatürlichen Geschenkcharakter des Rufes, dessen Ziel wir gewesen sind. Ja, geliebte Brüder, Gott hat uns nicht um unserer Verdienste wegen erwählt, sondern kraft seiner Barmherzigkeit. In der Tat, „von ihm her seid ihr in Christus Jesus, den Gott für uns zur Weisheit gemacht hat, zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung. Wer sich also rühmen will, der rühme sich des Herrn“ (1 Kor 1,30-31). Die übernatürliche Gabe, die wir empfangen haben, muß uns daher dazu veranlassen, uns nur und ausschließlich in Christus zu rühmen. Wer sich bewußt ist, nichts zu sein, vermag zu entdecken, daß Christus alles für ihn ist (vgl. Joh 20,28); daß sich in Christus die einzige Quelle seiner wahren Existenz befindet; und dieses Rühmen in Christus stellt genau das charakteristische Merkmal dar, das die echte persönliche Demut und die daraus folgende unumwundende Selbsthingabe an Gott und an die Brüder kundtut. Wenn wir dagegen uns für weise, uns selbst genügend und überlegen hielten, würden wir uns im Irrtum befinden und unsere Arbeit wäre fruchtlos, denn er bedient sich „des Niedrigen und Verachteten der Welt; das, was nichts ist, hat Gott erwählt, um das, was etwas ist, zu vernichten, damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott“ (vgl. 1 Kor 1,28-29). 2. Liebe Brüder, der Augenblick, in dem ich tiefbewegt zum ersten Mal diese gesegnete chilenische Erde geküßt habe, liegt noch nicht lange zurück. Nun finde ich mich mit euch in der Kathedrale von Santiago versammelt, um Gott unserem Herrn zu danken, der meine Schritte hierher gelenkt hat, und auch, um die Heiligste Dreifaltigkeit durch die Fürsprache der seligen Jungfrau Maria, Patronin dieser Kirche, zusammen mit euch zu bitten, daß es viele Früchte der Erneuerung und Heiligkeit bei allen und bei jedem einzelnen der Mitglieder dieser Kirche Gottes geben möge, die sich auf dem Pilgerweg in Chile befindet und von der ihr einen ausgewählten Teil repräsentiert. Denkt daran, daß ihr von Gott in einem besonders wichtigen Augenblick berufen worden seid. Die Kirche bereitet sich nämlich darauf vor, das dritte Jahrtausend ihrer Pilgerschaft zum Hause des himmlischen Vaters, zum himmlischen Jerusalem zu beginnen. Lateinamerika bereitet sich überdies darauf vor, das Gedächtnis an die vor 500 Jahren einsetzende Evangelisierung der Menschen der Neuen Welt zu feiern. Das alles wird ein Anlaß sein, mit Hilfe des Heiligen Geistes eure Verpflichtung und Treue zur Sendung der Glaubensverkündigung, die die Kirche hier vor nunmehr beinahe fünf Jahrhunderten begonnen hat, zu erneuern. 355 REISEN Die Realität der Erlösung verlangt Kontinuität des Glaubens 3. Darum „dankt dem Vater mit Freude! Er hat euch befähigt, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind“ (Kol 1,12). Mit diesem Dank an den Vater und mit der demütigen und gehorsamen Haltung, an die uns der hl. Paulus gerade vorhin gemahnte, betrachtet nun eure Eignung. Sie folgt daraus, daß wir von Christus der Macht der Finsternis entrissen und in das Reich seines geliebten Sohnes aufgenommen worden sind, um so „die Erlösung, die Vergebung der Sünden“ zu erhalten (vgl. Kol 1,13-14), „denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut“ (Kol 1,19-20). In Christus ist alles Übel besiegt worden; der Tod ist an seiner Wurzel selbst, die die Sünde ist, geschlagen worden. Christus ist in die Tiefe des menschlichen Herzens mit der mächtigsten Waffe hinabgestiegen: der Liebe, die stärker ist als der Tod (vgl. Hld 8,6). So bewegen wir Christen — und insbesondere wir Priester — uns nicht unsicheren Schrittes in der Geschichte voran. Wir können keinen unsicheren Schritt haben, weil wir von der „Macht der Finsternis“ befreit worden sind (vgl. Kol 1,13); wir gehen auf dem rechten Weg voran, weil wir „Anteil haben am Los der Heiligen, die im Licht sind“ (Kol 1,12). Darum kann jede Unsicherheit, die uns auflauern mag, jede Versuchung, ob sie persönlichen Charakter hat oder die Wirksamkeit unserer Sendung und unseres Dienstes betrifft, überwunden werden in dieser großartigen Sicht der Vereinigung mit Christus, in dem wir alles vermögen, weil er unser endgültiger Sieg ist. In ihm liegt der Anfang und die Wurzel unseres persönlichen Sieges; in ihm finden wir die nötige Kraft, umjede Schwierigkeit zu überwinden, denn der Herr ist für uns Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung. 4. Meine Lieben, Christus lebt! Er lebt heute und ist in der Kirche und in der Welt machtvoll am Werk. Und wir sind aufgerufen, in seinem Namen und an seiner Statt tätig zu sein: in nomine et in persona Christi (Presbyterorum Ordi-nis, Nr. 2.13). Wir verkündigen den Menschen seine Erlösungstat, wir feiern in den Sakramenten sein Heilswerk, wir lehren die Befolgung seiner Gebote. Christus lebt heute und er setzt die Entfaltung seines Erlösungswerkes in der Kirche unablässig fort. Vielsagend sind in diesem Sinn die Worte des Psalmisten, die wir vorhin gesprochen haben: „Du bist Priester auf ewig“ (Ps 110,4). Christus! Du bist der eine und ewige Hohepriester. Du bist der eine Priester des einmaligen Opfers, bei dem du auch die Opfergabe bist (vgl. Hebr 5;7;8;9). Du bist der eine und einzige Ursprung des Priesteramtes in der Kirche. 356 REISEN 5. Die Antwort, die diesem Geschmack entspricht, kann nur die völlige Hingabe sein: ein Akt vorbehaltloser Liebe. Die freiwillige Annahme des.göttlichen Rufes zum Priestertum war zweifellos ein Akt der Liebe, der jeden von uns zu einem Verliebten gemacht hat. Die Ausdauer und die Treue zu der empfangenen Berufung besteht nicht nur darin zu verhindern, daß diese Liebe ermattet oder gar verlöscht (vgl. Offb.2,4), sondern hauptsächlich darin, sie anzufachen, zu bewirken, daß sie von Tag zu Tag wächst. . Christus, der sich am Kreuz aufgeopfert hat, gibt uns das Maß für diese Hingabe, er spricht zu uns von einer Liebe, die dem Vater gehorsam war, um alle zu retten (vgl. Phil 2,6ff). Diese Liebe und diesen Gehorsam muß der Priester am Altar und im Leben bekunden, indem er versucht, sich völlig mit Christus, dem ewigen Priester, zu identifizieren. Wie ich bei anderer Gelegenheit gesagt habe: „Ein Priester ist soviel wert wie sein eucharistisches Leben, vor allem seine Messe. Messe ohne Liebe: das Wirken des Priesters bleibt ohne Erfolg; Messe in Liebe und Hingabe: der Priester findet Zugang zu den Seelen. Eucharistische Frömmigkeit vernachlässigt und ungeliebt: das Priestertum ist schwach und gefährdet“ (An den italienischen Klerus, 16. Februar 1984). Wir müssen auch beachten, daß unser Dienst darauf abzielen muß, die Menschen „der Macht der Finsternis“ zu entreißen und sie durch „die Erlösung, die Vergebung der Sünden“ in „das Reich seines geliebten Sohnes“ zu führen (vgl. Kol 1,13-14). Pastoral — die Schafe an der Quelle Christi weiden 6. Ihr versteht, daß ich euch einlade, eine Pastoral zu verwirklichen, die wir die Pastoral vom Vorrang Christi in allem nennen könnten. Wir müssen die Menschen zu Christus, dem Erlöser des Menschen, führen. In ihm ist alles, in ihm wohnt die Fülle, in ihm ist das Böse bereits besiegt worden. Deshalb geht es in unserer Verkündigung immer um Hoffnung, Frieden, Vertrauen und Gelassenheit. Mit dem Dienst des Wortes Gottes wenden wir uns an das Bewußtsein jedes einzelnen, damit es sich Christus öffnet, und erleuchten es mit der Lehre des Meisters: dieselbe Lehre, die wir studieren, über die wir meditieren und die wir auf unser eigenes Leben anwenden. In unsere priesterlichen Hände, geliebte Brüder, hat Christus den unermeßlichen Schatz der Erlösung, des Nachlasses der Sünden, gelegt. Ich möchte euch ermahnen, diese Heilswirklichkeit nicht zu vernachlässigen. Zeigt stets eine besondere Wertschätzung für das Sakrament der Wiederversöhnung, in dem die Christen den Nachlaß der Sünden empfangen. Ihr müßt eine Pa-storaltätigkeit entwickeln, die die Gläubigen zur persönlichen Umkehr an- 357 REISEN spornt, weshalb ihr dem Dienst der Vergebung mit Hochherzigkeit, mit der Geduld echter „Menschenfischer“ die ganze dafür erforderliche Zeit widmen müßt. Andererseits wird der Priester, wenn er die Seelen auf diesem Weg der Umkehr leiten soll, selbst auf ihm vorauseilen müssen; indem er sich zu Gott bekehrt, sich wieder zu ihm wendet, sooft es notwendig ist. Ihr müßt ständig offen sein für Christus, Quelle dieser Erlösung, deren Werkzeuge in Gottes Händen ihr seid. 7. „Wer sich sich rühmen will, der rühme sich des Herrn“ (1 Kor 1,31). Die ganze Kirche bringt Gott Lobpreis dar. Und eine der wichtigsten Bekundungen dieses Lobes ist gewiß das Zeugnis der Ordensmänner, Ordensfrauen und Mitglieder von Säkularinstituten. Die Kirche, geliebte Brüder, braucht euer Zeugnis und euren Dienst. Beachtet, daß für die Ausführung der Sendung, die Gott euch anvertraut hat, euer Leben unbedingt Zeugnis des Geistes sein muß, der die Gründer eurer jeweiligen Ordensfamilien bestimmte. Kämpft also gegen jede Versuchung an, die euch verleiten könnte, die Forderungen der evangelischen Räte, zu denen ihr euch bei Ablegung eurer Ordensgelübde verpflichtet habt, zu vernachlässigen. Liebt das Gemeinschaftsleben; geht weiter auf dem guten Weg des Gehorsams gegenüber euren Oberen und wirkt auf diese Weise mit, dem Gemeinschaftsleben eine tatsächliche spürbare Einheit zu verleihen; haltet das äußerliche Zeichen hoch, das eure Weihe an Gott unverwechselbar kennzeichnen muß. Stellt euch im betrachtenden Gebet oft die kirchliche Bedeutung eurer Weihe in der eschatologischen Sicht des Reiches vor Augen. So wird sich eure Verbundenheit mit der ganzen Kirche stärken, ihr werdet den absoluten Wert der Hingabe an Christus kundtun und euer Leben wird reiche Frucht tragen. Auch ihr alle, die ihr euch in Säkularinstituten Gott geweiht habt, werdet durch eure apostolische Arbeit, die sämtliche zeitlich-irdischen Wirklichkeiten an Gott herantragen will, ein erbauendes Zeugnis geben. Aus theologisch geprägter Spiritualität schöpft der Seelsorger Kraft 8. Nun wende ich mich in besonderer Weise an euch, ständige Diakone und Seminaristen. Zusammen mit allen meinen Brüdern im Bischofsamt sage ich euch, daß die Kirche in Chile auf euch eine besondere Hoffnung setzt. Ich möchte, daß ihr in diesem Vertrauen auch einen Aufruf an eure Verantwortung seht. Es ist Christus, der euch gerufen hat! Der Papst und die Bischöfe danken Gott zusammen mit euch für das Geschenk eurer Berufung, das er seiner Kirche macht, und wir werden euch zu helfen versuchen mit dem Ziel, daß euer Ja zu Christus ein volles Ja ist. 358 REISEN Vernachlässigt in keinem Augenblick eure geistliche Vorbereitung! Entfaltet sie im Einklang mit den anderen Aspekten eurer Ausbildung. Liebt das Studium, das ein unumgängliches Werkzeug des pastoralen Dienstes ist, und macht es, liebe Seminaristen, zur Nahrung der persönlichen Meditation. Pflegt eine ausdauernde und solide Frömmigkeit; ruft Maria, die Mutter des ewigen Hohenpriesters, an, damit sie eure Schritte zum Priesteramt als Mutter leite. 9. Mit Worten des hl. Lukas möchte ich jetzt allen folgendes in Erinnerung rufen: „Jesus betete einmal an einem Ort; und als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten!“ (Lk 11,1). Sie hatten Jesus im Gebet gesammelt gesehen und verspürten das tiefe Verlangen, ihn nachzuahmen. Das Beispiel des Meisters weckte in den Jüngern das Bedürfnis, mit dem Vater zu sprechen. Auch ich will von dieser Kathedrale in Santiago aus im Namen aller meine inständige Bitte an ihn richten: Herr, lehre uns beten! Zeige uns die Wirkung des Gebets! Auch wir wollen deinem Beispiel folgen! Ja, liebe Brüder, wir müssen unbedingt jeden Tag Zeit finden können, um uns im persönlichen Gespräch mit Gott zu sammeln. Dieser Dialog ist für unseren Dienst unentbehrlich, denn die Priester werden — wie das Dekret Presbytero-rum Ordinis sagt — „beim Nachdenken, wie sie die Früchte ihrer eigenen Betrachtung anderen am besten weitergeben können, noch inniger ’den unergründlichen Reichtum Christi“ (Eph 3,8) und die vielfältige Weisheit Gottes verkosten“ (Nr. 13). In der Tat, wie sollen wir sie anderen zur Kenntnis bringen können, wenn wir uns nicht selbst darum bemühen? Wie werden wir in den Gläubigen eine glühende Liebe zu Gott zu entzünden vermögen, wenn wir nicht durch ständigen, lebendigen Umgang mit ihm verbunden sind? In meinem Gründonnerstagsschreiben an alle Priester im vergangenen Jahr stellte ich ihnen das Beispiel des heiligen Pfarrers von Ars vor und lud sie ein, im Lichte des Lebens dieses vorbildlichen Seelsorgers über unser Priestertum nachzudenken. Ich will nun in Erinnerung rufen, was ich bei dieser Gelegenheit schrieb: „Das Gebet war die Seele seines Lebens: das stille,.betrachtende Gebet, gewöhnlich in seiner Kirche, zu Füßen des Tabernakels. Durch Christus öffnete sich seine Seele den drei göttlichen Personen, denen er in seinem Testament 'seine arme Seele“ anvertraut. Er bewahrte eine ständige Verbindung mit Gott inmitten seines äußerst arbeitsreichen Lebens. Er vernachlässigte weder das Breviergebet noch den Rosenkranz und wandte sich spontan an die Jungfrau Maria“ (Sacerdotii nostri primordia — Gründonnerstags-schreiben 1986—, Nr. 11). 359 REISEN 10. Zu Beginn habe ich euch von dem wunderbaren Geschenk gesprochen, das wir im göttlichen Ruf empfangen haben. Ich will diese Begegnung nicht beenden, ohne noch einige Worte über die Verantwortung für die Förderung neuer Priesterberufe hinzuzufügen. Sie muß eine vorrangige Sorge sein, die sich in unserem Gebet und in unserem Apostolat äußern muß. Ich bitte die Jungfrau Vom Karmel, die in Chile als Patronin verehrt wird, daß, durch euren Eifer und eurer Beispiel angeregt, sich viele Seelen in Priestertum und Ordensleben Christus weihen mögen. Die Kirche Chiles braucht sie, um in dieser neuen Phase die ungeheure Evangelisierungsaufgabe weiterzuführen. Heilige Maria, Königin Chiles, Königin Amerikas, lege bei deinem Sohn Fürbitte ein und höre uns! Mit großer Zuneigung zu allen und zu jedem einzelnen von euch erteile ich euch den Apostolischen Segen. Die Botschaft des Lebens und des Friedens teilen Gruß an Chile zu Füßen der Immaculata am 1. April „Meine Seele preist die Größe des Herrn“ (Lk 1,46). 1. Von diesem schönen St. Christophs-Hügel aus möchte ich mit den Worten Marias im Magnifikat einen Gruß an Santiago und an ganz Chile richten. Ja, meine Seele preist die Größe des Herrn, wenn ich das Schauspiel der Stadt betrachte, die sich zu Füßen der Kordilleren ausdehnt. Mein Gebet und meine Liebe gelten euch allen, die ihr persönlich oder über Radio oder Fernsehen an dieser abendlichen Feier teilnehmt. Der liebevolle Gruß des Papstes möge in alle Winkel dieses vornehmen Landes gelangen: von der Atacama-Wüste bis zum Feuerland, die Anden entlang, das Rückgrat Amerikas, in den Vulkanen widerhallend, sich in den Seen spiegelnd und in den Wäldern widerklingend und als Freund das Herz jedes einzelnen Chilenen berührend, um ihm Hoffnung und Freude und den Willen zu schenken, die Schwierigkeiten zu überwinden und weiterhin am Aufbau der neuen Gesellschaft — der großen Familie Chiles — mitzuwirken. Bewegt danke ich für die herzlichen Worte, die Erzbischof Bernardino Pinera, der Vorsitzende der Chilenischen Bischofskonferenz, im Namen der Bischöfe und der ganzen Kirche in Chile an mich gerichtet hat. Auf diesem vom Bild der ohne Erbsünde empfangenen Gottesmutter gekrönten Hügel und im Hinblick auf ihr Magnifikat empfinde ich zutiefst, wie der Allmächtige weiter große und wunderbare Werke in euch allen wirkt, die ihr wie lebendige Steine (vgl. 1 Petr 2,5) die Wirklichkeit dieser Kirche darstellt. 360 REISEN Zeichen und Vorgriff der Verheißungen des Himmelreiches 2. Mein Lobgesang steigt zu Gott empor für die Priester, die mit ihrem hochherzigen Einsatz die Familie Gottes in einer geschwisterlichen Gemeinschaft vereinen und sie durch Christus und im Geist dem Vater entgegenführen (vgl. Lumen gentium, Nr. 28). Ich lobe den Herrn für die Diakone, in deren so verdienstvollem Amt sich in besonderer Weise die Worte Jesu widerspiegeln, er sei gekommen, zu dienen und nicht, um bedient zu werden (vgl. Mt 20,28); denn ihr Wirken stellt eine wertvolle Hilfe für die pastorale Tätigkeit der Bischöfe und Priester dar. Ich lobe den Herrn für die Ordensleute, die durch ihre Weihe und ihren Dienst am Nächsten Zeichen und Vorgriff der Verheißungen des Himmelreiches sind. Ich danke Gott für die Jungen und Mädchen, die den Ruf Jesu vernommen haben und sich in den Seminaren und Bildungszentren auf das Priesteramt und das Ordensleben vorbereiten; ich danke Gott für die zahlreichen Laien, die als Katechisten und besonders engagierte Mitglieder in den kirchlichen Basisgemeinden und in so vielen anderen apostolischen Tätigkeiten eingesetzt sind. Die Demut des Glaubens führt zum Einsatz für die Armen Die Begegnung mit euch an diesem Herbstnachmittag öffnet mein Herz wie das Elisabeths, um den Gruß Mariens entgegenzunehmen. Wie Elisabeth, möchte ich euch seligpreisen, weil ihr geglaubt und in euren Herzen das Wort des Lebens aufgenommen habt und weil ihr diesen Glauben in eurem Einsatz im Dienst der Gemeinschaft der Brüder und Schwestern, aus Liebe zu Gott zum Ausdruck bringt. Schließlich danke ich Gott für diese ganze Kirche, die in dem Bestreben, den Spuren ihres Meisters zu folgen, ihre Vorliebe für die Armen kundtut. Auch heute wie in ihrer ersten Zeit möchte sie ihren Gründer nachahmen, der als Beweis für seine Messianität die Verkündigung der Frohbotschaft an die Armen anführte (vgl. Mt 11,5). Auf diese Weise werden die Worte Mariens Wirklichkeit, die uns in ihrem Gesang daran erinnert, daß in den Plänen Gottes die Letzten die Ersten sein, daß die Demütigen erhöht und die Armen mit den Gütern des Reiches Gottes überschüttet werden. 3. Deshalb grüße und segne ich heute von diesem Ort zu Füßen Märiens aus, der während mehr als einem halben Jahrhundert ein Leuchtturm der Hoffnung gewesen ist, alle Bewohner des Landes, von Arica bis zum Kap Hoorn und bis zur Osterinsel, ganz besonders herzlich jedoch jene, die an Leib und Geist leiden: die Männer, Frauen und Kinder der an den Rand gedrängten Bevölkerungsgruppen; die Gemeinden der Eingeborenen; die Arbeiter und Ar- 361 REISEN beiterführer; die Opfer der zerstörenden Gewalt: die Jugendlichen, die Kranken und die betagten Menschen. Auch alle Chilenen, die von vielen Teilen der Welt aus sehnsüchtig nach der fernen Heimat blicken, haben ihren Platz in meinem Herzen. Als Priester und Hirte denke ich mit Liebe an all jene, die, den Kräften des Bösen nachgebend, Gott und ihre Brüder und Schwestern beleidigt haben: im Namen des Herrn Jesus rufe ich sie zur Umkehr, damit sie Frieden finden. Grenzüberschreitender Segen für ein Land voller Gegensätze Zu Beginn der Pilgerfahrt in eurer Mitte, als Zeichen meiner Gegenwart in eurem Land und meines Wunsches, mit allen die Botschaft des Friedens und des Lebens zu teilen, segne ich die vier Himmelsrichtungen des geliebten chilenischen Bodens. Ich möchte die Grenzen der Stadt überschreiten, um mit dem Segen Gottes den harten Wüstenbergbau und die fruchtbaren Landstriche zu besuchen, aus denen ihr im Schweiß eures Anlitzes euer tägliches Brot gewinnt; den ewigen Schnee der Kordilleren und die Tiefen des Meeres, wo das Leben im Schweigen der Wasser erblüht. Ganz Chile gilt mein Segen, jedem Chilenen mein Wort und den Kleinsten und Bedürftigsten meine besondere Liebe. Die Kirche ist mit den Leidenden solidarisch Ansprache an die Bewohner der Armenviertel von Santiago de Chile am 2. April Liebe Brüder und Schwestern in Christus Jesus! 1. Während ihr mich heute unter euch seht, liebe Bewohner vom Stadtrand und den ärmsten Vierteln Santiagos, kann ich euch nicht verheimlichen, daß unermeßliche Freude mein Herz erfüllt, wenn ich an diese Worte des Evangeliums denke: „Niemand kennt den Sohn, nur der Vater“; der Vater „hat es den Unmündigen offenbart“; der Vater hat euch seinen Sohn offenbaren wollen, „denn so hat es ihm gefallen“ (vgl. Mt 11,25-27). Wie die Apostel Petrus und Johannes, als sie zum Tempel hinaufgingen, um zu beten, so muß auch ich euch sagen, daß ich „weder Gold noch Silber besitze“ (Apg 3,6), jedoch im Namen Jesu Christi komme, um euch die Liebe, die Vorliebe des Vaters zu verkündigen, der die Hoffnung auf das Reich den Ar- 362 REISEN men offenbaren wollte, denen, die aufrichtigen Herzens sind, die ihre Türen dem Herrn öffnen und seine barmherzige Hand nicht verschmähen. Ich weiß um eure Leiden, und euer Schrei voller Hoffnung ist an mein Ohr gedrungen. Darum ermutige ich euch als Bote des Evangeliums, in Jesus Christus den ersehnten Frieden zu suchen. Jesus selbst lädt uns ein, von ihm die Sanftmut und die Demut des Herzens zu lernen und auf ihn unsere Hoffnung zu setzen. Die Hoffnung, die diesem wunderbaren Volk und ganz Lateinamerika so wesenseigen ist, erlaubt euch, die Freude, den inneren Frieden zu bewahren und auch inmitten so vieler und ernster Schwierigkeiten die Ereignisse des Lebens zu feiern. Doch auch hier habe ich wie an vielen anderen Orten voll Schmerz die Armut der vielen im Gegensatz zum Überfluß einiger sehen können. 2. Ich bin hierher zu euch gekommen, um unseren gemeinsamen Glauben an den Sohn Gottes und an seine Lehren zu verkünden. Ich befinde mich hier, um wieder einmal die Seligpreisungen des Herrn zu verkünden: „Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5,3). Selig seid ihr, wenn ihr ein Herz habt, das nicht an irdischen Dingen hängt, denn auf diese Weise wird der Vater euch seine Geheimnisse offenbaren und euch helfen, das Joch Jesu auf euch zu nehmen und es zu tragen wie er, bis ihr eure Ruhe findet. In Christus findet der Mensch das, was ihm alle Güter dieser Welt nicht verschaffen könnten. Wie uns der Gute Hirte sagt: „Kommt alle zu mir ... Ich werde euch Ruhe verschaffen ... So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen“ (Mt 11,28-29) und uns auffordert, sein Joch, das heißt das Gesetz der Liebe, zu tragen; ein Gesetz, das frei macht und das der Seele Ruhe verschafft. Jegliche Last ist leicht, wenn wir mit Christus verbunden sind, wenn er uns Kraft und Atem verleiht zum Fortsetzen des Weges. Als wie schwer erweist sich dagegen die Last, wenn man sie ohne Christus trägt! Das gilt für die Last des Egoismus, des Hasses, der Gewalt, der Herzenshärte, die nicht selten darin gipfelt, daß sie das menschliche Zusammenleben unangenehm und nahezu unmöglich machen. Wir stehen vor dem genauen Gegenteil des Gesetzes der Liebe, wenn man im Nächsten nicht ein Kind Gottes und einen Bruder in Christus.sieht, sondern ihn lediglich als ein Werkzeug betrachtet,-das einzig und allein dazu nütze ist, das eigene.Verlangen zu befriedigen. Dieser egoistische Individualismus, der eine Unordnung darstellt und Frucht der Sünde ist, verhindert die Entstehung von Banden der Humanität und der Brüderlichkeit, die bewirken, daß sich der Mensch als Mitglied einer Gemeinschaft, als mitverantwortlicher Teil eines geeinten Volkes fühlt. 363 REISEN 3. In dieser Südzone der Stadt habe ich mich aufhalten wollen — wenn es auch nur so kurz sein kann —, um euch sichtbar meine Sorge zu zeigen für alles, was ihr unternehmt, um Lebens- und Arbeitsgemeinschaften zu bilden, in denen ihr euch solidarisch und mit Beharrlichkeit bemüht, euren Glauben, eure Hoffnung und eure christliche Liebe zu leben. Die ganze Geschichte der Offenbarung ist ein Zeugnis von der Rolle, die die Gemeinschaft im Heilswerk spielt. Gott selbst hat sich durch Jesus Christus als echte, glaubwürdige Gemeinschaft geoffenbart: die Heilige Dreifaltigkeit, eine wunderbare Gemeinschaft, die die Grundlage und das Vorbild für jede auf die Liebe gegründete Beziehung darstellt. Die Universalkirche und die Kirche hier in Chile geben diesen Gemeinschaftsgeist kund, der die Menschen zusammenführt, um sie am göttlichen Leben teilhaben zu lassen. Und gerade Ausdruck dieses Lebens sind auch verschiedene Gemeinschaftsformen, die euren Bevölkerungen Bestand geben. Vor allem die Familie, die das Zweite Vatikanische Konzil als „Schule reich entfalteter Humanität“ be-zeichnete (Gaudium etspes, Nr. 52). Sie ist die Grundzelle der ganzen Gesellschaft, erster und unersetzlicher Katechet der Kinder. Die Wahrheiten, die Werte, die Verhaltensformen, die Denkweisen, die Beziehungen zu anderen Personen und zur Welt lernen sie zu Hause, und das ist ein Auftrag und ein Recht, das liebevoll ausgeübt und vor den Gefahren einer materialistischen Welt verteidigt werden muß, die das Anhäufen von Dingen als das höchste Gut des Menschen und der Gesellschaft hinstellt. „Der Wert des Menschen liegt mehr in ihm selbst als in seinem Besitz“ (Gaudium et spes, Nr. 35). Diejenigen, die im Schoße ihrer Familien eine Atmosphäre echter Gemeinschaft geatmet haben, werden sich eher dazu geneigt fühlen, sich zusammen mit ihren Brüdern zu der Aufgabe zu verpflichten, eine erneuerte, menschlichere und freundlichere Gesellschaft aufzubauen. Das setzt voraus, daß Formen von Vereinigungen ins Leben gerufen werden, die jede auf ihre Weise zur Erlangung des Gemeinwohles beitragen und mithelfen, „vielfache(r) Rechte der Person, besonders der sogenannten wirtschaftlich-sozialen, z. B. des Rechtes auf die für den menschlichen Unterhalt unentbehrlichen Mittel, auf Gesundheitspflege, auf höheren Grundunterricht, auf eine angemessene Berufsausbildung, auf Wohnung, auf Arbeit, auf eine gebührende Freizeit, auf Erholung „besser zu befriedigen“ (Mater et magistra, Nr. 61). 4. Klar und deutlich muß man anstreben, daß in jeder Familie die sozialen Tugenden gelebt werden, die die volle Entfaltung jedes einzelnen ihrer Mitglieder fördern: der Dialog, die Kommunikation, die Mitverantwortlichkeit und Beteiligung, die Opferfahigkeit, die Treue. Sie alle müssen Ausdruck und Frucht der Liebe sein. Nehmt als Vorbild die Heilige Familie von Nazaret; 364 REISEN von ihr wird sich jedes Programm christlicher und sozialer Erneuerung in der Familie und ausgehend von der Familie leiten lassen müssen. Äußerungen des Lebens und des Gemeinschaftssinnes sind auch jene Formen der Volksorganisation, die den Lebensstandard der Bewohner der Elendsviertel zu verbessern suchen: die Gemeindevereinigungen, die Arbeitsbetriebe, die Gruppen für Wohnungssuche, die Gruppen für Gesundheits- und für Schulhilfe, die Familienküchen, die Kinderspeisungen, die Jugend- und Sportvereine, die Volkstumsgruppen und schließlich die vielen Kundgebungen jener Solidarität, die „das edle Bemühen um die Gerechtigkeit“ kennzeichnen soll. Diese Initiativen werden ihrerseits Quellen neuer Formen sozialer Organisation sein können, die den Weg zu einer echten und wirksamen Beteiligung aller Staatsbürger an den Entscheidungen eröffnen, die ihr Leben und ihr Geschick betreffen. Auf diese Weise verwandeln sich die Gruppen nach und nach in echte solidarische und von Teilnahme gekennzeichnete Gemeinschaften. Wenngleich es ebenso notwendig ist, daß diese Gruppen weder die ganze Tätigkeit für sich allein in Anspruch nehmen noch die Initiative und richtige Selbständigkeit und Freiheit der einzelnen Personen ersticken. 5. Die Kirche begleitet euch bei euren Anstrengungen und berechtigten Bestrebungen, da sie sich bewußt ist, daß — wie schon mein ehrwürdiger Vorgänger Papst Paul VI. aufgezeigt hat — zwischen Evangelisierung und Förderung des Menschen in der Tat sehr enge Verbindungen bestehen (vgl. Evangelii nuntiandi, Nr. 31). Das ist ein wichtiger Teil der apostolischen Arbeit, den viele, die aktiv in der Pastoral tätig sind, als den notwendigsten behandeln. An euch, Priester, Ordensmänner, Ofdensfrauen, Diakone, Katecheten, engagierte Laien, will ich mein Wort der Ermutigung richten, damit ihr hoffnungsvoll eure Aufgaben zur Errichtung des Reiches Gottes fortsetzt: durch das in seiner Unversehrtheit verkündete Wort, durch die im Glauben gefeierten Sakramente, mit dem Zeugnis eures eigenen Lebens, wobei ihr als Vorbild den armen und von Herzen demütigen Christus nehmt, ihn, „der reich war und euretwegen arm wurde, um euch durch seine Armut reich zu machen“ (2 Kor 8,9). Seid in vollkommenem Einklang mit dem authentischen Lehramt der Kirche und in inniger Gemeinschaft mit den Bischöfen, eurer Berufung und der Sendung, die ihr erhalten habt, treu, und laßt nicht zu, daß dem Evangelium fremde Interessen ideologischer oder politischer Art die Lauterkeit eurer helfenden Arbeit und der Heiligung stören. Ihr habt vortreffliche Beispiele von Aposteln unter euch, die trotz der Schwierigkeiten und selbst Verständnislosigkeiten ihren pastoralen Dienst unter größten Opfern zu erfüllen verstanden. 365 REISEN 6. Die Kirche, liebe Brüder und Schwestern, hat von demselben Jesus Christus den Sendungsauftrag erhalten, sein zentrales Gebet: „Dies trage ich euch auf: Liebt einander!“ (Joh 15,17) in die Tat umzusetzen. Die Kirche hat daher den Auftrag, alle Menschen mit ihrer Liebe zu umfangen und allen den Weg zum Heil zu öffnen, ohne irgendjemanden auszuschließen. Sie gewährt allen die geistlichen Reichtümer, über die sie verfügt; alle nährt sie mit dem Leib des Herrn, versorgt sie mit den Sakramenten und vermittelt ihnen das göttliche Leben. Dank dieser ihrer Sorge, das Leben hervorzubringen und zu bewahren, fühlen die Gläubigen sich innerlich dazu veranlaßt, sie „Mutter“ zu nennen: Die Kirche ist Mutter aller; sie dehnt ihre Liebe auf alle Menschen, ohne Unterschied, aus, und bei allen macht sie von ihrer Barmherzigkeit Gebrauch. Es ist aber recht, daß — wie bei einer Mutter — ihre besondere Sorge jenen ihrer Kinder gilt, die leiden, den Kranken, den Bedürftigen, den Notlei-denen, den Sündern. Die Kirche muß das Handeln Gottes selbst verwirklichen, der „den Schwachen aus dem Staub emporhebt und den Armen erhöht, der im Schmutz liegt“ (Ps 113,7). Darum sage ich euch: Rechnet immer mit dieser mütterlichen Sorge der Kirche, die erschüttert ist angesichts eurer Not, über eure Armut, über die Arbeitslosigkeit, über die Mängel in Erziehung, Gesundheitswesen und der Wohnungen, über die Gleichgültigkeit derer, die euch helfen könnten, es aber nicht tun; sie solidarisiert sich mit euch, wenn sie euch Hunger, Kälte, Verlassenheit erleiden sieht. Welche Mutter ist nicht erschüttert, ihre Kinder leiden zu sehen vor allem, wenn die Ursache dafür Ungerechtigkeit ist? Wer könnte diese Haltung kritisieren? Wer könnte sie übel auslegen? <13> <13> Mir ist bekannt, daß bei euch, so wie in verschiedenen Orten und Diözesen des Landes, kirchliche Basisgemeinschaften entstehen, die „in besonderer Weise Empfänger der Evangelisierung und zugleich auch deren Träger sein sollen“ (vgl. Evangelii nuntiandi, Nr. 58). Um ihrer wahren Identität zu entsprechen, müssen diese Gemeinschaften ein Ort der Begegnung und der Brüderlichkeit sein und dem Wunsch entspringen, das Leben der Kirche im Kontext einer menschlicheren, familiäreren Beziehung intensiv zu leben. In ihrem Innern muß das Wort aufgenommen werden, wie es die Kirche vermittelt, und weiter gilt es, aus einer'Sicht des Glaubens die Geschehnisse feierlich zu begehen, die den Pilgerweg zum Haus des Vaters begleiten. Basisgruppen sollen beleben, aber nicht spalten Diese Gemeinschaften sind häufig Frucht einer Mission, einer Gruppe für Familienkatechese, der Feier des Marienmonats — einer schönen und fruchtbaren Tradition der chilenischen Volksfrömmigkeit —, von Bibelkreisen, der 366 REISEN Suche nach einer Lösung für die Probleme des täglichen Lebens bei den Slumbewohnern und vieler anderer sichtbarer Beweise für die echte eigene Lebenskraft der Kirche. Als konkrete kirchliche Verpflichtung ermahne ich alle zu einer Vertiefung des christlichen Lebens, zu einer tieferen Kenntnis des katholischen Glaubens, zu einem persönlichen und Familienleben, das stärker mit dem Glauben, zu dem man sich bekennt, in Zusammenhang steht, zur häufigen und aktiven Teilnahme am liturgischen Leben der Kirche, zu einem Lebensstil, der stärker von Brüderlichkeit und Gemeinschaftssinn geprägt ist. Da das Auftreten der kirchlichen Basisgemeinschaften eine Kraft ist, die die echte Dynamik der Kirche in Chile neu belebt, ist es notwendig, daß diese Gemeinschaften immer an einer klaren kirchlichen Identität festhalten. Das setzt vor allem die enge Verbundenheit mit dem Diözesanbischof und seinen Mitarbeitern voraus; es setzt die Entfaltung und Aneignung der Lehren des authentischen Lehramtes der Kirche, des Papstes und der Bischöfe voraus; und es setzt die sorgfältige Vermeidung jeder Versuchung voraus, sich in sich selbst zu verschließen, was sie in verhängnisvoller Weise auf etwas so Wesentliches wie die universalistische und missionarische Projektion verzichten lassen würde, die jede Initiative, die sich rühmt, katholisch zu sein, charakterisieren muß. Diese kirchliche Identität verlangt schließlich, daß die kirchlichen Basisgemeinschaften der Versuchung aus dem Weg gehen, sich mit politischen Parteien oder Positionen zu identifizieren, die, auch wenn sie noch so achtbar sein mögen, doch nicht vorgeben können, der einzige gültige Ausdruck der Projektion des Evangeliums über das Leben und die politischen Meinungen des Landes zu sein. Im Gegenteil, es ist ein glaubwürdiges Unterpfand dafür, daß die genannten Basisgemeinschaften in authentischer Weise kirchlich sind, wenn das Wort Gottes die Gläubigen versammelt und sie anspornt, darüber nachzudenken, um es wiederzugeben; wenn sich die Reife des Glaubens von einer ernsthaften und erlebten Katechese her einstellt; wenn die Eucharistie der Mittelpunkt des Lebens und der Gemeinschaft ihrer Mitglieder ist; wenn die zwischenmenschlichen Beziehungen im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe gedeihen; wenn die Verbindung mit den Seelsorgern unverbrüchlich ist; wenn der Einsatz für die Gerechtigkeit in der Realität ihrer Umwelt gegenwärtig ist; wenn ihre Mitglieder empfänglich sind für das Wirken des Geistes, der ständig innerhalb der Gemeinschaft und für die Gesamtkirche Charismen und Dienste weckt (vgl. Evangelii nuntiandi, Nr. 58; Puebla, Nr. 640-642). 367 REISEN „Ein überfließender geistlicher Reichtum in der Seele des Volkes “ 8. Angesichts so vieler Beweise für die Lebenskraft eurer Gemeinschaften möchte ich euch gleichfalls ermahnen, die Bande eurer Solidarität zu stärken; eine Solidarität, die ihren letzten Grund in den Prinzipien eures christlichen Glaubens hat. Mir kommen die Worte der in Puebla des los Angeles versammelten lateinamerikanischen Bischöfe in den Sinn: „Es ist ergreifend, in der Seele des Volkes den von Glaube, Hoffnung und Liebe überfließenden geistlichen Reichtum zu spüren. In diesem Sinne ist Lateinamerika ein Beispiel für die anderen Kontinente und wird morgen seine erhabene missionarische Berufung weit über seine Grenzen hinaus ausdehnen können“ (Botschaft, 3). Ich bin sicher, daß ein Erlöschen der Hoffnung in euren Herzen unmöglich ist. Denn die optimistische Lebensschau — selbst inmitten eurer Armut —, die euch zum Feiern befähigt, zum Lachen, zum Freuen an den schlichten Alltagsfreuden, rührt ja nicht aus der Unverantwortlichkeit oder der Unkenntnis her. Nein! Sie hat nur eine Erklärung: euren tiefen christlichen Glauben. Sie entspringt eurer Liebe zu Christus und der Hochachtung vor seinen Lehrern. Es ist die Freude, die Christus seinen Jüngern vermittelt hat, als er zu ihnen sagte: „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird“ {Joh 15,11). 9. Vor wenigen Tagen waren es zwanzig Jahre seit der Veröffentlichung der Enzyklika Papst Pauls VI. über die Entwicklung der Völker, Populorumpro-gressio. Nicht ohne Schmerz müssen wir erkennen, daß jene prophetische Stimme noch immer in der Welt ertönt, ohne eine entsprechende Antwort gefunden zu haben. Darum will ich heute hier, auf diesem Kontinent der Hoffnung, unter euch, Bewohner der Armenviertel von Santiago, für alle Männer und Frauen guten Willens in Lateinamerika und in der Welt die Worte Pauls VI. mit demselben Geist wiederholen, mit dem sie von ihm niedergelegt worden sind: „Möchten sich doch alle Menschen, die sozialen Gruppen und die Völker, brüderlich die Hand reichen, die Starken den Schwachen zum Fortschritt verhelfen, indem sie ihre ganze Einsicht, ihre Tatkraft, ihre selbstlose Liebe einsetzen. Mehr als irgendjemand, ist der wahre Liebende erfinderisch im Entdecken der Ursachen des Elends, im Finden der Mittel, es zu bekämpfen und zu besiegen“ {Populorum progressio, Nr. 75). Die Kirche, die sich bewußt ist, daß wir alle eine Familie, die große Familie der Kinder Gottes, bilden, wiederholt ihren Aufruf, damit ein jeder aus seiner sozialen Stellung, aus seinem Milieu heraus unter Anwendung der ihm zur Verfügung stehenden — großen und kleinen — Mittel sich bemüht, von eurer Erde alle Ursachen der ungerechten Armut zu verbannen. Arbeitet mit am Aufbau einer gerechteren und brüderlichen Welt, die sich „auf die Wahrheit“ 368 REISEN gründet, „eingesetzt im Einklang mit den Normen der Gerechtigkeit, getragen und erfüllt von der Liebe und schließlich verwirklicht unter den Vorzeichen der Freiheit“ (Pacem in terris, Nr. 167). 10. Zum Abschluß dieser Ansprache, die mir erlaubt hat, mit euch die Freude der Empfindung zu teilen, daß Gott seine Geheimnisse denen kundtut, die einfachen Herzens sind, und in der wir auch über die mütterliche Sorge der Kirche für alle ihre Kinder nachgedacht haben, ist es recht, hervorzuheben, daß unter ihren Mitgliedern niemand diese Liebe mit größerer Intensität eingibt als die Muttergottes, die allerseligste Jungfrau Maria. Ihr wißt das, denn die Liebe zur Jungfrau gehört zu eurer Seele, und niemand wird euch dieses Erbes berauben können. Möge die Jungfrau des Karmel, die Königin Chiles, euch jetzt und immer ihre mütterliche Liebe fühlen lassen! Möge sie ihre barmherzigen Augen euch zuwenden und euch Jesus geben! Ich segne alle von Herzen, besonders die Kinder, die Alten, die Kranken und die Leidenden. Gewaltanwendung und Haß zurückweisen Ansprache an den chilenischen Episkopat am 2. April 1. Für mich ist es ein Anlaß zur Freude, daß ich euch, liebe Brüder im Bischofsamt, begegnen kann, denn ihr seid es, die die Sendung der Apostel in diesem gesegneten Land Chile weiterführen. In euch sehe ich die ganze Kirche vertreten, die in dieser Nation pilgernd unterwegs ist, denn schon der hl. Ignatius von Antiochien hat gesagt: „Wo immer der Bischof weilt, da weilt die Menge, so daß, wo immer Jesus Christus weilt, dort auch die universale Kirche ist“ (Brief an die Bewohner von Smyrna, Nr. 8). In eurer Gegenwart möchte ich von Herzen Jesus Christus, dem Guten Hirten, Dank sagen (vgl. Joh 10,11) für euer ständiges Wirken zugunsten der Gemeinschaften, denen ihr in apostolischer Liebe dient. Ich vertraue darauf und bitte Gott, daß diese Begegnung uns viel apostolischen Eifer und Hoffnung im Herrn Jesus schenkt, dem alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist (vgl. Mt 28,18). 2. Das Herannahen des 5. Jahrhunderts seit Beginn der Evangelisierung in Lateinamerika muß für den ganzen Kontinent eine Zeit der Erneuerung in der Treue zum Evangelium sein, das trotz aller Schwächen und Grenzen der Men- 369 REISEN sehen im Verlauf der Geschichte der Kirche in eurer Heimat bereits überreiche Früchte gebracht hat. Es gilt, den Herrn anzurufen, daß er uns seinen Willen für unsere Aufgaben als seine Diener und Verwalterseiner Geheimnisse (vgl. 1 Kor 4,1) kundtut. Gerade deswegen müssen wir auf die Stimme des Heiligen Geistes hören, um herauszufinden, was er der Kirche sagt — wie wir im Buch der Geheimen Offenbarung lesen, (vgl. Offb 2,11). In diesem Sinn ist es nützlich, gemeinsam über einige Lehren des II. Vatikanischen Konzils nachzudenken, die sehr reich sind an Aussagen über den bischöflichen Dienst. Die Treue zum Konzil, so habe ich von Beginn meines Pontifikates an in Erinnerung gerufen (vgl. Ansprache vom 17. Oktober 1978), ist die unerläßliche Grundlage für jene neue christliche Vitalität, die die Kirche heute für die Erfüllung ihrer Sendung in der Welt braucht. Bischöfe, Aufseher über das Ursakrament Kirche 3. Mit Recht heißt es zu Beginn der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium: „Die Kirche ist in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (Nr. 1). Wir müssen also schließen, daß das Geheimnis der Kirche vor allem ein Geheimnis der Einheit des Menschen mit Gott ist. Innerhalb der Sendung der Kirche nimmt der Dienst der Bischöfe einen besonderen Platz ein. Denn auf uns ruht eine große Verantwortung: mit unserem ganzen Sein der Gemeinschaft der Menschen mit Gott und untereinander zu dienen. Weiter lehrt uns das n. Vatikanische Konzil, daß der Dienst an der Einheit eine fundamentale Dimension unserer pastoralen Sendung ist: „Der Bischof von Rom ist als Nachfolger Petri das immerwährende sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen. Die Einzelbischöfe hinwiederum sind sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit in ihren Teilkirchen“ {Lumen gentium, Nr. 23). Auf diese Weise entspricht unser Dienstamt dem tiefsten Bedürfnis des menschlichen Seins, nämlich sich der Gemeinschaft des Lebens und der Wahrheit zu öffnen, die Christus gebracht hat. Angesichts der vielen und zuweilen tiefreichenden Spaltungen unter den Menschen — die auch die Kirche selber bedrohen — müssen wir diesen vorrangigen pastoralen Dienst der Einheit beharrlich und mutig leisten. Ich weiß, daß ihr als Hirten im Herzen vor allem unter dem leidet, was die Eintracht unter den Chilenen behindert. Dieses Leiden muß Ansporn sein für euren ebenso mutigen wie geduldigen Eifer, der euch zu Boten Gottes für eure Gemeinschaften macht und zu Führern eurer Gemeinschaft hin zu Gott. 370 REISEN Ich bete zum Herrn, daß wir unablässig das Bewußtsein dieser Berufung zum Dienst für Gott und die Menschen pflegen. Wir sind sicher, daß diese Vermittlung des Heiles uns in keiner Weise von der menschlichen Wirklichkeit entfernt, daß sie vielmehr unsere Aufgeschlossenheit für alle Probleme steigert, die die Einzelpersonen und die Gesellschaft plagen, und wir empfangen dadurch Hilfe zum Versuch von Lösungen, ohne daß wir unser Bemühen, dem Heilsplan Gottes zu entsprechen, aufgeben müßten. In den letzten pastoralen Weisungen, die eure Bischofskonferenz veröffentlicht hat, habe ich festgestellt, daß ihr als Grundausrichtung für diese Jahre die radikale und tiefe Option für den Herrn als Gott des Lebens gewählt habt. Damit wolltet ihr heraussteilen, daß die Kirche, weil sie Leib Christi ist, notwendig im Dienst des Lebens steht, jenes ewigen Lebens, das uns der Herr in seinem eingeborenen Sohn geschenkt hat, sodaß jeder, der den Sohn hat, das Leben hat; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht“ (1 Joh 5,12). Euer Dienst für die Einheit ist ein Dienst für das Leben, vor allem für das geistliche Leben der Menschen in Christus und von daher für alle noblen Manifestationen des menschlichen Lebens. 4. Ich möchte mit euch nun die dreifache Dimension eures Dienstes an der Einheit und am Leben betrachten, entsprechend unserem dreifachen Amt zu lehren, zu heiligen und zu leiten. Die Dogmatische Konstitution über die Kirche sagt: „Unter den hauptsächlichen Ämtern der Bischöfe hat die Verkündigung des Evangeliums einen hervorragenden Platz“ (Lumen gentium,Nr. 25). Bei der Verkündigung des Evangeliums und der Ordnung des gesamten Dienstes am Wort in der Diözese hat man sich immer daran zu erinnern, daß das Ziel dieses Dienstes Person und Botschaft Christi ist. Er ist die einzige Wahrheit, in der die Gemeinschaft unseres Glaubens begründet wird. Nur bei ihm finden wir „Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,69). Durch die Bischöfe will unser Herr Jesus Christus seinen Ruf zum Reich Gottes an die Menschen aller Zeiten und Orte gelangen lassen, in welcher Lage auch immer sie sich befinden. Von der Echtheit dieser Botschaft, der Treue zum echten Glauben in seiner Gesamtheit, bewahrt und erklärt von der Kirche, hängt die Wirklichkeit des Dienstes am Wort ab, die Menschen zusammenzurufen. Möge die Stimme und das Licht Christi selber zu den Menschen gelangen ohne Verkürzung und Entstellung der geoffenbarten Wahrheit, was den Dialog Christi mit den Menschen behindern und die vitale Einheit ihres Geistes und Herzens mit dem Herrn und seiner Frohbotschaft beeinträchtigen würde. In diesem Sinn ermuntere ich euch, mit eurer pastoralen Linie fortzufahren, deren Grundoption nur Jesus Christus und das Evangelium sein kann, und so 371 REISEN Menschen ganzheitlich zu formen. Das wahre „Sentire cum ecclesia“ läßt uns immer an die Priorität der persönlichen Vereinigung eines jeden Menschen mit unserem Herzen denken. Wo immer sie auftreten mag, begegnet daher der alarmierenden geistlichen Armut, der religiösen Unwissenheit, die ihr so oft antrefft. Alle Gläubigen müssen Zugang zu einer vollständigen, Interesse wekkenden und den persönlichen, familiären und sozialen Verhältnissen eines jeden entsprechenden Katechese bekommen. Arbeitet daher unermüdlich darauf hin, daß die christliche Botschaft die kulturellen und intellektuellen Kreise eurer Nation erhelle, so daß in ihnen die Gedanken und Pläne zur Geltung kommen, deren Frucht eine neue Christianisierung Chiles sein wird. Innerhalb dieser umfassenden Aufgabe einer christlichen Bildung hat die gediegene Ausbildung der heutigen und der künftigen Priester ihren Vorrang und ist zugleich unerläßliche Vorbedingung. In den letzten Jahren ist die Zahl der Jugendlichen gestiegen, die die Stimme des Herrn gehört haben und sich vorbereiten, als Antwort ihr endgültiges Ja zum Weg des Priestertums zu geben. Die Dankbarkeit dem Herrn gegenüber für dieses große Geschenk, das er seiner Kirche macht, muß euch veranlassen, alle notwendigen und entsprechenden Mittel einzusetzen für eine sorgfältige Vorbereitung der Seminaristen von heute und jene, die sich in Zukunft berufen fühlen werden. Diese ganzheitliche Vorbereitung muß ihnen eine gründliche intellektuelle Ausbildung vermitteln, in ihnen den pastoralen Eifer wecken und in ihrem Herzen ein tiefes Leben der Vereinigung mit Gott fördern. Fahrt also in eurem Bemühen fort, jene Kräfte zu suchen und vorzubereiten, die einmal in euren Seminaren Erzieher werden sollen, so daß sie dann eure wirksamen Mitarbeiter in der Erfüllung dieser schweren Verpflichtung sind. Mit der Kraft des Glaubens die Gesellschaft kreativ formen 5. Die Kirche in Chile hat sich durch große Aufgeschlossenheit dafür ausgezeichnet, daß die Wahrheit Christi wirklich alle Lebensbereiche des Menschen und der Gesellschaft erhellen muß. Werdet daher nicht müde, die Soziallehre der Kirche in ihrem ganzen Umfang bekanntzumachen, so daß sie als Hilfe dafür dienen kann, die Probleme mit echt christlichen Kriterien zu untersuchen. Die Kirche besitzt in ihrem Glaubensschatz und in ihrem Leben mehr als genug Licht und Trost, um alle Dinge in Christus umzugestalten. Jeder Rückgriff auf ideologische Fragestellungen, die dem Evangelium fremd oder hinsichtlich ihrer Deutung der Wirklichkeit oder als Programm sozialer Aktion materialistisch gefärbt sind, verschließt sich radikal der christlichen Wahrheit, weil er in rein innerweltlichen Perspektiven gefangen bleibt. Er widersetzt sich zugleich frontal dem Geheimnis der Einheit in Christus. Ein 372 REISEN Christ kann daher nicht den programmierten Klassenkampf als dialektische Lösung von Konflikten annehmen. Wir dürfen nicht den edlen Kampf für Gerechtigkeit, der Ausdruck der Achtung und Liebe zum Menschen ist, mit einem Programm verwechseln, das „im Klassenkampf den einzigen Weg zur Beseitigung der klassenbezogenen Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft und auch der Klassen selbst“ erblickt (Laborem exercens, Nr. 11). Tragt mit all euren Kräften dazu bei, Gewaltanwendung und Haß in Chile zurückzuweisen und zu vermeiden, und scheut euch nicht, immer und allen gegenüber die legitimen Rechte der nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffenen Person zu verteidigen. Verkündet eure bevorzugte Liebe zu den Armen — weder ausschließlich noch jemand ausschließend, sondern stark und aufrichtig und dadurch wirksam, daß jede Form des materiellen und vor allem geistigen Elends bekämpft wird. In Treue zu ihrem Stifter betrachtet es die Kirche als ihre Sendung, den transzendenten Charakter der Person zu wahren. In diesem Zusammenhang und von der ihr eigenen Aufgabe her spricht sie die politische Gemeinschaft an und bemüht sich, zur Erreichung jener Ziele beizutragen, die in Übereinstimmung mit dem transzendenten Ziel das Gemeinwohl fördern. Natürlich darf die Kirche, wie das II. Vatikanische Konzil lehrt, „in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden. Sie ist auch ah kein politisches System gebunden (Gaudium et spes, Nr. 76). Sie identifiziert sich ebensowenig mit einer Partei, und es wäre bedauerlich, wenn Personen oder Institutionen irgendwelcher Art der Versuchung erlägen, sie zu ihrem jeweiligen Nutzen manipulieren zu wollen. Eine solche Haltung würde eine Verkennung von Wesen und Sendung der Kirche offenbaren und zugleich einen Mangel an Achtung vor den Zielsetzungen beweisen, die sie von ihrem göttlichen Stifter erhalten hat. Aus dem vorigen darf man aber nicht schließen, die der Kirche anvertraute Heilsbotschaft habe der politischen Gemeinschaft nichts zu sagen, um ihren Weg vom Evangelium her zu erhellen. Das Konzil lehrt: „Die Kirche nimmt das Recht in Anspruch ... ihren Auftrag unter den Menschen ungehindert zu erfüllen und auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterstellen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen“ {Gaudium et spes, Nr. 76). Es geht dann also nicht um eine ungebührliche Einmischung in ein ihr fremdes Gebiet; es möchte vielmehr ein Dienst sein, der aus Liebe zu Jesus Christus der ganzen Gemeinschaft geleistet wird, denn die Kirche läßt sich von dem Wunsch leiten, zum Gemeinwohl beizutragen, gestützt auf die Worte des Herrn: „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (vgl. Joh 8,32). 373 REISEN 6. Jede Nation hat aufgrund ihrer Souveränität das Recht, über ihr eigenes Schicksal zu bestimmen und ihre Zukunft in Freiheit zu gestalten. Es wäre für sie unannehmbar, wenn Einmischungen von außen sich anmaßen würden, den Willen der Nation zu verfälschen oder zu unterdrücken mit dem Ziel, ein politisches System aufzurichten, das die Mehrheit der Chilenen nicht gutheißt. Ebenso notwendig ist freilich, wie das II. Vatikanische Konzil lehrt, daß es „die tatsächliche Möglichkeit gibt, frei und aktiv teilzuhaben an der rechtlichen Grundlegung ihrer politischen Gemeinschaft, an der Leitung des politischen Geschehens, an der Festlegung des Betätigungsbereichs und des Zwecks der verschiedenen Institutionen und an der Wahl der Regierenden ( <14> Diese Gedanken, liebe Brüder im Bischofsamt, wollen kein Programm zeitlicher Ordnung sein, weil die Kirche dafür weder gesandt noch zuständig ist. Ich wollte mit diesen Worten nur einige Elemente aus der reichen Lehre des II. Vatikanischen Konzils in Erinnerung rufen. Es sind Worte, die mir meine Sorge als Hirte der ganzen Kirche nahelegt, zumal ich sehnlichst wünsche, daß die geliebte Nation in gebührender Achtung vor ihren besten Über- 374 REISEN lieferungen materiellen und geistigen Fortschritt macht, auf der Grundlage der christlichen Prinzipien, die ihren Weg in der Geschichte bestimmt haben. Zu den Prioritäten eurer Sendung als Hirten gehört zweifellos die Heranbildung der Laien. Die kommende Synode der Bischöfe wird im Oktober in Rom besondere Gelegenheit bieten, die Aufgabe der Laien in Welt und Kirche neu anzuregen. Vom Standpunkt des Glaubens aus haben diese ihre Verantwortung für die kulturellen, erzieherischen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Aufgaben zu übernehmen, die Gegenwart und Zukunft Chiles ihnen stellen. Zugleich werdet ihr den Gebrauch legitimer Freiheit der Katholiken auf diesen Gebieten anregen und sie ermuntern, Christus und seiner heilbringenden Lehre immer die Treue zu halten, wenn sie irdische Aufgaben übernehmen. Dazu laßt sie immer wissen, daß sich die Kirche nie mit parteiischen Strömungen oder Lösungen identifizieren kann, und noch weniger mit Richtungen oder Auffassungen, die der christlichen Botschaft fremd sind, wie vor allem jene, die den Menschen und die Geschichte materialistisch verstehen. So wird die christliche Bildung der Laien zu einer erheblichen Kraft für die Evangelisierung und Humanisierung aller Bereiche in Chile. 8. „Der Bischof ist, mit der Fülle des Weihesakramentes ausgezeichnet, Verwalter der Gnade des höchsten Priestertums1, vorzüglich in der Eucharistie, die er selber darbringt oder darbringen läßt und aus der Kirche immerfort lebt und wächst“ (Lumen gentium, Nr. 26). Wenn wir das so in der Konstitution Lumen gentium beschriebene Amt der Heiligung ausüben, sind wir Werkzeuge der Vereinigung der Menschen mit Gott und untereinander. Christus bedient sich unserer Worte und sakramentalen Handlungen, um sein eigenes Leben der Menschheit mitzuteilen. Ebenso wie 1984 bei eurem Besuch Ad-liminia möchte ich euch heute einla-den, über den zentralen Ort nachzudenken, den die heilige Liturgie im Leben der Kirche einnimmt, diesmal im Hinblick auf euren Dienst für die Einheit und für das Leben. Wie ich euch damals sagte, müssen „der Dienst des Wortes, die Eucharistie und die Buße das dynamische Zentrum des gemeinschaftlichen Lebens der Kirche bilden, die hier ihre eigentliche Sendung ähnlich der Christi, des Guten Hirten, vollzieht“ {Ansprache vom 8. November 1984). Kein sonstiges pastorales Wirken, wie dringend und wichtig es scheinen mag, kann die Liturgie von diesem zentralen Platz verdrängen. Die Eucharistie ist das Sakrament der Einheit im Vollsinn des Wortes. Was die Bedeutung und Wirklichkeit der Kirche angeht, hat ihre Einheit den Mittelpunkt im Geheimis des menschgewordenen Gottes, der sich für uns hinopferte und sich uns als Brot des Lebens darreicht. Von daher wird alles das, was eine 375 REISEN würdige Feier des Sakramentes der heiligen Eucharistie und eine aktive Beteiligung der Gläubigen fordert, zu einer unschätzbaren Hilfe für den Aufbau der Kirche in Einheit und für das Wachstum ihres Lebens in Christus. Andererseits wird die gewissenhafte und treue Anwendung der liturgischen Gesetze innerhalb der jetzt gegebenen Fülle an Formen der Feier — um so mehr diese Gemeinschaft im Gebet der ganzen Kirche aufleuchten lassen. 9. Die Kirche besitzt als Gemeinschaft der im Herrn Versöhnten und zugleich als Versöhnende (vgl. Reconciliatio etpaenitentia, Nr. 9) in der heiligen Eucharistie die dynamische Quelle ihrer Einheit und ihres Gemeinschaftsdienstes in der Welt. Setzt euch daher weiter ein für das, was das Apostolische Schreiben Reconciliatio et paenitentia für die ganze Kirche in Erinnerung ruft: „Vor unseren Zeitgenossen, die so empfindsam für den Beweis eines konkreten Lebenszeugnisses sind, ist die Kirche aufgerufen, ein Beispiel für Versöhnung vor allem in ihrem eigenen Inneren zu geben; darum müssen wir alle daraufhinwirken, die Herzen friedfertig zu stimmen, die Spannungen zu verringern, die Spaltungen zu überwinden, die Wunden zu heilen, die sich Brüder vielleicht gegenseitig zufügen, wenn sich der Gegensatz zwischen verschiedenen Einstellungen im Rahmen erlaubter Meinungsvielfalt zuspitzt, und zu versuchen, einig in dem zu sein, was wesentlich für den Glauben und das christliche Leben ist, nach der altbewährten Regel: in dubiis libertas, in necessariis unitas, in Omnibus caritas — im Zweifel Freiheit, im wesentlichen Einheit, in allem Liebe“ (9). Die Feier des Bußsakramentes bildet einen weiteren besonderen Höhepunkt der Vereinigung des Gläubigen mit Christus und den Mitmenschen. Durch dieses Sakrament erlangen wir Verzeihung der Sünden. Laßt daher nicht ab, euren Priestern einzuschärfen, sie möchten mit allem Eifer die Praxis dieses Sakramentes durch ihre Predigt und Verfügbarkeit, Beichten zu hören, als eine pastorale Aufgabe von grundlegender Wichtigkeit für das ganze Leben der Kirche fordern. So können sie ihren Beitrag leisten zu der dringenden Aufgabe der Befreiung von der Sünde. Die Förderung der Volksfrömmigkeit im Geist der Kirche soll ebenfalls dazu beitragen, daß Wort und Sakrament alle Einwohner des Landes erreichen. Auf diese Weise werden solche lobenswerten Äußerungen der Frömmigkeit des chilenischen Volkes eine willkommene Gelegenheit bieten, den pastora-len Dienst in euren Pfarreien und Gemeinschaften präsent und wirksam zu machen. 376 REISEN Das Volk Gottes braucht das persönliche Zeugnis seiner Hirten 10. Eure Leitungsaufgabe in den Teilkirchen, deren Hirten und sichtbares Fundament der Einheit ihr seid, bildet eine weitere Dimension eures Dienstes am Geheimnis der Gemeinschaft der universalen Kirche. Wenn ihr Rat gebt, ermahnt oder von eurer geistlichen Vollmacht Gebrauch macht, führt ihr die Gläubigen zu Christus hin und seid Baumeister der Gemeinschaft im Glauben und in der Liebe. Wir müssen demütig, aber auch kraftvoll die Verantwortung tragen, den Auftrag zu erfüllen, den der Herr seinen Aposteln gegeben hat, nämlich das Volk Gottes zu leiten. Die pastorale Liebe und die Gemeinschaft mit dem Nachfolger des Petrus, dazu eure kollegiale Verbundenheit sind Gaben des Geistes, damit in eurem Wirken immer jene Autorität aufleuchte, die von Christus herkommt und einen echten Dienst an der Gemeinschaft darstellt. Wenn ihr die Gläubigen immer mehr im Glauben, in der Moral, in den Sakramenten und der Diziplin der Kirche zu einen sucht, bedeutet das keine Einführung unterschiedsloser Einheitlichkeit, es wird auch apostolischen Initiativen nicht der Raum verwehrt, wenn sie dank der Freiheit der Kinder Gottes aufbrechen und wachsen. Das echte Leben Christi in seiner Kirche bietet einen unerschöpflichen Reichtum, den ihr fördern und in großer pastoraler Klugheit mit dem Sinn für Angemessenheit ordnen müßt, so daß alle diese Kräfte zum Heil der Menschen mithelfen. Entstehen Spannungen, in denen die menschliche Schwäche oder verschiedene Auffassungen sichtbar werden, muß der Hirte als Diener der Versöhnung im Herrn immer auf Eintracht beim wesentlichen Dienst an der Wahrheit bedacht sein. Weit über bloß menschliches Gleichgewicht hinaus muß eure Leitungsaufgabe den Weg weisen, damit alle erneut die Schönheit der Einheit in der Liebe Christi entdecken können, der gekommen ist, uns zu einer einzigen großen Familie zu versammeln und uns zum gemeinsamen Vater hinzuführen. Unsere Leitungsaufgabe beschränkt sich auch nicht auf bloße Verwaltung. Wir müssen in uns das Bild des Guten Hirten wiedergeben, der seinen Schafen vorangeht und sie auf sichere Wege führt, hin zu den Quellen lebendigen Wassers, und der allen mit der Liebe eines Vaters nahe ist. Die Erfahrung hat uns unzählige Male gelehrt, daß nichts das Lebenszeugnis des Hirten ersetzen kann; das gilt heute mehr denn je, da die Menschen besonders empfindsam sind für Echtheit und Konsequenz. So hat es auch die letzte Bischofssynode formuliert: „heute ist es sehr notwendig, daß sich die Hirten der Kirche durch ihr Zeugnis der Heiligkeit auszeichnen“ (Schlußdokument, 11, A, 5). 377 REISEN Hoffnung und Gelassenheit, denn Christus ist mit uns! 11. Unser Herr Jesus Christus lebt in seiner Kirche und ist in ihr präsent. Christus ist bei uns, heute und immer. Wir sind also bei unserer Aufgabe nicht allein. Christus ist das Haupt der Kirche. Er heiligt und leitet sie. Er wirkt alles durch unseren Dienst. Vergebt bei den Schwierigkeiten, die euch jeden Tag beim Werk der Evangelisierung begegnen, nicht, daß Gott, unser Vater, nie jene allein läßt, die sich für ihn entschieden und alles verlassen haben, um Christus nachzufolgen. „Und er sah, wie sie sich beim Rudern abmühten, denn sie hatten Gegenwind. In der vierten Nachtwache ging er auf den See zu ihnen hin, wollte aber an ihnen vorübergehen... er begann mit ihnen zu reden und sagte: Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht! Dann stieg er zu ihnen ins Bobt, und der Wind legte sich“ (Mk 6,48-51). Zum Abschluß dieser Begegnung denke ich getröstet an diese Szene aus dem Leben Jesu mit seinen Aposteln: Er ist bei uns. Dieses Wort: „Ich bin es, fürchtet euch nicht!“ erfüllt uns mit Vertrauen und Dankbarkeit. Es sind die Worte, die der Herr auch heute uns sagt, die er immer neu wiederholt, wenn unsere Kräfte erlahmen. Christus ist auch heute noch Herr aller Stürme und Gegenwinde. Er weilt mit uns im Boot, und wenn er uns zum Rudern auffordert, gibt er uns zugleich die Sicherheit, daß das Boot nicht versinkt, weil Er mit seiner ganzen Macht präsent ist. Auf ihn, und nur auf Ihn, müssen wir unseren Glauben und unsere Hoffnung gründen. Da das Marianische Jahr bereits nah ist, das eine Zeit der Gnade für die ganze Kirche bedeutet, empfehle ich der seligsten Jungfrau vom Karmel, der Mutter und Königin von Chile, alle Sorgen und Aufgaben der Kirche in eurer Heimat und bitte sie, daß wir immer wie sie dem Heiligen Geist gehorsam sein können, damit Er durch unseren Dienst an der göttlichen Wahrheit und am ewigen Leben als Tröster die Kirche leitet und sie zu jener Einheit sammelt, die aus der Einheit der Heiligsten Dreifaltigkeit stammt. 378 REISEN Die Familie ist das Fundament der Gesellschaft Predigt bei der Messe für die Familien auf dem Flugplatz von Valparaiso (Chile) am 2. April Liebe Brüder im Bischofsamt! Vertreter der Behörden! Liebe Brüder und Schwestern in Christus! „Gepriesen seist du, Gott unserer Väter; gepriesen sei dein heiliger und ruhmreicher Name in alle Ewigkeit“ (Tob 8,5). 1. Unter dem gütigen und gnädigen Blick der Heiligen Familie von Nazaret grüße ich, zusammen mit dem Bischof dieser Ortskirche, herzlich alle hier versammelten Familien von Valparaiso, Vina del Mar, Santiago und vielen anderen Orten dieses geliebten chilenischen Landes. Ebenso willkommen heiße ich die anderen Bischöfe der Nachbardiözesen, die Priester, Ordensleute und Mitglieder von Säkularinstituten, Laien, Leute vom Meer, von der Stadt und vom Land. 2. Wir haben soeben die Worte gehört, die Tobias und seine Braut Sara in einem besonderen Augenblick ihres Lebens preisend und anbetend an den Gott ihrer Väter richteten. Gott will, daß dieser Hymnus der Anbetung und Lobpreisung auf immer in eurer Heimat und in euren Familien weitergesungen wird. Wir haben auch gehört, wie jenes jungvermählte Paar, Tobias und Sara, voll Freude erkannte, daß Gott den Menschen, Mann und Frau, Adam und Eva, geschaffen hat, damit sie einander Stütze und Hilfe in der Liebe seien und damit sich dank ihrer Fruchtbarkeit das Menschengeschlecht fortpflanze (vgl. Tob 8,6). Auf diese Weise sind alle Völker und Nationen dieser Erde Schuldner gegenüber der Institution Familie. Der Familie verdankt die Gesellschaft ihre Existenz. Die Familie ist die grundlegende Umgebung des Menschen, da sie mit dem Schöpfer selber im Dienst des Lebens und der Liebe verbunden erscheint. So können wir verstehen, daß „die Zukunft der Menschheit über die Familie geht“ (Familiaris consortio, Nr. 86). Noch einmal und mit dem Blick auf die Heilige Familie Jesus, Maria und Josef, heiße ich also alle und jede einzelne der Familien willkommen, die in dieser Stadt Valparaiso zusammengekommen sind und grüße alle Familien Chiles, die im Geiste mit unserer Eucharistiefeier verbunden sind. Es ist für mich 379 REISEN ein Grund unermeßlicher Freude, als Zeuge und Stellvertreter Christi mit euch zusammenzutreffen, um euch den außerordentlichen und geheimnisvollen Reichtum seiner Frohbotschaft über Ehe und Familie zu verkünden. Familie ist eine von Verantwortung getragene Gemeinschaft 3. Die Lesung aus dem Evangelium berichtet uns davon, wie Jesus, als er zwölf Jahre alt war, mit Maria und Josef zum ersten Mal nach Jerusalem ging, um das Paschafest zu feiern. Wie uns der hl. Lukas erzählt, bemerkten die Eltern Jesu nicht, daß Jesus nach Abschluß des Festes in Jerusalem zurückgeblieben war; erst nach einer Tagesstrecke wurden sie seiner Abwesenheit gewahr; sie kehrten rasch in die Stadt zurück und fanden Jesus im Tempel mitten unter den Schriftgelehrten: „Er hörte ihnen zu und stellte Fragen“ (Lk 2,46). Wir können uns die Sorge von Maria und Josef während der endlosen Stunden vorstellen, die der Auffindung Jesu vorausgingen. Sie fanden ihren Sohn nicht und kannten die tieferen Gründe für jenes „Abhandenkommen“ nicht! Warum sollte man nicht denken, daß diese Sorge Marias und Josefs so vielen Ängsten und Beunruhigungen der Väter und Mütter aller Zeiten ähnlich ist? Erinnert euch, liebe Eltern, wie oft ihr selbst ähnliche Sorgen erlebt habt! Diese Sorge entsteht aus der innigen Liebe der Eltern zu ihren Kindern und läßt diese Liebe reifen, indem sie die Ehegatten noch tiefer verbindet. In eben dieser Sorge wird eine heilbringende Verantwortlichkeit offenkundig, die jeder ehelichen und familiären Liebe eine besondere Würde und Erhabenheit verleiht. Der Leib Christi nährt die Liebe der Eheleute 4. Bei der Eucharistiefeier erneuert sich das unsagbare Geschenk der Liebe Christi, und hier und jetzt wird in sakramentaler Gestalt das eine Opfer des Neuen Bundes gegenwärtig, Bund der Vermählung Christi mit seiner Kirche, vom hl. Paulus dargestellt als unerschöpfliche Quelle, die die eheliche Liebe der Christen nährt (vgl. Eph 5,25-32). Eure berechtigten Sorgen um eure Kinder, die Freuden, Schwierigkeiten und Entsagungen, die mit dem Zusammenleben und im allgemeinen mit dem ganzen Familienleben verbunden sind, finden in der Eucharistie eine Quelle des Lichtes. ; Tatsächlich dringt das Geheimnis der bräutlichen Liebe Christi immer tiefer in jeden Menschen ein, der regelmäßig das Sakrament der Eucharistie empfängt. Zwischen euch Eheleuten und Christus besteht ja bereits die unauflösliche Liebesgemeinschaft durch das Sakrament der Ehe, mit dem eure Familie besiegelt wurde, um zu einer Grundzelle der menschlichen und christlichen Gesellschaft zu werden. Die Eucharistiefeier, „Quelle und Höhepunkt des 380 REISEN ganzen christlichen Lebens“ (Lumen gentium, Nr. 11), läßt eüch in der Liebe Christi wachsen, indem sie euch immer mehr seinem innigen Bund eingliedert und euch Kraft gibt, um immer wieder neu die Liebe und das neue Leben für die Rettung der Welt zu schaffen. Die Liebe in der Familie muß jedes Familienmitglied mehr nach dem zu bewerten wissen, was sie ist und was sie tut, als nach dem, was sie hat. Und so entsteht aus der Erfahrung dieser in höchstem Maße persönlichen und gemeinschaftlichen Liebe das Bewußtsein von der jeder Person eigenen Würde. Diese Erfahrung, die in dem Maße in der Familie Gewicht und Fülle gewinnt, in dem sich die gegenseitige hochherzige Liebe verstärkt, wird auch zum Ausgangspunkt für die Anerkennung und Achtung der Würde der anderen und dafür, sich gerade deswegen in den anderen Haltungen und Tugenden zu üben, die den Menschen befähigen, eine solidarische und brüderliche Gesellschaft aufzubauen. Hier wird die Familie zu einer „Schule reich entfalteter Humanität“ (Familiaris consortio, Nr. 21), während sie zugleich „das Fundament der Gesellschaft ist“ (Gaudium et spes, Nr. 52). 5. Laßt mich nun diesen schönen Abschnitt des Gebets wiederholen, das das jungvermählte Paar Tobias und Sara an ihrem Hochzeitstag an den Herrn richtete und das wir gerade vorhin gehört haben: „Gott unserer Väter ... Du hast Adam erschaffen und hast ihm Eva zur Frau gegeben, damit sie ihm helfe und ihn ergänze ... Darum, Herr, nehme ich diese meine Schwester auch nicht aus reiner Lust zur Frau, sondern aus wahrer Liebe ...“ (Tob 8,5-8), um eine Familie zu gründen, in der dein Name gepriesen sein soll auf ewig. Das ist das wahre Gebet der Brautleute: ein von der göttlichen Gegenwart durchdrungenes Gebet, das die Aufgabe hat, auf die Berufung von Mann und Frau zur Ehe hinzuweisen und das Familienleben aufzubauen. Ein ähnliches Gebet sollte euer ganzes Leben begleiten, denn wie es in dem Antwortspsalm heißt, den wir gesungen haben: „Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut“ (Ps 127,1). Genau das ist euer Ziel: das Haus als Heimstatt für eine menschliche Gemeinschaft zu erbauen, die das Fundament und die Zelle der ganzen Gesellschaft ist. Sogar „die Kirche findet in der aus dem Sakrament geborenen Familie ihre Wiege“ {Familiaris consortio, Nr. 15). Aber es handelt sich um ein wahres Haus und Heim, wo die gegenseitige Liebe der Ehegatten und der Kinder wohnt. Auf diese Weise wird euer Haus, eure Familie „die Wohnung Gottes unter den Menschen“ {Offb 21,3), die „Hauskirche“ {Lumen gentium, Nr. 11) sein. 381 REISEN 6. Ich bin als Pilger und Bischof zu euch gekommen, um einen dringenden Apell an die chilenischen Familien zu wiederholen: „Familie, werde, was du bist!“ (Familiaris consortio, Nr. 17). Familie, entdecke deine Identität, nämlich „die innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe zu sein“ mit der „Sendung, die Liebe zu hüten, zu offenbaren und mitzuteilen als lebendigen Widerschein und wirkliche Teilhabe an der Liebe Gottes zu den Menschen und an der Liebe Christi, unseres Herrn, zu seiner Braut, der Kirche“ (ebd.). Ich bin gekommen, um euch zu sagen, daß die Familie der Stützpunkt ist, den die Kirche heute auch in Chile benötigt, um die Welt zu Gott hinzuführen und ihr die Hoffnung zurückzugeben, die vor ihren Augen verschwommen zu sein scheint. In der christlichen Familie zeigt sich mit aller Klarheit, daß „die Kirche das Herz der Menschheit ist“ {.Dominum et vivificantem, Nr. 67), weil „die Zukunft der Welt und der Kirche über die Familie führt“ {Familiaris consortio, Nr. 75) und in ihr geschmiedet wird. Der hl. Augustinus hat es treffend in seiner sicheren Intuition ausgesprochen: die Familie ist „die Pflanzschule des Staates“ {De civitate Dei, XV, 15: PL 42,459). Vom "Sakrament getragen, können die Ehepartner in Wahrheit leben Es stimmt, daß heute in bezug auf diese grundlegende Institution viele Probleme aufgeworfen werden. Manche sind dringend und sehr heikel, weil sie mit der entschlossenen Anwendung der christlichen Lehre über die Ehe in eurem kulturellen und sozialen Milieu verbunden sind. Vergeht in diesem Zusammenhang nicht, daß der Bezugspunkt immer die geoffenbarte Wahrheit sein muß, so wie die Kirche sie bekennt und ihr Lehramt sie lehrt. „Niemand kann die Liebe aufbauen, wenn er nicht in der Wahrheit ist. Dieser Grundsatz gilt ebenso für das Leben jeder Familie wie für das Leben und Handeln der Seelsorger, die den Familien zu dienen Vorhaben ... Die Aufgaben der christlichen Familien, deren Wesen die Liebe ist, lassen sich nur verwirklichen, wenn die Wahrheit voll und ganz gelebt wird ... Die Wahrheit ist es, die den Weg zur Heiligkeit und Gerechtigkeit eröffnet“ {Homilie beim Schlußgottesdienst mit den Synodenvätern, 2. November 1980). Das Lehramt der Kirche steht als Garant für diese Wahrheit. Es ist sich bewußt, daß es sich dabei um einen vorrangigen Dienst an der Familie und an der Gesellschaft selbst handelt. <15> <15> Wir müssen in dieser Lehre der Kirche etwas mehr als bloß einige äußere Normen entdecken, denn in ihr ist der geheimnisvolle Plan Gottes über die Eheleute enthalten, die dazu berufen sind, Mitarbeiter seiner schöpferischen Liebe zu sein. Gleichzeitig gehen sie einen Weg der persönlichen Heiligkeit, 382 REISEN des Zeugnisses und der Evangelisierung für die Welt. Das Zweite Vatikanische Konzil definierte die Familie als „Schule reich entfalteter Humanität“ (Gaudium etspes, Nr. 52). Die Familie ist die sensibelste Stelle, an der wir alle das Thermometer anlegen können, das uns die Werte und Gegenwerte anzeigt, die die Gesellschaft eines bestimmten Landes beleben oder zerstören. In diesem Zusammenhang versteht man besser, daß „sich die Familien — einzeln oder im Verband — vielfältigen gesellschaftlichen Aufgaben, vor allem im Dienst an den Armen widmen können und müssen“ (Familiaris consortio, Nr. 44). Deshalb soll sich — wie ich in dem Apostolischen Schreiben Familiaris consortio aufgezeigt habe — „der gesellschaftliche Auftrag der Familie auch in Formen politischen Handelns äußern, das heißt, die Familien müssen als erste sich dafür einsetzen, daß die Gesetze und Einrichtungen des Staates die Rechte und Pflichten der Familie nicht nur nicht beeinträchtigen, sondern positiv stützen und verteidigen. In diesem Sinne sollen die Familien sich dessen immer mehr bewußt werden, daß in erster Linie sie selbst im Bereich der sogenannten „Familienpolitik“ die Initiative ergreifen müssen; sie sollen die Verantwortung für die Veränderung der Gesellschaft übernehmen“ (Nr. 44). Das ist ein weiterer Anlaß, warum sich die Familie bewußt machen soll, daß sie berufen ist, die Hoffnung zu bewahren und zu pflegen durch die Liebe; in eben dieser Liebe Menschen zu formen, so daß sie für die soziale Gemeinschaft offen ist, angetrieben vom Sinn für Gerechtigkeit und von der Achtung gegenüber den anderen. Der Spaltpilz Ehescheidung schädigt alle Bereiche des Lebens 8. Liebe Ehegatten und -gattinnen Chiles, eure Sendung in der Gesellschaft und in der Kirche ist von hohem Rang. Darum müßt ihr Heime, Familien schaffen, die in Liebe geeint und im Glauben gestaltet werden. Laßt euch nicht von dem ansteckenden Krebsgeschwür der Ehescheidung befallen, die die Familie zerreißt, die Liebe unfruchtbar macht und die Erziehungstätigkeit der christlichen Eltern zerstört. Trennt nicht, was Gott verbunden hat (vgl. Mt 19,6). In der ehelichen Verbindung muß die Liebe echt sein, das heißt „ganz menschlich, total, ausschließlich und offen für ein neues Leben“ (Humanae vitae, Nr. 9 u. 11). In einer Welt, in der wir so oft eine tausendfach entstellte und verfälschte Liebe sehen, erachtet es die Kirche als eine ihrer am höchsten geschätzten und für die Rettung der Welt dringendsten Pflichten, „den unschätzbaren Wert der Unauflöslichkeit und der ehelichen Treue zu bezeugen“ (Familiaris consortio, Nr. 20). Die Liebe wird wesentlich an das Leben gebunden, sie richtet sich nach dem Leben aus. Darum ist die Familie eine „in- 383 REISEN nige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe“ (Gaudium et spes, Nr. 48; Fa-miliaris consortio, Nr. 17). Wenn die eheliche Liebe echt ist, ist sie in der Nachahmung Christi gegründet, der „bis zur Vollendung liebte“ (Joh 13,1). Gegenüber einer „lebensfeindlichen Haltung“ (Familiaris consortio, Nr. 30), die das Leben von seinen Anfängen im Mutterschoß an auszulöschen trachtet, fordert ihr, christliche Eheleute, immer das Leben, verteidigt es gegen jeden Hinterhalt, achtet es in jedem Augenblick und laßt ihm Achtung zuteil werden. Nur von dieser Achtung des Lebens in der Vertraulichkeit der Familie wird man zum Aufbau einer Gesellschaft übergehen können, die sich an der Liebe inspiriert und auf die Gerechtigkeit und den Frieden zwischen allen Völkern gründet. 9. Wenden wir uns noch einmal dem Text des Evangeliums zu, der bei dieser Eucharistiefeier verkündet wurde. In ihm begegnen wir ein paar wunderbaren, knappen Worten, die, das Leben der Heiligen Familie in Nazaret zusammenfassend, auf den Stil des verborgenen Lebens hinweisen, das der Gottessohn als Menschensohn zusammen mit Maria und Josef führte: „Dann kehrte er mit ihnen nach Nazaret zurück und war ihnen gehorsam. Seine Mutter bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen. Jesus aber wuchs heran, und seine Weisheit nahm zu, und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen“ (Lk 2,51-52). Was für ein dichter Inhalt in diesen kurzen Sätzen des Evangeliums des hl. Lukas! Heilige Familie von Nazaret! Mach, daß das Leben aller chilenischen Familien dir gleiche! Daß es tiefe menschliche und christliche Reife erlange; daß es sich von jener geistigen Schönheit durchdringen lasse, die der Liebe entspringt und sich in der Sorge, dem Dienst und der Hilfe für den Nächsten ausdrückt. Wenn man also die Sendung der Kirche in der Welt von heute bedenkt, sieht man, wie außerordentlich wichtig die Familie und wie dringend notwendig eine Familienpastoral ist, die den jungen Eheleuten und den Verlobten während ihrer Vorbereitung auf die Ehe klärende Unterweisungen gibt und ihren Weg begleitet. Deshalb möchte ich den chilenischen Episkopat zu seinem fruchtbaren Dienst auf dem Gebiet der Familienseelsorge, besonders während der letzten Jahre, beglückwünschen. Seit der Errichtung der Nationalkommission für Familienpastoral im Jahr 1979 hat man die Schaffung von Di-özesankommissionen im ganzen Land gefördert und zahlreiche nationale Begegnungen, Kurse und Familienwochen veranstaltet. Andererseits ist die Familie unter die wesentlichen Prioritäten der Seelsorgetätigkeit in Chile gestellt worden. Herzlich danken möchte ich auch den Priestern und allen Katecheten, Gründern und Verantwortlichen von Bewegungen, die sich der Pflege 384 REISEN der Ehespiritualität widmen, so wie auch den sogenannten Familienkatechesen, daß die Wahrheit über die Familie und das christliche Leben im allgemeinen als frohe Lebenserfahrung weiter ausgebreitet wird. 10. Gestattet mir, daß ich noch einen Hauptpunkt des Familienlebens betone, der sich auf die Erziehung der Kinder bezieht, so daß sie ihre eigene Berufung entdecken können. Derselbe Text des Lukasevangeliums, den wir gehört haben, wird uns bei unseren Überlegungen helfen. Denn bevor Maria und Josef nach Nazaret zurückkehrten, genau in dem Augenblick ihrer Begegnung mit Jesus im Tempel von Jerusalem, fragt ihn seine Mutter mit einiger Betroffenheit: „Kind, wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht. Da sagte er zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meinem Vater gehört?“ (Lk 2,48-49). Jesus sprach von seinem himmlischen Vater. Nur Jesus Christus konnte eine solche Antwort geben, weil sein ganzes Leben geprägt war von dem Wissen um die vom Vater empfangene messianische Sendung, nämlich die Sendung, die Welt zu erlösen, indem er alle Menschen ohne Ausnahme liebte, daß er sogar sein Leben für jeden von ihnen als Opfer hingeben würde. Man kann sagen, daß jeder Sohn bzw. jede Tochter im Laufe der Zeit zur Einsicht über seine bzw. ihre Berufung gelangt, die als von Gott erhaltener Auftrag oder Sendung sein oder ihr Lebensweg sein wird, um die eigene Existenz an Gott und an die Brüder zu verschenken und hinzugeben. Der Weg jedes einzelnen ist unwiederholbar. Niemand kann die anderen in der Sendung, die jeder einzelne von Gott empfangen hat, vertreten oder ersetzen. Väter und Mütter! Manchmal ist diese Berufung eine totale und ausschließliche Hingabe an den kirchlichen Dienst oder die Weihe im Ordensleben. Wißt diese Berufung deutlich zu erkennen, respektiert sie und wirkt an ihrer Verwirklichung mit! Wollte Gott, daß eure Familien wirklich Schulen des Glaubens, Orte des Gebets, Gemeinschaften seien, die freudig am Gottesdienst und an den Sakramenten teilnehmen. Wenn sie so Christus gemeinsam erfahren, werden sie mit Maria zu einer kleinen Gemeinschaft im Abendmahlssaal, von dem Apostel des Evangeliums ausgehen und Helfer, die den Brüdern in Not dienen. Während der Vorbereitung auf diesen Pastoralbesuch haben Hunderttausende chilenischer Familien in ihre Häuser den „Familienaltar“ aufgenommen, um das Gebet in der Familie wiederzubeleben. Möge diese schöne Gewohnheit weitergehen und das Beten des Rosenkranzes in der Familie wieder Brauch werden, wie es in den Häusern eurer Ahnen war. 385 REISEN 11. In wenigen Augenblicken werdet ihr eure Eheversprechen erneuern. Anschließend werdet ihr Gaben darbringen, die das Familienleben symbolisieren, darunter auch ein Bildnis der Muttergottes, die im Heiligtum von Lo Väs-quez verehrt wird. Dieses Bild wird von zwei Jugendlichen getragen, die alle eure Kinder vertreten. Möge dies alles Zeichen für eine Erneuerung des Familienlebens sein! „Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut“ (Ps 127,1). Chilenische Familie! Dank dafür, daß auch du Botin des Lebens sein willst. Dank für deinen christlichen Einsatz, wie er sich in der „Kampagne des Familienaltars“ gezeigt hat. Glaube immer an die Liebe, und verteidige das Leben! Gib nicht den Versuchungen des Egoismus und der Gewalt nach! Öffne Christus weit die Türen deines Hauses! Der Jungfrau Maria, die in allen Herzen und in allen chilenischen Familien gegenwärtig ist, vertraue ich eure Vorsätze zu Treue und Erneuerung an. Sie wird euch begleiten, um aus jedem Haus einen Tempel zu machen, in dem Gott herrscht, der die Liebe ist. Mit dieser Hoffnung erteile ich allen Familien von Valparaiso und Chile, besonders den Kindern, den Alten und den Kranken, meinen Apostolischen Segen. Aus dem Glauben das Lebensprogramm gestalten Ansprache an die Jugendlichen in Santiago de Chile am 2. April Liebe Jugendliche von Chile! 1. Lebhaft habe ich auf diese Begegnung gewartet, die mir Gelegenheit bietet, direkt eure Freude und eure Zuneigung zu erleben, dazu euer Verlangen nach einer Gesellschaft, die mehr der dem Menschen eigenen Würde entspricht, der nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen ist (Gen 1,26). Ich weiß, daß dies die Wünsche der Jugendlichen von Chile sind, und ich danke Gott dafür. Ich habe eure Briefe gelesen und mit großer Aufmerksamkeit und Bewegung eure Äußerungen gehört, in denen ihr nicht nur die Sorgen, Probleme und Hoffnungen der chilenischen Jugend in den verschiedenen Regionen und sozialen Verhältnissen darlegt. 386 REISEN Ihr habt auch darzulegen versucht, was ihr über unsere Gesellschaft und unsere Welt denkt und auf die Anzeichen der Schwäche, der Krankheit und sogar des geistigen Todes hingewiesen. Gewiß braucht unsere Welt eine tiefreichende Verbesserung, ein tiefes geistiges Erwachen. Obwohl der Herr alles weiß, will er, daß wir mit dem gleichen Vertrauen wie der Synagogenvorsteher Jai-rus, der um die Schwere des Zustandes seiner Tochter weiß und sagt: „Meine Tochter liegt im Sterben“ (Mk 5,23), ihm sagen, welches unsere Probleme sind, alles was uns Sorge macht oder betrübt. Und der Herr hofft, daß wir an ihn die gleiche Bitte richten wie Jairus, als er um das Leben seiner Tochter bittet: „Komm und leg ihr die Hände auf, damit sie wieder gesund wird“ (ebd.). Ich fordere euch daher auf: Vereinigt euch mit meinem Gebet für das Heil der ganzen Welt, damit alle Menschen zu einem neuen Leben in Christus auferstehen. Es gibt Chile, aber es gibt auch die ganze Welt; es gibt etliche Länder, etliche Völker, so viele Nationen, die nicht sterben können. Man muß beten, um den Tod zu besiegen. Man muß beten, um ein neues Leben in Jesus Christus zu gewinnen. Er ist das Leben; er ist die Wahrheit; er ist der Weinstock. 2. Ich möchte euch daran erinnern, daß Gott mit den männlichen und weiblichen Jugendlichen in Chile rechnet, um diese Welt zu ändern. Die Zukunft eures Vaterlandes hängt von euch ab. Ihr selbst seid eine Zukunft, die einmal Gegenwart wird, je nachdem, wie ihr jetzt euer Leben gestaltet. In dem Brief, den ich an die männlichen und weiblichen Jugendlichen in aller Welt bei Gelegenheit des internationalen Jahres der Jugend gerichtet habe, sagte ich euch: „Von euch hängt die Zukunft ab, von euch hängt das Ende dieses Jahrtausends ab und der Beginn des neuen. Bleibt also nicht passiv, sondern übernehmt eure Verantwortung auf allen Gebieten, die euch in unserer Welt offenstehen“ (Nr. 16). Daher möchte ich in diesem Stadion, einem Ort von Wettkämpfen, aber in vergangener Zeit auch von Schmerz und Leiden, vor den chilenischen Jugendlichen wiederholen: Übernehmt eure Verantwortung! Seid bereit, im Glauben an den Herrn Rechenschaft von eurer Hoffnung zu geben (vgl. 1 Petr 3,15). Euer Blick richtet sich auf die Welt und die sozialen Verhältnisse, so wie euer echter kritischer Sinn euch zur Analyse und klugen Bewertung der derzeitigen Lage eures Landes hinführen muß, sich aber nicht mit der bloßen Anprangerung der heutigen Übel begnügen darf. In eurem jugendlichen Geist müssen Lösungsvorschläge entstehen und Form annehmen — auch wenn sie kühn sind —, die nicht nur eurem Glauben entsprechen, sondern von ihm auch gefordert werden. So wird ein gesunder christlicher Optimismus dem unfruchtbaren Pessimismus das Wasser abgraben und euch Vertrauen auf den Herrn schenken. 387 REISEN Auferstanden zum Leben 3. Welches ist der Grund eures Vertrauens? Euer Glaube, die Anerkennung und Annahme der unermeßlichen Liebe, die Gott ständig den Menschen offenbart: „GottVater, der jeden von uns von Ewigkeit her liebt, deruns aus Liebe erschaffen und uns Sünder so sehr geliebt hat, daß er seinen eingeborenen Sohn dahingab, um unsere Sünden zu vergeben und uns mit sich zu versöhnen, damit wir mit ihm in einer Gemeinschaft der Liebe leben, die niemals endet“ {Botschaft an die Jugendlichen von 30. November1986, Nr. 2). Ja, Jesus Christus, der Gestorbene, Jesus Christus, der Auferstandene, ist für uns der endgültige Beweis dafür, daß Gott alle Menschen liebt. Jesus Christus, „derselbe gestern, heute und in Ewigkeit“ (Hebr 13,8), zeigt für die Jugendlichen weiter die gleiche Liebe, die das Evangelium schildert, wenn es einem männlichen oder weiblichen Jugendlichen begegnet. So können wir ihn betrachten in der biblischen Lesung, die wir gehört haben, bei der Auferweckung der Tochter des Jairus, von der Markus präzise sagt: „Sie war zwölf Jahre alt“ (Mk 5,42). Die Liebe, die Jesus für die Menschen, für uns empfindet, läßt ihn zum Haus des Synagogenvorstehers gehen. Alle Gesten und Worte des Herrn sprechen von dieser Liebe. Ich möchte vor allem bei den Worten Jesu verweilen: „Das Kind ist nicht gestorben, es schläft nur.“ Diese tief aufschlußreichen Worte lassen mich an die geheimnisvolle Präsenz des Herrn im Leben einer Welt denken, die anscheinend der vernichtenden Macht des Hasses, der Gewaltanwendung und Ungerechtigkeit erliegt, und doch ist es nicht so. Diese Welt, eure Welt, ist nicht gestorben, sie schläft nur. In euren Herzen, hebe Jugendliche, spürt ihr die verborgene Lebenskraft und Liebe Gottes. Die Jugend ist nicht tot, wenn sie nahe dem Meister weilt, ja, wenn sie nahe bei Jesus ist; ihr alle seid nahe bei Jesus. Hört alle seine Worte, alle Worte, ganz. Ihr Jugendlichen, hebt Jesus, sucht Jesus, begegnet Jesus! Aus dem Glauben an die Liebe Christi zu den Jugendlichen entsteht der christliche Optimismus, der sich in dieser Begegnung zeigt. 4. Christus allein kann die wahre Antwort auf alle eure Schwierigkeiten geben. Die Welt braucht eure persönliche Antwort auf des Meisters Worte des Lebens: „Ich sage dir, steh auf.“ Wir sehen, wie Jesus die Menschheit in den schwierigsten und leidvollsten Situationen begleitet. Das Wunder im Haus des Jairus zeigt uns seine Macht über das Böse. Er ist ja der Herr des Lebens, der Sieger über den Tod. Vergleichen wir zunächst den Fall der Tochter des Jairus mit der Situation der heutigen Gesellschaft. Natürlich dürfen wir nicht vergessen, daß nach der Lehre unseres Glaubens die Hauptursache des Bösen, von Krankheit und Tod aüch, die Sünde in ihren verschiedenen Formen ist. 388 REISEN Im Herzen eines jeden von uns hat sich diese Krankheit eingenistet, die uns also alle betrifft: die persönliche Sünde, die dann mehr und mehr im Gewissen Wurzeln faßt in dem Maße, wie man den Sinn für Gott verliert. In dem Maße, wie man den Sinn für Gott verliert! Gebt acht, daß der Sinn für Gott in eurem Innern nicht geschwächt wird. Man kann das Böse nicht durch das Gute besiegen, wenn man diesen Sinn für Gott nicht besitzt, für sein Wirken und seine Gegenwart, die uns einlädt, immer auf die Gnade zu setzen, auf das Leben, gegen die Sünde, gegen den Tod. Das Los der Menschheit steht auf dem Spiel: „Der Mensch kann eine Welt ohne Gott bauen, diese Welt richtet sich aber schließlich gegen den Menschen“ (Reconciliatio et paenitentia, Nr. 18). Liebe Jugendliche, kämpft mutig gegen die Sünde und gegen die Mächte des Bösen in all ihren Formen, kämpft gegen die Sünde. Kämpft den guten Kampf des Glaubens für die Würde des Menschen, für die Würde der Liebe, für ein edles Leben, ein Leben als Kinder Gottes. Die Sünde mit dem Verzeihen Gottes zu besiegen ist eine Heilung, eine Auferstehung. Setzt sie ins Werk mit vollem Bewußtsein für eure unverzichtbare Verantwortlichkeit. 5. Schaut ihr in euer Inneres, so entdeckt ihr dort zweifellos Fehler, unbefriedigtes Verlangen nach dem Guten, Sünden, doch ebenso entdeckt ihr, daß in eurem Innern ungenützte Kräfte schlummern, nicht genügend geübte Tugenden, nicht ausgenützte Talente. Wie viele Energien ruhen verborgen im Herzen eines Jungen oder eines Mädchens! Wieviel berechtigte und tiefe Erwartungen und Sehnsüchte, die notwendig entbunden und ans Licht gebracht werden müssen! Energien und Werte, die oft durch das Verhalten und den Druck einer säkularisierten Welt erstickt werden und nur in der Glaubenserfahrung aufleben können, in der Erfahrung des lebendigen Christus und des gestorbenen, gekreuzigten Christus, des auferstandenen Christus. Junge Chilenen: Fürchtet euch nicht, auf Christus zu schauen! Schaut auf den Herrn! Was seht ihr da? Ist er nur ein weiser Mann? Nein! Er ist mehr als das. Ist er ein Prophet? Ja, aber er ist noch mehr. Ist er ein sozialer Reformator? Er ist viel mehr als ein Reformator, viel mehr. Schaut mit hellen Augen auf den Herrn, und ihr entdeckt in ihm das Anlitz Gottes selber. Jesus ist das Wort, das Gott der Welt zu sagen hat. Er ist Gott selber, der gekommen ist, um unser Schicksal — das Schicksal jedes einzelnen — zu teilen. Im Kontakt mit Jesus kommt das Leben zum Vorschein. Fern von ihm aber gibt es nur Finsternis und Tod. Ihr dürstet nach Leben, nach ewigem Leben! Nach ewigem Leben? Sucht und findet es also in dem, der nicht nur Leben gibt, sondern das Leben selber ist. 389 REISEN Jesus richtet den von täglicher Last Gebeugten wieder auf 6. Dies, meine Freunde, ist die Botschaft vom Leben, die der Papst den jungen Chilenen ausrichten möchte: Geht auf Christus zu! Schaut auf Christus und lebt in Christus! Das ist meine Botschaft: „Jesus soll der Eckstein (vgl. Eph 2,20) eures Lebens sein, der neuen Kultur, die ihr in hochherziger Solidarität des Miteinander aufbauen sollt. Es kann kein echtes menschliches Wachsen in Frieden und Gerechtigkeit, in Wahrheit und Freiheit geben, wenn nicht Christus mit seiner erlösenden Kraft dabei ist“ (Botschaft an die Jugendlichen vom 30. November 1986, Nr. 3). Schaut mutig auf Christus und betrachtet sein Leben in ruhiger Lektüre des Evangeliums. Geht vertrauensvoll mit ihm um in eurem innigen Gebet, in den Sakramenten und zumal in der heiligen Eucharistie, wo er sich für uns darbringt und real gegenwärtig bleibt. Hört nicht auf, euer Gewissen gründlich und ernsthaft zu bilden auf der Grundlage der Lehren, die Christus uns hinterlassen hat und die seine Kirche bewahrt und mit der von ihm empfangenen Autorität darlegt. Wenn ihr so mit Christus umgeht, werdet ihr auch in der Tiefe des Herzens die Bitten des Herrn und seine ständigen Anregungen vernehmen. Jesus wendet sich weiter an euch und wiederholt immer wieder: „Ich sage dir, steh auf!“ (Mk 5,41), zumal immer dann, wenn eure Werke nicht treu das zum Ausdruck bringen, was ihr mit den Lippen bekennt. Sorgt dann dafür, euch nie von Christus zu trennen, sondern im Herzen die göttliche Gnade zu bewahren, die ihr in der Taufe empfangen habt, und tretet immer, wenn es notwendig ist, zum Sakrament der Versöhnung und des Verzeihens hinzu. 7. Wenn ihr euch dafür einsetzt, dieses Lebensprogramm praktisch durchzuführen, das im Glauben und in der Liebe zu Jesus Christus verwurzelt ist, seid ihr fähig, die Gesellschaft umzuformen und ein menschlicheres, brüderlicheres, christlicheres Chile aufzubauen. All das scheint im Wort des Evangeliums, das wir gehört haben, zusammengefaßt: „Sofort stand das Mädchen auf und ging umher“ {Mk 5,42). Mit Christus werdet auch ihr sicher gehen und seine Gegenwart auf allen Wegen zur Geltung bringen, bei allem Tun dieser Welt, bei aller Ungerechtigkeit dieser Welt. Mit Christus werdet ihr darauf hinarbeiten, daß eure Gesellschaft sich bereitmacht, neue Wege zu gehen, bis in ihr jene Kultur der Wahrheit und der Liebe aufgerichtet ist, verankert in den eigentlichen Werten des Evangeliums, hauptsächlich im Gebot der Liebe, dem göttlichsten und menschlichsten Gebot. Christus bittet uns, daß wir nicht gleichgültig bleiben angesichts der Ungerechtigkeit, daß wir uns verantwortlich dem Aufbau einer christlicheren und besseren Gesellschaft verpflichten. Gerade deswegen darf es in unserem Le- 390 REISEN ben keinen Haß geben. Wir müssen auch jede Ideologie als betrügerisch, falsch und unvereinbar mit seiner Nachfolge betrachten, die Gewalt und Haß als Heilmittel hinstellt, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Liebe siegt immer — die Liebe hat gesiegt, als Christus gesiegt hat —, auch wenn sie uns gelegentlich bei konkreten Ereignissen und Situationen als unbrauchbar erscheinen mag. Christus schien auch machtlos zu sein. Gott vermag immer noch mehr. In der Glaubenserfahrung mit dem Herrn entdeckt ihr das Antlitz dessen, der, weil er unser Meister ist, als einziger uns total fordern darf, grenzenlos. Entscheidet euch für Jesus, und lehnt alle Götzen der Welt ab, die Idole, die die Jugend zu verführen suchen. Gott allein verdient Anbetung. Er allein verdient euren vollen Einsatz. Seid ihr bereit, das Idol des Reichtums abzulehnen, das Habenwollen, den Konsum, das leichtverdiente Geld? Seid ihr bereit, das Idol der Macht als Herrschaft über andere anstelle einer Haltung des brüderlichen Dienstes nach dem Beispiel Jesu abzulehnen? Wirklich? Seid ihr bereit, das Idol des Geschlechtlichen und des Vergnügens abzulehnen, das euer Verlangen nach der Nachfolge Christi auf dem Weg des Kreuzes, der zum Leben führt, aufhält, das Idol, das die Liebe zerstören kann? <16> <16> Ihr, junge Menschen, steht auf und nehmt mit vielen Tausenden von Männern und Frauen in der Kirche die unermeßliche Aufgabe in die Hand, das Evangelium zu verkünden, behutsam die Leidenden dieser Welt zu betreuen und nach Wegen zu suchen, ein gerechtes Land, ein Land in Frieden aufzubauen. Der Glaube an Christus lehrt uns, daß es sich lohnt, für eine gerechtere Gesellschaft zu arbeiten, daß es sich lohnt, die Unschuldigen, Unterdrückten und Armen zu verteidigen, daß es sich lohnt zu leiden, um das Leiden der änderen zu lindern. Junge Menschen, steht auf! Ihr seid aufgerufen, leidenschaftliche Sucher der Wahrheit zu sein, unermüdlich die Güte zu pflegen, Männer und Frauen zu sein, die zur Heiligkeit berufen sind. Mögen die Schwierigkeiten, die ihr durchmachen müßt, kein Hindernis für eure Liebe und Hochherzigkeit sein, vielmehr eine kräftige Herausforderung. Werdet nicht müde zu dienen, verfälscht nicht die Wahrheit, und überwindet eure Furcht, seid euch der eigenen persönlichen Grenzen bewußt. Ihr müßt stark und mutig sein, hellsichtig und ausdauernd auf diesem schweren Weg. Laßt euch nicht durch die Gewalt verführen und die tausend Gründe, die sie scheinbar rechtfertigen. Wer behauptet, mit Gewalt käme man zur Gerechtigkeit und zum Frieden, der irrt sich. 391 REISEN Junge Menschen, steht auf, glaubt an den Frieden, auch wenn er eine schwierige Aufgabe ist, eine Aufgabe für alle. Verfallt angesichts des scheinbar Unmöglichen nicht in Apathie, denn in euch wächst bereits die Saat des Lebens für das Chile von morgen heran. Die Zukunft der Gerechtigkeit, die Zukunft des Friedens liegt in euren Händen und erhebt sich aus der Tiefe eurer Herzen. Seid Pioniere beim Aufbau eines neuen Zusammenlebens in einer gerechteren, gesünderen und brüderlicheren Gesellschaft. 9. Ich schließe mit einer Anrufung unserer Mutter, der heiligen Maria, der Jungfrau vom Karmel, der Patronin eures Vaterlandes. In der Vergangenheit haben vor allem die Seeleute sich an diese Anrufung gehalten und die Mutter Gottes gebeten, sie zu schützen und zu behüten auf ihren weiten und oftmals schwierigen Fahrten. Stellt auch ihr euren Lebensweg, euer junges Leben, das ja nicht frei von Schwierigkeiten ist, unter ihren Schutz, und sie wird euch zum Hafen des wahren Lebens führen. Amen. Zeugnis fiir die Kirche geben Ansprache an die Ordensfrauen und Mitglieder der Säkularinstitute in Santiago de Chile am 3. April Liebe Schwestern und Mitglieder von Säkularinstituten! 1. Unermeßliche Freude erfüllt mich, daß ich euch hier in Maipu begegnen darf, an einem so bezeichnenden und wichtigen Ort in eurer Geschichte. Hier wurde nämlich die Freiheit Chiles als Nation wie auch die unverbrüchliche Freundschaft mit dem Brudervolk Argentinien besiegelt. Und dies ist auch der Ort, an dem die Väter des Vaterlandes ihre Liebe zu Maria zum Ausdruck brachten und durch ein Gelöbnis das Schicksal dieses großen Volkes der Mutter Jesu Christi anvertrauten. In euch Anwesenden grüße ich alle gottgeweihten Personen im Ordensstand sowie die Mitglieder der Säkularinstitute. Meine Gedanken gehen auch zu jenen, die an den entferntesten Orten dieses lieben Landes ihr Leben dem Dienst am Nächsten weihen wie auch zu denen, die nicht unter uns weilen können, weil sie in Hospitälern arbeiten oder alte Leute betreuen müssen oder ihre entsagungsvolle Arbeit in anderen Bereichen, wie der Erziehung und Fürsorge leisten. Endlich gilt mein Gruß allen kranken Ordensmännern und -frauen, die ihre Schmerzen für die Kirche aufopfern. 392 REISEN Ich benutze diese Gelegenheit, um euch im Glauben zu stärken und euch in eurem Beruf der unbedingten Nachfolge des Herrn zu ermutigen mit der „Freude, ausschließlich Gott anzugehören“ (Redemptionis donum, Nr. 8), dajaeuer ganzes Leben eine bräutliche Antwort auf das „folge mir nach“ ist als Erklärung eurer Liebe (vgl. Mk 10,21-31). Diese Nachfolge muß euch feinfühliger machen für die Leiden und Nöte der Menschen, zugleich aber noch treuer gegenüber der Kirche. Die gottgeweihten Menschen haben in diesem geliebten chilenischen Land im Geist des Glaubens die pastoralen Weisungen der Bischöfe angenommen und so zur apostolischen Lebenskraft und zu einer größeren Einfügung in die Ortskirchen beigetragen. Ich ermutige euer Bemühen, die vom H. Vatikanischen Konzil und dem lateinamerikanischen Episkopat in Medellin und Puebla gegebenen Weisungen zum gottgeweihten Leben Wirklichkeit werden zu lassen. Ihr habt euer je eigenes Charisma neu entdeckt, seid zu den Quellen eurer Gründer und Gründerinnen zurückgekehrt, habt Anpassungen an die heutigen Verhältnisse vorgenommen und so das Gebetsleben und das Gemeinschaftsleben im Sinn des Evangeliums und gemäß der Überlieferung und dem Lehramt der Kirche neu angeregt. 2. Mit eurem Dienst in Kollegien, Hospitälern und Pfarreien und da, wo ihr das Leben und das Schicksal der Ärmsten teilt, gebt ihr ein sichtbares Zeugnis von eurem Gehorsam, das heißt von der Annahme des Willens Gottes,: der euch in seinen Dienst ruft. Nur in einer Haltung der Armut, die immer bereit ist, das Wort Gottes mit dem Herzen zu hören (vgl. Lk 2,19.51), und in einem Leben, arm im Sinn des Evangeliums, könnt ihr euren am meisten benachteiligten Brüdern und Schwestern begegnen, um ihnen zu helfen, daß sie die evangelische Botschaft von den Seligpreisungen entdecken und gleichzeitig ihre Lebensbedingungen verbessern. Die Präsenz der Kirche in der Welt — und ich füge hinzu: hier und jetzt in eurer Heimat — stellt in jedem Moment eine Reihe von Aufgaben, denen ihr mit der Gabe der Unterscheidung und evangelischer Kühnheit, Frucht einer echten persönlichen und gemeinschaftlichen Erneuerung, begegnen sollt. Daher fordert das ganze apostolische Wirken, das euch aufgetragen ist, vor allem Treue und eine hochherzige Hingabe an das Wort und die Gnade Gottes, die euer gottgeweihtes Leben aus der Tiefe inspirieren. Eure Nachfolge Christi muß klar und deutlich sein, so daß Kriterien, Wertmaßstäbe und Haltungen keinen anderen Bezugspunkt haben als die Person und die Botschaft Jesu selber. Er ist euer Führer, euer Meister und Bräutigam, euer Herr, weil euer Leben im persönlichen Verhältnis zu ihm seine Mitte hat. Um ihm nachzufolgen und um sein Schicksal zu teilen, habt ihr alles verlassen (vgl. Mt 19,27), und so muß er in euren Worten und Taten sichtbar werden. 393 REISEN Man hört öfter die Meinung, die Welt dürste heute nach der Botschaft des Evangeliums, und das Ordensleben müßte in diesem Sinn prophetischen Charakter haben. Gibt es etwas, das prophetischer wäre als eine dem Herrn und seiner Botschaft geweihte Existenz, um ihn unter den Menschen präsent zu machen? Wenn ihr dem Bruder nahe seid, seid ihr bereits ein Zeichen der evangelischen Hoffnung. In einer Welt von Stolz und Hoffart Zeichen der Demut setzen 3. In einer Welt, in der man um Macht und Reichtum kämpft, in der die menschliche Dimension des eigenen Körpers ihre Bedeutung verliert und sich von der echten Liebe löst, ist die Verpflichtung zu den evangelischen Räten, um Jesus Christus in größerer Nähe zu folgen, eine eindrucksvolle Prophetie. Angesichts der Ungerechtigkeit und Gewaltanwendung, angesichts des Materialismus, der die menschliche Würde zerstört, entscheidet ihr euch in Treue zur Kirche für einen Weg, der die Nachfolge des armen, keuschen und gehorsamen Christus zur Grundlage hat. „Reich ist nicht, wer besitzt, sondern wer ,gibt‘, wer geben kann“ (Redemptionis donum, Nr. 4). Dieses Sich-Lösen von allem Stolz und aller menschlichen Macht bestimmt die zwischenmenschlichen Beziehungen und bietet eine Alternative, die in euren Gemeinschaften gelebt werden muß und die sich nach den Seligpreisungen ausrichtet. „Die Welt bedarf des echten ,Widerspruchs der Ordensweihe als eines beständigen Sauerteigs heilsamer Erneuerung ... Die heutige Welt und Menschheit bedürfen genau dieses Zeugnisses der Liebe. Sie bedürfen des Zeugnisses der Erlösung, so wie dieses in der Profeß der evangelischen Räte enthalten ist“ (Redemptionis donum, Nr. 14). Euer Leben ist ein Appell, damit sich die Zukunft des Menschen und der Welt schon heute nach den Werten des Reiches Gottes ausrichten. Euer Verhalten inmitten der Welt muß die Menschheit daran erinnern, daß die Forderung des Evangeliums weiter gültig bleibt; wer sein Leben retten will, muß es aus Liebe verlieren (vgl. Lk 9,24). Das christliche Zeugnis, unzertrennlich verbunden mit der Erfüllung der Gelübde und den Verpflichtungen des Evangeliums lädt dazu ein, den menschlichen Horizont und die menschlichen Wünsche zu erweitern und jede Ideologie abzuweisen, die alles in eine materialistische Sicht der Welt und des Menschen einspannen möchte. Die gottgeweihten Personen „geben durch ihren Stand ein deutliches und hervorragendes Zeugnis dafür, daß die Welt nicht ohne den Geist der Seligpreisungen verwandelt und Gott dargebracht werden kann“ (Lumen gentium, Nr. 31). Und so „haben wir angesichts all dieser bedrohenden Mächte uns entschieden, wie Christus, der Sohn Gottes und Erlöser der Welt, arm zu sein, arm wie Franziskus, das laut 394 REISEN redende Bild Christi, arm wie so viele große Menschen, die den Weg der Menschheit erhellt haben“ (Weihnachtsbotschaft 1986). Die Komponenten des ,,Ora etLabora“zur Synthese vereinen 4. Soll die religiöse Ausrichtung ihres Lebens offenkundig und fruchtbar sein, müssen die Mitglieder der Institute des aktiven Lebens sich ernsthaft überlegen, wie sie eine echte Synthese zwischen Aktion und Kontemplation erreichen können. Das gilt sowohl, wenn ihr unermüdlich für die Evangelisierung arbeitet und vom Evangelium her euren Brüdern dient, als auch wenn ihr auf allen Gebieten tätig seid, wo die Kirche präsent wird. All das darf euch nicht nur nicht vom Religiösen dispensieren, eure apostolische Arbeit muß vielmehr in Gott gleichsam eingetaucht sein, und ihr erreicht dies durch eine große Reinheit der Absichten und einen Geist, der Brüderlichkeit und Harmonie ausstrahlt, ohne jemand auszuschließen. Wollt ihr inmitten der täglichen Arbeit eure Weihe an Gott leben, müßt ihr die gebieterische Notwendigkeit spüren, Gott in eurer Arbeit zu begegnen und zu lieben. Es darf keinen Gegensatz geben zwischen eurer Arbeit und echter Kontemplation. Das setzt freilich voraus, daß ihr mit ihm arbeitet und ihm in der Arbeit begegnet. Gewiß macht das einerseits notwendig, euch besondere Zeiten vorzubehalten für die ganz persönliche Begegnung mit dem Herrn im stillen Gebet. Die Kontemplation führt dann zum apostolischen Wirken hin, und dieses wiederum hilft, die Bedeutung der Augenblicke zu schätzen, die ausdrücklich dem Gebet und der Kontemplation gewidmet sind. Jeder gottgeweihte Mensch ist im Grunde kontemplativ. Wie das II. Vatikanische Konzil lehrt: „Die gänzlich auf die Kontemplation hingeordneten Institute ... bringen Gott ein erhabenes Lobopfer dar und schenken dem Volk Gottes durch überreiche Früchte der Heiligkeit Licht, eifern es durch ihr Beispiel an und lassen es in geheimnisvoller apostolischer Fruchtbarkeit wachsen“ (Perfectae caritatis, Nr. 7). <17> <17> Gern richte ich von diesem marianischen Heiligtum aus einige Worte besonderer Wertschätzung und Zuneigung an alle Schwestern des kontemplativen Lebens in Chile. Ja, ihr seid das Herz, der Herzschlag der Kirche; ihr seid mit dem strengen und anspruchsvollen Leben im Kloster echte Mitarbeiterinnen der Heilssendung Christi und erlesener Ausdruck seiner Liebe.. Die Hingabe, zu der euch Gott durch eine besondere Initiative seiner Liebe geweiht hat, zeigt seine große Vorliebe für euch. Euer Zeugnis, gelebt in einem Klima des Friedens und in der Tiefe eures inneren Lebens, ist damit eine Äußerung der Liebe, jener bräutlichen Liebe, die ihre Wurzeln in der Liebe 395 REISEN Christi hat. Es verkündet auch durch euer schweigendes und verborgenes Leben den Ruhm der Dreifaltigkeit, und ihr helft durch euer Gebet und euer Zeugnis euren Brüdern, zur Fülle des christlichen Lebens zu gelangen im Vater, im Sohn und im Heiligen Geist. Ihr, eurerseits Ordensfrauen der Institute des aktiven Lebens, müßt euch üben injener Fähigkeit, die die Gnade schenkt: Göttin allem zu begegnen. Wir müssen Jesus suchen und finden, wo er uns erwartet, in den Zeichen, die er bereitet hat: in der Eucharistie, im Wort Gottes, in den Sakramenten, in der Gemeinschaft, in den Mitmenschen und Ereignissen ... Ihr müßt in eurer Arbeit Kontemplative sein. Dadurch kommt Folgerichtigkeit in euer Leben, und eure apostolische Arbeit gewinnt an Tiefe. Das Zeichen der Echtheit sowohl für die Kontemplation als auch für die Aktion im Sinn des Evangeliums ist die Einheit des Lebens, wenn man nämlich immer den Herrn und seinen Heilswillen sucht. In dieser harmonischen Synthese zwischen Kontemplation und Aktion werdet ihr entdecken, daß die Evangelisierung ein bevorzugtes Mittel der Heiligung und eine normale Übung des gottgeweihten Lebens ist. Heilung bringen fiir die Wunden der Welt 6. Ich möchte ferner daran erinnern, daß ihr als Menschen, die in ihrem Leben die Gnade der Versöhnung mit Gott erfahren, zugleich Werkzeuge der Versöhnung in der Kirche und in der Gesellschaft von Chile sein sollt. Die Freiheit, die euch die Praxis eurer Gelübde und eures Lebens nach'dem Evangelium geschenkt hat, muß euch feinfühlig für die Probleme unserer Zeitmachen, um sie ins rettende Licht der christlichen Botschaft zu stellen. Wir können nicht die Wirklichkeit der Sünde und ihrer Folgen imLeben der einzelnenund der Gesellschaften verschweigen. Die schlimmen Folgen des Egoismus und der Spaltungen, der Rachegedanken und Ungerechtigkeiten weit und breit in unserer Welt liegen offen vor aller Augen. Der Christ hat keine unmittelbare Lösung für die Konflikte zur Hand, doch erbaut auf die Lehre des Evangeliums, um sie einzugrenzen: es gilt Beleidigungen zu verzeihen, die Feinde zu lieben, allen barmherziges Mitleid zu bezeugen. „Die Erfahrung der Vergangenheit und auch unserer Zeit lehrt, daß die Gerechtigkeit allein nicht genügt, ja, zur Verneinung und Vernichtung ihrer selbst führen kann, wenn nicht einer tieferen Kraft—der Liebe — die Möglichkeit geboten wird, das menschliche Leben in seinen verschiedenen Bereichen zu prägen“ (Divesinmisericordia, Nr. 12). „DieKirche lebt ein authentisches Leben, wenn sie das Erbarmen bekennt und verkündet“ (,ebd., Nr. 13). „Die Kirche betrachtet es (daher) mit Recht als ihre Pflicht, als Ziel ihrer Sendung, die Echtheit des Verzeihens zu bewahren, sowohl im Leben und Verhalten als auch in der Erziehung und Seelsorge“ {ebd., Nr. 14). 396 REISEN Die freudig übernommenen Verpflichtungen des gottgeweihten Lebens schreiben euch als Schülerinnen in jene Schule der Barmherzigkeit und Liebe ein, die die Jünger Christi auszeichnen muß. Die Theologie des Kreuzes besteht für euch vor allem darin, die Schwierigkeiten und das Leiden in hingebende Liebe umzuwandeln wie Christus, der in Liebe lebte und starb. Im Gegensatz zu dieser christlichen Haltung befinden sich jene, die auf kurze Sicht offenbar wirksamere Theorien vertreten, die aber in Wirklichkeit unvermeidlich eine Spirale der Gewalt in Bewegung bringen und das menschliche Zusammenleben „in einen Schauplatz ständigen Kampfes der einen gegen die anderen verwandeln“ (Dives in misericordia, Nr. 14). Ihr müßt Werkzeuge des Friedens in der Hand des Herrn sein und müßt an die Wahrheit und Kraft des Evangeliums von der Versöhnung glauben. Der Friede beginnt auf der Ebene der einzelnen und der Völker Wirklichkeit zu werden, wenn „die Menschen einander in brüderlicher Gesinnung begegnen“ (Gaudium et spes, Nr. 24). ■ Kirche ist nicht nur soziales Phänomen, sondern vor allem Leib Christi 7. Besonders wichtig bleibt, liebe Schwestern, daß ihr intensiv die kirchliche Gemeinschaft lebt. Ihr wißt, daß dieses Zeichen die echten Jünger Christi auszeichnet. Diese Gemeinschaft beschränkt sich nicht auf ein juridisches Band, sie wurzelt vielmehr im Leben Gottes selber, der die Liebe ist, wir aber dürfen an ihr teilhaben in der Kirche, dem Bild der göttlichen Dreieinigkeit (vgl. Lumen gentium, Nr. 4). Ordensleute und gottgeweihte Personen „leben von der Liebe gedrängt, die der Heilige Geist in ihre Herzen ausgegossen hat, mehr und mehr für Christus und seinen Leib, die Kirche“ (Perfectae caritatis, Nr. 1). „Im Apostolat, das die geweihten Personen ausüben, wird die bräutliche Liebe zu Christus auf fast organische Weise Liebe zur Kirche als dem Leib Christi, zur Kirche als Volk Gottes, zur Kirche, die zugleich Braut und Mutter ist“ (Redemptionis donum, Nr. 15). Seid daher immer bemüht, die Bande kirchlicher Gemeinschaft mit euren Hirten zu festigen und sorgt dafür, daß ihr jederzeit Sauerteig der Einheit unter den Gliedern der Gemeinschaften seid. Als Nachfolgerinnen Christi müßt ihr besonders jene im Auge behalten, die mehr gefährdet sind oder fernstehen. Möge eure Demut und Annahmebereitschaft sie ermuntern, sich wieder in die Herde des einzigen Hirten einzufügen. Die gottgeweihten Personen müssen mit ihrem einsatzfreudigen und opferbereiten Leben Zeugnis für die Kirche als „Sakrament“ geben, das vom Herrn erwählt wurde, „um die Menschen untereinander und mit Gott zu versöhnen“ (Lumen gentium, Nr. 1). Dieser Weg der Versöhnung, der universale Gültig- 397 REISEN keit hat, wird in eurem Vaterland besonders wichtig, das inmitten von unleugbaren Spannungen einen Weg zu dauerhaftem Frieden sucht. Eure Hirten haben wiederholt alle Menschen guten Willens aufgerufen, sich um den Aufbau des Friedens größte Mühe zu geben und innerhalb eines berechtigten Pluralismus Wege der Solidarität und der Versöhnung zu finden. Mit eurem Gebet, eurem Zeugnis für das gottgeweihte Leben sowie durch euer apostolisches und karitatives Wirken sollt ihr immer Erbauer von Gemeinschaft und Frieden sein. 8. In dieser Hoffnung begegne ich euch, geliebte Ordensschwestern von Chile, zu Füßen der allerseligsten Jungfrau und möchte euch ein besonderes Vermächtnis hinterlassen: folgt Christus radikal nach! Die Liebe zu seiner Person und die Hingabe an sein Erlösungswerk bilden die Wahl eures Lebens. In eurer Ordensprofeß habt ihr euch dafür so radikal entschieden, daß „der unergründliche Reichtum Christi“ (Eph 3,8) zur Mitte und zum Angelpunkt aller anderen Entschlüsse geworden ist. Nur in Christus und durch ihn erkennt und übernehmt ihr jede andere Aufgabe, und zwar so, daß euer Dienst an den Mitmenschen seinen Weg über die unbedingte Hingabe an Christus, euren Herrn und Bräutigam, nimmt. Eure radikale Nachfolge Christi muß euch zu einer vorbehaltslosen Identifizierung mit Christus im Geheimnis seiner Armut, seiner Keuschheit und seines Gehorsams führen. Dies und nichts anderes muß die innerste und kirchliche Mitte des Herzens der Ordensfrau sein, zugleich die Quelle ihrer Fruchtbarkeit in der Kirche und in der Welt. Ihre bevorzugte Liebe zu Christus muß Antrieb und Ausrichtung ihres ganzen Lebens sein. Die Dynamik eurer unbedingten Nachfolge des Herrn wird auch zu einem erneuten Anlauf für euer missionarisches Bemühen innerhalb und außerhalb eurer Heimat führen. Mit Freude habe ich vernommen, daß chilenische Mis-sionarinnen und Missionare bereits auf anderen Kontinenten in der Verkündigung des Evangeliums mitarbeiten. Auch in eurem Land, das der Herr derzeit mit vielen Berufungen segnet, bleibt es wichtig und dringend, daß die Ordensleute die entferntesten Gegenden, die schwierigsten und am meisten not-leidenden Gebiete aufsuchen und dort auch bleiben, weil das für eine Festigung des Werkes der Kirche notwendig ist. Bei dieser Gelegenheit möchte ich ein besonderes Wort der Ermunterung an die Mitglieder der Säkularinstitute richten, die mit ihrem Stil eines gottgeweihten Lebens in der Welt, wie er vom II. Vatikanischen Konzil anerkannt wurde^ der Kirche in Chile einen wertvollen Dienst leisten und neue apostolische Aufgaben aufgreifen. Auch sie sind ja Sauerteig Christi in der Welt. Euer Charisma bildet die Grundlage für einen Dienst von großer Aktualität. Mit 398 REISEN eurem apostolischen Wirken in der Welt verkündet ihr den Ruhm Gottes und tragt wirksam bei zum Aufbau jener Kultur der Liebe, die dem Plan Gottes für die Menschheit in der Hoffnung auf seine Wiederkunft in Herrlichkeit entspricht. 9. Liebe Schwestern, ich hatte die Freude, mit euch zusammenzusein in dieser Kirche, die Unserer Lieben Frau vom Karmel geweiht ist. Die heiligste Jungfrau bleibt das hohe Vorbild für jeden gottgeweihten Menschen. Sie ist die gottgeweihte Frau schlechthin, die Jungfrau von Nazaret, die auserwählt wurde, Mutter Gottes zu werden, weil sie hörte, betete und liebte. „Wenn die ganze Kirche in Maria ihr erstes Modell findet, um wieviel mehr findet ihr es, gottgeweihte Personen und Gemeinschaften in der Kirche!“ (Redemptionis donum, Nr. 17). Demütig und selbstvergessen verwandte Maria ihr Leben darauf, daß sich in ihr der Wille Gottes erfüllte. Ihr ganzes Sein stand im Dienst des Heilplanes Gottes. Sie war in Wahrheit glücklich und selig zu preisen. Aller Macht entkleidet außer der des Geistes, der sie überschattete (Lk 1,35), schreckte sie nicht vor dem Kreuz zurück, lebte vielmehr ihre bräutliche Treue zum Herrn als Urbild und Mutter der Kirche (vgl. Lumen gentium, Nr. 58). Möge die Jungfrau Maria euch, ihr Dienerinnen Christi, immer begleiten. Möge sie euch den Weg der Treue und demütigen Freude lehren, die ihr euer ganzes Leben in den Dienst des Reiches stellt. Möge sie euch unterweisen und anregen auf dem Weg der Heiligkeit und der Evangelisierung. Allen Ordensschwestern und gottgeweihten Menschen in Chile erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen. Landarbeiter leisten einen unentbehrlichen Dienst Gruß an die Campesinos in Maipu (Chile) am 3. April Liebe Brüder und Schwestern! 1. Unterwegs nach Maipu zu dieser feierlichen Krönung des Gnadenbüdes Unserer Lieben Frau vom Karmel dankte ich Gott, unserem Vater, von dem alles Gute kommt, beim Anblick eurer Felder und im besonderen beim Betrachten der Landgüter von Maipu, die ihr mit Hingabe und Kraft bebaut. Es bereitet mir eine tiefe Freude, mich mit so vielen Gläubigen aus Santiago und aus dem ganzen Land an diesem Ort, in dieser großen Ebene des Natio- 399 REISEN nalheiligtüms von Maipu zu treffen. Wenn ich euch hier um Jesus und Maria versammelt sehe, meine ich alle Chilenen und Chileninnen vor Augen zu haben, wie sie sich wieder einmal unter den Schutzmantel der Jungfrau vom Karmel stellen, die im Heiligtum sichtbar dargestellt ist. Ich begrüße ganz besonders die Bewohner von Maipu und alle Campesinos (Landarbeiter) von Santiago, die kommen wollten, um die Jungfrau mit den besten Gaben ihrer Huasa-Tradition zu ehren. 2. Liebe Campesinos, eure Arbeit hat eine besondere Würde, denn sie ist ein grundlegender, unentbehrlicher Dienst für die ganze Gemeinschaft, und durch sie verwirklicht ihr eure menschliche Berufung als Mitarbeiter Gottes in engem Kontakt mit der Natur. Gerade weil die Arbeit ein Zusammenwirken mit Gott ist, können wir Christen uns nicht mit einer halben Arbeit einverstanden erklären. Das „Evangelium der Arbeit“, das uns Jesus während seines Lebens als Handwerker lehrte, soll euch in euren Aufgaben ermutigen, euch jedoch auch dazu anhalten, eure eigene Kultur zu verbessern und eure Berufsausbildung zu vervollkommen. Darüber hinaus soll der Christ sein ganzes Berufsleben einschließen in die Hingabe seiner selbst durch Christus an den Vater. Ebenso ist er dazu berufen, bei der Erfüllung seiner täglichen Aufgaben die Vereinigung mit Gott zu suchen. „Der Christ, der auf das Wort des lebendigen Gottes hört und die Arbeit mit dem Gebet verbindet“, so schrieb ich in der Enzyklika Laborem exercens (Nr. 27), „soll wissen, welcher Platz seiner Arbeit zukommt, nicht nur im irdischen Fortschritt, sondern auch bei der Entfaltung des Reiches Gottes, in das wir alle berufen sind durch die Kraft des Heiligen Geistes und das Wort des Evangeliums.“ Ich weiß sehr gut, daß es in eurem Leben und in euren täglichen Aufgaben immer wieder ernste Schwierigkeiten und vielleicht auch Momente der Mutlosigkeit gibt. Der Herr verläßt euch nicht, und er lädt uns ein, unseren Schmerz mit seinem erlösenden Leiden am Kreuz zu vereinen. Es gibt auch Augenblicke voll Freude und Fröhlichkeit, in denen unser Herz singen und Gott loben muß. Beides, Leiden und Freuden, sollen ein Grund sein, dem Herrn näherzukommen, und sollen uns zu einem noch tieferen christlichen Leben anhalten. Der Name Maipu ruft Erinnerungen an die Heldentaten der Väter des Vaterlandes wach. Auch heute verlangt der Herr von jedem einzelnen ein erneutes Bemühen um die christlichen Tugenden. Dieser Einsatz steht nicht im Widerspruch mit dem, was auf anderem Gebiet jene Vorfahren in die Tat umsetzten. Auf diese Art wird eure Arbeit in der Kraft der Sakramente, des Gebetes, der menschlichen und christlichen Tugenden zum Mittel, und zur Gelegenheit, Jesus in seinem „Evangelium der Arbeit“ nachzuahmen. 400 REISEN 3. Das große Kreuz von Maipu, das vor uns steht und das alle Diözesen Chiles vertritt, möchte als das im eigentlichen Sinn christliche Zeichen ein Symbol der Einheit aller Chilenen sein. Vom Kreuz von Golgota aus übergab uns Jesus seiner Muttep damit sie unsere Mutter sei. Sie, die Heilige Jungfrau vom Karmel, Mutter und Königin Chiles, bitten wir, daß sie uns helfe, immer die Einheit zu bewahren, die guten Brüdern eigen ist, Söhnen des einen Vaters, der im.Himmel ist. Amen. Die Kirche braucht die Kultur — die Kultur die Kirche Ansprache an Wissenschaftler, Künstler und Studenten in Santiago de Chile am 3. April Hochwürdigste Herren Kardinäle und Bischöfe! Sehr geehrte Herren Rektoren, akademische Obrigkeiten, Professoren, Verantwortliche der Universität-spastoral und Freunde der Kultur und Wissenschaft! Liebe Studenten! 1. Bei meinem Besuch Ihrer edlen Nation durfte eine Begegnung mit Ihnen nicht fehlen, die Sie die Welt der Kultur, der Wissenschaft und der Künste vertreten. Bei Besuchen in Ländern katholischer Tradition ist ein solches Treffen eine Pflicht, die mich mit Freude erfüllt. Ich messe ihm eine spezielle Wichtigkeit bei. Unverständnis und Mißverständnisse gegenüber gewissen Postulaten der Wissenschaft, zu denen es in der Vergangenheit hat kommen können, sind glücklich überwunden worden, und zwischen der Kirche und der Kulturwelt besteht heute ein lebendiger, herzlicher und fruchtbarer Dialog. Erlauben Sie mir, daß ich dies auch hier vor den Exponenten des intellektuellen Lebens und der chilenischen Universitätswelt wiederhole: Die Kirche braucht die Kultur genauso wie die Kultur die Kirche braucht. Es handelt sich hierbei um einen lebenswichtigen und in gewissem Sinn geheimnisvollen Austausch, der es gestattet, geistige und materielle Güter zu teilen, die beide Seiten gleichermaßen bereichern. Hier bin ich also bei Ihnen, um mit meiner Anwesenheit und mit meinem Wort zu bezeugen, wie sehr Sie die Kirche braucht, und um zugleich zu zeigen, wieviel Sie von ihr empfangen können, um vielen Anforderungen Ihrer Aufgabe und der wissenschaftlichen und fachlichen Berufung gerecht zu werden. 401 REISEN 2. Vor den weiten Horizonten der von Gott erschaffenen Welt, innerhalb welcher der Mensch als Krönung der Schöpfung seine umwandelnde und humanisierende Tätigkeit entfaltet, müssen Sie mit vollem Bewußtsein die einzigartige Verantwortung auf sich nehmen, die Sie mit den Menschen der Kultur und der Wissenschaft auf der ganzen Erde teilen. Die Wissenschaft und die Kultur kennen keine Grenzen. Auf eine konkretere und spezifischere Weise richtet sich Ihre Verantwortung auf Ihre Nation und auf das chilenische Volk. Dies ist eine moralische Verantwortung, die sie vor Gott und vor Ihren Mitbürgern zu tragen haben. Es ist eine vorrangige Verpflichtung, an die Sie die Kirche heute in Liebe erinnern möchte und zu deren Erfüllung sie Ihnen ihre Unterstützung und Zusammenarbeit anbietet. Die Kultur eines Volkes ist — nach dem Wortlaut des Dokumentes von Puebla de los Angeles — „die jeweils eigentümliche Weise, in der die Menschen ihre Beziehung zur Natur, zu den Mitmenschen und zu Gott pflegen (vgl. Gaudium et spes, Nr. 53 b), so daß sie zu einem wirklichen und ausschließlich humanen Niveau gelangen können (vgl. ebd., Nr. 53 a, Puebla, Nr. 386). Die Kultur liegt demnach in den „gemeinschaftlichen Lebensformen“ (Gaudium et spes, Nr. 53 c), die ein Volk charakterisieren und die die Totalität seines Lebens beinhalten: „die Gesamtheit der Werte, die es stärken, und der Schwäche, die es entkräften ... die Formen, durch die sich jene Stärken und Schwächen ausdrücken und darstellen, das heißt, die Sitten, die Spräche, die Einrichtungen und Strukturen im gesellschaftlichen Zusammenleben“ (Puebla, Nr. 387). Mit einem Wort, die Kultur ist demnach das Leben eines Volkes. Sie aber, die Sie der Welt der Geisteswissenschaften, der Naturwissenschaften und der Künste angehören, abgesehen davon, daß Sie intensiv an diesem Leben teilhaben, sind fähig, die charakteristischen Grundzüge der Kultur Ihres Volkes aufzuspüren und zu analysieren. Sie sind diejenigen, welche den Werdegang der Kultur aufdecken, und in einer gewissen Weise können Sie ihn erhellen und machmal neue Kursrichtungen vorschlagen. Der Mensch kultiviert in der Gottesbeziehung seine Natur 3. In diesem Sinne ist die Kulturwelt Teil des Volksgewissens; deswegen sind Sie dazu berufen, den aktiven Teil in der Gestaltung dieses Gewissens zu übernehmen. „Der Mensch lebt dank der Kultur ein wirklich humanes Leben“ (Ansprache an die UNESCO, 2. Juni 1980, Nr. 6). Die Kultur ihrerseits bezeugt in ihrer Vielfalt und im Reichtum ihrer Kreativität, daß der Mensch ein anderes und 402 REISEN höheres Wesen ist als die Welt, die ihn umgibt. Deswegen „ist der Mensch aus der Kultur nicht wegzudenken“ (ebd., Nr. 6). Mit der Erkenntnis seines Daseins als „besonderes und höheres Wesen“, wirft sich im Menschen zugleich die anthropologische und ethische Frage auf. Und in diesem Fundament ist das Wesentliche der Kultur verwurzelt, nämlich „im Verhalten, mit dem ein Volk seine religiöse Bindung zu Gott bejaht oder verneint“; dies führt dazu, „daß die Religion oder die Ungläubigkeit sämtliche anderen Werte der Kultur — familiärer, ökonomischer, politischer, künstlerischer Art etc. — inspiriert, indem sie sie für einen letzten transzendenten Sinn freimacht oder sie auf ihren eigenen immanenten Sinn beschränkt“ ('Puebla, Nr. 389). 4. Sehen Sie also die schwierige Aufgabe und die ernste Verantwortung, die jeden Menschen erwartet, der sich damit ehrt, der Kulturwelt anzugehören. Erlauben Sie mir, Sie in diesem Zusammenhang an einige dieser Pflichten zu erinnern, die mir als besonders dringend erscheinen. In erster Linie ist ein Reflexionsprozeß vonnöten, der zu einer erneuerten Verbreitung und Verteidigung der grundlegenden Werte des Menschen als solchen, in seiner Beziehung zum Mitmenschen und zu seiner natürlichen Umgebung führen soll. Dies betreffend lege ich es Ihnen sehr nahe, ein richtiges Bild von einer Kultur des Seins und des Handelns zu geben. „Das ,Haben1 des Menschen ist keine Determinante für die Kultur, auch kein kreativer Faktor in der Kultur, außer in dem Maße, in dem der Mensch mittels des ,Habens1 gleichzeitig ein vollständigeres ,Sein‘ als Mensch in sämtlichen Dimensionen seiner Existenz, in all dem, was ihn in seinem Dasein als Mensch ausmacht, erreichen kann“ (Rede an die UNESCO, Nr. 7). Eine Kultur des Seins schließt das Haben nicht aus: sie betrachtet es als Mittel, um zu einer wirklich vollständigen Humanisierung zu gelangen, in der Weise, daß sich das „Haben“ dem „Sein“ und dem „Handeln“ unterordnet, um ihm dienlich zu sein. Dies bedeutet letzten Endes eine Kultur der Solidarität zu fördern, die die gesamte Gemeinschaft mit einbezieht. Sie müssen sich in Ihrer Eigenschaft als aktiver Bestandteil des Gewissens der Nation und, da Sie die Verantwortung für Ihre Zukunft mittragen, um alle notwendigen Aufgaben kümmern, die Ihr Land heute in Angriff zu nehmen hat. Ich lade sie also dazu ein, einen Strom der Solidarität zu erweitern und zu festigen, der dazu beitragen soll, die allgemeinen Güter zu sichern: das tägliche Brot, das Dach über dem Kopf, die Gesundheit, die Würde der Person und den Respekt gegenüber allen Einwohnern Chiles, wobei in erster Linie den Klagen derer Gehör geschenkt werden soll, die leiden. Geben Sie in all dem, was gerecht und wahr ist, vollkommenen und 403 REISEN freien Ausdruck, und entziehen Sie sich nicht einer verantwortlichen Beteiligung an öffentlichen Angelegenheiten und an der Verteidigung und Förderung der Menschenrechte. Es ist mir nicht unbekannt, daß auch Sie Tag für Tag nicht wenig Schwierigkeiten zu bewältigen haben. Die besondere Lage, in der sich Ihr Land gerade befindet, hat auch in Ihren Reihen eine gewisse Desorientierung und Unsicherheit hervorgerufen. Identitätsfindung des Volkes aus den Wurzeln heraus 5. Die Kirche begleitet Sie in dieser verantwortungsschweren Stunde bei Ihrer unumgänglichen Aufgabe, die Wahrheit zu suchen und ohne Unterlaß dem chilenischen Menschen zu dienen. Von dem ihr eigenen Bereich aus ermutigt sie Sie, sich in die Wurzeln der chilenischen Kultur zu vertiefen; Ihre Funktion innerhalb der Gemeinschaft in wachsendem Maß durch ernste und strenge wissenschaftliche Kompetenz zu stärken, und nicht der Versuchung zu erliegen, die Probleme des Volkes vom wirklichen Leben zu trennen. Auf diese Weise werden Sie einen großartigen und unersetzlichen Beitrag zur Bewußt-werdung der kulturellen Identität Ihres Volkes leisten. Die kulturelle Identität setzt sowohl eine Bewahrung des Erbes der Vergangenheit wie auch eine Neuformulierung dieses Erbes in der Gegenwart voraus, so daß es auf eine Zukunft hin entworfen und von den nachfolgenden Generationen verarbeitet werden kann. Auf diese Weise sichert man gleichzeitig die Identität und den Fortschritt einer sozialen Gruppe. Im Volk, das auf eine bemerkenswerte Weise die Erinnerung an die Vergangenheit bewahrt und direkt den Veränderungen der Gegenwart ausgesetzt ist, können Sie die Wurzeln der Eigentümlichkeiten finden, die Ihre Kultur in gewissen Zügen der jener anderer Länder der lateinamerikanischen Welt gleichen läßt und die sie zu einer chilenischen, christlichen und katholischen Kultur, zu einer edlen und ursprünglichen Kultur machen. 6. Wenn das solidarische Gehen mit dem Volk eine Garantie dafür ist, daß die treue Erinnerung an die Wurzeln weiter bestehen bleibt, und daß das, was man die kulturelle Identität der Nation nennen kann, sich vertieft, so ist die bevorzugte Wahl der Jugend eine Garantie für die Zukunft. Die Kultur ist eine Wirklichkeit, die in das historische und soziale Werden eingefügt ist (vgl. Gaudium, et spes, Nr. 53 c). Die Gesellschaft nimmt sie auf, modifiziert sie schöpferisch und gibt sie ohne Unterlaß im Überlieferungsprozeß der Generationen weiter (vgl. Puehla, Nr. 392). Die Jugend ist naturgemäß ein tragender Teil innerhalb der Weitergabe und Verwandlung der Kultur. 404 REISEN Die Anwesenheit der Jugend in der Universität trägt dazu bei, diese zu einem idealen Zentrum für das Werden der kulturellen Erneuerungen zu machen, die im Verlauf der Zeit die Entwicklung des Menschen in all seinen Fähigkeiten fördern sollen. Daher ergibt es sich, daß die Kirche von dem ihr eigenen Feld aus danach strebt, die Bande zu erneuern und zu festigen, die sie mit dem Universitätswesen ihres Landes seit dessen Entstehung verbinden. Weit davon entfernt, alte Formen des Mäzenatentums wiederzubeleben, die heutzutage undurchführbar sind, richtet die Kirche, geleitet durch ihre unabweisbare Berufung, dem Menschen zu dienen, ihren Aufruf an alle chilenischen Intellektuellen — und beginnt damit bei den Söhnen der Kirche —, jene integrierende Arbeit zu leisten, die der wirklichen Wissenschaft eigen ist und die Grundlagen eines echten Humanismus sichert. Aus dieser Perspektive gewinnt j ener stets neue Prozeß an Aktualität, den das Dokument von Puebla die „Evangelisation der Kulturen“ bezeichnet {Puebla, Nr. 385). Ganzheitliche, den Menschen fördernde Bildung an der Universität 7. Jene Evangelisation richtet sich an den Menschen als solchen. Ausgehend von der religiösen Dimension, berücksichtigt sie den ganzen Menschen und bemüht sich, ihn in seiner Ganzheit zu erfassen. Eine echte Evangelisation der Kulturen muß automatisch diesen Weg gehen, da in letzter Instanz der Mensch der eigentliche Urheber und Nutznießer der Kultur ist. Bei dieser Aufgabe spielen die Universitäten eine besonders wichtige Rolle. Sie treten als Institutionen auf, deren Berufung der Dienst am Menschen ist, ohne Ausflüchte und Vorwände. Diesbezüglich würde ich sagen, daß den katholischen Universitäten und besonders dieser Päpstlichen Katholischen Universität von Chile eine Aufgabe zukommt, die man als grundlegend bezeichnen kann. Erlauben Sie mir, daß ich unter diesen Umständen einen Gruß der Hochachtung an diese verdienstvolle Universität, die uns an diesem Morgen aufgenommen hat, ausspreche. Ich möchte meiner Anerkennung über die geleistete Arbeit Ausdruck geben und sie ermutigen, weiterhin die spezifischen Ziele einer katholischen Universität zu verfolgen: wissenschaftliche und berufliche Qualität und Wettbewerb, Erforschung der Wahrheit im Dienst aller, Ausbildung der Personen im Geist einer ganzheitlichen Konzeption des Menschen, mit wissenschaftlicher Strenge und in einer christlichen Sicht des Menschen, des Lebens, der Gesellschaft, der moralischen und religiösen' Werte (.Ansprache an die Studenten von Mexiko, 31. 1. 1979); Beteiligung an der Sendung der Kirche zugunsten der Kultur. Bei all diesem Tun ist es wichtig, nicht zu vergessen, daß die „katholische Universität der Kirche und der Gesellschaft einen spezifischen Bei- 405 REISEN trag zu leisten hat“, und daß sie „ihren letzten und tiefen Sinn in Christus, in seiner Heilsbotschaft, die den Menschen in seiner Ganzheit erfaßt, und in den Lehren der Kirche (ebd.) zu finden hat. 8. Ich rufe diese Universität, die als päpstliche Universität besonders eng mit dem Apostolischen Stuhl verbunden ist, dringend auf zu einem erneuten Bemühen auf ihrem Weg des Dienstes am Menschen und der chilenischen Gesellschaft aus Liebe zu Gott. Dabei möge jene moralische und geistige Betrachtung des Menschen vertieft werden, mit der das H. Vatikanische Konzil, vor allem in der Konstitution Gaudium et spes versucht hat, nicht nur auf die Hoffnungen, sondern auch auf die Ängste und Probleme des modernen Menschen eine Antwort zu geben. Ausgehend von ihrer Berufung und ihrer christlichen und katholischen Identität muß die Universität mit all ihren Mitgliedern zum Zeugnis der Wahrheit und der Gerechtigkeit werden und zusammen mit den anderen Universitätszentren die moralischen Werte vor der Nation vertreten. Das heißt für sie — in einem fruchtbaren Dialog zwischen der Kategorie der Offenbarung und den Humanwissenschaften, nach einem Ausdruck des hl. Thomas von Aquin (Summa Theol. ,Iq.,a. 1) — Treue zum Lehramt der Kirche; es schließt eine Vertiefung und Verbreitung jener Prinzipien mit ein, die einen unverzichtbaren Teil des Gedankengutes der katholischen Doktrin ausmachen; es bedeutet auch einen Anschluß an jene Lehren, die die Kirche bis jetzt auf sozialem Gebiet ausdrücklich gegeben hat (vgl. Puebla, Nr. 475). Andererseits besteht gar kein Zweifel, daß sie in ihrem Dienst für die Kultur ganz klar einige Prinzipien aufrechterhalten muß: die Identität des Glaubens ohne Verfälschungen, die großzügige Offenheit für all die Wissensquellen von außen, die sie bereichern können, und die kritische Betrachtung dieser Quellen hinsichtlich jener Identität. Es hat Konsequenzen flir die Kirche, in der Welt zu sein Ohne die unabsetzbare Identität des christlichen Glaubens werden diese äußeren Beiträge zu leichten, vorübergehenden Synkretismen, die sich mit der Zeit auflösen. Ohne die notwendige Öffnung für diese anderen Quellen — die in unserer Zeit so vielfältig und reich sind — engt sich das christliche Denken ein und bleibt zurück. Und ohne die kritische Betrachtung kommt es zu scheinbaren und verderblichen Schlüssen, die heutzutage dem Gewissen der Gläubigen solchen Schaden zufügen. Der Papst legt den Gläubigen dringendst nahe, daß sie nicht in die Versuchung fallen, bei Ideologien Zuflucht zu suchen, die atheistisch oder vom theoretischen oder praktischen Materialis- 406 REISEN mus durchdrungen oder vom Prinzip der Immanenz oder des Immanentismus gefangen oder im allgemeinen mit dem christlichen Glauben nicht in Verbindung zu bringen sind. Mehr noch, das rein ideologische Denken, im heutigen Sinn des Wortes, bringt Vereinfachungen und Reduzierungen mit sich, vor denen das christliche Bewußtsein auf der Hut sein und wach sein muß für den Unterschied zwischen Doktrin und Ideologie. Völlig neue Probleme verlangen kreative Lösungsmethoden 9. Angesichts des dritten Jahrtausends befindet sich die Menschheit im kritischen Augenblick eines bisher noch nie erlebten Wandlungsprozesses, der „nur kraft einer neuen Kultur mit planetarischen Ausmaßen im Sinne des Heils geschehen kann“ {Rede an die Kulturwelt, Florenz, 18. Oktober 1986, Nr. 8; in OR dt., Nr. 3, 1987). Von der lateinamerikanischen Kirche und vor allem von der Kirche in Chile und von eurer edlen Nation wird am Vorabend der Fünfhundertjahrfeier der Evangelisation des amerikanischen Kontinents ein originaler Beitrag für die Bildung einer neuen Synthese erwartet, die angemessene Antwort auf die „neue Epoche in der Geschichte der Menschheit geben kann“ (vgl. Gaudium etspes, Nr. 54). Ich danke Ihnen für Ihre Anwesenheit und möchte nochmals meiner tiefen Anerkennung für die Arbeit Ausdruck geben, die Sie für die Kultur leisten. Zugleich ermutige ich Sie in Ihrem Bestreben, aus unserer Welt einen brüderlicheren, menschlicheren, gastlicheren und deshalb Gottes würdigeren Ort zu machen. Ich richte mein Gebet an den Allerhöchsten, damit er Ihnen die notwendige Kraft gebe, um weiterhin für Chile zu arbeiten. Allen Anwesenden, Ihren Familien und den Institutionen, die Sie vertreten, erteile ich in Liebe meinen apostolischen Segen. 407 REISEN Vorrang für Vollbeschäfligung in einer solidarischen Wirtschaft Ansprache an die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPALC) in Santiago de Chile am 3. April Exzellenzen, meine Damen und Herren! 1. Diese Begegnung am chilenischen Sitz der „Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik“ (CEPALC) ist für mich eine große Freude, und ich möchte an erster Stelle allen Anwesenden meinen herzlichsten Gruß und meinen Dank aussprechen; insbesondere dem Herrn Exekutivsekretär der CEPALC für die Freundlichkeit, mich einzuladen, und für seine liebenswürdigen Willkommens worte. Mein Gruß richtet sich in gleicher Weise an das gesamte Personal dieses Hauses, des Hauptzentrums der Vereinten Nationen in dieser Region, an die Herren Repräsentanten der Organisationen, Sonderinstitutionen und Körperschaften sowie an die verehrten eingeladenen Gäste. Meine heutige Anwesenheit hier ist eine Fortsetzung und eine erneute Bekräftigung der Bereitschaft zur Unterstützung und Mitarbeit, die meine Vorgänger seligen Andenkens der Organisation der Vereinten Nationen entgegengebracht haben und die ich selbst vom Anfang meines Pontifikates an verkündet habe. 2. Ihre wichtigste Zielsetzung ist das Studium der wirtschaftlich-sozialen Lage der Region, die Ausarbeitung und Vorlage von Vorschlägen zur Wirtschaftspolitik und die Realisierung von Projekten internationaler Zusammenarbeit zum Wöhle dieses ausgedehnten Gebietes unseres Planeten, in dem wir uns gerade darauf vorbereiten, den 500. Jahrestag des Beginns seiner Evangelisation zu feiern. Schon die bloße Beschreibung Ihrer Aufgabe macht sofort das große Interesse verständlich, das die Kirche für Sie aufbringt. Wir haben gemeinsam dasselbe Anliegen, das wir zwar von unterschiedlichen Standpunkten her, aber gleichzeitig in komplementärer Weise angehen. Tatsächlich ist das, was Ihr Denken mit Besorgnis erfüllt, auch Gegenstand der Aufmerksamkeit und der beständigen Sorge der Kirche; ihr Auftrag ist ja der Dienst am Menschen in der Gesamtheit seiner Dimensionen als Geschöpf Gottes wie als Empfänger der Erlösung durch Christus. Gerade im Licht des göttlichen Naturgesetzes und der Soziallehre der Kirche möchte ich heute abend mit Ihnen über einige Themen von besonderer Dringlichkeit, die uns alle angehen, nachdenken. 408 REISEN 3. Ihre Studien zeigen auf, daß trotz der Verschiedenheit der nationalen Wirtschaftssysteme die zwischen 1981 und 1985 gemeinsam durchgestandene Krise die ernsteste und tiefste des letzten halben Jahrhunderts war. Und obwohl es nicht an Zeichen für einen Wiederaufschwung fehlt, bleibt doch ein dramatisches Faktum bestehen: in diesem Zeitraum ist das Brutto-Sozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung in der ganzen Region besorgniserregend gesunken . während die Bevölkerung beträchtlich zunahm und die mit der Auslandsverschuldung verbundenen Verpflichtungen immer drückender wurden. Sie weisen auch daraufhin, daß — wie vorauszusehen war — die am meisten von der Krise betroffenen Schichten gerade die Ärmsten sind und daß das Phänomen des kritischen Ausmaßes der Armut die Tendenz zu einer — wie Sie sagen — „Selbst-vervielfaltigung“ in einem entmutigenden „Teufelskreis“ besitzt. Gewiß, Sie haben sich nicht auf rein negative Diagnose beschränkt. Ich freue mich, daß Sie auch Möglichkeiten für Neukonsolidierung und Fortschritt sehen; mit hoffnungsvollem Mut fassen Sie diese in der Formel von dem im umgekehrten Sinn wirkenden „Tugendkreis“ von Produktion, Beschäftigung, Wachstum und wirtschaftlichem Ausgleich zusammen. Hinter den Statistiken verbergen sich konkrete Menschenschicksale 4. Die allgemeine Lage istjedoch düster. Genau wie ich, dessenbin ich sicher, erkennen auch Sie hinter der trockenen Sprache der Zahlen und Statistiken das lebendige, vom Schmerz gezeichnete Gesicht der einzelnen Personen, des not-leidenden und an den Rand der Gesellschaft gedrängten Menschen mit seinen Leiden und Freuden, mit seinen Enttäuschungen und Ängsten und mit seiner Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Es ist der Mensch, der ganze Mensch, j eder einzelne Mensch in seinem einmaligen und unwiederholbaren Wesen, geschaffen und erlöst von Gott, der hier, hinter der Unpersönlichkeit der Statistik, zum Vorschein kommt mit seinem ganz persönlichen Gesicht, mit seiner unbeschreiblichen konkreten Armut und Randexistenz! Ecce homo! <18> <18> Angesichts dieses Leides kann ich nur einen Aufruf an die Regierungsverantwortlichen, an die Privatinitiative, an alle Persönlichkeiten und Institutionen, die mich hören können, und selbstverständlich an die hochentwickelten Nationen richten und ihnen gemeinsam jene gewaltige moralische Herausforderung vorlegen, die vor einem Jahr in der Instruktion L/öer/a/A conscientia in diese Worte gefaßt wurde: „die Ausarbeitung und Einleitung von mutigen Aktionsprogrammen im Hinblick auf die gesellschaftlich-wirtschaftliche Befreiung von Millionen Männern und Frauen, deren Lage durch wirtschaftliche, soziale und politische Unterdrückung unerträglich geworden ist“ (Nr. 81). 409 REISEN In dieser Hinsicht stellt sich ihnen grundsätzlich ein erstes Problem, das den Streit um die Vorrangstellung von Staat oder Privatunternehmen betrifft. Als grundsätzlichen Lehrsatz beschränke ich mich darauf, eine wohlbekannte Forderung der kirchlichen Soziallehre in Erinnerung zu rufen: das Prinzip der Subsidiarität. Der Staat darf Initiativen und Verantwortlichkeiten, die die Einzelpersonen und die kleineren gesellschaftlichen Gruppierungen auf ihren jeweiligen Gebieten übernehmen können, nicht an sich reißen; er muß im Gegenteil aktiv diese Freiheitsräume pflegen; gleichzeitig muß er jedoch die Erfüllung der darin übernommenen Pflichten regeln und ihre angemessene Eingliederung in das Gemeinwohl überwachen. Das Subsidiaritätsprinzip: Mit vereinten Kräften die Verhältnisse bessern Innerhalb dieses Rahmens sind sehr verschiedene Arten von Wechselbeziehungen zwischen staatlichen Stellen und privater Initiative möglich. Angesichts des Dramas der extremen Armut ist es von außerordentlicher Bedeutung, daß zwischen den beiden Partnern eine Atmosphäre entschlossener Zusammenarbeit besteht. Arbeiten Sie zusammen, vereinen Sie Ihre Bemühungen und setzen Sie nicht eine Ideologie oder ein Gruppeninteresse vor die Bedürfnisse der Ärmsten! <19> <19> Die Herausforderung des Elends ist von einem derartigen Umfang, daß zu seiner Bewältigung die ganze Dynamik und Kreativität des privaten Unternehmertums, sein ganzes Bemühen um Effizienz , seine Fähigkeit zur produktiven Nutzung der Ressourcen und die ganze Fülle seiner Erneuerungsenergien aufgeboten werden müssen. Die staatlichen Stellen dürfen ihrerseits nicht verzichten auf die übergeordnete Steuerung der Wirtschaftsprozesse, auf ihre Fähigkeit zur Mobilisierung aller Kräfte der Nation für die Sanierung gewisser, für eine Wirtschaft im Entwicklungsstadium charakeristischer Schwächen — kurz: auf ihre letztliche Verantwortung für das Gemeinwohl der ganzen Gesellschaft. Doch Staat und privates Unternehmertum sind letztlich aus Menschen gebildet. Ich möchte diese ethische und personale Dimension der die Wirtschaft bewegenden Kräfte unterstreichen. Mein Aufruf gewinnt daher die Form eines moralischen Imperativs: Seien Sie über alles hinweg solidarisch! Was auch immer Ihre Funktion im Geflecht des wirtschaftlich-sozialen Lebens sein mag — bauen Sie in dieser Region eine Wirtschaft der Solidarität auf! Mit diesen Worten möchte ich Ihrer Betrachtung das unterbreiten, was ich in meiner letzten Botschaft zum Weltfriedenstag als „neuen Typ von Beziehung: die soziale Solidarität aller“ (Nr. 2) bezeichnet habe. Im Hinblick darauf 410 REISEN möchte ich heute die Überzeugung wiederholen, die im kürzlich veröffentlichten Dokument der Päpstlichen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden über die Auslandsverschuldung zum Ausdruck kommt: „daß über eine Zusammenarbeit, die kollektive Egoismen und Einzelinteressen überwindet, die Bewältigung der Schuldenkrise ermöglicht und darüber hinaus ein Fortschritt auf dem Weg zur Gerechtigkeit in der Weltwirtschaft erreicht wird“ (Einführung). Das Bemühen um sozialen Ausgleich erfordert Know-how 7. Die Solidarität als Grundhaltung schließt ein, daß man in den wirtschaftlichen Entscheidungen die Armut der anderen als eigene empfindet, daß man sich das Elend der gesellschaftlichen Randgruppen zu eigen macht und im Blick darauf mit unerbittlicher Folgerichtigkeit handelt. Hier geht es nicht nur um das Bekenntnis guter Absichten, sondern auch um den entschlossenen Willen, mit dem Scharfsinn der aus der Solidarität entspringenden Liebe und Kreativität wirksame Lösungen auf der technischen Ebene der Wirtschaft zu suchen. Ich glaube, daß wir auf diese solidarische Wirtschaft alle unsere besten Hoffnungen für diese Region richten. Die am besten angemessenen Wirtschaftsmechanismen sind so etwas wie der Leib der Wirtschaft; die Kraft, die sie belebt und wirksam macht — ihre „innere Mystik“ — muß die Solidarität sein. Nichts anderes meint im übrigen die immer wieder verkündete Lehre der Kirche vom Vorrang der Person vor den Strukturen und des moralischen Gewissens vor den gesellschaftlichen Institutionen, in denen es seinen Ausdruck findet. Ihre technischen Studien verdienen von meiner Seite einen zweifachen Hinweis : zum einen, daß grundlegende Lösungen des Problems der extremen Armut nicht zu erkennen sind ohne eine wesentliche Produktionssteigerung und deswegen einen verstärkten Impuls für die wirtschaftliche Entwicklung der ganzen Region; zum anderen, daß diese Lösung aufgrund ihrer Langfristigkeit und ihrer inneren Dynamik völlig ungenügend ist angesichts der unmittelbaren Dringlichkeit der Not der Ärmsten. Ihre Lage fordert außergewöhnliche Maßnahmen, unaufschiebbare Hilfen, dringende Mittel. Die Armen können nicht warten! Die nichts besitzen, können nicht warten, bis als Folge eines allgemeinen Wohlstands der Gesellschaft auch für sie eine Erleichterung eintritt. Ich weiß wohl, daß beide Imperative innerhalb der enormen Kompliziertheit der Wirtschaft äußerst schwer so miteinander zu kombinieren sind,1 daß sie sich nicht gegenseitig aufheben, sondern im Gegenteil einander potenzieren. 411 REISEN Der Seelenhirte, der zu Ihnen spricht, besitzt keine technischen Lösungen, die er Ihnen dazu anbieten könnte; sie zu finden, ist Ihre Aufgabe als Fachleute. Der gemeinsame Vater so vieler enterbter Kinder ist jedoch überzeugt, daß eine angemessene Eingliederung dieser Imperative in eine konsequente Wirtschaftspolitik möglich ist, möglich sein muß, wenn von allen Seiten der moralisch- solidarische und gerade deswegen auch technisch-schöpferische Wille darauf gerichtet wird. „Der Mensch ohne Arbeit ist in seiner Menschenwürde verletzt “ 8. Es tröstet mich zu wissen, daß Ihre jüngsten Studien bereits Strategien für die Verknüpfung dieser beiden wirtschaftlichen Imperative, der Langfristigkeit und der unmittelbaren Dringlichkeit, ins Auge fassen. Ich freue mich auch zu erfahren, daß Sie in den Mittelpunkt dieser Strategien die Überwindung der hohen Arbeitslosigkeit in vielen Ländern dieser Region als vorrangiges Ziel stellen. Einer Politik, die die Arbeitslosigkeit abbauen und neue Arbeitsplätze schaffen will, muß ein unbestreitbarer Vorrang eingeräumt werden. Zugunsten dieses Vorrangs könnte man, wie Sie in Ihren Berichten zeigen, sogar rein technische Gründe anführen: Zwischen der Arbeitsbeschaffung und der wirtschaftlichen Entwicklung besteht eine Wechselwirkung, eine gegenseitige Ursächlichkeit, die Grunddynamik des vorhin erwähnten „Tugendkreises“. Gestatten Sie mir jedoch, daß ich bei der zutiefst sittlichen Begründung dieses Vorrangs der Vollbeschäftigung verweile. Die Geldmittel für Wohnung, Nahrung, Gesundheit usw., die man dem Bedürftigsten bewilligt, hat dieser zwar wirklich bitter nötig, aber er ist, könnten wir sagen, nicht der Handelnde dieser gewiß lobenswerten Hilfsaktion. Ihm Arbeit zu bieten, bedeutet dagegen, die wesentliche Triebfeder seines menschlichen Tuns in Bewegung zu setzen, kraft dessen der Arbeiter sein Geschick in die eigenen Hände nimmt, sich in die Gesamtgesellschaft einfügt und überdies die weiteren Beihilfen nicht als Almosen, sondern in gewissem Sinn als reife und persönliche Frucht seiner eigenen Anstrengung erhält. Die Studien über die „Psychologie des Arbeitslosen“ bestätigen nachdrücklich diese Priorität. Der Mensch ohne Arbeit ist in seiner Menschenwürde verletzt. Wenn er wieder zu einem aktiven Arbeiter wird, gewinnt er nicht nur eine Entlohnung zurück, sondern auch jene wesentliche Dimension des Menschseins, die die Arbeit ist; für den Christen ist sie in der Ordnung der Gnade der normale Weg zur Vollkommenheit. Ihre jüngsten Tabellen über die Arbeitslosigkeit in dieser Region sind erschütternd. Ruhen wir nicht, ehe wir 412 REISEN nicht jedem Bewohner dieser Region den Zugang zu diesem authentischen Grundrecht möglich gemacht haben, das für den Menschen das Recht — entsprechend zur Pflicht — zu arbeiten ist! 9. Die feste und gerecht entlohnte Arbeit besitzt — mehr als jede andere Hilfe — tatsächlich die Möglichkeit, jenen Kreislauf umzukehren, die Sie „Reproduktion der Armut und des Randgruppendaseins“ genannt haben. Diese Möglichkeit verwirklicht sich jedoch nur dann, wenn der Arbeiter ein gewisses Mindestmaß an Erziehung, Kultur und Ausbildung für seine Arbeit erreicht und Gelegenheit hat, sich auch seinen Kindern zu widmen. Und hier, Sie wissen es sehr gut, berühren wir den neuralgischen Punkt des ganzen Problems: die Bildung, Hauptschlüssel zur Zukunft, Wege zur Eingliederung der am Rand der Gesellschaft Lebenden, Seele der gesellschaftlichen Dynamik, Recht und wesentliche Pflicht der menschlichen Person. Mögen die Staaten, die vermittelnden Gruppen, die Einzelpersonen, die Institutionen und die vielfältigen Formen der Privatinitiative ihre vornehmsten Bemühungen auf die Förderung der Bildung in der ganzen Region konzentrieren! Die moralischen Ursachen des Wohlstands sind wohlbekannt im Verlauf der Geschichte. Sie bestehen in einem Zusammenspiel von Tugenden: Arbeitsamkeit, Sachverstand, Ordnung, Ehrlichkeit, Unternehmungsgeist, Einfachheit, Sparsamkeit, Bereitschaft zum Dienst, Einhaltung des gegebenen Wortes, Wagemut — kurz: in der Liebe zu gut verrichteter Arbeit. Kein Gesellschaftssystem und keine Gesellschaftsstruktur kann das Problem der Armut ohne diese Tugenden, gleichsam durch magische Kunst, lösen; auf lange Sicht spiegeln sowohl die Programme wie auch das Funktionieren der Institutionen diese Verhaltensweisen der Menschen wider, die man im wesentlichen im Verlauf des Bildungsprozesses erwirbt und die eine echte Kultur der Arbeit schaffen. <20> <20> Gestatten Sie mir zum Schluß ein Wort zu der wichtigen Arbeit des Lateinamerikanischen Zentrums für Demographie (CELADE), eines Organs der CEPALC. Ich weiß, daß der Bevölkerungszuwachs zu den bereits erwähnten Problemen dieser Region hinzuzukommen und sich als schwere Last spüren zu lassen scheint. Ich will zu diesem Thema die bekannten Worte wiederholen, die Papst Paul VI. 1970 an die FAO richtete: „Gewiß besteht angesichts der zu überwindenden Schwierigkeiten die große Gefahr, die Autorität mehr dazu zu gebrauchen, die Zahl der Tischgenossen zu vermindern als das vorhandene Brot zu vermehren“. Auch in den problematischen Zusammenhängen der Wirtschaft bewahrt das menschliche Leben in seinem innersten und heiligsten Kern jenen Charakter 413 REISEN der Unantastbarkeit, den niemand ohne Beleidigung Gottes und ohne Schaden für die gesamte Gesellschaft manipulieren darf. Verteidigen wir es um jeden Preis gegen die leichten „Lösungen“, die auf Zerstörung aufgebaut sind. Nein zur künstlichen Ausschaltung der Fruchtbarkeit! Nein zur Abtreibung! Ja zum Leben! Ja zur verantwortlichen Elternschaft! Die Herausforderung des Bevölkerungsproblems ist wie jede menschliche Herausforderung ambivalent. Sie muß uns dazu bringen, jene vorhin erwähnte Konzentration der besten Kräfte menschlicher Solidarität und kollektiver Kreativität zu verdoppeln, um das Bevölkerungswachstum in eine gewaltige Kraft des wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und geistlichen Fortschritts umzu wandeln. 11. Über viele andere gemeinsame Themen der CEPALC und des Apostolischen Stuhles hätte ich bei dieser Versammlung zu Ihnen sprechen wollen. Ich habe es vorgezogen, mich auf die extreme Armut zu konzentrieren, die im Mittelpunkt Ihrer Bemühungen steht und die ein schmerzhafter Stachel in meinem Herzen, im Herzen des Vaters und Seelenhirten so vieler Gläubigen in den geliebten Ländern dieser weiten Region der Erde, ist. Ich wiederhole meinen Dank an Sie für diese liebenswürdige Einladung, die ich mit größtem Vergnügen angenommen habe. Ich erhebe mein Gebet zu Gott, dem allmächtigen Vater, zu Jesus Christus, dem Herrn der Geschichte, und zum Heiligen Geist, dem Lebensspender: Mögen durch die Fürsprache Unserer Lieben Frau von Guadalupe, der Patronin Lateinamerikas, Licht und Energie von oben überreich auf Sie herabkommen, die sich um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt der Entwicklungsländer bemühen, auf daß jene großmütige Konzentration von Intelligenz, Wille und schöpferischer Arbeit möglich werde, die der gegenwärtige Kreuzweg aller Länder Lateinamerikas und der Karibik so gebieterisch fordert. Das Geheimnis der Vollkommenheit ist die Liebe Ansprache während der Seligsprechung der Schwester Teresa de los Andes in Santiago de Chile am 3. April 1. „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe“ (1 Kor 13,13). Diese Worte des hl. Paulus, in denen sein „Hymnus auf die Liebe“ gipfelt, erklingen neu in dieser Eucharistiefeier. 414 REISEN Ja, „am größten ist die Liebe“. Es sind Worte, die Leben wurden in der Person von Schwester Teresa de los Andes, die ich heute mit Dank und Freude seligsprechen durfte. Liebe Brüder und Schwestern von Santiago und Chile, heute ist ein großer Tag im Leben eurer Kirche und eurer Nation. Heute wird eine geliebte Tochter der chilenischen Kirche, Schwester Teresa, zur Ehre der Altäre erhoben, und zwar in der Heimat, in der sie geboren wurde. Das pilgernde Volk Gottes begegnet in ihr einer Führerin für seinen Weg zum Ziel im himmlischen Jerusalem. Ich möchte meinen herzlichen Gruß richten an die hier anwesenden Brüder im Bischofsamt, zumal den Herrn Kardinal und Erzbischof dieser lieben Erzdiözese. Ebenso grüße ich die Autoritäten, den Generalobern der unbeschuhten Karmeliten sowie die Priester, Ordensleute und alle geliebten Gläubigen dieser Kirche, die hier in Chile pilgernd unterwegs sind und sich heute über eine junge Karmelitin freuen, ein Vorbild der Tugend. Getragen von Glaube, Hoffnung und Liebe, wandern wir als Pilger Gott entgegen, der die Liebe ist, und unser Herz wird mit Freude erfüllt bei der Feststellung, daß dieser geistliche Pilgerweg seine Krönung findet in der Herrlichkeit, zu der Christus, unser Herr, uns alle hinführen möchte. Keine traurige Heilige, sondern voll Vitalität und Freude Wir haben zu Beginn einen kurzen Lebenslauf von Schwester Teresa de los Andes, einer jungen Chilenin, Symbol des Glaubens und der Güte dieses Volkes, gehört. Sie war eine unbeschuhte Karmelitin im Frühling ihres Lebens, von glühender Liebe zum Himmelreich erfüllt, ein Erstling der Heiligkeit des Karmels der hl. Teresa in Lateinamerika, In ihren kurzen autobiographischen Schriften hat sie uns das Vermächtnis einer einfachen und zugänglichen Heiligkeit hinterlassen, die sich auf das Wesentliche des Evangeliums konzentriert: lieben, leiden, beten und dienen. Das Geheimnis ihres nach Heiligkeit strebenden Lebens finden wir in ihrem persönlichen Verhältnis zu Christus, der ihr als Freund gegenwärtig war, und zur Jungfrau Maria, die ihr als Mutter in Liebe nahestand. 2. Teresa de los Andes erfuhr schon sehr früh die Gnade der Gemeinschaft mit Christus, die sich; in ihr im Zauber ihrer Jugend voll Vitalität und Freude entfaltete, und als Kind ihrer Zeit hatte sie zugleich Sinn für gesunde Entspannung, Sport und Kontakt mit der Natur. Sie war ein frohes, schwungvolles junges Mädchen, offen für Gott. Und Gott ließ in ihr die christliche Liebe erblühen, zutiefst aufgeschlossen für die Probleme ihres Vaterlandes und die Erwartungen der Kirche. 415 REISEN Das Geheimnis ihrer Vollkommenheit ist die Liebe, wie es nicht anders sein kann. Eine große Liebe zu Christus, von dem sie fasziniert war. Von ihm geführt, weihte sie sich ihm für immer, und er ließ sie teilnehmen am Geheimnis seines Leidens und seiner Auferstehung. Zugleich empfand sie eine kindliche Liebe zur Jungfrau Maria, die sie zur Nachahmung ihrer Tugenden anleitete. Gott ist für Schwester Teresa unendliche Freude. Und so bricht in der Seele dieser jungen Chilenin spontan ein neuer Hymnus auf die christliche Liebe auf und läßt uns in ihren verklärten Zügen die Gnade: der Umgestaltung in Christus ahnen, die sich durch die Liebe, die verständnisvolle, dienstbereite, demütige und geduldige Liebe vollzogen hat. Es ist eine Liebe, die die menschlichen Werte nicht zerstört, sie vielmehr erhebt und verklärt. Ja, Teresa de los Andes sagt uns: „Jesus ist unsere unendliche Freude“. Daher ist die neue Selige für die Jugend in'Chile ein Beispiel des Lebens nach dem Evangelium. Sie, die die christlichen Tugenden in heroischem Grad praktizierte, verbrachte die Jahre ihrer Kindheit und Jugend in den normalen Verhältnissen ihrer Zeit: in Gebet und Gottverbundenheit des Alltagslebens, im kirchlichen Dienst als Katechistin, in der Schule,' unter ihren Freunden und Freundinnen, bei den Werken der Barmherzigkeit, in den Stunden der Entspannung und Erholung. Ihr beispielhaftes Leben war vom christlichen Humanismus geprägt und trug das unverwechselbare Siegel der lebhaften Intelligenz, der eifrigen Besorgtheit für andere und der schöpferischen Fähigkeit des chilenischen Volkes. In ihr prägt sich die Seele und der Charakter eurer Heimat aus, dazu die immerwährende Jugend des Evangeliums Christi, das Schwester Teresa de los Andes begeisterte und anzog. 3. Die Kirche spricht Schwester Teresa de los Andes heute selig, ab heute verehrt sie sie und ruft sie unter diesem Titel an. Selig, rühmenswert und glücklich ist ein Mensch, der aus den Seligpreisungen des Evangeliums die Mitte seines Lebens gemacht und sie mit großem Heroismus gelebt hat. Indem unsere Selige die Seligpreisungen auf diese Weise' praktisch verwirklicht hat, ließ sie in ihrem Leben Christus, das vollkommenste Beispiel der Heiligkeit, Gestalt gewinnen. Teresa de los Andes strahlt in der Tat das Glück derer aus, die vor Gott arm sind, die Güte und Sanftmut des Herzens, aber auch das verborgene Leiden, durch das Gott seine Auserwählten reinigt und heiligt. Sie hatte Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit, liebte Gott aus allen Kräften und wollte, daß er von allen gekannt und geliebt werde. Gott machte sie barmherzig in ihrer gänzlichen Hinopferung für die Priester und für die Bekehrung der Sünder; friedfertig und versöhnungsbereit, denn sie verbreitete in ihrer Umgebung 416 REISEN Verständnis und Dialog. In ihr spiegelt sich vor allem die Seligpreisung der Reinheit des Herzens. Sie gab sich ja gänzlich Jesus hin, der ihr seinerseits die Augen öffnete für die Kontemplation seiner Geheimnisse. Gott gewährte ihr ferner ein Verkosten der erhabenen Freude, schon auf Erden im Dienst am Nächsten die Seligkeit und Freude der Vereinigung mit Gott erfahren zu dürfen. Und das ist ihre Botschaft: Nur in Gott findet man das Glück; nur Gott ist unendliche Freude. Jugend von Chile, Jugend von Lateinamerika, entdecke in Schwester Teresa die Freude eines Lebens aus dem christlichen Glauben bis zur letzten Konsequenz! Nimm dir an ihr ein Beispiel! 4. In unserer heutigen Messe, in der wir eine geliebte Tochter Chiles zur Ehre der Altäre erheben, beten wir in besonderer Weise um die Versöhnung. Im Antwortspsalm haben wir Gott angerufen mit den Worten: „Erweise uns, Herr, deine Huld und gewähre uns dein Heil! Es begegnen einander Huld und Treue; Gerechtigkeit und Friede küssen sich“ (Ps 85,8.11). Der Akt der Versöhnung, der zu Beginn der heiligen Messe im Bußakt und später im Austausch des Friedensgrußes seinen Ausdruck findet, ist weiter wie ein Ruf der Menschen und Völker zum Gott des Bundes, zu jenem Gott, der die ganze Menschheit in Christus, seinem eingeborenen Sohn, der am Kreuze starb, mit sich versöhnt hat. Dieser Gott hat den Aposteln und der Kirche den Dienst der Versöhnung aufgetragen (vgl. 2 Kor 5,18f.). Wie ich in meinem Apostolischen Schreiben Reconciliatio etpaenitentia ausgeführt habe, ist auch „der gesamten Gemeinschaft der Gläubigen, dem ganzen Leib der Kirche das „Wort der Versöhnung „anvertraut, das heißt der Auftrag, alles zu tun, um Versöhnung zu bezeugen und in der Welt zu verwirklichen ... In engem Zusammenhang mit der Sendung Christi kann man also die an sich reiche und vielschichtige Sendung der Kirche zusammenfassen in der für sie zentralen Aufgabe der Versöhnung des Menschen mit Gott, mit den Brüdern, mit der ganzen Schöpfung“ (Nr.8). Doch dürfen wir nicht vergessen, daß Versöhnung ein Geschenk Gottes und eine Frucht der Gnade Jesu Christi ist, „der den Menschen erlöst und versöhnt und ihn von den Sünden in all ihren Formen befreit“ (ebd. ,Nr. 7). Die Kirche lebt ihrerseits in der Feier der Eucharistie die intensivste und ausdrucksstärkste Form ihrer Berufung als versöhnte Gemeinschaft und Sakrament der Vereinigung des Menschen mit Gott und mit der Menschheit (vgl. Lumen gentium, Nr.l). Tatsächlich erfordert die Eucharistiefeier den festen Willen zur Versöhnung und zum Verzeihen. Daher bitten wir in unserem Gebet den himmlischen Vater, er möge unsere Beleidigungen vergeben, und wir bezeugen die Echtheit 417 REISEN unserer Bitte, indem wir unsererseits jenen verzeihen, die uns beleidigt haben (vgl. Mt 6,12). Der neue Geist des Reiches Gottes, den uns Jesus offenbart, sagt uns das auch in der Mahnung, die die Gemeinschaft der Christen immer im Zusammenhang mit der Eucharistiefeier zu bedenken hat: „Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfallt, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, so laß deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe“ (Mt 5,23-24). Wir sehen also, liebe Brüder und Schwestern, wie anspruchsvoll der Aufruf des Herrn zu brüderlicher Versöhnung ist. In einer von vielen Spaltungen zerrissenen Menschheit, und alle haben ihren letzten Grund in der Sünde, wird die Versöhnung zur Notwendigkeit und zugleich eine Vorbedingung fürs Überleben: Wenn Friede und Eintracht nicht unter den einzelnen und den Völkern herrschen, können die Konflikte wahrhaft tragische Ausmaße annehmen. • 5. Bei dieser Feier der Seligsprechung von Schwester Teresa de los Andes möchte ich aus ganzem Herzen dem Herrn danken, daß durch den Geist des Dialogs und der Versöhnung der Friede unter den Brudernationen Chile und Argentinien gewahrt wurde in1 der Lösung des Konflikts um die südlichen Gebiete. Dank sei dem barmherzigen Vater, daß er den Nachfolger des Petrus und seine Mitarbeiter bei seinen Bemühungen während der Vermittlungsaktion unterstützt hat. Dank sei dem Herrn der Geschichte, daß er den Regierungen und diesen beiden Brudervölkern Gedanken des Friedens und der Versöhnung eingab, so daß viel Leid und Blutvergießen und unabsehbare Auswirkungen für den ganzen amerikanischen Kontinent vermieden wurden. <21> <21> Und nun gestattet mir ein Wort, wie ich es schon bei meiner Begegnung mit dem chilenischen Episkopat ausgesprochen habe, ein Wort zur inneren Versöhnung in eurem Vaterland. Gewiß lebt in den Herzen aller die Überzeugung, von der Unerläßlichkeit einer Atmosphäre des Dialogs und der Eintracht, die im übrigen der demokratischen Tradition des edlen chilenischen Volkes nicht fremd ist. Mit dieser Grundaus'richtung eures Landes stimmt auch die in den Gewissen verwurzelte Überzeugung überein, daß Versöhnung sich im gemeinsamen Willen zur Förderung des Gemeinwohls ausdrücken muß, dem hohen Anliegen, das in einer politischen Gemeinschaft den verschiedenen Funktionen ihre Daseinsberechtigung gibt, wie uns das II. Vatikanische Konzil lehrt: „Das Gemeinwohl begreift in sich die Summe aller Bedingungen gesellschaftlichen Lebens, die den einzelnen, den Familien und gesellschaftlichen Gruppen ihre 418 REISEN eigene Vervollkommung voller und ungehindeter zu erreichen gestatten“ (iGaudium et spes, Nr.74). Ferner gilt, daß es der sozialen und gemeinschaftlichen Verfaßtheit des Menschen entspricht, aktiv am öffentlichen Leben teilzunehmen, um das Gemeinwohl zu fördern und alles das zu begünstigen, was Verhältnisse der Gerechtigkeit, des Friedens und der Versöhnung sichert, wie wieder das Konzil betont: „Im vollen Einklang mit der menschlichen Natur steht die Entwicklung von rechtlichen und politischen Strukturen, die ohne jede Diskriminierung allen Staatsbürgern immer mehr die tatsächliche Möglichkeit gibt, frei und aktiv teilzuhaben an der rechtlichen Grundlegung ihrer politischen Gemeinschaft, an der Leitung des politischen Geschehens, an der Festlegung des Betätigungsbereichs und des Zwecks der verschiedenen Institutionen und an der Wahl der Regierenden“ (Gaudium et spes, Nr.75). 7. In Übereinstimmung mit ihrer unverzichtbaren Sendung war und bleibt die Kirche „Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person“ (ebd., Nr.76); des Menschen, der Bild Gottes ist. So sagt die Pastoralkonstitu-tion Gaudium et spes weiter: „Die Kirche trägt, in der Liebe des Erlösers begründet, dazu bei, daß sich innerhalb der Grenzen einer Nation und im Verhältnis zwischen den Völkern Gerechtigkeit und Liebe entfalten. Indem sie nämlich die Wahrheit des Evangeliums verkündet und alle Bereiche menschlichen Handelns durch ihre Lehre und das Zeugnis der Christen erhellt, achtet und fördert sie auch die politische Freiheit der Brüder und ihre Verantwortlichkeit“ {ebd.). Mit dieser Freiheit im Sinne des Evangeliums und mit einem Herzen, das das Wohl dieser geliebten Nation will, bitte ich den Herrn, er möge euch in Fülle diese Versöhnung gewähren, die von allen ein lebendigeres Bewußtsein von der Würde des Menschen verlangt. Das Anstreben des Gemeinwohls erfordert ferner die Zurückweisung jeder Form von Gewalt und Terrorismus — von welcher Seite auch immer sie kommen mögen —, die die Völker ins Chaos stürzen. Versöhnung, wie die Kirche sie wünscht, ist der echte Weg christlicher Befreiung, ohne Rückgriff auf Haß, auf programmierten Klassenkampf und Vergeltungsmaßnahmen, auf eine unmenschliche Dialektik, die in den anderen nicht Brüder und Söhne des gleichen Vaters sieht, sondern Feinde, die zu bekämpfen sind. Wir wollen nicht müde werden, überall zu wiederholen, daß Gewaltanwendung weder christlich ist, noch dem Evangelium entspricht, noch einen Weg zur Lösung der realen Schwierigkeiten der einzelnen und der Völker darstellt. In diesem Park, der den Namen eines der berühmtesten Väter des Vaterlandes trägt, möchte ich meinen Wunsch aussprechen und meine Unterstützung zu- 419 REISEN sagen für alle Bemühungen um die Eintracht von seiten des chilenischen Episkopates; besonders unterstütze ich den Hirten dieser Erzdiözese in seinen dringenden Aufrufen zur Befriedung und zum Verständnis und seiner energischen Verurteilung von Gewalt und Terrorismus. 8. Für die Versöhnung arbeiten setzt universale, geduldige und hochherzige Liebe voraus, die fest bleibt in der Verkündigung der Wahrheit und unbeugsam im Widerstand gegen jede Art von Gewaltanwendung. Ihr Fundament ist die Sendung der Kirche selber, die die Gemeinschaft der Kinder Gottes in einer einzigen Familie, die Achtung vor den Brüdern, zumal den am meisten notleidenden, und die Arbeit für das Gemeinwohl verkündet. In dieser Sicht kann die Kirche in Chile nicht auf die Aufgabe verzichten, alle Chilenen zu überzeugen und zu einen in dem gemeinsamen Bemühen um Solidarität und Zusammenarbeit zum Wohl des Vaterlandes. Eure Bischöfe haben es schon gesagt: „Chile ist zur Verständigung und nicht zur Konfrontation berufen“. Es gibt keinen Fortschritt, wenn man die Spaltung verschärft. Gekommen ist die Stunde des Verzeihens und der Versöhnung. Versöhnung mit Gott geschieht über die Versöhnung unter den Menschen „Laßt euch mit Gott versöhnen“ (vgl. 2 Kor 5,20), ermahnt uns der hl. Paulus. Dieses Suchen nach Frieden mit Gott, auf dem der Apostel besteht, erfordert eine Arbeit ohne Unterlaß; es ist ein Lebensprogramm, das sich immer mehr in den Gewissen aller verwurzeln muß bis ans Ende der Zeiten, Um dieses Ziel zu erreichen, gibt uns ein Lebensstil im Geist der Seligpreisung Licht auf dem Weg. Es entspricht der Wahrheit, wenn wir furchtlos bekennen, daß das Reich Gottes den vor Gott Armen gehört; daß die Traurigen getröstet werden und die Friedfertigen die Geschicke der Welt bestimmen, wenn Mitleid und Barmherzigkeit geübt werden. Wahre Versöhnung unter den Menschen des gleichen Volkes ist dann erreicht, wenn durch einen offenen und aufrichtigen Dialog Vorurteile und Argwohn geschwunden sind, wenn sich Männer und Frauen ehrlichen Herzens in Gedanken, Worten und Werken bemühen, Erbauer des Friedens zu sein. Dann nennt Gott sie seine Kinder und macht sie überglücklich. Eintracht des Herzens und des Willens ist dann gegeben, wenn man aus Liebe zu Gerechtigkeit und Wahrheit die Würde jeder Person achtet und die Weisheit des Kreuzes erfaßt, um so den Preis, aber auch den tiefen Grund der Liebe und des Verzeihens in Gemeinschaft mit Christus zu erfahren. 420 REISEN Um der Liebe, der Wahrheit und der Gerechtigkeit willen leiden, ist ein Zeichen der Treue zu Gott, des Lebens und der Hoffnung. Hier liegt die Seligkeit derer, die um Christi willen leiden und wie das Weizenkorn in die Erde fallen mit der Verheißung des Lebens und der Auferstehung. So wird Zukunft aufgebaut durch geduldige und verständnisvolle Liebe, die immer glaubt und hofft, weil sie sich auf Gott verläßt, der die Fäden der Geschichte in seinen Händen hält. 9. Liebe Brüder und Schwestern, Söhne und Töchter des chilenischen Vaterlandes! Heute erhebe ich vereint mit euch allen mein Gebet zum Herrn und bitte ihn um das unschätzbare Gut der Versöhnung, um die Gabe des Friedens und der Gerechtigkeit für eure ganze Gesellschaft. „Der Friede ist die Frucht der Gerechtigkeit“ (Jes 32,17). Unter den vielen ist der Friede Gottes der echte Das Evangelium von den Seligpreisungen aber ist die Magna Charta des Reiches Gottes. Die Worte Jesu klingen wie eine Einladung und eine Aufforderung, uns für den Weg des Evangeliums des Friedens, der eine Frucht der Gerechtigkeit ist, zu entscheiden, gegen jede Versuchung zur Gewaltanwendung. Wir wollen das tun mit der Geduld und Tatkraft derer, die den Frieden dadurch aufzubauen verstehen, daß sie die notwendigen Voraussetzungen für eine Erneuerung der Herzen und die Reform der ungerechten Strukturen schaffen. Dies sind Stil und Art der Jünger des Meisters des Friedens und der Liebe. „Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden“ (Mt 5,9). In dieser Eucharistiefeier haben wir „den Herrn um sein Licht und seine Gnade gebeten, „daß wir ständig den Frieden aufzubauen vermögen, der sich auf Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit gründet“. Der Friede ist eine Gabe Gottes, um die der Papst vereint mit euch allen, auf die Fürsprache von Teresa de los Andes ihn bittet, der der Herr aller, der Gott des Lebens und der Fürst des Friedens ist. 10. „Er ist unser Friede“ (Eph 2,14). In Christus hat Gott der Vater das ganze Menschengeschlecht mit sich versöhnt, alle Söhne und Töchter des „ersten Adam“. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verlorengehen, sondern das ewige Leben haben“ (Joh 3,16). Die Heiligen und die auserwählten Seelen sind außergewöhnliche Zeugen für diese Liebe des Vaters. 421 REISEN Die selige Teresa de los Andes aber gehört zu diesen Zeugen! Während wir heute dem Herrn danken für alles Verlangen nach Frieden und Versöhnung unter den Menschen und sozialen Gruppen, bitten wir inständig um die reife Frucht dieser Versöhnung für euer Vaterland. Vergessen wir nie, daß Christus uns mit Gott versöhnt hat im Hinblick auf das ewige Leben. Vergessen wir es nie! . An diesem für die chilenische Nation gesegneten Tag, da Schwester Teresa zur Ehre der Altäre erhoben wurde, ist es, als ob sie als Botschaft des Lebens für uns die Worte wiederholt, die sie von ihrem Vater und Lehrer, dem hl. Johannes vom Kreuz, gelernt hat: „Dort, wo keine Liebe ist, setze Liebe ein, und du wirst Liebe ernten“. Hier auf Erden bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei. Sie führen uns zum ewigen Leben: zum ewigen Heil in Gott dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, zur Vereinigung mit Gott, mit Gott, der die Liebe ist. Und deswegen ist das Größte die Liebe. Die christlichen Traditionen respektieren Ansprache an eine Gruppe Politiker in Santiago de Chile am 3. April Diese Zusammenkunft mit Ihnen im Verlauf meines Pastoralsbesuchs in Chile erfüllt mich mit Befriedigung, weil sie mir Gelegenheit gibt, Sie zu begrüßen und mein Wort an Sie zu richten, das die Botschaft des Evangeliums und seiner universalen Werte von Brüderlichkeit, Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit überbringen will. Wie das Zweite Vatikanische Konzil hervorhebt, darf die Kirche „in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden“, und sie ist auch nicht an „irgendein politisches System gebunden“ (Gaudium et spes, Nr.76). Mehr noch ist es auch wahr, daß sie aus Verpflichtung aus dem Auftrag Christi das Licht des Evangeliums auch auf die zeitlichen Dinge richten muß, einschließlich der politischen Tätigkeit, um so immer mehr in der Gesellschaft jene ethischen und moralischen Werte aufscheinen zu lassen, die den transzendenten Charakter der Person sichtbar machen und die Notwendigkeit, ihre unveräußerlichen Rechte zu schützen. Als Hirte der Kirche möchte ich zusammen mit euch über einige Punkte nach-denken, die sich aus diesem Grundsatz ergeben, der vom Evangelium inspiriert ist: Die politische Gemeinschaft hat der menschlichen Gesellschaft zu 422 REISEN dienen. In der Tat, wie die Konzilskonstitution über die Kirche in der Welt von heute lehrt, das „Gemeinwohl aber begreift in sich die Summe aller jener Bedingungen gesellschaftlichen Lebens, die den einzelnen, den Familien und gesellschaftlichen Gruppen ihre eigene Vervollkommnung voller und ungehindeter zu erreichen gestatten“ (Nr.74). i Überzeugt sein und anzuerkennen, daß das nationale Zusammenleben auf ethischen Prinzipien beruhen muß, bringt bestimmte Konsequenzen mit sich für alle und jeden einzelnen Bürger einer bestimmten Nation, in unserem Fall für Chile. In erster Linie halte ich es für notwendig, daß jeder Beitrag zum Fortschritt im umfassenden Sinn sich immer ausrichten muß am Respekt vor den reichen christlichen Traditionen und deren Förderung, da sich die Mehrheit der Chilenen mit diesen identifiziert. Gerade aus diesen tiefen und lebendigen Wurzeln wird reiche Frucht sprießen. Die Treue zu diesem geistlichen und menschlichen Erbe erfordert eine harmonische Entwicklung, eine gemeinsame Anstrengung des Wollens und der Tat, gerichtet auf die nationale Versöhnung in einem Geist der Toleranz, des Dialogs und des Verstehens. Niemand darf sich der Aufgabe entziehen, hieran aktiv, verantwortungsvoll und großzügig mitzuwirken. Gerechtigkeit und Friede sind abhängig von jedem einzelnen von uns. Dieses Klima der Zusammenarbeit und des Dialogs wird um so mehr Frucht tragen als die Einzelinteressen überwunden werden zugunsten des höheren Gemeinwohls der Nation und im Respekt vor den Rechten des Menschen, eines jeden Menschen, der nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen ist. Deshalb bitte ich euch alle im Namen des Evangeliums, die Versuchung zur Gewaltanwendung entschieden zurückzuweisen, weil sie immer des Menschen unwürdig ist, und im Gegenteil das eigene Tun vom Geist der Liebe, des gegenseitigen Vertrauens und der Hoffnung leiten zu lassen. Hört diese Botschaft, Ausdruck meiner Sorge als Hirte der ganzen Kirche und der Liebe, die ich für das chilenische Volk empfinde, das in seiner Mehrzahl ein lebendiger Teil der Kirche Christi ist. Scheut nichts, was euch möglich ist, damit diese Botschaft im sozialen Leben Chiles Realität wird. Ihr könnt überzeugt sein, daß die Brüderlichkeit unter den Menschen und ihre Zusammenarbeit zur Gestaltung einer gerechteren Gesellschaft keine Utopie ist, sondern das Ergebnis der Bemühungen aller zugunsten des Gemeinwohls. Der Friede, meine Damen und Herren, ist Frucht der Gerechtigkeit. Er ist deshalb eine gemeinsame Aufgabe, zu der alle ihren entschiedenen Beitrag leisten müssen, um auf diese Weise im Leben Chiles Wirklichkeit werden zu lassen, was das Konzil „das lebendige Bewußtsein von der menschlichen Würde“ nennt. Es ist mein Wunsch, daß auch ihr in eurem Leben und in eurem Hin Zeugnis gebt von diesen Idealen. So werdet ihr eurem Land einen großen Dienst leisten kön- 423 REISEN nen: Ihr werdet zur Überwindung der gegenwärtigen Spannungen beitragen, den Prozeß der nationalen Versöhnung begünstigen und die Suche nach jeder nur möglichen Initiative anregen, die geeignet ist, dieser geliebten Nation eine Zukunft zu sichern, die ihrer vornehmen zivilen und religiösen Traditionen würdig ist. Zu dieser hohen Aufgabe, die von allen Weisheit, Klugheit und Großzügigkeit erfordert, ermutige ich euch und bitte den Herrn, den wir Christen als Fürst des Friedens ausrufen, daß sein Friede in den Herzen aller Chilenen herrsche. Den Leiden einen Sinn geben Ansprache an die Kranken in Santiago de Chile am 3. April Liebe Brüder und Schwestern! 1. Im Verlauf meines Pastoralbesuchs bei der Kirche von Chile durfte diese Begegnung mit den Kranken und mit den Menschen, die ihnen beistehen, nicht fehlen. Ich empfinde es in meinem Herzen aufrichtig als eine Hirtenpflicht, zu euch zu kommen, die ihr der am meisten vom Leid geprüfte Teil der Kirche seid, und euch einen besonderen Beweis der Zuneigung entgegenzubringen. Und zusammen mit euch, kranke Brüder und Schwestern dieser Abteilung des „Hogar de Cristo“ denke ich mit großer Liebe auch an die anderen Abteilungen dieser großen Einrichtung der Nächstenliebe, die den Diener Gottes, Pater Alberto Hurtado Cruchaga, aus der Gesellschaft Jesu in Chile unvergessen bleiben läßt. Ich denke an die alten Menschen und an die Kinder, die darin ihre Heimstatt gefunden haben. Ich denke auch an alle Kranken in Chile, die sich in diesem Augenblick in den Hospitälern, Kliniken und Pflegeheimen befinden, wie auch an alle, die im eigenen Haus von ihren Familienangehörigen versorgt werden. Euch allen möchte ich meine Liebe in Christus zum Ausdruck bringen und meine Nähe im Leid, denn für uns Glieder der einen Kirche Christi gilt: „Wenn ein Glied leidet, leiden alle übrigen mit“ (1 Kor 12,26). Meine Anwesenheit unter euch ist auch veranlaßt durch den innigen Wunsch, euch in eurer Drangsal zu trösten und so dafür Zeugnis abzulegen, daß Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, „der Vater des Erbarmens und der Gott allen Trostes“ ist (2 Kor 1,3). Die Liebe, die uns vereint, der Glaube und die Hoffnung, die wir miteinander teilen, sind „der Trost, mit dem auch wir von Gott getröstet werden“ (2 Kor 1,4). 424 REISEN Im Leid der Kranken das Antlitz Christi erkennen 2. Im Bewußtsein dessen muß die christliche Gemeinschaft, die Kirche in Chile, Zeugnis für ihre besondere Liebe zu ihren leidenden Gliedern ablegen. Die Kirche beweist ihre Lebenskraft: durch die Größe ihrer Liebe. Für sie gibt es kein größeres Unglück als die Abkühlung ihrer Liebe. Die Kirche darf sich keine Anstrengung ersparen, ihr tiefstes Erbarmen mit den Bedürftigsten und mit allen Menschen zu zeigen, die Opfer des Leidens sind: Sie muß ihnen Erleichterung schaffen, sie muß ihnen dienen, und sie muß ihnen helfen, ihren Leiden einen heilbringenden Sinn zu geben. Auch darin ist uns Pater Hurtado, dieser berühmte Sohn der Kirche und Sohn Chiles, ein leuchtendes Vorbild. Er sah Christus selbst in seinen verlassenen Kindern und seinen Kranken. Wird auch in unserer Zeit der Geist Apostel vom Format des Paters Hurtado hervorrufen, die durch ihr selbstloses Zeugnis der Nächstenliebe die Lebendigkeit der Kirche beweisen? Wir sind sicher, daß dies der Fall ist, und wir bitten vertrauensvoll darum. Euch, liebe Kranke des ganzen Landes, vertraue ich dieses Anliegen an. Möge euer Gebet, das Teilnahme am Kreuz Christi ist, zu Gott emporsteigen, und möge er weiterhin im Überfluß die Gnade spenden, die die Glut der Liebe in der Kirche Chiles erneuert und Berufungen für die großmütige Hingabe an die bedürftigsten Brüder und Schwestern weckt. Wie viele junge Menschen haben ihre Berufung zur totalen Weihe an Gott gerade im Kontakt mit dem Leiden, bei der Krankenpflege, entdeckt! 3. Ihr, die vom Leid Geprüften, seid lebendige Steine, seid Stützen der Kirche. Deswegen wiederhole ich heute vor euch die Ermahnung aus meinem Apostolischen Brief Salvifici doloris: „Wir bitten euch alle, die ihr leidet, daß ihr uns helft. Gerade euch, die ihr schwach seid, bitten wir, eine Quelle der Kraft für die Kirche und die Menschheit zu sein“ (Nr.31). Das Geheimnis des Mitleidens findet gerade im Herzen einer Mutter eine unbegrenzte Aufnahmefähigkeit. Richten wir deswegen unseren Blick auf Maria, die Trösterin der Betrübten, im Vertrauen darauf, daß sie als starke Frau unter dem Kreuze Jesu weiterhin Fürsprecherin sei für ihre bedürftigsten Kinder und sie ihre mütterliche Fürsorge spüren läßt. Ich bekräftige noch einmal die Liebe zu euch allen und mein Vertrauen auf den heilbringenden Wert eurer Schmerzen und bitte euch, euer Leiden aufzuopfern für die Wiederversöhnung der großen Familie aller Chilenen. Möge unter allen die Liebe herrschen und der Friede wie ein breiter Fluß über die Welt strömen. Allen Kranken in Chile, ihren Familien und denen, die ihnen mit Opferbereitschaft in christlichem Geist beistehen, erteile ich in Liebe meinen Apostolischen Segen. 425 REISEN Bereitschaft zum Dialog unerläßlich Ansprache an das Diplomatische Korps in Santiago de Chile am 3. April Exzellenzen, meine Damen und Herren! 1. Dieser Pastoralbesuch in Chile bietet mir die willkommene Gelegenheit, mit Ihnen, den hervorragenden Leitern der in dieser edlen Nation akkreditierten Vertretungen, zusammenzutreffen. Auf meinen Pilgerreisen durch die verschiedenen Länder der Erde ist es für mich immer eine große Freude, die Mitglieder des Diplomatischen Korps grüßen und ihnen persönlich meine Hochschätzung für ihren ausdauernden Dienst im Interesse ihrer jeweiligen Länder und zum Wohl des friedlichen internationalen Zusammenlebens zum Ausdruck bringen zu können. Deswegen richte ich in diesem Augenblick mit tiefer Befriedigung diese Gruß-worte an Sie. In Ihrer Person möchte ich die verschiedenen Nationen grüßen, deren ebenso hohe wie würdige Vertreter Sie sind. Jeder von Ihnen hat natürlich seine eigene Herkunft und vielleicht auch einen verschiedenen kulturellen Hintergrund. Folglich ist es sehr wahrscheinlich, daß Sie eine unterschiedliche Sicht des Lebens und der Beurteilung der internationalen Realität besitzen. Trotzdem stimmen Sie alle überein in einem zusammenführenden Auftrag: Brückenbauer der Zusammenarbeit und der Eintracht unter den Ländern zu sein. Brücken geschlagen unter Anleitung des Pontifex Maximus 2. Die Kirche insgesamt und der Heilige Stuhl im besonderen verfolgen in ihrer Arbeit ebenfalls diese Ziele. Ihr Wirken beschränkt sich jedoch nicht auf den Horizont der irdischen Zeit, sondern ist auf die Ewigkeit gerichtet, und so ist ihr Auftrag religiöser, transzendenter Natur. Trotzdem kann sie bei Ihrer Verkündigung des Evangeliums den großen Weltproblemen nicht den Rücken kehren, weil der Mensch aller Zeitepochen der Empfänger ihrer Heilsbotschaft ist. Wie der gute Samariter im Gleichnis aus dem Evangelium weiß auch sie, daß es Ihre Pflicht ist, dabei mitzuwirken, daß der Mensch bei seinem Gang durch die Geschichte den Weg des friedlichen Zusammenlebens, der Solidarität und der Zusammenarbeit einschlägt. Wie ich vom Anfang dieser Reise an—während meines Aufenthalts in Uruguay — hervorgehoben habe, besteht die besondere Bedeutung dieses Pastoralbe-suchs in Chile und Argentinien in der Feier zwischen diesen beiden Nationen. Der Friedens- und Freundschaftsvertrag, der mit der Hilfe des allmächtigen 426 REISEN Gottes durch die Vermittlung des Heiligen Stuhles erreicht wurde, hat den übereinstimmenden Willen beider Länder und ihrer Regierungen zum Frieden bekräftigt und hat sie unter dem Vorzeichen erneuerter Solidarität und verheißungsvoller Zusammenarbeit auf den Weg in die Zukunft gebracht. Dieses Abkommen stellt nicht nur einen unschätzbaren Beitrag zur Stärkung des harmonischen Zusammenlebens in diesem Bereich Amerikas dar, sondern ist darüber hinaus ein Zeugnis von vielsagender Bedeutung für die Beziehungen unter allen Nationen der Erde, denn es hat mit Nachdruck ein Prinzip sichtbar gemacht, das stets diese Beziehungen durchdringen sollte: die Bereitschaft zum Dialog. Auf allen Ebenen des menschlichen Lebens ist diese Haltung unerläßlich; sie drängt dazu, Berührungspunkte zu suchen, konstruktive Lösungsmöglichkeiten zu durchdenken und folglich Konfrontationen zu vermeiden, die das friedliche Zusammenleben und die internationale Stabilität in Gefahr bringen können. Bemühen um Verständigung, von christlichem Ethos geleitet 3. In den Jahren Ihres diplomatischen Dienstes haben Sie sicher Gelegenheit gehabt, das unablässige Wirken kennenzulernen, das der Apostolische Stuhl für die Förderung und die Verteidigung der Rechte der nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffenen menschlichen Person entfaltet hat und weiterhin entfaltet. Es ist dies eine sehr aktuelle Art der Arbeit für den Dienst am Menschen, wie ihn die Kirche vom ersten Augenblick ihrer Geschichte an in dem Bewußtsein vollbracht hat, auf diese Weise das Liebesgebot des Evangeliums zu erfüllen, das zu allen Zeiten das Charakteristikum des Christen sein muß. In der Tat ist die Brüderlichkeit der Menschen — wahrer Eckstein des Sozialgefüges — ein unverzichtbarer Imperativ im Leben einer jeden Nation und im Leben aller Völker unseres Planeten. Wie ich in der Botschaft zum Weltfriedenstag dieses Jahres geschrieben habe: „Sobald wir wirklich begreifen, daß wir Brüder und Schwestern in einer gemeinsamen Menschheit sind, können wir unsere Einstellungen zum Leben im Licht der Solidarität formen, die uns eint.“ 4. Exzellenzen, meine Damen und Herren! Das sind die Wünsche, die ich auch hier vor Ihnen, den Repräsentanten einer großen Zahl von Nationen der Erde, formuliere. Möge der Stern der menschlichen Brüderlichkeit immer die Schritte der Menschen und der Nationen leiten, und mögen sich alle als Kinder des einen Vaters erkennen, der im Himmel ist! Unterdessen erflehe ich für Ihre Person, für Ihre Familien und für Ihre Völker den reichen Segen des allmächtigen Gottes. 427 REISEN Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch Predigt beim Wortgottesdienst für die Gläubigen Südchiles in Punta Arenas am 4. April „VömEndeder Erde rufeich, Herr, zudir“ (vgl. Ps61,3). Liebe Brüder und Schwestern! Gelobt sei Jesus Christus! 1. Gelobt sei Jesus Christus in dieser südlichsten Gegend der Erde, in dieser Zone der eisigen Kälte und Gletscher Feuerlands. Gelobt sei Jesus Christus an diesem äußersten Ende der Welt! Gelobt sei Jesus Christus für jene Missionare des damals jungen Salesianerordens, die vor hundert Jahren die Kirche in Magallanes gründeten und mit der Evangelisierung dieser Gegend begannen. Ich danke dem Herrn für das kostbare Erbe, das die Söhne des hl. Johannes Bosco, des großen Priesters und Jugendapostels, hier zurückgelassen haben. Mit tiefer Dankbarkeit müssen wir des ersten Apostolischen Präfekten dieses Gebietes, Monsignor Jose Fagnano, eines hervorragenden Salesianers, gedenken. Ich bin als Pilger des Glaubens gekommen als Nachfolger Petri, dem Christus die Hirtensorge für die Gesamtkirche anvertraut hat. In meinem Gedächtnis klingen j ene Worte wider, die Jesus vor der Himmelfahrt zu seinen Aposteln gesprochen hat: „Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8). Wenn ich heute mit Menschen zusammentreffe, die aus verschiedenen Teilen der Welt in dieses Land gekommen sind, auch aus den slawischen Völkern, die meinem Herzen so nahestehen, möchte ich zusammen mit euch unsere Liebe zu Jesus Christus verkünden und ihn vom Ende der Erde anrufen (vgl. Ps 61,3). 2. Mein Pastoralbesuch in Chile und der, den ich in Kürze Argentinien abstatten werde, willeinDienstamFriedensein, an diesem Frieden, denderHerruns als Erbe hinterlassen hat (vgl. Joh 14,27). Dieser Dienst nimmt heute die Gestalt einer Danksagung und eines universalen Appells an. An erster Stelle Danksagung; weil dieses Land, das vor einigen Jahren zum Schauplatz eines blutigen Konflikts zwischen Brudernationen hätte werden können, durch die Gnade Gottes Zeuge eines brüderlichen und ehrenhaften Friedens wurde. Außerdem ein universaler Appell, weil ich mit der Erinnerung an das Beispiel, das die Regierenden und die Völker Chiles und Argentiniens der Welt gegeben 428 REISEN haben, von diesem äußersten Ende des südamerikanischen Kontinents aus neuerlich zum Frieden aufrufen will. Mitarbeiter am Hause Christi nach Gottes Plan Ich ermahne euch also mit meinem ganzen Herzen, B aumeister des Friedens zu sein, der die Frucht der Gerechtigkeit ist, sich aber nur durch die Liebe und die Vergebung festigt. Ich bitte die Söhne dieser großen Nation: erneuert alle und jeder einzelne ohne Ungeduld, aber auch ohne nachzulassen, ohne Hast, aber auch ohne zu zögern, noch einmal den Willen, Baumeister und Stifter des Friedens zu sein — in der Familie, bei der Arbeit, in der Gesellschaft, in der ganzen Welt. Trefft entsprechende Vorkehrungen, um jede Art von Gewalt auszurotten; findet die konkreten Mittel, um eine wahre Kultur des Friedens und der Eintracht zu schaffen. Wo es Liebe zur Gerechtigkeit gibt, wo Achtung vor der Würde der Person besteht, wo man nicht den eigenen Vorteil sucht, sondern den Dienst an Gott und an den Menschen, wo für Groll und Rache kein Platz ist, wo die Beleidigungen verziehen werden, dort kann der Frieden seine Früchte bringen. 3. „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch, nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht“ (Joh 14,27). Diese Worte sprach Jesus zu den Aposteln, als sein Leiden und sein Tod am Kreuzbereits unmittelbar bevorstanden. Der Glaubebestätigt uns, daß man nur dann daran denken kann, eine harmonische Ordnung des Zusammenlebens zu erreichen, wenn diese auf dem Fundament des Sittengesetzes, der von Gott geforderten sittlichen Ordnung aufgebaut wird, denn: — er hat den Menschen die Erde gegeben, damit sie sie in Eintracht beherrschen; — er hat ihnen in ihr Gewissen die Pflicht geschrieben, die Rechte des Nächsten zu achten; — er hört nicht auf, die Menschen aufzurufen, Baumeister des Friedens zu sein; — er hilft ihnen innerlich bei dieser Aufgabe durch die Gnade des Heiligen Geistes (vgl. Gal 5,22). Der Versuch, die Werte des Zusammenlebens und der Eintracht zu festigen, kann nicht wirksam sein, wenn man Gott ausschaltet. Die soziale Ruhe auf gleichsam mechanische Weise einführen zu wollen, ohne zuvor das Problem der Werte, die sie sicherstellen, zu lösen, führt zum Scheitern. In rein irdischen Begriffen von Frieden sprechen, ohne die Beziehung des Menschen zu seinem Schöpfer zu beachten, erweist sich als unzureichend und hinfällig. 429 REISEN Das ist die Lehre aus dem denkwürdigen Gebetstag für den Frieden in Assisi: das Zusammentreffen so vieler Vertreter verschiedener Religionen war ein Zeichen und eine Einladung an alle Menschen unserer Welt, um daran zu erinnern, daß es eine tiefere Dimension des Friedens gibt und eine wirksamere Weise, ihn zu fördern, nämlich das Gebet. Deshalb werdet ihr verstehen, daß ich euch sage, das wesentliche Mittel für die Errichtung des Friedens ist — ohne andere Methoden zu vernachlässigen — das intensive, demütige und vertrauensvolle Gebet. Ihr, liebe Chilenen, müßt zu denen gehören, die täglich um den Frieden beten und beten lehren. Ein Gebet, das innere und äußere Gelassenheit verlangt und jeden einzelnen von euch nötigt, sie tatsächlich zu suchen: dadurch, daß ihr die gottgewollte Harmonie in der Schöpfung betrachtet und die Solidarität unter den Menschen fördert, die nach dem Abbild und Gleichnis des Schöpfers geschaffen sind, daß ihr ferner zur Entfaltung der geistlichen und transzendenten Werte beitragt, daß ihr darum ringt, die zur Gewalt aufreizenden Leidenschaften zu mäßigen und denen, die euch möglicherweise beleidigt haben, von Herzen verzeiht. „Der Friede des Herzens ist das Herz des Friedens “ 4. Dieser Einsatz für den Frieden, um den euchjetzt der Papst bittet, isteinEn-gagement, das aus der Tiefe des menschlichen Gewissens und Herzens entspringt. Ein von Frieden überfließendes Herz kann den Menschen in seiner Umgebung von dieser Fülle abgeben, angefangen bei den Nächststehenden: Verwandten, Freunden, Kollegen, Bekannten. Die Eintracht entsteht aus der persönlichen Umkehr, und nur von diesem Ansatzpunkt her, daß jeder einzelne bereit ist, den Frieden zu leben und weiterzugeben, kann man eine zuverlässige Konsolidierung der Institutionen anstreben; es ist nutzlos, äußere Ruhe zu verlangen, wenn in den Herzen und Gewissen keine Ruhe herrscht. Dafür genügt nicht ein allgemeines inneres Verlangen. Es bedarf des festen Willens, das Wort Gottes zu beachten und unerschrocken zusammenzuarbeiten in der Anwendung der Gerechtigkeit, der solidarischen Brüderlichkeit und des gerecht verteilten Wohlstandes. Es handelt sich also nicht um einen statischen Frieden, der sich mit dem bereits Erreichten begnügt, sondern um einen dynamischen, der eine aktivere Förderung der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Freiheit sucht. Und „wenn die gegenwärtigen Systeme, die das Herz des Menschen hervorgebracht hat, sich als unfähig für die Erhaltung des Friedens erweisen, dann muß eben dieses Herz des Menschen erneuert werden, um die Systeme, Institutionen und Methoden erneuern zu können“ {Botschaft zum XVII. Weltfriedenstag aml. Januar1984, Nr.3, in:DAS, 1984, S.869); denn sowohl der Friede wie der 430 REISEN Krieg befinden sich in uns selbst. „Der Friede des Herzens ist das Herz des Friedens“ (Homilie im Athletic Park von Wellington, 23. November 1986, Nr.6). Im Namen Christi hinterlasse ich euch ein Losungswort: das eigene Herz mit Frieden erfüllen, um sich in jedem Augenblick des Lebens für die Eintracht und gegen die Gewalt zu entscheiden. Der Papst bittet euch, dieses Leitwort in die Tat umzusetzen und es unter den Männern und Frauen Chiles, Lateinamerikas und der Welt zu verbreiten. Der Friede ist eine Aufgabe, die allen offensteht, nicht nur Experten, Politikern, Regierenden. Der Friede ist eine universale Verantwortung: er wird in den tausend Kleinigkeiten des täglichen Lebens aufgebaut. In den mehr oder weniger gewohnten Tätigkeiten des Arbeitstages können wir uns für oder gegen Einklang und Frieden entscheiden. Egoistische Triebe überwinden und seelische Harmonie erreichen 5. Widersetzt euch jenen menschlichen Leidenschaften, die das Herz verunstalten: dem Stolz, den Vorurteilen, dem Neid, dem übermäßigen Verlangen nach Reichtum und Macht, demHochmut, der unfähig macht, die eigenen Verirrungen zu erkennen. All das führt zur Ungerechtigkeit und ruft Spannungen und Konflikte hervor. Um den Frieden zu erreichen, müssen wir jeden Tag in uns selber einen inneren Kampf gegen diese Feinde des Friedens ausfechten. Schlagt niemals den Weg der Gewalt ein, der aus Blindheit des Geistes und innerer Unordnung herrührt. Noch einmal bitte ich jene, die von Gewalt und Terrorismus Gebrauch machen, von diesen unmenschlichen Methoden abzulassen, die so viele unschuldige Opfer kosten: der Weg der Gewalt führt nicht zur wahren Gerechtigkeit, weder gegen sich selbst noch gegenüber den anderen. Billigt nicht solche Lösungen von Problemen, sie sich auf die Aufrüstung zu stützen suchen, denn dadurch wird nicht nur der Friede in Zweifel gezogen, sondern es ist ein Skandal für die vielen Menschen, die mit Not und Armut zu kämpfen haben. Wenn doch in Lateinamerika immer mehr die Anstrengungen zunähmen, dem Rüstungswettlauf Einhalt zu gebieten, der keineswegs zum friedlichen Zusammenleben zwischen Brudervölkern beiträgt und der bedeutende Mittel verschlingt, die dazu bestimmt werden könnten, dringende Bedürfnisse weiter Kreise der Bevölkerung zu befriedigen! Widersetzt euch entschieden den Appellen jener Ideologien, die Gewalt predigen und mit Agressivität beladen die Ideale des Friedens entstellen, indem sie diese auf bloße Augenblicke des Gleichgewichts im Wechselspiel der Zerstörungskräfte reduzieren. Ihr müßt wissen, daß es für die Verwirklichung der Gerechtigkeit, der Quelle echter sozialer Eintracht, unbedingt der Achtung der vollen Würde der ganzen 431 REISEN Person bedarf. Das Zweite Vatikanische Konzil zählt in der Konstitution Gaudium etspes alle Verstöße und Verletzungen auf, die das Leben bzw. die Unantastbarkeit der menschlichen Person gefährdet. Insbesondere nennt es die Anwendung der seelischen oder körperlichen Foltermethoden und bezeichnet sie als „schon eine Schande an sich; sie sind eine Zersetzung der menschlichen Kultur, entwürdigen weit mehr jene, die das Unrecht tun, als jene, die es erleiden. Zugleich sind sie in höchstem Maße ein Widerspruch gegen die Ehre des Schöpfers“ (Gaudium etspes, Nr.27). Setzt euch ein für die Überwindung der Ungerechtigkeiten, für die Respektierung der legitimen Rechte der menschlichen Person, für eine bessere und gerechtere Verteilung des Besitzes, für die Verbreitung der Kultur und der Güter; all das wird das Leben so vieler Chilenen, die heute mit Ungewißheit und Angst in die Zukunft blicken, würdiger und hoffnungsvoller machen. Auf diese Weise werdet ihr dazu beitragen, die Gerechtigkeit im vollen Sinne des Wortes einzuführen, die die Quelle des wahren Friedens der Gesellschaft ist. 6. Liebe Brüder und Schwestern, ich möchte euch auch den Aufruf zur Solidarität in meiner Botschaft zum diesjährigen Weltfriedenstag in Erinnerung rufen. Die Bande, diedie Menschenmiteinanderverbinden, sind viel zahlreicher und bedeutsamer als jene, die sie trennen könnten. Vor vielen Jahrhunderten sagte mein Vorgänger, der hl. Papst Leo der Große: „Als Nächsten dürfen wir nicht nur jene betrachten, die sich uns mit Banden der Freundschaft oder Verwandtschaft anschließen, sondern alle Menschen, mit denen wir eine gemeinsame Natur haben (...). Ein einziger Schöpfer hat uns geschaffen, ein einziger Schöpfer hat uns die Seele gegeben. Wir freuen uns alle desselben Himmels, derselben Tage und derselben Nächte, und wenn auch einige gut und andere böse, manche gerecht und andere ungerecht sind, ist Gott dennoch hochherzig und gütig mit allen“ (SermoX II, 2: PL54,170). Und dieKinder Gottes müssen gleichfalls hochherzig und gütig sein; nichts von dem, was einem anderen Menschen — unserem Bruder, unserer Schwester — widerfährt, darf irgendeinem von euch gleichgültig sein. Es ist für mich als Hirte der Kirche eine unumgängliche Pflicht, euch dazu anzuhalten, daß ihr diese universale Liebe — auch gegen die Feinde — lebt, die Christus als Erkennungszeichen seiner wahren Jünger auswies (vgl. Joh 13,35; 77:6,35). — Sucht immer und in allem von den anderen gut zu denken: dennim Herzen und im Geist wohnen die Werke des Friedens oder der Gewalt; — sucht immer und in allem von den anderen gut zu reden, als Kinder Gottes und unseren Brüdern; eure Worte sollen aus der Eintracht und nicht aus dem Zwiespalt stammen; 432 REISEN — sucht immer und überall den anderen Gutes zu tun: niemand soll in den familiären, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Beziehungen je euretwegen ungerecht leiden. Diese solidarische Liebe wie euch, geliebte chilenische Brüder, sowohl die geistigen wird die leiblichen Güter teilen lassen. Auf diese Weise wird sich die Entwicklung in ein brüderliches Angebot verwandeln, das gegenseitig bereichert, indem man miteinander teilt. Solidarische Liebe, die sich dem Dialog öffnet, die aufbauen statt zerstören will, die sich um Verständnis, Verzeihung und Zusammenleben mit allen bemüht, ohne Trennungen oder Schranken zu errichten. Geist des Dialogs, der sich bemüht, sowohl im nationalen Bereich — zwischen den verschiedenen sozialen Berufsklassen, den verschiedenen Volksgruppen, den verschiedenen politischen Optionen — wie auch im internationalen Bereich Elemente der Übereinstimmung und Mittel zu Verhandlung und Schlichtung zu finden. Technik darf den Lebensraum des Menschen nicht zerstören 7. Schließlich will ich noch eine andere Sorge erwähnen, die einen gewissen Bezug zum Frieden hat: der Frieden des Menschen mit der Natur. Wie ihr wißt, stehen wir in.vielen Gegenden der Welt vor Gefahren und Bedrohungen für die Umwelt, die nicht nur der Pracht der Natur schwerste Schäden zufügen, sondern die den Menschen selbst ernsthaft schädigen, weil sie sein Lebensgleichgewicht und seine Zukunft gefährden. Mein Vorgänger Papst Paul VI. vergegenwärtigte bereits diese Sorge, als er sagte: „Plötzlich wird sich der Mensch dessen bewußt: Infolge einer rücksichtslosen Ausbeutung der Natur läuft er Gefahr, sie zu zerstören und selbst zum Opfer dieser Ausnutzung zu werden“ (Octogesima adveniens, Nr.21). Die Kirche ist nicht gegen den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt: „Die Technik ist zweifellos eine Verbündete des Menschen. Sie erleichtert ihm die Arbeit, vervollkommnet, beschleunigt und vervielfältigt sie“ (Laborein exercens, Nr.5). Doch der technische Fortschritt darf nicht den Charakter der Beherrschung des Menschen und der Zerstörung der Natur annehmen . Die Technik in dem von Gott gewollten Sinn soll dem Menschen dienen, und der Mensch soll der Natur als besonnener und weiser Hüter und nicht als skrupelloser Ausbeuter gegenübertreten (vgl. Redemptor Hominis, Nr.15). Das wird nur möglich sein, wenn der wissenschaftliche und technische Fortschritt von einem Wachstum an sittlichen und moralischen Werten begleitet ist. Angesichts dieses ernsten Problems der heutigen Menschheit richte ich aus dieser Südecke des amerikanischen Kontinents und vor den unbegrenzten 433 REISEN Weiten der Antarktis einen Appell an alle Verantwortlichen unseres Planeten, die von Gott geschaffene Natur zu schützen und zu bewahren: lassen wir nicht zu, daß unsere Welt eine immer mehr verkommene und verkommende Erde wird; bemühen wir uns alle, sie zu erhalten und zu vervollkommnen zur Ehre Gottes und zum Wohl des Menschen. Ich spreche den Wünsch aus, daß der Geist der Solidarität, der heute im Gebiet der Antarktis — im Rahmen der international gültigen Bestimmungen — herrscht, auch in Zukunft die Initiativen des Menschen auf dem sechsten Kontinent inspirieren möge. In dieser glücklichen Stunde, in der das majestätische Kreuz der Meere auf dem Cap Froward wieder aufgerichtet wurde, richte ich mein Gebet an den Herrn, daß dieses im wahrsten Sinne des Wortes christliche Zeichen Verpflichtung und Aufruf sein möge, den Schöpfer zu loben für die Schönheit seiner Lande und seiner Meere. Aufrufzu einem geschärften sittlichen Bewußtsein 8. Heute, liebe Söhne, an der Schwelle des 500. Jubiläumsjahres der Evangelisierung Amerikas, bittet euch die Kirche um einen besonderen Einsatz im Werk der Versöhnung und Wiederherstellung des Friedens: mit Gott, mit dem Bruder, mit der ganzen Natur; die Christen und alle Menschen guten Willens mögen sich im Innersten ihres Gewissens fragen, ob sie die anderen so behandeln, wie sie gerne von ihnen behandelt werden würden; ob sie aus ihrem Herzen und ihrem Geist jede Versuchung zu Aggressivität und Gewalt fernhalten; ob sie Verständnis für den, der irrt, Teilen mit dem Bedürftigen und eine Haltung des Dienens, die Einigkeit und Familiengeist hervorbringt, als Lebensprogramm angenommen haben. Das alles sind evangelische Werte, christliche Grundsätze, die, wenn sie in der Gesellschaft und in den einzelnen Wurzel schlagen, imstande sind, sie zu verwandeln und als reife Frucht den ersehnten Frieden und die Eintracht zwischen allen Chilenen hervorzubringen. In dem Wort Christi, das das Wort des Vaters ist, der ihn gesandt hat (vgl. Joh 14,24), und das durch die Kraft des Heiligen Geistes ständig in unseren Herzen widerhallt, haben wir die Heilsbotschaft: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“ (Joh 14,27). Meine geliebten Chilenen und Chileninnen, die heilige Jungfrau Maria ist die Mutter und Königin dieses edlen Volkes; sie ist die Mutter aller Menschen und die Königin der Welt. Ihr vertrauen wir unsere Vorsätze zu Frieden und Eintracht an. Heilige Maria, Königin des Friedens: erwirke uns von deinem Sohn Jesus einen dauerhaften Frieden für alle Menschen! 434 REISEN Darum bitten wir dich vom äußersten Ende der Welt. Höre, Herr, unser Gebet! Amen. Chile: Widersteh der antichristlichen Versuchung Ansprache zum Gedenken an die Evangelisierung Lateinamerikas vor 500 Jahren in Puerto Montt (Chile) am 4. April 1. „Alle Enden der Erde sahen das Heil unseres Gottes“ (Ps 98,3) Hier, in dieser südlichen Region des amerikanischen Kontinents, zwischen den Gipfeln der Anden und den unzähligen Inseln der Pazifikküste, erklingt heute dieser Psalmvers in der ganzen Würde und Kraft seiner Aussage. Ich danke Gott, unserem Herrn, weil er mich auf meiner Pilgerreise durch eure Heimat nach Puerto Montt kommen ließ. Von hier aus möchte meine Stimme zum Echo jenes göttlichen Sieges werden, der für immer durch die Erlösung Christi errungen wurde. Ich begrüße besonders herzlich den Oberhirten dieser Erzdiözese und die anderen hier anwesenden Brüder im Bischofsamt, ebenso die Priester, die Ordensmänner und Ordensfrauen, die geliebten Gläubigen und all die Einwohner dieser wunderschönen Region Südchiles, in der sich die Beiträge der verschiedenen Rassen und Kulturen verschmolzen haben. Einen besonderen Gruß richte ich bei dieser Gelegenheit an die hier anwesenden Seeleute und an all diejenigen, die entlang der chilenischen Küste auf Fischfang gehen. Nach der biblischen Lesung vom wunderbaren Fischfang schicke auch ich als Nachfolger des Apostels Petrus, des Fischers, mich an, wieder das Netz des Evangeliums auszuwerfen. Meine herzliche Zuneigung als Oberhirte schließt auch all jene ein, die zur Diözese Aysen gehören, denen aber die Verbindungsschwierigkeiten nicht erlaubt haben, zu diesem Treffen zu kommen. Der Herr hat mich gesandt, seine Botschaft zu verkünden, damit ihm alle Menschen zujubeln mögen. „Jauchzt vor dem Herrn, alle Länder der Erde, freut euch, jubelt und singt!“ (Ps 98/97,4) haben wir im Antwortpsalm gesungen. Die Kirche in Chile und die Kirche in ganz Lateinamerika sucht auf die Einladung des Psalmisten zu hören und ihr zu folgen. So habe ich es bereits bei einem Treffen auf meiner apostolischen Reise 1984 in Santo Domingo zum Ausdruck gebracht, als die Jahresnovene begonnen wurde, mit der diese Kirche sich darauf vorbereitet, die Gedenkfeier der ersten Verkündigung der christlichen Botschaft auf amerikanischem Boden mit dem Vorsatz einer erneuten Evangelisierung zu begehen. 435 REISEN Der Beginn dieses Epos ist mit jenem glorreichen 12. Oktober 1492 verbunden, an dem sich vor den Augen der spanischen Seefahrer die für sie bis dahin unbekannten „Enden der Erde“ auftaten. Und im Herzen der missionarischen Kirche wurde der dringende Wunsch geboren, daß diese eben entdeckten „Enden der Erde das Heil Gottes schauen sollten“: die Rettung, die der Vater, der Sohn und der Heilige Geist durch Jesus Christus jedem Menschen und allen Völkern anbieten. War es nicht Jesus Christus selbst, der zum Abschluß seines messianischen Auftrages auf Erden zu den Aposteln sagte: „Gehethin in alle Welt (Mk 16,15) und machet alle Völker zu Jüngern“ (Mt 28,19)? „Von jetzt an wirst du Menschen fangen“ 2. Jetzt, da sich das Jubiläum der Evangelisierung Amerikas nähert, kehren wir in Gedanken vom Hier und Heute eures Landes aus zu den verschiedenen Momenten zurück, in denen diese universale Mission, die Christus den Aposteln aufgetragen hat, vorbereitet wurde. Der Abschnitt aus dem Evangelium nach Lukas, den wir in der Liturgie unseres heutigen Treffens in Puerto Montt gelesen haben, enthält die Vorankündigung dieser Aufgabe. Die Apostel hatten die ganze Nacht auf dem See Gene-saret mit Fischfang zugebracht, ohne etwas zu fangen. Sie waren müde und mutlos geworden. Der Herr trägt ihnen auf, die Netze auszuwerfen. Und nun geschieht das große Wunder; sie fangen eine riesige Menge Fische. Man versteht das sprachlose Erstaunen jener Männer vor diesem ungewöhnlichen Zeichen, vor diesem Wunder. Simon Petrus wirft sich Jesus zu Füßen und ruft: „Herr, geh weg von mir, dehn ich bin ein sündiger Mensch!“ (Lk 5,8); mit diesen Worten gesteht er demütig seine menschliche Unwürdigkeit und zugleich die göttliche Kraft in der Person des Meisters, der ihnen gegen jede Hoffnung geboten hatte, die Netze auszuwerfen. Daraufhin wendet sich Jesus an Petrus und sagt zu ihm: „Fürchte dich nicht; von jetzt an wirst du Menschen fangen!“ (Lk 5,10). 3. Von jenem Augenblick an sollten ein paar einfache Fischer aus Galiäa zu Jüngern und Mitarbeitern des Meisters umgewandelt werden. Erinnern wir uns auch daran, daß zwischen Getsemani und Golgota ihre Hoffnungen einer harten Probe unterworfen wurden. Aber am dritten Tag ist Christus auferstanden und ihnen leibhaftig erschienen. Und so wurden jene Fischer aus Galiäa, als sie am Pfingsttag die Kraft des Heiligen Geistes empfingen, in die ganze Welt ausgesandt, um allen Völkern den gekreuzigten Christus zu verkünden. „Wir aber“ — so schreibt später der heilige Paulus — „verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine 436 REISEN Torheit“ (1 Kor 1,23). Aber für uns ist Er die Kraft und Weisheit Gottes. Und er ist es für alle: „für die (zum Glauben) Berufenen“, „Juden wie Griechen“ Q Kor 1,24). Ja, auch wir predigen Christus. „Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg 4,12). 4. Meine lieben Brüder und Schwestern aus Chile, in diesen Jahren der Vorbereitung auf die Fünfhundertjahrfeier der Evangelisierung Amerikas läßt der Herr an jeden einzelnen von euch wieder den Ruf ergehen, mit dem er Petrus am See Genesaret berief: Jesus wünscht, daß ihr alle Menschenfischer, daß ihr alle seine Apostel seid. Als Kehrvers zum Antwortspsalm haben wir gesungen: „Christus, Du wirst herrschen! Kreuz, du wirst uns retten!“ Das Kreuz ist das Zeichen des Sieges Christi über die Sünde: „Alle Enden der Erde sahen das Heil unseres Gottes“ (Ps 98/97,3). Deswegen erhielt jeder Vertreter der lateinamerikanischen Bistümer, die im Oktober 1984 in Santo Domingo versammelt waren, aus meinen Händen ein Kreuz als Zeichen der Evangelisierung. Nicht nur jener, die vor fast 500 Jahren in Amerika begonnen wurde, sondern auch derjenigen, die sich von da an bis heute vollzogen hat. <22> <22> Die Evangelisierung liegt, wie das Dokument von Puebla de los Angeles bestätigt, „in den Ursprüngen einer neuen Welt, wie sie Lateinamerika ist. Die Kirche gibt sich in den Wurzeln und in der Gegenwart des Kontinents zu erkennen“ (Nr.4). Ein Beweis dafür ist gerade die Evangelisierung Chiles. Wenn wir seine Geschichte betrachten, sagen wir dem Herrn innigen Dank für die Herrlichkeiten, die „das Wort vom Kreuz“ (1 Kor 1,18) auf dieser gesegneten Erde vollbracht hat; weil die Allmacht Gottes aufgeleuchtet ist und die unvermeidlichen Beschränkungen der Menschen überwindet; weil sein Licht die Finsternis zerstreut. Das Samenkorn des christlichen Glaubens wurde durch die Entdeckungsreise des Magellan und später durch die des Almagrö nach Chile gebracht, wo es dank der Beharrlichkeit des Pedro de Valdivia und der Missionare, die ihn begleiteten, in diesen Gebieten der Neuen Welt Wurzeln schlagen konnte. Laßt uns dem Herrn für dieses Glaubenserbe danken, das durch die göttliche Vorsehung auf diesem Boden, dank des großen Missionseifers der Söhne Spaniens Früchte zu tragen begann. Es ist ergreifend, die Berichte und Zeugnisse jener heroischen Taten zu lesen. In ihnen herrscht — über die menschlichen Schwächen und den verständlichen Drang zur Eroberung hinaus — sehr wohl und auf eine bewundernswerte 437 REISEN Weise der Wille vor, der Neuen Welt die Frohe Kunde der christlichen Botschaft zu vermitteln und die europäische Kultur, besonders die spanische, mit jener der Eingeborenen dieses Landes zusammenfließen zu lassen. Don Pedro de Valdivia bezeugt in einem Brief an Kaiser Karl V. seinen aufrichtigen Willen, „niemanden beleidigen zu wollen“, und schreibt, daß er mit der Mitarbeit von vier Priestern rechnet, die „es verstehen, die Indios zur Umkehr zu bringen, die uns die Sakramente spenden und ihr Priesteramt sehr gut ausüben“ (Brief aus La Serena, 4. September 1545). Jene vier Missionare sollten die ersten einer endlosen Reihe von Priestern und Ordensleuten werden, die im Laufe der Jahrhunderte in eure Heimat gekommen sind, um ihr Leben ganz für die Einpflanzung der Kirche einzusetzen. Es sollten auch nicht jene wachsamen Missionare fehlen, die im Namen des Evangeliums die Eingeborenen energisch gegen die Mißstände verteidigten, denen jene manchmal ausgesetzt waren. Nach und nach kamen Mercedarier, Dominikaner, Franziskaner, Jesuiten, Augustiner und andere männliche und weibliche Ordensgemeinschaften. Seit den Anfängen der Evangelisierung gab es auch Klausurschwestern. Sie sollten alle daran erinnern, daß neben der hingebenden Arbeit auch die Macht des ständigen Gebetes unentbehrlich ist, um die Herzen Christus zuzuwenden. Ich möchte auch daran erinnern, wie es die Missionare verstanden haben, so viele Laien in die Aufgaben der Evangelisierung einzubeziehen, vor allem, um dort ein christliches Leben zu sichern, wohin sie selbst nicht so oft kommen konnten. Der beste Beweis für diese Mitarbeit der Laien ist die Einrichtung der Fiskalen, die es noch heute auf den Inseln von Chiloe gibt. Der schrittweise Reifeprozeß der chilenischen Gesellschaft während der Kolonialzeit vollzog sich in einer Umwelt, in der die erzieherischen und karitativen Institutionen, die Religiosität und alle Äußerungen der Kultur Generation für Generation die Werte des Evangeliums aufnahmen und sich von ihnen befruchten ließen. Mit der Gründung der ersten zwei Diözesen in Santiago und Imperial — später nach Concepcfon verlegt — konnte sich die Kirche selbst, geleitet durch hervorragende, eifrige und selbstlose Prälaten, durch Diöze-sansynoden und katechetische Tätigkeit immer mehr festigen. Gleichzeitig mit diesem wachsenden Aufschwung der Evangelisierung tauchten manchmal auch Probleme auf, entstanden sogar schwierige Situationen, vor allem im Süden von Concepcfon, die das christliche Bewußtsein vor schwer zu lösende Fragen stellen sollten. Die Missionsarbeiten der Franziskaner und Jesuiten unter den Araucanos bedeuten gewiß ein grandioses Kapitel in der Geschichte der Christianisierung Chiles. Der Weg der Evangelisierung wurde mit demselben Antrieb weiterverfolgt, nachdem Chile seine staatliche Unabhängigkeit erlangt hatte. Ein Beweis da- 438 REISEN für ist die Teilnahme anderer Ordensgemeinschaften im vergangenen Jahrhundert an der Evangelisierungsarbeit. Hier seien besonders die Kapuziner und ihre selbstlose Tätigkeit in Araukanien erwähnt sowie die Salesianer, die im äußersten chilenischen Süden gewirkt haben. In Wort und Sakrament dem Herrn weiterhin entgegenleben 6. Dieser kurze Überblick über die Geschichte der Evangelisierung in Chile reicht aus, um sich angetrieben zu fühlen, dem Herrn zu danken, weil seine Liebe in diesem christlichen Volk aufleuchtet und weil die heilige Jungfrau vom Karmel, seine Schutzherrin, nie aufgehört hat, die Hoffnungen zu erfüllen, die ihre chilenischen Kinder auf sie gesetzt haben. Aber vergangener Ruhm soll nur ein Ansporn zu neuen Unternehmungen sein. Deswegen dürfen wir nicht vergessen, daß Tag für Tag weitergearbeitet werden muß für die Erlösung und daß wir heute wie gestern Hürden und Schwierigkeiten zu überwinden haben, um die Heilssendung Christi und seiner Kirche zu erfüllen. Die Mittel, die uns gegeben sind, um dieses Werk auszuführen, sind dieselben, die Petrus und den anderen Aposteln gegeben waren: das Wort Gottes und die Sakramente. Deswegen möchte ich angesichts der Herausforderungen, vor die sich die Re-Evangelisierung gestellt sieht, an euer Vaterland diesselbe Botschaft richten, die ich von Santo Domingo aus beim Beginn dieser neun Jahre an ganz Lateinamerika gerichtet habe. An dich, geliebtes Chile, geht diese Botschaft der Hoffnung, entgegen all jenen, die versuchen, dir die Hoffnung zu rauben; eine Botschaft des Friedens und der Liebe, die dich als eine durch den katholischen Glauben geprägte Nation bestätigen soll! Chile, immer mehr der Forderungen deiner Treue zu Christus bewußt, sei keinen Augenblick unschlüssig, zu widerstehen: — der „Versuchung jener, die deine unleugbare christliche Berufung und die Werte, die sie bilden, vergessen wollen, um soziale Modelle zu finden, die auf sie verzichten oder ihr widersprechen; — der Versuchung dessen, was die Gemeinschaft in der Kirche als dem Sakrament der Einheit und Rettung, zu schwächen sucht, sei es durch jene, die den Glauben ideologisieren, oder die vorgeben, eine Volkskirche zu konstruieren, die nicht die Kirche Christi ist; sei es durch jene, die die Ausbreitung religiöser Sekten fördern, die sehr wenig mit den wahren Glaubensinhalten zu tun haben; — der antichristlichen Versuchung der Gewalttätigen, die die Hoffnung auf Dialog und Versöhnung zunichte machen und an die Stelle politischer Lösungen die Macht der Waffen oder der ideologischen Unterdrückung setzen; 439 REISEN — der Verführung jener Ideologien, die mit den Idolen der Macht oder der Gewalt, des Reichtums und der Lust versuchen, die christliche Auffassung zu ersetzen; — der Korruption des öffentlichen Lebens, des Drogenhandels und der Pornographie, die die moralische Kraft, die Widerstandsfähigkeit und die Hoffnung der Völker untergraben; — der Aktion der Agenten des Neo-Malthusianismus, die die lateinamerikanischen Völker einem neuen Kolonialismus unterwerfen wollen, indem sie ihre Lebenspotenz mit den empfängnisverhütenden Methoden, der Sterilisierung, der Liberalisierung der Abtreibung ersticken und die Einheit, Stabilität und Fruchtbarkeit der Familien zersetzen wollen; — dem Egoismus der Zufriedenen, die sich an einem privilegierten Dasein sehr reicher Minderheiten festkrallen, während breite Bevölkerungsschichten schwere und sogar dramatische Lebensbedingungen, Zustände der Armut, der Unterdrückung und das Dasein in Randgruppen ertragen müssen, — den Einmischungen ausländischer Großmächte, die ihre eigenen ökonomischen, die Interessen ihres Blocks oder Ideologie vertreten und die Völker dazu erniedrigen, als Schachbrett für die Züge ihrer eigenen Strategien zu dienen (Homilie in Santo Domingo, 12. Oktober 1984).“ 7. Völler Hoffnung und Vertrauen auf Jesus segne ich von ganzem Herzen die neue Evangelisierung Chiles, die mit der Gnade Gottes viele Früchte in eurem Vaterland, in Lateinamerika und in der ganzen Welt tragen möge. Während dieser ganzen neun Jahre richtet die Kirche Lateinamerikas in Treue ihre Gebete an Maria. Sie ruft die Mutter Gottes und Königin Amerikas, die Mutter und Königin Chiles an: „Unsere heilige Mutter, in dieser Zeit der Neu-Evangelisierung, bitte für uns beim Erlöser des Menschen, daß Er uns von der Sünde befreie und uns mit dem Band der Treue an die Kirche binden möge und an die Hirten, die sie leiten; zeige deine Mutterliebe den Armen, den Leidenden und allen, die das Reich deines Sohnes suchen. Stärke uns in unserem Bemühen, einen Kontinent der Hoffnung aufzubauen, der solidarisch ist in Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe.“ <23> <23> „Fahr hinaus auf den See!“ — sagt Christus zu Simon Petrus — „Dort werft eure Netze zum Fang aus!“ (Lk 5,4). Damals verstand Petrus unter diesem „hinaus auf den See“ nur das Wasser des Sees Genesaret. Aber später, nach und nach, eröffnet sich den Fischeraposteln ein sehr weiter Horizont, der bis zu den Grenzen der Welt reicht, der bis zu jenem endlosen Ozean der göttlichen Geheimnisse und zu jenem Meer der Seelen reicht, die von Gott die 440 REISEN Rettung erwarten. Es sind die Männer und Frauen mit aufrechtem Herzen, die ihr Vertrauen auf Gott setzen, die auf diesem manchmal stürmischen Meer des Lebens segeln auf der Suche nach einem Leuchtturm, der ihnen Orientierung gibt, auch einer Hoffnung, die ihrem Weitergehen Sinn verleiht. Christus, der dem Vater gedankt hat, weil er die Geheimnisse seines Reiches „den Unmündigen offenbart“ (Mt 11,25) hat, ruft uns dazu auf, unser Herz für seine Botschaft zu öffnen, „denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen, und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen“ (1 Kor 1,25). An diese unerforschliche göttliche Weisheit und Kraft wenden sich von Generation zu Generation die Nachfolger der Apostel, die Fischer waren; jene, die zum ersten Mal das Licht des Evangeliums in euer Land brachten, und jene, die es heute bringen. Und sie bringen es in die Gemeinschaft des ganzen Gottesvolkes, das im Kreuz und in der Auferstehung seine Weisheit und Kraft findet. Wenn es Gott heute dem Nachfolger Petri ermöglicht hat, auf chilenischem Boden und hier mit euch für die Fünfhundertjahrfeier des Beginns der Evangelisierung Amerikas zu danken, möchte ich in meinem Herzen mit einem Bittgebet all jene umarmen, die an diesem Heilswerk teilgehabt haben. Möge das Samenkorn, das sie auf den fruchtbaren Boden der chilenischen Seele gesät haben, weiterhin hundertfache Frucht an Liebe, Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit tragen, damit in diesem gesegneten Land der Friede herrsche. Liebe Brüder und Schwestern! Laßt uns den Herrn lobpreisen, der uns am Kreuz seine Erlösung bekundet hat! Laßt uns den Herrn lobpreisen, denn „alle Enden der Erde sahen das Heil unseres Gottes“! Amen. 441 REISEN Mit Maria in Einheit leben Grußwort in Concepciön (Chile) am 4. April Liebe Brüder und Schwestern! Gelobt sei Jesus Christus! 1. Von der göttlichen Vorsehung geleitet, treffe ich heute in eurer gastlichen Stadt ein, der ihre Gründerund die ersten Missionare den Namen der Heiligsten Empfängnis gaben. Auf diese Weise haben sie den Namen der Stadt für immer mit der Erinnerung an die Jungfrau Maria verbunden und sie gleichzeitig unter ihren mütterlichen Schutz gestellt. iEs ist ein glücklicher Zufall, daß ich an einem Samstag ankomme, einem Tag, den die Kirche dem Gedenken der Jungfrau widmet. Auf dieser Etappe meiner apostolischen Reise durch die verschiedenen Regionen Chiles hege ich den Wunsch, daß das ganze Volk mit einer Stimme der Jungfrau Maria zurufe, was ich ihr sage: „Totus tuus“: Ganz der Deine, oh Maria! Die Jungfrau von Nazaret, voll der Gnaden, die sich gänzlich dem Willen des Vaters hingab, ermahnt uns, in Einheit mit ihr zu leben, ihre Tugenden und ihre Treue Christus gegenüber in völligem Einklang mit dem Evangelium nachzuahmen, indem wir seinen Spuren folgen und über seine Worte nachdenken, damit es in der Welt von heute Wort und Fleisch werde. So wird Gott weiter tief in die Geschichte der Menschen hineinwirken, wie er es getan hat mit der Inkarnation des Wortes durch den Heiligen Geist unter Mitwirkung Marias. 2. Ich grüße den Erzbischof, seinen Weihbischof sowie die Vertreter der Behörden, die Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen und das ganze Gottesvolk dieser Erzdiözese Concepciön. Ich danke euch sehr für die herzliche Aufnahme und für die geistige Vorbereitung, mit der ihr diesen Besuch des Papstes zu einem herausragenden Augenblick der kirchlichen Gemeinschaft im Glauben, im Gebet und in der Liebe machen wolltet. Ich möchte gerne zu euch nach Hause kommen können, euch persönlich begrüßen, eure Kranken besuchen und trösten; ich möchte euch die Erfahrung der liebevollen Gegenwart Gottes, unseres Vaters, machen lassen, in der erneuerten Erfahrung, daß die Kirche die Familie der durch Christus Geretteten ist. Vor allem in dieser Hauskirche, die die Familie ist, in der der Glaube und die Liebe gepflegt werden, die die anderen Tugenden und das ganze christliche Leben nähren. Ich möchte auch mit euch Zusammenkommen, um ge- 442 REISEN meinsam zu Gott zu beten, dem Vater der Barmherzigkeit und des Trostes, der im Himmel ist. In der Hoffnung, morgen am Sonntag, am Tag des Herrn, der in besonderer Weise der Welt der Arbeit gewidmet ist, die Begegnung mit Christus in der Eucharistie, zu feiern, wiederhole ich meinen Gruß und gebe meiner Freude Ausdruck, hier in eurer Mitte zu sein und an eurer Hochstimmung teilzuhaben. 3. Es ist Christus, der uns eint und der uns in seinem Namen und in seine Gegenwart versammelt, wenn wir gemeinsam zum Vater beten, wie wir es jetzt, am Ende des Arbeitstages, von hier aus und vor euren Hausaltären, tun werden. Wenn der Tag zur Neige geht und die Nacht kommt, scheint die Bitte der Jünger von Emmaus: „Bleib doch bei uns; denn es wird bald Abend“ (Lk 24,29) spontan von unseren Lippen zu kommen. An diesem zu Ende gehenden Tag, der in eurer Stadt Concepciön den Nachfolger Petri sieht, empfinden wir gemeinsam die Freude, das Versprechen Jesu erfüllt zu sehen, der für immer das Emmanuel — Gott mit uns — ist: „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). Richten wir in dem Glauben an diese Gegenwart unser Gebet an den Herrn und vertrauen wir in Erinnerung an ihre Heiligste Empfängnis der Jungfrau Maria die geistliche Frucht dieser apostolischen Pilgerfahrt nach Chile an, auf der wir verkünden, daß Christus die Auferstehung und das Leben ist. Seit Jahrhunderten ein lebhafter Sinn für das Göttliche Radio- und Femsehbotschaft an die Bewohner der Osterinsel (Rapa Nui) am 5. April Liebe Brüder und Schwestern! 1. In dieser Stunde fühle ich mich euch besonders nahe. Mit besonderer Zuneigung und innerer Bewegung grüße ich in Christus alle Männer und Frauen von Rapa Nui, die ich so gern persönlich besucht hätte. Da das nicht möglich ist, wollte ich mich des Radios und des Fernsehens bedienen, um euch zu sagen, daß ihr mir als Hirten der universalen Kirche immer tief in meinem Herzen gegenwärtig seid. Das Anliegen, Christus in der ganzen Welt zu verkünden, das mich nach Chile geführt hat, veranlaßt mich, euch nun diese besondere Botschaftzukom- 443 REISEN men zu lassen. Denkt jedoch daran, daß alle meine Worte in diesen Tagen auch an euch gerichtet sind. Ich grüße voll Achtung und Wertschätzung die Verwaltungsbeamten der Insel, denen die Sorge für das Gemeinwohl aller ihrer Einwohner anvertraut ist; möge Gott ihnen beistehen und sie erleuchten bei ihrem Bemühen um den materiellen und geistigen Fortschritt der Gesellschaft. Die Osterinsel —fruchtbarer Boden flir das Evangelium Ich schließe euch alle ein in meine Gedanken und Gebete: Pater Luis Beltran Rield, Franziskanerinnen von Boroa, die ihr euch opfert im Zeugnis für ein gottgeweihtes Leben und einen entsagungsvollen Dienst; Katecheten, die ihr in wertvoller Mitarbeit das Evangelium Jesu Christi lehrt, das Heil bringt; eingesessene Sippen der Osterinsel, die ihr in eurem Schoß die jahrhundertealten Überlieferungen eurer Kultur mit den Werten der chilenischen Nation verbindet. Ich denke besonders an die Kinder und Jugendlichen und sehe in ihnen die Hoffnung der Osterinsel. Junge Menschen, seid hochherzig und antwortet Christus immer mit Ja. Ich bitte euch, daß ihr die christliche Berufung mit ihrem ganzen Anspruch lebt; und wenn jemand in seinem Herzen den Ruf zum Priestertum oder zum Ordensstand vernimmt, so wißt, daß Gott euch braucht und euch nicht seine Gnade vorenthält, damit ihr treu sein könnt. Mit besonderer Zuneigung denke ich auch an die Alten. Hört nicht auf, mit vollen Händen von eurer Lebensweisheit mitzuteilen; endlich denke ich an die Kranken, die ihr im christlichen Sinn eure Leiden aufopfert. Diese sind ein Gnadenschatz, auf den ich mich in sicherem Vertrauen stütze bei der Sendung, die Christus mir anvertraut hat. 2. Die Geschichte der Insel, die in vielen Aspekten noch ungeklärt ist, lehrt uns, daß eure Vorfahren — bevor ihnen das Evangelium verkündet wurde — sich schon viele Jahrhunderte lang durch ihre Religiosität und ihren lebhaften Sinn für das Göttliche ausgezeichnet haben, wofür bis heute — zugleich stumm und beredt — die eindrucksvollen Moais, in der ganzen Welt bekannt als Symbol für Rapa Nui, Zeugen sind. Bezeichnend ist die Tatsache, daß ihr historisch in jenem fernen Jahr 1722, genau an einem Ostersonntag, mit der westlichen Welt in Verbindung kamt. Bekanntlich war dieser Umstand der Grund dafür, daß die Insel auf den schönen Namen vom Passahfest des Herrn getauft wurde; so wurde eure Berufung, ein religiöses Volk zu sein, bekräftigt und zu einer wahren Huldigung an Gott und seinen Sohn Jesus Christus. In dieser Tatsache und in diesem Namen sehe ich ein Zeichen der liebevollen göttlichen Vorsehung: Der Herr will auf diese Weise zeigen, daß er euch beru- 444 REISEN fen hat, mit der ganzen Menschheit teilzuhaben an seinem Paschamysterium, dem Geheimnis der Rettung des Menschen durch seinen Tod, seine Auferstehung und Himmelfahrt. 3. Daher möchte ich euch heute ermuntern, daß in eurem persönlichen Leben und dem eurer Gemeinschaft immer das Licht Christi leuchte. Lebt die Freude und den Frieden des Osterfestes vor, der echten Befreiung, durchdie wir von den Banden der Sünde frei zu Adoptivkindern Gottes werden und die Herrlichkeit des Lebens in Christus erfahren. Ich bitte euch, daß ihr in diesen Tagen wieder eure Taufversprechen erneuert in dem aufrichtigen Verlangen, daß in Zukunft eure Gedanken, Worte und Werke ein klares Zeugnis dafür seien, daß ihr der Sünde gestorben und auferstanden seid zu einem neuen Leben mit Christus; in diesem Leben herrscht das Gesetz der Liebe zu Gott, die über alles geht, und zu euren Mitmenschen nach dem Maß der Liebe Christi. Wenn ihr am Sonntag zusammenkommt, um das Wort Gottes zu hören und an der Eucharistiefeier teilzunehmen, werdet ihr den Tag heiligen, an dem die Kirche in besonderer Weise das Paschamysterium feiert. Wenn ihr, an Leib und Seele gut vorbereitet, Christus in der heiligen Kommunion empfangt, werdet ihr mit seiner Kraft und Liebe erfüllt. Und wenn euer Gewissen euch anklagt, in Sünde gefallen zu sein, tretet zum Bußsakrament hinzu, in dem uns die grenzenlose Barmherzigkeit unseres Gottes angeboten ist, der dem reuigen verlorenen Sohn, in dem wir uns alle wiedererkennen, verzeiht und ihn umarmt. Denkt ferner daran, daß wir jeden Tag besser die Heilsbotschaft Christi kennenlernen müssen, die von der Kirche treu gehütet wird, um sie mit von Herzen kommenden Worten zu verkündigen, die man durch ein wahrhaft christliches Leben bezeugt. Ich lege euch ans Herz, eines Sinnes zu sein und für eure Hirten zu beten. Erkennt in ihnen Christus als unter euch gegenwärtig, der seine Brüder und Schwestern liebt, ermahnt, ihnen verzeiht und sie ermutigt, damit ihr gemäß eurer Würde als Kinder Gottes lebt. So werdet ihr auch die Freude des Herrn erfahren und sie allezeit mit jener Herzlichkeit und spontanen Fröhlichkeit, die euch auszeichnen, verbreiten. So wahrt ihr eure Eigenart als Volk und Teil von Chile; und alles, was euch eigen ist — Sitten und Gebräuche, Gesänge, Tänze, Kunst und das ganze Leben — wird vom Frieden Christi erfüllt sein. Inmitten des weiten Ozeans, der euch umgibt, erhebt ständig eure Herzen zu Gott. Euer Leben in derart engem Kontakt mit Himmel und Meer erleichtert die Beziehung zu Gott, der sich in der Schöpfung offenbart. Ihr seid nie allein, denn er ist bei euch, und durch die Gemeinschaft der Heiligen bleibt ihr auch innig mit euren Glaubensbrüdern in der ganzen Welt verbunden. 445 REISEN Möchten doch die zahlreichen Besucher, die heutzutage zu euch kommen — angelockt von der Naturschönheit, mit der Gott die Insel geschmückt hat, und von dem archäologischen Reichtum — in eurer Gastfreundschaft die Zeichen des Vorübergangs Gottes auf der Erde erkennen: den Glauben, die Hoffnung und die Liebe, die Einheit und Eintracht in den Familien und die Integrität des christlichen Lebens. Ein herzliches Wort richte ich ferner an die Bewohner des Juan-Feman-dez-Archipels. Daß Gott euch segne bei eurer Fischerarbeit und ihr den Herrn immer in eurem Herzen tragt! 4. Zum Schluß rufe ich die allerseligste Jungfrau und Mutter der Kirche an; möge sie euch immer beschützen und die Freude des christlichen Osterfestes für euch von Jesus erlangen. Möge das Marianische Jahr, das in Kürze beginnt, für alle eine neue Gelegenheit bieten, die Mutter des Erlösers kennen und lieben zu lernen. Möge das Licht Christi, der unser Ostern ist, immer auf der Osterinsel leuchten, diesem Land mit einem so schönen christlichen Namen, aber auch in jedem seiner Einwohner! Von ganzem Herzen erteile ich euch meinen Apostolischen Segen. Das Arbeitsleben Jesu als Vorbild Ansprache an Arbeiter in Concepciön (Chile) am 5. April 1. „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (Joh 11,25) Liebe Brüder und Schwestern! Ich bin sehr glücklich, in dieses Land zu kommen, dessen Name sich von der heiligen und unbefleckten Empfängnis Mariens herleitet. Den liebenswürdigen Empfang, den man mir hier bereitet hat, erwidere ich ebenso herzlich wie dankbar. Mein Friedensgruß richtet sich an meinen lieben Bruder, den Herrn Erzbischof, an die übrigen hier anwesenden Brüder im Bischofsamt, an alle Geistlichen, die in der Seelsorge mitarbeiten, an die Ordensschwestern und -brüder, an die Gläubigen, kurzum an alle Einwohner dieser Region, besonders aber an euch, die ihr zu dieser Eucharistiefeier gekommen seid. Mein besonders inniger Gruß geht an diesem Tag an die Welt der Arbeiter, die aufgrund meiner eigenen Erfahrung meinem Herzen besonders nahestehen. 446 REISEN Ich würde gern jedem einzelnen von euch die Hand reichen, um meine Zuneigung und Wertschätzung für euren Beruf als Arbeiter im Dienst der Gesellschaft auszudrücken. Mit euch möchte ich auch alle Arbeiter Chiles grüßen: diejenigen, die das Land bestellen, die in den Bergwerken, der Industrie und in der Fischerei beschäftigt sind; die in den Dörfern, den Städten, in den Büros, im Handel arbeiten; die Unternehmer, alle jene, die geistig und körperlich arbeiten und die an der großen Gemeinschaft des Arbeitslebens in Chile teilhaben. Wir feiern heute den fünften Sonntag der Fastenzeit. Der Herr wollte, daß wir auf meiner Pastoraireise durch die Länder Chiles diesen Sonntag, der in seiner liturgischen Bedeutung dem Ostergeheimnis bereits nahe ist, gemeinsam erleben. Die Worte Christi „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ klingen wie die endgültige Ankündigung dieses Geheimnisses. Heute möchte ich gemeinsam mit euch darüber nachsinnen. 2. Der Herr hat gewollt, allen solle verkündigt werden, daß er Ausgangspunkt für ein neues Leben ist. „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.“ (Joh 11,25). Jesus sprach diese Worte in Betanien, wohin er sich sofort begeben hatte, nachdem er seinen Jüngern die Nachricht vom Tode des Lazarus mitgeteilt hatte. Maria, die Schwester des verstorbenen Freundes, ging Jesus entgegen und sagte ihm schmerzerfüllt: „Herr, wärest du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben“ {Joh 11,21-22). Maria bittet auf diese Weise vertrauensvoll um ein Wunder; sie bittet Jesus, er möge ihren Bruder Lazarus wiedererwecken und ihn dem Leben unter seinen Lieben hier auf Erden wiedergeben. Jesus antwortet mit den Worten, die sich auf das ewige Leben beziehen: „Jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das?“ {Joh 11,26). Es handelt sich hier nicht nur darum, einen Toten dem Leben auf der Erde wiederzugeben. Es geht um das „ewige“ Leben; das Leben in Gott. Der Glaube an Jesus ist der Beginn dieses übernatürlichen Lebens, das in der Teilnahme am Leben Gottes besteht; und Gott ist Ewigkeit. In Gott leben heißt ewig leben (vgl. Joh 1,2; 3,4; 5,11 ff.). 3. Man könnte sagen, Jesus von Nazaret denkt, wenn er sich einige Tage vor seinem Kreuzestod zum Grab seines Freundes begibt, um ihn aufzuerwecken, an jeden Menschen, an uns alle. Er sieht den Tod vor sich, dieses große Rätsel der menschlichen Existenz auf Erden. Angesichts des Geheimnisses des To- 447 REISEN des erinnert uns Jesus daran, daß er ein Freund ist, und er zeigt uns sich selbst als Tor zum Leben (vgl. Joh 10,7). Bevor er durch seinen eigenen Tod und seine Auferstehung eine Antwort auf dieses entscheidende Problem des menschlichen Daseins auf Erden gibt, setzt er ein Zeichen. Er erweckt Lazarus zum Leben. Er befiehlt ihm, aus dem Grab herauszukommen, und zeigt dadurch den Anwesenden die Macht Gottes über den Tod. Die Auferstehung von Betanien ist die endgültige Ankündigung des Ostergeheimnisses, der Auferstehung Jesu, des Überganges — durch den Tod — zum Leben, das nicht endet: „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.“ Das Christliche Paradoxon: Durch den Tod zum Leben 4. Vor dem Grab seines Freundes Lazarus scheint Christus an den Ursprung des menschlichen Todes zu rühren, der von Anfang an eine mit der Sünde verknüpfte Realität bildet. Die Liturgie dieses Sonntags dringt auf den Grund dieser Beschaffenheit des menschlichen Daseins vor und lädt uns ein, „aus der Tiefe des Herzens“ mit den Worten des Psalmes zu sprechen: „Würdest du, Herr unsere Sünden beachten, Herr, wer könnte bestehen?“ Antwort auf diese Frage gibt uns wieder der Psalmist: „Denn beim Herrn ist die Huld, bei ihm ist Erlösung in Fülle. Ja, er wird Israel erlösen von all seinen Sünden“ (Ps 130,7-8). Christus, der nach Betanien zum Grab des Lazarus geht, weiß, daß seine Stunde nahe ist. Genau gesagt ist es „die Stunde“, die Stunde der Paschafeier, die naht, in der er allein, ohne anderen Rückhalt als sein Vertrauen auf die Macht Gottes, sich gezwungen sehen wird, persönlich auf die Frage des Psalmisten Antwort zu geben. Jedoch nicht mehr mit Worten, sondern durch das erlösende Opferund seinen Tod am Kreuz: im Tod, der das Leben gibt. Er ist ja jener, von dem der Psalmist spricht. „Er wird Israel erlösen.“ Er wird tatsächlich beweisen, daß in Gott „Erlösung in Fülle ist“. Er wird bewirken, daß die Last der Sünden des Menschen durch die heilbringende Macht der Gnade überwunden wird; der Tod durch die Kraft des Lebens. „Glaubst du das?“ will Jesus von Maria wissen. Die gleiche Frage richtet er an die Jünger aller Zeiten. Er stellt sie auch jedem einzelnen von uns an diesem Sonntag der Fastenzeit, da Ostern so nahe ist. <24> <24> Den Glauben an den Sieg der Gnade über die Sünde, an den Sieg des Lebens über den Tod des Leibes und der Seele erläutert der hl. Paulus in seinem 448 REISEN Brief an die Römer, den wir in dieser Liturgiefeier gehört haben. Jesus sagte ja in Betanien: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben.“ Und der Apostel erklärt das so: „Wenn Christus in euch ist, dann ist zwar der Leib tot aufgrund der Sünde, der Geist aber ist Leben aufgrund der Gerechtigkeit“ (Röm 8,10). Christus lebt in uns aufgrund des Glaubens und der Gnade. Er lebt! Und auch sein Geist, der Heilige Geist, ist in uns anwesend. Daher fügt der Apostel hinzu: „Wenn der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten auferweckt hat, dann wird er, der Christus Jesus von den Toten auferweckt hat, auch euren sterblichen Leib lebendig machen, durch seinen Geist, der in euch wohnt“ {Röm 8,11). Es geht hier nicht um eine bloße Wiedererweckung, ein Zurückgeben des Lebens auf dieser Erde. Es handelt sich vor allem um eine Auferstehung zum ewigen Leben in Gott, um die wirkliche Teilnahme an der Auferstehung Christi durch die Gabe des Heiligen Geistes. 6. Wenn Christus uns fragt: „Glaubst du das?“, dann antwortet die Kirche, seine Braut, sein mystischer Leib, von Generation zu Generation mit den Worten des Glaubensbekenntnisses: „Ich glaube an die Auferstehung der Toten und an das ewige Leben.“ Deshalb glauben wir, daß dieses ewige, göttliche Leben — für das die Auferstehung des Lazarus ein Zeichen darstellt — in uns dank der Auferstehung Christi bereits wirksam ist. Diese soteriologische und eschatologische Perspektive — die die „Weisen“ dieser Welt sich so schwer zu eigen machen, die aber von den „Armen und Einfachen“ (vgl. Mt 11,25) mit Freude aufgenommen wird — läßt den übernatürlichen Wert erkennen, der in jeder menschlichen Situation steckt. Das H. Vatikanische Konzil lehrt in der Tat: „Durch seine Auferstehung zum Herrn bestellt, wirkt Christus, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist, schon durch die Kraft seines Geistes in den Herzen der Menschen dadurch, daß er nicht nur das Verlangen nach der zukünftigen Welt in ihnen weckt, sondern eben dadurch auch jene selbstlosen Bestrebungen belebt, reinigt und stärkt, durch die die Menschheitsfamilie sich bemüht, ihr eigenes Leben humaner zu gestalten und die ganze Erde diesem Ziel dienstbar zu machen“ (Gaudium et spes, Nr. 38). Darauf beziehe ich mich, wenn ich in der Enzyklika Laborem exercens hervorhebe: „In der Arbeit entdecken wir immer, dank des Lichtes, das uns von der Auferstehung Christi her durchdringt, einen Schimmer des neuen Lebens“ (Nr. 27). Dieser Glanz geht noch immer von der Auferstehung Christi aus. Er breitet sein Licht über all unsere Arbeit aus und läßt uns die Schönheit eines geordne- 449 REISEN ten Lebens entdecken, wie es das Arbeitsleben Jesu in Nazaret war. Der Herr wollte alles Menschliche annehmen und heiligte es, damit wir auf eine neue, göttliche Weise auf allen Wegen dieser Welt gehen und alle ehrbaren menschlichen Tätigkeiten heiligen können. Das ist eine Realität, die Konsequenzen hat, auch hinsichtlich des Lebens der gesamten Menschheitsfamilie. In der Tat: „Das Leben Jesu von Nazaret, ein wirkliches ,Evangelium der Arbeit1, bietet uns das lebendige Beispiel und das Prinzip für die radikale kulturelle Umwandlung, die unerläßlich ist, um die großen Probleme zu lösen, die unsere Zeit zu bewältigen hat“ (Instruktion Libertatis conscientia, Nr. 82). Arbeiten zur Ehre Gottes kommt dem Menschen zugute 7. „Die Entstehung einer ,Kultur der Arbeit1 bildet eine große Herausforderung für das Leben jedes Christen und für die Aufgabe der Evangelisierung. Diese Kultur muß sich auszeichnen durch großes Verantwortungsbewußtsein und Liebe bei der Ausführung der Arbeit wie auch durch die volle Anerkennung der Würde der menschlichen Arbeit, die im Licht der Geheimnisse von Schöpfung und Erlösung in ihrem ganzen Adel und in ihrer Fruchtbarkeit aufleuchtet“ (Ebd. vgl. Laborem exercens, Nr. 25). „Entsprechend ihrer menschlichen und christlichen Würde muß jede ehrliche Arbeit, ob geistiger oder manueller Art, zur Ehre Gottes und so vollkommen wie möglich ausgeführt werden. So wird sie, wenn sie auch noch so bescheiden und unbedeutend erscheinen mag, zum Wohl des Menschen beitragen und dazu, der zeitlichen Wirklichkeit eine Ordnung in christlichem Sinn zu geben und ihre göttliche Dimension aufzuzeigen.“ Liebe Brüder, ich erinnere mich — und danke dem Herrn — an jene Jahre der bisweilen monotonen und harten Arbeit, die ich Seite an Seite unter so vielen Gefährten verbrachte. Wir teilten Schweigen, Plage und Schweiß, und manchmal sprachen wir über unsere Freuden und Leiden mit der Vertrautheit von Freunden, die zu verstehen, zu helfen, zu entschuldigen und zu verzeihen wußten. Aufgrund meiner eigenen Erfahrung der Arbeit konnte ich sagen, daß das Evangelium sich mir in einem neuen Licht zeigte (vgl. Predigt, 9. Juni 1979). Ein Evangelium, das heißt: Frohe Botschaft, von Glauben und Hoffnung erfüllt: „Ich hoffe auf den Herrn, es hofft meine Seele, ich warte voll Vertrauen auf sein Wort“ (Ps 130,5). Doch so oft verstehen wir das nicht, was uns der Herr sagt, und wir verlieren die Hoffnung, weil wir nicht auf seine Worte achten. Liebe Männer und Frauen dieser Länder zwischen Pazifik und den Kordilleren der Anden: der Nachfolger des hl. Petrus ist gekommen, um mit euch zu sein und euren Glauben und eure Hoffnung zu stärken. 450 REISEN Die Christen lieben die Welt und die vielen guten Dinge, die sie bietet, weil sie aus der Hand Gottes stammen, aber sie setzen ihre letzte Hoffnung nicht auf diese Welt. Unsere Hoffnung ist Jesus Christus, das Wort Gottes, das Mensch geworden und nach dem Tod auferstanden ist. Unsere Hoffnung ist nicht leer, und sie wird nicht enttäuscht werden! 8. Das Leben Jesu von Nazaret gibt uns die Grundlage zu einer Sicht der Arbeitswelt, die der Arbeit jede Bedeutung zuerkennt, die sie in den Augen Gottes hat (vgl. Laborem exercens, Nr. 24). Die Herausforderung, vor die uns heute die menschliche Arbeit stellt, betrifft nicht nur ihre äußere Organisation, damit die Arbeit wirklich unter menschlichen Bedingungen geleistet werden kann, sondern bezieht sich vor allem auf ihre innere Umwandlung, damit sie als tägliche Aufgabe in ihrem vollen Sinn erfüllt wird, das heißt im Einklang mit der Bedeutung, die sie letztlich im göttlichen Heilsplan für den Menschen und das Universum hat. Gerade bei dieser eurer Arbeit, so wohlgefällig in den Augen Gottes, solltet ihr die menschlichen und christlichen Tugenden üben: euer Glaube wird immer stark bleiben, solange ihr die Hand Gottes, unseres Vaters, auch in unbedeutenderen Geschehnissen erkennt; eure Hoffnung wird gestärkt, wenn ihr die erlösende Arbeit Christi betrachtet; ihr verbreitet die Liebe in dem Maß, in dem ihr der Fülle der Liebe entsprecht, die euch der Herr in jedem Augenblick erweist. Die menschlichen und beruflichen Beziehungen, die mit eurer Arbeit verbunden sind, sollen beständig eurem Gespräch Nahrung geben, das ihr mit Gott im Gebet führt, wie Kinder mit dem Vater. Probleme und Fehlschläge, denen alle ausgesetzt sind, die eine menschliche Tätigkeit ausüben, werden euch demütiger und dem Nächsten gegenüber verständnisvoller machen. Erfolge und Freude werden euch veranlassen, zu danken und daran zu denken, daß ihr nicht für euch selbst lebt, sondern im Dienst Gottes und der Mitmenschen. Ohne solide Werteordnung wird die Gesellschaft inhuman 9. Dies alles zu erreichen, liebe Freunde, scheint sehr schwierig: zu sein. Aber man darf die Solidarität unter allen Arbeitern im gesamten Wirtschafts-gefüge nicht für eine Utopie halten, sondern ihr müßt euch vielmehr mit neuer Hoffnung dieser dringenden, christlichen Aufgabe, die euch erwartet, widmen: nämlich dem Aufbau der „Zivilisation der Arbeit, die vor allem eine Zivilisation im Zeichen der Liebe ist“. Erlaubt mir, diese Gedanken zu betonen. Vielleicht glauben manche, wenn sie von der „Zivilisation im Zeichen der Liebe“ sprechen hören, daß sich der 451 REISEN Papst mit den Problemen weder befaßt noch identifiziert, die die wahre Sorge und den Kummer so vieler Arbeiter bilden; viele von ihnen sind Familienväter und -mütter in diesem mir so geliebten Land. Das stimmt nicht. Ich kenne die Sorgen, die euch plagen. Viele davon hängen mit den Problemen der sozialen Gerechtigkeit zusammen; der Versuch, sie zu lösen, verlangt von uns allen ein entschlossenes Eingreifen. Ich denke an die anhaltende Arbeitslosigkeit und die Entlassungen so vieler Arbeiter — hier genauso wie in der übrigen Welt. Wenn sie eine gewisse Höhe erreichen, bilden sie „ein ethisches und spirituelles Problem, weil es ein Symptom für eine herrschende moralische Unordnung in der Gesellschaft ist, wenn man die Hierarchie der Werte verstößt“ (Ansprache in Barcelona, 7. November 1982). Auch das Problem der Arbeitslöhne ist mir nicht unbekannt, wobei hier die Verantwortung jedes Arbeiters für seine Familie berücksichtigt werden muß. Auch die Frage der Arbeit der Frauen muß auf eine besondere Weise behandelt werden, damit die Frauen auch ihr Heim versorgen und ihre Pflichten als Mütter und Ehefrauen erfüllen können (vgl. Laborem exercens, Nr. 19). „Der Arbeitslohn, ... muß es dem Arbeiter und seiner Familie ermöglichen, zu einem wahrhaft menschlichen Lebensniveau im materiellen, sozialen, kulturellen und geistigen Bereich Zugang zu erhalten“ (Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung, Nr. 86). Nicht minder kenne ich die berechtigten Forderungen eurer Gewerkschaften, soweit sie die Verteidigung eurer Rechte betreffen. Man darf jedoch nicht vergessen, daß Rechten auch gewisse Pflichten entsprechen, die erfüllt werden müssen. Liebe ist Urmotiv in der Suche nach Gerechtigkeit Ja, liebe Freunde, mir sind all diese Bestrebungen bewußt. Ich versichere euch, daß der Papst sich die berechtigten Wünsche nach Gerechtigkeit, die ihr im Herzen tragt, zu eigen macht, weil er weiß, daß eure Würde als Menschen und als Christen auf dem Spiel steht. Um so mehr möchte ich im Lichte des Glanzes der Auferstehung Jesu Christi sagen, daß nur die Liebe nach dem Beispiel Christi eine echte und dauernde Lösung eurer Probleme ermöglicht. In der Enzyklika Dives in misericordia habe ich geschrieben: „Die Erfahrung der Vergangenheit und auch unserer Zeit lehrt, daß die Gerechtigkeit allein nicht genügt, ja, zur Verneinung und Vernichtung ihrer selbst führen kann, wenn nicht einer tieferen Kraft — der Liebe — die Möglichkeit geboten wird, das menschliche Leben in seinen verschiedenen Bereichen zu prägen“ (Nr. 12). Das ist so, „weil die christliche Liebe die Gerechtigkeit anregt, inspiriert, entdeckt, vervollkommnet, möglich macht, respektiert, erhöht und über- 452 REISEN trifft; doch sie schließt die Gerechtigkeit nicht aus, sie absorbiert sie nicht, sie ersetzt sie nicht, sondern setzt sie voraus und erlangt sie, weil es wahre Liebe, echte Barmherzigkeit ohne Gerechtigkeit nicht gibt. Ist nicht vielleicht, genau gesagt, die Gerechtigkeit das geringste Maß der Nächstenliebe?“ (Ansprache, 19. März 1982). Eine echte Kultur der Arbeit muß eine Kultur der Gerechtigkeit sein, um dann auch zu einer Zivilisation im Zeichen der Liebe zu werden. Dies ist die umfassende Sicht der Soziallehre der Kirche, die in für viele Völker so schwierigen Zeiten unablässig darlegt und wiederholt, der Botschaft von Christus dem Arbeiter treu zu sein. Deshalb wollte ich, da ich eure Probleme und gleichzeitig die menschlichen und geistigen Qualitäten des chilenischen Volkes kenne, das sich durch seine christliche Liebe, Tradition und seine Würde auszeichnet, euch an die Notwendigkeit erinnern, mitten im Alltag ein Leben zu führen, inspiriert von den geistigen und übernatürlichen Werten, von denen die Auferstehung des Lazarus ein Zeichen ist. Die Auferstehung ist Zeichen dieses tiefen Wertes, den die menschliche Arbeit hat; der Auferstehung wird man teilhaftig durch die Arbeit. Es ist nicht die Arbeit, die zum Tod führt, es ist die Arbeit, die zur Auferstehung führt. In der Liturgie dieses fünften Sonntags der Fastenzeit begegnet uns eine außergewöhnliche Koinzidenz: die Auferstehung des Lazarus. Diese Koinzidenz ist providen-tiell. Im Zusammenhang mit diesem Geschehnis spricht Jesus zur Arbeitswelt, zu den chilenischen Arbeitern. Es gibt keine Divergenz, sondern im Gegenteil eine Konvergenz, weil man die menschliche Arbeit im Grunde in ihren tiefsten Implikationen erkennt durch die Auferstehung Christi; durch die Teilhabe am Kreuz Christi gelangt man zur Auferstehung. Und dies ist das Geheimnis der menschlichen Arbeit, das der Papst euch allen verkünden will, liebe Arbeiter, Brüder und Schwestern in diesem unendlichen Land. Der Herr möchte uns aus unserem Grab herausholen, aus einem verflachten Leben mit einem ausschließlich materiellen Horizont, einem Leben, das sich nur mit den Problemen dieser Erde beschäftigt, und oft einer Verkettung des Hasses, der Gewalttätigkeit oder des Egoismus jeglicher Art unterliegt. „Wer vom Fleisch bestimmt ist“, mahnt der hl. Paulus, „kann Gott nicht gefallen“ (Rom 8,8), und fährt fort: „Ihr aber seid nicht vom Fleisch, sondern vom Geist bestimmt, da ja der Geist Gottes in euch wohnt“ (Rom 8,9). Der Herr möchte, daß das irdische Leben vom ewigen Leben, dem Leben nach dem Heiligen Geist, durchtränkt wird, das das Leben der Liebe ist, das Leben der Auferstehung. Gott kann an denen keinen Gefallen finden, die nach dem Fleisch leben. Ihr lebt nach dem Geist, wenn der Geist Gottes in euch wohnt. Es wird täglich notwendiger, daß die Christen laut verkünden — vor allem mit dem Beispiel unseres Lebens —, daß die größte Würde der Arbeit in der Liebe liegt, mit der sie getan wird und in dieser sozialen, wahrhaf- 453 REISEN ten Perspektive, aber immer im Blick auf eine „Zivilisation im Zeichen der Liebe“. Diese Zivilisation wurde von Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, verkündet. 10. Wenn die fünfzig Tage der Osterzeit vergangen sind, langt am nächsten Pfingstfest für die gesamte Kirche das angekündigte Marianische Jahr an als Vorbereitung auf den Beginn des dritten Jahrtausends seit der Menschwerdung des Wortes im Schoß der heiligen Jungfrau. Maria, „das Gedächtnis der Kirche“ (Predigt, 1. Januar 1987), nimmt uns an der Hand, damit wir das lernen, was sie uns durch ihr eigenes Leben lehrt. Mehr als einmal habe ich daran erinnert, wie sich die Christen bei ihrer Arbeit bereits seit vielen Jahrhunderten mit Maria verbunden haben, entweder im Gebet des Angelus oder mit dem Ausdruck österlicher Freude im „Regina caeli“. Wenn ihr täglich großherzig ein wenig Zeit für das Gebet zu Maria verwendet, wird euch der Herr auf die Fürbitte seiner Mutter all das geben, was ihr zu euren geistlichen und zeitlichen Aufgaben braucht. Darum bitte ich Gott, unseren Vater, aus ganzem Herzen, in dessen Namen ich alle Anwesenden und deren Angehörige segne. Erinnert euch während eurer Arbeit dieses grundlegenden Geheimnisses unseres Glaubens, der Menschwerdung: „Und das Wort ist Fleisch geworden.“ Erinnert euch an dieses Geheimnis, das zum Tod und zur Auferstehung hinführt, um besser zu arbeiten, um niemals diese menschliche Dimension mit allen ihren Implikationen zu vergessen, die außerdem eine göttliche Dimension aufweist. Es ist der Schöpfer, der uns ein Beispiel gegeben hat, als er die Welt schuf; wir sind seine Mitarbeiter, liebe Brüder und Schwestern, wir sind seine Mitarbeiter! Es ist Gott, der Schöpfer, es ist Jesus Christus, der Arbeiter, es ist Jesus Christus, der Gekreuzigte, und Christus, der Auferstandene. Amen. 454 REISEN Volksfrömmigkeit ist ein wahrer Schatz Ansprache in La Serena (Chile) am 5. April Liebe Brüder und Schwestern! 1. „Als er das sagte, rief eine Frau aus der Menge ihm zu: ,Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brust dich genährt hat“ “ (Lk 11,27). Dieses Lob Jesu und Mariens entspringt aus dem schlichten Glauben einer unbekannten Frau. Von den Unterweisungen Jesu und seiner gütigen Gestalt zutiefst ergriffen, kann sie ihre Bewunderung nicht zurückhalten. In ihren Worten erkennen wir ein echtes Beispiel der Volksfrömmigkeit, die im Lauf der Geschichte bei den Christen lebendig war. Mit großer Freude und mit Dank an den Herrn, weil ich heute unter euch in dieser edlen und alten Stadt La Serena sein darf, begrüße ich von Herzen die Teilnehmer an diesem Wortgottesdienst und alle Einwohner des sogenannten Norte Chico (kleinen Nordens) von Chile, der jedoch aus vielen Gründen nicht aufhört, groß zu sein; an erster Stelle wegen seines christlichen Glaubens, für den seine Heiligtümer Zeugnis geben und der auch in den Wallfahrten, den Festen und religiösen Tänzen offenkundig wird, in denen er eins ist mit dem großen Norden. In Gegenwart dieser ehrwürdigen Bilder der Jungfrau von Andacollo, von - Candelaria und vom Nino Dios von Sotaquf und vor den anderen Darstellungen der Mutter Gottes, die ihr zur Segnung mitgebracht habt, möchte der Papst zusammen mit euch das Lob der Frau im Evangelium wiederholen: „Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brust dich genährt hat“ (Lk 11,27). Haben wir nicht jetzt in diesen Worten den vereinten Chor der Männer und Frauen Chiles vernommen, die! seit Beginn der Evangelisierung eurer Heimat den Herrn und die Jungfrau, seine Mutter, geliebt und verehrt haben? Fühlen wir nicht die spontane Glut der Volksfrömmigkeit zu Maria, unserer Mutter, die nicht aufhört, sich für ihre Kinder einzusetzen? Der Geist wirkt in vielen Formen der Frömmigkeit 2. Ja, die Volksfrömmigkeit ist ein wahrer Schatz des Gottesvolkes. Sie ist ein steter Beweis der aktiven Gegenwart des Heiligen Geistes in der Kirche. Er ist es, der in den Herzen den Glauben, die Hoffnung und die Liebe entzündet, die höchsten Tugenden, die der christlichen Frömmigkeit ihren Wert geben. Es ist derselbe Geist, der so viele und so verschiedene Ausdrucksformen der 455 REISEN christlichen Botschaft, in Übereinstimmung mit der Kultur und den Gewohnheiten aller Orte und Zeiten veredelt. Tatsächlich sind gerade diese religiösen Bräuche, die von Generation zu Generation überliefert werden, echte Unterweisungen für das christliche Leben: vom persönlichen und dem Familiengebet, das ihr unmittelbar von euren Vätern gelernt habt, bis zu den Wallfahrten, die ah den großen Festen eurer Heiligtümer eine Menge von Gläubigen zusammenrufen. Daher ist der feste Wille der Bischöfe Chiles lobenswert, alle im Volk erhaltenen religiösen Werte zu fördern. Meinerseits möchte ich vor euch wiederholen, was ich ihnen in Rom bei ihrem letzten Ad-limina-Besuch gesagt habe: „Es ist daher notwendig, die Volksfrömmigkeit voll zu würdigen, sie von den unpassenden Verkrustungen der Vergangenheit zu reinigen und sie ganz aktuell zu machen. Das bedeutet, sie muß evangelisiert, das heißt mit den Heilsinhalten bereichert werden, die Träger des Geheimnisses Christi und des Evangeliums sind“ (19. Oktober 1984, Nr. 4 in: O.R. dt., 14.12.84). Alle echte christliche Völksfrömmigkeit muß der Botschaft Christi und der Lehre der Kirche treu sein. Deshalb müßt ihr begreifen, wie gut es ist, daß eure Seelsorger, die ihnen vom Herrn anvertraute Sendung erfüllend, euch helfen, bestimmte Praktiken oder Glaubensäußerungen, wenn nötig, zu berichtigen, damit es in ihnen nichts gibt, was der rechten Lehre des Evangeliums widerspräche. Wenn ihr ihren Anweisungen bereitwillig folgt, gefallt ihr dem Herrn und der seligen Jungfrau sehr; wer also auf die Hirten der Kirche hört, hört auf den Herrn selbst, der sie gesandt hat (vgl: Lk 10,16). Die Volksfrömmigkeit sollte uns immer zur liturgischen Frömmigkeit führen, das bedeutet, zu einer bewußten und aktiven Teilnahme am gemeinschaftlichen Gebet der Kirche. Ich bin sicher, daß ihr dafür sorgt, als Höhepunkt eurer Wallfahrten das Bußsakrament mit Gewinn zu empfangen durch eine aufrichtige Beichte eurer Sünden beim Priester, der euch im Namen Gottes und der Kirche verzeiht. Dann nehmt ihr an der Messe teil und empfangt die Kommunion. So habt ihr Anteil an dem großen Mysterium des Glaubens und der Liebe, dem Opfer Christi, das sich für uns auf dem Altar erneuert. Diese Feiern der Kirche, an denen sich die Völksfrömmigkeit bereitwillig aus-richten muß, sind ohne Zweifel Momente der Gnade. In ihnen habt ihr sicherlich gespürt, wie euer Herz im Takt schlägt mit den edlen Empfindungen, die euer Gebet und euer Leben zu Gott erheben. Mögen diese Momente gründlicher Bekehrung und freudiger Begegnung in der Kirche immer häufiger sein, besonders zur Feier der Sakramente! Die Feier der Schutzheiligen jedes Ortes, Zeiten der Mission und Wallfahrten zu den Heiligtümern sind wie Einladungen, die der Herr an jede Gemeinde und an jeden einzelnen richtet, um auf dem Weg der Erlösung voranzukommen. 456 REISEN Wartet aber nicht, bis diese großen Festlichkeiten kommen, sondern findet euch zur Sonntagsmesse ein und heiligt so den Tag des Herrn, der dem Gottesdienst, der berechtigten Erholung und dem intensiveren Familienleben gewidmet ist. Keinen Tag sollen Augenblicke des persönlichen und des Familiengebetes in der Hauskirche, nämlich dem eigenen Heim, fehlen, damit euer ganzes Dasein sich vom Licht und der Gnade Gottes überflutet sehe. 3. Unter den vielfältigen Zeichen der christlichen Frömmigkeit nimmt die Verehrung der Jungfrau Maria einen ganz besonderen Platz ein. Das entspricht ihrer Stellung als Mutter Gottes und unserer Mutter. Wie jene Frau im Evangelium bewundernd ausrief und Jesus und seine Mutter beglückwünschte, so solltet auch ihr in eurer Liebe und eurer Frömmigkeit immer Maria mit Jesus verbinden. Begreift, daß die Jungfrau uns zu ihrem göttlichen Sohn führt und daß er immer die Bitten, die seine Mutter an ihn richtet, erhört. Diese beständige Verbundenheit der Jungfrau Maria mit ihrem Sohn ist das zuverlässigste und vertrauenswürdigste Zeichen für ihre mütterliche Sendung, wie uns die Worte in Kana zeigen: „... was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5). Maria ermahnt uns immer, daß wir dem Evangelium treu sein sollen, wie sie es war; ihr Leben ist ein Zeugnis der Treue zum Wort und zum Willen Gottes. Seht ihr, wie die Andacht zur Jungfrau Maria ein Wesenszug des christlichen Glaubens und der christlichen Frömmigkeit ist? Dann ist es natürlich, daß diese Frömmigkeit in der Seele dieses Landes ihre Heimstätte hat, und daß ihr deshalb Maria mit Ausdrücken der Ehrfurcht und des kindlichen Vertrauens anruft, die noch dazu von bevorzugten Kindern Gottes kommen: den Armen und Einfachen, denen Gott das Himmelreich zugesprochen hat (vgl. Mt 5,3). Die Jungfrau lehrt uns durch ihr Beispiel, als Söhne und Töchter Gottes in Lob und Danksagung unser Vertrauen auf den Herrn zu setzen. „Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobt ihn in seiner mächtigen Feste! Lobt ihn für seine großen Taten, lobt ihn in seiner gewaltigen Größe!“ (Ps 150,1.2). Herr, unser Gott! An diesem glücklichen Tag möchten wir mit den Worten des Psalmisten dir zujubeln und singen, ob deiner unendlichen Güte zu uns. Du hast nicht nur gewollt, daß wir deine Söhne und Brüder deines Sohnes genannt werden, sondern daß wir es auch in Wahrheit sind (vgl. 1 Joh 3,1). Auch dir, Christus, sei Dank gesagt, weil du uns deiner Mutter anvertraut hast. Mit jenen Worten, die du am Kreuz ausgesprochen hast: „Frau, siehe, dein Sohn“ {Joh 19,26) hast du uns ihr durch Johannes anvertraut, damit sie die Mutter aller Menschen sei. Wir rühmen dich, Herr, weil du deine unermeßliche Größe in der Niedrigkeit deiner Magd zeigst (vgl. Lk 1,48). Weil du sie erwählt, sie mit allen Gnaden geschmückt und sie über die Engel und Heiligen erhöht hast, damit Maria, 457 REISEN unsere heilige Mutter, die Gnadenvolle, das „prächtige Werk“ Gottes im wahrsten Sinne des Wortes sei, der ganz Chile in Liebe und kindlicher Dankbarkeit zujauchzt. 4. Die Jungfrau des Magnifikats ist Vorbild jener, die sich im Gott der Erlösung freuen und ihrer Freude aufrichtig Ausdruck geben. „Lobt ihn mit dem Schall der Hörner, lobt ihn mit Harfe und Zither! Lobt ihn mit Pauken und Tanz, lobt ihn mit Flöten und Saitenspiel!“ (Ps 150,3-4). In der ersten Lesung haben wir uns die Überführung der Bundeslade nach Jerusalem unter Gesängen und Tänzen des Königs David und des sie begleitenden Volkes Israel ins Gedächtnis gerufen. Es war ein Augenblick der Freude für alle. Sie drückte sich aus im Gotteslob und in der Zustimmung zum Bund, der durch die Lade mit den Gesetzestafeln symbolisiert war. Auch eure Liebe und Frömmigkeit zur heiligen Jungfrau und dem Gotteskind haben ähnliche Ausdrucksformen, die in den Jahrhunderten der Tradition entstanden sind. In sehr menschlicher Weise drückt sich durch eure Trachten, Instrumente und Rhythmen sichtbar der Glaube der Söhne dieses Landes aus, die mit ihrem ganzen Sein und zum Klang der Musik Christus und Maria Lob darbringen. Es spiegelt sich in einem bestimmten Sinn jene Szene des Alten Testamentes wider, aber dieses Mal zu Ehren Mariens, der Bundeslade des Neuen Bundes. „Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus“: Maria hat in ihrem Schoß den menschgewordenen Gottessohn getragen, den Urheber und Mittler des Neuen und ewigen Bundes. Darum jubeln ihr viele Christen täglich mit der Anrufung der lauretanischen Litanei zu: „Du Bundeslade Gottes“. j ■ „Alles, was atmet, lobe den Herrn!“ (Ps 150,6). Wir möchten, Herr,-mit der machtvollen Hilfe deiner Mutter die Früchte deines Liebesbundes mit den Menschen über die ganze Welt ausbreiten. Wir möchten, daß alle Menschen dich als Schöpfer und Herrn erkennen und dich loben; daß sie deine Gegenwart in ihrem Leben und das Ziel entdecken, für das sie erschaffen wurden; daß sie sich bemühen, das Bild aufleuchten zu lassen, das du jedem Menschen mit wunderbarer Güte ins Herz geprägt hast. Gib, daß mit deiner Gnade dieses göttliche Bild, das ihrer Seele eingeprägt ist, nicht Schaden leide durch Haß oder Gewalt, die sich gegen das Leben selbst richten, besonders gegen das schon empfangene und noch nicht geborene Leben; auch nicht durch Sittenverderbnis oder die falschen Fluchtversuche in den Gebrauch der Drogen oder die sexuelle Unordnung; ebensowenig durch. Preisgabe an die Unterdrückung durch materialistische Ideologien, unter welchem Vorzeichen sie auch erscheinen mögen, Ideologien, die die Würde der menschlichen Person selbst in ihrem Fundament verwunden und ersticken. 458 REISEN Wir bitten dich heute, Herr: Wenn jemand deines Lobes müde geworden ist und stattdessen Wege bevorzugt hat, die vom Evangelium wegführen, gib, daß er seine Haltung ändere und an der Hand Mariens zu dir zurückkehre! Und du, gute Mutter, die du immer deinen Söhnen nahe bist und ihre Rückkehr zur Kirche erwartest, gib, daß sie zurückkommen! Darum bitten wir Gott durch deine Fürsprache! Maria hat einen zentralen Platz in den Herzen der Chilenen 5. Laßt uns Gott danken, Brüder, für die mütterliche Gegenwart Marias in der Geschichte eures Volkes. Sie hat jene geführt, die euch den Glauben gebracht haben; diejenigen, die euch zu beten gelehrt haben. Sie hat in den Herzen der Chilenen, die guten Willens sind, Früchte zum Reifen gebracht: Gedanken des Friedens und nicht des Kummers (vgl. Jer 29,11). Sie hat euch in Schwierigkeiten unterstützt als Zeichen der Hoffnung, des Sieges und der zukünftigen Glückseligkeit. Zusammen mit der ganzen Kirche in Chile möchte ich mich unter den Schutz Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel, der Schutzpatronin eurer Heimat, stellen und möchte im Geist zu den zahlreichen Heiligtümern, Kirchen und marianischen Zentren des Landes pilgern, von Tarapacä bis Magallanes. Die volkstümliche Frömmigkeit zur heiligen Jungfrau bleibe immer und in allen Männern und Frauen Chiles lebendig! In eurer Funktion als erste Evange-lisatoren (vgl. Lumen gentium, Nr. 11), müßt ihr, Familienväter, eure Kinder lehren, Maria mit kindlichem Vertrauen anzurufen, sich an sie als die sichere Hilfe zu wenden und ihr Leben als Weg zum Himmel nachzuahmen. Ich möchte euch persönlich das Rosenkranzgebet empfehlen, das eine Quelle tiefen christlichen Lebens ist. Versucht ihn täglich zu beten, allein oder in der Familie, indem ihr mit großem Glauben die fundamentalen Gebete des Christen, das Vaterunser, das Ave Maria und das Gloria Patri wiederholt. Meditiert diese Szenen des Lebens Jesu und Mariens, die uns die Geheimnisse der Freude, des Schmerzes und der Herrlichkeit in Erinnerung rufen. So werdet ihr bei den freudenreichen Geheimnissen lernen, an Jesus zu denken, der sich arm und klein gemacht hat, — ein Kind! — für uns, um uns zu dienen; und ihr werdet euch angetrieben fühlen, dem Nächsten in seinen Bedürfnissen zu dienen. Bei den schmerzensreichen Geheimnissen wird es euch klar werden, daß das bereitwillige und liebende Annehmen der Leiden dieses Lebens — wie es Jesus in seiner Passion tat — zur Glückseligkeit und Freude führt, was in den glorreichen Geheimnissen Christi und Mariens zum Ausdruck kommt in der Erwartung des ewigen Lebens. 459 REISEN Ich kenne den.schönen, in Chile so sehr verwurzelten Brauch des Marienmonats, der im November, dem Monat der Blumen gefeiert wird und im Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens gipfelt. Ich bete zum Herrn, diese Frömmigkeit möge weiterhin reichliche Früchte christlichen Lebens, der Buße und der Versöhnung hervorbringen und jedes Jahr viele, die sich vielleicht von der religiösen Praxis entfernt haben und im Glauben lau geworden sind, durch die warme, mütterliche Güte Mariens zu Jesus zurückführen. 6. Wenden wir uns der Erzählung des Evangeliums zu, um die Antwort Christi an die Frau zu hören, die ausrief: „Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brust dich genährt hat“ (Lk 11,28). Der Herr wollte zu unserer Belehrung mit einer anderen Seligpreisung antworten: „Selig sind vielmehr die, die das Wort Gottes hören und es befolgen“ (Lk 11,28). So lobte Jesus seine Mutter wegen des stillen Opfers ihres Lebens, das von unermeßlicher Liebe und bedingungslosem Dienst am göttlichen Heilsplan erfüllt war. Er hat sie uns als Vorbild der Annahme und der vollkommenen Erfüllung des Willens Gottes überlassen. Am Leben Mariens, einer Mutter und Frau, lernen wir, daß wir im gewöhnlichen Alltag unserer familiären und sozialen Pflichten, die wir mit viel Liebe erfüllen, die christliche Heiligkeit erreichen können und müssen. Das Zweite Vatikanische Konzil wollte an den heiligenden Wert erinnern, den die alltäglichen Wirklichkeiten für alle Christen besitzen, für jeden in seinem Bereich. Es lehrte hinsichtlich der Laien: „Es sind nämlich alle ihre Werke, Gebete und apostolischen Unternehmungen, ihr Ehe- und Familienleben, die tägliche Arbeit, die geistige und körperliche Erholung, wenn sie im Geist getan werden, aber auch die Lasten des Lebens, wenn sie geduldig ertragen werden, ,geistige Opfer, wohlgelällig vor Gott durch Jesus Christus4 (1 Petr 2,5)“ (Lumen gentium, Nr. 34). Ich denke jetzt besonders an die Frauen Chiles, die unsere Mütter, die heilige Jungfrau, so gut nachzüahmen verstehen. Ich danke dem Herrn für diese weiblichen Tugenden, mit denen sie zum Wohl aller beitragen. Ich bitte ihn, daß das ganze nationale Leben sich von dieser Zartheit und Kraft veredeln läßt, vom guten menschlichen und christlichen Sinn, von der Treue und der Liebe, die sie kennzeichnen. Um ein Klima des ruhigen und fröhlichen Zusammenlebens aller Chilenen zu erreichen, ist es nötig, daß ihr euch fortwährend dafür einsetzt, um aus jedem Heim einen Ort des Friedens und der christlichen Freude zu machen. Wenn ihr als vorbildliche Ehefrauen, Töchter und Schwestern lebt, könnt ihr in der Gesellschaft und in der Kirche die Liebe des Heimes der Heiligen Familie von Nazaret verbreiten. 7. Liebe Brüder und Schwestern: Kommt mit eurer volkstümlichen Frömmigkeit zur heiligen Jungfrau! Ihr werdet immer reichliche Gnaden erhalten, 460 REISEN ihr werdet euch angespomt fühlen zum Gebet, zur Buße und zur brüderlichen Liebe. Das sind Zeichen der echten Volksfrömmigkeit, die dazu anregt, den Geist und das Herz auf Gott, unseren Vater, zu richten, die zur ehrlichen Versöhnung mit Gott antreibt und euch veranlaßt, euch euren Brüdern mehr verpflichtet zu fühlen, die ihr lieben und denen ihr dienen müßt, wie Jesus uns durch seine Worte und sein ganzes Leben gelehrt hat. Durch die mütterliche Fürsprache Mariens werden eure Gebete und eure Opfer — die auch eine verdienstvolle Form des Gebetes sind —, eure Lieder und Tänze, eure Prozessionen und die Sorgfalt, die ihr für den Gottesdienst aufwendet, vom Herrn reichlichen Segen erlangen zu Frieden und Einheit unter den Chilenen und zur Bekehrung, und ihr werdet auch mit Priester- und Ordensberufungen für seinen Dienst gesegnet sein. Jungfrau, Maria, Mutter Gottes und unsere Mutter, Königin des Friedens und Schutzpatronin Chiles, lehre uns, all unsere Frömmigkeit nach den Lehren Jesu und dem Wohlgefallen des Vaters auszurichten. Und wir werden ewig singen können: „... Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brust dich genährt hat.“ (Lk 11,27). Auf diese Weise werden wir mit Hilfe Mariens jenes Lob Jesu verdienen: „... Selig sind die, die das Wort Gottes hören und es befolgen.“ (Lk 11,28). Fremde Mentalitäten respektieren Ansprache an die Eingeborenen und an die Campesinos in Temuco (Chile) am 5. April Gelobt sei Jesus Christus! Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich freue mich von Herzen, mich heute mit den Bewohnern von La Frontera in dieser Stadt Temuco zu treffen und den Wortgottesdienst zu halten, den wir mit euren Seelsorgern, mit dem Bischof von Temuco und dem Apostolischen Vikar von Araukanien, mit anderen Brüdern im Episkopat und mit vielen Priestern feiern, die mit großmütiger Hingabe ihr Amt unter euch ausüben. Es ist ein großes Glück für mich, in diesem Land Araukanien, dem Land der Ähren und der Copihüe (die Nationalblume Chiles, Anm. d. Red.), diese Feier des Glaubens und der Liebe zusammen mit den Anwesenden zu begehen. Ich freue mich besonders, das Volk der Mapuches zu grüßen, das über eine eigene Kultur und eigene Traditionen als charakteristische Werte in der chilenischen Nation verfügt. 461 REISEN In herzlicher Zuneigung schließe ich heute in mein Wort ganz besonders alle Campesinos von Chile ein, die mit ihrer aufopfernden Arbeit zum allgemeinen Wohl aller Chilenen beitragen und die in ihrem Leben so viele menschliche und christliche Werte verkörpern. 2. Die Botschaft des Papstes richtet sich an alle, weil alle, über ethnische oder kulturelle Unterschiede hinaus, Kinder Gottes sind, weil, wie uns der hl. Paulus sagt, alle „auserwählte Heilige“ (Kol 3,12) sind, „berufen als Glieder des einen Leibes“ (vgl. Kol 3,15). Wie der gleiche Apostel bestätigt, indem er sich auf die Völker und die Klassen seiner Zeit bezieht, „gibt es nicht mehr Griechen oder Juden, Beschnittene oder Unbeschnittene, Fremde, Skythen, Sklaven oder Freie, sondern Christus ist alles und in allen“ (Kol 3,11). Der Glaube, liebe Brüder und Schwestern, überwindet alle Unterschiede zwischen den Menschen. Der Glaube bringt ein neues Volk hervor: das Volk der Gotteskinder. Aber wenn der Glaube auch die Unterschiede überwindet, so zerstört er sie doch nicht, sondern respektiert sie. Die Einheit von uns allen in Christus bedeutet nicht Gleichförmigkeit unter diesem menschlichen Gesichtspunkt. Im Gegenteil, die Kirche, die Familie Gottes, zu der wir alle gehören, fühlt sich durch die Aufnahme der vielfältigen Verschiedenheiten und Mannigfaltigkeiten aller ihrer Mitglieder bereichert. Und deswegen ermutigt der Papst heute, von Temuco aus, die Mapuches, die Kultur ihres Volkes mit gesundem Stolz zu bewahren: Die Traditionen und Bräuche, die Sprache und ihre eigenen Werte. Der Mensch ist Gottes Bild und Gleichnis; deshalb umfaßt die Liebe Christi auch die ganze Vielgestaltigkeit menschlicher Existenz, die diesem Bild und Gleichnis entspricht. Mit der Verteidigung eurer Identität übt ihr nicht nur ein Recht aus, sondern erfüllt auch eine Pflicht: die Pflicht, eure Kultur den kommenden Generationen zu vermitteln. Damit bereichert ihr gleichzeitig die ganze chilenische Nation mit euren gutbekannten Werten, wie die Liebe zu Grund und Boden, eure unbeugsame Freiheitsliebe, die Einheit eurer Familien. Seid euch der von euren Vorfahren überlieferten Werte eures Volkes bewußt und laßt sie Früchte bringen! Seid euch jedoch vor allem des großen Schatzes bewußt, den ihr durch die Gnade Gottes empfangen habt: eures katholischen Glaubens. Im Licht des Glaubens an Christus werdet ihr erreichen, daß euer Volk in Treue zu seinen legitimen Traditionen sowohl materiell als auch spirituell wächst und Fortschritte macht und so die Gaben austeilt, die Gott ihm gewährt hat. Erleuchtet vom Glauben an Christus werdet ihr überdies die anderen Menschen trotz mancher Unterschiede der Rasse und der Kultur als eure Brüder und Schwestern erkennen und sie verstehen und lieben können. Der Glau- 462 REISEN be wird euer Herz groß machen, so daß es alle Menschen umschließen kann, besonders die, die mit euch zusammen die chilenische Nation bilden; an ihrer Seite und gemeinsam mit ihnen sollt ihr kraftvoll für das Vaterland und das Gemeinwohl arbeiten. Und dieser selbe Glaube wird alle Chilenen dazu führen, daß ihr einander liebt, daß ihr eure verschiedene Wesensart respektiert und daß ihr euch zusammenschließt zum Aufbau einer Zukunft, an der alle aktive und verantwortliche Teilhaber sind, wie es der Würde des Menschen und des Christen entspricht. 3. Im Brief an die Kolosser, aus dem wir gerade die Lesung gehört haben, bittet uns der Apostel im Namen Christi: „Legt den alten Menschen mit seinen Taten ab“ (Kol 3,9), und zugleich befiehlt er uns: „Werdet zu einem neuen Menschen“ {Kol 3,10). Wer sind denn dieser alte Mensch und dieser neue Mensch, von denen der hl. Paulus zu uns spricht. Der alte Mensch ist der Mensch, der noch nicht durch Christus erneuert ist, der sich noch von der Sünde, von den Leidenschaften und Lastern beherrschen läßt, der in seinem Leben noch vom Fleisch und nicht vom Geist bestimmt ist (vgl. Röm 8,8/9). Der neue Mensch dagegen ist der, dessen Werke dem Herrn gefallen, weil sie mit dem Rang eines Kindes Gottes übereinstimmen; das heißt, er ist ein Mensch, der sich bewußt ist, daß er in der Taufe zu einem neuen Leben geboren wurde und in Freundschaft mit Gott, seinem Vater, lebt. Alt und neu sind zwei Arten von Leben, die nur schwer in ein und derselben Person zusammen bestehen können. Schon in der Taufe haben wir diesen alten Menschen zurückgelassen. Aber die Folgen der Erbsünde und die persönlichen Sünden sind in unserem Sein und Handeln zu spüren. Strengt euch deshalb an, alles, was euch von Gott und den Brüdern entfernt, aus eurem Leben zu beseitigen. Weist Haß und Groll, Zwist und Auseinandersetzungen, Alkoholismus, Drogen, Müßiggang, Faulheit, familiäre Unstimmigkeiten, eheliche Untreue, Mangel an Solidarität mit den Problemen anderer und all das, was sich dem großen Gebot der Liebe zu Gott und dem Nächsten widersetzt, zurück. Bekleidet euch hingegen mit Christus, das heißt: „Bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig, und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat“, und „vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht.“ {Kol 3,12-14). 463 REISEN Kirche ist Anwalt der Rechtlosen in gewaltloser Solidarität 4. Geliebte Brüder und Schwestern! Ich weiß, daß es im Leben der chilenischen Bauern und im besonderen in dem des geliebten Volkes der Mapuches viele Schwierigkeiten und Probleme gibt. Nicht selten seid ihr Ungerechtigkeiten ausgesetzt und an den Rand gedrängt worden. Erinnert euch, daß es in den fernen Zeiten der Conquista Priester gab — und die verehrungswürdige Gestalt des Bruders Diego von Medellin ragt unter ihnen besonders heraus —, die ihre Stimme erhoben und vor dem König von Spanien die Gewalttätigkeiten schilderten, denen die Eingeborenen ausgesetzt waren. Auch heute will euch die Kirche energisch in euren Forderungen nach Achtung vor euren legitimen Rechten unterstützen, ohne daß sie deswegen aufhört, euch in gleicher Weise an eure Pflichten zu erinnern. Laßt andererseits ihr euch nicht verführen von denen, die verlockende und trügerische Lösungen für eure Probleme anbieten, wie etwa den Haß und die Gewalt oder auch die ungerechtfertigte Flucht vom Land und vor seinen Werten in die Städte, wo euch oft noch unsichereres und schwierigeres Leben erwartet. Ihr seihst habt verschiedentlich Klage dagegen erhoben, daß man eure Situation politisch ausnutzen wollte oder daß skrupellose Menschen auf eure Kosten, unter Mißachtung eurer Würde und eurer Rechte, ihre Gier nach Gewinn stillen wollten. Ebenso weiß ich Bescheid über die Probleme, die mit dem Grundbesitz, der sozialen Sicherheit, dem Vereinigungsrecht, der landwirtschaftlichen Fortbildung, der Teilnahme der Landbevölkerung an den verschiedenen Aspekten des Lebens der Nation, der umfassenden Ausbildung eurer Kinder, dem Erziehungs- und Gesundheitswesen, dem Wohnungsbau und vielen anderen euch bedrängenden Fragen verbunden sind. Einige dieser Probleme sind für das Mapuche-Volk besonders besorgniserregend, vor allem die um das Land derjenigen, die man gerade ,,Landleute“ nennt, und um die Bewahrung und Förderung seines eigenen Kulturerbes. Aber laßt euch nicht entmutigen und erschreckt nicht vor den Schwierigkeiten, liebe Campesinos und Mapuches. Seid in erster Linie Realisten. Dann werdet ihr die vielen Anlässe zur Hoffnung erkennen, die im ländlichen Bereich Chiles auch vorhanden sind. Eure Werte und Haltungen — wie etwa die Weisheit, ein Wesensmerkmal derer, die das Land mit ihren Händen bearbeiten und im Kontakt mit der Natur leben, die Fähigkeit, dankbar zu sein und mit den anderen zu teilen, die Schlichtheit eurer Gebräuche, die Volksfrömmigkeit mit ihren vielen alten und neuen Ausdrucksformen, der Sinn für die Familie und viele andere gute Eigenschaften, die ihr besitzt — sind ein Schatz, den ihr bewahren und zum Wohl der ganzen nationalen Gemeinschaft 464 REISEN fruchtbar machen müßt. Darüber hinaus fehlt es nicht an vielversprechenden Initiativen auf allen Ebenen in dem Bemühen, die Lebensbedingungen auf dem Land zu verbessern. Keine Vertröstung, sondern realistischer Weg zu wahrem Leben Doch jenseits dieser Motive, die euch vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken gestatten, erfülle euch die christliche Hoffnung auf Gott, unseren Vater. Dabei handelt es sich nicht nur um die Hoffnung auf den Himmel, sondern auch auf dieses Leben, das der Weg zum ewigen Leben ist. Zweifelt nicht daran, daß die Worte des hl. Paulus'an euch alle gerichtet sind: „Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen“ {Kol 3,12). Vergeht also nicht, daß jede Person, jeder Mann und jede Frau, jeder Jugendliche, jedes Kind und jeder alte Mensch ein Auserwählter Gottes ist, ein Wesen, dem Gott seine unendliche Liebe zuwendet. „In eurem Herzen herrsche der Friede Christi; dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes (Kol 3,15). Laßt nicht zu, daß Angst, Mutlosigkeit, Groll und Traurigkeit sich eures Herzens bemächtigen. „Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!“ {Kol 3,13), ermahnt uns der heilige Paulus. Laßt nicht den alten Menschen in euch die Oberhand gewinnen, sondern im Gegenteil: „Liebt einander“ {Kol 3,14). Diese Liebe wird euch fähig machen zu verzeihen und wird euch die Kraft geben zu dem ernsthaften Bemühen, euch selbst zu überwinden und die Hindernisse zu besiegen. Zuweilen mag euch der Gedanke ängstigen, daß die Liebe nicht die angemessene Lösung für eure dringlichen Probleme sei, und vielleicht verspürt ihr auch die Versuchung zum passiven Konformismus, nämlich die Lösung der Schwierigkeiten, die nach eurer Ansicht eure Kräfte übersteigen, anderen zu überlassen; oder auch die Versuchung zum gewalttätigen Nonkonformismus als einem Weg, sich den Ungerechtigkeiten zu widersetzen. Gegen diese Versuchungen sagt euch der Papst noch einmal: Die Liebe siegt immer. Macht die Liebe, den Frieden Christi zur Grundlage eures Lebens. Eine Liebe und einen Frieden, so möchte ich unterstreichen, die nicht unwirksam bleiben können, die nicht passiv sind, sondern die offenbar werden in Initiativen, Aktivitäten und Werken der Solidarität zum Nutzen eures Volkes und seiner gerechten Ansprüche. 5. „Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch. Belehrt und ermahnt einander in aller Weisheit! Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie sie der Geist eingibt“ {Kol 3,16). In diesen Ermahnungen des heiligen Paulus an die Christen von Kolossä ist das Programm für 465 REISEN den Christen als neuen Menschen enthalten. Ich fordere jeden von euch auf, stets das Wort Christi, seine Lehren und Gebote zu bewahren, damit sie euer Leben leiten. Möge das Wort Christi „mit seinem ganzen Reichtum bei euch wohnen“ {Kol 3,16), damit er stets euer Handeln erleuchte, auch wenn es darum geht, Lösungen für Probleme der Arbeitswelt oder des Gesellschaftslebens zu suchen. Entdeckt den ganzen Reichtum des Wortes Christi. Dazu „belehrt und ermahnt einander in aller Weisheit“ {Kol 3,16), indem ihr zu den Mitteln greift, die die Kirche und eure Seelsorger euch zur Verfügung stellen; die Katechese für die Jugend und die Erwachsenen, die Vorbereitung auf den Empfang der Sakramente, die apostolischen Tätigkeiten, die Gebetsgruppen und die vielen anderen Initiativen zur Förderung des christlichen Lebens. „Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder“ {Kol 3,16). Nehmt mit Dank gegen Gott an den liturgischen Feiern in euren Pfarrkirchen und Kapellen teil, vor allem am Meßopfer, um den dreieinigen Gott zu loben und um ihm eure Anliegen und die eurer Familien anzuvertrauen. Geht häufig zur Beichte, die das Sakrament der Vergebung und der Barmherigkeit Gottes ist. „Singt Gott in eurem Herzen“ {Kol 3,16), wiederholt uns der hl. Paulus. Praktiziert unter der Führung eurer Seelsorger die Übungen der christlichen Frömmigkeit, die im Lauf der Zeit zu einem Teil des geistlichen Lebens eures Volkes wurden, vor allem das Gebet des Rosenkranzes. So gefallt ihr unserem Herrn, erlangt viel Gutes für eure Gemeinschaften und bewirkt, daß die von der Kirche gebilligten Äußerungen volkstümlicher Religiosität lebendig und aktuell bleiben. <25> <25> Ich möchte jetzt bei einigen Erwägungen über die Tätigkeit verweilen, die euch am meisten beschäftigt, dieselbe, die von Millionen Menschen in der ganzen Welt und vom Großteil der Bewohner von Araukanien ausgeführt wird: die Landarbeit. Eure Arbeit ist, wie ich schon bei anderen Gelegenheiten hervorgehoben habe, eine edle und veredelnde Aufgabe, denn sie führt euch zur Zusammenarbeit mit Gott, dem Schöpfer, und zum Dienst an den Mitmenschen. In der Tat, wenn ihr euch bemüht, der Erde jene Früchte abzuringen, die den Menschen, euren Familien und der Gemeinschaft als Nahrungsmittel dienen, setzt ihr das Werk der Schöpfung mit eurer Geschicklichkeit und eurer Kraft fort. Trotzdem geschieht es nicht selten, daß die Gesellschaft eure Anstrengung nicht gebührend würdigt. Während sie andere Arbeitsleistungen über Gebühr vergilt, entlohnt sie die euren nicht ausreichend. Wie ich in meiner Enzyklika über die Arbeit bestätigt habe, ist es notwendig, „der Landwirtschaft und der Landbevölkerung, in der Gesamtheit der Entwicklung der Sozialgemein- 466 REISEN Schaft, den gerechten Wert als Basis einer gesunden Wirtschaft zurückzugeben“ (Laborem exercens, Nr. 21). Unterstützt diesen Wunsch des Papstes, indem ihr euer solidarisches und friedliches Bemühen vereint, damit die Gesellschaft eure legitimen Rechte anerkenne! Gebt nicht auf, wenn ihr euch Schwierigkeiten gegenüberseht! Im Gegenteil, werdet stärker durch sie, durch die Suche nach legitimen Mitteln für ihre Überwindung. Das wird eurerseits sicherlich Opfer verlangen; es wird euch dazu anspornen, mehr und besser zu arbeiten; es wird euch immer solidarischer machen, innerhalb eurer Gemeinschaft und mit allen Arbeitssektoren des Landes. So werdet ihr eine würdige Zukunft für euch und für eure Kinder erreichen, und vor allem werdet ihr das Arbeitsleben Jesu, des „Zimmermannssohnes“ (Mt 13,55) nachahmen. Deswegen möchte ich mich an die verantwortlichen Stellen der chilenischen Landwirtschaft wenden und sie auffordern, alle ihr verfügbaren Mittel bereitzustellen, um die auf dem Sektor Landwirtschaft lastenden Probleme zu mildern, und zwar so, daß die Männer und Frauen auf dem Land und ihre Familien in würdiger Weise leben können, wie es ihrem Rang als Landarbeiter und Kinder Gottes entspricht. Die Anstrengungen zur besseren Entlohnung der Landwirte verstärken Den landwirtschaftlichen Unternehmern möchte ich meine Wertschätzung bekunden für die Arbeit, die sie leisten, und sie zugleich eindringlich um eine erneuerte Anstrengung, auch auf Kosten von Opfern, für die menschliche und christliche Förderung des Lebens auf dem Lande in Chile bitten. Tut das Menschenmögliche, damit alle, die mit euch arbeiten, sich wie „auf Eigenem“ fühlen; sucht dazu Formen der Mitbeteiligung, die ihnen eine bessere Zukunft eröffnen, Formen des schrittweisen Zugangs zu Eigentum, der besseren technischen und kulturellen Ausbildung und Möglichkeiten, daß sie ihren Kindern ein materielles und vor allem ein geistiges Erbe weitergeben können, das nach den Prinzipien der Gerechtigkeit die Grundlage einer besseren Zukunft für sie sein möge. <26> <26> Ich kann diese Begegnung nicht beenden, ohne mich vorher noch an meine Brüder im Bischofsamt, an die Priester, Diakone, Ordensfrauen und Ordensmänner, an die gläubigen Laien und an euch alle zu wenden, die ihr in der Evangelisierung Araukaniens und in der Landseelsorge mitarbeitet. Der Papst möchte euch im Namen Christi und der Kirche danken für eure Arbeit als Säleute eines guten Samens, des Evangeliums, für die wertvollen Seelen der Campesinos und der Mapuches. An euch alle richte ich die Empfehlung 467 REISEN des hl. Paulus: „Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht“ (Kol 3,14). Möge Christus, der Quell der Liebe, die unser Leben erfüllen muß, stets das Fundament eurer apostolischen Arbeit sein. Bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, um den Menschen, euren Brüdern und Schwestern, die Liebe mitteilen zu können. Folgt den ruhmreichen Beispielen der vielen selbstlosen Verkünder des Evangeliums, die euch vorangegangen sind, besonders in diesem Bistum Te-muco und im Apostolischen Vikariat Araukanien, das dem unermüdlichen Eifer der gütigen Kapuzinerpatres anvertraut ist. „Alles, was ihr in Worten und Werken tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn. Durch ihn dankt Gott, dem Vater!“ (Kol 3,17). Im Namen Jesu Christi werdet ihr eure Arbeit, das Evangelium allen Bewohnern dieses Landes zu bringen, weiterführen können. Liebe Campesinos und Mapuches, auch euch sage ich: „Bekleidet euch mit der Liebe“ {Kol 3,14). Mögen die Worte des hl. Paulus immer in euren Herzen lebendig sein und sich in eurem Leben kundtun. Ich lade euch ein, diese Bitte mit mir zusammen an Gott zu richten, indem wir die Oration der Messe dieses 5. Fastensonntags wiederholen: „Herr, unser Gott, wir bitten dich, gewähre uns, dieselbe Liebe zu leben, die deinen Sohn dazu gebracht hat, sich dem Tod für das Heil der Welt hinzugeben“. Gebe Gott, auf die Fürsprache unserer hl. Mutter Maria — die ihr so liebt und verehrt —, daß sich auf dem Acker Chile neue Furchen auftun, um Hoffnungen des ewigen Lebens in sie zu säen! Und mögen die Liebe und der Friede Christi stets über euer Leben herrschen! Amen. Christus befreit von der Knechtschaft der Sünde Botschaft an die Insassen des Gefängnisses in Antofagasta (Chile) vom 6. April Liebe Brüder und Schwestern! 1. Mein Besuch in dieser Resozialisierungsanstalt soll für euch alle ein Zeichen der Zuneigung und Fürsorge des Nachfolgers Petri sein — für alle hier Anwesenden und für alle Menschen, die der Freiheit beraubt sind. Ich begrüße euch alle im Namen Jesu, und meine ersten Worte sind ein Dank für euren herzlichen Empfang. Auch hier wird der wunderschöne Ausdruck wahr, der die bekannte Gastfreundschaft eures Volkes bestätigt: „Wie lieben sie in Chile den Freund, wenn er Ausländer ist!“ 468 REISEN Ich möchte mit euch einige Überlegungen über das Wort Gottes anstellen, mit dem einzigen Wunsch, in euer Sehnen und eure Hoffnungen Licht zu bringen und eure Traurigkeiten undEnttäuschungenzulindem. Ich weiß, daß ihr euchin einer schwierigen und schmerzhaften Situation befindet. Der Papst, der euch täglich in seine Gedanken und sein Gebet einschließt, ruft Gottes Hilfe auf euch herab, damit seine Gnade und sein Schutz euch auch inmitten aller Einschränkungen halten, die ihr in eurem täglichen Leben tragt. Christus kann bedrückende Situationen entkrampfen 2. Jesus sagt uns im Evangelium: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht ; und meine Last ist leicht!“ {Mt 11,28-30). Das istderbeständige Aufruf, den der Herr an alle Menschen richtet und im besonderen an jene, denen er die erlösende Bedeutung des Leides offenbaren möchte. Die Begegnung mit euch, liebe Brüder, rührt mich zutiefst. Ich kann mir vorstellen, was euer Herz beunruhigt und wie viele unerfüllte Wünsche es mit Schmerz und Sehnsucht erfüllen. Als älterer Bruder in Christi wäre es mein Wunsch, mich mit einem j eden von euch vertraulich und ruhig zu unterhalten—ein Gespräch voller Hoffnung und Liebe zu führen, in dem wir über persönliche Erlebnisse, vergangene Enttäuschungen, Pläne, die eure Zukunft und besonders die aktuelle Situation eurer 'Familien betreffen, sprechen. IchhabedieGewißheit, daß, zusammenmitdemReichtum eurer Gefühle, die große Menschlichkeit eines jeden von euch offenbar würde. Ich weiß, daß jeder von euch mir sein Inneres öffnen würde. Leider ist es nicht möglich, mit jedem einzelnen auch nur einige Augenblicke zu verbringen, aber ich möchte, daß ihr meine Worte in diesem Sinne aufnehmt. Christus ist der einzige, der unserem Leben Sinn geben kann. Er strahlt Frieden , Ruhe und Freiheit im vollsten Sinne des Wortes aus, weil er uns von der ra-dikalenKnechtschaft der Sündebefreithat—demUrsprung allen Übels. Erlegt in die Herzen die Sehnsucht nach echter Freiheit — Frucht der Gnade Gottes, die das Innerste der menschlichen Person heilt und erneuert. Die Freiheit, die Gott uns bietet, beginnt im Innern des Menschen, dort, wo Egoismus, Haß, Gewalt und Unordnung wurzeln, und festigt sich vor allem in der moralischen Ordnung. Christus ist gekommen, den Menschen von der Sünde, die ihn seiner Freiheit beraubt, zu erlösen. ..“Wer die Sünde tut, ist Sklave der Sünde“ {Joh 8,34), sagt Jesus im Evangelium. Und es ist diese Knechtschaft, von der er alle Menschen befreien möchte. 469 REISEN Es gibt keinen, der nicht dieser Befreiung durch Christus bedarf, weil es keinen gibt, der nicht in gewisser Weise Gefangener seiner selbst und seiner Leidenschaften ist. Wir alle haben Umkehrung und Reue nötig; wir alle brauchen die erlösende Gnade Christi, die er uns ohne unser Verdienst mit vollen Händen anbietet. Er erwartet nur, daß wir, wie der verlorene Sohn, sagen „ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen“ (Lk 15,18). 3. Das Haus Gottes öffnet seine Tore immer weit. In ihm vergegenwärtigt sich Christus durch das Wort und das Sakrament. Im Laufe der Jahrhunderte hat die Kirche geduldig, aber mit Beharrlichkeit, ihre Arbeit als Mutter und Lehrmeisterin errichtet, um die Institutionen und die Grundsätze, die das soziale Zusammenleben regeln, menschlicher zu machen. Wer weiß nicht um den positiven Einfluß, den im Laufe der Jahrhunderte die evangelische Botschaft in der Verteidigung und in der Förderung einer größeren Ächtung vor der Würde des Gefangenen als Mensch, als Kind Gottes, ausgeübt hat? In der Geschichte der Menschheit — worauf ich schon bei meinem Besuch im Gefängnis von Rom hingewiesen habe — wurden auf diesem Gebiet Fortschritte gemacht, aber gewiß gibt es noch vieles zu tun. Die Kirche, als Interpretin der Botschaft Christi, schätzt und ermutigt die Bemühungen derer, die ihre Kräfte dafür einsetzen, das Gefängnissystem so zu verändern, daß das Recht und die Würde des Menschen vollständig respektiert werden (27. Dezember 1983). Übrigens: Wie könnte ich es unterlassen, öffentlich meine Anerkennung und mein Wohlwollen all jenen zu bekunden, die mit der Seelsorge in den Strafanstalten Chiles beauftragt sind. Ihr Priester, Ordensleute und übrigen Mitarbeiter zeigt die mütterliche Sorge der Kirche für unsere Brüder, indem ihr die Worte Jesu im Evangelium zu einem Teil eures Lebens macht: „... ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen“ (Mt 25,36). Ihr seid Überbringer der barmherzigen Liebe Gottes und unermüdliche Prediger der erlösenden Botschaft Christi. Helft allen, den Weg des Guten wiederzufinden; tragt zur aufrichtigen Umkehr aller Männer und Frauen bei, bei denen ihr euer Apostelamt ausübt, und ermutigt sie, ein neues und besseres Leben anzufangen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch alle Mitglieder der Polizeistreitkräfte Chiles begrüßen, die ihre Pflicht in den Strafanstalten erfüllen. Macht auch aus eurem Beruf einen Dienst an dem Bruder, der leidet. Auf die Fürsprache Unserer Lieben Frau vom Karmel, der liebevollen Mutter aller Chilenen, bete ich inständig zu Gott, daß er allen mit seiner Gnade beistehe, daß er insbesondere seinen Beistand allen unseren Brüdern und Schwestern im Gefängnis leihe und die Verteidigung all derer ermögliche, die unschuldig sind; von Herzen erteile ich meinen Apostolischen Segen den 470 REISEN Inhaftierten, ihren Familien, den mit der Gefangenenseelsorge Beauftragten und allen, die die Not der Leidenden lindern, sowie allen Angehörigen der Polizeistreitkräfte in Chile. Die Päpstliche Kommission für Gerechtigkeit und Frieden hat kürzlich in einem Dokument die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf ein Problem gelenkt, das schlaglichtartig beleuchtet, wie dringlich und radikal diese Bedrohungen des Friedens sind: das Problem der Auslandsverschuldung vieler Entwicklungsländer. Es ist notwendig, mit einer ethischen Beurteilung des internationalen Schuldenproblems zu beginnen, die die Verantwortung aller Beteiligten und die tiefgreifende, die ganze Welt umfassende Interdependenz für den Fortschritt der Menschheit deutlich macht. Wenn es nicht gelingt, eine harmonische und angemessene, von allen solidarisch geteilte Entwicklung für alle Nationen zu erreichen, wird man auch nicht die Grundlagen für einen stabilen und dauerhaften Frieden legen können. Die Ideale des Friedens nie aus dem Blick verlieren 4. Wenn ich mich an Sie wende, die Sie die legitimen Interessen ihrer jeweiligen Nationen vertreten, möchte ich damit erneut vergegenwärtigen, wie notwendig es ist, daß Sie Ihren Auftrag immer im Horizont der großen Ideale des Friedens, der Gerechtigkeit und der Solidarität unter allen Völkern erfüllen. In der Ausübung ihrer Funktionen als diplomatische Vertreter können Sie dazu beitragen, die Bande der Verständigung und der Eintracht unter Einzelpersonen, Gruppen und Nationen zu stärken. Diesen Aufruf spreche ich heute vor Ihnen im Namen der Kirche aus, die weiterhin überall die Botschaft Christi, eine Botschaft des Friedens und der Liebe, verbreiten möchte. Argentinien und Chile, seit mehr als vier Jahrhunderten in ihrem christlichen Glauben miteinander verschwistert, haben bewiesen, daß das Evangelium Jesu Christi dazu bestimmt ist, Früchte des Friedens zum Wohl der ganzen Menschheitsfamilie zu bringen. Ich wiederhole, daß ich über diese Begegnung erfreut und für Ihre Anwesenheit dankbar bin, und bitte den Allerhöchsten, er möge Sie, Ihre Familien und alle Nationen, die durch Sie hier vertreten sind, segnen. 471 REISEN Die wahre Befreiung verkünden Predigt bei der Eucharistiefeier im Wüstengelände von Antofagasta (Chile) am 6. April „Bleibt in meiner Liebe!“ (Joh 15,9). Liebe Brüder und Schwestern! 1. Hier, im Großen Norden Chiles, in der mir lieben Stadt Antofagasta, ist der letzte Abschnitt meines Seelsorgedienstes auf chilenischem Boden gekommen. Und so ist die Tatsache, daß wir in dieser Liturgie die Worte gehört haben, die von Jesus im Abendmahlssaal von Jerusalem beim Abschied von seinen Jüngern gesprochen wurden, gewissermaßen als providentiell anzusehen: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!“ (Joh 15,9). Der Augenblick seines Abschieds, seiner Rückkehr zum Vater, ist bereits nahe. Jesus weiß das und spricht deshalb offen seinen innigen Wunsch aus: „Bleibt in der Liebe, bleibt in meiner Liebe! “ Der Sohn Gottes ist bereit, seine Liebe für den Menschen mit dem Opfer zu besiegeln, indem er sein Leben für die Menschheit darbringt. „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13). Das Kreuzesopfer, die Hingabe des eigenen Lebens, entspricht auch voll der Liebe, mit der derselbe Vater von Ewigkeit an liebt. Aus dieser Liebe, die im Sohn Mensch geworden und vom Opfer am Kreuz und der Ausgießung des Heiligen Geistes voll bestätigt worden ist, wird die Kirche geboren. 2. Liebe Brüder und Schwestern! Die Worte Jesu sprechen zu uns von der Kirche, das heißt von dem aus der barmherzigen Liebe des Vaters geborenen Erbgut des Herrn, einer Liebe, die er für immer in seinem geliebten Sohn kundgetan hat. Es sind Worte, die uns das Geheimnis dieser Wirklichkeit der Liebe enthüllen, deren Frucht die Kirche ist und die sie überall, zu jeder Zeit und in jeder Nation weitergeben will. Ja, bleibt in meiner Liebe! Wenn Jesus so zu uns spricht, sagt er uns, daß er uns ganz nahe bei sich haben will. Er will, daß wir aus Liebe dem Willen des Vaters gehorchen, d. h. der göttlichen Berufung, die dem christlichen Leben wahren Sinn gibt. Darum geht uns Jesus nach, und sagt zu jedem einzelnen: „Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben“ (Joh 15,10). Unsere Liebe zu Gott und zum Nächsten aus Liebe zu Gott offenbart sich im täglichen Aus- 472 REISEN harren in der schwierigen Aufgabe, unser Verhalten den von der Kirche mit Autorität gelehrten und ausgelegten Geboten des Herrn anzupassen. Nur so werden wir in Tat und Wahrheit lieben (vgl. 1 Joh 3,18). Heute beten wir für die heilige Kirche; es ist der Wunsch und Wille eurer Bischöfe, daß dieses letzte eucharistische Opfer, das ich auf chilenischem Boden feiere, für die Bedürfnisse der Kirche und ihrer Sendung dargebracht werde. Christen von Chile, hört nicht auf, mit all euren Kräften die Kirche zu lieben, deren Kinder ihr durch die Taufe seid. Ihr wißt, daß die Kirche nicht einfach eine menschliche Einrichtung ist, sondern daß sie der Leib Christi, die Braut des Herrn ist — auch wenn in ihr Sünder nicht fehlen —, die wir als Söhne und Töchter im Glaubensbekenntnis als Eine, Heilige, Katholische und Apostolische bekennen. Von da wird in euch auch eine tiefe Anhänglichkeit zu den Hirten der Kirche entstehen, die Mittler und Diener der Wahrheit und des Heilswirkens Christi an den Gläubigen sind. Erwidert ihren selbstlosen Dienst mit eurer kindlichen Verbundenheit, die in Gebet für sie, in Aufmerksamkeit gegenüber ihrer Unterweisung im Evangelium, ihren Geboten und väterlichen Ermahnungen und in unermüdliche Zusammenarbeit umgesetzt wird, damit sie die — mit so großer Verantwortung verbundene — apostolische und pastorale Sendung, die der Herr auf ihre Schultern gelegt hat, besser erfüllen können. 3. Prüft nun euer Leben, um herauszufinden, inwieweit ihr euch bis jetzt so verhalten habt, wie es dieser aus eurer Taufe erwachsenen Würde entspricht. Durch dieses Sakrament der christlichen Initiation seid ihr Christus eingepflanzt worden, um in Gnade und Freundschaft mit Gott zu leben. Um dieses göttliche Leben, an dem ihr teilhabt, zu bewahren und zu vermehren, bemüht euch um ständige Bekehrung des Geistes und des Herzens durch entschiedene Bekämpfung der Sünde, die das Leben der Seele zerstört. Und wenn ihr euch eurer Sünden bewußt werdet, wendet euch vertrauensvoll an Gott, i unseren Vater, mit der Reue, die aus der Liebe zu dem geboren wird, der die höchste Güte ist. Er wird euch seine barmherzige Vergebung gewähren, durch den Dienst der Kirche, bei der Feier des Bußsakraments. Durch die Eucharistie Glieder des Leibes Christi werden So werdet ihr „in einem neuen Leben“ (vgl. Röm 6,4), wenn ihr in der Eucharistie Christus selbst empfangt, auf erhabene Weise an jenem Geheimnis der göttlichen Liebe teilhaben, das im Abendmahlssaal enthüllt und auf Golgota vollbracht worden ist. Genährt mit dem Brot des ewigen Lebens, werdet ihr 473 REISEN die Forderungen des Gesetzes der Liebe, das Christus selbst uns gelehrt hat, leben können und werdet lebendige Glieder der Kirche sein. 4. Mit den Worten der ersten Lesung, die j ene tiefe Liebe im hl. Paulus offenkundig machen, möchte auch ich euch sagen: „Gott ist mein Zeuge, wie ich mich nach euch allen sehne mit der herzlichen Liebe, die Christus Jesus zu euch hat“ (FM 1,8). Liebe Chilenen aus dem Großen Norden, der Wüste und der Pampa, aus den Kupfer- und Salpetergebieten von Antofagasta wende ich mich nun besonders an euch, um euch die Liebe zum Ausdruck zu bringen, die ich für euch alle empfinde, die ihr durch Gottes Vorsehung in diesem Teil des Landes wohnt. Die Menschen mögen den Ruf Christi annehmen Voll Freude darüber, daß ich in den Großen Norden Chiles kommen konnte, möchte ich meine tiefe Anerkennung für alle in der Gesellschaft des Nordens verkörperten Werte zum Ausdruck bringen: ihren Fleiß, ihre menschlichen Tugenden, ihre Treue zum Land inmitten einer rauhen und widrigen Natur. Mein besonders herzlicher Gruß geht von hier zu den Arbeitern, Technikern, Direktoren der Kupfermine von Chuguicamata und ihren Familien sowie zu allen, die in den verschiedenen Bereichen des chilenischen Bergbaus arbeiten. Mit eurer aufopferungsvollen und nicht gefahrlosen Arbeit tragt ihr erheblich zum wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt eurer Heimat bei, der einen beachtlichen Teil des Gemeinwohls der Nation ausmacht. Ich fühle mich euch sehr verbunden, Christen des Nordens, in der großen Herausforderung, daß mit Gottes Gnade die Existenz jedes einzelnen, jeder Familie und der ganzen Gemeinschaft jeden Tag mehr die Schätze des Friedens und Glücks entdeckt, die in der Person Christi und seiner Heilsbotschaft enthalten sind. Um diese große Aufgabe zu erfüllen, benötigt man in diesem Land mehr Priester, treue Diener Jesu Christi, die eure Gemeinden als gute Hirten führen. Jugend des Nordens: Wenn der Herr euch ruft, ihm im Priesteramt oder im Ordensleben zu dienen, nehmt seinen Ruf großherzig an! Der Herr braucht euch! Und denkt daran, daß dort, wo es einen Christen oder eine Christin gibt — selbst wenn er oder sie in diesen unbewohnten Weiten abgeschieden, isoliert lebt —, Christus und seine Kirche gegenwärtig sind und deshalb dort der „Wohlgeruch Christi“ wahrzunehmen ist, wie uns der hl. Paulus sagt (vgl. 2 Kor 2,15). 474 REISEN Aufgerufen zur Wiederbelebung der christlichen Wurzeln 5. Liebe Brüder und Schwestern! Heute, zum Abschluß meines päpstlichen Dienstes in eurem gastlichen Land, möchte ich Gott dafür danken, daß ihr euch gemeinsam für das Evangelium einsetzt (vgl. Phil 1,3-5). Jeder der unvergeßlichen Augenblicke dieser Pastoraireise durch euer Land hat mich mit Freude und Dankbarkeit erfüllt, weil ich den lebendigen Glauben der Söhne dieses Landes erlebt habe; weil ich eure echte Sehnsucht nach Treue zu Jesus Christus und seiner Kirche festgestellt habe. Während wir für diese nahezu fünfhundert Jahre Geschichte der Kirche in Chile und für die ganze christliche Tradition, die die kulturellen Wurzeln dieser Nation durchtränkt, danken, blicken wir auch mit der Hoffnung der Kinder Gottes in die Zukunft, indem wir an diesem Altar unsere Vorsätze darbringen, bei der Evangelisierung und Heiligung Chiles und der Welt mit dem Herrn zusammenzuarbeiten. Vor unserem Blick öffnet sich der Horizont der Neuevangelisierung Chiles, zu der mein Pastoralbesuch beitragen will: mit meinem Gebet, mit meiner Botschaft, mit meiner Ermutigung und der Unterstützung der Gesamtkirche. 6. An die Kirche Gottes in Chile richte ich heute auch jene Worte der Hoffnung, die ich zu Beginn der neunjährigen Vorbereitung auf das 500-Jahr-Jubi-läum der Evangelisierung Amerikas gesprochen habe: „Hoffnung einer Kirche, die, fest verbunden mit ihren Bischöfen — ihren Priestern, Ordensmännern und Ordensfrauen an der Spitze —, sich intensiv auf ihre Sendung der Evangelisierung konzentriert und ihre Gläubigen zum Lebensbrunn des Wortes Christi und den Gnadenquellen der Sakramente führt“ (Ansprache an die Bischöfe des Lateinamerikanischen Bischofsrates Santo Domingo am 12. Oktober 1984, Nr. III, 3, in: DAS, 1984, S. 830). Hoffnung einer Kirche, die dadurch, daß sie sich auch auf die menschliche und christliche Förderung des Menschen einläßt und sich mit Vorrang und Liebe für die Armen engagiert, die wahre Befreiung verkündet, die Christus mit seinem Tod und seiner Auferstehung gewirkt hat: an erster Stelle Befreiung von der Sünde und vom ewigen Tod und von allem, was uns von Gott und unseren Brüdern trennt. Diese Freiheit gibt der gesamten Realität einen christlichen Sinn von Glaube und Liebe und ist zugleich eine Vorwegnahme der unvergänglichen Freuden des Himmelreiches. Ich bitte den Herrn und seine allerseligste Mutter inständig, daß Priester-und Ordensbemfe in den chilenischen Familien zunehmen mögen, damit nicht die guten Hirten fehlen, die in der Lehre und im geistlichen Leben zuverlässig ausgebildet sind, und daß sie an alle die reine und wahre evangeli- 475 REISEN sehe Botschaft getreu weitergeben sowie jenen Antrieb zur Heiligung und jenes apostolische Streben, das den Ursprüngen der Evangelisierung Chiles entspringt; ich bete um Ordensmänner und Ordensfrauen, die in ihrem Gott und den Brüdern geweihten Leben ein echtes Zeugnis von den Werten des Reiches geben, in Erwartung der Wiederkunft des Herrn. Betet auch ihr darum, daß eine überaus große Arbeit der Glaubenskatechesc der katholischen Lehre getreu durchgeführt wird, die die Heilsbotschaft, welche die ersten Glaubensverkünder gebracht haben, lebendig und wirksam erhalten soll. 7. In dieser Messe für die Heilige Kirche sind mir in besonderer Weise die chilenischen Laien gegenwärtig, jene unermeßliche Mehrheit der Söhne und Töchter der Kirche in Chile, Liebe Laien! Die Zukunft des Wirkens des Evangeliums in eurer Heimat geht auch über euch. Niemand kann sich ausgeschlossen fühlen von den göttlichen Plänen der rettenden Liebe, der Botschaft, die die Brüderlichkeit verkündet, weil wir alle Kinder desselben himmlischen Vaters sind. Wenn ihr auf Christus blickt, der euch auffordert und mit euch rechnet, um seinem Erlösungswerk in der Welt Wahrheit und Leben zu verleihen, könnt ihr nicht passiv oder gleichgültig bleiben. Denkt immer daran, daß auch an euch die Worte des Herrn gerichtet sind: „Ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, daß ihr euch aufmacht und Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt“ (Joh 15,16). Eure Berufung hat einen unverzichtbaren Sinn und apostolischen Inhalt, der nicht von der Suche nach Heiligkeit zu trennen ist. Aus Liebe zu Gott und zum Nächsten müßt ihr in der Kirche und in der Welt die für euch bestimmte Rolle in der Erlösungssendung Christi übernehmen. Als christlich motivierte Bürger die Gesellschaft verändern Während meines Besuches: in. Chile habe ich mich auf die verschiedenen Bereiche und Seiten eures Auftrags bei der christlichen Prägung der zeitlich-irdischen Wirklichkeit bezogen: die Familie, die Arbeit, die Kultur, die Erziehung, die Kommunikationsmittel, die Politik, die Wirtschaft, die Regionalentwicklung und die übrigen Bereiche des öffentlichen und sozialen Lebens. Bemüht euch in enger Gemeinschaft mit euren Bischöfen und mit dem Lehramt der Kirche, christliche Lösungen für die Probleme zu suchen, die euch Sorge bereiten. Erfüllt diese Aufgabe mit Verantwortung und Freiheit, im Einklang mit der Lehre, die das Zweite Vatikanische Konzil im Hinblick auf den legitimen Pluralismus unter den Laienchristen in ihrem apostolischen Wirken in Erinnerung gerufen hat: „Wenn die beiderseitigen Lösungen, auch gegen den Willen der Parteien, von vielen andern sehr leicht als eindeutige Folgerung aus der Botschaft des Evan- 476 REISEN geliums betrachtet werden, so müßte doch klar bleiben, daß in solchen Fällen niemand das Recht hat, die Autorität der Kirche ausschließlich für sich und seine eigene Meinung in Anspruch zu nehmen. Immer aber sollen sie in einem offenen Dialog sich gegenseitig zur Klärung der Frage zu helfen suchen; dabei sollen sie die gegenseitige Liebe bewahren und vor allem auf das Gemeinwohl bedacht sein“ (Gaudium et spes, Nr. 43). Damit eine tiefgehendere Christianisierung der zeitlichen Wirklichkeit und der Sozialordnung möglich ist, müssen die Laien — Männer und Frauen — aktiv am Leben der Kirche teilnehmen: die einen werden sich an den verschiedenen Formen des Gemeinschaftsapostolats beteiligen; andere werden ihre direkten Mitarbeiter den Bischöfen in den vielen Diensten der Kirche und der Hilfsorganisationen anbieten; viele werden ihre Arbeit innerhalb der Familie, unter ihren Kollegen und Freunden leisten. So werdet ihr als Sauerteig in der Masse Chile von innen her verwandeln und den Auftrag erfüllen, den Gott euch in der Welt als Anforderung eurer christlichen Berufung anvertraut hat. Gebe Gott, daß die Bischofssynode, die im kommenden Oktober in Rom stattfinden wird, einen Wiederbelebungsimpuls für die Berufung und Sendung der Laien in der Kirche und in der Welt darstellt. 8. Liebe Chilenen und Chileninnen, mit Worten des hl. Apostels Paulus bekunde ich mein Vertrauen, „daß er, der bei euch das gute Werk begonnen hat, es auch vollenden wird bis zum Tag Christi Jesu“ (Phil 1,6). Gewiß hat dieser Besuch des Nachfolgers Petri während dieser sechs Tage der liturgischen Fastenzeit, die ich mit der in Chile pilgernden Kirche Gottes verbracht habe, mir geholfen, euch alle noch mehr im Herzen zu tragen. Es waren Tage, die gelebt wurden in dem Glauben und in der Liebe, die uns verbindet. Ich danke euch wirklich für die Zuneigung und Anhänglichkeit, die ihr mir während dieser unvergeßlichen Reise bewiesen habt, auf der ich eure sprichwörtliche Gastfreundschaft erfahren konnte. Trotz der Entfernung, die uns trennt, seid gewiß, daß ich euch von Rom immer in meiner Liebe und in meinen Gebeten gegenwärtig haben werde. Seien wir stets eng verbunden im Herzen Christi und im Herzen Mariens! <27> <27> „Friede wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit! Wegen meiner Brüder und Freunde will ich sagen: In dir sei Friede!“ (Ps 122,7-8). Liebe Chilenen: ich kenne eure aufrichtige Sehnsucht nach Frieden, nach Gerechtigkeit und allem Guten. Ich weiß, daß im Innersten jedes Mannes und jeder Frau dieses Landes ein tiefes Verlangen danach pocht, in der Liebe zu 477 REISEN wachsen, gegen Haß und Spaltungen, gegen Egoismus und zügellose Besitzgier anzukämpfen. Möge der Friede Christi in euren Herzen triumphieren! Sein Erlösungsopfer, das uns mit dem Vater versöhnte, versöhne die große chilenische Familie, indem es die trennenden Schranken überwindet, die Brüche verheilen läßt, die Feindseligkeit und Zwietracht durch die Kraft des christlichen Geistes besiegt, der imstande ist, um Verzeihung zu bitten, wenn er sich bewußt ist, den Nächsten schwer verletzt zu haben. 10. Beten wir für alle Bewohner dieses noblen und leidenden Landes; für die Bewohner des Nordens und des Südens, aus Stadt und Land, von der Küste und vom Gebirge. Bitten wir Gott, daß die Kirche, von der Liebe Christi bewegt, stets Zeugnis gebe vom Dienst an der Gerechtigkeit, am Frieden, an der Wiederversöhnung der Brüder, daß sie alle zum himmlischen Jerusalem führe, die der Vater geliebt und in Christus erwählt hat, damit sie „Frucht bringen“ können und damit „eure Frucht bleibt“ (vgl. Joh 15,16). „Voll zärtlichen Vertrauens, wie Kinder, die sich an das Herz ihrer Mutter wenden“, vertraut in die allerseligste Jungfrau vom Karmel, die Königin und Patronin Chiles. Sie wird euer Stern und euer Orientierungspunkt sein; Schutz und sicherer Rat; erhabenes Vorbild, an dem ihr lernen werdet, Christus, den Erlöser des Menschen, nachzuahmen. Bleibt in seiner Liebe. Amen. 478 REISEN Ein Besuch des Dankes flir die Gabe des Friedens Ansprache bei der Ankunft in Buenos Aires (Argentinien) am 6. April Herr Präsident der Republik, meine Herren Regierungsmitglieder, geliebte Brüder im Bischofsamt, meine lieben Argentinier! 1. Ich empfinde eine tiefe Freude und eine große Ergriffenheit, da ich zum zweiten Mal in meinem Pontifikat diesen gesegneten Boden Argentiniens betrete. Zum ersten Mal kam ich im Juni 1982 als Botschafter des Friedens Christi hierher, zu einem für eure Nation besonders schwierigen Zeitpunkt. Jetzt komme ich wieder zu einem Pastoralbesuch, um die Mission fortzusetzen, die der Herr mir anvertraut hat: das Evangelium zu verkünden und Lehrer des Glaubens zu sein sowie gleichzeitig als Nachfolger Petri die Aufgabe zu erfüllen, meine Brüder im Glauben zu stärken. Ich bitte Jesus Christus, daß während der Tage, in denen ich die Freude habe, mit euch zu leben, der Same des Evangeliums tiefer die ganze edle und fruchtbare argentinische Erde durchdringe. Diese Reise zum südlichen Teil des amerikanischen Kontinents ist außerdem ein besonderer Dank an den Herrn für die Gabe des Friedens zwischen zwei Brüdervölkern auf der einen und der anderen Seite der Anden. Während dieser Jahre habe ich die ganze Angelegenheit verfolgt, die nun mit der Lösung der Meinungsverschiedenheiten über das Gebiet zwischen Argentinien und Chile glücklich beendet ist. Ich betrachte es jetzt als Anlaß zu großer Freude, vereint im Herrn den wiederverbürgten Frieden feiern zu können als sprechendes Zeugnis für die tiefen christlichen Wurzeln, die diese geliebten Nationen zu Brüdern machen. Möge Christus, der Friedensfürst, ganz Amerika immer erleuchten und beschützen und es auf Wege der Solidarität und des wahrhaften Friedens führen! Verbundenheit auch mit den Menschen in den entlegensten Gebieten 2. Ich danke euch herzlich für den begeisterten und herzlichen Empfang. Ich habe sehr gern die beharrlichen und liebenswürdigen Einladungen nach Argentinien angenommen, die sowohl der Präsident der Republik als auch der Episkopat an mich gerichtet haben. Ich sage Ihnen Dank, Herr Präsident, und begrüße Sie in aller Ehrerbietung und Anerkennung für Ihre aussagestarken Grußworte. Mein Gruß gilt auch allen Repräsentanten ziviler und militärischer Behörden, die hier vertreten sind. Ebenfalls richte ich meinen herzlichsten und bürderlichen Gruß an die 479 REISEN Herren Kardinäle und an alle anderen Brüder im Bischofsamt, die gekommen sind, um mich im Namen dieser geliebten Kirche in Argentinien zu empfangen. Meine herzlichen Grüße gelten auch den Priestern, Ordensleuten und allen Gläubigen dieses edlen und geliebten Landes. Ich werde Gelegenheit haben, mich mit euch auf meiner Evangelisierungsreise zu treffen, die mich, beginnend in der Hauptstadt, nach Bahia Bianca, Viedma, Mendoza, Cordoba, Tu-cümän, Salta, Corrientes, Parana und Rosario führen wird. Ich hätte diesen Orten noch andere hinzufügen wollen, in die ich auch eingeladen war, um eingehender so viele und so verschiedene Gegenden zu besuchen, in denen die Argentinier leben und arbeiten: die Berge und Täler im Nord westen, die Ebene des Gran Chaco und die Küstenebene, das Waldbergland von Misiones, die Unermeßlichkeit der Pampa, die Hochebene Patagoniens, bis hin nach Feuerland, das jetzt Land des Friedens ist. Ich würde gern persönlich alle Argentinier begrüßen und sie in den verschiedenen Akzenten der einzelnen Gegenden reden hören. Da die notwendigerweise begrenzte Zeit es mir nicht erlaubt, sollen die Argentinier, die von der Bergschlucht des Humuahuaca bis Ushuaia, vom Aconcagua bis zu den Wasserfallen des Igua-zü wohnen, wissen, daß ich alle sehr tief in meinem Herzen trage. Für alle bitte ich in meinen Gebeten, und wo auch immer ich mich befinden werde, sind meine Botschaft und mein Wort an alle gerichtet. Sie wollen Licht für das Gewissen sein und ermutigen, den Weg der Hoffnung zu gehen. Ich denke in besonderer Weise an die argentinische Jugend und an die jungen Leute, die aus anderen Ländern kommen werden, um zusammen mit mir den Palmsonntag, den Welttag der Jugend, im Zeichen der Liebe und der Brüderlichkeit zu feiern. 3. Bei diesem Pastoralbesuch komme ich, um euch die Botschaft des Evangeliums zu verkünden, dieselbe Botschaft, die vor fast 500 Jahren die ersten Missionare, die aus Spanien kamen, in diesen Ländern verkündeten; dieselbe, die im Lauf dieser fünf Jahrhunderte so viele Boten des Evangeliums, die später kamen, weiter verbreitet haben; die Botschaft, über die ihr intensiv während dieser Monate vor meiner Ankunft in einer vorbereitenden Mission nachgedacht habt; sie fand statt gemäß den Orientierungen für die neue und programmierte Phase der Evangelisierung, zu der sich jetzt ganz Lateinamerika anschickt. Ich habe gesehen, daß ihr als Zeichen für diese Neuevangelisierung das Kreuz genommen habt, das in der ersten Diözese von Lateinamerika im Jahre 1511 aufgerichtet wurde. Es ist eine beredtsame Geste, die, wenn wir uns an das Wort des Apostels Paulus erinnern, uns einlädt, uns nur in Christus zu rühmen, „und zwar als den Gekreuzigten“ (1 Kor 2,2). 480 REISEN Heute, da wir uns schon beinahe an der Schwelle des dritten Jahrtausends des christlichen Zeitalters befinden und Argentinien eine neue Periode seiner Geschichte beginnt, kommt der Nachfolger Petri euch im Namen Christi besuchen. Ihm vertraut er seine apostolische Pilgerreise in dieser geliebten Nation an. Ich bitte den Allerhöchsten, daß die Tage, die wir im Glauben und in der Liebe vereint erleben werden, reichliche Früchte christlicher Erneuerung, des Friedens, der Solidarität und der Eintracht hervorbringen. Ich lade euch also ein, mit mir zu beten, daß ihr alle mit Entschlossenheit und ohne Furcht versteht, die großen Herausforderungen der jetzigen Stunde anzunehmen und auf dem Weg des wirklichen umfassenden Fortschritts eurer Heimat voranzugehen. In besonderer Weise bitte ich die Kranken, die Armen und alle, die leiden, Gott in den pastoralen Anliegen meiner Reise zu bitten. Als bevorzugte Kinder Gottes seid ihr immer in meiner Zuneigung und in meinem Herzen gegenwärtig. 4. Da ich nun in Argentinien bin, erhebe ich im Geist meinen Blick zu Unserer Lieben Frau von Lujän, der Patronin aller Argentinier. Ihr möchte ich euer gegenwärtiges Leben und die Zukunft der Kinder dieser Nation weihen. Unter ihrem mütterlichen Schutz und im Namen der Heiligsten Dreifaltigkeit beginne ich den Besuch des Dankes an den Fürsten des Friedens in diesem gesegneten Land Argentinien, daß Gott dich segnen möge! Zeugnis geben für das christliche Dasein Gruß an den Klerus und das Gottesvolk in der Kathedrale von Buenos Aires (Argentinien) am 6. April 1. In meinem ersten Gruß an die Kirche Argentiniens möchte ich denselben Wunsch zum Ausdruck bringen, mit dem Jesus Christus seinen Jüngern beim letzten Abendmahl Mut zusprach: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch .:(.Joh 14,27). So hat er sich ihnen auch am Tag seines Sieges über den Tod vorgestellt: „... Friede sei mit euch!“ {Joh 20,19). Vor dem Volk Gottes, in der Person der Repräsentanten dieser Erzdiözese und der ganzen Kirchenprovinz ebenso wie verschiedener Autoritäten erneuere ich mit Zuneigung und Freude die Grüße, die ich vor einigen Minuten am Flughafen an das ganze Land gerichtet habe. Euch allen wünsche ich den Frieden! Euren Bischöfen, euren Priestern und Ordensleuten und allen Laien. Der Friede sei mit den geliebten argentinischen Gläubigen! 481 REISEN Ich entbiete euch die herzlichsten Dankesgrüße, weil ihr hierhergekommen seid. Bei meinem Pastoralbesuch in Argentinien wäre es mein; größter Wunsch, bei allen und jedem von euch verweilen zu können, um mit euch zu sprechen und eure Sorgen wie ein Vater, wie ein Freund anzuhören. Seid sicher, daß meine Zuneigung und meine Hirtensorge euch begleiten und daß wir in Christus durch den Glauben innig verbunden sind, wenn ihr in eure Diözesen zurückkehrt, dann nehmt jedem diesen Gruß des Papstes mit und erzählt von meiner Freude über die Begegnungen, die wir mit der Hilfe Gottes in diesen Tagen noch erleben werden. Kirche ist auf den Eckstein Jesus Christus gegründet 2. Wir befinden uns in dieser Kathedrale, die der erste Bischof von Buenos Aires, Bruder Pedro de Carrenza, um 1620 erstmals errichten ließ und die — wie alle christlichen Kirchen — das Haus Gottes ist, Ort des Gebetes und der Begegnung mit Gott. Im Tabernakel ist unser Herr Jesus Christus wahrhaft und wirklich gegenwärtig, verborgen unter den sakramentalen Gestalten, und, wie mein verehrter Vorgänger Papst Paul VI. schrieb, von dort „ordnet er die Sitten, nährt er die Tugenden, tröstet er die Trauernden, stärkt er die Schwachen und spornt alle, die sich ihm nähern, zur Nachahmung an“ {Mysterium fidei, 3. September 1965). Die Kirche will außerdem, daß wir das Gotteshaus als ein Symbol ansehen, das uns zur geistlichen Erbauung der christlichen Familie antreibt. So erinnert uns das Zweite Vatikanische Konzil: „Des öfteren wird die Kirche auch Gottes Bauwerk genannt (1 Kor 3,9). Der Herr selbst hat sich mit dem Stein verglichen, den die Bauleute verworfen haben, der aber zum Eckstein geworden ist (vgl. Mt 21,42; Apg 4,11; 1 Petr 2,7; Ps 117/118,22). Auf diesem Fundament wird die Kirche von den Aposteln errichtet (vgl. 1 Kor 3,11). Von ihm empfangt sie Festigkeit und Zusammenhalt. Dieser Bau trägt verschiedene Benennungen: Haus Gottes (i Tim 3,15), in dem nämlich die Familie Gottes wohnt, Wöhnstatt Gottes im Geiste {Eph 2,19-22)), Zelt Gottes unter den Menschen {Ojfb 21,3), vor allem aber heiliger Tempel ...“ {Lumen gentium, Nr. 6). In diesem Bauwerk sind wir Christen „als lebendige Steine“ aufgebaut „zu einem geistigen Haus ..., zu einer heiligen Priesterschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen“ (7 Petr 2,5). Lebendige Steine der Kirche! Wie großartig ist dieser Ausdruck des heiligen Petrus! „Lebendige Steine, geformt durch den Glauben, gefestigt durch die Hoffnung und geeint durch die Liebe“, wie der hl. Augustinus schrieb (5. Augustinus, Sermo 337,1). Das sollen wir Christen nach dem Willen des Herrn sein: lebendige Steine, unerschütterlich feststehend in Jesus Christus, dem Eckstein der Kirche. Nur in Christus gibt es Erlö- 482 REISEN sung, wie der Apostel Petrus vor dem Synedrium ausrief: „In keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg, 4,12). Unerschütterlicher Selbststand in Glaube, Hoffnung und Liebe Damit jeder von uns ein widerstandsfähiger lebendiger Stein sei, müssen wir uns auf das feste Fundament der Frömmigkeit — das heißt einer aufrichtigen Liebe zu Jesus Christus — und des christlichen Glaubens stützen, der als Lehre des Heils seit den Zeiten der Apostel von Generation zu Generation weitergegeben wurde, der das Volk Gottes in diesen 20 Jahrhunderten getragen hat und es weiter bis zum Ende der Zeiten aufrecht erhalten wird. 3. Auf dem Weg hierher konnte ich die herzliche Liebe und Begeisterung feststellen, die das große argentinische Volk dem Nachfolger des hl. Petrus entgegenbringt. Der Herr hat den Apostelfürsten gesagt: „Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesem Fels werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen“ (Mt 16,18). Von neuem erscheint hier das Fundament, der lebendige Stein. Wenn ihr dem Papst eine solche Zuneigung entgegenbringt, gilt es sicherlich nicht so sehr meiner Person als vielmehr unserem Herrn Jesus Christus, der mich nach seinem göttlichen Plan zum Hirten der Gesamtkirche erwählt hat. Derselbe hl. Petrus hörte folgende Worte vomHerm: „Simon, Simon, der Satan hat verlangt, daß er euch wie Weizen sieben darf. Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder“ (Lk 22,31-32). Von diesem Auftrag Christi angetrieben, komme ich bei diesem Pastoralbesuch als Lehrer des Glaubens nach Argentinien, um eure Treue zur Lehre Jesu zu stärken und damit wir zusammen beten und das Wort Gottes betrachten. Ich erwarte viele Früchte von dieser apostolischen Pilgerreise, Früchte der geistlichen Erneuerung, der Treue zur Kirche und des Dienstes an den Brüdern. Schon jetzt muntere ich euch auf, liebe Gläubige aus ganz Argentinien, in euch den Glauben neu zu beleben, „der in der Liebe wirksam ist“,(Gal 5,6), damit ihr so in allen Situationen eures Lebens Zeugnis gebt für euer christliches Dasein. Ich rechne mit der Unterstützung eurer innigen Gebete, damit sich diese Wünsche erfüllen. 4. So bitte ich jetzt Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist und denke daran, daß diese historische Kathedrale der Heiligsten Dreifaltigkeit geweiht ist und daß Juan de Garay und seine Gefährten, als sie am Dreifaltig- 483 REISEN keitssonntag, dem 11. Juni 1580, in dieser Stadt ankamen, beschlossen, die Stadt nach der Dreifaltigkeit zu nennen. Die heilige Jungfrau, angerufen als hl. Maria von Buenos Aires und U. Lb. Frau von Lujän, lenke unsere Schritte während dieser apostolischen Pilgerreise im Land Argentinien. Amen. Vorrang der ethischen Dimension in der Politik Ansprache an die politische Führungsschicht in Buenos Aires (Argentinien) am 6. April Exzellenz, Flerr Präsident, Vertreter der Behörden der Bundesrepublik Argentinien, Exzellenzen, meine Damen und Herren! 1. Ich bin sehr erfreut, am Beginn meines zweiten Pastoralbesuches bei der geliebten argentinischen Nation diese bedeutungsvolle Begegnung in der Cosa Rosada (Amtssitz des argentinischen Staatspräsidenten; Anm. d. Red.) zu haben. Ich grüße mit Respekt und Hochachtung Seine Exzellenz, den Herrn Präsidenten der Republik, dem ich für seine Willkommensworte danke, die Mitglieder des Obersten Gerichtshofes, die Herren Minister und Staatssekretäre, die Mitglieder des Kongresses, die Vertreter der politischen Parteien und die anderen hier anwesenden Personen, die im Dienst ihrer Mitbürger arbeiten. Ich möchte auch noch einmal meinen Dank an die Regierung aussprechen für die liebenswürdige Einladung, wieder nach Argentinien zu kommen, wie auch für ihre sorgfältige und pünktliche Mitarbeit in allen Phasen der Vorbereitung und des Ablaufs dieser Reise. Meine Anerkennung dehnt sich aus auf die ganze Nation, die noch einmal den Papst mit ihrer schon traditionellen und wohlbekannten Gastfreundschaft aufgenommen hat. 2. Dieser Besuch gehört wie der vor fünf Jahren und wie alle meine apostolischen Pilgerreisen, zu meinem apostolischen Dienst, das heißt zu der Pflicht, die Christus selbst dem Petrus und dessen Nachfolgern in allen Jahrhunderten auferlegt hat: die Brüder im Glauben zu stärken (vgl. Lk 22,32). Zu dieser ständig gültigen pastoralen Motivation tritt bei dieser Reise ein Umstand von nicht geringer Bedeutung: Ich komme diesmal in Friedenszeiten mit dem Wunsch, den glücklichen Abschluß der Päpstlichen Vermittlung zwischen den Brudervölkern Argentinien ünd Chile in ihrem Streit um die südli- 484 REISEN chen Gebiete zu feiern. Beide Länder haben vor der Welt bewiesen, daß es auf der Grundlage der gemeinsamen historischen, kulturellen und christlichen Wurzeln und dank des Willens der Regierenden und der Institutionen zur Eintracht, möglich ist, einen ehrenvollen, dauerhaften und gerechten Frieden aufzubauen. Meine Anwesenheit heute im südlichen Teil des amerikanischen Kontinents hat auch den Zweck, die Bande der Brüderlichkeit unter den Völkern der großen lateinamerikanischen Familie weiter zu festigen. „Politik ist eine schwierige und ehrenvolle Kunst“ 3. Vor den Männern und Frauen, die die Geschicke des Landes leiten und sich voll der politischen, richterlichen und administrativen Tätigkeit widmen, möchte ich heute bezeugen, daß die Kirche diese wichtige Aufgabe hoch einschätzt. Das II. Vatikanische Konzil bestätigt, daß die Politik eine „schwierige und zugleich ehrenvolle“ Knnstist (Gaudium etspes, Nr. 75). Diese Würde der politischen Betätigung wird aus ihr selbst deutlich; man braucht nur die ihr innewohnenden Zielsetzungen zu betrachten, nämlich den Dienst am Menschen und an der Gemeinschaft und die unablässige Förderung ihrer Rechte und ihrer berechtigten Erwartungen. Daraus folgt der Vorrang der sittlichen Werte und der ethischen Dimension, der in ihr trotz der Zufälligkeiten menschlichen Handelns oder entgegengesetzter Interessen gewahrt bleiben muß. Die politische Macht ist das natürliche und notwendige Band, das den Zusammenhalt des Gesellschaftsgefüges sichert. Ihr Hauptziel muß die Verwirklichung des Gemeinwohls sein. Es ist richtig, daß nicht alle Bereiche des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens dem direkten Zugriff der Politik unterliegen. Es ist aber nicht weniger wahr, daß es bei aller notwendigen Achtung vor den berechtigten Freiheiten des einzelnen, der Familien und der subsidiären Gruppierungen eine unumgängliche Pflicht dieser speziellen Tätigkeit ist, zum Nutzen aller die sozialen Voraussetzungen zu schaffen und leistungsfähig zu machen, die das echte und umfassende Wohl der Person als einzelner oder in Zusammenschlüssen fördern. Zugleich muß alles beseitigt werden, was die Entfaltung der wahren Dimension des Menschen oder die Ausübung seiner legitimen Rechte verhindert oder behindert (vgl. Mater et magistra, Nr. 65). Gesellschaftliche Harmonie erfordert soziales Gewissen Innerhalb dieses weit gespannten Rahmens der Voraussetzungen, der das Gemeinwohl der bürgerlichen Gesellschaft umreißt, ist es eine der Aufgaben des Staates, dem öffentlichen Moralbewußtsein besondere Aufmerksamkeit zu 485 REISEN widmen. Dies kann durch gesetzgeberische, administrative oder gerichtliche Verfügungen geschehen, die in der Gesellschaft ein Milieu des Respekts vor den ethischen Normen schaffen. Denn ohne diese ist ein menschenwürdiges Zusammenleben unmöglich. Das ist eine besonders vordringliche Aufgabe in der Gesellschaft von heute, zumal diese offensichtlich in ihrem Kern von einer schweren Krise der Werte befallen ist, die sich auf weiten Gebieten des persönlichen Lebens und der Gesellschaft selbst negativ auswirkt. Die nächstlie-gende Forderung der moralischen Werte, die ihrerseits die Ausübung der öffentlichen Gewalt bestimmen müssen, ist eine energische Option für die Wahrheit und die Gerechtigkeit in der Freiheit. Diese Option muß im Instrumentarium der Institutionen und Gesetze, die das bürgerliche Leben ordnen, sichtbar werden. Eine unauslöschliche Pflicht der öffentlichen Obrigkeit wird daher immer der Schutz und die Förderung der Menschenrechte sein, auch in extremen Konfliktsituationen, wobei der häufigen Versuchung widerstanden werden muß, auf Gewalt mit Gewalt zu antworten. Andererseits ist die kontinuierliche Förderung des öffentlichen Moralbewußtseins untrennbar verbunden mit den übrigen Funktionen des Staates. Wir wissen in der Tat sehr gut, daß ein fortschreitender Verfall der öffentlichen Moral mehr oder weniger verdeckte Gefahren für die Rechte und Freiheiten des Menschen bis hin zur Sicherheit der Bürger schafft. Außerdem unterdrückt er wichtige Werte der Bildung und der allgemeinen Kultur und schwächt letztlich die Ideale, die dem Leben der Nation Zusammenhang und Sinn ergeben. Die volle Wiederherstellung der demokratischen Institutionen stellt einen bevorzugten Augenblick dar, denn die Argentinier werden sich jetzt um so mehr bewußt sein, daß sie alle aufgerufen sind, verantwortlich am öffentlichen Leben teilzunehmen, jeder einzelne an seinem Platz. Durch die Ausübung ihrer Rechte und die Erfüllung ihrer Bürgerpflichten werden sie entscheidend zum Gemeinwohl des Landes beitragen. Möge auf diese Weise ein erneuerter Sinn für die Brüderlichkeit in der Gesellschaft erstehen, wie er lebendigen Mitgliedern dieser großen Gemeinschaft zukommt, die das argentinische Vaterland ist. 4. Die Kirche anerkennt, respektiert und ermutigt die legitime Autonomie der irdischen Realitäten, insbesondere der Politik. Ihr eigener Auftrag hebt sie auf eine andere Ebene: sie ist „Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person“ {Gaudium et spes, Nr. 76). 486 REISEN Der Mensch darf nicht zum Torso verstümmelt werden Trotzdem ist die christliche Botschaft Trägerin einer guten Nachricht für alle, auch für die Welt der Politik, der Wirtschaft und der Justiz. Wenn die Autorität der Kirche im Rahmen ihrer Sendung die christliche Lehre verkündet oder Urteile moralischen Charakters über die Realitäten der politischen Ordnung fallt und wenn sie der Förderung der Würde und der unveräußerlichen Rechte des Menschen Impulse gibt, dann sucht sie vor allem das ganzheitliche Wohl der politischen Gemeinschaft und damit letztlich das ganzheitliche Wohl der Person. Gleichzeitig erkennt die Kirche an, daß das weite Gebiet der politischen Fragen den katholischen Laien als etwas Eigenes zusteht; sie haben unter den verschiedenen möglichen Lösungen diejenigen zu suchen, die mit den Werten des Evangeliums vereinbar sind. In Einheit mit allen Menschen, die das Wohl der Gemeinschaft fördern wollen, tragen sie die große Verantwortung, wahrhaft menschliche Lösungsantworten auf die Herausforderungen der neuen Zeit und des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu suchen und zu verwirklichen. Die Kirche nimmt Anteil an den besten Erwartungen der Menschen und schlägt ihnen das vor, was sie an eigenem besitzt: „eine umfassende Sicht des Menschen und der Menschheit“ (Populorum progressio, Nr. 13). Sowohl der Staat als auch die Kirche stehen — auf dem je eigenen Gebiet und mit den je eigenen Mitteln — im Dienst der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung des Menschen. So eröffnet sich ihnen ein weiter Raum für den Dialog und für verschiedenartige Formen der Zusammenarbeit, jedoch immer im Respekt vor der Identität und den Funktionen jeder der beiden Institutionen. Die lange Geschichte eures Vaterlandes, durch vielfältige Bande mit dem empfangenen christlichen Erbe verbunden, zeigt dies mit übergroßer Deutlichkeit auf. In ihrem Verlauf wurden die günstigen Voraussetzungen geschaffen, die die Zusammenarbeit zwischen der Kirche und der politischen Gemeinschaft besonders fruchtbar machen. Ich hoffe, daß sich in der Zukunft diese Hilfe, dieses Verständnis und dieser Respekt voneinander noch verstärken und sich in angemessenen Formen der Zusammenarbeit darstellen; dies wird sich auch zum Vorteil der politischen Aktivitäten auswirken und die integrierende Kraft der — stets auf ein transzendentes Ziel gerichteten — Tätigkeit der Kirche sichtbar machen, die — nach einer glücklichen Formulierung meines Vorgängers, Papst Paul VI., — „Expertin in Menschlichkeit“ ist. Die unermüdliche Verfolgung dieser Ziele wird fruchtbar werden in reichem Wohl für alle Kinder dieser Erde. Dank der Öffnung für die übrige: Welt, die Sie auszeichnet, wird sie — über einen bemerkenswerten Einfluß hinaus — ein wertvolles Zeugnis für den edelmütigen Plan darstellen, eine auf der 487 REISEN Wahrheit und der Gerechtigkeit, der Liebe und der Freiheit begründete Zivilisation aufzubauen. Die Kirche in Christus will Anwalt wahrer Humanität sein 5. In diesen Augenblicken von besonderer Bedeutung für die Zukunft des Landes haben Sie ausreichend Motive, die Sie mit Hoffnung in die Zukunft blicken lassen: Sie haben die Macht einer jungen Nation in Händen, die viele und reichhaltige historische Erfahrungen gesammelt hat. Ich empfehle dem allmächtigen Gott und der mütterlichen Fürsprache Unserer Lieben Frau von Lujan diesen neuen Abschnitt eures nationalen Lebens an, damit Argentinien der Fünfhundertjahrfeier des Beginns der Evangelisierung Amerikas und dem dritten Jahrtausend der christlichen Zeitrechnung mit erneuerter Reife und Weisheit, mit wachsendem Optimismus und Schwung entgegengeht. Ich bin sicher, daß auf diese Weise diese Nation, die einen angesehenen Platz im Konzert der internationalen Gemeinschaft einnimmt, auch weiterhin viele Früchte menschlichen und christlichen Zusammenlebens hier und in der ganzen Welt geben wird. Der Segen des Allerhöchsten möge herabkommen auf Sie, auf Ihre Familien, auf Ihre herausragende Arbeit und auf alle Argentinier und Argentinierinnen, denen Sie dienen wollen. Jeder Staat muß einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten Ansprache an das Diplomatische Korps in Buenos Aires (Argentinien) am 6. April Exzellenzen, meine Damen und Herren! 1. Es ist mir höchst angenehm, heute, wenige Stunden nach meiner Ankunft in dieser Hauptstadt, mit Ihnen, den Mitgliedern des in der Republik Argentinien akkreditierten Diplomatischen Korps, Zusammentreffen zu können. Auf meinen apostolischen Reisen ist diese Begegnung bereits zu einer Tradition geworden, die es mir gestattet, in jedem Land in Verbindung zu treten mit den Vertretern der Nationen der ganzen Welt, denen Sie in so hoher und delikater Mission dienen. Ich danke herzlich für die Worte des Herrn apostolischen Nuntius, Doyen des Diplomatischen Korps,, der sich zum Sprecher Ihres Willkommensgrußes ge- 488 REISEN macht hat und zugleich zum qualifizierten Interpreten Ihrer Gefühle und Ihres Strebens, der Harmonie und Eintracht unter den Völkern zu dienen. Gott Dank und den Regierenden Glückwünsche für den bewahrten Frieden 2. Dieser Besuch bei den südlichsten Ländern des amerikanischen Kontinents möchte auch von meiner Warte aus — der des Oberhirten der weltumspannenden katholischen Kirche — ein Dienst am friedlichen und solidarischen Zusammenleben unter den Nationen sein. Tatsächlich ist diese in meinen pastoralen Auftrag eingebundene Reise unter anderem einem Motiv von internationalem Rang zuzuschreiben, das mit dem großen Anliegen des Friedens zusammenhängt: Ich bin gekommen, um Gott zu danken und den Völkern Argentiniens und Chiles mit ihren Regierenden an der Spitze zu gratulieren, weil die langwierige Streitfrage um die Südgrenze, die beinahe einen bewaffneten Konflikt ausgelöst hätte, glücklich gelöst worden ist. Allein ermutigt von dem Wunsch, am Frieden unter den Nationen mitzuarbeiten, hatte ich entschieden, die Dienste des Heiligen Stuhls für eine Vermittlertätigkeit einzusetzen. In diesem selben Geist komme ich heute hierher, um zu danken und beide Länder zu beglückwünschen. Argentinien und Chile haben in einem schwierigen und komplexen Augenblick bewiesen, daß es möglich ist, eine gerechte und friedliche Lösung für internationale Konflikte zu finden, wenn nur der echte Wille zu Frieden und gegenseitiger Verständigung besteht. Dieser Wille gewährleistet die Voraussetzungen für einen freimütigen und konstruktiven Dialog, in welchem jede Seite unter Wahrung ihrer Rechte, Interessen und legitimen Erwartungen auch Verständnis und Offenheit für die Positionen des Kontrahenten zeigt, um so zu einer ausgehandelten Regelung zu gelangen. Auf diese Weise werden die Regierenden zu Interpreten des tiefen Wunsches nach Eintracht, der seine Wurzeln im Herzen aller Menschen guten Willens hat, und so öffnen sie Breschen für die notwendige Zusammenarbeit unter ihren Völkern. Der von Argentinien und Chile Unterzeichnete Friedens- und Freundschaftsvertrag ist dafür ein klarer Beweis. Brüderliche Solidarität gegen egoistischen Nationalismus 3. Echter Friede unter den Völkern besteht nicht einfach darin, daß es keine kriegerischen Auseinandersetzungen unter ihnen gibt. Er besteht vielmehr in dem bewußten und effektiven Willen, nach dem Wohl aller Völker zu streben, so daß jeder Staat bei der Festlegung seiner Außenpolitik vor allem daran denkt, einen spezifischen Beitrag zum internationalen Gemeinwohl zu leisten. Aus diesem Grund habe ich für den Weltfriedenstag dieses Jahres das 489 REISEN Leitwort vorgeschlagen: „Entwicklung und Solidarität: zwei Schlüssel zum Frieden“. Die alten nationalen und regionalen Egoismen und die wirtschaftliche und kulturelle Unterentwicklung sind wahrhaftig zwei schwere Bedrohungen des Friedens und sie stehen untereinander in engem Zusammenhang. Beide können nur gleichzeitig bekämpft und überwunden werden auf eine Weise, in der sich die Entwicklung umsetzt in ein brüderlich solidarisches Angebot (vgl. ebd.) Die Päpstliche Kommission für Gerechtigkeit und Frieden hat kürzlich in einem Dokument die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf ein Problem gelenkt, das schlaglichtartig beleuchtet, wie dringlich und radi: kal diese Bedrohungen des Friedens sind: das Problem der Auslandsverschuldung vieler Entwicklungsländer. Es ist notwendig, mit einer ethischen Beurteilung des internationalen Schuldenproblems zu beginnen, die die Verantwortung aller Beteiligten und die tiefgreifende, die ganze Welt umfassende Interdependenz für den Fortschritt der Menschheit deutlich macht. Wenn es nicht gelingt, eine harmonische und angemessene, von allen solidarisch geteilte Entwicklung für alle Nationen zu erreichen, wird man auch nicht die Grundlagen für einen stabilen und dauerhaften Frieden legen können. Die Ideale des Friedens nie aus dem Blick verlieren 4. Wenn ich mich an Sie wende, die Sie die legitimen Interessen ihrer jeweiligen Nationen vertreten, möchte ich damit erneut vergegenwärtigen, wie notwendig es ist, daß Sie Ihren Auftrag immer im Horizont der großen Ideale des Friedens, der Gerechtigkeit und der Solidarität unter allen Völkern erfüllen. In der Ausübung Ihrer Funktionen als diplomatische Vertreter können Sie dazu beitragen, die Bande der Verständigung und der Eintracht unter Einzelpersonen, Gruppen und Nationen zu stärken. Diesen Aufruf spreche ich heute vor Ihnen im Namen der Kirche aus, die weiterhin überall die Botschaft Christi, eine Botschaft des Friedens und der Liebe, verbreiten möchte. Argentinien und Chile, seit mehr als vier Jahrhunderten in ihrem christlichen Glauben miteinander verschwistert, haben bewiesen, daß das Evangelium Jesu Christi dazu bestimmt ist, Früchte des Friedens zum Wohl der ganzen Menschheitsfamilie zu bringen. Ich wiederhole, daß ich über diese Begegnung erfreut und für Ihre Anwesenheit dankbar bin, und bitte den Allerhöchsten, er möge Sie, Ihre Familien und alle Nationen, die durch Sie hier vertreten sind, segnen. 490 REISEN Die Erde — eine Gabe Gottes für alle Menschen Predigt in Bahia Bianca (Argentinien) am 7. April 1. „Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät“ (Mk 4,26). Von Gottes Wort in der heutigen Liturgie erleuchtet, wollen wir durch Christus, mit Christus und in Christus die heilige Eucharistiefeier der ganzen Kirche begehen. Für mich als Hirten der Weltkirche ist es ein Grund zu großer Freude, in diesem hl. Opfer den priesterlichen Dienst auf argentinischem Boden, hier in Bahia Bianca, zusammen mit meinen Brüdern im Bischofs— und Priesteramt auszuüben. Meine Freude über eure Gegenwart und Beteiligung ist um so größer, weil ihr aus verschiedenen Orten der argentinischen Pampa kommt. Ihr wißt nicht, wie sehr ich diese Begegnung herbeigewünscht habe! Ich begrüße euch alle mit großer Liebe, besonders diejenigen, die in dieser Feier die Landbevölkerung vertreten. Die biblischen Texte der heutigen Liturgie sind wirklich sehr angemessen, da die meisten von euch, liebe Brüder und Schwestern, die christliche Berufung mit der Landarbeit vereinen. Meine Worte möchten sich aber an die Herzen aller richten, denn der Apostel sagt ja, daß wir alle „Gottes Ackerfeld“ sind (1 Kor 3,9). 2. Von gleichem Empfinden beseelt, loben wir den Herren mit dem Psalmi-sten: „Herr, mein Gott, wie groß bist du ... Du läßt Gras wachsen für das Vieh, auch Pflanzen für den Menschen, die er anbaut, damit er Brot gewinnt von der Erde und Wein, der das Herz des Menschen erfreut, damit sein Gesicht von Öl erglänzt und Brot das Menschenherz stärkt (Ps 103/104,2.14-15). Wir loben Gott, den Schöpfer, der von Anfang an die Erde mit so vielfältigen und unermeßlichen Reichtümem ausgestattet hat. Der Mensch „sät Samen auf seinen Acker“ (Mk 4,26), dann bringt die „Erde — die Gabe Gottes — ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre“ (Mk 4,28). Jesus redete oft in der Sprache der Bauern „Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da“ (Mk 4,29). Diese Worte stammen aus dem Munde Christi selbst, der sich im Evangelium oft auf die Landarbeit bezieht. 491 REISEN Wenn die „Zeit der Ernte da ist“, dann erfüllt sich auch, was der Psalmist verkündet: „Sie warten alle auf dich, daß du ihnen Speise gibst zur rechten Zeit. Gibst du ihnen, dann sammeln sie ein, öffnest du deine Hand, werden sie satt an Gutem“ (Ps 103/104,27-28). Die Gabe Gottes, die Erde, und die Arbeit des Bauern werden eins. Man wird nicht leicht eine Tätigkeit finden, in der sich der Mensch so stark dem göttlichen Werke des Schöpfers verbunden fühlt. 3. Die liturgischen Losungen der hl. Messe bringen es uns in Erinnerung. Sie nehmen vor allem auf die Geschichte des Volkes Israel im Alten Bund Bezug. Dieses Volk wanderte ja vierzig Jahre lang durch die Wüste zu dem von Gott verheißenen Land, „ein Land mit Weizen und Gerste, mit Weinstock, Feigenbaum und Granatbaum, ein Land mit Ölbaumund Honig, ein Land — so heißt es weiter im Deuteronomium —, in dem du nicht armselig dein Brot essen mußt, in dem es dir an nichts fehlt, ein Land, dessen Steine aus Eisen sind, aus dessen Bergen du Erz gewinnst“ {Dtn 8,12-13). „Dort“, so sagt uns das Heilige Buch — „wirst du dir prächtige Häuser bauen, deine Rinder, Schafe und Ziegen werden sich vermehren und Silber und Gold sich bei dir häufen“ (vgl. Dtn 8,12-13). Erworbener Wohlstand darf nicht zum Blendwerk geraten Erscheint euch das nicht wie eine Beschreibung eures Landes? Liebe Brüder von Bahia Bianca, ich weiß, daß ihr als Arbeiter mit Recht einen guten Ruf habt. Man braucht nur zu sehen, wie die Landarbeit, die mit Selbstverleugnung und Opferbereitschaft geleistet wird, zugleich mit anderen Produktionsbereichen wie Fischfang, Handel und Instrustrie in Einklang steht. Gerade weil eure Erde so fruchtbar ist, ist es wichtig, daß ihr nicht die biblische Aufforderung vergebt: „Wenn dein gesamter Besitz sich vermehrt, dann nimm dich in acht, daß dein Herz nicht hochmütig wird und du den Herrn, deinen Gott, nicht vergißt..., vergiß den Herrn, deinen Gott, nicht, mißachte nicht seine Gebote, Rechtsvorschriften und Gesetze“ (Dtn 8,14 und 11). 4. Aus den Lesungen der Liturgie des heutigen Tages seht ihr die Wahrheit über den Schöpfer und die Wahrheit über den Menschen aufleuchten. Es ist Gott, der allen Geschöpfen Leben schenkt, sie unaufhörlich im Dasein erhält und sie beständig zum Handeln befähigt. Der Mensch war von Anfang an von Gott berufen, die Erde zu unterwerfen und über sie zu herrschen (Gen 1,28). Er erhielt vom Herrn diese Erde als Gabe und Aufgabe. Als Gottes Bild und Gleichnis erschaffen, hat der Mensch eine besondere Würde. Er ist Eigentümer und Herr der Güter, die der Schöpfer in seine Geschöpfe gelegt hat. Er ist Mitarbeiter seines Schöpfers. 492 REISEN Gerade deshalb darf der Mensch nie vergessen, daß alle Güter, von denen die geschaffene Welt erfüllt ist, Gabe des Schöpfers sind. So mahnt die Heilige Schrift: „Dann nimm dich in acht und denke nicht bei dir: ich habe mir diesen Reichtum aus eigener Kraft und mit eigener Hand erworben. Denk vielmehr an den Herrn, deinen Gott: er war es, der dir die Kraft gab, Reichtum zu erwerben, weil er seinen Bund, den er deinen Vätern geschworen hatte, so verwirklichen wollte, wie er es heute tut“ (Dtn 8,17-18). Wie angebracht war dieser Rat im Lauf der Geschichte der Menschheit! Angebracht besonders heute aufgrund des Fortschritts in Wissenschaft und Technik! Der Mensch, der die Werke seiner Hände, seiner Erfindungsgabe und seines Geistes ansieht, scheint immer mehr den zu vergessen, der der Ursprung all dieser Werke und all dieser Güter ist, die es auf der Erde und in der geschaffenen Welt gibt. Je mehr er die Erde unterwirft und beherrscht, desto mehr scheint er ihn zu vergessen, der ihm die Erde gab und alle Güter, die sie enthält. Zusammen mit dem Psalmisten möchte ich an diesem für Bahfa Bianca so ereignisvollen Tag daran erinnern, daß das Geschöpf ohne seinen Schöpfer seinen Sinn verliert, daß der Mensch, wenn er versucht, sich eigenmächtig, ohne Gott, zu erheben, in die tiefsten Abgründe der Unmenschlichkeit stürzt. Andererseits sind Treue zu Gott, Glaube und Liebe der Schatz, der das wahre Leben finden läßt (vgl. 1 Tim, 6,11,19). Nie ist der Mensch größer, als wenn er die Oberhoheit Gottes anerkennt und die Erde in Zusammenarbeit mit dem Schöpfer bearbeitet. Gott humanisiert in Christus die Verhältnisse Wenn ihr also eurer Arbeit und euren Aufgaben eine wahrhaft menschliche und zugleich transzendente Dimension geben wollt, müßt ihr sie im Blick auf Gott verrichten und darin einen Beitrag zum Werk der Schöpfung, einen Akt der Anbetung und des Dankes an den Allmächtigen sehen. Ist es nicht bezeichnend, daß Brot und Wein, „Früchte der Erde und der Arbeit des Menschen“, die wir in der Eucharistie darbieten, sich in den Leib und das Blut des Herrn verwandeln? Mögen alle eure Aufgaben durch Christus zu „lebendigen Opfergaben“, zu erlösender und heiligender Arbeit werden. So helft auch ihr Landarbeiter, die Grundlagen für einen wahrhaft christlichen Humanismus und eine Befreiungstheologie der Arbeit zu festigen. In diesem Sinne erinnert euch an die Mahnung Jesu: „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden nimmt?“ (Lk 9,25). Daher müßt ihr achtgeben, daß euch eure Mühen 493 REISEN nicht „den Herrn vergessen lassen“. Denkt auch ah die Würde, die eurer Arbeit zukommt, da ihr sie als Menschen und Christen verrichtet, und die all eure Fortschritte prägen muß. Laßt nicht zu, daß um des Gewinns willen die Arbeit euch erniedrigt. Sucht sie vielmehr mit christlichem Mut nach dem Worte Gottes und der Lehre der Kirche zu leben. Verzichtet also auf jede Art von Materialismus, der eine Quelle der Versklavung durch materielle Güter ist, die es dem Menschen verwehren, wirklich frei zu sein und sich als Sohn Gottes und Bruder seines Nächsten zu fühlen. 5. Der Mensch ist immer viel wichtiger als seine Arbeit; seine Würde geht über seine Werke hinaus, die ja nur die Frucht seines Schaffens sind! Ihr begreift also die immer größere Dringlichkeit, daß auch in Landwirtschaft und Viehzucht die spirituellen Werte als „Gärstoff“ der Erlösung und des wahrhaft menschlichen Fortschritts den Ausschlag geben müssen. Deshalb wird es gut sein, tief im Gewissen den festen Entschluß zu fassen, sich ganz dafür einzusetzen, daß die Last der Materie die Flamme des Geistes nicht auslöscht. Die Konsumgüter haben keinen Wert in sich selbst Ihr dürft folglich nicht der modernen Form des Geizes, das heißt dem Konsumismus, verfallen, der euch eure gesunden menschlichen und familiären Gewohnheiten und die wunderbare Tugend der Landleute, nämlich die Solidarität, vergessen ließe. Ich denke hier an die manchmal unvorhersehbaren Schwierigkeiten, die die Landwirtschaft treffen können, besonders an die schweren Überschwemmungen, die eure Felder und Wohnungen besonders in dieser Provinz verwüstet haben. Dieses Unglück ist zweifellos eine günstige Gelegenheit gewesen, eure Solidarität mit den am meisten Betroffenen und eure Großzügigkeit und Bereitschaft, zu teilen, unter Beweis zu stellen. <28> <28> Liebe Brüder und Schwestern aus der argentinischen Landwirtschaft! Ihr, die ihr mit Hingabe und Rechtschaffenheit die Erde bestellt, müßt mit der gleichen Intensität euer geistliches Leben pflegen. Die Seele braucht, wie gute Erde, wachsame Pflege. Zuerst muß man den Samen des Gotteswortes hineinsäen, man muß auf das Wort hören und es befolgen, damit es Frucht für das ewige Leben bringt. Deshalb möchte ich heute daran erinnern, daß ihr als Gottes Abbild auch fähig seid, ihn zu lieben. Die Offenheit dem Schöpfer gegenüber, die Beziehung zu ihm, ist eurem tiefsten Wesen eingeprägt. Mögen alle, die Landarbeit verrichten, sich dieser besonderen Berufung bewußt sein, die sie zu engsten Mitarbeitern im Schöpfungswerk macht. Laßt nicht zu, daß 494 REISEN das traditionelle religiöse und christliche Empfinden verlorengeht, das so eng mit den Wurzeln eurer Kultur verwachsen ist! Im Hören auf Gott Impulse für die Lebensgestaltung empfangen Die Kirche braucht heute mehr denn je Gläubige, die diese liebevolle Botschaft vom Leben Jesu persönlich leben und es der ganzen Gemeinschaft mit-teilen. Die tägliche Arbeit muß in den göttlichen Heilsplan eingefügt werden; die Arbeit ist ein Segen Gottes und bildet einen Teil der ursprünglichen Berufung des Menschen. Den Blick auf Gott gerichtet, könnt und müßt ihr — ich wiederhole es — heilig werden, ohne eure tägliche Arbeit auf dem Feld, in der Familie, im Umgang mit Freunden, in Freizeit und Erholung voneinander zu trennen. Damit die menschliche Arbeit aber wirklich eine Zusammenarbeit mit Gott sei, ist es ebenfalls erforderlich, liebe Männer und Frauen dieses edlen Landes, daß ihr in eurem Leben eifrig den Umgang mit Gott pflegt und seine Gesetze und Gebote befolgt. Ihr müßt also eine Zeit für den Gottesdienst einräumen und an Sonn- und Feiertagen an der hl. Messe teilnehmen als Ausdruck eures christlichen Lebens und der Religiosität, die euch auszeichnet. Empfangt das Sakrament der Versöhnung, das euch hilft, eure moralische Lebensführung klar und durchsichtig zu erhalten, und empfangt oft den Herrn Jesus, der in der Eucharistie wirklich gegenwärtig ist. Hört das Wort Gottes und nehmt an den von Christus für alle, für Männer und Frauen, Kinder und Erwachsene, als unerläßliche Heilsmittel eingesetzten Sakramenten teil. Ihr dürft euch nicht damit zufriedengeben, die Taufe und Erstkommunion empfangen zu haben und von Zeit zu Zeit in die Kirche zu gehen. Ihr wißt doch ganz genau, daß man ein Feld, das Früchte tragen soll, nicht nur nebenbei und nachlässig bebauen kann; man muß vielmehr die Erde kräftig umgraben, sie düngen und pflegen, damit die Ernte gut ausfällt. Gleichermaßen müßt ihr auch den guten Acker eurer Seele pflegen, die Heilige Schrift fleißig lesen und darüber nachdenken, die heilige Jungfrau Maria mit kindlichem Vertrauen anrufen, aktiv am Leben der Kirche teilnehmen, den Weisungen eurer Seelsorger folgen, euch Zeit nehmen und euch einsetzen für eine christliche Weiterbildung. Die Nähe zur Scholle öffnet den Blick nach oben Aus dem Leben der Land- und Viehwirtschaft fließen, wie aus einer unerschöpflichen Quelle, menschlich sehr wertvolle Bräuche und Gewohnheiten: 495 REISEN großzügige Freundschaft, Bereitschaft zu teilen, Solidarität mit den Bedürftigen, Liebe zur Familie und zum Frieden und ein Empfinden für die Transzendenz des Lebens. Diese menschlichen und christlichen Tugenden müssen erhalten werden und wachsen, denn sie sind die Säulen des Familien- und des sozialen Lebens heute und in der Zukunft Argentiniens. 7. Schließlich möchte ich noch einige Forderungen jener Solidarität hervorheben, von der wir schon gesprochen haben. Sie ist Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben und unerläßliche Bedingung für jeden wirklichen Fortschritt. Mit Gewißheit muß ein für allemal der Zustand der Minderbewertung überwunden werden, von dem verschiedene Bereiche der Landwirtschaft betroffen sind, in denen man sich als Randgruppe der Gesellschaft fühlt. Gleichzeitig müssen die Diskriminierung und das Ungleichgewicht zwischen Stadt und Land verschwinden. Sie sind häufig ein Grund zur Abneigung gegen die Landarbeiter und führen zu massiver Landflucht, wobei sich manchmal die Lebensbedingungen in den Städten als noch schlechter erweisen. Freilich ist große Eile geboten, damit die Entwicklung in Industrie und Handel nicht ungerechtfertigterweise auf Kosten der Landwirtschaft geht. Vor allem muß die Landjugend möglichst schnell eine angemessene berufliche wie auch eine menschliche und christliche Ausbildung erhalten, damit den Anforderungen der modernen argentinischen Gesellschaft entsprochen wird. Nehmt diese Herausforderung an und organisiert auf dem Land wirksame technische und kulturelle Hilfen, damit die berufliche Tüchtigkeit des Bauern ihm die Liebe zur Erde wiederschenkt. Richtet juristische Beratungsstellen ein, damit der Bauer und seine Familie im Krankheitsfall, im Alter oder im Fall einer Entlassung einen wirklichen Schutz genießen, damit das Einkommen der Würde des arbeitenden Menschen, seinen persönlichen Bedürfnissen und denen seiner Familie entspricht und nicht durch das kalte, manchmal unmenschliche Marktgesetz geregelt wird; mit einem Wort: damit die Bedingungen des Landlebens wirklich menschlich und der Bürger desselben Vaterlandes und Söhne und Töchter Gottes würdig sind. Die Erde ist eine Gabe des Schöpfers an alle Menschen. Die Reichtümer der Erde — Landwirtschaft, Viehzucht, Bodenschätze usw. — dürfen nicht unter eine beschränkte Zahl von Bereichen oder Personengruppen aufgeteilt werden, während andere von den Gewinnen ausgeschlossen bleiben. Liebe Argentinier, mir kommen viele Männer und Frauen in den Sinn, die, in anderen Ländern geboren, vor nicht zu langer Zeit hierher kamen, um unter euch zu arbeiten, und die sich schon als Kinder dieser edlen Nation fühlen. In meiner Enzyklika Laborem exercens sagte ich: „Die Arbeitsemigration darf 496 REISEN in keiner Weise eine Gelegenheit zu finanzieller oder sozialer Ausbeutung werden. Hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses müssen für den eingewanderten Arbeitnehmer die gleichen Kriterien gelten wie für jeden anderen Arbeitnehmer des betreffenden Landes“ (Nr. 23). Gewiß kann man unter gewissen Umständen ein solches Verhalten als eine heldenhafte Anstrengung ansehen, aber vergessen wir nicht die Worte des Apostels: „Ermahne die, die in der Welt reich sind, ... sie sollen wohltätig sein, reich werden an guten Werken, freigiebig sein, und, was sie haben, mit anderen teilen“ (/ Tim 6,17-18). Liebe Männer und Frauen, die ihr die Felder bearbeitet, ihr habt ein Recht darauf, so behandelt zu werden, wie es eurer Würde als Person und Kind Gottes entspricht! Das bedeutet aber auch, daß ihr die anderen genauso behandeln müßt! 8. „Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät“ (Mk 4,26). Wenn das Reich Gottes in Jesus Christus als Gabe und Aufgabe allen Menschen gegeben wurde, so ist es euch in besonderer Weise gegeben: euch Söhnen und Töchtern dieses Landes, die ihr mit „Schweiß auf der Stirn“ und unter großen Mühen arbeitet. Seid euch dieser Wahrheit über das Reich Gottes bewußt! Seid euch eurer zugleich menschlichen und christlichen Berufung bewußt! Ihr seid insbesondere berufen, diesen Bund zu erfüllen, den Gott, der Schöpfer und Vater, mit dem Menschen seit Beginn geschlossen hat, als er ihm auftrug, die Erde zu unterwerfen und zu beherrschen. Söhne und Töchter dieser argentinischen Erde: „Euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben“ (Lk 12,32). Vergeht das nie! Amen. Die Not der Armen sich zu eigen machen Ansprache in Viedma (Argentinien) am 7. April 1. „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausru-fe“ (Lk4, 18-19). Geliebte Brüder und Schwestern: Mit diesen in der Synagoge von Nazaret vorgelesenen Worten des Propheten verkündet Jesus die Ziele des Auftrages, 497 REISEN den ihm sein Vater anvertraut hat. „Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe“ (Lk 4,18). Ich möchte, daß die gleichen Worte heute noch bei euch Widerhall finden, weil ihr aufgrund der Taufe an der Evangelisierungsaufgabe Christi teilnehmt. Die Friedensbotschaft Christi soll in alle Gebiete gelangen Ich freue mich sehr, daß ich nach Viedma, dem Zentrum für die Verbreitung des Evangeliums in dieser ausgedehnten Region Patagoniens kommen konnte, um euch die Liebe des Papstes für jeden einzelnen von euch kundzutun. Mein ehrerbietiger Gruß gilt dem Herrn Präsidenten der Republik und den hier anwesenden Autoritäten der Nation. In brüderlicher Zuneigung grüße ich in gleicher Weise auch den Hirten der Diözese von Viedma und die übrigen geliebten Brüder im Bischofsamt, die an unserer Begegnung teilnehmen, wobei ich mit ihnen auch alle anderen Gläubigen Patagoniens begrüßen möchte: die Priester, Ordensleute, Katecheten und Laien. Mit diesem Pastoralbesuch möchte ich — auch durch die Massenmedien — alle Bewohner von Rio Negro, Neuquen, Chubut, Santa Cruz und Feuerland erreichen. Meine Botschaft des Friedens und der Hoffnung in Christi, meine aufrichtige Zuneigung und meine Gebete gelten allen. Ich wende mich besonders an das edle Volk der Mapuchen und an alle ursprünglichen Einwohner dieser ausgedehnten Hochebene: der Papst trägt euch im Herzen. Nach 500 Jahren Geschichte den Glauben neu bewußt machen Die Kirche bereitet sich auf die Fünfhundert] ahrfeier der Evangelisierung Lateinamerikas vor. Zweifelsohne ist es der Jahrestag eines außerordentlich wichtigen Ereignisses: die Ankunft des Glaubens auf diesem Kontinent. Der Hl. Geist fordert uns auf, die Evangelisierungsaufgabe unter den gegenwärtigen Bedingungen mit neuem Eifer fortzuführen. Für die gesamte Kirche Lateinamerikas beginnt, was die Aufgabe der Evangelisierung betrifft, eine neue Phase. Deshalb rufe ich heute als Hirte der Weltkirche alle Glieder der Kirche im Süden von Argentinien auf, unter der Führung ihrer Hirten verantwortungsbewußt ihren Teil im Rahmen dieser großen Aufgabe wahrzunehmen: dafür zu sorgen, daß in allen Söhnen und Töchtern dieses Landes das Licht Christi immer heller leuchte. Der Hl. Geist wird auf jeden herabkommen und dieses wichtige Werk ermöglichen, wobei ihr mit dem mütterlichen Beistand Marias, der Helferin und Schutzherrin Patagoniens, rechnen könnt. 498 REISEN 2. Ihr, geliebte Brüder, setzt die große Tradition der Evangelisierungsund Missionsarbeit fort, die sich seit etwa mehr als einem Jahrhundert in diesen Gebieten dank des beständigen apostolischen Eifers der Salesianer und der Töchter Mariens, der Helferin, in bewunderswerter Weise entwickelt hat. Der Beginn der Kirche in Patagonien ist an die unermüdliche und aufopfernde Tätigkeit jener Missionare gebunden, die ihr Vaterland verließen, um das Evangelium zu predigen und zahlreiche Institutionen für Erziehung, Sozialfürsorge und die christliche und menschliche Förderung gründeten. Ich denke hier besonders an Bischof Juan Cagliero, den ersten apostolischen Vikar des nördlichen Patagonien und an Msgr. Jose Fagnano, den ersten apostolischen Präfekten von Südpatagonien, Feuerland und den Falklandinseln. Ich danke dem Herrn zutiefst für den Großmut und die Hingabe dieser Männer und Frauen, die als Mitarbeiter Gottes die prophetische Vision des hl. Johannes Bosco verwirklicht haben: die Evangelisierung Patagoniens. Viedma war eines der Zentren, von denen die erste Missionstätigkeit ausging. Von der gleichen Stadt aus rufe ich euch auf, den ausdrücklichen Auftrag der Kirche, nämlich die Mission, fortzuführen, den Glauben und das Heil Christi auszubreiten (Ad gentes, Nr. 5), und zwar in erster Linie im Hinblick auf die Bewohner dieser Gebiete, ohne dabei jedoch alle anderen argentinischen Brüder und den Rest der Welt zu vergessen, die die: Frohbotschaft genauso dringend brauchen. Die Kirche Gottes, die in Patagonien ist, muß, da sie eine so reiche Evangelisierungstradition übernommen hat, weiterhin und allzeit missionarisch sein! 3. Liebe Brüder und Schwestern: ihr könnt angesichts der Erlösung der Menschen nicht gleichgültig bleiben. — Wenn ihr an Christus glaubt, dann müßt ihr auch an das Lebenspro-gramm glauben, das er uns anbietet. , Entscheidung flir Christus ist mit einem Lebensprogramm verbunden — Wenn ihr Christus liebt, müßt ihr die, die er liebt, auch lieben und vor allem in der Weise, in der er sie liebt. — Seid ihr vereint mit Christus, dann seid ihr von ihm und wie er ausgesandt, allen Geschöpfen das Evangelium zu verkünden. Im soeben vernommenen Evangelium haben wir gehört, wie Jesus sich, indem er die Armen evangelisiert und den Versklavten, Blinden und Unterdrückten das Heil verkündet, sich als Messias zu erkennen gibt: nämlich 499 REISEN durch die Vorliebe für die Bedürftigsten. Auch die Kirche hat — trotz der Schwächen und Fehler, die einige ihrer Söhne gezeigt haben — dieses Prinzip der Vorliebe für die Armen immer befolgt. Die Evangelisierung wäre nicht authentisch, würde sie nicht den Spuren Christi folgen, der ausgesandt wurde, um die Armen zu evangelisieren. Ihr müßt euch das Erbarmen Jesu für den Bedürftigen, Marin oder Frau, zu eigen machen. Der echte Jünger Christi fühlt sich immer mit dem leidenden Bruder solidarisch und versucht, seine Schmerzen in dem ihm möglichen Maße, aber immer in großmütiger Weise zu lindern; er setzt sich dafür ein, daß in jedem Augenblick die Würde der menschlichen Person respektiert werde, vom Zeitpunkt der Empfängnis an bis zu seinem Tod. Er vergißt nicht, daß „der Einsatz für die Gerechtigkeit und die Entwicklung des Menschen ein unerläßlicher Teil der Evangelisierungsmission ist“ {Ansprache in Puebla, 28. Januar 1979, EU. 2). Der Mensch lebt nicht vom Brot allein ... Dennoch wendet sich der wahre missionarische Eifer vor allem spirituellen Bedürfnissen zu, die oft schwerwiegender sind und mit denen viele Männer und Frauen kämpfen. Bedenkt nur, wie viele Christus noch nicht kennen, ein verzerrtes Bild von ihm haben oder aufgehört haben, ihm zu folgen, im dem sie ihr eigenes Heil einerseits in den Verführungen der säkularisierten Gesellschaft, andererseits im haßerfüllten Zusammenstoß der Ideologien suchen. Angesichts dieser Armut des Geistes darf der Christ nicht untätig bleiben: er muß beten, in jedem Augenblick Zeugnis für seinen Glauben ab-legen und mutig und liebevoll von Christus, seiner großen Liebe, sprechen. Er muß erreichen, daß diese Brüder sich enger um den Herrn scharen oder dank einer tiefen und freudigen Änderung ihres Lebenswandels zu ihm und seinem mystischen Leib, der Kirche, zurückkehren, damit ihrer irdischen Wallfahrt Sinn und Wert der Ewigkeit gegeben werde. Die vordringliche Aufmerksamkeit für den spirituellen Aspekt der menschlichen Armut wird es verhindern, daß man die besondere Liebe Christi für die Armen in rein sozialökonomischer Hinsicht auslegt, und wird die Gefahr einer ungerechtfertigten Diskriminierung der pastoralen Tätigkeit abwenden. 4. Es ist mein lebhafter Wunsch, heute auch die Brüder und Schwestern des Volkes der Mapuchen und die Nachkommen der ursprünglichen Einwohner Patagoniens zu begrüßen. Dankt dem Herrn für die Werte und die Tradition eurer Kultur, und bemüht euch, sie weiterzuentwickeln, während ihr gleichzeitig versuchen sollt, auf allen Lebensgebieten Fortschritte zu erzielen. 500 REISEN Ein bedürftiger Mensch muß immer Anlaß zur Hilfe sein Angesichts der Probleme, die euch bedrücken, möchte ich euch im Namen der Kirche zu beständiger Hoffnung aufrufen: unser Herr — der, da er reich war, arm wurde, um die Menschheit reich zu machen — ist bei seinen Absichten gerecht. Wenn die Leiden, die er uns bisweilen bereitet, groß sind, ist die Hilfe, die er uns gewährt, um so größer, damit sich Tränen in erlösende und evangelisierende Gnade verwandeln. Mein Aufruf zur Hoffnung gilt allen, richtet sich aber besonders an die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik, damit ihr mit Einsatzbereitschaft und Sinn für Gerechtigkeit die Reichtümer der Natur dieser Region nutzt und alle Energien wirksam auf das Allgemeinwohl Patagoniens richtet, um immer menschlichere Lebensbedingungen zu schaffen, und damit sich diese ausgedehnten Gebiete trotz des rauhen Klimas immer mehr bevölkern. Gleichzeitig fordere ich euch auf, wirksame Taten der Solidarität mit den Bedürftigsten zu setzen. Niemand darf gelassen sein, solange es in eurem Vaterland einen Mann, eine Frau, ein Kind, einen Alten, einen Kranken — ein Kind Gottes! — gibt, dessen menschliche und christliche Würde nicht respektiert wird. Allen, die Not leiden — die Mapuchen, die Auswanderer und alle anderen auf dem Land und in der Stadt — möchte ich meine besondere Zuneigung ausdrücken. Ich möchte euch daran erinnern, daß in erster Linie ihr selbst für eure menschliche Förderung verantwortlich seid. Verfallt nicht in Mutlosigkeit und Passivität. Arbeitet mit Einsatzfreude und Ausdauer, damit ihr und eure Familien am berechtigten Wohlstand und an den Vorteilen, die Erziehung und Kultur bieten, teilnehmen könnt. Bedient euch aber zur Erreichung dieser Ziele nicht der Waffen des Hasses und der Gewalt, sondern der Liebe und der solidarischen Arbeit. Einzig und allein sie führen zum Ziel einer wahren Gerechtigkeit und Erneuerung. Vergebt nicht, daß der Mangel an menschlicher Würde bei eurer Tätigkeit viel gefährlicher ist als materielle Armut oder Unterdrückung: niemand kann euch diese Würde nehmen. Geschwisterliches Verhalten fördert die menschliche Kultur Würde, das heißt Großmut, Öffnung der Herzen; das heißt, alle ohne Diskriminierung lieben und denen, die uns beleidigt haben, verzeihen. Liebe Argentinier, anläßlich dieses Pastoralbesuches bitte ich euch um eine tiefe brüderliche Versöhnung untereinander, die in der Versöhnung jedes einzelnen mit Gott, unserem Vater, wurzelt, damit Haß und feindselige Gefühle für immer von diesem gastfreundlichen Land Argentinien verbannt 501 REISEN seien und damit in allen Herzen die Gerechtigkeit und der Frieden Christi siegen. 5. Soll diese neue Phase der Evangelisierung, die der Herr von euch erwartet, echte Auswirkungen haben, so müßt ihr eine authentische christliche Gemeinschaft bilden, gleich unseren ersten Glaubensbrüdern (vgl. Apg 2,42-47; 4,32-36). Dann wird eine tiefgreifende Erneuerung aller Pfarrge-meinden gelingen, wie ihr sie bewirken möchtet. Wenn diese dann bei der Erfüllung ihrer Mission von der Liebe zu Gott durchdrungen sind, werden sie zu echten Missionsgemeinden im Dienste der Menschen. Um im Lebensstil der Evangelisierung wie die ersten Christen, weiterzuwachsen, müßt ihr gleich ihnen auf der Einheit unter euch und mit euren Hirten bestehen; auf der Wahrheit unseres Glaubens, indem ihr in eurem Innersten darüber nachsinnt; im sakramentalen und im liturgischen Leben. Ihr müßt in eurer Evangelisierungsaufgabe fortfahren, indem ihr euch als lebendige Mitglieder einer Kirche fühlt, die „Communio“ ist. Die letzte außerordentliche Bischofssynode hat sich lange mit der Tatsache befaßt, daß die Communio-Ekklesiologie die zentrale und grundlegende Idee der Konzilsdokumente (ist)“ (Schlußdokument der 2. außerordentlichen Bischofssynode, 10. 12. 85, II, C, 1). Nur aus dem Inneren einer Kirche, die „Communio“ ist, kann man die Berufung und die Sendung des Christen verstehen. Versucht, das großartige Zeugnis der Urkirche zu wiederholen: „Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32). Es ist dringend notwendig, der Welt von heute das Zeugnis einer Kirche zu geben, die „Communio“ ist, vom heiligen Geist beseelt und ganz in einer Phase der Neuevangelisierung verpflichtet! Das setzt eine enge Zusammenarbeit mit den Hirten voraus, die als erste Mitarbeiter des Hl. Geistes das sichtbare Prinzip der kirchlichen Gemeinschaft bilden. Das verlangt auch Einheit, brüderliche Zusammenarbeit und Gemeinsamkeit unter den Priestern, Ordensleuten und Laien, die — jeder seinem Charisma entsprechend — versuchen, das Reich Gottes aufzubauen. <29> <29> In diesem Augenblick, in dem der Heilige Geist alle Christen zu Mitverantwortung und aktiver Teilnahme an der Evangelisierungsaufgabe der Kirche einlädt, wird es immer dringlicher, den Bildungsprozeß und die Spiritualität der persönlichen Berufung entsprechend zu vertiefen. Jeder Christ muß die Worte Gottes eifrig aufnehmen, darüber nachdenken und sich bemühen, die Gegenwart des Herrn in den täglichen Geschehnissen seines persönlichen Lebens und in der gesamten Gesellschaft wahrzunehmen. Es fehlt ein beständiger Bildungsprozeß, der eine ständige Bekehrung aller 502 REISEN Gläubigen in dem Maß bewirkt, daß ihr Leben das Bild Gottes wiedergibt. Jeder Mensch braucht eine gesamtheitliche Bildung — in kultureller, beruflicher, doktrinärer, spiritueller und apostolischer Hinsicht — die zu einem überzeugungstreuen Leben in innerer Einheit veranlaßt und es erlaubt, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach einem Grund für die Hoffnung fragt (vgl. 1 Petr 3,15). Bildung und Spiritualität sind sich gegenseitig bedingende Faktoren Die Identität des Christen fordert ein beständiges Mühen um eine immer bessere Ausbildung, weil die Unwissenheit der schlimmste Feind unseres Glaubens ist. Wer kann, behaupten, Christus wahrhaft zu lieben, wenn er sich nicht bemüht, ihn besser kennenzulernen? Geliebte Brüder, hört nicht auf, die Heilige Schrift immerfort zu lesen, vertieft euch unaufhörlich in die Wahrheiten unseres Glaubens, greift hoffnungsvoll auf die Katechese zurück, die — unerläßlich für die Jugend — für die Erwachsenen nicht weniger notwendig ist. Wie könnt ihr das Wort Gottes weitergeben, wenn ihr selbst es nicht auf tiefe und lebendige Weise kennt? Bildung und Spiritualität: Das sind zwei unzertrennliche Begriffe für den, der danach strebt, ein christliches, wahrhaft am Aufbau einer gerechteren und brüderlicheren Gesellschaft beteiligtes Leben zu führen. Wenn ihr in eurem täglichen Leben den Anfordemngen Gottes treu nachkommen und die Erwartungen der Menschen und der Gesellschaft nicht enttäuschen möchtet, müßtdhr euch ständig vom Wort Gottes und den Sakramenten nähren, denn „das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch“ (Kol 3,16); lebt nach den Gebeten und in der Gnade der Sakramente der Taufe und der Firmung, des Sakraments der Versöhnung, der Eucharistie und auch der Ehe, wenn ihr zu dieser Lebensweise, die das Geheimnis des Bundes zwischen Jesus und der Kirche darstellt und verwirklicht, berufen seid. Seid Männer und Frauen des Gebetes. Bereitet in inniger Verbindung mit Gott die erlösende Begegnung mit den Menschen vor. Im kindlichen Gebet hat der Christ eine Gelegenheit zum Gespräch mit Gott, dem Einen und Dreifältigen, der im Herzen dessen wohnt, der in der Gnade lebt (vgl. Joh 14,23), um ihn dann den Brüdern zu verkünden. Hierin liegt die Würde des Christen als Kind Gottes: Gott als Vater anzurufen, sich vom Hl. Geist führen zu lassen, um sich ganz mit dem Sohn identifizieren zu können. Im Gebet suchen, begegnen und wenden wir uns an unseren Gott wie an einen guten Freund (vgl. Joh 15,15), dem wir unsere Freuden und Leiden, unsere Schwächen und Probleme und unseren Wunsch vortragen, uns zu bessern und auch den anderen zu helfen, besser zu werden. 503 REISEN Das Evangelium mahnt „... daß sie allzeit beten und darin nicht nachlassen sollten (Lk 18,1). Nehmt euch deshalb täglich ein bißchen Zeit für ein Zwiegespräch mit Gott, um zu prüfen, ob ihr ihn wirklich liebt, denn wenn man liebtj sucht man immer die Nähe des geliebten Geschöpfes. Deshalb muß das Gebet vor allen anderen Dingen kommen, und derjenige, der nicht dieser Ansicht ist und sie nicht in die Tat umsetzt, kann sich nicht mit Zeitmangel entschuldigen: ihm fehlt die Liebe. 7. Die Apostel „... verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit ... Maria, der Mutter Jesus“ (Apg 1,14). Bevor ich euch voll Liebe meinen apostolischen Segen erteile, bitte ich Maria, die Helferin, die Königin der Apostel, sie möge Fürbitte für euch einle-gen, damit euer apostolischer und missionarischer Eifer von Tag zu Tag zunehme und daß durch euer. Zeugnis als Christen auch das Licht Gottes, das auf dem Antlitz Jesu erstrahlt, für alle Menschen im Hl. Geist leuchte. Amen. Und nun möchte ich einen besonderen Gruß an unsere Brüder des Volkes der Mapuchen richten: Werte Brüder und Schwestern: liebe Freunde. Mit Freude erinnere ich mich daran, daß bereits hundert Jahre seit der Geburt eures jungen Bruders Cefe-rino Namuncura vergangen sind. Ich möchte, daß heute meine Anwesenheit unter euch folgenden Sinn habe: der Papst steht euch immer zur Seite; unser himmlischer Vater möge euch und vor allem euren Kindern beständiges Wohlergehen schenken. Ich wünsche euch viel Glück, meine Freunde. Persönliche Bekehrung vor Wandel der Strukturen Ansprache in Mendozä (Argentinien) am 7. April Ich danke meinem Gott allzeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben wurde in Christus Jesus“ (i Kor 1,4). 1. Liebe Brüder und Schwestern! Gelobt sei Jesus Christus für das große Geschenk des Friedens, das er für euch von Gottvater durch die Kraft des HL Geistes erlangt hat! Aufruf zu friedlicher Konfliktlösung Da alle meine apostolischen Reisen das Ziel haben, zum Aufruf für den Einsatz für den Frieden zu werden, so soll diese Reise, die ich durch die 504 REISEN Schwesterländer Chile und Argentinien unternehme, ein Hirtendienst der Danksagung an den Friedensfürsten (vgl. Jes 9,6) sein. Er bewahrte euch vor der zerstörerischen Kraft der Waffen und erleuchtete euch, so daß ihr den Weg der Verhandlungen und des Dialogs in einer Weise fortsetzen konntet, die den Frieden garantierte, indem man Spannungen überwand und Kriterien der Gerechtigkeit heranzog. Dieses Ziel erreicht zu haben, ist ein Grund zu edlem Stolz für beide Völker und beweist der Welt, wie Konflikte und Meinungsverschiedenheiten zwischen den Menschen durch Einsicht und Dialog gelöst werden können, ohne daß man dabei auf die Gewalt zurückgreift. Ich empfinde heute eine große Freude, da ich hierher, in diese Region Cuyo, zu Füßen der Statue Christi des Erlösers, kommen konnte und mich in die Schönheit eurer Landschaften versenken kann; die hohen verschneiten Gipfel, die die Seele zur Betrachtung anregen, die freundlichen Weinberge und Olivenhaine, die prachtvollen Mandel- und Obstbäume; und vor allem sehe ich euren jugendlichen Geist, erleuchtet vom Licht des Glaubens und der Marienverehrung. Ich begrüße mit großer Zuneigung meine Brüder im Bischofsamt, besonders den Hirten dieser Erzdiözese, alle seine Mitarbeiter in der apostolischen Tätigkeit und euch alle, Männer und Frauen von Mendoza und der Region Cuyo, die ihr den Frieden und die Freiheit liebt, im besonderen die hier anwesenden Behördenvertreter. 2. Das Monument für Christus, den Erlöser, das vor über achtzig Jahren als Symbol für den Frieden zwischen Argentiniern und Chilenen eingeweiht wurde, eingefügt in Gipfel der Anden-Kette; von dort aus wacht es über beide Nachbarvölker und breitet den Schutz der göttlichen Vorsehung über sie aus. Er (Christus) war es, da könnt ihr sicher sein, der immer und besonders in diesen letzten Zeiten dafür gesorgt hat, daß die wunderschöne Inschrift, die dort eingemeißelt ist, erfüllt würde: „Zuerst müssen diese Berge einstürzen, bevor Argentinier und Chilenen den Frieden brechen, den sie zu Füßen des Erlösers Christus geschworen haben.“ Geliebte Brüder, der Papst lädt alle Männer und Frauen Argentiniens und Chiles — und mit euch auch alle Menschen des amerikanischen Kontinents und der ganzen Welt — dazu ein, euch diesen Friedensschwur im! Tiefsten eures Herzens zu eigen zu machen: daß wir niemals die Eintracht mit.einem unserer Brüder brechen mögen. Das ist der ständige Aufruf, den ich als Nachfolger Petri auf all meinen apostolischen Pilgerreisen wiederhole und den ich auch bei dieser Reise nochmals besonders betonen möchte. Dieser Aufruf zählt zu den „Botschaften für den Weltfriedenstag“, die der Papst 505 REISEN seit 20 Jahren an die Kirche in der ganzen Welt und an all die Menschen richtet, die guten Willens sind und die auch über die Bistümer in den einzelnen Ländern verbreitet wurde. Es ist mir sehr angenehm, unter allem, was die Kirche bei ihrem Friedensauftrag unterstützt, die von den Bischöfen Chiles und Argentiniens geleistete hervorragende Arbeit zur Stärkung der Bande zwischen den beiden Nachbarländern hervorzuheben, eine Tätigkeit, die — unter anderen Initiativen — in wichtigen bischöflichen Dokumenten Niederschlag gefunden hat, die bezüglich der Differenzen über die südlichen Gebiete manchmal gemeinsam ausgearbeitet wurden. Der Weg der Bemühungen um Frieden ist nie zu Ende Was für ein weiter Weg ist in den letzten Jahren zurückgelegt worden! Wieviele Konflikte und Leiden konnten erspart werden! Laßt uns deswegen dem Vater der Barmherzigkeit noch einmal inbrünstig für die geleistete Hilfe danken und uns gleichzeitig an die Menschen erinnern, die tatkräftig mitgeholfen haben, um zu diesem glücklichen Ende der Schlichtungsbemühungen zu kommen; Menschen, unter denen ich die vortreffliche Gestalt des Kardinals Antonio Samore und seine selbstlose Arbeit für diesen Friedensauftrag nicht vergessen kann. Andererseits jedoch meine lieben Brüder: was für eine Strecke müssen wir auf diesem Weg noch zurücklegen! Doch laßt euch nicht entmutigen oder vom Fatalismus niederschlagen, denn mitten im Dunkel der Schwierigkeiten erstrahlt immer eine neue Morgenröte, die ihre Kraft aus dem von Jesus Christus bereits errungenen Sieg schöpft (vgl. Joh 14,27). Jesus ist es in der Tat, der die Wurzel jeglicher Konfrontation unter den Menschen — die Sünde also — vernichtet hat und alle Dinge mit Gott versöhnt: „Alles im Himmel und auf Erden ..., der Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut“ (Kol 1,20). Der erlösende Christus ist der Christus, der den Vater mit allen Brüdern versöhnt, und deswegen ist er auch der friedenstiftende Christus: Der Fürst des Friedens. 3. „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen“ {Joh 14,23). Um den wirklichen Frieden zu erlangen, den Frieden Christi, ist es notwendig, daß. er in unserem Inneren wohnt, daß in unserer Seele der Vater und der Sohn in der Einheit des Heiligen Geistes Wohnung nehmen. „Der irdische Friede, der seinen Ursprung in der Liebe zum Nächsten hat, ist aber auch Abbild und Wirkung des Friedens, den Christus gebracht hat und der 506 REISEN von Gott dem Vater ausgeht (...), Christus hat durch sein Kreuz alle Menschen mit Gott versöhnt und die Einheit aller in einem Volk und in einem Leib wieder hergestellt. Er hat den Haß an seinem eigenen Leib getötet, und durch seine Auferstehung erhöht, hat er den Geist der Liebe in die Herzen der Menschen ausgelassen.“ (Gaudium et spes, Nr. 78). Harmonisches Zusammenleben ist in mancher Hinsicht bedroht Der Frieden ist demzufolge eine Gabe der Heiligsten Dreifaltigkeit. Und damit Gott ihn uns gewährt, so daß wir sein Leben und seinen Frieden genießen können, fordert er von uns, daß wir ihn lieben, sein Wort bewahren und daß wir seine Gebote und Lehren treu befolgen (vgl. Joh 14,23-24). Damit die Eintracht zwischen den Brüdern erreicht werden kann, ermahne ich euch deshalb zur inneren Umkehr, so daß ihr mit Erfolg dieses Geschenk des Friedens, das Christus für uns vom Vater erlangt hat und das der Hl. Geist den aufnahmebereiten Herzen eingibt, aufnehmen könnt. Die Eintracht ist die Konsequenz des verantwortlichen Verhaltens, das jeder Mensch im Hinblick auf das Leben in der Gesellschaft annehmen muß. Das verlangt eine klare Entscheidung für den Menschen und für seine unveräußerlichen Rechte. Deswegen ruft euch der Papst dazu auf, eine klare Stellung ohne Zweideutigkeiten gegenüber den Situationen einzunehmen, die die Würde des Menschen zunichte machen: die Ungerechtigkeit, die Lüge, die Demagogie, die das Antlitz des wirklichen Friedens entstellt. Ihr müßt auch all das verwerfen, was erniedrigt und entmenschlicht: die Droge, die Abtreibung, die Folter, den Terrorismus, die Scheidung, die menschenunwürdigen Lebensumstände, die erniedrigenden Arbeiten (vgl. Gaudium et spes, Nr. 27). Aber das Verhalten des Christen angesichts der Tatsachen, die den Frieden gefährden, darf sich nicht in bloßer Kritik oder unfruchtbarer Rebellion erschöpfen; die Förderung des Friedens darf sich nicht darauf beschränken, die negativen Begleiterscheinungen der Krisensituationen, der Konflikte und Ungerechtigkeiten zu beklagen, sondern sie muß auch Lösungsvorschläge anbieten können, ein Faktor für die Entwicklung neuer Ziele und Ideale für die Gesellschaft und ein aktives Ferment in der Gestaltung einer menschlicheren und christlicheren Welt sein. Ein echter Friede hat eine genuine, empfindliche Struktur Ihr wißt sehr wohl, geliebte Brüder, wie sehr sich die Konfliktsituationen in gewissen Zonen Lateinamerikas eignen für Demagogie, sterilen Streit, gegenseitige Anschuldigung und andere Verhaltensweisen, die nicht immer zu 507 REISEN positiven Lösungen führen. Es ist dringend nötig, einen Weg für jene Lösungen zu finden, die die Versöhnung der sich gegenüberstehenden Seiten ermöglichen, und zwar durch Toleranz, den Geist des Dialogs und Verständnisses, im Rahmen eines gesunden Pluralismus. Mit denselben Vorsätzen müßt ihr in euch und in allen um euch einen wirklichen Willen zum Frieden fördern, der von den christlichen Prinzipien inspiriert ist, die nie mit Mißbräuchen und Ungerechtigkeiten einhergehen. Es darf aber niemals die Konfrontation oder die Gewalt als Lösungsweg für die Konflikte gewählt werden. Nehmt eine piositive Haltung zum Frieden ein, der eine Gabe Gottes ist, die sich der Mensch jeden Tag von neuem verdienen und erkämpfen muß, indem er den Frieden in jedem Augenblick als dessen einfallsreichen Urheber — aus seinem Innersten heraus, fördert. 4. Was die Verkündigung des Gotteswortes betrifft, ermuntert uns der hl. Paulus folgendermaßen: „Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott. Und der Friede Gottes, der alles übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in der Gemeinschaft mit Christus Jesus bewahren!“ (Phil 4,6-8). Der innere Zustand des Menschen prägt die äußeren Umstände Das war auch der Sinn des Gebetstreffens, das im vergangenen Oktober in Assisi stattgefunden hat: daran zu erinnern, daß sich der Weg zum Frieden als einer Gabe Gottes vor allem auf das Bittgebet stützen muß. Es hat mich mit großer Freude erfüllt zu erfahren, daß das Treffen in Assisi in dieser Erzdiözese einen besonderen Widerhall fand; der Papst ermutigt euch, in bescheidenem und vertrauensvollem Bitten um den Frieden beharrlich zu sein. Außer dem Gebet sollen wir nach den Worten des hl. Paulus auf alles „was immer ehrenhaft ist, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist“, unsere Gedanken richten. Und was ihr gelernt und angenommen, gehört und an mir gesehen habt, das tut! Und der Gott des Friedens wird mit euch sein!“ (Phil 4,8-9). Die Kirche hat ohne Unterlaß daran erinnert, daß das Evangelium des Friedens nur durch die Herzen der Menschen zu den Institutionen gelangt, und es in der Gesellschaft keinen Frieden stiften wird, solange es vorher nicht den Gewissen Frieden gebracht hat durch Befreiung von der Sünde und deren gesellschaftlichen Folgen. Wenn diese innere Umwandlung in der Seele eines jeden einmal erreicht ist, werden aus der Kraft des Lebens neue Formen der gesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen entstehen, und der Weg zu einer „Kultur des Friedens“ wird sich in der Welt auftun. Wundert euch also 508 REISEN nicht, wenn der Papst so sehr darauf besteht, daß sich zuerst jeder einzelne bemühen muß, die eigenen Fehler zu überwinden, gegen den Egoismus zu kämpfen, die Antipathien zu kontrollieren, keine Gräben zu den anderen zu schaffen und aggressive Polemik zu vermeiden. Vergeht nicht, geliebte Brüder, daß die Qualität dieser Frucht von dem abhängt, was wir persönlich gesät haben (vgl. Gal 6,8-10). Dieser Vorrang, den die persönliche Bekehrung vor dem Wandel der Strukturen hat (vgl. Instr. Libertatis conscientia, Nr. 75), ist keine Doktrin, die lediglich das Ziel hat, die Gewissen zu beruhigen. Im Gegenteil, hier liegt ein anspruchsvoller Aufruf zur Konsequenz in einem christlichen Leben vor, weil die Umsetzung persönlicher Tugend in eine Besserung der Strukturen nicht etwas Automatisches ist — wie nichts im eigentlichen Sinne Menschliches. Die unaufhörliche innere Erneuerung, zu der der Christ aufgerufen ist, geht mit der Anstrengung einher, je nach den Umständen bei der Umwandlung der Gesellschaft mitzuhelfen: „Unser soziales Verhalten ist ein ergänzender Teil unserer Nachfolge Christi“ (Puebla, Nr. 476). Ich möchte ferner daran erinnern, daß der Familie bei dieser Umwandlung der Gesellschaft eine hervorragende Bedeutung zukommt. Wie soll in einem Land Frieden herrschen, wenn die Familien entzweit und unfähig wären, die Konflikte in der grundlegenden Keimzelle jedes Zusammenlebens zu überwinden, indem man die Auflösung der Ehe akzeptieren würde. 5. Wenn ihr also konsequent sein wollt, müßt ihr selbst jene Werte Vorleben, die die Stützpfeiler des gesellschaftlichen Lebens ausmachen. Ich denke vor allem an jene Tugenden, die eine wichtige und wesentliche Stütze für die Zivilisation der Liebe und des Friedens sind. — An erster Stelle die Ordnung, weil, nach einem Wort des hl. Augustinus, Frieden „die Ruhe in der Ordnung“ bedeutet {De civitate Dei, 19,13). Nicht nur die äußerliche Ordnung, sondern eine innere Rangordnung von Werten, die das Wollen Gottes widerspiegeln, weil der Frieden „die Frucht der Ordnung ist, die der Gesellschaft von ihrem göttlichen Schöpfer auferlegt worden ist, eine Ordnung, die die Menschen vollenden müssen“ {Gaudium et spes, Nr. 78). Eine Ordnung, die euch dazu anhält, die Werte einer jeden Person und Gruppe, die übergeordneten Bedürfnisse des Allgemeinwohls, unter allen Umständen aber die Wahrung unverzichtbarer Menschenrechte, den Vorzug des Seins vor dem Haben, zu achten. — Gerechtigkeit: . „Die Wirkung der Gerechtigkeit wird Friede sein“ {Jes 32,17); ebenso haben die Konflikte ihren Ursprung in der Ungerechtigkeit. „Kann denn ein echter Friede existieren, wenn Männer, Frauen und Kinder ihre volle menschliche Würde nicht erreichen können? Kann dauerhafter 509 REISEN Friede in einer Welt bestehen, deren soziale, ökumenische und politische Verhältnisse eine Gruppe oder ein Land auf Kosten anderer bevorzugen? Kann sich echter Friede ausbreiten, wenn nicht endlich jene große Wahrheit anerkannt wird, nach der ein jeder von uns dieselbe Würde besitzt, weil wir nach dem Ebenbild Gottes unseres Vaters erschaffen worden sind?“ (Botschaft zum Weltfriedenstag, 8. Dezember 1986, Nr. 2). — Die Liebe zur Freiheit: wer immer versucht, sie zu verhindern, unterjocht auch den wirklichen Frieden der Menschen, der Institutionen und der ganzen Gesellschaft. Die erzwungene Abhängigkeit einiger sozialer Gruppen von anderen kann nicht gebilligt werden und widerspricht dem Grundgedanken der eigentlichen Ordnung und Eintracht. Situationen dieser Art, sei es in einem einzelnen Land oder auf internationaler Ebene, mögen eine gewisse äußere Ordnung vortäuschen, werden aber bald zu Gründen für spätere Unterdrükkung und wachsende Gewaltanwendung. Die Freiheit, die Menschen und Nationen haben müssen, um ihre Gesamtentwicklung als wertvoller Teil der Menschheitsfamilie sichern zu können, hängt von dem gegenseitigen Respekt im nationalen Bereich und innerhalb der internationalen Ordnung ab. Frieden erfordert Willenskraft — Stärke: der Frieden kann nicht mit einer falschen Irenik verwechselt werden; er verlangt eine wirkliche Stärke, um Konflikte und Hindernisse zu überwinden, die es wohl immer geben wird: „Der Frieden ist nie ein Erwerb von Dauer, sondern man muß sich fortwährend um ihn bemühen. Da der menschliche Wille schwach und von der Sünde verletzt ist, verlangt die Gestaltung des Friedens eine ständige Beherrschung jedes einzelnen über seine Leidenschaften und die Überwachung von Seiten der Amtsgewalt“ (Gaudium et spes, Nr. 78). Liebe Mendozaner und Cuyaner, diese menschliche Stärke, die ihr sooft bewiesen habt, als es darum ging, die Wüste in eine Oase zu verwandeln und eure Felder trotz der Widrigkeit der Plagen, des Frostes und der Erdbeben aufzubauen, beweist sie auch darin, indem ihr die saftige Frucht des Friedens und der nationalen und universalen Eintracht wachsen laßt. — Nächstenliebe: ein Verhalten, das — in gewisser Weise — die vorherigen miteinschließt, ist die weltumfassende Solidarität, die auf der Würde eines jeden Menschen und auf dem Gebot der Liebe beruht. Betrachtet die anderen immer als eure Brüder — Kinder desselben himmlischen Vaters — und liebt sie so wie sie sind, wobei ihr die Andersartigkeit eines jeden verstehen und akzeptieren sollt. Die Nächstenliebe wird euch dazu bringen, den 510 REISEN Groll, die Meinungsverschiedenheiten und Zwietracht zu überwinden; sie wird euch dazu bringen, nicht auf das zu achten, was die Gemüter trennt, sondern auf das, was sie in gegenseitigem Verständnis und Achtung vereinigen kann. Und all das soll sich vorzugsweise zum Wohl derer äußern, die am meisten hilfsbedürftig und wehrlos sind. 6. Wir haben gerade das zwanzigjährige Bestehen der Enzyklika Populo-rum progressio gefeiert, in dem uns Papst Paul VI. verstehen ließ, daß die Entwicklung der neue Name des Friedens ist. Deswegen wollte ich für dieses Jahr die Solidarität und die Entwicklung als unentbehrliche Schlüssel zur Gestaltung des Friedens vorschlagen (vgl. Botschaft zum Weltfriedenstag, 8. Dezember 1986). Aber ihr dürft nicht vergessen, daß diese Entwicklung das Fundament für den Frieden sein wird, wenn man sie nicht nur auf ein billiges Mittel zu Gewinn oder wirtschaftlicher Produktion reduziert, noch auf einen bloßen Weg zu einer löblichen sozialen Gerechtigkeit. Sie ist viel mehr als das: es ist geboten, die Entwicklung und das ganzheitliche Wohl des Menschen zu fördern, das nicht nur die materielle, ökonomische und soziale Ebene bedeckt, sondern vor allem seinen geistigen Fortschritt einschließt, ohne den der Mensch immer unvollständig und verstümmelt bleiben würde. Es ist notwendig darauf zu beharren, daß der Mensch der Mittelpunkt eines jeglichen sozialen Fortschritts ist; jeder Mann und jede Frau hat, unabhängig von ihren Umständen, eine vorrangige Bedeutung vor den Dingen; dieser Vorzug beruht auf der Würde des Menschen, der nach dem Ebenbild Gottes gezeugt und dazu aufgerufen ist, an der Erlösung Christi teilzuhaben. Und wir können uns fragen: ist es in der Gegenwart möglich, diesen Vorrang des Menschen als Fundament eines echten Friedens gültig zu machen? Oder allgemeiner ausgedrückt: ist es möglich, dieser sozialen Doktrin der Kirche als einer Basis für eine universelle Eintracht, eine historische, ökonomische und politische Wirksamkeit zu verleihen? Auf diese Frage hat schon Papst Paul VI. geantwortet: „Ja, es ist möglich, weil die christliche Soziallehre das Charisma der Wahrheit besitzt: sie kennt und deutet die Natur des Menschen und der Welt (...). Ja, es ist möglich, wenn intelligente und großzügige Menschen, fähige und freimütige Katholiken, vornehme und tapfere Seelsorger, konflikterfahrene Söhne aus dem Volk, konsequent und zuverlässig, sich der großen Aufgabe verschreiben, eine gerechte, freie und christliche Gesellschaft zu schaffen. Ja, es ist möglich, wenn all diejenigen, die sich dieser Aufgabe widmen, in den Quellen und der Gnade des Glaubens jene geheimnisvolle und unentbehrliche Ergänzung an Licht und 511 REISEN Kraft zu finden wissen, die eben der ursprüngliche Beitrag des Christentums zur Rettung der Welt ist“ (vgl. NS, 15.5.1965). Ja, liebe Kinder Gottes, es ist möglich, den Frieden zu erlangen, aber „nicht wie die Welt (ihn) gibt, gebe ich euch“ (Joh 14,27); wie uns das Evangelium lehrt, ist unser Friede der Frieden Christi; und er gewährt ihn immer denen, die er liebt (vgl. Lk 2,14). Die machtvolle Fürsprache der Muttergottes, Königin des Friedens, der Jungfrau vom hl. Rosenkranz, die ihr hier in Mendoza verehrt, die Fürbitte Mariens, die von allen Cuyanern so geliebt und verehrt wird, möge eine Garantie dafür sein, von ihrem Sohn diese Gabe Gottes zu erhalten, die wir jeden Tag neu zu erkämpfen haben. Die Freiheit Christi befreit Ansprache in San Miguel de Tucuman (Argentinien) am 8. April „Die Leiden der gegenwärtigen Zeit bedeuten nichts im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll“ (Röm 8,18). Mit diesen Worten forderte der hl. Paulus die Christen Roms auf, ihren Blick über die schwierigen Umstände, die sie gerade durchmachten, hinaus zu erheben, und die unerforschliche Größe unserer Gotteskindschaft zu erkennen, die in uns allen gegenwärtig ist, auch wenn sie nicht immer in ihrer Fülle offenbar ist (vgl. Joh 3,2), Es ist ein so unermeßlich großes Gut, daß die gesamte Schöpfung „seufzt und in Geburtswehen liegt“ und darauf wartet, an der Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes, „die an uns offenbar werden sollen (Röm 8,18,21-22), teilzunehmen. Dieser Auslegung des Apostels Folge leistend, ist der Nachfolger Petri nach Tucuman gekommen, um mit euch die Barmherzigkeit Gottes des Vaters zu loben, der uns Kinder Gottes nennen wollte und wollte, daß wir es seien (vgl. 1 Joh 3,1). Hier in der Stadt San Miguel de Tucuman liegt — wie ihr sagt — die Wiege der Unabhängigkeit, hier begann euer geschichtlicher Weg als unabhängige Nation. Seit damals fühlt ihr Nordargentinier euch diesem Ort besonders verbunden; ihr habt hier eine ausgeprägte Vaterlandsliebe entwickelt, auch aus dem Verantwortungsgefühl heraus, die Freiheit und kulturelle Tradition von Argentinien zu bewahren. Im Christen wurzeln diese edlen Gefühle im Geschenk der Gotteskindschaft und finden dort auch Grundlage, Sinn und Maß. Es ist also richtig, daß wir uns hier versammeln, um Gott dem Vater dafür zu danken, daß wir Kinder Gottes heißen und es auch wirklich sind; 512 REISEN unser Dank vereint sich mit unserer Bitte, daß alles in unserem Leben dieser grundlegenden Wahrheit entspreche: Wir sind Kinder Gottes! 2. In diesem Rahmen begrüße ich alle hier anwesenden Vertreter der Öffentlichkeit und danke ihnen für ihre Teilnahme an dieser Feier. Die politische Verantwortung füllt sich mit neuer Lebenskraft, wenn jeder einzelne sich als Kind Gottes sieht, was dazu führt, die Vorsehung und Güte Gottes des Vaters nachzuahmen und immer weitreichendere und hochherzigere Initiativen zum Wohle aller zu verwirklichen. Ich grüße herzlichst meine Brüder im Bischofsamt, allen voran den Erzbischof von Tucuman wie auch die Suffragane der Diözesen Santiago del Este-ro, Santissima Concepcion und Anatuya. Zusammen mit ihnen begrüße ich auch alle hier anwesenden Priester und Ordensleute. Mein besonderer Gruß gilt allen Seminaristen. Ich weiß, daß in der letzten Zeit die Zahl der Berufungen angestiegen ist, und diese Tatsache euren Erzbischof zum Bau eines neuen Seminars veranlaßt hat, das kürzlich fertiggestellt wurde. Euch alle fordere ich auf, mit Verstand und Herz Christus immer eifriger zu dienen und daran mitzuwirken, mit ihm „viele Söhne zur Herrlichkeit zu führen“ (Hebr 2,10). Gott wirkt das Heil der Menschen in drei Personen Ich begrüße alle Bewohner von Tucuman und Santiago, die an dieser liturgischen Feier teilnehmen wollen. Seid würdige Erben jener Männer und Frauen, die euch die Saat des Glaubens brachten. Danken wir Gott, weil seine Predigt und sein Zeugnis tief in euch verwurzelt sind und euer individuelles wie gesellschaftliches Leben christlich inspiriert haben. Seid stolz auf euren christlichen Glauben und eure Stellung als Kinder der katholischen Kirche und als Kinder Gottes. 3. Unsere Stellung als angenommene Kinder Gottes ist Frucht der Heilstat Christi und kommt jedem einzelnen durch die Mitteilung des Heiligen Geistes zu. Sie ist darum eine Wirklichkeit, die im zentralen Geheimnis unseres Glaubens wurzelt: der Heiligsten Dreifaltigkeit (vgl. Dominum et vivificantem, Nr. 52). Andererseits betrifft die Gotteskindschaft unsere Person in ihrer Gesamtheit, all das, was wir sind und haben, alle Bereiche unseres Daseins; sie beeinflußt manchmal auf spezifische Weise die Wirklichkeit, in der das Leben der Menschen abläuft, d. h., das ganze geschaffene Weltall. Aus dieser Perspektive finden wir den Stil des Lebens, den wir führen müssen, wenn unser ganzes Tun mit unserer Stellung als Kinder Gottes überein- 513 REISEN stimmen soll. So lehrte der hl. Paulus; daß es eine Vorherbestimmung der Söhne gibt, „damit wir heilig und untadelig leben vor Gott“ (Eph 1,4) und deshalb „ähnlich dem Bilde seines Sohnes sind“ (Röm 8,29). Die Gotteskind-schaft bedeutet deshalb einen an alle gerichteten Aufruf zur Heiligkeit und weist uns überdies an, daß sich diese Heiligkeit an dem Vorbild und Bild des geliebten Sohnes ausrichten muß, an dem der Vater seinen Gefallen gefunden hat (vgl. Mt 17,5). Wir befinden uns damit im .Herzen der Geheimnisse unseres Glaubens und in diesem Sinne möchte ich euch jetzt auffordem, mit mir über die grundlegenden Eigenschaften dieser Gotteskindschaft nachzudenken: Freiheit und Pietät. In der Sprache der Bibel sind diese beiden Begriffe anscheinend verknüpft: Die Freiheit ist die der Söhne eigene Stellung im Gegensatz zur Sklavenstellung der Knechte. Der Unterschied zwischen beiden bestand darin, daß die Söhne Anteil an dem Erbe der Väter hatten, d. h. an Gütern und Besitz. Das erlaubte ihnen, in Freiheit und .Würde zu leben, sich für den Lebensunterhalt nicht anderen Menschen untertan machen zu müssen. Daraus folgt, daß die Kinder in ihren Eltern nicht nur den Ursprung ihres Daseins, sondern auch ihrer Freiheit und Würde erkennen. Sie müssen ihrerseits die Eltern pflichtgemäß ehren und das väterliche Erbe bewahren. Genau diese den Eltern gezollte Ehre zusammen mit der Treue zum Erbe ist die Pietät, eine Tugend, die das Fundament der Kindesliebe bildet sowie Anerkennung und Dankbarkeit gegenüber den Eltern zugleich mit dem Gehorsam gegenüber ihren Anweisungen in sich schließt. Angewandt auf Gott und die Beziehung zu seinem Volk bekam all das in Israel eine transzendente Bedeutung. Freisein bedeutete vor allem, in nichts Sklave der Sünde zu sein, keinen fremden Göttern oder irgendwelchen Götzenbildern einschließlich des eigenen Ichs, zu dienen. Positiv ausgedrückt bedeutete es Heiligkeit, es besagt völlige Hingabe an den Dienst und an die Ehre Gottes. Die Freiheit beruht auf dem Besitz des Landes, das Gott den Juden verbindlich zugesagt hatte und auf dem Versprechen „eines unzerstörbaren, makellosen und unvergänglichen Erbes“ (1 Petr 1,4), das durch die Ankunft des Messias Wirklichkeit wurde. Daher besteht die Pietät der Kinder in ihrer Treue zu Gott und der gehorsamen Befolgung seiner Gebote und Vorschriften. All das war zweifellos nur ein Bruchteil der Freiheit der Kinder Gottes, die Christus für uns erwarb. „Wenn euch also der Sohn befreit, dann seid ihr wirklich frei“ {Joh 8,36). Das sagte Jesus zu den Juden, die dann „an ihn glaubten“ {Joh 8,31). Jesus sagt uns allen heute das gleiche und ich möchte es für alle Argentinier in dieser geliebten Stadt Tucuman wiederholen: „Wenn euch also der Sohn befreit, dann seid ihr wirklich frei!“ 514 REISEN 5. Ich möchte jetzt, daß ihr all diese Wirklichkeit der geschichtlichen Erfahrung eures Vaterlandes in Verbindung bringt. Seit seiner Geburt als Nation, die hier in der Casa de Tucuman besiegelt wurde, ist Argentinien immer von einem sicheren Instinkt geleitet worden, der die Freiheit seiner Bewohner mit der Treue zu diesem Erbe eng verknüpft: eurer Erde, eurem Erbe, euren hervorragenden Traditionen. Überdies ist die ganze Kultur, die Spanien nach Amerika brachte, durchdrungen von christlichen Prinzipien und Empfinden, und all das ergibt einen Lebensstil, der von den Idealen der Gerechtigkeit, der Brüderlichkeit und der Liebe durchdrungen ist. All das fand einen vielfältigen und glücklichen Ausdruck in der theologischen, juristischen und erzieherischen Aktivität und in der Förderung des sozialen Fortschritts. Die Nordargentinier schöpften aus diesen geistigen Quellen, die, eingebettet in die verschiedenen historischen Geschehnisse des entstehenden Landes, viele eurer Führer veranlaßten, das Schicksal, das sich später für euer Volk als unsicher erwies, in die Hände Gottes und der Jungfrau Maria zu legen. Nun steht ihr vor einem neuen Abschnitt eures geschichtlichen Weges und seht, wie notwendig eine wahrhafte Versöhnung aller Argentinier ist, eine größere Solidarität, eine klare Beteiligung aller an den gemeinsamen Vorhaben. Die Aufgabe, die vor euch liegt, ist wirklich groß und erhaben! Aber über diese konkreten Initiativen hinaus, die ihr fördern müßt und für die ihr zuständig seid, möchte euch der Papst — in voller Übereinstimmung mit eurer eigenen geschichtlichen Erfahrung — an die Worte des Psalms erinnern, die wir vor kurzem gebetet haben; das bringt uns dazu, unseren Blick und unsere Hoffnung auf Gott zu lenken: „Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut. Wenn nicht der Herr die Stadt bewacht, wacht der Wächter umsonst“ (Ps 127,1). Argentinier und Argentinierinnen! Trachtet, daß euer Verhalten in Übereinstimmung sei mit der „Freiheit, zu der uns Christus befreit hat“ (vgl. Gal 5,1), die den Sinn, das Maß und die Beschaffenheit für die anderen Formen der Freiheit und der menschlichen Würde abgibt. So liebt ihr euer Vaterland und dient ihm mit großherzigem Einsatz. <30> <30> Die Freiheit, die uns Christus geschenkt hat, befreit uns — wie der hl. Paulus lehrt — von der Sklaverei der „Elementarmächte dieser Welt“ (Gal 4,3), d. h. von der falschen Wahl des Menschen, die ihn dazu bringt, Göttern, „die in Wirklichkeit keine sind“ (Gal 4,8) zu dienen und ihre Sklaven zu werden: Egoismus, Neid, Sinnlichkeit, Ungerechtigkeit, die Sünde in gleichwelcher Erscheinungsform. Die christliche Freiheit führt uns dahin, Gott den Vater zu ehren, indem wir 515 REISEN dem Beispiel Christi, des eingeborenen Sohns, folgen, der „Gott gleich war und dennoch den Menschen gleich wurde“ und in seinem Menschenleben sich erniedrigte und gehorsam war bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,6-8). Der Erlöser erlöste uns, indem er dem Vater aus Liebe gehorchte, und er ist seiner Frömmigkeit wegen erhört worden (vgl. Hehr 5,7). Jesus hat den Heilsplan des Vaters, vom Heiligen Geist bewegt, durchgeführt. Dieser gleiche Geist, den Gott in unser Herz sandte, ruft: Abba, Vater! (vgl. Gal 4). Dieses Wort „abba“ ist der Name, mit dem sich ein Kind in hebräischer Sprache normalerweise an seinen Vater richtet, ein Wort, das phonetisch gesehen sehr dem ähnelt, das ihr zu gebrauchen gewöhnt seid und mit dem ihr euch auch an Gott den Vater wendet, den ihr mit viel Verehrung und VertrauenTata Dios nennt. Für Jesus war der Wille Gottes die Speise seines Lebens (vgl. loh 4,34), die ihn nährte und seinem Wirken unter den Menschen Sinn gab. Und das gleiche muß im Leben der Kinder Gottes geschehen: wir müssen unser Leben als einen Akt des Dienstes, des Gehorsams, als einen freien, liebevollen und souveränen Plan Gottes unseres Vaters ansehen! Wenn wir das, was Gott will, wenngleich unter Opfern, erfüllen, dann ziehen wir die Freiheit, Liebe und Souveränität Gottes an. Ihr versteht, daß dies eine Aufgabe ist, die uns übersteigt; wir sind jedoch nicht allein, der Geist ist es, der „selbst eintritt für uns mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können“ (Röm 8,26). Wir müssen uns vom Heiligen Geist leiten lassen, wie es sich für Kinder schickt und durch den Geist die Taten des Leibes töten und nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geiste leben (Röm 8,4,13-17), indem wir einander in Liebe dienen (vgl. Gal 5,13). „Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar“, sagt der hl. Paulus und erwähnt, u. a.: Unzucht, Feindschaften, Streit, Neid, Trinkgelage (vgl. Gal 5,19-21). Die Frucht des Geistes hingegen ist: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Sanftmut und Selbstbeherrschung (vgl. Gal 5,22-23), und dies bedeutet Freiheit. Die Freiheit wurde dem Menschen nicht gegeben, damit er das Schlechte, sondern damit er das Gute tue, damit er in der Liebe wachse. Die Freiheit verwirklicht sich durch die Liebe, die Liebe zu unseren Brüdern .Das ist die wahre Freiheit: ohne diese ethische, spirituelle Dimension der Freiheit ist der Mensch nicht wirklich frei; bleibt sie unterdrückt, bleibt er Sklave der eigenen Leidenschaften, seiner Sünden. Das ist nicht Freiheit. Der Mensch ist frei, wenn er das Gute tut, wie uns der hl. Paulus lehrt: Das höchste aller Güter ist die Liebe zu Gott, die Liebe zu den Brüdern. <31> <31> Der Lebensstil der Kinder Gottes muß alle Bereiche des menschlichen Lebens prägen und deshalb auch eure Identität als Bürger, als Argentinier, euer individuelles, familiäres und gesellschaftliches Verhalten. 516 REISEN Das ist so, denn wie es uns das Vaticanum II lehrt, „hat sich der Gottessohn in seiner Menschwerdung in gewisser Weise mit jedem Menschen vereinigt. Mit Menschenhänden hat er gearbeitet, mit menschlichem Geist gedacht, mit einem menschlichen Willen hat er gehandelt, mit einem menschlichen Herzen geliebt. Geboren aus Maria, der Jungfrau, ist er in Wahrheit einer aus uns geworden, in allem uns gleich, außer der Sünde“ (vgl. Hebr 4,15) (Gaudium et spes, Nr. 22). All unser menschliches Sein und Handeln wurde so von der göttlichen Person des Gottessohns angenommen und erhoben. Christus hat uns überdies durch die Gabe des Heiligen Geistes teilgegeben an der Herrschaft, die er über die ganze Schöpfung hat. Ihm gehorchen „sogar der Wind und die See“, wie wir vor einigen Augenblicken in der Erzählung des Markusevangeliums gehört haben (Mk 4,41). In ihm werden alle Dinge, die des Himmels und der Erde, zusammengefaßt (vgl. Eph 1,10). „Wenn ihm dann alles unterworfen ist, wird auch er, der Sohn, sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott herrscht über alles und in allem“ (1 Kor 15,28). Christologische Kosmologie künden Ihr argentinischen Katholiken müßt in diesem Sinne dazu beitragen, daß „die gesamte Welt in Wahrheit auf Christus hingeordnet“ werde (Apostolicam ac-tuositatem, Nr. 2), mit allen Menschen Zusammenarbeiten, um die Ordnung der weltlichen Dinge wiederherzustellen und ohne Unterlaß zu vervollkommnen, gemäß dem „Eigenwert“, den Gott in die Güter des Lebens und der Familie, der Kultur, Wirtschaft, der Künste und Berufe, der politischen Institutionen und internationalen Beziehungen, usw. in sich betrachtet, gelegt hat (ebd. Nr. 7). Vertraut dabei dem Licht und der Kraft des Heiligen Geistes! Von den vielen hier möglichen Betrachtungen möchte ich eine konkrete herausgreifen: die Pietät im Leben des Staatsbürgers, die heute Vaterlandsliebe oder Patriotismus heißt. Für den Christen ist sie eine Form der christlichen Liebe, ebenfalls Erfüllung des 4. Gebots, denn die Pietät umschließt in dem schon erwähnten Sinne —wie es der hl. Thomas von Aquin lehrt (Summa Theol. 11-11, q. 101, Art. 3 ad 1) das Ehren der Eltern, Ahnen und der Heimat. Das Vaticanum II hat in dieser Hinsicht ebenfalls eine lichtvolle Lehre gegeben. Hier heißt es: „Die Staatsbürger sollen eine hochherzige und treue Vaterlandsliebe pflegen, freilich ohne geistige Enge, vielmehr so, daß sie dabei das Wohl der ganzen Menschheitsfamilie im Auge behalten, die ja durch die mannigfachen Bande zwichen den Rassen, Völkern und Nationen miteinander verbunden sind“ (Gaudium et spes, Nr. 75). Bedenkt auch, daß die Liebe zu Gottvater, übertragen auf die Liebe zum Va- 517 REISEN terland, euch dahin bringen muß, daß ihr euch mit allen Menschen solidarisch und vereint fühlt. Ich wiederhole: mit allen! Denkt weiterhin daran, daß man die Freiheit, die euch eure Eltern gaben, am besten erhalten kann, wenn man die Tugenden wie Festigkeit, Unternehmungsgeist und Weitblick pflegt, die dazu beitragen, daß euer Land noch blühender, brüderlicher und gastlicher wird. 8. Wachst in Christus! Liebt euer Vaterland! Erfüllt eure Pflicht in Beruf, Familie und als Staatsbürger mit Kompetenz und durchdrungen von eurer Stellung als Gottes angenommene Kinder! Ich bin sicher, daß ihr es tut. Ich sehe auf euren Gesichtem die Hoffnung Argentiniens leuchten, das einer hellen Zukunft entgegengehen möchte und das mit dem Versprechen seiner Jugend rechnet, der Arbeit seiner Männer und Frauen, der Tugend und Freude seiner Familien und dem innigen Wunsch nach Frieden, Solidarität und Eintracht in der ganzen großen Familie Argentinien. All eure Wünsche und gerechten Erwartungen empfehle ich eurer Patronin und Mutter, Unserer Lieben Frau zu Lujän, Unserer Lieben Frau von der Barmherzigkeit. Sie bitte ich, Fürbitte bei ihrem geliebten Sohn einzulegeri, und euch erteile ich von ganzem Herzen den Apostolischen Segen. Leiden kann Werkzeug der Erlösung sein Ansprache an die Kranken in Cordoba (Argentinien) am 8. April Liebe Brüder und Schwestern! 1. Der hl. Evangelist Markus erzählt, eines Tages, als Jesus in der Umgebung von Genesaret war, da „... begannen sie, Kranke auf Tragbahren zu ihm zu bringen, sobald sie hörten, wo er war“ (Mk 6,55). Der Papst wollte zu euch kommen, um euch zu sagen, daß Christus immer denen nahe ist, die leiden und die er zu sich ruft; noch mehr: um euch zu sagen, daß ihr berufen seid, „ein anderer Christus“ zu sein und an seiner erlösenden Sendung teilzunehmen. Was ist die Heiligkeit anderes als Christus nachzuahmen und sich mit ihm zu identifizieren? Wer dem Leiden mit bloß menschlichem Sinn gegenübertritt, kann seinen Sinn nicht verstehen und leicht in Mutlosigkeit verfallen; man kommt nur bis dahin, es höchstens mit trauriger Resignation vor dem Unvermeidlichen anzunehmen. Im Gegensatz dazu wissen wir Christen — durch den Glauben angeleitet—, daß das Leiden sich — 518 REISEN wenn wir es Gott anbieten — in ein Werkzeug der Erlösung und in einen Weg der Heiligkeit verwandeln kann, das uns hilft, den Himmel zu erlangen. Für einen Christen ist der Schmerz kein Grund zur Traurigkeit, sondern zur Freude: zum frohen Wissen, daß im Kreuz Christi jeder Schmerz einen erlösenden Wert besitzt. Auch heilte lädt uns der Herr ein, indem er sagt: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen“ (Mt 11,28). Wendet also ihm eure Augen zu mit der festen Hoffnung, daß er euch Linderung verschafft und ihr in ihm Trost finden werdet. Fürchtet euch nicht, ihm von eurem Leid zu erzählen, vielleicht auch von eurer Einsamkeit; stellt ihm die Gesamtheit der kleinen und manchmal auch großen Kreuze jeden Tag vor; denn auch wenn sie oft unerträglich zu sein scheinen, werden sie nicht drücken, weil Jesus selbst es ist, der sie für euch tragen wird: „Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen ...“ (Jes 53,4). Auf diesem Weg der Nachfolge Christi werdet ihr die innere Freude empfinden, den Willen Gottes zu erfüllen, eine Freude, die mit dem Schmerz vereinbar ist, weil es zur Freude der Kinder Gottes gehört, sich berufen zu wissen, Jesus auf seinem Weg nach Golgota gänzlich zu folgen. 2. Wir wissen dank der göttlichen Offenbarung, daß der Schmerz und das Leiden seit der Sünde unserer Stammeltern (vgl. Gen 3,17-19) untrennbar mit dem menschlichen Los verbunden sind. Trotzdem haben dieser Schmerz und dieses Leid einen erlösenden Wert, weil sie durch Christus übernommen worden sind: ,, ... sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8). Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, wollte uns von Sünde, Schmerz und Tod befreien. Dafür erlitt er die blutige Passion, die ihren Höhepunkt in der Hingabe seines Lebens am Kreuz hatte und auf die die glorreiche Auferstehung folgte. So hat er die Erlösung des Menschengeschlechtes bewirkt. In dieser Fastenzeit bereiten wir uns vor, mit besonderer Intensität während der Karwoche, im Geist diese Geheimnisse unserer Erlösung zu leben. In dieser Erlösung, bewirkt durch Jesus Christus, habt ihr eine besondere Rolle — denn wie der hl. Paulus sagt — ihr ergänzt in eurem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt (Kol 1,24). Die Erlösung, die uns Christus ein für allemal gewann, wird im Lauf der Zeit durch die Kirche auf die Menschheit übertragen, die sich in besonderer Weise auf Schmerz und Leid der Christen stützt, weil sie „der andere Christus“ sind. 519 REISEN Die Krankensalbung stärkt den Leidenden für seine Aufgaben 3. Die Kirche trägt euch wie eine gute Mutter in ihrem Herzen; sie betrachtet in euch das geliebte Antlitz des leidenden Christus. Er ist ständig mit euch, damit sich der Schmerzensweg, auf dem ihr euch befindet, in einen Altar umwandelt, auf dem ihr euch Gott darbringt zu seinem Ruhm und zur Erlösung der ganzen Welt. Diese sorgende Liebe Christi und der Kirche für euch kommt in ihrer ganzen Heilskraft auch im Sakrament der Krankensalbung zum Ausdruck. Wieviel Kraft findet ihr in ihm! Diese Salbung wird euch helfen, den Schmerz zu ertragen; sie wird euch Mut machen, damit ihr nicht in Angst verfallt, wie sie oft die Krankheit begleitet; wenn es der Vorsehung Gottes entspricht, wird er euch sogar die körperliche Gesundheit, vor allem aber die Gesundheit der Seele, schenken, indem er euch die Gegenwart Christi spüren läßt und euch — wenn er will — bereit macht, in der Ruhe und Freude guter Söhne und Töchter zum Vaterhaus zu gelangen. Unauffällige Helden erfüllen einen unspektakulären Auftrag 4. Ich möchte hier nicht die vielen vergessen, die sich in den Dienst ihrer leidenden Mitmenschen stellen; sie tun das nicht als schlichte Wohltätigkeit, sondern angetrieben durch die christliche Nächstenliebe. Und dafür wird euch derselbe Christus am Jüngsten Tag danken, wenn er euch sagt: ... „ich war krank, und ihr habt mich besucht...“ (Mt 25,36), denn „... was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Verwandte, Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger, Ordensleute, alle, die ihr in den Krankenhäusern arbeitet und diesen Dienst leistet, seid euch der großen Aufgabe bewußt, die Gott euch übertragen hat. Die Kranken, die von euch abhängig sind, brauchen und erwarten euren Beistand. Gott wird euch das Heldentum, das ihr oft bei der Pflege dieser eurer Brüder aufwendet, in reichem Maß belohnen. 5. Von grundlegender Bedeutung ist die Seelsorge, die die Priester unter den Kranken entfalten müssen. Kein Priester darf sich von dieser Pflicht befreit fühlen. Besonders jene, die mit der Sorge für die Seelen beauftragt sind, müssen sich bei der Ausübung ihres Dienstes mit dem Eifer des Guten Hirten ein-setzen. Eine wahre christliche Gemeinschaft läßt nie die am meisten Notleidenden und Allerschwächsten im Stich; sie läßt ihnen vielmehr ihre Hauptsorge zukommen. Im Geist eures Volkes schätzt man Edelmut und Solidarität, die in 520 REISEN eurem christlichen Glauben verwurzelt sind; Setzt eure Arbeit mit Nachdruck fort, damit euer Gespür erhalten bleibt und sich erneuert. Ich weiß, daß eine solche Initiative in dieser Stadt Cordoba aufgebaut und hier der erste priesterliche Notdienst geschaffen wurde. Dadurch stellen sich jede Nacht Priester und Laien zur Verfügung, offen für den Ruf Christi, der durch die Kranken an sie ergeht. Ich weiß auch, daß dieses großartige Beispiel in vielen Diözesen Argentiniens Nachahmung findet. Ich freue mich darüber und fordere euch auf, diese apostolische Arbeit fortzusetzen, durch: die die Sorge der Kirche sichtbar wird, wenn sie Tag und Nacht für ihre am meisten bedürftigen Kinder da ist. 6. Liebe Brüder und Schwestern, euch ist immer die allerseligste Jungfrau Maria nahe, wie sie am Fuß des Kreuzes Jesu stand. Eilt zu ihr hin, und legt ihr eure Schmerzen zu Füßen. Die mütterliche Hand und der Blick der Jungfrau werden euch Linderung verschaffen und euch trösten, wie nur sie es vermag. Wenn ihr den heiligen Rosenkranz betet, betont besonders die Anrufung der Litanei: „Du Heil der Kranken, bitte für uns.“ In der heiligen Messe, die ich heute feiern will, werde ich vor dem Herrn an alle denken und in besonderer Weise an euch, liebe Kranken; auf dem Altar werden eure Schmerzen mit Christus, dem Opferlamm vereint. Und jetzt erteile ich euch aus ganzem Herzen meinen persönlichen apostolischen Segen, und ich bitte zugleich, daß durch euer Gebet eure Leiden besonderen Wert erhalten. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Der Evangelisierungsauftrag betrifft alle Predigt bei der Eucharistiefeier in der Pferderennbahn von Salta (Argentinien) am 8. April „Ich habe verkündet, sie sollen umkehren, sich Gott zuwenden und der Umkehr entsprechend handeln“ (Apg 26,20) Liebe Brüder und Schwestern! 1. Mit diesen Worten, die dann in die Apostelgeschichte aufgenommen wurden, faßt der hl. Paulus, der Völkerapostel, den Inhalt seiner Verkündigung 521 REISEN zusammen. Er war in die Welt gegangen, um die Botschaft Jesu unter den Menschen seiner Zeit zu verbreiten. Dabei wiederholte er die dringende Aufforderung des Meisters: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15). Die gesamte Kirche hat im Laufe ihrer nun schon fast zweitausendjährigen Pilgerschaft über diese Erde nicht aufgehört, der ganzen Menschheit diese Botschaft der Buße, und Umkehr zu Gott zu verkünden. Eine Botschaft, die auf göttliche Weise wirksam ist, weil in der Kraft des Wortes .und der Sakramente die Macht Christi, der fleischgewordene Sohn Gottes, wirkt. An alle Generationen von Glaubensverkündern, die die Sendung des Herrn fortführen, ist jenes Gebot und jene göttliche Garantie gerichtet, mit der das Evangelium nach dem hl. Matthäus schließt: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern: tauft sie auf den Namen des Väters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,18-20). ■ . Der Evangelisierungsauftrag umfaßt „alle Völker“ und reicht „bis zum Ende der Welt“. Deshalb konnte es die Kirche angesichts der Tatsache, daß das 500. Gedenkjahr der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus im Jahr 1492 näherrückt, nicht versäumen, sich die Feier dieses Ereignisses zu eigen zu machen, hat sie doch im Laufe dieser fünfhundert Jahre in den unendlichen Weiten dieses Kontinents jenes Gebot Christi erfüllt. Die Vorsehung Gottes wollte es, daß mein Besuch in eurer Heimat genau innerhalb der neun Jahre stattfinden sollte, die dem Jubiläumsjahr 1992 vorausgehen, und somit gleichsam einen wichtigen Markstein der Vorbereitung des 500-Jahr-Jubiläums darstellt, das — so bitten wir Gott — eine Gnadenzeit für ganz Amerika sein soll. In diesem Rahmen gewinnt mein Aufenthalt in Argentinien die Bedeutung einer frohen und dankbaren christlichen und kirchlichen Feier dieses halben Jahrtausends der Evangelisierung in euren Ländern. Die traditionellen Werte durch den Christus glauben vollenden 2. Danke Herr, daß du mich bis in dieses geliebte Salta kommen ließest, das deine Stadt und die der Madonna vom Wunder ist! Danke für diese unvergeßlichen Stunden, die ich im Nordwesten Argentiniens verbringe! Herzlich und brüderlich grüße ich den Bischof dieser lieben Erzdiözese und alle meine geliebten Brüder im Bischofsamt in dieser Region, die das Volk Gottes in Jujuy, Orän Cafayate und Humahuaca führen. Ebenso begrüße ich die hier anwesenden Vertreter der zivilen Behörden. Meine Begrüßung will mit derselben Umarmung die Priester, Ordensmänner 522 REISEN und Ordensfrauen, alle anderen Gläubigen und alle Bewohner dieses Teiles des argentinischen Nordens umfangen. Besonders willkommen heiße ich zu dieser Begegnung die Vertreter der Ureinwohner dieses Landes, die dem Herzen des Papstes stets sehr nahe sind, und drücke ihnen meine Zuneigung aus. Es ist für mich ein Grund besonderer Freude, euch als Angehörige der Ket-schua, der Guarani, der Arakauner und vieler anderer Stämme als Erben alter Traditionen und Kulturen zu begrüßen. Liebt die Werte eurer Völker und laßt sie Früchte tragen! Liebt vor allem den großen Reichtum, den ihr durch göttlichen Willen empfangen habt: euren christlichen Glauben! Liebe Brüder und Schwestern, die ihr mir zuhört! Mein Dank an Gott dafür, daß ich mich unter euch befinde, ist zugleich der Dank für diese Jahrhunderte der Evangelisierung Argentiniens, die hier in Salta besonders in ihrer Verbindung zu den Ursprüngen sichtbar werden. In den Männern und Frauen dieses Landes, in ihren Gewohnheiten und ihrem Lebensstil bis hin in ihre Architektur zeigen sich die Früchte jener Begegnung zweier Welten, die stattfand, als die ersten Spanier hier eintrafen und mit den in dieser Gegend lebenden Eingeborenenvölkern, insbesondere mit der Kultur der Ketschua- und Aimaraindianer, in Kontakt traten. Aus dieser fruchtbringenden Begegnung ist eure Kultur entstanden, belebt vom katholischen Glauben, der in diesen Ländern von Anfang an so tief Wurzel faßte. Das bevorstehende 500-Jahr-Jubiläum der Evangelisierung Lateinamerikas ist eine große Gelegenheit, unseren Dank an Gott für das von euch empfangene Erbe des Glaubens und der Liebe zu erneuern und euch mit dem heiligen, glühenden Wunsch zu erfüllen, daß dieses Erbe in eurem und im Leben eurer Kinder recht fruchtbar sein möge. Die Gnade Gottes und der Schutz der allerseligsten Jungfrau, der Engel und der Heiligen werden euch nicht fehlen! Mit realistischer Sicht der Dinge Bestandsaufnahme machen 3. Wir haben gerade den hl. Paulus gehört, der, nachdem er dem König Agrippa die Geschichte von seiner Bekehrung erzählt hat, hinzufügt: „Daher, König Agrippa, habe ich mich der himmlischen Erscheinung nicht widersetzt“ (Apg 26,19). Die Kirche wird trotz der Schwächen mancher ihrer Söhne immer Christus treu sein und, gestützt auf die Macht ihres Stifters und Hauptes — der bis ans Ende der Welt bei seinen Jüngern sein wird (vgl. Mt 28,20) —, weiter das Evangelium verkünden und die Menschen auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes taufen. Während sie darüber nachsinnt, wie der Auftrag zu Verkündigung und Taufe auf diesem Kontinent Wirklichkeit geworden ist, bekennt die Kirche in aller 523 REISEN Demut, daß sie die Sendung und die Vollmacht Christi erhalten hat, durch die Jahrhunderte hindurch sein Erlösungswerk fortzusetzen. Wie ich in Santo Domingo sagte, „will die Kirche, was sie betrifft, sich der Feier dieses Jubiläums in der Demut der Wahrheit, ohne Triumphalismus oder falsche Scham, nähern“ (Ansprache an die lateinamerikanischen Bischöfe, 12. Oktober 1984, Nr.,II,3 in: DAS, 1984, S. 824). Diese Wahrheit über Sein und Bestimmung Amerikas läßt mich mit erneuter Überzeugung aussprechen, daß es ein Kontinent der Hoffnung ist, nicht nur wegen der Qualität seiner Männer und Frauen und der Möglichkeiten seiner reichen Natur, sondern hauptsächlich wegen seines Anschlusses an die Frohbotschaft Christi. Deshalb muß sich Amerika jetzt, da der Beginn des dritten Jahrtausends des Christentums unmittelbar bevorsteht, aufgerufen fühlen, in der Universalkirche und in der Welt mit einer erneuten Evangelisierungstätigkeit hervorzutreten, die allen Menschen die Macht der Liebe Christi zeigen und in die vielen Herzen, die nach dem lebendigen Gott dürsten, die christliche Hoffnung aussäen soll. 4. So ist der Blick in die Vergangenheit der Evangelisierung in dieser gesegneten argentinischen Nation weder ein Zeichen nostalgischer Sentimentalität noch eine Aufforderung zu geistiger Unbeweglichkeit. Im Gegenteil, er bedeutet, die ständige Anwesenheit Christi in eurem Volk erneut zu bedenken und einzudringen in jenen lebenswichtigen Zusammenhang mit der ewigen Neuheit des Evangeliums, das wenige Jahre nach der Entdeckung Amerikas durch die Expeditionen eines Magalhaes, Caboto, Mendoza, Amagro, Nünez del Prado und anderer in diese „silberne Erde“ — terra argentea — gesät worden ist. Seitdem und dank der Beharrlichkeit der ersten Verkünder des Evangeliums sind das Wort und die Sakramente Christi unablässig daran, die Kirche in Argentinien aufzubauen. Die Nachkommen der diesen Ländern Entstammenden ließen sich in großer Zahl bekehren und taufen und verbanden sich mit den Söhnen Spaniens, die die tiefen christlichen Wurzeln ihrer Kultur als Erbe hinterlassen haben. Ein ganz ursprüngliches Beispiel für die menschlichen und christlichen Möglichkeiten in diesem Prozeß der Schaffung einer „Neuen Welt“ waren die mit Recht berühmten Guarani-Missionen. Von Anfang an ging die Evangelisierung Hand in Hand mit der menschlichen Förderung in allen Bereichen: Kultur, Arbeit, Fürsorge, Und das muß weiter der Fall sein, besonders bei der Evangelisierung der Bedürftigsten, unter denen sich nicht selten die Nachkommen der Ureinwohner dieser Länder befinden. Ihnen muß die christliche Botschaft in einer Weise nähergebracht werden, die deren eigene traditionelle Werte wirksam belebt. In der Kolonialzeit hat sich die Kirche langsam und nicht ohne Schwierigkeit 524 REISEN ten in den verschiedenen Regionen eures riesigen Landes angesiedelt. Wenn wir die religiösen und weltlichen Bauten von Salta, ihre steinernen Innenhöfe und schmiedeeisernen Gitter sehen, scheint es, als wären wir in jene Jahrhunderte zurückversetzt, in denen so viele eifrige Missionare in heroischer Weise für das Werk des Evangeliums tätig waren. Ich kann nicht umhin, das einfache, frohe, von Liebe zu den Eingeborenen erfüllte Leben des hl. Francisco Solano zu erwähnen und das jenes großen Vorbildes apostolischen Wirkens, des seligen Roque Gonzalez von Santa Cruz, der mit seinem Blut die Treue zu Christus besiegelte. In den beinahe zwei Jahrhunderten der nationalen Unabhängigkeit ist die Evangelisierung weiter vorangekommen, sowohl was die territoriale Ausdehnung — über das ganze Land, vom äußersten Norden bis nach Patagonien — wie die kirchliche Organisation und vor allem die Intensivierung des christlichen Lebens betrifft. Die starken Einwanderungsströme gaben dieser großen Nation ein kosmopolitisches Aussehen,, verbanden sie in einzigartiger Weise mit Europa und bestätigten die christliche Identität des Landes, das im Taufbekenntnis stets mit der Mehrheit jener verbunden war, die kamen, um auf argentinischem Boden zu wohnen. Gewiß fehlte es nicht an Hindernissen bei der Evangelisierung, vor allem wegen der vielfältigen Äußerungen jener Mentalität, die bei der menschlichen und institutionellen Gestaltung eurer Heimat von den christlichen Werten abzusehen trachtet. Doch eben diese Schwierigkeit ist zu einer Quelle der Reifung und zu einem konstruktiven Ansporn für die argentinischen Christen geworden. Als entscheidenden Augenblick der Geschichte der Kirche in Argentinien in diesem Jahrhundert und als Appell zur Erneuerung eures Vertrauens in Gott im Hinblick auf die Zukunft möchte ich jenen Internationalen Eucharisti-schen Kongeß in Erinnerung rufen, zu dem als päpstlicher Legat Kardinal Pa-celli, der spätere Papst Pius XU. seligen Andenkens, gekommen war. Bei diesem denkwürdigen Ereignis wurde wieder einmal offenkundig, daß der Mittelpunkt des gesamten Lebens der Kirche die heiligste Eucharistie ist. Seit jenen ersten Messen, die 1519 während der Fahrt des Magalhaes an den Küsten Patagoniens gefeiert worden sind, wurde sie unaufhörlich verehrt. Evangelisierung bedeutet immer auch Bekehrung des einzelnen 5. Dieser Prozeß fortschreitender Reifung im Glauben der Taufe, der sich schließlich in der Evangelisierung Argentiniens vollzog, muß auch im Leben jedes Christen erfolgen. Dazu müssen wir das Gedächtnis an unsere eigene Taufe aktualisieren. Das wird uns Gelegenheit geben, unsere persönliche Treue zu der aus diesem Sakrament erwachsenden christlichen Berufung zu 525 REISEN erneuern. In dieser Fastenzeit ermahnt uns unsere Mutter, die Kirche, „das Osterfest in der Freude des Heiligen Geistes zu erwarten. Du, Vater, mahnst uns in dieser Zeit der Buße zum Gebet und zu Werken der Liebe, du rufst uns zur Feier der Geheimnisse, die in uns die Gnade der Kindschaft erneuern. So führst du uns mit geläutertem Herzen zur österlichen Freude und zur Fülle des Lebens durch unseren Herrn Jesus Christus“ (Präfation für die Fastenzeit I). Die Liturgie fordert uns auf, durch Teilnahme an den Geheimnissen des Todes und der Auferstehung unseres Erlösers in jenem neuen Leben zu wachsen, das wir im Augenblick der Taufe empfangen haben. Diese vierzig Tage der Buße und Umkehr, die jedes Jahr dem Osterfest vorausgehen, erinnern mit besonderer Intensität daran, daß es, um als Christen zu leben, nicht genügt, die Erstlingsgnade der Taufe empfangen zu haben, sondern daß es des ständigen Wachstums in dieser Gnade bedarf. Außerdem macht die im menschlichen Dasein täglich erfahrene Realität der Sünde es notwendig, zu bereuen, sich zu Gott zu bekehren und diese Bekehrung mit Werken kundzutun (vgl. Apg 26,20). Das gab der hl. Paulus bei seiner Verteidigung vor Agrippa zu erkennen, als er erzählte, wie Jesus ihm die Horizonte seines Apostolats aufzeigte: „Ich will dich zu den Heiden senden, um ihnen die Augen zu öffnen. Denn sie sollen sich von der Finsternis zum Licht und von der Macht des Satans zu Gott bekehren und sollen durch den Glauben an mich die Vergebung der Sünden empfangen und mit dem Geheiligten am Erbe teilhaben“ (Apg 26,17-18). Dieser Schritt von der Finsternis ins Licht, von der Sünde zur Gnade, von der Knechtschaft des Teufels zur Freundschaft mit Gott, vollzog sich im Wasser unserer Taufe und verwirklicht sich jedesmal aufs neue, wenn wir durch das Buß Sakrament die Gnade wiedererlangen. Liebe Brüder und Schwestern! Es ist der Mühe wert, zum Vater umzukehren, um sich vergeben zu lassen! Der Weg der Rückkehr in das Haus des Vaters schließt Reue, Vorsätze für ein neues Leben, Beichte vor dem Diener Christi und Wiedergutmachung für unsere Sünden durch Werke der Buße ein; es ist ein’Weg, den zu gehen schwerfallt, der uns jedoch zu einer Freude und einem Frieden führt, die die Freude und der Friede Christi selbst sind. Ablegen des alten Menschen und leben in Glaube, Hoffnung und Liebe 6. Die Zukunft der Evangelisierung in Argentinien erfordert eine ständige Bekehrung aller Kinder Gottes, die dieser Nation angehören, zu Christus. Es wird möglich sein, sich den großen Herausforderungen der heutigen Zeit zu stellen, wenn wir alle darum ringen, immer tiefer teilzunehmen an den Ge- 526 REISEN heimnissen Christi, der für die Rettung der Menschen gestorben und auferstanden ist. Die Lehre des hl. Paulus, die wir in der Lesung gehört haben, ist immer aktuell: wir müssen unsere Umkehr in Werken bekunden (vgl. Apg 26,20), Werken, die zum neuen Leben der Kinder Gottes in Christus gehören, in denen die drei theologischen Tugenden geübt werden, die gleichsam das Fachwerk der christlichen Existenz ausmachen: Glaube, Hoffnung und Liebe. „Ich sende dich zu ihnen, um ihnen die Augen zu öffnen. Denn sie sollen sich von der Finsternis zum Licht ... bekehren“ (Apg 26,17-18). Eure Bischöfe wollten unterstreichen, daß ich als Bote des Glaubens nach Argentinien gekommen bin, um meine argentinischen Brüder im Glauben an denjenigen zu stärken, der der einzige Meister ist, nämlich Christus selbst (vgl. Mt 23,8). Mit den Augen des Glaubens werdet ihr den göttlichen Sinn eures Lebens entdecken und sehen, daß keine edle menschliche Wirklichkeit am Rande der Heilspläne Gottes bleibt. Der Papst ermahnt euch, in eurer Kenntnis des Schatzes der geoffenbarten Wahrheit zu wachsen. Und laßt euren Glauben immer in Werken sichtbar werden (vgl. Jak 2,14-19), als klares Zeugnis für das Evangelium, das alle Augenblicke eures täglichen Lebens und auch eure Haltung gegenüber den großen Entscheidungen, die die Gegenwart und die Zukunft der Nation auferlegt, erleuchten muß. „Ich sende dich ..., denn sie sollen ... mit den Geheiligten am Erbe teilhaben“ (Apg 26,17-18). Die Botschaft des Evangeliums vermittelt die einzige Hoffnung, die in der Lage ist, die Sehnsucht jedes Menschen nach dem Guten und dem Glück zu befriedigen, die Hoffnung auf Teilhabe am Erbe der Heiligen, das wir als Keim in unserer Taufe empfangen haben. Dieses Erbe ist Gott selber, den wir, wenn wir in diesem Leben treu sind, von Angesicht zu Angesicht sehen und in alle Ewigkeit im Himmel lieben werden. Wir haben jedoch schon während unseres Erdenweges an diesem Erbe teil und erfreuen uns gleichsam eines Vorschusses auf die himmlische Wirklichkeit. Daher erstreckt sich unsere Hoffnung auch auf die Gegenwart, insofern wir gewiß sind, daß uns niemals der Schutz und die liebevolle, väterliche Hilfe Gottes fehlen werden, um in Freude unseren Pilgerweg bis zu unserem Endziel zu gehen. Gott ist unser Vater, und er will, daß seine Macht in dieser geliebten Nation erstrahle. Das ist die Botschaft der Hoffnung, die euch der Papst hinterläßt. Derselbe hl. Paulus lehrt in seinem ersten Korintherbrief (vgl. Kap. 13), daß höher als der Glaube und die Hoffnung und jedes andere Gottesgeschenk die Tugend der Liebe steht, der Liebe zu Gott und zum Nächsten. Die Liebe vergeht niemals, und ohne sie sind die übrigen Tugenden wertlos. Die christliche Liebe, liebe Brüder, war die Seele der Evangelisierung Amerikas und Argen- 527 REISEN tiniens; die apostolische Liebe war die göttliche Kraft, die die Missionare und Verkünder des Glaubens angespornt hat und die weiterhin dem Wachstum des Wirkens Christi unter euch Impulse geben muß, an dem teilzunehmen ihr Gläubigen aller Kraft eurer in der Taufe empfangenen Berufung zum Apostolat aufgerufen seid. Diese Liebe zu Gott und durch Gott zu den anderen wird euch immer mit dem Herrn und mit euren Brüdern vereint sein lassen. In der Liebe Christi werdet ihr gegen die Sünde ankämpfen, die das große Hindernis für diese Vereinigung ist, und ihr werdet es zu einer tiefen und gründlichen Versöhnung unter allen Argentiniern bringen. Sie gründet in der Versöhnung jedes einzelnen mit seinem Gott und Vater. 7. „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde“ (Mt 28,18): das sind Worte Jesu, mit denen er das Fundament der ganzen Mission der Kirche aufzeigt. Vor diesen Worten schwinden jeder Zweifel und jede Furcht, die sich angesichts der Schwierigkeiten des heutigen Lebens in unserem Herzen eingenistet haben mögen. Der Herr begleitet uns; er ist immer mit seinem Wort und mit den Sakramenten gegenwärtig, die sein Heilswirken unter uns bis ans Ende der Zeiten sicherstellen (vgl. Mt 28,20). Hier in Salta versammelt, um Gott für die fünfhundert Jahre Evangelisierung auf dem amerikanischen Kontinent zu danken, erheben wir unser Lobgebet zum Vater, zum Sohn und zum Heiligen Geist, weil sich die Verheißungen Jesu in reicher Fülle auf dieser Erde erfüllt haben. Und durch die Fürsprache der Gottesmutter bitten wir den Herrn der Geschichte um eine Neubekehrung Argentiniens und ganz Amerikas zum Evangelium unseres Herrn Jesus Christus und daß sich diese Bekehrung kundtun möge. Amen. Christliche Ehe in der Gegenwart Gottes Ansprache an die Familien in Cordoba (Argentinien) am 8. April 1. „... denn die Liebe ist aus Gott...“ (lJoh 4,7). Die Fastenzeit ruft uns auf, auf nachdrückliche Weise diese große Wahrheit zu meditieren: denn die Liebe ist aus Gott. Dies ist eine lebendige und gegenwärtige Wirklichkeit, die wir niemals vergessen dürfen, um so weniger, wenn wir uns der Karwoche und Ostern nähern. Diese Liebe, die aus Gott ist, die Liebe desselben Gott-Vaters zu uns Menschen, hat sich besonders geäußert, indem „... Gott seinen einzigen Sohn in 528 REISEN die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben ..(1 Joh 4,9); und er hat ihn gesandt“ ... als Sühne für unsere Sünden ..." (1 Joh 4,10). Wir befinden uns vor einem unaussprechlichen, göttlichen Geheimnis. Das Kreuz Christi über Golgota, seine Passion und sein Tod, Opfergabe für die sündhafte Menschheit und die Welt, offenbaren dem Menschen die Liebe Gottes. Sie offenbaren sie vollständig, weil „es keine größere Liebe gibt, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13), und es ist der eingeborene Sohn Gottes selbst, Jesus Christus, der das Leben für die Menschen gibt. Das österliche Geheimnis verwandelt sich in das letzte und endgültige Wort der Offenbarung Gottes, das die Liebe ist. Er selbst hat uns zuerst geliebt: nicht, daß wir ihn geliebt hätten, sondern er hat uns geliebt. Dieses Mysterium der göttlichen Liebe, die uns in Christus offenbart wurde, dauert unwiderruflich in der Geschichte des Menschen an. Niemand kann es ausmerzen oder wegnehmen. 2. „... denn die Liebe ist aus Gott...“ Im Licht der erlösenden Wahrheit begrüße ich alle Familien, die hier versammelt sind, und heiße sie willkommen; nicht nur aus dieser großen Stadt, Cordoba, sondern aus ganz Argentinien. Als Bischof vom Rom und als Nachfolger Petri erfülle ich an diesem Tag meinen pastoralen Dienst, indem ich zusammen mit euch, liebe Brüder und Schwestern, für die Familien bete: Ehemänner und Ehefrauen, Väter und Kinder, ihr alle, die ihr in der Familie eure menschliche und christliche Berufung verwirklicht. Ich erfülle diesen einzigartigen Dienst in der Gegenwart der Priester der Kirche, die sich in Cordoba und in ganz Argentinien befinden. Mein Gruß soll persönlich an jeden einzelnen gehen, besonders an euren Erzbischof, den Kardinal Raul Primatesta. Ebenso begrüße ich in Liebe die Priester, die Ordensleute und alle Gläubigen, die sich mit soviel Begeisterung dafür einsetzen, im Namen Christi in den Familien jene große Wahrheit zu verbreiten: denn die Liebe ist aus Gott. Welch große Mission ist eurige, Familienväter und -mütter! Vegeßt es niemals: „Die Zukunft der Menschheit geht über die Familie!“ (Familiaris con-sortio, Nr. 86). Der Papst ist gekommen, um euch im Namen Gottes um eine besondere Einsatzbereitschaft zu bitten: daß ihr mit größter Anteilnahme die Wahrhaftigkeit der Ehe und der Familie in dieser Zeit der Versuchung, aber auch der Gnade annehmt; weil sie nicht „das bloße Produkt des Zufalls oder Ergebnis des blinden Ablaufs von Naturkräften ist, ist die Ehe in Wirklichkeit vom Schöpfergott in weiser Voraussicht so eingerichtet, daß sie in den Menschen seinen Liebesplan verwirklicht.“ (Humanae vitae, Nr. 8). Indem ich euch an diese Wahrheiten erinnere, tue ich nichts anderes, als das 529 REISEN zu unterstreichen, was eine beständige Tradition dieses geliebten argentinischen Landes gewesen ist und was — ohne Frage — eines der gefestigsten Fundamente ist, die aus der euren eine große Nation gemacht hat. Die Liebe Gottes verleiht dem Ja der Eheleute Gültigkeit 3. „... denn die Liebe ist aus Gott..Dieser großen Wahrheit des Glaubens, die das Familienleben beseelen wird, müssen sich besonders Mann und Frau bewußt sein, wenn sie sich dem Altar nähern und die im Rituale des Ehesakramentes enthaltenen Worte aussprechen: „Ich nehme dich an als meine Frau (meinen Mann) und verspreche dir die Treue in guten und in bösen Tagen, in Gesundheit und in Krankheit. Ich will dich lieben, achten und ehren, solange ich lebe.“ (Ordo celebrandi Matrimonium, Nr. 25). All dies macht den Inhalt des Ehebundes, durch den das Sakrament der Ehe Ausdruck findet und sich verwirklicht, ein großes Sakrament, das sich auf Christus und die Kirche bezieht, wie wir im Brief an die Epheser lesen (vgl. Eph 5,3 a). Gleichzeitig unterstreicht jener sakramentale Bund den Plan und die Pflichten, die die Eheleute für ihr ganzes Leben übernehmen. Jedes seiner Worte beschreibt sehr genau die Liebe, wie sie ist und wie sie sein soll und wie sie die Eheleute in der Gegenwart Gottes eint: in der Gegenwart jenes Gottes, „der uns zuerst geliebt hat“ und der die Quelle und der Anfang jeder wahren Liebe ist. In diesem Lebensplan, der den Ehebund beinhaltet, kommt klar zum Ausdruck, daß wahre Liebe nicht besteht, wenn sie nicht treu ist. Und sie kann nicht bestehen, wenn sie nicht aufrichtig ist. Genausowenig gibt es sie — in der konkreten Berufung der Ehe —, wenn sie nicht von einem vollen Einsatz, der bis zum Tod andauert, getragen wird. Nur eine unauflösliche Ehe wird eine starke und dauerhafte Stütze für die Familiengemeinschaft sein, die gerade in der Ehe gründet. Liebe Familien: die Liebe, die von Gottvater herkommt, die vollständig im österlichen Geheimnis Christi sichtbar wird und die der Heilige Geist in uns ausströmt, ist uns ein „starker Schild und eine mächtige Stütze“ (vgl. Sir 34,16) für die Erfüllung dieses Auftrages und dieser Aufgabe; denn „echte eheliche Liebe wird in die göttliche Liebe aufgenommen und durch die erlösende Kraft Christi und die Heilsvermittlung der Kirche gelenkt und bereichert, damit die Ehegatten wirksam hingeführt werden und in ihrer hohen Aufgabe als Vater und Mutter unterstützt und gefestigt werden“ {Gaudium et spes, Nr. 48). Dank jener sicheren Unterstützung finden wir in unserer Welt und im Leben der Familien zahlreiche positive Aspekte, die als Zeichen der Erlösung Christi in unserem Leben wirken. 530 REISEN Trotzdem fehlen nicht Zeichen besorgniserregender Entwürdigung hinsichtlich einiger wesentlicher Werte der Ehe und der Familie.,, An der Wurzel dieser negativen Erscheinungen findet sich oft eine Zersetzung von Begriff und Erfahrung der Freiheit, die nicht als die Fähigkeit aufgefaßt wird, den Plan Gottes für Ehe und Familie zu verwirklichen, sondern vielmehr als autonome Kraft der Selbstbehauptung — für das eigene, egoistisch verstandene Wohlergehen und nicht selten gegen die Mitmenschen.“ (Familiaris consortio, Nr. 6). Wir wissen mit der sicheren Gewißheit desjenigen, der „Gott liebt und kennt“ (vgl. 1 Joh 4,7), daß es keine echte Freiheit gibt, wenn diese sich der Liebe und ihren Forderungen widersetzt; daß es keinen wahrhaften Respekt den Menschen gegenüber gibt, wenn er dem göttlichen Plan über die Menschen widerspricht. Stellt euch also entschlossen mit eurem Wort und mit eurem Beispiel jedem Versuch entgegen, die echte Liebe in Ehe und Familie zu verachten. Eben weil f diese Welt Augenblicke der Dunkelheit und der Unordnung im Bereich der Familie erfährt, müssen wir glauben, liebe Söhne, daß dies ein günstiger Augenblick ist: der Herr hat euch vertraut, und er hat euch berufen, daß ihr noch inmitten der Schwierigkeiten Zeugen seiner Liebe zum Menschen seid, von der sich die ganze wahre eheliche Liebe herleitet. „Habt um nichts Angst, verliert auch nicht den Mut, weil Gott unsere Hoffnung ist“ (vgl. Sir 34,14). Kämpft mit Standhaftigkeit und Tapferkeit die Schlacht der Liebe. Ein Kampf, der in euch selbst und in euren Familien anfangen muß, um den Egoismus und die Unverständlichkeiten zu verbannen; ein Kampf, der versucht, das Böse im Überfluß des Guten zu ersticken (vgl. Röm 12,17). Das eigene Glück im Glück des andern finden 4. Die eheliche Liebe ist gewiß ein großes Geschenk, in dem sich zwei Menschen, Mann und Frau, gegenseitig schenken, um füreinander zu leben: für sich selbst und für die Familie. Dementsprechend ist dem Herrn zu danken für diese Gabe, weil er sie bewußt geschenkt hat und sie in den Herzen bewahrt. Zur gleichen Zeit ist die Liebe — gerade weil sie die völlige Hingabe einer Person an eine andere ist — eine große Aufgabe und eine große Verpflichtung. Die eheliche Liebe ist es in einer besonderen Weise. So bringen der 1 Ehebund und die Festigkeit in der Familie die Verpflichtung mit sich, die Liebe nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern die Liebe und die gegenseitige Hingabe zu mehren. Jene irren, die glauben, daß ihnen für die Ehe eine mühsam aufrechterhaltene Liebe genügt; es gilt vielmehr das Gegenteil: die Verheirateten haben die ernste Pflicht — beginnend mit ihrer Verlobung—, 531 REISEN jene eheliche Liebe und die Liebe zur Familie ununterbrochen zu vermehren. Manche wagen es, die Idee einer treuen Verpflichtung für das ganze Leben zu leugnen und sogar lächerlich zu machen. Diese Menschen — und dessen könnt ihr sicher sein — wissen leider nicht, was lieben heißt: wer sich nicht entscheidet, für immer zu lieben, für den ist es schwierig, auch nur einen Tag ernsthaft lieben zu können. Der wirklich Liebende gibt sich wie Christus ganz hin — ohne Egoismus; er sucht immer das Gute des Geliebten, nicht die eigene egoistische Befriedigung. Nicht zugeben, daß die eheliche Liebe bis zum Tod dauern kann und dies auch beansprucht, setzt voraus, daß man die Fähigkeit der vollen und endgültigen Selbsthingabe leugnet; das hieße, das tiefste Menschliche zu leugnen: die Freiheit und die Spiritualität. Aber diese menschlichen Wirklichkeiten nicht zu kennen bedeutet, zu der Aushöhlung der Fundamente der Gesellschaft beizutragen; wie kann man dann in der Annahme fortfahren, vom Menschen Treue zur Heimat, zur Arbeitsverpflichtung, zur Erfüllung der Gesetze und Verträge zu fordern? Es verwundert nicht, daß die Zunahme der Scheidungen in einer Gesellschaft begleitet wird vom Rückgang der öffentlichen Moral in allen Bereichen. Liebe Argentinier, die Liebe, die zugleich eine große Gabe und eine große Verpflichtung ist, wird euch die Kraft geben, bis zum Ende treu zu sein. Ehrfurcht und Verantwortung sind Säulen des Familienlebens 5. Das verkündigte Evangelium erinnert uns an das Gebot der Liebe: „... Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben... Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ {Mt 22,37-39). Die Nächstenliebe drückt ein Bedürfnis des menschlichen Herzens aus und reflektiert außerdem das Bewußtsein einer Gabe; aber diese Liebe ist auch, wie wir gesehen haben, der Inhalt eines Gebotes: sie bringt eine Pflicht und eine Verantwortung mit sich, die eine besondere Bedeutung in der Familie und unter allen Menschen haben, auf die sich der Begriff des „Nächsten“ im Sinne des Evangeliums bezieht, allen voran diejenigen, die vereint sind in einer Ehe-und Familienbindung. In diesem Sinn ist es.bezeichnend, daß die Lesungen der Liturgie gleichzeitig von der Liebe und der „Furcht“, der Gottesfurcht, sprechen. Sicherlich nicht eine Furcht, die die eigene Freiheit verunsichert und wegnimmt, sondern eine kindliche Furcht, die aus der Liebe hervorwächst und sich bemüht, nicht zu beleidigen, sondern sich vielmehr bemüht, unserem Gottvater zu gefallen; daher ist es eine erlösende Furcht, die aus dem Gewissen des Guten und des 532 REISEN Wertes keimt und die sich eben in einer Haltung der Verantwortung bekundet. In den menschlichen Beziehungen — und genäuer in den Beziehungen innerhalb der Familien — wird diese gegenseitige Liebe und diese wechselseitige Verantwortung zur Einheit: die Verantwortung des Ehemannes für die Ehefrau und der Ehefrau für den Ehemann. Verantwortung der Eltern für die Kinder und auch der Kinder gegenüber den Eltern. Das ist eine große Verantwortung, gerade weil sie mit der Liebe wächst und den Auftrag hat, sie zu erproben und zu bestätigen. Das Leben lehrt uns in der Tat, daß die Liebe, die eheliche Liebe, ein Meilenstein des ganzen Lebens ist. Sie besteht nicht nur dann, wenn sie leicht und angenehm zu sein scheint, groß und echt, sondern besonders dann, wenn sie sich Inmitten der Prüfungen unseres Lebens bestätigt, so wie das Gold durch das Feuer geprüft wird. Der hätte eine arme Vorstellung der menschlichen und ehelichen Liebe, der glaubte, daß die Zuneigung und die Freude zu Ende gingen, wenn Schwierigkeiten auftauchten; gerade dann enthüllen die Gefühle, die die Menschen leiten, ihre wahrhafte Beständigkeit, dort festigen sich Hingabe und zärtliche Fürsorge, weil die wahre Liebe nicht an sich selbst denkt, sondern daran, wie das Gute in der geliebten Person vermehrt werden kann; ihre größte Freude besteht in der Glückseligkeit des geliebten Menschen. Jede christliche Familie soll ein Brunnen der Freude sein, indem über die kleinen täglichen Meinungsverschiedenheiten hinaus eine tiefe und ehrliche Liebe, eine tiefe Ruhe als Frucht der Liebe und eines wirklichen und gelebten Glaubens spürbar ist. <32> <32> Erlaubt mir, geliebte Bewohner Cordobas und all ihr Argentinier, daß ich euch das Beispiel der Heiligen Familie vor Augen stelle. Das Heim von Naza-ret zeigt sehr wohl, wie die familiären Verpflichtungen, wie klein und alltäglich sie auch erscheinen, Orte der Begegnung mit Gott sind. Vernachlässigt daher nicht diese Beziehung und diese Pflichten: wenn jemand großes Interesse an den Problemen der Arbeit, der Gesellschaft, der Politik zeigt und die der Familie vernachlässigt, müßte man von ihm sagen, er habe die Wertskala auf den Kopf gestellt. Die bestgenützte Zeit ist die, die man der Ehefrau, dem Ehemann und den Kindern widmet. Das beste Opfer ist der Verzicht auf das, was das Leben in der Familie unangenehm machen kann. Die wichtigste Aufgabe, die in eure Hände gelegt wurde und die euch verpflichtet, ist, daß die Liebe in eurem Heim jeden Tag mehr gelebt wird und Früchte trägt. Die Lesung aus Jesus Sirach erinnert uns: „Wohl dem, der den Herrn fürchtet“ (Sir 34,17). Und der Psalmist betont: „Wohl dem Mann, der den Herrn fürchtet und ehrt und auf seinen Wegen geht! “ {Ps 128,1). Wohl dem Christen, 533 REISEN der arbeitet und sich um seine Erlösung mit Furcht und Zittern müht (vgl. Phil 3,12). Wohl dem Ehepartner, der mit Gottesfurcht die große Gabe der Liebe seines Ehepartners annimmt und sie beantwortet. Wohl dem Ehepaar, dessen eheliche Vereinigung sich in einer tiefen Mitverantwortung gegenüber der Gabe des Lebens äußert, die ihren Anfang in diesem Bund hat. Sie ist wahrhaftig ein großes Geheimnis und voller Verantwortung; neuen Menschen das Leben zu schenken, geschaffen nach dem Bild Gottes und ihm ähnlich. Infolgedessen ist es notwendig, daß die Ehepartner die erlösende Gottesfurcht leben, damit ihre echte Liebe „alle Tage ihres Lebens“ dauert. Es ist auch notwendig, daß diese Liebe in einer verantwortungsvollen Fortpflanzung, so wie es der Wille Gottes ist, Frucht trage. Die der Ehe eigene verantwortliche Liebe offenbart auch, daß die eheliche Hingabe eine vollkommene Hingabe ist, die den ganzen Menschen — Körper und Seele — beansprucht. Deshalb wäre die eheliche Beziehung nicht echt, sondern ein Zusammentreffen von Egoismen, wenn die spirituelle und religiöse Sicht vom Menschen vernachlässigt würde. In eurer Ehe dürft ihr deshalb Gott nicht vergessen und euch nicht seinem Willen entgegenstellen, indem ihr die Befruchtung neuen Lebens künstlich verhindert. Diese Haltung gegen das werdende Leben, die von euren wahren Traditionen weit entfernt ist, bildet eine ernste Gefahr für das eheliche Leben. Das habe ich in der apostolischen Ermahnung Familiaris consortio hervorgehoben; „Ausgehend von dieser ,ganzheitlichen Sicht des Menschen und seiner Berufung, seiner natürlichen und irdischen wie auch seiner übernatürlichen und ewigen Berufung“, hat Paul VI. betont, daß die Lehre der Kirche ,beruht auf der untrennbaren Verbindung der zweifachen Bedeutung des ehelichen Aktes, die von Gott gewollt ist und die der Mensch nicht eigenmächtig aufheben kann, nämlich die liebende Vereinigung und die Fortpflanzung“; und er stellt schlußfolgernd fest, daß jede Handlung als in sich unerlaubt auszuschließen ist, ,die sich entweder in Voraussicht oder während des Vollzuges des ehelichen Aktes oder beim Ablauf seiner natürlichen Auswirkungen die Verhinderung der Fortpflanzung zum Ziel oder Mittel zum Ziel setzt.““ (Nr. 23). Erinnert euch an das Zweite Vatikanische Konzil, das uns lehrt: „Da die Eltern ihren Kindern das Leben schenkten, haben sie die überaus schwere Verpflichtung zur Kindererziehung. Daher müssen sie als die ersten und bevorzugten Erzieher ihrer Kinder anerkannt werden. Ihr Erziehungswirken ist so entscheidend, daß es dort, wo es fehlt, kaum zu ersetzen ist. Den Eltern obliegt es, die Familie derart zu einer Heimstätte der Frömmigkeit und Liebe zu Gott und den Menschen zu gestalten , daß die gesamte Erziehung der Kinder nach der persönlichen wie gesellschaftlichen Seite hin davon getragen wird. So ist die Familie die erste Schule“ (Gravis simumeducationis, Nr. 3). 534 REISEN Dieses Recht und diese Pflicht der Eltern, „unabgeleitet und ursprünglich verglichen mit der Erziehungsaufgabe anderer“ (Familiaris consortio, Nr. 36) beschränkt sich nicht nur auf die häusliche Erziehung, die ihnen notwendigerweise zukommt: sie beschränken sich nicht auf die Freiheit, von der sie Gebrauch machen, wenn sie die Schulen, in denen ihre Kinder erzogen werden, aussuchen, ohne Hindernisse in der Verwaltung und in der Wirtschaft von seiten des Staates zu erleiden; im Gegenteil, die Gesellschaft muß es ermöglichen, damit die Eltern mit Nachdruck diese freie Wahl treffen können (Brief über die Rechte der Familie, 22. 10. 1983). Staat und Kirche sind gleichermaßen auf die Familie angewiesen 7. Da die Familie die Keimzelle ist für die Gesellschaft wie für die Kirche, kommt der Kraft des Familienlebens sowohl für den Staat als auch für die Kirche besondere Bedeutung zu. Die zwei Dimensionen sind, obwohl verschieden, eng verknüpft und begründen in sich selbst die Vorsichtsmaßnahmen, die die Kirche und der Staat zum Wohlbefinden der Familie ergreifen müssen. In der apostolischen Ermahnung Familiaris consortio wurden die kirchlichen Gemeinschaften gebeten, „jede Anstrengung (zu unternehmen), damit sich die Familienpastoral durchsetzt und entfaltet; widmet sie sich doch einem wirklich vorrangigen Bereich in der Gewißheit, daß die Evangelisierung in Zukunft großenteils von der Hauskirche abhängen wird“ (Familiaris consortio, Nr. 65). Ich weiß, geliebte Söhne Argentiniens, daß eure Priester daran sind, einen Plan der Familienpastoral auszuarbeiten: dankt ihnen für diese ^Bemühungen und bittet den Herrn, daß sie die Früchte, die Gott und die Kirche von euch erwarten, bringen werden. Die Vertreter der Familienpastoral — Priester, Ordensleute, Religionslehrer usw. — ermutige ich von ganzem Herzen, sich der Bedeutung ihrer Arbeit bewußt zu bleiben; daß sie zu lehren und zu helfen wissen, den Entwurf des Familienlebens zu verwirklichen; daß sie sich nicht von den vorübergehenden und dem göttlichen Plan über die Ehe entgegengesetzten Modeerscheinungen verleiten lassen; daß sie eine tiefe, apostolische Arbeit durchführen, um eine ernste' und verantwortungsvolle Vorbereitung und Feier dieses „großen Sakramentes“ zu erreichen, das Zeichen für die Liebe und die Einheit Christi mit seiner Kirche ist. <33> <33> Dies alles, geliebte Brüder und Schwestern, beweist die Bedeutung unserer Begegnung und den Wert dieses großen Gebets mit den Familien und für die Familien ganz Argentiniens. Wir stehen vor der Gegenwart Christi in seinem österlichen Geheimnis, in dem sich die Liebe Gottes zu den Menschen vollständig offenbart hat: für Mann und Frau, für jede Ehe, für alle Familien. 535 REISEN In der Erlösungstat Christi das Beispiel wahrer Liebe erkennen „... sondern daß er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat“ (IJoh 4,10). Und der Sohn, Christus, hat uns mit erlösender und gleichzeitig bräutlicher Liebe geliebt. Diese Liebe bleibt, als seine Gabe für jede Ehe und jede Familie, im „großen Sakrament“ der Kirche verankert. Eheleute und Väter Argentiniens! Liebt euch in gegenseitiger Liebe! Vertraut auf die Fürsprache der hl. Maria und ihres Gatten, des hl. Josef, damit die Gnade des Ehesakramentes in euch bleibt und mit der Liebe, die aüs Gott ist, Früchte bringe! Es möge euch zu Gott führen! So sei es. Das Erbe der Volksfrömmigkeit in der Familie vermitteln Predigt bei der Eucharistiefeier in der „Avenida Independencia“ von Corrien-tes (Argentinien) am 9. April 1. „Gott sandte seinen Sohn, geboren von einer Frau“ (Gal 4,4). Auf dieser Pilgerreise durch argentinische Lande feiert der Papst heute das eucharistische Opfer mit den Gläubigen von Corrientes sowie der benachbarten Diözesen und möchte mit euch über das Geheimnis nachdenken, an das der Völkerapostel in diesem kurzen Satz seines Briefes an die Galater erinnert. Das Geheimnis von der Sendung des Sohnes ist zugleich das Geheimnis der Frau, die vom Ewigen Vater zur Mutter des Gottessohnes auserwählt und bestimmt wurde. Im Licht des Wortgottesdienstes wollen wir heute das, was im ewigen Plan der Liebe Gottes für unser Heil festgelegt wurde, mit dem Blick des Glaubens umfangen. Es ist ein Blick voller Dankbarkeit für die Allerheiligste Dreifaltigkeit: den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist und zugleich voller Bewunderung für jene Frau, in der dem Menschengeschlecht eine so auserlesene Erhöhung zuteil geworden ist: Gottes Sohn, geboren von einer Frau! Jesus Christus — Sohn Mariens, der immerwährenden Jungfrau. Menschensohn! Die Mutter Christi ist auch unsere Mutter 2. Im Namen dieses Sohnes und seiner Mutter möchte ich erneut die über ganz Argentinien verbreitete Kirche und besonders die Kirche in dieser Nordost-Region grüßen. 536 REISEN An erster Stelle begrüße ich den Oberhirten dieser Erzdiözese Corrientes, die anderen hier anwesenden Bischöfe, die Priester und Seminaristen, die Ordensmänner und Ordensfrauen, die Vertreter der Behörden; das ganze um diesen Altar versammelte heilige Volk Gottes und alle jene, die sich unserer Meßfeier über Radio und Fernsehen anschließen. Wir begegnen einander vor dem Bild der Unbefleckten Empfängnis, das im Heiligtum von Itatf verehrt wird. Dieses Heiligtum wurde im Jahr 1615 gegründet und bildet das Zentrum der tiefen marianischen Tradition dieser Region. Seit damals sind viele tausend Pilger zu diesem Bild gekommen, um Maria zu ehren; um ihre Vorhaben und ihr Leben unter den Schutz und die Fürsprache Mariens zu stellen. Heüte wollen auch wir zur Jungfrau Maria kommen, um ihr als Gottesmutter und unsere Mutter diese selbe Liebe und dieses selbe Vertrauen zu bezeugen. Wir wollen gute Kinder sein, die ihre Mutter grüßen; Kinder, die wissen, daß sie ihren mütterlichen Schutz brauchen; Kinder, die ihr aufrichtig ihre Liebe bezeigen wollen. Maria symbolisiert den Scheidepunkt zwischen Altem und Neuem Bund 3. Der Apostel schreibt: „Als die Zeit erfüllt war“ (Gal 4,4). Diese Fülle der Zeit ist außerdem die Erfüllung dessen, was bereits in der Weisheit Gottes als Heilsplan für den Menschen vorhanden war. Darum nimmt die Liturgie in der ersten Lesung auf diese Weisheit Bezug, die in Gott war „vor dem Anfang der Erde“ (Spr 8,24): bevor irgendetwas geschaffen worden war: „Als die Urmeere noch nicht waren,... als es die Quellen noch nicht gab, die wasserreichen. Ehe die Berge eingesenkt wurden, vor den Hügeln... Noch hatte der Herr die Erde nicht gemacht und die Fluren und alle Schollen des Festlands ..., als er dem Meer seine Grenze setzte, damit die Wasser nicht seinen Rand überschritten; als er die Grundfesten der Erde legte“ (Spr 8,24-30). So spricht die Weisheit! Die Weisheit, die stets gegenwärtig ist im Werk des Schöpfergottes. Diese Weisheit, an der alle Werke Gottes teilhaben, findet den Hauptgrund ihrer Freude im Menschengeschlecht. Der Alte Bund öffnet sich hier besonders auf jene Frau hin, in deren Schoß die entscheidende Begegnung der Menschheit mit Gott stattfindet, der die Weisheit ist, der Höhepunkt dieser Begegnung: Das Mysterium der Fleischwerdung des Wortes in der Fülle der Zeit. Die Jungfrau aus Nazaret — Mutter des fleischgewordenen Wortes — steht in einzigartiger Verbindung mit dieser Weisheit, die auch von der ewigen Liebe des Vaters zum Menschen erfüllt ist. 537 REISEN Glauben bedeutet Vertrauen auf den Heilsplan Gottes 4. Als „die Zeit erfüllt war“, als der Bote Gottes der Jungfrau aus Nazaret den Willen des Ewigen Vaters übermittelte, als Maria „es geschehe“ —fiat — antwortete, da begann jene besondere Pilgerschaft, die unter dem bräutlichen Wehen des Heiligen Geistes im Herzen der Frau ihren Ausgang nahm. „Maria machte sich auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa. Sie ging in das Haus des Zacharias ...“ (Lk 1,39-40). Dort begrüßte sie ihre Base Elisabet, die älter als sie war und ein Kind erwartete: Johannes den Täufer. Elisabet ihrerseits erwidert den Gruß Marias mit jenen begeisterten, von Verehrung für die Mutter des Herrn erfüllten Worten und lobt den Glauben der Jungfrau aus Nazaret: „Selig ist die, die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ (Lk 1,45). So nimmt der Besuch Marias in Ain-Karim eine wahrhaft prophetische Bedeutung an. Ja, wir ahnen in ihm den ersten Abschnitt dieses Glaubensweges, der im Augenblick der Verkündigung beginnt. Sichere Hoffnung und Trost für das wandernde Gottesvolk 5. Dieser „Pilgerweg des Glaubens“ bildet den Leitgedanken des Marianischen Jahres, das ich am 1. Januar dieses Jahres angekündigt habe und das am kommenden Pfingstfest eröffnet werden wird. Seit dem Pfingsttag, als der Heilige Geist im Abendmahlssaal von Jerusalem auf die Apostel herabkam, nimmt Maria nicht nur am Pilgerweg des Glaubens der ganzen Kirche teil, sondern sie selbst „geht voran“, indem sie dem ganzen Volk Gottes weit und breit auf der Erde vorangeht und es mütterlich geleitet. „Wie die Mutter Jesu, im Himmel schon mit Leib und Seele verherrlicht, Bild und Anfang der in der kommenden Weltzeit zu vollendenden Kirche ist, so leuchtet sie auch hier auf Erden in der Zwischenzeit bis zur Ankunft des Tages des Herrn als Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes dem wandernden Gottesvolk voran“ {Lumen gentium, Nr. 68). So die Worte des Zweiten Vatikanischen Konzils, die ich, um auf diese Wahrheit hinzuweisen, in der vor kurzem anläßlich des Marianischen Jahres am Fest Mariä Verkündigung veröffentlichten Enzyklika Redemptoris Mater erläuterte. <34> <34> Den Stützpunkt dieses Pilgerweges des Glaubens in Argentinien bilden alle Generationen, die ihren Blick auf die Muttergottes als Mutter des Herrn und Vorbild der Kirche gerichtet haben und richten. Der Pilgerweg der Kirche und jedes Christen zum Haus des Vaters äußert und verwirklicht sich in Gott gefälliger Weise in den Wallfahrten der Christen zu den Marienheiligtümern. Die Heiligtümer sind gleichsam Meilensteine, die 538 REISEN diesem Weg der Kinder Gottes über die Erde die Richtung weisen, während ihnen der liebevolle und ermutigende Blick der Mutter des Erlösers vorangeht und sie begleitet. Während meiner ersten Reise nach Argentinien konnte ich zu meiner Freude in das Nationalheiligtum Lujän kommen, um euch in einer für eure geliebte Nation besonders schweren Zeit Maria zu empfehlen. Am kommenden Palmsonntag wird im Rahmen des Weltjugendtages — mit dem dieser zweite Besuch seinen Höhepunkt erreichen soll — dieses Bild der Muttergottes von Lujän zum Treffen der Jugendlichen kommen, die an so vielen anderen Orten der Erde Pilger im Glauben sind. Auch heute ist das Bild Mariens unter uns, das Bild, das von ihrem Heiligtum in Itatf, dem eigentlichen geistlichen Zentrum des ganzen Küstengebiets, hierher gebracht wurde. Freude und Dankbarkeit gegenüber dem Herrn erfüllen mein Herz, wenn ich daran denke, daß die Kinder dieses Landes durch die Jahrhunderte in der Jungfrau Maria die Führerin und das sichere Vorbild sahen, um Jesus zu folgen. 7. Wie eure so reiche und tiefverwurzelte Volksfrömmigkeit zeigt, bewahrt ihr im tiefsten Grund eures Bewußtseins die feste Überzeugung, daß unser Leben nur dann Sinn hat, wenn es radikal und vollständig auf Gott ausgerichtet ist. Die Verehrung für das Kreuz der Wunder — das Gründungskreuz von Corrientes — und für die Unbefleckte Empfängnis von Itatf machen offenbar, wem eure große Liebe gilt: dem Gekreuzigten Herrn und seiner Unbefleckten Mutter, dem Geschöpf, das sich am meisten und am besten mit dem Erlösungsgeheimnis ihres Sohnes zu vereinen wußte. Ihr müßt darum die verschiedenen Äußerungen eures Volksglaubens als bevorzugten Weg für eure Verbindung mit Gott und mit den Nächsten bewahren und fordern. Als der Nordosten Argentiniens in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts das Licht des Glaubens empfing, erfüllte die Botschaft des Evangeliums euer ganzes Dasein mit Leben. Das war dem oftmals heroischen Eifer jener ersten Missionare — Priester und Ordensmänner — zu verdanken, unter denen sich besonders die Franziskaner und die Jesuiten auszeichneten, mit einzigartigen Gestalten wie Fra Luis de Bolanos, dem seligen Roque Conzälez vom Heiligen Kreuz und vielen anderen. Die Missionen oder „Dorfpfarreien“ der Jesuiten stellen zweifellos einen der vollendetsten Erfolge der Begegnung zwischen der spanisch-portugiesischen Welt und der Welt der Eingeborenen dar. In ihnen wurde eine wunderbare Methode der Evangelisierung und Humanisierung praktiziert, die die starken Bande, die zwischen Evangelisierung und menschlicher Entfaltung bestehen, 539 REISEN zu verwirklichen wußte (vgl. Evangelii nuntiandi, Nr. 31, in: Wort und Weisung, 1975, S. 558). Die Auswanderer der beiden letzten Jahrhunderte, die kamen, um sich der bodenständigen Bevölkerung („Kreolen“) anzuschließen, haben ihre eigenen Kulturwerte, ihre Arbeit und in den meisten Fällen ihren katholischen Glauben mitgebracht. So trugen sie zur Formung eurer Gesellschaft bei, die tief in diesem Glauben verwurzelt ist, den sie in den Anfängen der Neuen Welt entstehen sah. Von geistigem Leben geprägte Zukunft . . . 8. Die Kirche in dieser Region erlebt einen besonders verheißungsvollen Augenblick. Durch die Diözesanorganisationen und durch zahlreiche fruchtbare pastorale Initiativen der letzten Jahrzehnte eröffnen sich Aussichten, die mit neuer Hoffnung in die Zukunft blicken lassen. Ich bitte den Herrn, daß er euch viele Priester schicke, erfüllt von geistigem Leben und innerem Drang zur Glaubensverkündigung und mit großem apostolischem Eifer als treue Verkündiger des göttlichen Wortes und Ausspender der Gnadenquellen, d. h. der Sakramente. Ichblickemitbesonderemlnteresseauf das kürzlich errichtete interdiözesane Priesterseminar „Resistencia“, von dem ich viele Früchte zum Wohl der Kirche in dieser Pastoralregion erwarte. Alle gläubigen Christen sind aufgerufen, an der Sendung Christi teilzunehmen, jeder entsprechend seiner Berufung im Volk Gottes. Die bevorstehende Bischofssynode, die der Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt gewidmet ist, läßt mich vor allem an euch denken, liebe Laien im Nordosten Argentiniens. Die Kirche und die bürgerliche Gesellschaft erwarten viel von eurem christlichen Engagement und von eurer apostolischen Verantwortung, vor allem in der für die Laien spezifischen Aufgabe: alle irdischen Strukturen mit christlichem Sinn zu durchtränken. Um den Reichtum dieses Glaubenserbes, das ihr empfangen habt, zu vertiefen, müßt ihr euch immer mehr dessen bewußt sein, daß der Glaube unter allen Gegebenheiten eures persönlichen Lebens und der Arbeit, in die euch die göttliche Vorsehung gestellt hat, gelebt werden muß. Auf diese Weise wird die tiefgreifende wirtschaftliche Veränderung, auf die „Mesopotamia“ — vor allem durch die Nutzung der Wasserkraft — zugeht, von einer ständigen inneren Verbesserung begleitet sein, die euch auf die Wege eines echten Gesamtfortschritts — das heißt menschlichen und christlichen Fortschritts — führt. Vergeht bei dieser Entwicklung, mit der euch Gott auch seine Liebe zeigt, niemals eure ärmeren Brüder. Von Gerechtigkeit und christlicher Liebe gedrängt, werdet ihr euch darum bemühen, daß alle an den 540 REISEN materiellen und geistigen Gütern dieser neuen Epoche, die sich abzeichnet, teilhaben. Die Familie muß weiterhin die erste Schule christlichen Glaubens und Lebens sein, die Vermittlerin dieses Erbes der Volksfrömmigkeit, die zur Seele eures Volkes gehört. Den christlichen Eltern obliegt in dieser Hinsicht eine ernste Pflicht: Männer und Frauen zu formen, die in ihrer Familie die menschlichen und christlichen Tugenden lernen und sehen sollen, daß der Wert der unauflöslichen Ehe gelebt wird und der echten ehelichen Liebe, die mitten aus den Schwierigkeiten dieses Lebens immer gestärkt und verjüngt hervorgeht. Die von Gott trennende Sünde überwinden 9. Liebe Brüder und Schwestern! Ich bitte euch alle, denkt daran: lebendige Glieder des Gottesvolkes sein, bedeutet an erster Stelle Christus annehmen, ihm in unseren Herzen, in unserem Leben Raum geben. Es bedeutet, Maria nachahmen in ihrer Verfügbarkeit und Bereitschaft, das, was sie als Willen Gottes erkennt, anzunehmen und in die Tat umzusetzen. Nachdem sie die Verkündigung des Engels empfangen hat, eilt sie in das Bergland von Judäa. Sie macht sich auf den Weg, den Sohn Gottes unter ihrem Herzen, ohne auf die Schwierigkeiten zu achten, die diese Reise für sie mit sich bringen könnte. Maria wußte die Schwierigkeiten dieses Pilgerweges zu überwinden. Die Hauptschwierigkeit, das große Hindernis, das uns daran hindert, unserer Mutter zu folgen, ist die Sünde. Die Sünde macht uns unfähig, den Herrn zu empfangen; wenn sich die Seele in der Sünde befindet, kann in ihr nicht der Sohn Gottes geboren werden, kann Jesus nicht in ihr wohnen; gibt es keinen Platz für ihn. Der Pilgerweg des Glaubens verlangt, daß wir das Hindernis der Sünde wegschaffen, das Kommen des Gottessohnes in unseren Seelen aufnehmen und zu Teilhabern an seiner Gottessohnschaft werden. <35> <35> „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau ..., damit wir die Sohnschaft erlangen“ (Gal 4,4-5). Das ist die erste Dimension des göttlichen Geheimnisses. Die zweite Dimension, die eng mit dieser ersten verbunden ist, besteht in der göttlichen Adoptivkindschaft, an der die Menschenkinder teilhaben. Wir alle sind von unseren Müttern empfangen und geboren worden; im Sohn Marias empfangen wir ohne Zweifel die Adoptivkindschaft Gottes. Wir werden schließlich Söhne im Sohn Gottes. „Und wenn wir Söhne sind“, sagt der Apostel, „dann sind wir auch Erben, Erben durch den Willen Gottes“ (vgl. Gal 4,6-7). Wir sind dazu berufen, am Leben Gottes teilzuhaben, wie der Sohn. Durch sein Wirken empfangen wir den heiligen Geist, „der ruft: Abba, Vater!“ (Gal 4,6). 541 REISEN Wir sind berufen worden zur Freiheit der Kinder Gottes: „Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn“ (Gal 4,7); es ist die Freiheit, die Christus uns durch sein Kreuz und seine Auferstehung erkauft hat. Im Hinblick auf die kommenden Tage der Karwoche und des Osterfestes gewinnen diese Worte besondere Tiefe und Eindringlichkeit. Unseren Blick auf die Mutter des Herrn gerichtet, bedenken wir die unerforschlichen Geheimnisse der göttlichen Weisheit, deren Zeugin sie gewesen ist, als die Zeit erfüllt war. Das ist die Fülle der Zeit, die auf ewig dauert! Auswanderung — Symbol für den Weg zur ewigen Heimat Ansprache an Einwanderer in Parana (Argentinien) am 9. April „Unsere Urväter ... erkannten, daß sie Fremde und Gäste auf Erden sind ... sie suchten eine Heimat“ (Hebr 1,13-14). 1. Geliebte Brüder im Bischofsamt, liebe Brüder und Schwestern! Wir sind hier in der Stadt Parana versammelt, am Ufer des Flusses mit dem gleichen Namen, um das Wort Gottes zu hören und es in uns aufzunehmen. Die eben aus dem Brief an die Hebräer vorgelesenen Worte treffen auf die edle Nation Argentinien besonders gut zu, die in der Vergangenheit Einwandererland war und heute noch ist und sich den Einwanderern gegenüber immer als gastliches und freundliches Land erwiesen hat. Für mich ist es eine große Freude, zusammen mit euch diesen liturgischen Gebetsgottesdienst für die Einwanderer zu halten. Ich begrüße hier die Vertreter der Behörden, meine geliebten Brüder im Bischofsamt, insbesondere den Hirten dieser Erzdiözese, die Priester, Ordensleute und alle übrigen hier anwesenden Gläubigen, endlich alle, die über die Kommunikationsmittel mit uns verbunden sind. „Danket dem Herrn, denn er ist gütig ... so sollen alle sprechen“ (Ps 106,107,1-2). Das Argentinien von heute — so darf man wohl sagen — ist zum Großteil ein Land von Einwanderern, von Männern und Frauen, die gekommen sind, „um auf argentinischer Erde zu leben“, wie es in der Einleitung eurer Verfassung heißt. Eure Nation hat es verstanden, die Neuankömmlinge aufzunehmen, und diese wiederum haben hier eine neue Heimat gefunden, in die sie das Erbe aus ihrem Herkunftsland mitbrachten. Angesichts dieser frohen Wahrheit fallen mir die Worte des Psalms ein „Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig. So sollen alle 542 REISEN sprechen, die vom Herrn erlöst sind, die er von ihren Feinden befreit hat. Denn er hat sie aus den Ländern gesammelt, vom Aufgang und Niedergang, vom Norden und Süden ... die dann in ihrer Bedrängnis schrien zum Herrn, die er ihren Ängsten entriß und die er führte auf geraden Wegen, so daß sie zur wohnlichen Stadt gelangten“ (Ps 107,1-3, 6-7). 2. Heute wird im Evangelium die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten verkündet. „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter, und flieh nach Ägypten; dort bleibe, bis ich dir etwas anderes auftrage ... Als Herodes gestorben war, erschien wieder ein Engel dem Joseph im Traum und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter, und zieh in das Land Israel“ {Mt 2,13, 19-20). Der Herr, der sich in seiner großen Barmherzigkeit allen seinen Brüdern, den Menschen gleich machte, nur die Sünde ausgenommen (vgl. Hebr 2,17), hat mit seiner heiligen Mutter und dem hl. Joseph auch die Gestalt eines Einwanderers annehmen wollen, gleich zu Beginn seines Lebens in dieser Welt. Kurz nach seiner Geburt in Bethlehem sah sich die Heilige Familie gezwungen, ins Exil zu gehen. Vielleicht scheint uns Ägypten nicht so weit weg zu liegen, aber die Plötzlichkeit der Flucht, die Durchquerung der Wüste und die Begegnung mit einer anderen Kultur zeigen wohl doch zur Genüge, wie sehr Jesus dieses Leben teilen wollte, das so vielen Menschen zufällt. Viele Einwanderer erkennen heute — wie schon in früheren Zeiten — ihre eigene Lage in der von Jesus wieder, der die Heimat verlassen mußte, um zu überleben. In diesem Lebensabschnitt Christi müssen wir vor allem die Bedeutung sehen, die das Ereignis im Heilsplan des Vaters hatte. Die Flucht und der Aufenthalt in Ägypten trugen dazu bei, daß das Opfer Christi zur vorgesehenen Stunde (Joh 13,1) und in Jerusalem stattfand (vgl. Mt 20,17-19). Gleichermaßen ist das Leben der Emigranten eng mit den Plänen Gottes verknüpft zu sehen. Damit komme ich zum grundlegenden Gesichtspunkt der Emigration. 3. Die Einwanderer kamen vor allem auf der Suche nach Arbeit hierher, die sie in ihrem Herkunftsland nicht finden konnten. Mit diesem Wunsch zu arbeiten und zum Gemeinwohl des Landes, das sie so großzügig aufnahm, beizutragen, brachten sie auch ihr geschichtliches, kulturelles und religiöses Erbe aus dem jeweiligen Herkunftsland mit. Für das damals spanische Argentinien bedeuteten die nachfolgenden Einwanderungswellen aus Spanien, Italien, Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Polen, der Ukraine, Jugoslawien, Armenien, dem Libanon, Syrien, der Türkei sowie den jüdischen Gemeinschaften aus Ost- und Mitteleuropa nicht nur eine Quelle wirtschaftlichen und kulturellen Reichtums, sondern auch die Grundlage für die heutige Zusammensetzung der Bevölkerung. 543 REISEN Viele dieser Einwanderer brachten außer ihrer Armut den großen Reichtum ihres katholischen Glaubens mit; viele andere fanden diesen erhabenen Schatz hier. Vielleicht sollte man während der neunjährigen Vorbereitungszeit auf die Fünfhundertjahrfeier der Evangelisierung Amerikas daran denken, welche Bedeutung viele der aus Europa hierhergekommenen Einwanderer für diese Evangelisierung auch in der letzten Zeit hatten: sie brachten einen aufrichtigen Glauben und ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zur katholischen Kirche wie auch den Schatz einer traditionsgebundenen Form der Frömmigkeit mit. Sie gaben der heutigen Religiosität dieses Landes ihre definitive Gestalt, so wie auch der vieler Nachbarstaaten, wo sie in wunderbarer Eintracht mit den örtlichen Traditionen zusammenlebten. Andere Einwanderer brachten weitere religiöse Überlieferungen mit. Ich denke in erster Linie an diejenigen, die den verschiedenen christlichen Konfessionen des Ostens und des Westens angehören. Ich möchte aber hier in der Provinz Entre Rios auch an die jüdischen Einwanderer erinnern, denen wir einen so großen kulturellen Beitrag verdanken. Heute sind die Einwanderwellen aus Europa abgeebbt und werden von anderen Einwanderern, diesmal aus den Nachbarländern, ersetzt. Heute stammen diejenigen, die „auf diesem Boden zu leben“ gekommen sind, aus benachbarten Regionen. Ich darf aber keinesfalls die Wanderungen innerhalb des Landes vergessen. In Argentinien gehen sie wie in allen anderen Ländern darauf zurück, daß es ärmere und reichere Provinzen gibt. Daneben üben die großen Städte eine oft zu Unrecht bestehende große Anziehungskraft aus. Trotz all dieser Unterschiede der Herkunft, Kultur und Religion hat es in Argentinien lobenswerterweise nie Konflikte oder Diskriminierung aufgrund von Rasse oder Religion gegeben. Auch deshalb rufen wir: „Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig“ (Ps 106, 107,1). Dankt Gott und eurem Argentinien für die Hochherzigkeit und Offenheit, die eure Väter besaßen, und verfahrt in gleicher Weise mit euren benachteiligten Brüdern und Schwestern. 4. Ein den Einwanderern offenstehendes Land ist ein gastfreundliches und großzügiges Land, das immer jung bleibt, da es sich, ohne die eigene Identität zu verlieren, erneuert, indem es immer neue Einwanderer zuläßt: diese Erneuerung der Tradition ist ein Zeichen für Kraft, Vielfalt und eine vielversprechende Zukunft. Argentinien lebt nicht nur aus der Vergangenheit, es ist immer in neuem Werden begriffen. Im Gegensatz zu diesen Gefühlen, die so sehr dem christlichen Geist entsprechen, und den vielen positiven Anzeichen, die es überall gibt, kann man doch 544 REISEN gewisse Vorurteile den Einwanderern gegenüber feststellen: die Furcht, daß die Fremden — obwohl nur für gewisse Arbeiten zugelassen — in die argentinische Gesellschaft, die sie aufnahm, ein gewisses Ungleichgewicht brachten; das aber führte zu einer mehr oder weniger bewußten Abneigung, ja Feindseligkeit ihnen gegenüber. Ihr müßt euch bewußt sein, daß diese Furcht und Voreingenommenheit keinen anderen Grund haben als den eigenen Egoismus. Es ist deshalb besonders wichtig, daß ihr den Geist des Evangeliums, den Geist der Barmherzigkeit und Gastfreundschaft allen gegenüber erneuert. Ich erinnere hier an die Worte aus dem Brief an die Hebräer: „Die Bruderliebe soll bleiben. Vergeßt die Gastfreundschaft nicht, denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt“ (Hebr 13,1-2). Gastfreundschaft ist eine Kunst, die nicht in Vorschriften und Gesetzen festgelegt werden kann; sie muß aber in jedem christlichen Herzen leben. Die Herzen der Argentinier dürfen nicht härter werden: so, wie ihr früher die Einwanderer aus der alten Welt aufgenommen habt, nehmt jetzt eure benachteiligten Brüder aus den Nachbarländern auf, damit sie hier eine Heimat finden, genauso wie eure Vorfahren sie an diesen Ufern gefunden haben. In diesem Lande darf es keine Bürger zweiter Klasse geben, denn es hat sie hier nie gegeben: dieses Land soll für alle Menschen guten Willens offenstehen. Ihr müßt dafür sorgen, daß die Einwanderer in diesem Land, das sie aufnimmt, Wurzeln schlagen können und die kirchliche Gemeinschaft sie als Brüder und Schwestern aufnimmt. Das setzt voraus, daß die Integration in die neue Umwelt mit großer Feinfühligkeit und unter Berücksichtigung des geistigen Erbes der Einwanderer geschieht. So werden Spannungen und Konflikte vermieden und eine gegenseitige menschliche und geistige Bereicherung gefördert. 5. Liebe katholische Einwanderer! Ihr müßt euch als lebendige Glieder der Kirche fühlen — was ihr ja seid —, nicht nur als Empfänger materieller und geistiger Hilfe, sondern als wirkliche aktive Mitarbeiter an der Evangelisierung. Gott hat euch gesegnet und eine neue Heimat geschenkt; vor allem hat er euch aber den christlichen Glauben gegeben, „ein Feststehen in dem, was man erhofft, ein Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht“ (Hebr 11,7). Ihr müßt diesen Glauben als Hefe der Evangelisierung in eurem neuen Vaterland aufgehen lassen. Verschanzt euch nicht in eurer Situation, so unsicher sie auch scheinen mag: Gott wül, daß ihr an der Heiligung der Mitmenschen und bei allen Dingen des menschlichen Lebens mitarbeitet. Zum Christen berufen sein bedeutet, unabhängig von eurer Stellung, auch eine Berufung zum Apostolat (vgl. Apostolicam actuositatem, Nr. 2). Die große Sendung, die wir in der Taufe erhalten, besteht darin, Zeugnis für das neu empfangene Leben ab- 545 REISEN zulegen; eine passive Haltung hat hier keinen Platz. Die Ausbreitung des Reiches Gottes ist nicht nur Aufgabe der Bischöfe, Priester und Ordensleute. Alle müssen — im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten — ihr eigenes Lebenszeugnis ablegen und Christus verkünden. Euer Verhalten muß so sein, daß die anderen überzeugt feststellen können: er ist ein wirklicher Christ, denn er macht keine Unterschiede: er ist verständnisvoll und nicht fanatisch; er weiß seine niedrigen Instinkte zu beherrschen, ist arbeitsam, opferbereit und liebevoll; er betet und liebt den Frieden. Hören wir die Worte des Psalms: „Sie bestellen Felder, pflanzen Reben und erzielen reiche Erntender segnete sie, so daß sie sich gewaltig vermehrten“ (Ps 107, 37-38). Denken wir kurz über diesen Abschnitt des Psalms nach! Wer nicht die Felder Gottes bestellt, nicht getreu den göttlichen Auftrag Christus bekannt macht, wird kaum den Segen des Herrn empfangen oder die endgültige Heimat erreichen. Deshalb fordert der Papst euch auf — und in wenigen Augenblicken werden wir Gott auch im Gebet der Gläubigen darum bitten —, setzt euch für eine neue Grenzen überschreitende Evangelisierung ein, die in Argentinien und von Argentinien aus erfolgt. 6. Die Auswanderung ist alt wie die Geschichte der Menschheit. Vielleicht muß man in ihr ein Zeichen dafür sehen, daß unser irdisches Leben im Grund nur der Weg zur ewigen Heimat isL Unsere Väter im Glauben erkannten, daß „sie Fremde und Wanderer auf Erden waren“ (Hebr 11,3). Die vierzig Jahre der Wandemng des auserwählten Volkes durch die Wüste müssen als Gabe Gottes und Teil seiner Pädagogik gesehen werden: in ihrem Leben sollte für immer eingegraben sein, daß „wir hier keine bleibende Stätte haben; sondern auf der Suche nach der künftigen sind“ (Hebr 13,14). Der Hl. Petrus erinnert uns daran, daß wir „Fremde und Pilger“ sind (7 Petr 2,11), wo immer wir uns auch befinden, damit wir so unsere Hoffnung auf Gott und nicht auf weltliche Dinge setzen und unser Wille immer dem Willen des Herrn entspricht. Das bedeutet nicht, daß ihr die Welt verachten oder an weltlichen Dingen keinen Anteil nehmen oder eure Heimat nicht lieben sollt, in der ihr oder eure Ahnen Wurzeln geschlagen habt. Vielmehr sollt ihr dem Ruf des Herrn folgen und darüber hinausschauen, auf das endgültige Ziel eures Lebensweges und des Lebens der Kirche, „das Haus des Vaters“ (Joh 14,2). Wir müssen immer wachsam sein, denn „wir haben keine bleibende Stätte“ und kennen weder den Tag noch die Stunde (vgl. Mt 25,13), in der wir in die „künftige Stadt“ gerufen werden. Die Kirche Christi ist in dieser Welt eine pilgernde Kirche, eine Kirche unterwegs zur Ewigkeit. Wenn wir Wurzeln geschlagen haben in diesem Land, in dem wir uns begegnen und um dessen Wohl wir besorgt sind; 546 REISEN wenn wir uns gleichzeitig immer unserer ewigen Bestimmung bewußt sind, wird unsere Pilgerfahrt uns von dieser Heimat aus in das Gelobte Land führen, und so wird sich der Psalm erfüllen: „Der Herr machte die Wüste zum Wasserteich, verdorrtes Land zu Oasen, dort siedelte er Hungernde an, sie gründeten wohnliche Städte“ (Ps 107,35-36). Die ewige Stadt! Das himmlische Jerusalem! Amen. Der gottgeweihte Mensch muß ein klares Zeichen sein Ansprache an die Priester, Ordensleute und in der Seelsorge Tätigen in Buenos Aires (Argentinien) am 10. April „Bringt dar dem Herrn, ihr Stämme der Völker, bringt dar dem Herrn Lob und Ehre! “(Pi- 96,7) 1. Die Liturgie, die wir heute feiern, geliebte Brüder und Schwestern im Herrn, wiederholt diese schönen Psalmworte, die uns einladen, Gott für sein Heilswirken inmitten der Völker und in der ganzen Schöpfung zu preisen. Dieser Gesang entspringt jetzt den Herzen von Menschen, die sich Gott geweiht haben, um freudig auf dem Weg der Vollkommenheit fortzuschreiten und sich ganz den Aufgaben der Evangelisierung zur Verfügung zu stellen. Ich danke euch für eure Anwesenheit und für eure Begeisterung sowie für euer Zeugnis, das sicher in den Tag für Tag gelebten Verpflichtungen zur Heiligung und zum Apostolat seinen Ausdruck findet. An der Schwelle der Karwoche erinnert uns die Kirche mit den Worten des Psalmisten daran, daß Christus es ist, der in uns, aus uns und für uns betet, als wollte er Gott aufs neue und für immer die ganze Schöpfung und die ganze Menschheit darbringen, in dem Verlangen, die Wirklichkeit der Wiederherstellung aller Dinge vorzubereiten, „damit Gott herrscht über alles und in allem (1 Kor 15,28). Der Herr nimmt so in unserem Leben „jenen Hymnus, ... der in den himmlischen Wohnungen durch alle Ewigkeit erklingt“ (Sacro-sanctum Concilium, Nr. 83), vorweg. Seit dem Tag der Menschwerdung vollzieht Jesus, das fleischgewordene Wort, sein Werk der Erlösung all dessen, was infolge der Sünde gefallen war, und bringt es dem Vater als neue Schöpfung dar. Jesus hat „sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt“ (Gaudium et spes, Nr. 22) und ihn durch seine göttliche Sohnschaft, an der er uns durch sein blutiges Opfer und seine glorreiche Auferstehung teilhaben läßt, in ein neues Geschöpf verwandelt. 547 REISEN Die Menschwerdung ist Gottes unüberbietbares Handeln für die Welt 2. Der Vater hat seinen Sohn wahrhaftig in die Welt gesandt, damit wir, mit ihm vereint und in ihn verwandelt, Gott das gleiche Geschenk der Liebe zurückerstatten können, das er uns gewährt: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt... das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Von diesem Geschenk der Liebe ausgehend, können wir das ewige Leben Gottes, das in der rückhaltlosen und ewigen Hingabe des Sohnes an den Vater in der Liebe des Heiligen Geistes besteht, besser verstehen und in uns Wirklichkeit werden lassen, eine erhabene Wirklichkeit, die der hl. Johannes vom Kreuz mit den folgenden Worten zum Ausdruck bringt: „Gott den gleichen Gott in Gott schenken“ {Der Ruf der lebendigen Liebe, 3: Gesang). Ich wollte euch diese christlichen Ideale in Erinnerung rufen, um in eurem Geist und in euren Herzen das Gedenken an den letzten und großartigen Zweck jeder Evangelisierung aufs neue wachzurufen. Nur jener Apostel, der von diesen Vollkommenheitsidealen beseelt ist, wird imstande sein, allen Schwierigkeiten entgegenzutreten und sie zum Mittel einer radikaleren Christusnachfolge und eines entschiedeneren pastoralen Einsatzes zu machen. „Diese missionarische Tätigkeit (gehört) zur vollen Verherrlichung Gottes, indem die Menschen sein Heilswerk, das er in Christus vollzogen hat, bewußt und in seiner Ganzheit annehmen“ {Ad gentes, Nr. 7), sagt das Zweite Vatikanische Konzil. Im Herzen jedes Menschen findet sich jedoch ein Hindernis, das diesem Prozeß der inneren Einigung und der Harmonie mit der ganzen Schöpfung widersteht: Es ist dies die Sünde, die Abwendung von Gott, die Feindschaft den Brüdern gegenüber. Wir leben in einer Gesellschaft, die manchmal den Eindruck erweckt, als hätte sie das Sündenbewußtsein verloren, eben weil sie den Sinn für die Werte des Geistes verlorenhat, die jeden authentischen Humanismus beseelen müssen. Der Mensch, der aus den Händen des Schöpfers hervorgegangen ist, kann sich nur dann voll verwirklichen, wenn er sich in seinem Geist und seinem Verhalten, auf persönlicher und sozialer Ebene, seiner Natur als „Abbildung und Gleichnis Gottes“ (vgl. Gen 1,26) angleicht. Die Sünde ist letzten Endes die Zerstörung der Gabe, die uns durch Christus, den Erlöser, im Heiligen Geist angeboten wird. Gottes grenzenlose Liebe ist Grimd zur Hoffnung 3. Christus siegt über die Sünde durch das Opfer des Kreuzes, die „Darbietung der höchsten Liebe, die das Böse aller Sünden der Menschen überwin- 548 REISEN det“ (Dominum et vivificantem, Nr. 31). Er siegt durch den Gehorsam dem Vater gegenüber bis zum Tod, der sich in das österliche Geheimnis der Auferstehung verwandelt (vgl. Phil 2,8-11). Diese Überwindung der Sünde durch die Liebe ist ein Neubeginn der „Rückerstattung“ aller Dinge und der ganzen Menschheit an Gott als ein Eigentum. Dank des Ostergeheimnisses Christi ist alles in einem noch volleren Sinn des Wortes Gottes Besitz: als in Christus erlöstes und wiederhergestelltes Universum (vgl. Eph 1,10). Der Mensch als Person und die ganze Menschheit können in Christus ihre Existenz zu einem Geschenk an Gott und an den Nächsten verwandeln. Es ist schmerzlich, festzustellen, daß die eigene Sünde Christus gekreuzigt hat, der im Bruder lebt; es ist jedoch tröstlich, dem gekreuzigten Christus zu begegnen, der liebend stirbt, um die Sünde zu zerstören und den Menschen wiederherzustellen. Dieser Mensch, dem verziehen wurde und der wiederhergestellt ist — wie der hl. Paulus oder hl. Augustinus — bringt die besten Voraussetzungen mit, um allen die Vergebung und die Versöhnung zu verkünden. Ist es etwa nicht so, daß aus dieser grandiosen Perspektive des Evangeliums die christliche Hoffnung neues Leben empfangt, die es versteht, den Frieden aufzubauen, indem sie allen die Vergebung und die Versöhnung in der Freude des auferstandenen Christus verkündet? 4. Die Liturgie hat uns nach und nach der Feier des Osterfestes nähergebracht, dem Geheimnis des Emmanuel, des „Gott mit uns“. Jesus Christus ist der Sohn Gottes, der für immer einen Bund der Liebe zwischen Gott und den Menschen mit seinem Siegel bekräftigt hat. Er „hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14) und an unserer Existenz teilgenommen, und das so weit, daß er seinen Opfertod zur Quelle neuen Lebens für alle Menschen gemacht hat (vgl. Joh 7,38-39). Durch Christus und im neuen Leben des Heiligen Geistes kann der Mensch nun der heiligsten Dreifaltigkeit zurückerstattet werden, denn aus seinem Kreuz kommt die Kraft der Erlösung (vgl. Dominum et vivificantem, Nr. 14). Die Welt und die gesamte Menschheit hat das Gleichgewicht, das durch die Sünde verlorengegangen war, wiedergewonnen dank des Erlösertodes Christi, des Sohnes Gottes, der die wunderbare Einheit des Kosmos und der ganzen Menschheitsfamilie wiederhergestellt hat. Dank des Ostergeheimnisses nimmt die gesamte Schöpfung an der Herrlichkeit des auferstandenen Christus teil und kann das „neue Lied“ jener singen, die Christus nachfolgen (vgl. Ojfb 5,9) „das in unserer liturgischen Feier widerhallt: „Singet dem Herrn ein neues Lied, singt dem Herrn, alle Länder der Erde! Singt dem Herrn und preist seinen Namen!“ (Ps 96, 1-2). 549 REISEN 5. Wir alle, die wir hier vereint sind, um an dieser Eucharistiefeier teilzunehmen, in der sich das Ostergeheimnis erneuert und Christus uns dem Vater wiedergibt, richten wir unseren Blick mit tiefem Glauben auf den Erlöser (vgl. Hebr 12,2), um ihm aus ganzem Herzen erneut zu versichern, daß wir ihm gehören. Wir gehören ganz ihm durch die Taufe, die uns auf sakramentale Weise in den Tod und die Auferstehung des Herrn hineinnimmt, und so den Anfang zu einem neuen Leben setzt, in dem Christus unsere gesamte Existenz wiederherstellt und sie in Neuheit des Lebens dem Vater übergibt. Als Getaufte sind wir bereits zur Heiligkeit berufen, da „alle Christgläubigen“, in jedem Stand und in allen Lebensverhältnissen zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen sind {Lumen gentium, Nr. 40). Wir gehören ganz ihm durch die Mission, die er den Aposteln und der ganzen Kirche anvertraut hat. Diese Mission „verdient es, daß der Glaubensbote ihr seine ganze Zeit und all seine Kräfte widmet und, falls notwendig, für sie auch sein eigenes Leben opfert“ {Evangelii nuntiandi, Nr. 5). Wir gehören ganz ihm aufgrund der Priesterweihe, die uns auf sakramentale Weise befähigt, Christus, das Haupt seines mystischen Leibes, darzustellen und so allen Gläubigen in seinem Namen und mit seiner Autorität zu dienen. Die Tatsache, daß wir das Sakrament der Priesterweihe empfangen haben, verpflichtet uns zu einer tiefen Identifizierung mit Christus und mit den Geheimnissen unseres Glaubens, deren Verbreiter wir sind. Wir gehören ganz ihm aufgrund unserer Weihe als Ordensleute und durch die ständige Beobachtung der evangelischen Räte, die, weil im Sakrament der Taufe als Rückerstattung und Übergabe an den Vater verwurzelt, die Existenz jedes einzelnen dem gekreuzigten und auferstandenen Christus ähnlich macht. Diese Weihe an Christus ist „Zeichen und Anreiz der Liebe und wie eine besondere Quelle geistlicher Fruchtbarkeit in der Welt“ {Lumen gentium, Nr. 42). Wir alle, also die Priester, die Orden Angehörenden und die in der Seelsorge Tätigen, gehören ganz ihm und müssen mit österlicher Freude, der persönlichen Berufung entsprechend, die Gegenwart, das Opfer und das Heilswirken Christi, des Siegers über Sünde und Tod, fortführen. . Die frohe Botschaft der ganzen Welt mitteilen 6. Heute wollen wir alle, die wir ganz ihm gehören, in dieser Eucharistiefeier nicht nur seine Botschaft vernehmen, sondern vor allem den Missionsauftrag des Herrn in unser Herz aufnehmen: „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ {Mk 16,15). Dieser Missionsauftrag Jesu ist gleichsam eine Kundgabe der Liebe, vertraut 550 REISEN er uns doch das Kostbarste an, das er sein eigen nennt: den vom Vater empfangenen Auftrag, die gefallene Menschheit zu erlösen. Da er sein Leben hingegeben hat, um seine Heilsmission zu vollenden, empfangen wir, die wir ganz ihm gehören, diesen Auftrag aus der Hand der Kirche, um unser Leben mit ihm, Christus, zu teilen. Die Weihe, welche die Taufe in uns vollzogen hat, ist die erste Quelle dieser Berufung zum Apostolat, zum Evangelisieren. Da „die ganze Kirche missionarisch ... (ist, ist) das Werk der Evangelisation eine Grundpflicht des Gottesvolkes“ (Adgentes, Nr. 35). Deshalb ist „Evangelisieren ... niemals das individuelle und isolierte Tun des einzelnen, es ist vielmehr ein zutiefst kirchliches Tun“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 60). Darüber hinaus sind wir, die wir die Weihe zum Amtspriestertum empfangen haben, auf neue Weise besonders zum Apostolat und zur Evangelisierung durch den Dienst des Wortes und der Sakramente verpflichtet. Der Einsatz für die Evangelisierungsaufgabe der Kirche ist für uns eine dringende, aber auch befriedigende Pflicht. Seien wir brauchbare und tatkräftige Werkzeuge für das Wirken Christi, des guten Hirten, in den Seelen; seien wir Werkzeuge der notwendigen Einheit, welche das Evangelisierungswerk, das der Herr seiner Kirche anvertraut hat, erfordert! Der Ruf Gottes zur Ordensprofeß und zur ständigen Beobachtung der evangelischen Räte erschließt dem Apostolat der Kirche neue Wege und legt neue Kräfte für die Evangelisierung frei. Der gottgeweihte Mensch muß ein klares Zeichen sein und die Hingabe der Welt an Gott vollziehen. Er ist auch ein lebendiges Zeichen der Armut Christi, der allem entsagte und „gehorsam (war) bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 8,2). Durch diese Weihe an den Herrn wird deutlich das Opfer Christi auf dem Altar des erlösenden Willens des Vaters sichtbar. Dort entspringt die geheimnisvolle Fruchtbarkeit des gottgeweihten Lebens als wirksames Zeichen der Evangelisierung. Jene, die zu dieser Weihe berufen sind, „fügen ... sich in die Dynamik der Kirche ein ... (sie) sind im Höchstmaß frei und willens, alles zu verlassen und hinzugehen, um das Evangelium zu verkünden bis an die Grenzen der Erde“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 69). <36> <36> Das Evangelium wird durch das lebendige Wort und durch das Zeichen des Lebens verkündet, ganz besonders jedoch durch das Zeugnis einer rückhaltlosen Hingabe an Gott. In bräutlicher Hingabe um des Reiches Gottes willen, das Christus bereits in der Geschichte der Menschheit grundgelegt hat, wird ihm die ganze Schöpfung dargebracht. Diese Heilssendung, die darin besteht, Gott alles zurückzuerstatten und darzubringen, möchte Christus mit allen jenen teilen, die sich ihm zur Verfügung stellen, um ihm zu folgen und sich bis 551 REISEN in die Tiefen ihres Seins vom Evangelium durchdringen zu lassen. Die Teilnahme an der Mission Christi setzt die bräutliche Haltung voraus, das eigene Schicksal anzunehmen und alles für ihn zu riskieren. In der Teilnahme am Apostolat der Kirche, an ihrer weltumspannenden Mission, „wird die bräutliche Liebe zu Christus auf fast organische Weise Liebe zur Kirche als dem Leib Christi, zur Kirche als Volk Gottes, zur Kirche, die zugleich Braut und Mutter ist“ (Redemptionis donum, Nr. 15). Die Haltung der Verbundenheit mit Christus und der bräutlichen Treue zu ihm macht euch sozusagen zum Ausdruck einer Kirche, die, wie Maria, hört, betet und liebt. Die Apostel aller Zeiten und auch ihr, Priester, Gottgeweihte und Träger der Seelsorge in Argentinien, braucht eine lebendige Erfahrung der betenden, Gemeinschaft, im Abendmahlssaal um Maria geschart, um neue Gnaden des Heiligen Geistes zu empfangen und den neuen Situationen der Evangelisierung in der heutigen Welt gewachsen zu sein. Das war meine Aufforderung in der Enzyklika Dominum et vivificantem (vgl. Nr. 25 und 26) und auch schon in meiner ersten Enzyklika Redemptor Hominis (vgl. Nr. 22), wobei ich den Spuren des II. Vatikanischen Konzils folgte (vgl. Lumen gentium. Nr. 59; Ad gentes, Nr. 4). Das Marianische Jahr, das wir in Kürze beginnen werden, stellt eine hervorragende Gelegenheit für die Erneuerung eures Lebens und eurer Einsatzbereitschaft nach den Richtlinien des Evangeliums dar. Die anspruchsvolle Aufgabe, die richtigen Worte zu finden 8. Der Herr erwartet von euch, daß ihr es versteht, seine Botschaft mit lebensvollen Worten zu verkünden, deren Klarheit der des Evangeliums gleichkommt; ebenso wird euer Leben insoweit Wort des Evangeliums sein, als es spontan euer inneres Engagement zum Ausdruck bringt. Dann wird auch euer Apostolat fruchtbar und glaubwürdig werden, erwartet doch die Welt von uns eine Lebensverpflichtung und das Beispiel des Gebetes, wie ich anläßlich der Begegnung in Assisi im Vorjahr hervorheben wollte. Das Evangelium auf diese Art verkünden ist ein „Ruhm“ (vgl. 1 Kor 9,15), wie uns der hl. Paulus in der zweiten Lesung dieser Eucharistiefeier sagt. Gerade deshalb jedoch muß die Verkündigung des Evangeliums für uns eine vordringliche Aufgabe sein, eine heilige Verpflichtung, wie eben dieser Apostel sagt: „Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“ (/ Kor 9,17). Ja, weh mir! Weh uns, wenn wir es nicht verstehen, das Evangelium heute einer Welt darzulegen, die, allem Anschein zum Trotz, weiterhin „Hunger nach Gott“ hat (vgl. Redemptor Hominis, Nr. 18). So wenden wir also, geliebte Brüder und Schwestern, an diesem vorletzten 552 REISEN Freitag der Fastenzeit unseren Blick voll Hoffnung dem Ostergeheimnis des Kreuzes und der Auferstehung Christi, diesem erhabensten Ausdruck seiner erlösenden Liebe zu. Der Herr möge euch mit einer Zunahme der Berufungen zum Apostolat, zum Priestertum und zum gottgeweihten Leben segnen. Es ist dies ein Geschenk, für das ihr ihm danken und an dem ihr Tag für Tag mitwir-ken müßt. Sowohl im persönlichen als auch im gemeinschaftlichen Leben ist es erforderlich, „die Freude, ausschließlich Gott anzugehören“ (Redemptio-nisdonum, Nr. 8) sichtbar zu machen. Diese Freude jedoch, die eine österliche ist, entspringt einem Herzen, dessen ganze Liebe Christus gehört, und das, von den Gütern dieser Welt gelöst, sich mit dem Herrn am Kreuz opfert und bereit ist, im Leben die Gaben seiner Liebe mit den Brüdern zu teilen. Viele Jungen und Mädchen werden sich zu dieser Nachfolge Christi berufen fühlen, wenn sie in euch die Zeichen der Liebe wahmehmen und das Antlitz Christi entdecken, das aufnimmt, hilft, versöhnt und rettet. 9. Lebt in der Hoffnung und laßt euch nicht von Kleinmut, Ermüdung und Kritik übermannen. Der Herr ist es, der euch leitet, hat er euch doch als Werkzeuge auserwählt, damit ihr in allen Bereichen des Apostolats reiche Frucht bringt und daß eure Frucht bleibe (vgl. Joh 15,16). Ihr alle, die ihr in der Pastoralarbeit tätig seid, werdet euch im kommenden Nationalkongreß für Katechese mit einem konkreten Aufgabenbereich im Rahmen der Planung und der Evangelisierungsaufgabe für die kirchliche-Erneuerung konfrontiert sehen. Eine richtige, orientierte Katechese ist die Grundlage für ein sakramentales, persönliches, familiäres und gesellschaftliches Leben, da jedes apostolische Handeln und insbesondere die Katechese „offen für die missionarische Dynamik der Kirche“ (Catechesi tradendae, Nr: 24) ist. Euch alle lade ich ein, gemeinsam für eine ständige Evangelisierung zu arbeiten. Kirche Argentiniens: „Auf, werde licht, denn dein Licht ist gekommen und die Herrlichkeit Gottes ging leuchtend über dir auf“ (vgl. Jes 60,1). Diese Worte des Propheten Jesaja rufen uns die Liturgie vom Fest der Erscheinung des Herrn vor allen Völkern in Erinnerung. Heute, in dieser Eucharistiefeier in Buenos Aires, ist die Kirche dem Osterfest schon nahe. Die Auferstehung Christi wird der Höhepunkt sein, an dem sich diese Worte erfüllen. Der Herr wird sein Geheimnis des Kreuzes und der Auferstehung kundtun; er wird im Licht der Wahrheit leuchten, um allen Völkern in der Kraft des Geistes zuzurufen: „Völker wandern zu deinem Licht“ (Jes 60,3). Wie sehr flehe ich Gott an, Argentinien möge seinen Weg im Licht Christi gehen! 553 REISEN Geht ihn fest und entschlossen; der Herr führt euch mit seiner Hand und wird euch erleuchten, damit euer Fuß nicht strauchelt! (vgl. Ps 91,12). Während die Wohlstands- und Konsumgesellschaft sich in einer schweren Krise der Werte des Geistes befindet, kann eure Kirche, die Kirche in ganz Lateinamerika,. wenn sie Christus treu bleibt, das Licht sein, das die Welt erleuchtet, damit sie den Weg der Solidarität, der Einfachheit, der menschlichen und christlichen Tugenden gehe, die das wahre Fundament der Gesellschaft, der Familien und des Friedens der Herzen sind. Hier liegt der Ursprung eurer Verpflichtung zur Evangelisierung: eure Mission ist es, Licht zu sein, um alle zu erleuchten, die in der Finsternis leben. Ihr, liebe Brüder und Schwestern, seid berufen worden, um in euch das Leitwort des hl. Paulus zu empfinden, es mit all seinen Folgen zu leben und es zum Gegenstand der täglichen Gewissenserforschung zu machen: „Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“ (I Kor 9,16). 10. Das Beispiel der Liebe Christi selbst hat euch berufen und in seinen Bann gezogen und auch das zahlreicher Heiliger, Apostel und Gründer, um schwach zu sein mit den Schwachen, damit ihr „allen ... alles (seid), um auf jeden Fall einige zu retten (7 Kor 9,22). Diesem Ruf seid ihr gefolgt mit der Liebe zum Evangelium, mit der Liebe zu Jesus selbst, „um an seiner Verheißung teilzuhaben“ (7 Kor 9,23). Mögen eure Herzen von der Freude und der Hoffnung erfüllt sein, die der Prophet Jesaja angekündigt hat und die in Jesus hier und jetzt verwirklicht wird. Lobt den Herrn mit den Worten des Psalmes, „Erzählt bei den Völkern von seiner Herrlichkeit! Der Herr ist König“ (Ps 95, 3.10). Ja, der gekreuzigte Christus ist König. Durch sein Kreuz und seine Auferstehung wurde Christus zum Mittelpunkt der Schöpfung, wurde Herr der Geschichte und Erlöser der Menschen. Er hat uns dem Vater übergeben und hat uns ein neues Leben geschenkt, das Teilnahme am schenkenden Leben der Dreifaltigkeit ist. Möge die Gottesmutter von Lujän für euch die Jungfrau des Jawortes werden, die Jungfrau der hochherzigen Treue und der vollständigen Hingabe an die Mission; möge sie auch die Jungfrau der Hoffnung sein, die ihr allen Brüdern und Schwestern verkünden und mitteilen müßt, indem ihr sie zuerst in euren Herzen Wirklichkeit werden laßt. Amen. 554 REISEN Gruppen- oder Klassenegoismus verhindern Ansprache an die Vertreter der Arbeitswelt in Buenos Aires (Argentinien) am 10. April Geliebte Arbeiter und Arbeiterinnen! Geliebte Männer und Frauen, die ihr tagtäglich mit eurer Arbeit zum Wohl des edlen argentinischen Landes beitragt! Gelobt sei Jesus Christus! 1. Meine Freude ist groß, Menschen zu begegnen, die alle etwas gemeinsam haben: sie sind Arbeiter! Ich möchte euch ganz offen sagen, daß ich mich der Welt der Arbeit besonders nahe fühle, mehr noch, ich fühle mich als einer von euch, und deshalb ist diese Begegnung mit euch Anlaß zu besonderer Freude. Wenn es möglich wäre, würde ich gerne mit jedem einzelnen sprechen, persönlich alle begrüßen, euch nach euren Familien fragen, nach eurer Arbeit, nach euren Freuden und Leiden. All dies liegt mir sehr am Herzen. Öfter schon habe ich von den Jahren erzählt, als ich Arbeiter in einem chemischen Betrieb war, für mich ein weiterer Unterricht im Evangelium. In jener Umgebung wurde mir bei schwerer körperlicher Arbeit der Beweis für eine enge Beziehung zwischen dem Evangelium und der Problematik menschlicher Arbeit in unserer Zeit gegeben. Dies ist keinesfalls eine neue, rein theoretische Behauptung, sondern eine erfreuliche menschliche und christliche Wirklichkeit, deren Bekanntmachung als Aufgabe der christlichen Kirche zufällt, die an der Schwelle zum 3. Jahrtausend diese Wahrheit allen arbeitenden Menschen mitteilen muß, damit diese sie erkennen und nach ihr leben. Heute fordere ich jeden und jede von euch auf „das innere Bemühen des menschlichen Geistes (zu leisten), um eurer Arbeit jene Bedeutung zu geben, die sie in den Augen Gottes hat“ (vgl. Laborem exercens, Nr. 24). Die Arbeit ist wie eine Berufung oder ein Ruf, der den Mensch erhöht und ihn teilnehmen läßt am Schöpfungswerk Gottes. Die Arbeit ist das Mittel, das Gott dem Menschen in die Hand gibt, damit er die Erde unterwerfen, ihre Geheimnisse entdecken, sie verändern und genießen und so die eigene Persönlichkeit bereichern kann. Sein Vorbild ist dabei Christus, der Erlöser der Menschheit, der sich nicht zu gering dünkte, einen großen Teil seines Lebens in der Werkstatt eines Handwerkers zu verbringen, der so der körperlichen Arbeit Würde verlieh und sie auf immer zu einem Werkzeug der Erlösung machte. 555 REISEN Trost, keine Vertröstung für die gedrückten Arbeiter 2. In den Briefen, die viele von euch anläßlich meines Pastoralbesuchs nach Rom geschickt haben, habt ihr eure Verhältnisse, Bestrebungen, Schwierigkeiten und auch Hoffnungen hervorgehoben, die ihr in euren Herzen hegt. Bei meinen häufigen Begegnungen mit Arbeitern aus aller Welt höre ich Trauriges und muß Mutlosigkeit und Verzweiflung feststellen, die großteils auf die ansteigende Arbeitslosigkeit zurückzüführen sind. Sicher habt ihr Grund zu schwerer Sorge, das weiß ich wohl, sicher ist aber auch, daß diese Gründe nicht zu Niedergeschlagenheit, Passivität und Hoffnungslosigkeit führen dürfen. Unser katholischer Glauben gibt uns immer genügend Grund, um nicht zu verzweifeln, wie schwierig und hart eine Situation auch erscheinen mag. In der Enzyklika Laborem exercens habe ich ein konkretes und klar erkennbares Ziel für den Produktionsbereich gesteckt: nämlich sicherstellen, daß bei der menschlichen Arbeit in erster Linie die menschlichen Werte beachtet werden. „Sonst ergeben sich im ganzen Wirtschaftsprozeß unkalkulierbare Schäden, und zwar nicht nur wirtschaftlicher Art, sondern vor allem Schäden an Menschen“ (Nr. 15). Heute fordere ich euch erneut auf, euch nicht mit einer verarmenden und entstellenden Sicht der Arbeit zufrieden zu geben; mein Wunsch ist es, daß ihr den ganzen Reichtum kennenlernt, den die Arbeit für euer Leben und euren Geist bedeuten kann. Wie weit euch das zu verstehen gelingt, davon hängt nicht nur der Sinn eures Lebens ab, sondern auch das, was ihr mit euren Gewerkschaften öder anderen Interessenverbänderi erreichen könnt. Seid euch bewußt, daß die wirklich menschlichen Werte Schaden leiden, wenn Gesellschaft und Wirtschaft ihre Funktion nur vom Gewinn her sehen. Eine solche Einstellung kann dazu führen, daß das Interesse an der Arbeit verloren geht und der so wünschenswerte Zusammenhalt und die Solidarität der Arbeiter untereinander darunter leiden. Es wird von manchen behauptet, die einzige Triebfeder eures Lebens wären Geld und Konsum; sollte das wahr sein, so werdet ihr nie erfahren können, was eure berufliche Arbeit für eure persönliche Selbstverwirklichung und eure Dienstleistung bedeuten will. Deshalb möchte ich, daß ihr euch nicht mit kurzsichtigen Zielen zufriedengebt, die sich darin erschöpfen, in Tarifverhandlungen Lohnerhöhungen und eine Arbeitszeitverkürzung zu erreichen. Angesichts der Riesenprobleme der modernen Gesellschaft dürft ihr nicht zulassen, daß die größten gewerkschaftlichen Bemühungen für wirkungslose politische Kämpfe eingesetzt werden, in denen eure Forderungen nur mißbraucht werden, damit andere vorteilhafte Positionen erreichen. Ein gerechter Kampf der Gewerkschaft muß natürlich möglich sein; er darf aber nur auf die Ziele der Arbeiter selber, 556 REISEN auf größere Solidarität und eine Verbesserung des materiellen und geistigen Lebens der Arbeiter ausgerichtet sein. Gewiß erfordert auch die enge Beziehung zwischen der Welt der Arbeiter und der Politik — dem sogenannten „indirekten Arbeitgeber“ — laufend Kontakte und Gespräche zwischen Arbeitern und Politikern. Diese Gespräche sollen konstruktiv sein, nicht nur die Interessen einer Seite, sondern das Wohl der ganzen großen argentinischen Familie, Lateinamerikas und der Welt berücksichtigen. 3. Euer Land und eure Gesellschaft erfreuen sich vieler starker und dynamischer Arbeiterorganisationen, die, wie ihr wißt, „ein unerläßliches Element der Gesellschaft sind“ {ebd., Nr. 20). Dieses Element ist wohl unverzichtbar, darf aber nicht zum Klassenkampf werden, was eine ideologisch wie geschichtlich gesehen nicht ausreichende Auffassung wäre, die am Ende doch wieder vor allem für die Arbeiter und Arbeiterinnen schlimmste Folgen hätte. „Es ist ein Kennzeichen der Arbeit, daß sie die Menschen vor allem eint; darin besteht ihre soziale Kraft; sie bildet Gemeinschaft“ {ebd., Nr. 20). Auch die Ergebnisse eures organisierten Einsatzes müssen immer konstruktiv sein, damit alle vorhandenen Kräfte im Dienste des Menschen und der ganzen Gesellschaft stehen und nicht gegen die Gemeinschaft oder die Menschen eingesetzt werden. Das Hauptziel der Gewerkschaften muß die Förderung des Menschen, aller arbeitenden Menschen, sein, deshalb „bedarf es immer neuer Bewegungen von Solidarität der Arbeitenden“ {ebd., Nr. 8). Der Papst möchte euch ermutigen, einen weiteren Schritt in dieser Solidarität zu tun, und euch anregen, immer mehr dahin zu wirken, daß die unveräußerliche Würde des Menschen, jedes Menschen und jedes Arbeiters, gefördert wird und immer zu dessen persönlicher Verwirklichung beiträgt. Nur so erfüllt ihr eure Aufgabe, „die existentiellen Interessen der Arbeitnehmer in allen Bereichen ... zu fördern und zu verteidigen {ebd., Nr. 20). Es wäre schade, wenn es keine Solidarität unter den Arbeitern gäbe, wenn sich die Arbeitsbedingungen verschlechtern sollten oder sich Mißbrauch und Anmaßungen seitens derjenigen anhäuften, die sich aufgrund ihrer vorteilhaften Lage Rechte aneignen möchten, die ihnen keineswegs zustehen. Auch die Solidarität mit den Armen und Hungrigen darf nicht fehlen, was bedeutet, daß die Arbeiter und ihre Familien nicht unmenschlich behandelt werden dürfen; überall muß die Verhandlungsstärke der organisierten Arbeiterschaft die Bedingungen schaffen, um den Menschen in ihrer verzweifelten Lage zu helfen. Wann immer ein Familienvater oder eine Mutter aus irgendwelchen Gründen nicht den Unterhalt für ein würdiges Leben verdienen können, muß die Solidarität der Arbeiter und Arbeiterinnen eintreten. 557 REISEN Nicht die vordergründigen Ziele des Mammons verfolgen 4. Scheint es euch logisch, daß die Solidarität der Arbeiter fehlt oder sich nur kurzfristig Ziele setzt, wenn es doch so dringliche Bedürfnisse bei vielen Arbeitern gibt? Kein Christ darf sich den Bedürfnissen seines Nächsten verschließen, denn er muß wissen, daß in Gottes Augen der Wert seines Verhaltens davon abhängt, wieviel Liebe er seinen Brüdern erwiesen hat (vgl. Mt 25,35-40). Wenn die Barmherzigkeit das oberste Gebot ist, wie kann man dann mit verschränkten Armen bei Ungerechtigkeiten passiv bleiben, wo doch die Gerechtigkeit grundsätzliche Voraussetzung und erste Frucht der Barmherzigkeit ist? Der Dienst, den eure starken Arbeitsorganisationen den Menschen — und damit der Gemeinschaft — erweisen können, legt jedem von euch die Verpflichtung auf, ein entschiedenes „Schluß“ zu sagen, wenn es zu irgendwelchen Verletzungen der Würde des Arbeiters kommt. Schluß mit dem.kurzsichtigen Konformismus, der für die Arbeiterorganisationen keine anderen Ziele kennt als höhere Löhne und mehr Freizeit, der keine Verhandlungen will, in deren Mittelpunkt der Mensch und seine Würde in Leben und Beruf stehen. Schluß mit Situationen, in denen die Rechte der Arbeiter eisern den Wirtschaftssystemen untergeordnet werden, die ausschließlich den größtmöglichen Gewinn wollen, ohne daran zu denken, ob die eingesetzten Mittel moralisch vertretbar sind oder nicht. Schluß mit einem Arbeitssystem, das Familienmütter zwingt, lange Zeit außerhalb des eigenen Heims zu arbeiten und so die eigene Familie zu vernachlässigen; das die Arbeit in der Landwirtschaft unterbewertet, die nicht Vollarbeitsfähigen zu Randgruppen der Gesellschaft macht und die Emigranten diskriminiert. Schluß damit, daß das Recht auf Arbeit von der Zufälligkeit vorübergehender wirtschaftlicher und finanzieller Umstände abhängt und unbeachtet bleibt, daß die Vollbeschäftigung eine Priorität ist, die sich jede organisierte Gesellschaft setzen muß. Schluß mit der Herstellung von Gütern, die den Frieden, die öffentliche Moral oder Gesundheit gewisser Bevölkerungsgruppen gefährden. Schluß auch mit der unsolidarischen Verteilung der Lebensmittel in der Welt, der systematischen Nichtanerkennung der Arbeitsorganisationen in vielen Ländern der Welt und in diesem „Internationalen Jahr der Obdachlosen“. Schluß mit den menschenunwürdigen Unterkünften der Arbeiter in den Slums vieler Großstädte. Vergeßt jedoch nie, daß diese Verpflichtung ihre Kraft vor allem aus der persönlichen solidarischen Haltung erhält: die Tendenz zur Anonymität in den 558 REISEN zwischenmenschlichen Beziehungen muß überwunden werden, und ihr müßt euch aktiv bemühen, die „Einsamkeit“ in Solidarität umzuwandeln, Meinungen auszutauschen, zu verstehen, Vertrauen zu gewinnen, einander zu helfen und Freundschaften anzubahnen. Maximen der Arbeit: Einheit, Zusammenarbeit, Solidarität 5. Das grundliegende Ziel eures Einsatzes muß es sein, die wirtschaftlichen Aktivitäten und die Welt der Arbeit menschlicher zu gestalten: deshalb müßt ihr darauf hinarbeiten, daß die Arbeitsbeziehungen immer mehr mit dem übereinstimmen, was ich in der Enzyklika Laborem exercens „die grundlegende Struktur jeder Arbeit“ (Nr. 20) genannt habe, nämlich eine Struktur der Einheit, Zusammenarbeit und Solidarität. Ein grundlegendes Prinzip dieses solidarischen Handelns der Gewerkschaften besteht in der bewußten Entscheidung, „den Menschen nicht danach zu beurteilen, ob er zur Arbeit taugt oder nicht, sondern die Arbeit in Beziehung zum Menschen zu betrachten“ (Rede vor der ILO, 15. Juni 1982). Solidarität heißt eben, dem Menschen einen Platz in der Gesellschaft und bei der Arbeit einzuräumen, damit sich alle Menschen in diesen wichtigen Lebensbereichen als Personen und verantwortlich fühlen können. Die Macht der Arbeit ist äußerst groß und kann, wenn sie richtig eingesetzt wird, grundlegender Faktor beim Aufbau einer Gemeinschaft werden, in der die wichtigen sozialen Fragen nach den Prinzipien von Gerechtigkeit und Angemessenheit gelöst werden. Geduldig und solidarisch eine bessere Gesellschaft aufbauen Bemüht euch, solidarisch zu sein, dann werdet ihr langsam erreichen, daß die Auswirkungen der Erniedrigung und Ausbeutung nachlassen und die Gewerkschaften den Aufbau der sozialen Gerechtigkeit zu ihrem Hauptanliegen machen; die Anerkennung der den Arbeitern zustehenden Rechte und Würde und das wirkliche Wohl der Gesellschaft werden folgen (vgl. Laborem exercens, Nr. 20). Dann werdet ihr — ohne daß ihr euer solidarisches Zusammenhalten mit politischem Wirken verwechselt — in der Gesellschaft größeren Einfluß gewinnen, als wenn ihr direkt nur über die Gewerkschaften in das politische Leben eingreift. Gerade deshalb müßt ihr verhüten, daß sich eure Bemühungen in eine Art von Gruppen- und Klassenegoismus verwandeln. Selbst wenn die Wahrung der Rechte einer Person oder einer Berufsgruppe Ziel einer bestimmten Aktion ist, darf diese nicht im Gegensatz zum allgemeinen Wohl der ganzen Gesellschaft stehen. Vergebt auch nicht die Solidarität mit den Menschen, die auf- 559 REISEN grund der verschiedensten Umstände nicht zu euren gewerkschaftlichen Organisationen gehören; eure Unterstützung der Schwächsten wird Beweis dafür sein, daß ihr wirklich solidarisch seid. 6. Im Evangelium der Arbeit finden wir das überzeugendste Beispiel für Solidarität: Gott, der Allmächtige, der in seiner Größe die Menschheit weit überragt, wird aus Liebe und „Solidarität“ Mensch und führt ein Arbeiterleben wie alle. Jesus Christus ist das beste Vorbild für grenzüberschreitende Solidarität: seinem Beispiel nachzufolgen und es nachzuahmen sind die Arbeiter aufgerufen. Wo immer ein Mann öder eine Frau eine Tätigkeit verrichten, arbeiten oder leiden, dort ist auch Christus zu finden. Die Kirche hat in Treue zu ihrem göttlichen Stifter immer die Würde der Arbeit geachtet und gefördert. Sie tat das, indem sie die grundlegende Rolle hervorhob, die der Arbeit in den Plänen Gottes zukommt; sie betonte die Leistungen, die menschliche Intelligenz hervorgebracht hat, besonders im Bereich der Wissenschaft und Technik; sie zeigte ihre Vorliebe für alle Arbeiter, besonders für die Schwerarbeiter und Bauern; sie übernahm und schützte deren Forderungen, Interessen und berechtigten Erwartungen. Sie tat das, indem sie in die Welt der Arbeiter eintrat, in die Elendsquartiere der Städte wie auf dem Land, aber auch in die behaglichen Wohnungen, um den Menschen materiell und geistig beizustehen, sie vor den vielen Gefahren zu schützen, ihr gesundes Gefühl für soziale und moralische Fragen zu erhalten und ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Heute ist der Papst zu euch gekommen, um in euch die arbeitenden Menschen zu ehren; denn wir alle sind dazu berufen, die Welt den göttlichen Plänen gemäß zu verändern; er wollte in euren Gesichtern die Gesichtszüge Jesu von Nazaret entdecken und euch auffordem, mit großem Verantwortungsbewußtsein auf die Sendung zu antworten, zu der euch Gott berufen hat: zum Aufbau des Argentiniens von heute und für die Zukunft. Erweist euch dieser Berufung würdig! Seid euch immer eurer Würde als Arbeiter und Argentinier bewußt, und arbeitet mit allen vitalen Kräften des Landes zusammen, .um eurer Verpflichtung als Bürger und Christen solidarisch und konstruktiv nachzukömmen. Im Namen Jesu, des Arbeiters von Nazaret, segne ich euch aus ganzem Herzen. 560 REISEN Schwäche ist der menschlichen Natur eigen Radio- und Fernsehbotschaft an die Inhaftierten in Argentinien am 10. April Liebe Brüder und Schwestern! 1. Gern hätte ich euch persönlich während dieser Reise in das mir so liebe Land Argentinien besucht. Obgleich das nicht möglich gewesen ist, könnt ihr sicher sein, daß euch der Papst als Hirt der ganzen Kirche mit seinem Herzen immer nahe ist, auf besondere Weise während dieser Tage. Die Botschaft Christi — von Frieden, Freude, Hoffnung und wahrer innerer Freiheit —, von der ich zu allen Argentiniern und Argentinierinnen; spreche, wendet sich auch an euch, da diese Botschaft für jede Situation im menschlichen Leben Gültigkeit besitzt. Mit Rührung habe ich die Briefe gelesen, die ihr mir geschickt habt. Für die Zuneigung, die ihr dem Nachfolger Petri erwiesen habt, danke ich euch von Herzen — ebenso für eure Gebete zum Herrn und zu seiner Mutter Maria, die mir und der Kirche galten. Möge Gott euch in seiner unendlichen Güte dafür belohnen! In ganz persönlichem Gebet werde ich heute in der hl. Messe an euch denken. Durch Kontrasterfahrung den Sinn des Lebens finden 2. Mehr als der oberflächliche Besitz von Gütern hilft zuweilen das Unglück dem Menschen, in sich zu gehen und sich nach dem Sinn des Lebens zu fragen, nach seinem eigenen Weg im Dasein, nach seiner Verantwortung im Leben und nach seiner Bestimmung. Man darf diese Fragen nicht umgehen. Im Gegenteil, man muß versuchen, Licht in diese Fragestellungen zu bringen, bis man Antworten findet nicht nur auf anstehende Probleme, sondern auf den Sinn des menschlichen Lebens selbst. Dieses Insichgehen war das Geheimnis vieler Auferstehungen in der Geschichte der Menschen. In der Tat, noch mitten im Schmerz und im Mißerfolg offenbart uns Gott, was wir sind und wozu wir berufen sind. Gerade in der Anstrengung, das Unglück zu überwinden, stärker zu sein als noch der Schmerz, drückt sich irgendwie die Transzendenz des Menschen aus, der sich zum Leben im Vollsinn geschaffen weiß, zur Glückseligkeit ohne Ende. Wir sind immer mehr als das, was wir machen, was wir denken und wünschen. Wir sind Kinder Gottes! Aber neben unserer Würde als aus Gott hervorgegangene und durch Christus erlöste Geschöpfe, besteht weiterhin in unserem Innern die Versuchung zur Sünde. Jeder Fall, jeder Irrtum deckt uns das Geheimnis der Schwäche auf, 561 REISEN die sich in jedem Menschen verbirgt. Dies ist eine traurige Beschaffenheit ge-schöpflicher Gebrechlichkeit, die man erkennen und immer bedenken muß. In Christus erfährt der schwache Mensch Kraft zu leben Die Schwäche, die der menschlichen Natur eigen ist, macht Gott als festes Fundament ihres Lebens erforderlich. Die Anerkennung der eigenen Gebrechlichkeit macht uns geneigt, uns auf Gott zu stützen, der die Kraft ist, die uns von der Sünde befreit, und der uns aufrichtet, wenn wir gefallen sind. Trotz der Gründe für die Schmerzen und die Mutlosigkeit, die ihr sicherlich in der Vergangenheit oder in der Gegenwart entdeckt, könnt und müßt ihr den Blick mit Hoffnung auf die Zukunft richten: nicht nur mit der menschlichen Hoffnung, daß ihr eines Tages von neuem in Freiheit leben könnt, sondern vor allem mit der übernatürlichen Hoffnung, die Christus gibt, mit der ihr schon jetzt in der Gegenwart leben könnt, ohne Furcht, enttäuscht zu werden. Unsere Hoffnung gründet daher in Christus, vollkommener Gott und vollkommener Mensch, der sein Leben für uns hingegeben hat — für uns alle! — indem er am Kreuz starb und uns das Lösegeld zahlte: „Ihr wißt, daß ihr aus eurer sinnlosen, von den Vätern ererbten Lebensweise nicht um einen vergänglichen Preis losgekauft wurdet, nicht um Silber oder Geld, sondern mit dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel“ (1 Petr 1,18-19). Das ist die Hoffnung, die er euch verkündet hat, das ist die Freiheit, die ihr euch wünschen müßt mehr als irgendeine andere: „... die Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm 8,21). Ich weiß, daß es nicht einfach ist, in all seiner Tiefe diese Botschaft zu verstehen, wenn man sich in einer Situation wie der eurigen befindet. Das Bußsakrament läßt den Umkehrwilligen befreit aufatmen Erinnert euch dennoch, daß „es keinen Menschen gibt, der die Befreiung durch Christus nicht nötig hätte, weil es keinen Menschen gibt, der nicht in mehr oder weniger schwerer Weise ein Gefangener seiner selbst und seiner Leidenschaften ist“ (Rede im Gefängnis von Rebibbia, Rom, 27. Dezember 1983; in: O.R. dt., 13. 1. 1984, S. 6). Durch seinen Tod befreit uns Christus aus der größten Sklaverei, aus den schlimmsten Gefängnissen: aus der Gewalt der Sünde (vgl. Joh 8,34). Diese freudige geistliche Befreiung, die zum ersten Mal mit der Taufe in unserer Seele wirkte, erneuert sich jedesmal, wenn wir uns vertrauensvoll zum Bußsakrament wenden, zur Quelle des Friedens und der Freiheit in Christus. Eurerseits habt ihr sicherlich erprobt — oder ihr könnt es erproben — wie die 562 REISEN „wahre Befreiung daher in der Umkehr und Reinigung des Herzens geschieht, d. h. in jenem radikalen Wandel von Geist, Herz und Leben, den nur die Gnade Christi bewirken kann“ (Rede im Gefängnis von Ribibbia, Rom, 27. Dezember 1983; in: O.R. dt., 13. 1. 1984, S. 6). Und habt ihr so eure gegenwärtigen Leiden Gott im Geist der Wiedergutmachung für eure Sünden und für die der Menschheit angeboten, werden sie sich in freudige Buße und eine Fülle von Früchten verwandeln. 4. Christus möchte auch unter euch sein. Er selbst versichert es auf ausdrückliche Weise in der Beschreibung des letzten Gerichts, wenn er zu den Seligen sagt: „... ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen“ (Mt 25,36) und auf ihre Frage: „Und wann haben wir dich ... im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?“ (Mt 25,39), die beredte Antwort gibt: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Liebe Brüder und Schwestern: mein Wunsch ist es, daß ihr zu Christus kommt! Und in Christus werdet ihr die Hoffnung, den Trost, den Frieden und die Freude finden. Ihr habt Christus in der Kapelle. Dort erwartet er euch, verborgen unter dem Schein des Brotes, aber wirklich gegenwärtig mit seinem Leib, seinem Blut, seiner Seele und seiner Göttlichkeit. Durch die Liebe zu uns gab er sein Leben am Kreuz dahin, um so uns von unseren Sünden reinzuwaschen; und durch die Liebe ist der im Tabernakel eingesperrt geblieben, um Quelle der Gnade und der Erlösung zu sein für die, die zu ihm kommen wollen. Die Liebe Gottes dringt auch durch Gefängnismauem 5. Ich bitte den Herrn, daß er euch mit seiner Gnade erfülle, euch seine Anwesenheit als Vater, als Bruder und Freund empfinden lasse und euch antreibe, bei allen Gelegenheiten ein lebendiges Beispiel des Glaubens und der christlichen Liebe zu geben. Auch für eure Familien bitte ich, daß sich die Verbindung mit ihnen jeden Tag mehr festige. Möge die heilige Jungfrau von Lujän, die Mutter Gottes und unsere Mutter, euch immer beschützen und euch ihrem göttlichen Sohn näherbringen, in dem ihr alle Güter, die die Wünsche des menschlichen Herzens erfüllen, an-■ trefft. Ich segne euch aus ganzem Herzen und mit großer Ergebenheit, im Namen des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. 563 REISEN Kontinent der Hoffnung aus Treue zu Christus Ansprache bei der Begegnung mit der Jugend in Buenos Aires (Argentinien) am 11. April 1. „Wir haben die Liebe, die Gott zü uns hat, erkannt und gläubig angenommen“ (Joh 4, 16) Meine lieben Jugendlichen! Was für eine Freude, heute abend mit euch zusammenzukommen, am Ende eines so angespannten Tages und fast am Abschluß meines Pastoralbesuches in Uruguay, Chile und Argentinien, der morgen, am Palmsonntag, mit der Feier des Welttags der Jugend seinen Höhepunkt erreicht! Diese Begegnung am Vorabend führt uns ein in die Atmosphäre dieses Tages, eine Atmosphäre des Glaubens an die Liebe, die Gott zu uns hat. Ich bin gekommen, um ein bißchen mit euch zu rasten, liebe Jugendliche. Ich bin gekommen, euch anzuhören, mit euch zu sprechen, mit euch zu beten. Ich möchte vor euch wiederholen, was ich euch vom ersten Tag meines Pontifikates an gesagt habe: daß ihr „die Hoffnung des Papstes, die Hoffnung der Kirche seid“. Wie sehr habe ich eure Nähe und eure Freundschaft in diesen Jahren meines Dienstes für die Weltkirche gespürt! Eure Liebe und euer Gebet haben mich ohne Unterlaß bei der Erfüllung der Aufgabe, die ich von Christus empfangen habe, unterstützt. Ihr habt euch heute hier versammelt, Jugendliche aus der ganzen Welt: aus den verschiedenen Regionen Argentiniens, Lateinamerikas und aller Kontinente, aus den verschiedenen Ortskirchen, aus den internationalen Vereinigungen und Bewegungen. Ich grüße euch mit all meiner Liebe und in eurer Person grüße ich auch alle Jugendlichen der Erde, denn alle umschließt die Liebe, die Gott zu uns hat. Das Leitwort dieses Welttages aus dem ersten Brief des heiligen Apostels Johannes zeigt uns den Glauben der ersten Christen und ganz besonders den Glauben dieses Apostels, der von Jugend an dem Herrn nachfolgte und bis ins hohe Alter in diesem Glauben und in dieser Liebe wuchs. Gerade gegen das Ende seiner irdischen Tage zu schrieb er: „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen. Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, ünd Gott bleibt in ihm“ (ebd). Das ist ein bewegendes Zeugnis für das, was wir auch die Jugendlichkeit des christlichen Geistes nennen; sie besteht darin, immer an die Liebe Gottes zu glauben. Die Einheit mit Gott läßt uns Tag für Tag in dieser Jugendlichkeit wachsen. Dage- 564 REISEN gen ist alles, was uns von Gott trennt — die Sünde und alle ihre Folgen — ein sicherer Weg zur inneren Vergreisung, zu einer Ungelenkigkeit und Schwerfälligkeit, die ständige Neuigkeit der Liebe Gottes zu erkennen und zu leben, die er uns in Christus geoffenbart hat. Ich wende mich jetzt besonders an euch, liebe Jugendliche aus Argentinien, die ihr die große Mehrheit der Anwesenden seid. Im Namen aller danke ich euch für eure intensive Arbeit der Vorbereitung dieses Welttags und für die Herzlichkeit eurer jugendlich freundschaftlichen Aufnahme. In diesem ersten Teil unserer Begegnung wolltet ihr eure Sorgen und Beunruhigungen, eure Wünsche und Sehnsüchte darstellen. Ich weiß, daß ihr entschlossen seid, die jüngsten schmerzlichen Erfahrungen eures Vaterlandes zu überwinden und euch allem entgegenzustellen, was ein friedliches Zusammenleben aller Argentinier auf der Grundlage des Friedens, der Gerechtigkeit und der Solidarität verhindern möchte. Um diese heftige Sehnsucht nach nationaler Versöhnung Wirklichkeit werden zu lassen, ruft der Papst euch auf, euch aus eurem Glauben an Christus heraus persönlich für den Aufbau einer Nation von Brüdern, Kindern des einen Vaters, der im Himmel ist, zu engagieren. Ich lade euch ein, diese Verpflichtung, die ihr bereits — gemeinsam mit euren Bischöfen — bei dem großen Jugendtreffen in Cordoba im September 1985 übernommen habt, zu erneuern. Tut das jetzt zusammen mit dem Nachfolger des Petrus, der gekommen ist, euren Glauben zu stärken und eure Hoffnung sicher zu machen. Dankt dem Herrn für das Erbe des Glaubens in der nationalen Dynamik des Volkes von Argentinien. Es ist eure Aufgabe, die Verantwortung dafür zu übernehmen, daß dieses Glaubenserbe eure Generation mit Leben erfüllt und auf diese Weise seine bleibende Lebenskraft und Aktualität in Christus beweist. Dazu ist es notwendig, daß ihr alle — jeder und jede — großmütig auf den Ruf Jesu antwortet, der euch auch heute wie damals sagt: Kehrt um und glaubt an das Evangelium (Mk 1, 15). Der Herr richtet an uns den begeisternden und überzeugenden Aufruf zur persönlichen Umkehr, die unsere ganze Existenz umgestaltet, so daß wir nicht mehr für uns selbst leben, sondern in ihm, der uns geliebt und sich für uns hingegeben hat (vgl. Gal 2,20). Die Treue zu Christus erfordert, ihn, den Meister und Freund, zu kennen und mit Tiefe und Beharrlichkeit mit ihm Umgang zu pflegen. Das häufige Lesen in der Heiligen Schrift — besonders in den Evangelien — das ernsthafte Studium der Lehre Christi, wie sie mit Autorität von seiner Kirche dargestellt wird, der häufige Empfang der Sakramente und das tägliche Gespräch mit Jesus in der Intimität eures Gebetes sind bevorzugte Wege, um in der lebendigen Kenntnis Christi und seiner Erlösungsbotschaft fortzuschreiten. 565 REISEN Wenn ihr beim Nachdenken über dieses Panorama der Umkehr im Glauben und in der Liebe die Last eurer Sünden und Begrenztheiten spürt, setzt euer Vertrauen wieder auf Christus, der uns nie verläßt. Vertraut auf die Gnade der Sakramente, die er seiner Kirche hinterlassen hat, und im besonderen auf die Fülle göttlichen Verzeihens, das uns im Bußsakrament zuteil wird. Mit wachem Sinn die Kirche erneuern Denkt daran, daß der Herr mit eurem Glaubensleben rechnet, das sich in Werken und Worten äußert, damit er in eurem Vaterland präsent werden kann. Der Herr blickt mit Liebe auf alle eure persönlichen und gemeinschaftlichen apostolischen Initiativen und Aktivitäten und segnet sie; in Gemeinschaft mit der Kirche und ihren Hirten müssen sie entscheidend dazu beitragen, eine christliche Antwort auf die tiefsten Fragen eurer Generation zu geben. Von euch hängt die Erneuerung der Lebenskraft des Volkes Gottes in diesen Landen ab, zum Wohl dieser ganzen geliebten Nation und der ganzen Welt. Ich lade jetzt jeden von euch persönlich ein, eine vertrauensvolle und aufrichtige Bitte an Gott zu richten wie jener Blinde bei Jericho, der zu Jesus sagte: „Herr, ich möchte wieder sehen können“ (Lk 18,14). Laß auch mich sehen, Herr, was dein Wille für mich in jedem Augenblick ist; und laß mich vor allem sehen, worin dieser dein Plan der Liebe für mein ganzes Leben besteht, der meine Berufung ist. Und gib mir die Großmütigkeit, daß ich dir ja sage und dir treu bin auf dem Weg, den du mir zeigen willst: als Priester, als Ordensmann oder Ordensfrau oder als Laie, um Salz und Licht zu sein in meiner Arbeit, in meiner Familie, in der ganzen Welt. Legt diese Bitte in die Hände Marias, unserer heiligen Mutter. Wie ihr durch eure Wallfahrten zu ihrem Heiligtum von Lujän und zu den vielen anderen Wallfahrtsorten Argentiniens bezeugt, ist sie es, die euch führt und stärkt auf diesem Pilgerweg durch den Glauben an das, was die Liebe Gottes euch bestimmt hat. 2. „Steh auf und geh umher“ (Mt 9,5). Dank euch dafür, liebe Jugendliche, daß ihr in eurer Darstellung der lateinamerikanischen Wirklichkeit die Einladung zur Hoffnung aufgegriffen habt, die von Christus ausgeht. Ja, auch ich möchte mit euch wiederholen: „Lateinamerika, sei du selbst! Widerstehe aus deiner Treue zu Christus heraus denen, die deine Berufung zur Hoffnung ersticken möchten“ (Ansprache vom 11. Oktober 1984). In diesen Worten wollte ich auch zum Ausdruck bringen, warum Lateinamerika der „Kontinent der Hoffnung“ ist: Wegen der Treue zu Christus, die dieser 566 REISEN Kontinent in der großen Mehrheit seiner Einwohner bewahrt, wegen seiner Treue zu der einzigen Hoffnung, die das Kreuz Christi ist. Sei gegrüßt, o Kreuz, du unsere einzige Hoffnung {Hymne der Karwochenvesper). Das Kreuz Christi steht im Zentrum der Erlösungsbotschaft Eine Hoffnung, die einmalig und allumfassend ist. Denn Gott der Vater wollte in Christus „mit seiner ganzen Fülle wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.“ {Kol 1,19-20). Lateinamerika ist demnach ein Kontinent, der im Kreuz des Herrn die erlösende Kraft erkennt, die ihn von Grund auf erneuern kann, weil sie die ganze Schöpfung reinigt und auf das Reich Christi hinordnet. Diese tiefe Überzeugung hat mich veranlaßt, am 12. Oktober 1984 jedem einzelnen Vorsitzenden der Bischofskonferenzen dieses Kontinents eine Nachbildung jenes ersten Kreuzes zu übergeben, das auf amerikanischem Boden aufgerichtet wurde. Ich wollte mit dieser Geste eine Neu Verkündigung des Evangeliums einleiten, die die Kraft des Kreuzes bei der Erneuerung jedes Menschen und aller Realitäten seiner Existenz aufzeigt. Heute steht über dieser Begegnung das große Kreuz, das auch im Mittelpunkt der Feiern des Heiligen Jahres der Erlösung stand und das ich am Ostersonntag einer Gruppe von Jugendlichen übergeben habe mit den Worten: „Liebe Jugendliche, am Ende dieses Heiliges Jahres vertraue ich euch das Hauptsymbol dieses Jubeljahres an: Das Kreuz Christi! Tragt es in die Welt als Zeichen der Liebe unseres Herrn Jesus Christus zur Menschheit und verkündet allen, daß es nur in Christus, dem Gestorbenen und Wiederauferstandenen, Rettung und Erlösung gibt.“ Wenn ich mich jetzt an euch wende, junge Lateinamerikaner, möchte ich euch daran erinnern, daß ihr — unter dem Kreuz Christi — Träger einer zweifachen Hoffnung seid: wegen eurer Jugend Hoffnung der Kirche; und weil ihr zu Lateinamerika gehört, Kontinent der Hoffnung. Und beides zusammen legt euch eine besondere Verantwortung vor der Kirche und vor der gesamten Menschheit auf. Ich hoffe stark auf euch! Ich hoffe vor allem, daß ihr eure Treue zu Jesus Christus und zu seinem erlösenden Kreuz erneuert. Denkt in erster Linie daran, daß eben dieses erlösende Opfer Christi sakramental in jeder Messe gegenwärtig wird, die vielleicht in nächster Nähe eurer Studien- und Arbeitsplätze gefeiert wird. Jesus ist also nicht einer, der aufgehört hat, in unserer Geschichte zu wirken. Nein! Er lebt! Und er fährt fort, jeden einzelnen von uns zu suchen, damit wir uns jeden Tag mit ihm vereinen in der Eucharistie und, wenn es möglich ist — im 567 REISEN Stand der Gnade und frei von jeder Todsünde — auch die Kommunion empfangen. . Denkt auch an jene strengen Worte, die der Herr an seine Jünger richtete: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Lk 9,23). Ich möchte euch daraufhinweisen, daß dieses tägliche Kreuz ganz besonders euer tägliches Ringen darum ist, gute Christen zu sein; das macht euch zu Mitarbeitern beim Erlösungswerk Christi und auf diese Weise tragt ihr dazu bei, die Versöhnung aller Menschen und der ganzen Schöpfung mit Gott zu verwirklichen. Das ist ein schönes Lebensprogramm, aber es verlangt Großmut. Denkt also darüber nach, wie euer Leben sein muß. Denn wenn Christus uns erlöst hat, indem er am Kreuzesholz für uns starb, wäre es nicht konsequent, wenn ihr mit einem mittelmäßigen Leben darauf antworten würdet. Da ist Anstrengung, Opfer, Zähigkeit gefordert; man muß die Ermüdung durch dieses Kreuz spüren, das Tag für Tag auf unseren Schultern lastet. Denkt daran, daß diese Selbsthingabe Entsagung verlangt, die Verleugnung unser selbst und die Zustimmung zum Erlösungsplan des Vaters. Sie verlangt den Einsatz des Lebens bis dahin, daß man es verliert für Christus, wenn es nötig ist. Das sind letztlich die Grenzen, an die Christus jeden einzelnen von uns führt: „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten“ (Lk 9,24). Wer sein Leben nur für sein eigenes Vergnügen und seine ehrgeizigen Ziele einsetzt, so edel diese auf den ersten Blick auch aussehen mögen, wird sein Leben retten wollen und sich deshalb von Christus entfernen. Ihr habt es also wie Jesus am Kreuz mit jener äußersten Liebe dessen zu tun, der „sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13). Macht euer Herz größer! Spürt die Bedürfnisse aller Menschen, besonders die der Allerärmsten; haltet euch alle Formen des Elends vor Augen — die materiellen und die geistlichen — die eure Länder und die ganze Menschheit zu erdulden haben; und setzt euch dann für die Suche und die Verwirklichung echter, solidarischer und an die Wurzeln all dieser Übel reichender Lösungen ein. Strebt aber vor allem danach, den Menschen in der Weise zu dienen, wie Gott möchte, daß man ihnen dient: ohne Streben nach Vergeltung und ohne egoistisches Eigeninteresse. Ich bitte euch also, daß ihr heute jene Treue zu Christus erneuert, die aus eurer Erde den „Kontinent der Hoffnung“ macht. Ich wollte euch die Säulen dieses Engagements mit Christus aufzeigen: die Eucharistie, das Opfer eures Alltagsverhaltens, die Verleugnung der eigenen Person. Möge euch Maria, unsere Hoffnung, begleiten, die Jungfrau von Guadalupe und die Patronin Lateinamerikas. 568 REISEN Die größte Gefahr ist Orientierung an endlichen Größen 3. Liebe Jugendliche der ganzen Welt! Am Ende dieser Begegnung möchte ich noch einmal das Leitwort dieses Welttages wiederholen: „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen“ (/ Joh 4,16). Ich möchte, daß euer aller Leben von dieser großen Wahrheit geprägt wird: „Gott ist die Liebe“ (ebd.). Eine Wahrheit, die sich mehr als durch Worte durch Fakten geoffenbart hat. Eine Liebe, die den Menschen von innen heraus erneuert und ihn vom verstockten Sünder zum tüchtigen und treuen Diener (vgl. Mt 25,21) umgestaltet. Für diese Realität sollt ihr ständig Zeugnis able-gen, denn „wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm“ (1 Joh 4,16). Bleibt in Gott und verkündigt seine Liebe in Treue zu seinem Heilsplan und in großmütiger Dienstbereitschaft, mit Freude und Kraft, mit der Tiefe eures Gebetes und der Fähigkeit zum Verzicht, durch die Redlichkeit eurer Lebensführung und eure freudige Hingabe. So werdet auch ihr mehr durch Taten als durch Worte Zeugnis dafür ablegen, daß Gott die Liebe ist. Ihr habt mich gefragt, welches Problem der Menschheit mir am meisten Sorge bereitet. Es ist genau dieses: Der Gedanke an die Menschen, die Christus noch nicht kennen, die die große Wahrheit von der Liebe Gottes noch nicht entdeckt haben. Der Anblick einer Menschheit, die fern von Gott wachsen will oder sogar unter Leugnung seiner Existenz, einer Menschheit ohne Väter und folglich ohne Liebe, verwaist und orientierungslos, die es fertigbringt, weiterhin Menschen zu töten, weil sie sie nicht als Brüder achtet, und so an ihrer eigenen Zerstörung und Vernichtung arbeitet. Deswegen möchte ich euch, meine lieben Jugendlichen, heute erneut dazu verpflichten, Apostel einer Neuverkündigung des Evangeliums zu sein, um eine von der Liebe geprägte Kultur aufzubauen. „Wir wollen lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (1 Joh 4,19). Das Maß unserer Liebe können wir nicht nur in den schwachen Fähigkeiten des menschlichen Herzens finden; wir müssen mit dem Maß des Herzens Christi lieben; wenn nicht, bleiben wir zu klein, um seine Liebe zu erwidern. Verkündet darum mit erneuertem Engagement die Treue zu Jesus Christus, dem „Erlöser des Menschen“. Haltet euch vor Augen: Wer den Herrn liebt mit allen seinen Kräften, wer sein bestes Mühen und Trachten auf Gott richtet, der verliert nichts, er gewinnt im Gegenteil alles, denn „seine Liebe ist in uns vollendet ... er hat uns von seinem Geist gegeben“ (I Joh 4,12-13). Aber das verlangt, „neue Menschen“ zu sein. An die Liebe Gottes zu glauben, ist keine leichte Aufgabe. Es erfordert persönliche Hingabe; man darf nicht das Gewissen in egoistischer Weise beruhi- 569 REISEN gen oder das Herz gleichgültig lassen, sondern muß es großzügiger, freier, brüderlicher machen. Frei von den vielen Versklavungen, wie der sexuellen Unordnung, dem Rauschgift, der Gewalt und dem Streben nach Macht und Besitz, die uns letztlich leer und verängstigt lassen und die echte Liebe und das wahre Glück verhindern. Öffnet großmütig euer Herz der Liebe Christi als dem einzigen, was unserem ganzen Leben vollen Sinn zu geben vermag. Ich empfehle euch.mit dem heiligen Paulus: „Durch den Glauben wohne Christus in eurem Herzen. In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet, sollt ihr zusammen mit allen Heiligen dazu fähig sein, die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen und die Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt. So werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt.“ (Eph 3,17-19). Und mit der Liebe Christi erfüllt euch die Liebe zu allen Menschen, denn „wenn jemand sagt: Ich liebe Gott!, aber seinen Bruder haßt, ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht“ (1 Joh 4,20). Liebe Jugendliche, nehmt mit Dankbarkeit die Liebe Gottes auf und bringt sie in einer wahrhaft brüderlichen Gemeinschaft zum Ausdruck; seid bereit, jeden Tag das Leben hinzugeben, um die Geschichte umzuwandeln. Die Welt braucht heute mehr denn je eure Freude und euren Dienst, euer reines Leben und eure Arbeit, eure Kraft und eure Hingabe, um eine neue, eine gerechtere, brüderlichere, menschlichere und christlichere Gesellschaft aufzubauen: die neue, von der Liebe durchdrungene Zivilisation, die sich im Dienst an allen Menschen kundtut. So baut ihr die Zivilisation des Lebens und der Wahrheit, der Freiheit und der Gerechtigkeit, der Liebe, der Versöhnung und des Friedens. Ihr wißt, wie sehr ich mich um den Frieden in der Welt sorge und daß ich bei verschiedenen Gelegenheiten mit euch selbst einen Friedensweg im Geist des Evangeliums gegangen bin. Ihr wißt, daß der Friede ein Geschenk Gottes ist — Jesus Christus ist „unser Friede“ (vgl. Eph 2,14) — um den wir mit Beharrlichkeit bitten müssen. Doch müssen wir ihn darüber hinaus unter allen aufbauen, und das erfordert auch von jedem von uns eine tiefe innere Umkehr. Deswegen bitte ich euch heute, liebe Jugendliche, daß ihr euch verpflichtet, „Bauleute des Friedens“ auf den Wegen der Gerechtigkeit, der Freiheit und der Liebe zu sein. Wir nähern uns dem dritten Jahrtausend: dann werdet ihr die Haupthandelnden in der Gesellschaft und die ersten und unmittelbar Verantwortlichen für den Frieden sein. Eintracht in der Gesellschaft wird aber nicht improvisiert und auch nicht von außen auferlegt: sie entsteht in einem gerechten, freien, brüderlichen Herzen, das den Frieden in der Liebe gefunden hat. Seid darum schon von jetzt an zusammen mit allen Menschen Baumeister des Friedens. Vereint eure Herzen und eure Bemühungen, um den 570 REISEN Frieden aufzubauen. Nur so, wenn ihr die lebendige Erfahrung der Liebe Gottes macht und euch bemüht, die vom Evangelium gemeinte Brüderlichkeit zu verwirklichen, könnt ihr wahre und glückliche Erbauer der von der Liebe durchdrungenen Zivilisation werden. Maria, eure heilige Mutter, möge euch begleiten; sie hat an die Liebe Gottes geglaubt und sich mit freudigem Vertrauen seinem Wort hingegeben. Jung und aufrichtig, hat sie sich großzügig der Liebe des Vaters geöffnet, hat in Fülle den Geist empfangen und uns Jesus geschenkt, den Erlöser der Welt. Liebe Jugendliche, meine Freunde, noch einmal wiederhole ich euch: Seid mit dem Beistand Unserer Lieben Frau von Lujän, die von allen Argentiniern so sehr geliebt wird, in allen Augenblicken und Lagen eures Lebens Zeugen der Liebe Gottes, Säleute der Hoffnung und Erbauer des Friedens. Unternehmer und Hirt — eine biblische Analogie Ansprache an die Unternehmer in Buenos Aires (Argentinien) am 11. April Liebe argentinische Unternehmer! 1. Ich freue mich über diese Begegnung mit euch, den Vertretern aus den Bereichen Unternehmen, Finanzwelt, Wirtschaft, Industrie und Handel. Ich weiß, daß ich hier eine Gruppe hochqualifizierter Persönlichkeiten vor mir habe, von deren bedeutsamer Tätigkeit ein beträchtlicher Teil des Wirtschaftslebens und deshalb des Wohlstandes vieler Familien abhängt. Während dieser Tage, in denen ich euer weites Land besuchte, konnte ich mit eigenen Augen feststellen, wie reich Gott das argentinische Volk ausgestattet hat. Deshalb möchte ich euch auf eure elementare Pflicht als Menschen hin-weisen, von denen ein Großteil des reichen Wirtschaftspotentials in diesem Land abhängt: dankt Gott für die Gaben, die er in eure Hände gelegt hat. Es ist recht, Gott zu danken für die Fruchtbarkeit eurer Felder, eure großen Viehherden und den ganzen Reichtum der Natur; zu danken für den Ertrag menschlicher Arbeit und vor allem für euren Unternehmergeist und die Arbeitskraft, mit denen Gott euch beschenkt hat, damit ihr gemeinsam mit den vielen Männern und Frauen, die zum Blühen eurer Unternehmen und Projekte beitragen, für das Gemeinwohl im großen und komplexen Bereich der Güterproduktion und der Dienstleistungen arbeitet. Wenn ihr nicht dieser grundlegenden, sich aus der Gerechtigkeit herleitenden Pflicht gegenüber Gott, dem gemeinsamen Vater, nachkommt, dann seid ihr auch nicht gerecht zu euren menschlichen Brüdern und könnt die großen Aufgaben, die ihr tagtäglich 571 REISEN zu bewältigen habt, nicht im Geist der Menschlichkeit und als Christen durchführen. Es ist mir bekannt, daß es neben dem reichen Wirtschaftspotential des Landes in den letzten Jahren manchmal zu kritischen Situationen im Wirtschafts- und Finanzbereich kam. Ich denke dabei besonders an die Absatzprobleme eurer landwirtschaftlichen Produkte im Ausland und die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf eure Wirtschaft. Ihr habt erfahren, in welchem Ausmaß der Fortschritt der Nationen zum großen Teil von der internationalen Ordnung abhängig ist; dieser Umstand macht es notwendig, wirklich solidarische Lösungen zu finden und eine Kooperation der verschiedenen Völker, die sich auf das Bewußtsein der universalen Brüderlichkeit der Menschen gründet. Euer Unternehmergeist wird in schwierigen Zeiten auf die Probe gestellt. Es bedarf größerer Anstrengungen, der Kreativität, des Opfergeistes und der Ausdauer bei der beharrlichen Suche nach Wegen, diese Lage zu überwinden, indem man alle euch möglichen Maßnahmen ergreift, die geeigneten Methoden anzuwenden. Da eure Tätigkeit eine tiefer liegende Dimension des Dienstes für den einzelnen und die Gesellschaft hat, insbesondere für die Arbeiter in euren Unternehmen und ihre Familien, werdet ihr gewiß verstehen, daß ich euch nun auffordere, euch in dieser schwierigen Lage besonders hochherzig zu zeigen. In der Tat, Erfolg und Wachstum eurer Geschäfte und Investitionen geht die gesamte „Arbeitsgemeinschaft“ an, die ein Unternehmen darstellt, sowie darüber hinaus die ganze Gesellschaft. Deshalb stellen Krisenzeiten nicht nur eine wirtschaftliche, sondern vor allem eine ehtische Herausforderung dar, der sich alle stellen müssen, indem sie den Egoismus von einzelnen, Gruppen oder Nationen überwinden. Der Unternehmer ist Treuhänder ihm anvertrauter Güter 2. Ihr wißt gut, daß es nicht Aufgabe der Kirche und des Papstes ist, technische Lösungen für sozio-ökonomische Probleme vorzulegen. Aber es gehört zu ihrer Sendung, die Gewissen der Menschen zu erleuchten, damit sie wirklich menschlich handeln, sich jeder Erniedrigung des Menschen widersetzen und vermeiden, daß der Mensch nur als ein Instrument der Produktion betrachtet wird oder sich selbst so sieht. Ich denke, daß diese Botschaft unter den gegebenen Umständen heute hochaktuell ist. Sie möchte die menschliche Gesinnung stärken, die heute bei euch auf die Probe gestellt ist, und das Kapital Mensch einer Prüfung unterziehen, das die wichtigste Quelle des Reichtums jeden Landes ist. Dies Thema betreffend, wandte ich mich einmal an Vertreter aus Handel, Industrie und Bankwesen und wies sie daraufhin, daß „der große Wohlstand, 572 REISEN dessen sich die Gesellschaft erfreut, ohne die Gestalt des Unternehmers nicht denkbar wäre, dessen Funktion es ist, die menschliche Arbeit und die Produktionsmittel zu organisieren und so Güter und Dienstleistungen zu schaffen“ {Rede vor den Unternehmern in Mailand, 22. Mai 1983). Eure Arbeit ist wirklich von größter Bedeutung für die Gesellschaft. Diese Tatsache geht auf ein doppeltes Erbe zurück, das ihr erhalten habt, nämlich die natürlichen Reichtümer des Landes und die Früchte der Arbeit eurer Vorfahren, (vgl. Laborem exercens, Nr. 13). Unabhängig davon, wer im Moment Eigentümer ist, gehört allen Argentiniern dieses Erbe, das ihr deswegen weder verschleudern noch ungenutzt lassen dürft. Diese Ressourcen müssen nicht nur sachkundig und mit viel Initiativgeist verwaltet werden, sondern vor allem mit einem christlichen gut gebildeten Gewissen in allem, was Gerechtigkeit und Liebe fordern — ein Anspruch, der eurer Aufgabe innewohnt. Die Aufgabe des Unternehmers kann sehr gut mit der eines Verwalters verglichen werden. Die Bibel berichtet uns, daß der Herr Rechenschaft über seine Arbeit forderte. Auch an euch richten sich folgende Worte: „Legt Rechenschaft ab über eure Verwaltung“ (Lk 16,2). Zusammen mit dem Herrn wenden sich an euch die Menschen, eure Brüder und Schwestern, die auch dazu berufen sind, an dem Besitz teilzunehmen, den Gott vor allem in eure Hände gelegt hat. Seid euch der sich daraus ergebenden großen moralischen Verpflichtung bewußt! Denkt daran, daß all diese Güter Arbeitplätze vieler Männer und Frauen und die Zukunft vieler Familien bedeuten; dies sind die Talente, für die ihr zum Wöhle der Gemeinschaft Ertrag bringen lassen müßt. Den Weg zu einer solidarischen Gesellschaft beschreiten 3. Keine Mittel — Kapital wie Güter, die das Vermögen eines Landes ausmachen, gleich wer der Besitzer ist, und wovon die Bevölkerung lebt — „darf man gegen die Arbeit besitzen; man darf sie auch nicht um des Besitzes willen besitzen; weil das einzige Motiv, das ihren Besitz rechtfertigt ... dies ist, der Arbeit zu dienen und dadurch die Verwirklichung des ersten Prinzips der Eigentumsordnung zu ermöglichen: die Bestimmung der Güter für alle und das gemeinsame Recht auf ihren Gebrauch“ {Laborem exercens, Nr. 14). In diesem Sinne müßt ihr dazu beitragen, daß man die produktiven Investitionen und die Zahl der Arbeitsplätze steigert, geeignete Formen für eine Beteiligung der Arbeiter an der Führung und dem Gewinn des Unternehmens, fördert und Wege erschließt, die für alle einen breiteren Zugang zum Eigentum als Grundlage einer gerechten und solidarischen Gesellschaft ermöglichen. 573 REISEN Ihr haltet ein Erbe in euren Händen, das Frucht tragen muß zum Wohl aller und unter Mitarbeit aller. Dazu ist viel Tapferkeit nötig — die zugleich Folge wirklich christlicher Klugheit ist —, um den nachfolgenden Generationen das Erbe, das wir empfangen haben, verbessert und gemehrt weitergeben zu können. Behaltet euren gesunden Stolz, euren Kindern, den Kindern aller Argentinier, eine bessere Zukunft zu hinterlassen, eine Zukunft, die auch das Vorbild eurer opferbereiten Hingabe an die Arbeit einschließen möge. Um euch dieser Verantwortung zu stellen, verfügt ihr über einen bedeutenden Faktor: euer Unternehmen. In einer gemeinsamen Tätigkeit arbeiten alle zusammen: Unternehmer, Führungskräfte, Angestellte und Arbeiter. Sie sind nicht Feinde, sondern Brüder. Das Zweite Vatikanische Konzil sagt: „In den wirtschaftlichen Unternehmen stehen Personen miteinander in Verbund, d. h. freie, selbstverantwortliche, nach Gottes Bild geschaffene Menschen. Darum sollte man unter Bedachtnahme auf die besonderen Funktionen der einzelnen, sei es der Eigentümer, der Arbeitgeber, der leitenden oder der ausführenden Kräfte, und unbeschadet der erforderlichen einheitlichen Werkleitung die aktive Beteiligung aller an der Unternehmensgestaltung voranbringen; die geeignete Art und Weise der Verwirklichung wäre näher zu bestimmen“ (Gaudium et spes, Nr. 68). Aus dieser Sicht sind die Unternehmen legitimer Ausdruck der Freiheit. Sie entsprechen der unternehmerischen Berufung des Menschen, seiner Kreativität, Initiative, den Ansprüchen der Gemeinschaft und den Möglichkeiten, die der Reichtum der Schöpfung bietet, die dem Menschen anvertraut wurde. Neben diesem solidarischen Verständis der Gemeinschaft eines Unternehmens muß gewiß auch die subsidiäre Funktion des Staates erwähnt werden, der in den Unternehmern immer mögliche Partner für eine loyale und notwendige Zusammenarbeit im Hinblick auf die Gemeinschaft sehen muß. Der Entfremdung des Menschen durch die Arbeit entgegenwirken 4. Während meiner Begegnung mit spanischen Unternehmern und Arbeitern in Barcelona habe ich gesagt, daß „das Unternehmen berufen ist, unter eurer Anregung eine soziale Funktion wahrzunehmen, die grundsätzlich ethischer Natur ist: zur Vervollkommnung des Menschen ohne jegliche Diskriminierung beizutragen; Arbeitsbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, daß gleichzeitig die persönlichen Fähigkeiten entwickelt, eine wirksame und rationelle Herstellung von Gütern und Dienstleistungen erreicht wird und der Arbeiter das Gefühl hat, wirklich selbst etwas zu leisten“ (Rede vom 7. November 1982). Auf diese Weise lallt es dem Unternehmen nicht 574 REISEN nur zu, materiellen Reichtum zu vermehren und die Antriebskraft für eine so-zio-ökonomische Entwicklung zu sein; es muß auch die Entwicklung des Menschen fordemund menschlichere Bedingungen schaffen. Seine Aktivität fügt sich ein in den Rahmen des Gemeinwohls, das in sich einschließt „die Summe aller jener Bedingungen gesellschaftlichen Lebens, die den einzelnen, den Familien und gesellschaftlichen Gruppen ihre eigene Vervollkommnung voller und ungehinderter zu erreichen gestatten“ (Gaudium et spes, Nr. 74). Alles in allem ist der Dienst am Menschen das grundlegende Gesetz aller wirtschaftlichen Aktivitäten, Dienst an allen Menschen und für den ganzen Menschen in seiner Ganzheitlichkeit: physisch, intellektuell, moralisch, spirituell und religiös. Daraus folgt, daß die Gewinne nicht nur in die Kapitalaufstockung fließen dürfen, sondern auch aus sozialer Einstellung heraus im Wege gerechter Verteilung zur Verbessemng von Löhnen und Gehältern, sozialen Dienstleistungen und technischer Ausbildung, Forschung und Förderung der Kultur dienen müssen. Ein Unternehmen, das diese sozialen Zielsetzungen verfolgt, erfordert offenkundig das Vorbild eines zutiefst menschlichen Unternehmers. Ein Unternehmer, der sich seiner Pflichten bewußt ist, ehrenhaft und fachkundig ist, mit tiefem sozialen Empfinden, das ihn befähigt, die Neigung zum Egoismus zurückzuweisen und dem Reichtum der Liebe Vorrang zu geben vor der Liebe zum Reichtum. Man kann sagen, daß es eine gewisse biblische Ähnlichkeit zwischen dem Unternehmer und dem Hirten gibt. Das ist eine Analogie. Bei allen Sorgen das letzte Ziel des Menschen nicht vergessen 5. Liebe Unternehmer! Wir haben schon das äußerst komplexe und schwierige Umfeld erwähnt, in dem sich eure berufliche Tätigkeit abspielt. Ebenso kenne ich die vielfältigen Schwierigkeiten ganz unterschiedlicher Art, die eure Arbeit behindern: konjunkturelle Probleme, gelegentlich schwierige Beziehungen zu Mitarbeitern und Arbeitern, Unverständnis und Beschuldigungen, für die ihr bisweilen die bevorzugte Zielscheibe seid, ökonomische Sorgen ... Ich möchte hervorheben, daß ich diese Probleme kenne, die objektiv oft schwerwiegend sind. Aber erlaubt mir, euch daran zu erinnern, daß eure größte Sorge und euer größter Einsatz in eurem Leben als Unternehmer dahin gehen muß, den Himmel, das ewige Leben, zu gewinnen. Zu euch sagt der Herr: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden nimmt?“ (Lk 9,25). Dieser Bezug kann nicht fehlen. Er kann zumindest nicht fehlen, wenn ein Bischof, ein Papst, ein Seelsorger, ein Verantwortlicher für die höhere Ökonomie spricht, die Heilsökonomie. 575 REISEN Vergeßt niemals, daß das wirklich Gefährliche in den Versuchungen verborgen liegt, denen euer Gewissen und eure Tätigkeit ausgesetzt ist: der unstillbare Durst nach Gewinn, der leichte und unmoralische Gewinn, Verschwendung, die Versuchung von Macht und Vergnügen, maßloser Ehrgeiz, ungebremster Egoismus, unehrliche Geschäftemacherei und Ungerechtigkeit euren Arbeitern gegenüber. Hütet euch sorgsam vor allen diesen Übeln! Beugt nicht euer Knie vor dem Goldenen Kalb! Verlaßt nie den schmalen Pfad rechtschaffener Unternehmertätigkeit, der einzige, der euch und euren Familien neben einem verdienten Wohlstand Friede und Gelassenheit bieten kann! Ihr müßt als Geschäftsleute und Unternehmer, die ihr zum größten Teil Christen seid, die Baumeister einer gerechteren, friedvolleren und brüderlichen Gesellschaft werden. Seid als Männer wie Frauen dynamisch, einfallsreich, hochherzig und opferbereit, von fester und sicherer Zuversicht! Erinnert euch daran, daß ihr mit der Kraft christlicher Liebe wichtige Ziele erreichen werdet. Nehmt euch die Pioniere als Vorbild, die nur mit der Zähigkeit ihres Willens und dem Glauben an Gott den Grundstein für viele eurer heutigen großen Unternehmen gelegt haben, die allein arbeitend, sogar ohne große technischen Kenntnisse die Fundamente legten für die spätere wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Seid solidarisch untereinander und auch mit den anderen Gruppen der Gesellschaft, die eure Probleme, Opfer und Hoffnungen mit euch teilen; seid es um des Wohles eures geliebten Vaterlandes willen. Wenn jemand alle Hoffnung auf eine gerechtere Gesellschaft, die wir ja alle wünschen, verloren hat, wollen wir ihm mit Stärke und Liebe sagen, daß es sehr wohl eine Lösung der schwierigen Probleme des Menschen gibt: nämlich die Begegnung mit Gott, dem Schöpfer, der weiterhin mit seiner Vorsehung in dem „großen Unternehmen Welt“ waltet, in das er auch euch aufnehmen wollte als seine Mitarbeiter. Mögen die Schwierigkeiten noch so groß sein und eure Bemühungen noch so ergebnislos erscheinen, geht immer voran, nehmt die Herausforderung unserer Zeit an, und über das Vertrauen in eure Fähigkeit und Kräfte hinaus erinnert euch vor allem an die Worte des Herrn: „Euch muß es zuerst um sein Reich und seine Gerechtigkeit gehen, dann wird euch alles andere dazugegeben“ (Mt 6,33). Der Unternehmer verbucht ohne Gottes Segen keinen Erfolg 6. Wenn ihr auch inmitten aller Schwierigkeiten euch hochherzig für das Wohl aller durch Ausübung eures Berufes zu engagieren wißt, wenn ihr Gott in eurem Tun und eure Brüder in der Führung eurer Unternehmen liebt, dann 576 REISEN werdet ihr sicherlich auch der Liebe Gottes zu euch gewahr. Dieser wird „euch das Saatgut geben und die Saat aufgehen lassen; er wird die Früchte eurer Gerechtigkeit wachsen lassen“, wie der hl. Paulus schreibt (2 Kor 9,10). Gott nimmt die menschliche Arbeit an und belohnt sie mit neuem Segen, mit Früchten, die nicht nur im Himmel, sondern auch auf dieser Erde sichtbar werden. Deshalb möchte ich schließen, indem ich euch ein anderes Wort des hl. Paulus zum Überlegen gebe. Es steht im ersten Brief an die Christen in Korinth, das damals ein wichtiger Handelshafen war. „So ist weder der etwas, der pflanzte, noch der, der begießt, sondern nur Gott, der wachsen läßt“ (I Kor 3,7). Angesichts eures weiten, großen und fruchtbaren Landes ist es einfach, Gott euer Herz zuzuwenden und ihm mit der Hilfe des paulinischen Textes zu danken im Wissen darum, daß er es ist, der alles wachsen läßt. Die Worte des Apostels machen auch verständlich, daß ihr den wahren Fortschritt dieses großen Vaterlandes Argentinien nicht erreichen könnt, indem ihr Gott ignoriert. Nur Gott kann eurer Arbeit und euren Initiativen ihre wahre Dimension geben, die echtes Wachstum bewirkt, das nicht nur in ökonomischen Begriffen definiert wird, sondern in den Früchten des Friedens, der Eintracht und der menschlichen und christlichen Solidarität seinen Ausdruck findet. Der Papst bringt zusammen mit euren Bischöfen und Priestern Gott den Dank aller Menschen aus Unternehmen, Finanzwelt, Industrie und Handel dar und bittet ihn um diesen neuen Zeitabschnitt in Gerechtigkeit, Solidarität, Ehrlichkeit und Hochherzigkeit. Möge unsere liebe Frau von Lujän diese Wünsche erfüllen helfen, die wir hier in ihre Hände legen, daß ihr Argentinier und Argentinierinnen eure Aufgaben vor Gott und den Menschen weiter erfüllen könnt. Christliche Laien — Salz der Erde, Licht der Welt Predigt bei der Messe im Unabhängigkeitspark von Rosario (Argentinien) am 11. April „Ihr seid das Salz der Erde ... Ihr seid das Licht der Welt“ {Mt 5,13-14). 1. Diese Worte Jesu, die wir soeben in der Lesung des Evangeliums gehört haben, sollen allen hier Versammelten meinen Gruß überbringen. Mit welcher Freude, liebe Brüder und Schwestern dieser edlen Stadt Rosario und der Küstenzone Argentiniens, komme ich an diesem vorletzten Tag meines Besuches in eurem geliebten Land zu euch! 577 REISEN Ich kann nicht verbergen, daß sich eine starke Ergriffenheit meiner bemächtigt angesichts der Tatsache, daß ich mich in dieser Stadt aufhalte, die der hier seit mehr als zweihundert Jahren verehrten Madonna vom Rosenkranz geweiht ist. Mich ergreift dieser Name für die Müttergottes, der im Herzen der Gläubigen das Mariengebet im wahrsten Sinne des Wortes wachruft; dieses Gebet, in dem gewissermaßen Maria mit uns betet, so wie sie mit den Aposteln im Abendmahlssaal gebetet hat. ; Tiefbewegt bin ich außerdem darüber, mich in dieser schönen Landschaft des Rio Parana zu befinden, in unmittelbarer Nähe des Nationaldenkmals für die Fahne, die zum ersten Mal General Manuel Belgrano hißte und ihr die Farben des Himmels gab: die Farbe des heiligen Mantels der Immaculata. Sehr herzlich grüße ich meine lieben Brüder im Bischofsamt, besonders den Herrn Erzbischof von Rosario mit seinen Weihbischöfen, die hier, anwesenden Vertreter der Behörden und die ganze Versammlung, die so zahlreich aus verschiedenen Orten dieser Region Argentiniens gekommen ist. Für alle mögen die Worte des hl. Paulus gelten: „Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und mit allem Frieden im Glauben, damit ihr reich werdet an Hoffnung in der Kraft des Heiligen Geistes“ (Rom 15,13). Alle Bereiche des Lebens in christlichem Geist gestalten 2. „Ihr seid das Salz der Erde... Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 5,13-14). Jesus beschreibt die Sendung seiner Jünger, indem er das Bild vom Salz und vom Licht gebraucht. Seine Worte richten sich an die Jünger aller Zeiten, sie gewinnen jedoch in unserer Zeit höchste Bedeutung für die Laien, die ihre spezifische Berufung im Bereich der irdischen Wirklichkeit entfalten, wohin sie von Christus gerufen und entsandt werden, „um so wie ein Sauerteig zur Heiligung der Welt gewissermaßen von innen her beizutragen“ (Lumen gentium, Nr. 31) . Das veranlaßt mich, euch für euer Gebet und eure weitere Reflexion ein Thema vorzuschlagen, dem in unseren Tagen einzigartige Bedeutung zukommt: die eigentliche Berufung und Aufgabe der Laien in Kirche und Welt. Mit eben diesem Thema wird sich die Bischofssynode im Oktober dieses Jahres beschäftigen: und ich erhoffe mir davon reiche Frucht, sowohl für den Aufbau der Kirche wie für den Aufbau der irdischen Gesellschaft nach dem Willen Gottes. Vor dem gekrönten Gnadenbild der Jungfrau vom Rosenkranz möchte der Papst heute alle Laien dieser Erzdiözese und des ganzen Landes auffordem, ihrer christlichen Berufung und ihrem besonderen kirchlichen Apostolat — nämlich für die Ausweitung des Gottesreiches auf Erden zu arbeiten — treu zu sein. Der Papst vertraut auf die argentinischen Laien und erwartet Großes von allen zur Ehre Gottes und zum Dienst am Menschen! 578 REISEN 3. Die erste Lesung der heutigen Liturgie hat uns dem Leben der Urkirche nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte nahegebracht: „Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2,42). „Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam ... Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk beliebt.“ (Apg 2,44-47). Aufgrund dieser kurzen Beschreibung kann man folgern, daß die Mitglieder jener christlichen Urgemeinde, die sich gerade erst um die Apostel in Jerusalem gebildet hatte, bereits ihr eigenes geistig—geistliches Leben führten, das die Grundlage ihrer Identität unter den Menschen bildete und sich auf das Wort Gottes stützte, das in der Lehre der Apostel und „im Brechen des Brotes“ — das heißt in der Eucharistie, die der Herr „zu seinem Gedächtnis“ zu vollziehen verfügt (vgl. 1 Kor 11,24) — enthalten ist. Mit Annahme dieses Lebensstils trachtete die erste Generation der Jünger und Bekenner Christi von Anfang an, das Salz der Erde und das Licht der Welt zu sein, womit sie dem Auftrag des Meisters folgte. Ein ,,Laie“ ist ein Glied des auserwählten Volkes Gottes 4. Die Lesung aus dem Epheserbrief wiederum stellt die grundlegende Bedeutung der christlichen Berufung heraus: „Ich ermahne euch — schreibt der Apostel —, ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging“ (Eph 4,1). Dieses „Würdigsein“ besteht in den Tugenden, die jeden dem Vorbild, also Christus, ähnlich machen: „Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe“ {Eph 4,2). „Ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist“, heißt ebenso euch bemühen, „die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält“ {Eph 4,3). Diese Einheit ist auf zuverlässige Fundamente gebaut: „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist“ {Eph 4,5-6). Die christliche Berufung — so lesen wir — ist „euch durch eine gemeinsame Hoffnung gegeben“ {Eph 4,4). Alle, die an dieser Hoffnung teilhaben, haben einen Geist und bilden einen Leib in Christus. Ihr seht sodann, daß der Brief an die Epheser alle Christen, das ganze Volk Gottes vor Augen hat: „Aarnj/ po0 coeo0“. Von diesem griechischen Wort Aao\[/ leitet sich der heutzutage gebrauchte Begriff „Laie“ her. 5. Das Zweite Vatikanische Konzil befaßt sich auch mit dieser besonderen Berufung der Laienchristen, die über den ganzen Erdkreis verbreitet sind, um 579 REISEN Salz der Erde und Licht der Welt zu sein: darüber hinaus hat es uns angedeutet, worin diese Berufung besteht und wie sich die Laien verhalten müssen, damit ihr Leben „der christlichen Berufung würdig“ ist. Die Antwort des Konzils — also alle seine Lehren über die Laien und ihr Apostolat — muß natürlich in homogener Kontinuität mit den Lehren des Evangeliums, der Apostelgeschichte und der Briefe der Apostel Verstanden werden. Gleichzeitig berücksichtigt die Antwort des Konzils die reiche und vielfältige Wirklichkeit der Kirche in der Welt von heute, der Kirche, die auf allen Kontinenten, unter vielen Völkern, Sprachen und Kulturen lebt, während sie zugleich „in statu missionis“, im Missionszustand, bleibt. Wo immer sie sich befindet, ist die Kirche immer „missionarisch“ im umfassenden Sinn, und das bestimmt die besondere Dynamik der Berufung und des Apostolats der Laien. 6. In der Tat versichert das Zweite Vatikanische Konzil, daß alle Christen an der einen Sendung der Kirche teilhaben: „Dazu ist die Kirche ins Leben getreten: sie soll zur Ehre Gottes des Vaters die Herrschaft Christi über die ganze Erde ausbreiten und so alle Menschen der heilbringenden Erlösung teilhaftig machen, und durch diese Menschen soll die gesamte Welt in Wahrheit auf Christus hingeordnet werden. Jede Tätigkeit des mystischen Leibes, die auf dieses Ziel gerichtet ist, wird Apostolat genannt; die Kirche verwirklicht es,, wenn auch auf verschiedene Weise, durch alle ihre Glieder; denn die christliche Berufung ist ihrer Natur nach auch Berufung zum Apostolat“ (Apostolicam actuositatem, Nr. 2). Das Konzil gibt auch die besondere Art und Weise an, in der die gläubigen Laien ihr Apostolat ausüben sollen: „Den Laien ist der Weltcharakter in besonderer Weise eigen ... Sache der Laien ist es, kraft der ihnen eigenen Berufung in der Verwaltung und gottgemäßen Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen“ {Lumen gentium, Nr. 31). Es gibt daher keine weltliche menschliche Tätigkeit, die mit dieser Aufgabe der Glaubensverkündung nichts zu tun hätte. Das versicherte mein ehrwürdiger Vorgänger, Papst Paul VI., in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi: „Das eigentliche Feld ihrer evangelisierenden Tätigkeit ist die weite und schwierige Welt der Politik, des Sozialen und der Wirtschaft, aber auch der Kultur, der Wissenschaften und Künste, des internationalen Lebens und der Massenmedien, ebenso gewisse Bereiche, die der Evangelisierung offenstehen, wie Liebe, Familie, Kinder- und Jugenderziehung, Berufsarbeit, Leiden ...“ (Nr. 70; in: Wort und Weisung, 1975, S. 589). Das will jedoch nicht heißen, daß die Veränderung der Welt ausschließlich den Laien anvertraut ist oder ausschließlich ihnen zukommt, während dem 580 REISEN Klerus, den Ordensmännern und Ordensfrauen der innere Aufbau der Kirche überlassen wird. Der ganze mystische Leib wird vom Konzil als das „allumfassende Sakrament des Heiles“ definiert; folglich hat die ganze Kirche den Sendungsauftrag, die Welt in Christus durch die Kraft des Evangeliums zu retten und zu verändern, aber ein jeder dadurch, daß er die Aufgabe durchführt, zu derer von Gott berufen wurde: „Da es dem Stand der Laien eigen ist, inmitten der Welt und der weltlichen Aufgaben zu leben, sind sie von Gott berufen, vom Geist Christi beseelt nach Art des Sauerteigs ihr Apostolat in der Welt auszuüben“ (Apostolicam actuösitatem, Nr. 2). Dieser Welt müßt ihr, liebe Laien,- Männer und Frauen, die Heilsgegenwart Christi, der vom Vater gesandt wurde, bringen. In ihr müßt ihr Zeugen der Auferstehung und des Lebens des Herrn Jesus und Zeichen des wahrhaftigen Gottes sein (vgl. Lumen gentium, Nr. 38). Ihr müßt „Verkünder und Apostel“ (vgl. 1 Tim 2,7) des Evangeliums für die heutige Welt sein. Fürchtet euch nicht! Der Herr hat gewollt, daß sich euer Leben in der Wirklichkeit der Welt entfaltet, damit ihr — mit der Freiheit der Kinder Gottes — diese Gesellschaft erneuert, zu der ihr gehört. Als Hirte der Universalkirche möchte ich heute in dieser Stadt Rosario euch alle, christliche Laien Argentiniens, bitten, euer besonderes und unersetzliches Apostolat entschlossen anzunehmen: in eurem Berufsleben, in den Familien und im Sozialbereich, in den Pfarreien, durch eure Vereinigungen, insbesondere in der Katholischen Aktion. Dazu fordern euch außerdem dringend die Bedürfnisse der schweren Zeit, in der wir leben, auf und spornt euch das fruchtbare und unablässige Wirken des Heiligen Geistes an. Denn ihr habt offenkundige Beweise für die Ausbreitung des Säkularismus vor Augen, der alles zu durchsetzen sucht; zugleich nehmt ihr mit sehr klaren Anzeichen das wachsende Verlangen nach Gott wahr, das der moderne Mensch, vor allem die jüngere Generation, in seinem Herzen spürt. Bedauerlicherweise schlagen uns weiterhin die Winde der Gewalt, des Terrorismus und des Krieges ins Gesicht; aber Gott sei Dank erfahrt die allgemeine Friedenssehnsucht eine zunehmende Stärkung, wie das Gebetstreffen in Assisi vor wenigen Monaten gezeigt hat. Angesichts dieser gegensätzlichen Wirklichkeiten bitte ich euch voll Liebe und Vertrauen, weiterhin eurer Sendung als Apostel und Zeugen treu zu sein, nämlich teilzunehmen an der einen evangelisierenden Sendung der Kirche. Dem Gesellschaftsprozeß den christlichen Prägestempel aufdrücken 7. Unter den spezifischen Aufgaben des Apostolats der Laien möchte ich nun einige hervorheben, die im allgemeinen in der heutigen argentinischen Ge- 581 REISEN Seilschaft als besonders dringend erscheinen. Ich denke in erster Linie an die Notwendigkeit, daß die christlichen Eheleute ihre Ehe ganz als eine Teilnahme an der fruchtbaren und unauflöslichen Einheit zwischen Christus lind der Kirche leben; daß sie sich verantwortlich fühlen für die ganzheitliche, vor allem religiöse und sittliche, Erziehung ihrer Kinder, damit diese in der Lage sind, alles Edle und Gute in der Schöpfung, vor allem in ihnen selbst, richtig zu erkennen und es vom hedonistischen Konsumismus und atheistischen Materialismus zu unterscheiden. ’ Ich sehe auch die Herausforderung, die für den christlichen Laien der Bereich der Gerechtigkeit und der für das Gemeinwohl bestimmten Einrichtungen darstellt. Gerade in diesem Bereich werden häufig die heikelsten Entscheidungen getroffen, die die Probleme des Lebens, der Gesellschaft, der Wirtschaft berühren und die daher die Würde und die Rechte des Menschen und des friedlichen Zusammenlebens in der Gesellschaft betreffen. Geleitet von den leuchtenden Lehren der Kirche und ohne die Notwendigkeit, einer eindeutigen politischen Lösung zu folgen, habt ihr euch mutig um die Suche nach einer würdigen und gerechten Lösung in den verschiedenen Situationen bemüht, die im zivilen Leben eurer Nation auftreten. Schließlich denke ich an den Bereich der Erziehung und der Kultur. Der katholische Laie, der sich ernsthaft seiner Aufgabe als Intellektueller, Wissenschaftler und Erzieher widmet, muß mit allen seinen Kräften eine Kultur der Wahrheit und des Guten fördern und verbreiten, die zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Glauben beitragen kann. Das Salz muß frisch bleiben und darf nicht schal werden 8. „Ihr seid das Salz der Erde! Ihr seid das Licht der Welt!“ Diese Worte Christi wollen in ganz klaren Zügen auf die angemessenste Eigenart der christlichen Berufung in jedem Zeitalter hinweisen und geben gut zu verstehen, daß sich kein Christ der Verantwortung für die Evangelisierung entziehen kann und daß sich ein jeder der persönlichen Verpflichtung, die er mit Christus in der Taufe und in der Firmung eingegangen ist, bewußt sein muß. Liebe Brüder und Schwestern! Damit das heilbringende Salz nicht „seinen Geschmack“ verliert, müßt ihr zutiefst von der Wahrheit des Evangeliums Christi durchdrungen sein und euch innerlich von der Macht seiner Gnade stärken lassen. Das Salz, auf das sich das Bild des Evangeliums bezieht, dient auch dazu, die Lebensmittel vor dem Verderben zu bewahren. Auf diese Weise werdet ihr, christliche Laien, euch vor der verderblichen Zersetzung durch die weltlichen 582 REISEN Einflüsse schützen, die im Gegensatz zum Evangelium und zum Leben in Christus stehen; ihr werdet euch vor dem schützen, was die heilbringenden Kräfte eines voll angenommenen christlichen Lebens zerstört. Ihr werdet nicht „dieser Welt ähnlich werden“ unter dem Einfluß des Säkularismus, das heißt einer Lebensweise, in der die Hinordnung der Welt auf Gott beiseite gelassen wird. Das bedeutet nicht Haß oder Verachtung der Welt, im Gegenteil, es bedeutet, diese Welt, den Menschen, alle Menschen wirklich zu lieben. Die Liebe zeige sich darin, daß sie das wahre Gute verbreitet mit dem Ziel, die Welt gemäß dem heilbringenden Geist des Evangeliums zu verändern und ihre volle Verwirklichung im künftigen Gottesreich vorzubereiten. Ihr seid nicht dazu berufen, in der Absonderung, in der Einsamkeit zu leben. Ihr seid Familienväter und —mütter, Arbeiter, Intellektuelle, freiberuflich Tätige oder Studenten wie alle anderen. Der Anruf Gottes hat nicht die Absonderung zum Ziel, sondern daß ihr dort, wo ihr euch befindet, Licht und Salz seid. Christus will, daß ihr „Licht der Welt“ seid; und darum seid ihr wie „eine Stadt, die auf einem Berg liegt“, denn „man zündet auch nicht ein Licht an und stülpt ein Gefäß darüber, sondern man stellt es auf den Leuchter; dann leuchtet es allen im Haus ...“ {Mt 5,14-15). Eure Aufgabe ist die „Erneuerung der menschlichen Wirklichkeit“ — eine vielfältige und verschiedenartige Erneuerung — im Geiste des Evangeliums und im Ausblick auf das Reich Gottes, wobei ihr auch darauf bedacht sein müßt, daß alle Dinge dieser Erde gemäß ihrem Eigenwert, den Gott in sie gelegt hat, gestaltet werden müssen (vgl. Apostolicamactuositatem, Nr. 7). Das ist der weite Horizont, mit dem das gesamte Erlösungswerk Christi verbunden werden muß (vgl. ebd., Nr. 5) und ihr Laien fügt euch tätig in dieses Werk ein, indem ihr eure tägliche Arbeit Gott darbringt (vgl. Gaudium et spes, Nr. 67). Um alle Menschen zu erleuchten, müßt ihr Zeugen der Wahrheit sein und euch dazu eine solide religiöse Ausbildung aneignen, die euch die von der Kirche überlieferte Lehre Christi immer besser verstehen läßt. Haltet euch immer vor Augen, daß euer Zeugnis unwirksam werden — das Salz seinen Geschmack verlieren — würde, wenn die anderen bei euch nicht die für einen Christen eigentümlichen Werke sähen. Es ist deshalb vor allem euer alltägliches Verhalten, das die anderen erleuchten muß. Das sagt euch Christus selber: „So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (Mt: 5,16). An diesem Text des Evangeliums inspirierte sich das Zweite Vatikanische Konzil, als es die übernatürliche Wirkung des Apostolats der Laien beschrieb (vgl. Apo-stolicam actuositatem, Nr. 6). 583 REISEN 9. Wir alle sind nun bereit, festzuhalten an der Lehre der Apostel, am Brechen des Brotes und am Gebet. Auf diese Weise legen wir hier, auf argentinischem Boden, alles auf dem Altar nieder, was zu unserer menschlichen und christlichen Berufung gehört: „Kommt, laß uns jubeln vor dem Herrn und zujauchzen dem Fels unseres Heiles!“ (Ps 95,1). Noch einmal wiederholt sich das eucharistische Geheimnis des Abendmahlssaales. Christus, der am Vorabend seiner. Passion die Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut seines Erlösungsopfers vollzog,. — nehme aus euren Händen, mit diesem Brot und Wein, alle Sorgen, Beunruhigungen und Sehnsüchte entgegen, die eure christliche Berufung und die Sendung des Gottesvolkes in Argentinien täglich begleiten; — präge weiterhin jedem eurem ganzen Apostolat das Siegel der Göttlichen Eucharistie auf, kraft der wir mit ihm in das ewige Reich der Wahrheit und der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens eintreten, als Volk geeint und verbunden mit der Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Möge uns stets der mütterliche Schutz der Allerseligsten Jungfrau Maria beistehen, u. Lb. Frau vom Rosenkranz, erste Jüngerin Christi, vollkommenes Vorbild der Laien, die jeden Tag der Geschichte ihre Berufung zur Heiligkeit und ihre Sendung als Apostel und Zeugen des auferstandenen Herrn leben. Amen. Eine Gesellschaft im Zeichen der Liebe aufbauen Predigt bei der Feier des Welttages der Jugend in Buenos Aires (Argentinien) am 12. April „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen“ (1 Joh 4,16). 1. „Hosanna dem Sohn Davids!“ (Mt 21,9). Die Kirche wiederholt heute auf der ganzen Erde diese Worte, mit denen die zum Osterfest in Jerusalem versammelte Menschenmenge Jesus von Nazaret zujubelte. „Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe!“ (Mt 21,9). Jesus zieht, umringt von seinen Jüngern und auf einem Esel sitzend, in die heilige Stadt ein. Auch bei dieser Gelegenheit, so unterstreicht der Evangelist, erfüllt sich in Jesus, was der Prophet vorausgesagt hat: 584 REISEN „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist friedfertig, und er reitet auf einer Eselin und auf einem Fohlen, dem Jungen des Lasttiers (Mt 21,5). Die Kirche nennt diesen Tag den Palmsonntag zur Erinnerung an die Zweige, die die Bewohner Jerusalems und die Pilger auf den Weg streuten, als Jesus mit großer Begeisterung von der Menge gegrüßt, vorüberritt. Die liturgischen Gesänge dieses Sonntags erinnern uns daran, daß sich die Jugend in besonderer Weise an jener Begeisterung beteiligte: Die „pueri He-braeorum“ — die hebräischen Jugendlichen — erscheinen in diesen Gesängen als die Hauptpersonen des Jubels des Volkes um den Sohn Davids. Es scheint, als ob die Jugendlichen, die bei jenem ersten umjubelten Einzug Christi in Jerusalem dabei waren, ihn für immer in besonderer Weise begleiten möchten, jedes Mal, wenn die Kirche dieses Fest feiert, das in einzigartiger Weise euer Fest ist. 2. Im Heiligen Jahr der Erlösung 1983/84 kamen Scharen von Jugendlichen am Palmsonntag in Pilgerfahrten nach Rom, um mit mir jenes Jubiläum zu feiern. Es war ein wunderbarer, unvergeßlicher Tag, den wir im Jahr darauf anläßlich des Internationalen Jahres der Jugend noch einmal erlebt haben. Seit damals wurde der Palmsonntag auf der ganzen Welt zum Tag der Jugend für die Kirche erklärt. Dieses Jahr erleben wir ihn gemeinsam hier, in Buenos Aires. Zu euch, Jugendliche aus ganz Argentinien, sind andere gestoßen aus den verschiedenen Ländern Amerikas und anderen Teilen der Welt, darunter Delegationen der Jugend Roms, der Diözese des Papstes und der verschiedenen internationalen Vereinigungen und Bewegungen. Ich grüße euch alle, die ihr zur großen Gemeinschaft der Jugendgemeinde der ganzen Welt gehört. Gleichzeitig richtet sich mein Gruß an die hier anwesenden Oberhirten der Kirche: an Kardinal Juan Carlos Aramburu, den Erzbischof von Buenos Aires; an Kardinal Raul Francisco Primatesta, den Erzbischof von Cordoba und Vorsitzenden der Argentinischen Bischofskonferenz; an Kardinal Eduardo Francisco Pironio, den Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Laien, das Organ, das diese Welttage vorbereitet. Ich grüße besonders die Beschöfe, die aus nahen und fernen Ländern gekommen sind, um die jungen Leute ihrer Diözesen zu begleiten und zusammen mit dem Papst diesen Tag von so besonderer kirchlicher Bedeutung zu feiern. Ich grüße auch die Priester, die Ordensmänner und Ordensfrauen und alle, die die Jugendlichen auf dieser Wallfahrt begleitet haben. Danke für eure Anwesenheit. Voh der Hauptstadt der Republik Argentinien aus vereinigen wir uns im Geist mit dem Petersdom und mit Rom, dem Zentrum der Weltkirche, wo nach dem 585 REISEN Willen des Herrn dieses Fest der Jugend geboren wurde. Und wir fühlen uns auch zutiefst vereint mit den Jugendlichen aller Orte der Erde, die mit ihren Hirten dieses alljährliche Fest feiern, mögen sie es nun am Palmsonntag tun oder an irgend einem anderen Tag des Jahres, der entsprechend der Situation und der Umstände am Ort besser dafür geeignet ist. 3. Als sie den Tag der Jugend auf den Palmsonntag legte und auf die Beteiligung der Jugendlichen an dem freudigen Hosanna hinwies, mit dem Christus bei seinem Eintritt in die Heilige Stadt begrüßt wurde, da beachtete die Kirche nicht nur die Begeisterung der Jugend aller Zeiten; sie richtete ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die Bedeutung, die jener Einzug im Leben Christi und durch ihn im Leben jedes Menschen, jedes Jugendlichen erhielt. Ja, die heutige Liturgie erinnert uns daran, daß der festliche Einzug Jesu in Jerusalem das Vorspiel oder die Einführung zu den Ereignissen der Karwoche war. Alle, die beim Anblick Jesu fragten: „Wer ist das?“, werden eine vollständige Antwort erst dann erhalten, wenn sie an den entscheidenden Tagen seines Todes und seiner Auferstehung seinen Schritten folgen. Auch ihr, meine Jugendlichen, werdet das volle Verständnis von der Bedeutung eures Lebens und eurer Berufung nur dann erreichen, wenn ihr auf den gestorbenen und auferstandenen Christus schaut. Fügt also der natürlichen Anziehungskraft, die Christus in euren Herzen weckt — und die jene Jugendlichen von Jerusalem mit ihrem begeisterten Hosanna zum Ausdruck brachten — die ruhige und aufmerksame Betrachtung der Begebenheiten der Karwoche hinzu. Wir haben heute den Bericht gehört, den der heilige Matthäus von diesen Tatsachen in seinem Evangelium gibt. Und obwohl seine Worte nicht neu sind, haben sie wieder einmal tiefe Gefühle in uns geweckt. Wenn aus diesem Text die Gestalt des Menschensohnes hervortritt, der Verhören und Folterungen unterworfen wird, dann erfüllen sich die in der heutigen Liturgie zitierten Worte des Propheten, die auf viele Jahrhunderte vor diesen Fakten zurückgehen, und gewinnen volle Realität und Bedeutsamkeit. Jesaja schrieb vom kommenden Messias: „Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen, und denen, die mir den Bart ausrissen, meine Wangen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel“ (Jes 50,6). Vergleicht man seine Worte mit den tragischen Ereignissen zwischen dem Abend des Donnerstags und dem Morgen des Freitags, so ist die Übereinstimmung erstaunlich; der Prophet schreibt, als ob er Zeuge jener Szenen gewesen wäre. Mit gleicher Genauigkeit sagt der Psalm der heutigen Liturgie die Leiden Christi voraus: „Alle, die mich sehen, verlachen mich, verziehen die Lippen, 586 REISEN schütteln den Kopf: Er wälze die Last auf den Herrn, der soll ihn befreien! Der reiße ihn heraus, wenn er an ihm Gefallen hat“ (Ps 22,8-9). Diese Worte wird der Evangelientext beim Bericht über die Kreuzigung Jesu auf Golgota fast bis in die kleinsten Kleinigkeiten bestätigen. Dann werden sich auch die Worte des Psalmisten erfüllen, die die Wunden Christi beschreiben — „Sie durchbohren mir Hände und Füße, man kann alle meine Knochen zählen“ (Ps 22,17-18) — und die Teilung seiner Kleider — „Sie verteilen unter sich meine Kleider und werfen das Los um mein Gewand“ (Ps 22,19). Gottes Selbstäußerung gipfelte im Tod am Kreuz 4. Der Bericht über die Leidensgeschichte des Herrn führt uns heute bis zu der Stelle, an der der Leichnam des am Kreuze gestorbenen Jesus in ein Felsengrab gelegt wird. Doch die heutige Liturgie will uns noch tiefer in das Ostergeheimnis Jesu Christi einführen. Dafür ist der knappe Text der zweiten Lesung, aus dem Brief des heiligen Paulus an die Philipper, der Schlüssel, um im Hintergrund der Ereignisse der Karwoche das ganze Ausmaß des göttlichen Geheimnisses zu entdecken. Wer ist Jesus Christus? So könnten wir uns von neuem fragen wie jene, die ihn in Jerusalem einziehen sahen. Jesus Christus „war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“ (Phil 2,6-7) Jesus Christus ist also wahrer Gott, Sohn Gottes, der Menschennatur annahm und sich zum Menschen machte. Er lebte auf dieser Erde als der Menschensohn. Und gerade weil er der Menschensohn war, erfüllte er die Gestalt des von Jesaja angekündigten Gottesknechtes. 5. Während Jesus auf einem Esel reitend seinen Einzug in Jerusalem hält, stellen wir uns weiterhin die Frage, wie es gewiß auch die Menge getan haben mag, die ihn damals umgab: Was hat Jesus Christus getan in seinem Leben? Da kommen uns jene Zusammenfassungen seiner Missionstätigkeit in Erinnerung, die uns, so dicht in ihrer Kürze, die Schrifttexte anbieten: „er wirkte und lehrte“ (vgl. Apg 1,1); „er zog umher und tat Gutes (...) allen ...“ (vgl. Apg 10,38); „noch nie hat ein Mensch so gesprochen!“ (Joh 7,46). Und trotzdem blieben alle unsere Antworten über Jesus unvollständig, wenn wir nicht von seinem Tod am Kreuze sprächen. Am Kreuz erlangt das Leben Christi seinen vollen Sinn; der Tod ist die fundamentale Tat des Lebens Christi. Darum beantwortet der Text des heiligen Paulus sehr gut die vorher gestellte Frage: 587 REISEN „Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,7-8). Im Mittelpunkt des ganzen Lebens Christi steht sein Tod am Kreuz; er ist der fundamentale und endgültige Akt seines messianischen Auftrags, in diesem Tod Erfüllt sich „seine Stunde“. Christus nimmt unser Fleisch an, wird geboren und lebt wie ein Mensch, um für uns zu sterben. Es ist wichtig, die Aussage des Paulus zu unterstreichen: Christus „erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod“. Es ist nicht erlaubt, den Tod Christi mit dem gängigen Maß menschlicher Schwäche und Begrenztheit zu messen. Man muß ihn mit dem wirklich zutreffenden Maß des erlösenden Gehorsams betrachten. Sein Tod ist nicht nur das Ende des Lebens. Christus wird freiwillig gehorsam bis zum Tod am Kreuz, um mit seinem Tod dem Leben einen neuen Anfang zu geben: „Da nämlich durch einen Menschen der Tod gekommen ist, kommt durch einen Menschen auch die Auferstehung der Toten. Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden“ (7 Kor 15,21-22). Tod und Erhöhung — Pole der göttlichen Heilspädogogik 6. Zusammen mit der unendlichen Demütigung Christi, des Sohnes, der eines Wesens mit dem Vater ist — in seiner Gestalt als Mensch, als Gottesknecht, als Schmerzensmann — verkündet der Apostel gleichzeitig seine Erhöhung. Zum Ostergeheimnis gehören sowohl der Tod als auch die glorreiche Auferstehung Christi, seine Erhöhung. Und seine Erhöhung beginnt am Kreuz, das nicht nur der Galgen ist, sondern auch der Ruhmesthron des menschgewordenen Gottes ist; am Kreuz erlangt der gestorbene Christus für uns das wahre Leben; am Kreuz besiegt Christus die Sünde und den Tod. Deswegen erhöht Gott Christus, der sich selbst für uns am Kreuz hingegeben hat. Er erhöht ihn im Horizont der gesamten Geschichte des dem Tode unterworfenen Menschen, und diese Erhöhung ist von kosmischem Ausmaß. Der heilige Paulus schreibt: „Darum hat Gott ihn über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: „Jesus Christus ist der Herr“ — zur Ehre Gottes, des Vaters“ (Phil 2,9-11). Ja, Jesus Christus ist der Herr. Wir glauben an Jesus Christus, unseren Herrn. 7. Liebe junge Freunde, warum ist dieser Tag, der Palmsonntag, zu eurem Festtag geworden? Das ist nach und nach geschehen: seit einiger Zeit ver- 588 REISEN anlaßt dieser Tag viele jugendliche Pilger, sich vor allem in Rom zu versammeln. Vielleicht wolltet ihr euch auf diese Weise den jungen Leuten von Jerusalem, den „pueri Hebraeorum“, anschließen, die bei der Ankunft Jesu zu den Festtagen dabei waren. Ihr habt ihre Begeisterung teilen wollen, die ihren Ausdruck fand in den Worten: Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Jedoch die Begeisterung dauert nur kurze Zeit. Sie kann an einem einzigen Tag zu Ende gehen. Dagegen führt uns der Palmsonntag ein in alle Ereignisse der Karwoche, in das umfassende Geheimnis Jesu Christi: in seine Hingabe bis zum Tod am Kreuz aus Gehorsam zum Vater, in die Erniedrigung des Sohnes, der, obwohl dem Vater gleich, die Lage eines Sklaven bis hin zu den äußersten Konsequenzen auf sich genommen hat.: Man könnte darum sagen, daß ihr Jugendlichen vom Kreuz Christi angezogen worden seid; daß eure Begeisterung, die den „pueri Hebraeorum“ nachfolgt und sich auch im „Hosanna — gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! “ ausdrückt, durch das Ostergeheimnis erst seine ganze Bedeutung erhält. Wenn ihr dem Propheten aus Galiläa, Jesus von Nazaret, zujubelt, bekundet ihr gleichzeitig euren Glauben an Jesus Christus, den Gottmenschen, den Erlöser des Menschen und der Welt. Ergriffen von der Liebe Gottes das Leben ändern 8. Ja, der Palmsonntag führt uns ein in das volle Geheimnis Jesu Christi, das heißt in das ö sterliche Geheimnis, in dem alle Dinge ihren Höhepunkt erreichen und in dem die Wahrheit der Worte und Taten des Jesus von Nazaret voll bekräftigt wird. In diesem Geheimnis offenbart sich auch, bis zu welchem Punkt „Gott die Liebe ist“ (vgl. 1 Job 4,8); und zugleich gewinnen wir das Bewußtsein von der wahren Würdedes Menschen, der umdenPreis des Blutes des Gottessohnes erlöst und berufen ist, in Ewigkeit mit ihm in seiner Liebe zu leben. „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen“ (1 Joh 4,16). So drückt sich der heilige Johannes in dem Text aus, über den wir als Leitwort dieses Welttages der Jugend nachdenken. Liebe Jugendliche, feiert immer in eurem Leben das Ostergeheimnis Jesu, indem ihr das Geschenk der Liebe Gottes in eurem Herzen, annehmt: „Er hat mich geliebt und sich für mich hingegeben“ (Gal 2,20). Laßt euch ganz durchdringen von der göttlichen Kraft der Liebe, setzt eure jugendlichen Energien ein für den Aufbau der Gesellschaft im Zeichen der Liebe! Laßt euch auf dem „Weg des Glaubens“ leiten, folgt gleichzeitig der Stimme, die im Herzen und im Gewissen des Menschen das Tiefste und Edelste ist und 589 REISEN der inneren Wahrheit vom Menschen und seiner Würde entspricht. So werdet ihr in der Lage sein, die göttliche Logik zu verstehen, fähig, die ärmlichen menschlichen Vernunftgründe zu überwinden, und ihr werdet eindringen in die neue Dimension der Liebe, die Christus uns gezeigt hat. Das ist der wahre Grund, warum ihr zusammenkommt, um diesen Tag zu feiern. Kommt, junge Menschen! Kommt näher zu Christus, dem Erlöser des Menschen! Das ist der Sinn eurer Anwesenheit auf dem Petersplatz in Rom und heute auf dieser großen Prachtstraße der argentinischen Hauptstadt. Christus ist es, der euch an sich zieht, der euch ruft und zusammen mit Jesus Christus unsere heilige Mutter Maria, die aus ihrem Heiligtum in Lujän gekommen ist, um bei uns zu sein. Ihr empfehle ich euch am Ende dieser Feier. Ich weiß sehr wohl, was alles Unsere Liebe Frau von Lujän für euch bedeutet, junge Argentinier, bei euren alljährlichen Wallfahrten, an denen ihr in großer Zahl mit großer Verehrung für die Muttergottes, mit Großmut und voller Hoffnung teilnehmt. Ich sehe in euch alle eure Altersgenossen: die jungen Männer und Mädchen, mit denen ich das Glück hatte in vielen Teilen der Erde zusammenzutreffen, und auch die anderen, bei denen ich noch nicht sein konnte. Mit ihnen allen vereinigen wir uns im Geiste, um sie .einzuladen, Christus näherzukommen an diesem heiligen Tag. 9. Ich wende mich an alle, und euch allen sage ich: Laßt euch erfassen vom Geheimnis des Menschensohnes, vom Geheimnis Christi, des Gestorbenen und Auferstandenen. Laßt euch ergreifen vom Ostergeheimnis! Laßt zu, daß dieses Geheimnis bis auf den Grund eindringt in euer Leben, in euer Gewissen, in euer Einfühlungsvermögen, in euer Herz, damit es eurer ganzen Lebensführung den wahren Sinn gebe. Das Ostergeheimnis ist erlösendes, schöpferisches Geheimnis. Nur vom Geheimnis Christi her kann der Mensch seine göttliche Berufung begreifen und sein letztes und endgültiges Ziel erreichen. Laßt schließlich auch zu, daß dieses Ostergeheimnis in euch wirkt. Für den Menschen, besonders für den jungen Menschen, ist es wesentlich, sich selbst zu erkennen, um seinen Wert zu wissen, seinen wahren Wert, die Bedeutung seines Daseins, seines Lebens zu kennen, zu wissen, was seine Berufung ist. Nur so kann er den Sinn seines eigenen Lebens bestimmen. „Herr, zu wem sollen wir gehen?“ 10. Nur wenn ihr das Ostergeheimnis in euer Leben aufnehmt, könnt ihr „jedem Rede und Antwort stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ 590 REISEN (i Petr 3,15). Nur wenn ihr Christus, den Gestorbenen und Wiederauferstandenen, aufnehmt, werdet ihr die großen und edlen Sehnsüchte eures Herzens stillen können. Junge Menschen: Christus, die Kirche und die Welt warten auf das Zeugnis eures Lebens, das auf der uns von Christus geoffenbarten Wahrheit aufgebaut ist! Junge Menschen: der Papst dankt euch für euer Zeugnis und ermutigt euch, immer Zeugen der Liebe Gottes, Säleute der Hoffnung und Erbauer des Friedens zu sein! „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“ {Joh 6,68). Er, der sich selbst hingegeben hat, der gehorsam geworden ist bis zum Tod am Kreuz, er allein hat Worte des ewigen Lebens. Nehmt seine Worte an. Lernt sie. Baut euer Leben auf und denkt dabei immer an die Worte und das Leben Christi. Mehr noch: Lernt Christus selber zu sein, indem ihr euch in allem mit ihm identifiziert. In ihm liegt der Sieg, der die Welt überwindet. Der entscheidende und endgültige Sieg des Menschen. „Das ist der Sieg, der die Welt besiegt hat: unser Glaube“ (1 Joh 5,4). Der Glaube an den, der „die Welt so sehr geliebt hat, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Dieser Glaube muß sich niederschlagen im Vertrauen, in der Treue und im mutigen und großherzigen Engagement. Dann können wir freudig und in Dankbarkeit gegenüber unserem Herrn sprechen: „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen“ (1 Joh 4,16). Einheit ist nicht Einförmigkeit Ansprache an die argentinischen Bischöfe in Buenos Aires (Argentinien) am 12. April Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Diese Begegnung mit euch schon fast in den letzten Stunden meines Aufenthaltes in eurem Land will, wie der Herr Kardinal Raul Primatesta in seinem Grußwort sagte, ein ähnlicher Augenblick sein, wie Jesus ihn mit seinen Aposteln teilen wollte, als er nach der Aussendung der Zwölf in die Dörfer Israels sie in einem abgelegenen Ort in der Nähe von Betsaida einlud (vgl. Lk 9,10), um sie ausruhen zu lassen und mit ihnen allein zu sein. „Kommt mit an 591 REISEN einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus“ (Mk 6,31). Derselbe Jesus ruft uns heute zusammen zu dieser Begegnung; derselbe Jesus ist mitten unter uns, um uns mit seinem Licht und seiner Gnade zu leiten. An diesem Sitz der Argentinischen Bischofskonferenz, den ich soeben gesegnet habe, und im Rahmen meines Pastoralbesuches gestattet uns diese höchst willkommene Pause, die zahlreichen Gefühle miteinander zu teilen, die die verschiedenen Feiern im Glauben und in der Liebe in uns erregt haben. Wir fühlen uns alle veranlaßt, Gott von ganzem Herzen für die vielen Gaben zu danken, die er euren Ortskirchen gewährt hat. Ich habe diese in diesen unvergeßlichen Tagen in vollem Umfang sehen können. Diese Vitalität ist das Ergebnis einer langen und zähen Evangelisierungsarbeit, die vor fünf Jahrhunderten auf argentinischem Boden begonnen hat. Ich möchte bei dieser Gelegenheit von Herzen allen dankbare Anerkennung abstatten, die im Verlauf eurer Geschichte die großmütigen und getreuen Werkzeuge der Evangelisierung Argentiniens und des heilbringenden Auftrags der Kirche waren — in den Zeiten der spanischen Kolonisierung, in der heldischen Epoche der Unabhängigkeit, in den gefahrvollen Jahren, in denen sich die Nation organisiert hat, und bei ihrem Aufbruch in die Gegenwart. Liebe Brüder, ich möchte euch meine Freude darüber bekunden, daß ihr mit Glauben und Vertrauen, mit Großmut und Opfergeist zusammen mit euren Mitarbeitern das Werk so vieler Hirten weitergeführt habt, die euch in diesem gesegneten Land vorangegangen sind. Und ich möchte euch auch im Namen des Herrn an etwas erinnern, was euch als Priestern sehr eng am Herzen liegt: Die Gegenwart und die Zukunft der Durchdringung Argentiniens mit dem Evangelium liegt in euren Händen. Während dieser heutigen Begegnung wollen wir kurz über die fundamentalen Voraussetzungen für die Durchführung einer umfassenden und tiefgreifenden Festigung des vor fast fünf Jahrhunderten begonnenen Evangelisierungswerkes nachdenken. Eine Verkündigung des Evangeliums muß sein: „neu in ihrem glühenden Eifer, in ihren Methoden, in ihren Ausdrucksformen“, wie ich schon vor vier Jahren in Haiti zu den Bischöfen des CELAM gesagt habe. Meine Überlegungen werden notgedrungenermaßen knapp sein, sie sollen jedoch einige weiterführende pastorale Grundausrichtungen unterstreichen. Es handelt sich um Programme und Initiativen, deren Ergebnisse sich gewöhnlich nicht kurzfristig einstellen; sie sind wie das Weizenkom des Evangeliums, das in die Erde fallt und stirbt und viel Frucht hervorbringt, weil es in sich den Keim des göttlichen Lebens trägt. 592 REISEN Die Einheit der Kirche ist Voraussetzung für ihre Glaubwürdigkeit 2. Um die Bedürfnisse von heute und die Ungewißheiten der Zukunft in angemessener Weise anzupacken, muß sich die Evangelisierung wie auf ein Fundament auf eure Einheit als Hirten, Vorbild und sichtbare Ursache der kirchlichen Gemeinschaft, stützen. Erinnert euch an das Gebet unseres Herrn Jesus, das er für die Apostel an seinen Vater richtete: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast“ (Joh 17,21). Diese Worte enthalten den göttlichen Willen zur Einheit — für die Apostel und für ihre Nachfolger, die Bischöfe: zur Einheit im Denken, im Reden, im Fühlen und im Handeln unter allen Bischöfen, den Mitgliedern ein und desselben Kollegiums, dessen sichtbares Oberhaupt der Papst ist. Das ist das Zeichen für die Echtheit des Auftrages der Kirche und den Auftrag Christi: „Alle sollen eins sein ... damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast.“ Nichts hilft dem Evangelisierungswerk mehr als die Einheit und das Verständnis unter den Oberhirten. Bezugspunkt dieser Einheit ist die einhellige Zustimmung zur Wahrheit der göttlichen Offenbarung und zur Überlieferung der Lehre, der Moral und der Disziplin der Kirche, die der Welt die authentische, für alle Generationen neue und aktuelle Botschaft Christi anbietet. Diese Einheit ist nicht Einförmigkeit; sie löscht die berechtigte Unterschiedlichkeit der seelsorglichen Akzentsetzungen, der Prioritäten oder Initiativen nicht aus, die den unterschiedlichen Bedürfnissen und Situationen eurer Diözesen angemessen sind. Mit Sicherheit erfordert die Einheit jedoch auch immer, daß die Besonderheiten sich einfügen in eine Harmonie, die über sie hinausgeht, ohne sie auszulöschen. In dieser Hinsicht möchte ich euch an eine der Schlußfolgerungen der Außerordentlichen Bischofssynode von 1985 erinnern, die die scharfsinnige, aber entscheidende Unterscheidung zwischen Vielfalt und Pluralismus trifft: „Weil die Vielfalt ein echter Reichtum ist und Fülle enthält, ist sie selber echte Katholizität; dagegen führt der Pluralismus, der auf der Gleichrangigkeit entgegengesetzter Positionen aufgebaut ist, zur Auflösung, zur Zerstörung und zum Verlust der eigenen Identität (Schlußbericht, II, C, 2). Auch ich sehe, wie schwierig die Ausübung eures Auftrags, gute und getreue Hirten zu sein, heute ist; besonders inmitten einer Gesellschaft, die wohl von Strömungen der Verweltlichung durchdrungen wird, die aber gleichzeitig auf die Stimme der Hirten der Kirche hört, wie ich selber während dieses Pasto-ralbesuches feststellen konnte. Der Herr, der euch beisteht und euch mit seinem Geist begleitet, wird nicht aufhören, euch zu erleuchten und euch in je- 593 REISEN dem Augenblick Kraft und Stärke zu geben und dazu jene übernatürliche Klugheit, die sein besonderes Geschenk ist. Ihr werdet jedoch mit männlicher Aufrichtigkeit und in Abgeklärtheit des Geistes darauf antworten müssen, und mit jener großen Demut, die der Apostel Petrus bekundete, als der Herr ihn nach seiner Liebe zu ihm fragte, um ihm dann den Auftrag zu geben, seine Lämmer und seine Schafe zu weiden: „Herr, du weißt alles; du weißt, daß ich dich liebe“ (Joh 21,17). Bleibt euch immer eurer Funktion als Väter und Hirten im Namen Jesu für die ganze Kirche in Argentinien bewußt und erfüllt als solche aufmerksam, was diese Gesellschaft, auch wenn sie verweltlicht, auch wenn sie dem Anschein nach gleichgültig ist — von euch erwartet als den Zeugen Christi, den Hütern absoluter Werte, den Erben der ruhmreichen spirituellen, kulturellen und bürgerlichen Tradition eures Vaterlandes. Priesterbildung beginnt schon in den Kindertagen des Kandidaten 3. Bei eurer Evangelisierungsarbeit seid ihr jedoch nicht allein: Verlaßt euch auf die großmütige Unterstützung der Priester, die die Konzilskonstitution Lumen gentium „sorgsame Mitarbeiter des Bischofskollegiums“ nennt (Nr. 28; Christus Dominus, Nr. 15). Wenn auch euer Land, wie die übrigen Schwestemationen Lateinamerikas, unter chronischem Priestermangel leidet, so können wir heute doch Gott danken, weil in den letzten Jahren die Berufungen zum Priestertum und zum Ordensleben in fast allen Diözesen in ermutigender Weise zugenommen haben. Ja, wir müssen dem Vater Dank sagen, von dem „jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk“ kommt {Jak 1,17); und Christus, dem Haupt und dem Bräutigam der Kirche, der seine Gaben weiterhin ausspendet, „um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi“ (Eph 4,12); und demHeiligen Geist, der unerschaffenen Quelle aller Gnadengaben (vgl. 1 Kor 12,4). Freude erweckt in uns die Aussicht auf eine erneuerte Evangelisierungsaktion, getragen von neuen Priestergenerationen, die berufen sind, die selbstlosen Bemühungen der vielen Priester fortzusetzen, die ihr Leben im Dienst am Volk Gottes verbraucht haben. Dieses Geschenk des Himmels schließt aber auch eine ernste Verantwortung ein. Wenn Gott Argentinien mit Priesterberu-firngen gesegnet hat, darf nicht an Mitteln gespart werden, um dafür zu sorgen, daß die künftigen Priester alle die Kenntnisse und Tugenden erwerben, die sie noch besser für die Ausübung ihres Dienstamtes befähigen. Diese ernste Verantwortung erfordert daher, wie ihr selbst in den „Normen für die Priesterausbildung in den Seminarien der Republik Argentinien“ anerkannt habt, 594 REISEN Ernsthaftigkeit und Konsequenz in der Seminarerziehung in Übereinstimmung mit den Richtlinien des Heiligen Stuhls. Vor allem ist eine gediegene Erziehung zum geistlichen Leben notwendig. Sie muß aus dem künftigen Priester einen Mann Gottes machen, der durch die übernatürliche Kraft seines Glaubens und seiner Liebe im Geiste Christi verwurzelt ist und der sich stärkt durch die Meditation des Wortes Gottes und durch die Liturgie, in der Hauptsache aber durch den Umgang und die innere Vereinigung mit dem in der heiligen Eucharistie gegenwärtigen Christus. Ein solches inneres Leben muß die Grundlage jener Hingabe sein, in der sich der Priester mit dem gekreuzigten Herrn identifiziert, der einzigen und sicheren Quelle der schon in diesem Leben beginnenden Auferstehungsfreude. In lebendiger Verbindung mit der spirituellen Erziehung muß für eine umfassende und festbegründete Ausbildung in der philosophischen und theologischen Lehre gesorgt werden. Die einmal Mitarbeiter bei eurem Auftrag, Lehrmeister des Glaubens zu sein, werden sollen, brauchen das. Der Priester muß aus den Grundsätzen des Glaubens lebendige Nahrung für seine Vernunft machen, und dies in einem wechselseitigen Austausch, entsprechend dem Wort des Anselm von Canterbury: „Credo, ut intelligam, sed etiam intel-ligo, ut credam“; und er muß sich immer tiefer einleben in das „sentire cum ecclesia“. Folglich müssen die Kandidaten für das Priestertum in den Seminarjahren jene Vertrautheit mit dem Studium und der Meditation erwerben, die ihnen später gestatten, ihr theologisches Wissen konkret anzuwenden und es in Treue einzubringen in die zuweilen schwierigen und konfliktgeladenen Probleme, die die neuen Situationen und Fragestellungen hervorrufen. Gleichzeitig ist als unumgängliche Grundausrichtung der ganzen Vorbereitung auf das Priestertum eine tiefe pastorale Bildung nötig, also die Formung einer echten Hirten-Persönlichkeit, gesalbt mit der Liebe Christi, die den Priester darauf ausrichtet, niemals persönlichen Opfern für das Wohl der ihm von Gott anvertrauten Christen auszuweichen. Die Persönlichkeit des Seelenhirten muß geprägt sein vom Frömmigkeitsleben, von christlicher Askese und von der beständigen Ausübung der übernatürlichen Tugenden auf der Basis einer Menschlichkeit, in der sich der katholische Priester durch seine Aufrichtigkeit, Rechtschaffenheit und Bildung auszeichnet (vgl. Optatam totius, Nr. 11). Der Priester-Hirte wird so in seiner Person Jesus sichtbar werden lassen, den Guten Hirten, der ganz bereit ist zum unermüdlichen Dienst an seinen Brüdern. 595 REISEN Nicht Quantität sondern Qualität der. Priester ist entscheidendes Kriterium Diese ermutigende Blüte geistlicher Berufung erfordert ohne Zweifel deutliche Auswahlkriterien in der Seelsorge für die geistlichen Berufungen. Nicht die Zahl soll man in erster Linie anstreben, sondern die Eignung der Kandidaten. Wir brauchen viele Priester, aber sie müssen geeignet, würdig, gut ausgebildet, heilig sein. Erinnert euch, was das Zweite Vatikanische Konzil im Dekret über die Priesterausbildung festgestellt hat: „In der ganzen Auswahl und Prüfung der Kandidaten soll man mit der nötigen Festigkeit Vorgehen, auch dann, wenn Priestermangel herrscht. Gott läßt es ja seiner Kirche nicht an Dienern fehlen, auch wenn man nur die fähigen auswählt“ (Optatam totius, 6). 4. Ein dritter Punkt, über den ich mit euch zusammen nachdenken möchte, ist der Evangelisierungsauftrag, den die Kirche, „in wunderbarer Mannigfaltigkeit geordnet“ {Lumen gentium, Nr. 32) durch ihre Laien-Mitglieder erfüllt. Mein verehrter Vorgänger, Papst Paul VI. nannte das „eine besondere Form der Evangelisierung“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 70). Aufgabe des Laien ist es, alle christlichen, vom Evangelium her gegebenen Möglichkeiten, die zwar verborgen, aber dennoch in den Dingen der Welt schon vorhanden sind und sich aktiv auswirken, zu verwirklichen, damit die irdischen Wirklichkeiten „in den Dienst der Erbauung des Reiches Gottes und damit in den Dienst des Heiles in Jesus Christus“ gestellt werden (ebd. ) . Dieser Sendungsauftrag der katholischen Laien wird Gegenstand der Beratungen der kommenden Vollversammlung der Bischofssynöde sein; er gewinnt wesentliche Bedeutung in dem Augenblick, den euer Land gerade erlebt. Die dauerhafte Gültigkeit und die tiefe Verwurzelung der christlichen Werte in der argentinischen Gesellschaft sowie das stets notwendige richtungsweisende Wirken der Kirche fordern das tatkräftige Engagement von Laien, die in ihrem Glauben gereift und intellektuell und apostolisch darauf vorbereitet sind, den Herausforderungen von heute die Stirn zu bieten in der Weise, daß sie in der Lage sind, „die Ausrichtung der zeitlichen Ordnung auf sich zu nehmen und dabei, vom Licht des Evangeliums und vom Geiste der Kirche geleitet und von christlicher Liebe gedrängt, unmittelbar und entschieden handeln“ (Apostolicam actuositatem, Nr. 7). Mit Befriedigung sehe ich, daß ihr unter euren Richtlinien für die Seelsorge dem „Plan Ehe und Familie“ und der bereits erwähnten „Priorität Jugend“ besondere Aufmerksamkeit gewidmet habt. Es geht darum, diese Arbeit fortzusetzen, indem ihr eure Bemühungen in besonderer Weise auf die umfassende Ausbildung der Laien richtet, damit sie anschließend — in persönlicher Freiheit und Verantwortung — die Kirche „in der ganzen weiten und schwieri- 596 REISEN gen Welt der Politik, des Sozialen und der Wirtschaft, aber auch der Kultur, der Wissenschaften und der Künste, des internationalen Lebens und der Massenmedien sowie in gewissen Wirklichkeiten, die der Evangelisierung offenstehen“, präsent mache {Evangelii nuntiandi, Nr. 70). Die Ausbildung der Laien muß auf einem intensiven christlichen Leben aufbauen; dieses muß die Antwort auf die universale Berufung zur Heiligkeit sein, die der Herr an alle Getauften gerichtet hat (vgl. Lumen gentium, Nr. 5; Schlußbericht der Außerordentlichen Bischofssynode 1985, II, A,4). In diesem Sinne bietet das Konzilsdekret „Apostolicam actuositatem“ eine schöne Zusammenfassung der Spiritualität in der Welt in der Hinordnung auf das Apostolat, ein echtes Programm der Heiligung für die Laien an (vgl: Apostolicam actuositatem, Nr. 4). Ebenso unerläßlich aber ist die Ausbildung in der Glaubenslehre schon im Kreis der Familie, in den Schulen, in den Pfarreien, in den apostolischen Vereinigungen und Bewegungen wie auch in den besonders für die Erteilung dieser Ausbildung bestimmten Instituten. Wir dürfen nicht vergessen, daß das Zweite Vatikanische Konzil für die Laien „eine gründliche theoretische Unterweisung, und zwar eine theologische, ethische, philosophische, immer je nach der Verschiedenheit des Alters, der Stellung und der Begabung“ gefordert hat (ebd., Nr. 29). Vor allem möchte ich unterstreichen, daß diese Ausbildung in der Glaubenslehre getragen sein muß von einer unerschütterlichen Treue zur Wahrheit des katholischen Glaubens in seiner Gesamtheit und von einer felsenfesten Zustimmung zum Lehramt der Kirche. Diese Treue ist mehr denn je in unserer Zeit notwendig, denn eine Reihe von Ideologien und Lebensstilen behindert und widersetzt sich heute den Prinzipien, die die christlichen Wurzeln der Gesellschaft Argentiniens geformt haben. Allein schon die Vielschichtigkeit der ethischen Fragen, die sich dem Christen in der Gesellschaft von heute aufgrund der kulturellen Veränderungen und der wissenschaftlichen Fortschritte stellen, verlangen nach einer erneuerten Treue zur Wahrheit im Denken und Handeln der Laien. 5. Liebe Brüder, ich hätte viele andere Themen zu behandeln, aber die Zeit erlaubt mir nicht, sie bei dieser Gelegenheit aufzugreifen. So mögen diese Überlegungen genügen, die ich gerne mit euch vertiefen wollte, um euch das Interesse und die Zuneigung zu zeigen, mit denen ich eure verdienstvolle Seelsorgsarbeit verfolge. Ich lege euch diese Gedanken vor als eine Einladung, die Arbeit, die auf euch wartet, mit glühendem Geist und stets bereitem Herzen fortzusetzen. 597 REISEN Erinnert euch bei dieser Arbeit immer daran, daß die Gnade des Heiligen Geistes euch beisteht. Von ihr erleuchtet und gestärkt, sollt ihr die Zeichen der Zeit erkennen und euren Gläubigen die Richtung zeigen können, die es zu gehen gilt, und sollt euch mit sicherem Schritt auf den Pilgerweg zum Haus des Vaters leiten lassen. Lebt außerdem intensiv und tief eure Einheit mit dem in der Eucharistie gegenwärtigen Christus, um seine Gnade überreich den Seelen ausspenden zu können, die eurer Hirtensorge anvertraut sind, damit dieses Geschenk in ihnen zur Quelle ewigen Lebens werde (vgl. Joh 4,14). Der Glaube an Christus verleiht Hoffnung, trotz Widrigkeiten das Angesicht der Erde zu verändern Das ist auch mein glühender Wunsch bei den Feiern des Glaubens und der Liebe gewesen, die ich zusammen mit so vielen geliebten Söhnen und Töchtern Argentiniens bei diesem nun zu Ende gehenden Pastoralbesuch erlebt habe. Weit und breit habe ich auf eurer unermeßlichen und abwechslungsreichen Erde die Religiosität und den Eifer des gläubigen Volkes schätzen gelernt. Ich bete zu Gott, unserem Vater, daß die Botschaft des Evangeliums tief in die Seele jeder einzelnen Person eindringen und sich in reiche Früchte christlichen Lebens auf individueller, familiärer und gesellschaftlicher Ebene Umsetzen möge. 6. Zum Schluß möchte ich jene Szene aus dem 21. Kapitel des Johannesevangeliums wachrufen, die Erzählung vom zweiten wunderbaren Fischfang als eines „Zeichens“ des auferstandenen Jesus. Verschiedene Apostel waren mit Simon Petrus zusammen und dieser sagte zu ihnen: „Ich gehe fischen.“ Sie antworteten ihm: „Wir kommen auch mit.“ Und die Anwesenheit Christi, die ihren Augen noch nicht offenbar war, füllte das Netz mit hundertdreiundfünfzig großen Fischen. Dieser Fischfang ist auch Sinnbild für den universalen Sendungsauftrag der Kirche bis ans Ende der Zeiten, des unablässigen „Hinausfahrens auf den See“ (vgl. Lk 5,4) der Bischöfe vereint mit dem Nachfolger des Petrus, ein Zeichen, das die Gnade des unsichtbar gegenwärtigen Herrn heute unter uns erneuert wie an jenem Tagesanbruch am See und uns antreibt mit neuem Eifer zu unserer Sendung als „Menschenfischer“ (vgl. Mt 4,19; Mk 1,17). Laßt uns den Fischfang fortsetzen. Hinaus auf den See im Namen des Herrn! Möge die Allerseligste Jungfrau von Lujän uns begleiten. 598 REISEN Durch Wissenschaft und Kunst den Schöpfer rühmen Ansprache an die Repräsentanten des Kulturlebens in Buenos Aires (Argentinien) am 12. April 1. Zu Beginn dieser für mich so bedeutungsvollen Begegnung möchte ich alle Repräsentanten des argentinischen Kulturlebens grüßen, die sich in diesem eindrucksvollen Rahmen des „Teatro Colon“, dem Schauplatz und Zeugen so vieler kultureller Veranstaltungen, versammelt haben. Ich habe diesen Augenblick mit besonderem Interesse erwartet. Die Jahrhunderte hindurch hat die Kirche im Bunde mit den Geisteswissenschaften, den Künsten und den Naturwissenschaften gelebt. Diese ununterbrochene Verbundenheit hat sich für alle Beteiligten als fruchtbar erwiesen und wird heute aufgerufen, um für die Zukunft weiterhin eine Quelle der Kreativität und der intellektuellen Vitalität zu sein. Das ist dringend notwendig, da die menschliche Dekadenz und die um sich greifende kulturelle Erschlaffung, die auch in unserer Zeit bemerkbar sind, großenteils Zusammentreffen mit den derzeitigen Fehlentwicklungen einiger philosophischer Systeme. Diese möchten den Menschen zum Rivalen Gottes machen und den einzelnen und die Gesellschaft auf Wege lenken, die von dem wegführen, der die Ursache ihrer Existenz und das letzte Ziel allen wahrhaft menschlichen Mühens und Sehens ist. Ich blicke mit besonderen Hoffnungen auf die Männer und Frauen Argentiniens, die das Kulturleben des Landes prägen. Ihr Land rühmt sich mit Recht eines reichen kulturellen Erbes und kann stolz sein auf eine umfangreiche und vielgestaltige Tradition in den bildenden Künsten, in der Musik, in der Literatur und eine nicht geringere Leistung in der wissenschaftlichen Forschung. Gerne erinnere ich darüber hinaus an etwas, was Ihnen wohlbekannt ist: Die Kultur zeigt in Lateinamerika von ihren Anfängen an eine tiefe Verwurzelung im Christentum, die hier in Argentinien, begünstigt durch die Begegnung verschiedener, besonders europäischer Rassen und Völker, eine ganz eigene Polyvalenz angenommen hat. Und mit all dem vereinen sich der Schwung und die Kraft einer jungen und schöpferischen Nation. Angesichts einer so vielversprechenden Realität kann sich der Kulturschaffende nicht einem tiefen Verantwortungsbewußtsein entziehen. Sie wissen, daß sich Ihre kulturelle Arbeit auf alle Bereiche des Zusammenlebens in Argentinien auswirkt und einen Bezugspunkt für viele Menschen darstellt, die nach Wissen und geistigem Wachstum streben. Ich bete zu Gott, er möge Ihnen seine Weisheit und seine Kraft für Ihre wissenschaftliche und fachliche Sendung schenken, damit Sie der Gesellschaft Ihren eigenständigen, ernsthaften und tiefschürfenden Beitrag leisten können. 599 REISEN Zusammen mit diesem Gebet möchte ich Ihnen heute abend einige Gedanken vorlegen in der Hoffnung, daß sie Ihnen bei der Erfüllung Ihrer Aufgabe hilfreich sein können. Diese Überlegungen entspringen dem Wunsch, Sie in der Verfolgung der Ideale zu bestärken, die Ihre edlen Absichten tragen und Ihnen Kraft verleihen. Ich spreche von den echten Werten, die in jeder Kultur präsent sein müssen: der Kommunikation, der Universalität und dem Sinn für Menschlichkeit. 2. Ich denke im besonderen an die Kommunikationsfunktion. der Kultur selbst. In der Tat kann der Mensch alles, was er in seinem Innern erkennt und erprobt — sein Denken, sein Sagen, seine Pläne —, in dem Maß seinen Mitmenschen mitteilen, in dem es ihm gelingt, dies in Taten, Symbole oder Worte umzusetzen. Die Sitten und Gebräuche, die Traditionen, die Art des Sprechens, die Kunstwerke, die Wissenschaften sind Wege der Übermittlung unter den Menschen, sowohl unter Zeitgenossen als auch in geschichtlicher Hinsicht, da sie der Weitergabe von Wahrheit, Schönheit und wechselseitigem Kennenlernen dienen, ermöglichen sie eine Bündelung des Willens aller für die gemeinsame Suche nach Lösungen für die Probleme der menschlichen Existenz. Die wahre Kultur ist also ein Mittel der Annäherung und der Mitbeteiligung, der Verständigung und der Solidarität. Deswegen wird der wahre Kulturschaffende immer danach streben, zu einen und nicht zu spalten: er richtet keine Schranken auf zwischen seinesgleichen, sondern verbreitet Verständnis und Eintracht; ihn motivieren weder Rivalität noch Revanche, sondern der Wunsch, der Kreativität und dem Fortschritt neue Wege zu öffnen. Kultur muß Aufklärung betreiben 3. „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien“ (Job 8,32), lesen wir im Johannes-Evangelium. Die Spannungen und Konflikte, die auf der gesellschaftlichen Szene auftreten können, sind eine dringliche, oft schmerzhafte Aufforderung an Sie, Ihre Verantwortung als Kulturschaffende zu übernehmen. Ich biete Ihnen eine Herausforderung für Ihre Talente: Zeigen Sie der Gesellschaft, daß Konfrontationen und Mißverständnisse häufig aus Unwissenheit und Mangel an gegenseitiger Kenntnis unter den Beteiligten entstehen; machen Sie deutlich, daß die Wahrheit jene alles überwindende Synthese ist, die tatsächliche Probleme und Konflikte lösen kann — und zwar auf eine Weise, daß jeder der rivalisierenden Bereiche seine eigene Rolle in einem vollständigen harmonischen Projekt anerkennen kann, das in einem zivilisatorischen gemeinsamen Bemühen alle umfaßt und einschließt. 600 REISEN Ich bin mir — wie Sie — bewußt, daß diese Aufgabe sehr schwierig ist. Es geht nicht darum, gelegentliche, mehr oder weniger oberflächliche Verständigungen zu erreichen; man muß vielmehr an die Wurzeln der Konflikte gehen, um die verschiedenen Teile der Wahrheit zu entdecken und freizulegen und sie dann zu ihrer unteilbaren Einheit zusammenzufügen, damit sie ihre ganze Tiefe zum Ausdruck bringen können. Diese Arbeit verlangt Geduld, Hingabe, Toleranz und pluralistische Haltung. Zuweilen wird man den Schmerz erleben, daß bei einigen der Geist schwach wird, doch niemals darf die Hoffnung auf eine Überwindung der Probleme schwinden, die uns heute bedrängen; Wir dürfen nicht vergessen, daß es in Ihrem Lande von Anfang an immer ein besonderes Interesse für die Kultur gegeben hat. Schon sehr frühzeitig trafen die staatlichen Stellen die weitsichtige Entscheidung, sich dafür einzusetzen, daß Erziehung und Bildung alle Schichten der Bevölkerung erreicht. Auf diesem Gebiet ist noch ein langer und schwieriger Weg zurückzulegen; doch das darf Ihre Beharrlichkeit und Ihre Begeisterung nicht mindern. Sie müssen sich bewußt sein, daß Ihre Beiträge nicht ins Leere fallen, sondern Bausteine für die Errichtung dieses großartigen Gebäudes sein werden, das die Kultur eines Volkes ist. 4. Betrachten wir nun einen anderen Wesenszug echter Kultur: ihre Universalität. „Eine heute besonders wichtige Bedingung für die Erneuerung der Kultur ist die Öffnung zum Universellen“ {Ansprache vor der Universität in Madrid, 3. November 1982, Nr. 10). Dieser Aspekt der Kultur ist eng mit dem vorhergehenden verbunden. Die Kultur bringt nämlich den Menschen in Kontakt mit Sorgen, Ideen und Werten anderer Orte und Zeiten und hilft, die begrenzte Sichtweise zu überwinden, die das Ergebnis einer ausschließlichen Zuwendung zu einem bestimmten Bereich ist. Andererseits gestattet die Kultur, auch wenn sie ein auf ein konkretes Gebiet eingeschränktes Phänomen ist, stets die Verbindung mit universalen Aspekten, die alle Menschen betreffen. Eine Kultur ohne universale Werte ist keine echte Kultur. Diese universalen Werte ermöglichen es, daß die einzelnen Kulturen untereinander in Verbindung treten und sich gegenseitig bereichern. Man versteht dann auch, daß diese umfassendere Ebene von Anteilnahme und Nähe unter den Menschen nicht nur von den Techniken und Mitteln der Verbreitung abhängt, sondern ihren Platz in einem höheren Bereich des Ausdrucks hat, eben dem der höheren Werte, die jede unverfälschte kulturelle Bewegung inspirieren. 5. Wen dieses unverzichtbare Mühen um Universalität in seiner kulturellen Arbeit erfüllt, der wird sich die tiefsten Fragen nach dem Menschen stellen 601 REISEN müssen, das heißt nach dem letzten Sinn der Existenz und der diesem Ziel wirklich angemessenen Lebensweise. Jedoch sind dies auch Fragen Ihres Gewissens selbst; und deswegen berührt das kulturelle Schaffen sogar Ihr eigenes Leben und fordert von Ihnen, daß Sie die universalen Werte, die Sie vermitteln wollen, auch verkörpern. Hier steht die Glaubwürdigkeit Ihrer Botschaft und Ihrer Vorschläge selbst auf dem Spiel: Wenn dieses moralische Engagement fehlt, wird man es nicht erreichen, ein wahrer Kulturschaffender zu sein, weil man dann im Formalismus, in der Neutralität, im Synkretismus — mit einem Wort: in der Dekadenz der Kultur verbleiben würde. Es ist sicher wahr, daß die Ausübung einer echten Demokratie und der Respekt vor gesunder Pluralität von seiten der verantwortlichen Stellen sich nur günstig auf die Entwicklung und die Verbreitung der Kultur auswirken werden. Vergessen wir jedoch nicht, daß die Wahrheit, die Schönheit und das Gute ebenso wie die Freiheit absolute Werte sind und daß sie als solche nicht von der Zustimmung einer mehr oder weniger großen Zahl von Personen abhängig sind. Sie sind nicht das Ergebnis einer Mehrheitsentscheidung. Im Gegenteil: Die individuellen Entscheidungen und die der Gesamtheit der Personen müssen von diesen höchsten und unwandelbaren Werten inspiriert sein, damit das kulturelle Engagement der Personen und das der Gesellschaften den Anforderungen der Menschenwürde entsprechen. Sie wissen außerdem, daß das ethische Engagement des Kulturschaffenden — die tägliche Bedachtsamkeit, das eigene Verhalten auf das Gute und das Wahre hin zu erziehen — die beste Art ist, tief in das Herz des Menschen einzudrin-gen und so seine Größe und seine Schwäche, seine Konflikte und sein Sehnen nach Frieden und Harmonie, vor allem aber sein unstillbares Bedürfnis zu lieben und geliebt zu werden, zu erfahren. Sie werden bemerken, wie tief die Person danach trachtet, ihr ganzes Sein auf Gott zu beziehen, um dahin gelangen zu können, sie selbst zu sein. Ihre eigene Identität als Kulturschaffende läßt Sie also dazu neigen, die Innerlichkeit mit Ihrer eigenen Erfahrung einzuholen und sie in ihrer eigenen menschlichen Erfahrung nachzuvollziehen. Die gesellschaftliche Verantwortung des Kulturschaffenden drängt diesen auch dazu, aus sich herauszugehen, jede egoistische Isolierung aufzugeben und in seinem persönlichen Leben mit Redlichkeit und Folgerichtigkeit zu handeln und nicht den Versuchungen nachzugeben, die ihn von seinen wertvollsten Idealen abbringen möchten. Die Freude und der Schmerz, die man bei der Überwindung von Schwierigkeiten erfährt,sind ebenfalls ein Zugang zu dem Schatz, der im Herzen des Menschen liegt. Wenn dann gerade dies Ausdruck in Ihren Werken der Kultur findet, erreicht es die eindrucksvolle Größe, die das Universelle auszeichnet, wenn es in einer bestimmten historischen Situation konkrete Gestalt annimmt. 602 REISEN Sie sind sich bewußt, daß dies alles schwierig und gefahrenreich ist: Ihr Gewissen gebietet Ihnen jedoch, nicht auszuweichen oder sich zurückzuziehen. Andererseits handelt es sich nicht um etwas Unmögliches, sich auf der Ebene der wahren kulturellen Werte zu bewegen und in solidarischem Einklang mit den großen Menschen der Vergangenheit und der Gegenwart zu leben in der Hoffnung, der Menschheit etwas Wertvolles zu vermitteln — denn schon die Tatsache, daß man dies versucht, bedeutet, es in gewissem Maß erreicht zu haben. 6. Zuletzt möchte ich einen dritten Wesenszug betrachten, der die Kultur kennzeichnen muß. Ich meine den Sinn für Menschlichkeit. Dies ist die wichtigste Eigenschaft, weil Kommunikation erst möglich wird, wenn universale Werte vorhanden sind, und die universalen Werte erst Wirkung gewinnen, wenn sie dank der Kultur dem ganzen Menschen dienen. Ziel der Kultur ist es, den Menschen zur Vollkommenheit, zur vollen Entfaltung seiner natürlichen Leistungsfähigkeit zu führen. Kultur ist das, was den Menschen dazu antreibt, seinesgleichen besser zu achten, seine Freizeit besser zu verwenden, in menschlicherer Weise zu arbeiten, sich an der Schönheit zu freuen und seinen Schöpfer zu lieben. Die Kultur gewinnt an Qualität, an menschlichem Gehalt, wenn sie sich in den Dienst der Wahrheit, des Guten, der Schönheit und der Freiheit stellt, wenn sie dazu beiträgt, die Gesamtheit der menschlichen Werte in harmonischer Weise mit Sinn für Ordnung und Einheit zu leben. Der gegenwärtige Augenblick ist in Wahrheit bedeutungsvoll und höchst schwierig. Wir stehen vor einem überwältigenden Fortschritt der wissenschaftlich-technologischen Erkenntnis, der nicht immer durch eine humanistische Kultur von vergleichbarer Spannweite aufgewogen wird. Die wissenschaftlich-technologische Revolution — ein in sich äußerst positives Phänomen — hat sich in den letzten Jahrzehnten entfaltet, und zugleich haben wir — im umgekehrten Sinn — eine gewisse Verarmung dessen erlebt, was wir „Menschlichkeit“ nennen. Gerade deswegen ist es in unseren Tagen noch notwendiger, dieses Mißverhältnis mit allen Mitteln zu überwinden und mit neuer Kraft ein humanistisches Wissen zu pflegen, das in der Lage ist, den Menschen zum Mittelpunkt, Urprung und Ziel aller Kultur, zum „wesentlichen und fundamentalen Faktum der Kultur“ {Ansprache an die UNESCO, Paris, 2. Juni 1980, Nr. 8) zu machen und so den wissenschaftlich-technologischen Fortschritt unserer Tage auf ganzheitlich menschliche Ziele hin zu orientieren. 7. Während ich Ihnen allen deutlich mache, daß sich die Kirche in ganz besonderer Weise für die Kultur interessiert, möchte ich nun daraufhinweisen, was der lateinamerikanische Episkopat im Dokument von Puebla die „Evan- 603 REISEN gelisierung der Kulturen“ genannt hat (Nr. 385-443). An die Katholiken in der Welt der Naturwissenschaften, der Künste und der Geisteswissenschaften richte ich den Aufruf, daß sie mit ihrem Leben und ihrer Tätigkeit zur Ausbreitung der Botschaft des Evangeliums in alle Bereiche der Kultur des Landes beitragen und so die Zusammenarbeit zwischen Glauben und Wissenschaft stärken. Das wird eine neue intellektuelle, künstlerische und literarische Fruchtbarkeit hervorbringen. All das wird möglich sein, wenn auch die Welt der Kultur ohne Furcht ihre Tore für die Fülle Christi öffnet, des einzigen, der allem, was existiert, Sinn und Bestand gibt. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang einige kurze Worte an den Bereich der Universitäten, dem viele von Ihnen angehören. Die Universität mit ihrem besonderen Gepräge bedeutet Kultur, qualifizierte und. eigenständige Kultur, Kultur höherer Ordnung; sie ist dazu bestimmt, die Wahrheit zu verbreiten und Entdeckungen zu machen, die einen echten Fortschritt des menschlichen Wissens darstellen. Doch dieses erstrangige und wesentliche Ziel der Universität ist untrennbar verbundenmit einer anderen, ihr gleichermaßen wesenseigenen Funktion: den Männern und Frauen, die dort Zusammenarbeiten, dazu zu helfen, daß sie sich zu sich selbst entwickeln und als Personen wachsen gemäß dem, was das ganzheitliche Wohl des Menschen erfordert. Es ist notwendig, daß die Universität und jeder einzelne der Universitätsängehörigen diese harmonische und parallele Entwicklung beider Zielsetzungen fordern. So hat es die Kirche gehalten, seit unter ihrer Führung diese Zentren höherer Kultur aufblühten. „Die Geschichte der Universitäten, wie sie im Mittelalter entstanden und sich in der Neuzeit entwickelten, ist an sich schon Zeugnis für die enge Verkettung zwischen Glaube und Kultur, die auch heute eine neue, klare und solide Darstellung erfordert. Denn diese beiden Grundanliegen orientieren sich, wenn auch unter verschiedenen Gesichtspunkten, am Streben des Menschen nach Erkenntnis, an seinen unermeßlichen Fähigkeiten, die — wenn sie richtig eingeordnet werden — den Menschen selbst bereichern können“ (Ansprache an die Universität Pavia, 3. November 1984). Sie wissen selbst, daß die Kirche immer mit Interesse und Liebe auf die Welt der Universitäten geblickt hat, weil sie sich ihrer Bedeutung für die Gegenwart und die Zukunft der Menschheit bewußt ist. 8. Das ist meine Botschaft an die Männer und Frauen des kulturellen Lebens in diesem geliebten Land am Ende meiner apostolischen Reise. Ich habe Sie damit in dieser so positiven und Hoffnung vermittelnden Aufgabe ermutigen wollen, in dieser aktiven Förderung einer umfassenden Bildung des Mannes und der Frau in Argentinien in jeder Hinsicht. Lassen Sie nicht zu, daß neben- 604 REISEN sächliche Probleme sich dazwischenstellen, die die Klarheit dieses fundamentalen Zieles beeinträchtigen. Die ganze Problematik um Wissenschaft und Kultur wird im Gegenteil — wenn sie unter dem Blickwinkel des Dienstes an dem vom Schöpfer nach seinem Bild und Gleichnis geschaffenen Menschen betrachtet wird — letztlich Lösungswege von gerechter und bereichernder Art finden. Streuen Sie durch die Kultur Keime der Menschlichkeit aus; Keime, die wachsen, sich entfalten und die neuen Generationen stark machen. Arbeiten Sie mit Gespür für die Transzendenz, denn Gott ist die höchste Wahrheit, die höchste Schönheit, das höchste Gute, und durch die wissenschaftliche und künstlerische Tätigkeit kann man den Schöpfer rühmen und die Begegnung mit dem erlösenden Gott vorbereiten. Mein liebevollster Segen gilt Ihnen, Ihren Familien und der Arbeit, die Sie leisten. Ich erflehe für Sie alle den Schutz der heiligen Mutter Gottes. Heiligste Jungfrau von Lujän, beschütze dieses Volk und lenke es auf die Wege des Friedens und der Einigkeit! 605 3. Pastoralbesuch in Deutschland (30. April bis 4. Mai) REISEN Ansprache bei der Ankunft auf dem Flughafen Köln/ Bonn am 30. April 1. „Ihr werdet meine Zeugen sein“ — und das nicht nur in Jerusalem, in Judäa und Samarien, sondern „bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8). Mit diesen Worten Jesu an die Apostel unmittelbar vor seiner Himmelfahrt begann der Weg der Kirche in die Welt und in die Geschichte. Dieser Auftrag Christi hat durch die Jahrhunderte hindurch Männer und Frauen als seine Glaubensboten zu allen Völkern bis in die entlegensten Gebiete der Erde geführt. Er führt in unseren Tagen auch den Bischof von Rom als Nachfolger des Apostels Petrus zu den Ortskirchen, zu seinen Glaubensbrüdern und -Schwestern in aller Welt, um sie gemäß seinem Auftrag in ihrem Glauben zu bestärken (vgl. Lk 22,32). Er führt mich heute zum zweitenmal in die Bundesrepublik Deutschland. In dankbarer Erinnerung an meinen ersten Pastoralbesuch im Jahre 1980 komme ich wiederum mit großer Freude der freundlichen Einladung nach, die zahlreiche deutsche Bischöfe zum Besuch ihrer Diözesen an mich gerichtet haben. Aufrichtig danke ich allen, die mich hier bei meiner Ankunft in diesem geschätzten Land so gastfreundlich empfangen und mich durch ihre Anwesenheit beehren: allen voran Ihnen, sehr geehrter Herr Bundespräsident, für Ihren herzlichen Willkommensgruß im Namen der Bürger Ihres Landes. Im verehrten Herrn Kardinal Höffner, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, grüße ich zugleich alle Bischöfe, Priester, Ordensleute und Gläubigen der deutschen Diözesen; ganz besonders jene Ortskirchen, die ich auch bei dieser zweiten Pastoraireise leider noch nicht besuchen kann. In der Gemeinschaft des einen Glaubens gilt auch dieser mein Besuch wiederum der ganzen Kirche in diesem Land und auch allen Menschen, die mir in geistiger Offenheit und Solidarität als Bruder in Christus in ihrer Mitte herzliche Gastfreundschaft gewähren. 2. „Ihr werdet meine Zeugen sein.“ — Die herausragenden Ereignisse, die wir in den kommenden Tagen in geistlicher Verbundenheit in den verschiedenen Diözesen gemeinsam feiern werden, stehen in einer ganz besonderen Weise im Zeichen der Zeugenschaft. Durch die beiden Seligsprechungen in Köln und München ehrt die Kirche zwei Christen, die inmitten äußerster Prüfungen und Gefahren ein unerschrockenes, heroisches Zeugnis für ihren Glauben abgelegt haben. So Edith Stein, die in Solidarität mit ihrem gemarterten jüdischen Volk als Jüdin und katholische Ordensfrau in christlicher Hoffnung den Leidensweg ihres Volkes in die Vernichtung gegangen ist. Im Jesuitenpater Rupert Mayer gedenken wir eines mutigen Bekenners und Apo- 608 REISEN stels der Nächstenliebe, der für die kompromißlose Verteidigung von Glauben und Sittlichkeit gegenüber gottloser staatlicher Willkürherrschaft weder Verfolgung noch Gefängnis gescheut hat. Dazu gilt mein ehrerbietiger Besuch dem Grab des großen Kardinals Clemens August Graf von Galen, der gegen eine verbrecherische Mordmaschinerie „gelegen und ungelegen“ (vgl. 2 Tim 4,2) für die Achtung des Lebensrechts und die unantastbare Würde aller Menschen furchtlos seine Stimme erhoben hat. Diese leuchtenden Gestalten der Kirche haben durch ihr opferbereites Zeugnis für Christus und für die wahre Größe des Menschen das grausame Dunkel einer ganzen Geschichtsepoche erhellt. Sie stehen zugleich für alle jene im deutschen Volk, die nicht bereit gewesen sind, sich der menschenverachtenden Tyrannei des Nationalsozialismus zu beugen. Darunter gedenken wir mit Hochachtung auch zahlreicher mutiger Bekenner und Opfer unter unseren evangelischen Brüdern und Schwestern. Sie allesamt sind für uns Zeichen der Hoffnung und Verpflichtung für das von uns heute geforderte Zeugnis für Recht und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft, für die Verteidigung der immer wieder neu bedrohten Grundrechte des Menschen und seiner übernatürlichen Berufung, von der her alle menschlichen Belange ihr wahres Maß und Ziel erhalten. Möge das gemeinsame Glaubenszeugnis der Christen allmählich auch zu einer immer tieferen Einheit unter den christlichen Kirchen und Gemeinschaften führen. 3. Mit dem ehrenden Gedenken dieser vorbildlichen Zeugen der Vergangenheit verbinde ich zugleich den Ausdruck meiner hohen Wertschätzung für das ganze deutsche Volk, das nach dem tragischen Geschehen in seiner jüngeren Geschichte einen so angesehenen Platz unter den Völkern Europas und der Welt zurückgewonnen hat. Mit Anerkennung erinnere ich an den großen Einsatz Ihres Landes für Frieden und Gerechtigkeit unter den Nationen und an die umfangreiche solidarische Hilfsbereitschaft für die Völker der Dritten Welt. Dabei verdienen die schon weitbekannten und sehr wirksamen Hilfswerke der deutschen Bischöfe und Katholiken wie auch der evangelischen Kirche eine besondere Erwähnung und Würdigung. Möge das hilfsbereite Eintreten Ihres Volkes für die Bedürftigen und Entrechteten sich auch in Ihrem eigenen Land weiter bewähren, in dem gerade in den letzten Jahren eine zunehmende Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerbern um Schutz und Aufnahme ersucht. Die beiden künftigen neuen Seligen, die wegen ihrer religiösen und moralischen Überzeugung oder der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit schwerste Verfolgungen haben erdulden müssen, sind gleichsam Symbole für jene Menschen, die noch immer aus rassischen, religiösen oder ethnischen Gründen ihr Land verlassen müssen. Schenken Sie 609 REISEN auch diesen Hilfesuchenden in der Bundesrepublik Deutschland nach Kräften weiterhin Ihre mitmenschliche Solidarität und Unterstützung. Mit nochmaligem Dank für die herzliche Gastfreundschaft, die Sie mir und meiner Begleitung in diesen Tagen in Ihrem Land gewähren, erwarte ich voller Freude die zahlreichen Begegnungen mit den Bischöfen, Priestern und Gläubigen in den verschiedenen Diözesen, mit Vertretern der jüdischen Gemeinde und der anderen christlichen Kirchen sowie aus der Welt der Arbeit. Mögen diese und besonders die großen Gottesdienste und Eucharistiefeiern uns gegenseitig in unserem Glauben und in unserer christlichen Berufung bestärken, damit wir heute —jeder einzeln und alle gemeinsam — immer glaubwürdigere Zeugen für Christus und das schon in dieser Zeit anbrechende Gottesreich werden. Ansprache an die Deutsche Bischofskonferenz im Maternus-Haus in Köln am 30. April Liebe Mitbrüder im Bischofsamt! 1. Gleich am Anfang meines zweiten Pastoralbesuches in eurem Land habe ich die Freude, mit euch zusammenzutreffen, die der Herr zu Oberhirten im Volke Gottes bestellt hat. Ich grüße euch alle in herzlicher Verbundenheit. Zugleich gilt mein Gruß und Segenswunsch auch denen, die heute nicht unter uns sein können, besonders jenen bischöflichen Mitbrüdern, die durch Alter oder Krankheit verhindert sind. Dieser mein zweiter Besuch erhält seine besondere Prägung durch die beiden feierlichen Seligsprechungen, die ein Papst erstmals in diesem Land vornehmen darf. Das heroische Glaubenszeugnis von Schwester Edith Stein und Pater Rupert Mayer versetzen uns zurück in eine Zeit großer Bedrängnis für die Kirche und für euer ganzes Volk. Mit der Machtergreifung des Nationalsozialismus durch Hitler begann eine verhängnisvolle Wende, in der sich eine politische Partei im Wahn eines unmenschlichen Rassismus allmählich zur totalitären Ideologie und fast zur Ersatzreligion entwickelte. Die Folge war ein sich verschärfender, immer offenerer Kampf gegen den Christlichen Glauben und die katholische Kirche — trotz der im Reichskonkordat feierlich eingegangenen rechtlichen Verpflichtungen und Garantien. 2. Angesichts dieser dramatischen Entwicklung, die zur rücksichtslosen Verfolgung Andersdenkender, auch vieler Gläubiger und Priester führte, befan- 610 REISEN den sich die Kirche und der deutsche Episkopat in einer verantwortungsschweren Situation. Obwohl die deutschen Bischöfe die großen Irrtümer und Gefahren der neuen Bewegung insgesamt rechtzeitig erkannten und ihre Gläubigen zunehmend davor warnten, wurde ihre Handlungsfreiheit immer mehr eingeschränkt. Durch die konsequent betriebene Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens und die immer häufigeren staatlichen Übergriffe in das kirchliche Leben blieb letztlich keine andere Gegenwehr als die Proteste der Bischöfe und eine intensive Aufklärung und Belehrung der Gläubigen. Wir denken in diesem Zusammenhang an die mutigen Predigten und Erklärungen zahlreicher Oberhirten wie auch an den folgenschweren Protest-Hirtenbrief des holländischen Episkopates. Dabei bildete sich zugleich eine wachsende Solidarität zwischen katholischen und evangelischen Christen, Hirten und Laien, die sich vom gemeinsamen Grund ihres christlichen Glaubens her der antichristlichen Ideologie entgegengstellten. Der Heilige Stuhl, der sich schon durch den Konkordatsabschluß darum bemüht hatte, dem Schlimmsten vorzubeugen, hat dann auch der zunehmenden Kirchenverfolgung in Deutschland nicht tatenlos zugesehen. Davon zeugen die sehr zahlreichen an die Reichsregierung gerichteten Noten und schließe lieh das Rundschreiben Papst Pius’ XI. „Mit brennender Sorge“ vom März 1937. Dennoch konnte die unheilvolle Entwicklung nicht mehr aufgehalten werden. Sie führte zu einer Verschärfung der Spannungen, zur entsetzlichen Verfolgung der nichtarischen Bürger, vor allem der Juden, zur Hinrichtung unzähliger unschuldiger Menschen in Gefängnissen und Konzentrationslagern und zu dem unseligen Zweiten Weltkrieg, der unsagbares Leid, Tod und Zerstörung für viele Länder und Völker brachte. 3. Vor diesem dunklen zeitgeschichtlichen Hintergrund erheben sich die leuchtenden Gestalten der drei Glaubenszeugen, denen wir in diesen Tagen in Verehrung gedenken: die beiden baldigen Seligen Edith Stein und Rupert Mayer sowie der Bekennerbischof Kardinal Clemens August Graf von Galen; ebenso auch ein Bischof wie Johannes Baptista Sproll, der, von den Machthabern aus seiner Diözese Rottenburg ausgewiesen, sogar mehrere Jahre in der Verbannung leben mußte. Neben ihnen stehen zahlreiche andere mutige Zeugen, die angesichts einer unmenschlichen Tyrannei aus Glaubensüberzeugung oder im Namen der Menschlichkeit gegen gottlose Willkür und Unrecht aufgestanden sind und dafür oft mit dem Einsatz ihres Lebens bezahlt haben. Sie alle vertreten zusammen das andere Deutschland, das sich vor der brutalen Anmaßung und Gewalt nicht gebeugt hat und dann nach dem endgültigen Zusammenbruch den gesunden Kern und Kraftquell für den 611 REISEN nachfolgenden großartigen moralischen und materiellen Wiederaufbau bilden konnte. Im Namen der Menschlichkeit oder im Namen Gottes und der Kirche sind Menschen in allen Jahrhunderten, besonders in Zeiten äußerster Bedrängnis, ohne Rücksicht auf ihr persönliches Schicksal zum Anwalt des Menschen, seiner unantastbaren Würde und unverletzlichen Grundrechte geworden. Durch die feierliche Seligsprechung der kommenden Tage stellt uns die Kirche das Leben und Wirken von Christen vor Augen, die auf heroische Weise in der Nachfolge Jesu Christi Zeugnis für Gott und für den Menschen abgelegt haben. Sie sind uns Wegweiser für unsere eigene christliche Berufung. Ihr Beispiel ist für uns heute Aufforderung und Ermutigung zum konsequenten Zeugnis für Gott und seine erlösende Wahrheit in unserer Gesellschaft und in allen Bereichen des menschlichen Lebens. Mit der Kirche ist jeder Christ in der Nachfolge des Herrn zu diesem Zeugnis aufgerufen: „Ihr werdet meine Zeugen sein“ (Apg 1,8). Wir haben heute diese Zeugenschaft der Jünger Christi mutig zu übernehmen und entschlossen in unserer Zeit fortzusetzen. Die Seligen und Heiligen der Kirche, unter die bald auch Edith Stein und Pater Rupert Mayer aufgenommen werden, laden uns ein, dabei ihren Fußspuren zu folgen. 4. Zeuge Christi sein bedeutet, Zeugnis zu geben für die Wahrheit, für Gott und die wahre Größe des Menschen, für die gottgewollte Ordnung in allen Lebensbereichen. Darum ist Kardinal von Galen damals so entschieden gegen die organisierte Ermordung sogenannten unwerten Lebens aufgetreten. Gegenüber menschenverachtender Tyrannei erinnerte er an das Gebot Gottes: „Du sollst nicht töten!“ Wenn auch heute die Bedrohung der Würde und Grundrechte des Menschen nicht auf so dramatische, sondern subtilere Weise geschieht, muß die Kirche nicht weniger bereit sein, „nec timore nec lau-dibus“, ohne Rücksicht auf Einschüchterung und Lob, sich gleichermaßen stets zum Anwalt des Lebens zu machen. Angesichts der erschreckend hohen Zahl der Abtreibungen und der zunehmenden unerlaubten Praktiken sogenannter „Sterbehilfen“ hat der Dienst am Leben für uns Bischöfe in der heutigen Gesellschaft erneut eine große Aktualität und Dringlichkeit erlangt. Es gilt, Gott als den alleinigen Herrn über Leben und Tod mit neuem Nachdruck zu verkünden und die feindliche Einstellung dem Leben gegenüber sowie den mangelnden Mut zur Weitergabe des Lebens durch ein neues Ja zum Leben zu überwinden. Vor allem in den Ehen und Familien ist ein zuversichtliches, lebensfreundliches Klima zu fordern, die Bereitschaft zu einem Leben, das offen und fähig ist, in der lebendigen Gemeinschaft mit Gott zu seiner vollen Entfaltung und Erfüllung zu gelangen. Denn Christus ist ja ge- 612 REISEN kommen, daß die Menschen „das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Pater Rupert Mayer ist uns Vorbild dafür, daß unser kirchliches Zeugnis für Christus und seine Wahrheit vor allem durch die Verkündigung seiner frohen Botschaft, durch Unterweisung und auch durch brüderliche Zurechtweisung erfolgen muß. Wie berichtet wird, hat er selbst im Monat mitunter bis zu siebzigmal gepredigt. „Der Glaube kommt vom Hören“, sagt der Apostel Paulus und fragt deshalb: „Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie hören, wenn niemand verkündigt?“ (Röm 10,17.14). Die Glaubenszeugen der Vergangenheit haben vor allem auch durch die Predigt das Unrecht angeprangert, die holländischen Bischöfe haben durch die Kanzelverkündigung ihren unüberhörbaren Protest gegen die Verfolgung der Juden erhoben. Zugleich war es ihr Bemühen, den Menschen in Dunkel und Bedrängnis durch das Licht des göttlichen Wortes den Weg der Wahrheit und Gerechtigkeit zu weisen. Je mehr heute in Staat und Gesellschaft sittliche Grundwerte und Verhaltensweisen in Frage gestellt werden, um so deutlicher und mutiger muß den Menschen, allen voran den Christen selbst, die Botschaft Christi unverkürzt verkündet und ihnen Gottes heiliger Wille als letztgültige Norm des sittlichen Handelns erneut in Erinnerung gebracht werden. Gerade in unserer heutigen, audio-visuell geprägten Gesellschaft ist der zeitgemäßen Verkündigung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und Möglichkeiten größte Aufmerksamkeit zu schenken. Als begnadeter Beichtvater verweist uns Pater Mayer zugleich auf die innere, sakramentale Dimension unserer Zeugenschaft und der Sendung der Kirche. Die Dimension der Büße ist aus dem christlichen Leben nicht wegzudenken. Das Beispiel von Pater Rupert Mayer wird so ein Anruf an die Priester sein, im Sakrament der Buße mit erneuter Hingebung den Menschen die persönliche Begegnung mit Gottes vergebender Güte zu eröffnen. Sein Beispiel ist zugleich eine Einladung an alle Gläubigen, die Gnade des Sakramentes neu zu entdecken, das eines der wesentlichen Mittel auf dem inneren Weg zur Vollreife in Christus ist. Edith Stein ist uns auf diesem Weg wahrer Verinnerlichung ein leuchtendes Vorbild. Sie sagt: „Die schrankenlose liebende Hingabe an Gott und die göttliche Gegengabe, die volle und dauernde Vereinigung, das ist die höchste Erhebung des Herzens, die uns erreichbar ist, die höchste Stufe des Gebetes. Die Seelen, die sie erreicht haben, sind wahrhaft das Herz der Kirche.“ Sie hat es uns selbst auf bewundernswerte Weise vorgelebt. Darum konnte auch ein Augenzeuge aus dem Konzentrationslager Westerbork, wohin Edith Stein nach ihrer Verhaftung zunächst gebracht worden war, berichten: „Schwester Benedicta war froh, durch tröstende Worte und Gebete helfen zu können. Ihr tiefer Glaube schuf eine Sphäre himmlischen Lebens 613 REISEN um sie.“ Sie selbst schreibt aus demselben Ort der Trostlosigkeit und der Demütigung, sie habe „bisher herrlich beten können“. Möge uns die kommende neue Selige den unermeßlichen inneren Reichtum des Gebetes und unserer tiefen Lebensgemeinschaft mit Christus neu erschließen! 5. Als „Apostel Münchens“ und „15. Nothelfer“, wie ihn die Leute nannten, war Pater Rupert Mayer ferner durch seine selbstlose Zuwendung zu den Menschen in vielfacher Not, Zeichen und Werkzeug der alles überragenden Liebe Gottes gerade zu den Armen und Entrechteten, den Ausgestoßenen und Verfolgten. Es ist nicht erst eine Errungenschaft unserer Zeitepoche, daß die Kirche sich mit einer gewissen Vorliebe als „Kirche der Armen“ versteht. Hingegen ist es heute in einer besonderen Weise wichtig und geboten, daß die Kirche diese ihre Berufung noch entschiedener verwirklicht. Trotz aller staatlich organisierten Fürsorge und karitativen Tätigkeit bleibt der persönliche Einsatz für den notleidenden Mitmenschen ein wesentliches Kennzeichen der Jünger Christi. Ihre Verantwortung für eine menschenwürdige und vom Geist Christi geprägte Gestaltung der äußeren Lebenswelt des Menschen nimmt die Kirche in einer besonderen Weise wahr in ihrer Soziallehre und in ihrem Bemühen um deren Verwirklichung. Die mitgestaltende Anwesenheit der Kirche in der Welt der Arbeit war eines der zentralen pastoralen Anliegen der Päpste in diesem Jahrhundert. Deshalb ist auch meine Begegnung mit Arbeitern und Vertretern aus Industrie und Wirtschaft in Bottrop ein sehr wichtiger Programmpunkt in dieser meiner Pastoraireise. Die Kirche nimmt regen Anteil an den Problemen der Arbeiterschaft, der einzelnen Arbeiter und ihrer Familien und ist stets darum bemüht, zu Lösungen beizutragen, die den Anforderungen der Gerechtigkeit, der Würde und dem Gesamtwohl des Menschen wie auch den Erfordernissen der Gesellschaft entsprechen. Wie der Arbeiter soll auch seine Arbeitswelt immer mehr vom Geiste Christi durchdrungen und geprägt werden. Meine verschiedenen Begegnungen im Ruhrgebiet werden mir eine Gelegenheit sein, mit Anerkennung der aufrechten und konsequenten Gesinnung von christlichen Arbeitern zu gedenken, die sich in der Vergangenheit auch durch massive Drohungen eines totalitären Regimes nicht haben einschüchtern lassen, von der Wahrheit und von Christus Zeugnis zu geben. Neben der Verantwortung für eine intensive Evangelisierung der Welt der Arbeit empfindet die Kirche heute immer dringlicher auch die Notwendigkeit einer Neu-Evangelisierung für die ganze Gesellschaft, ja für ganz Europa. „Ein neuer Anstoß zur Evangelisierung und zu integraler und systematischer Katechese ist ein Gebot der Stunde“, so sagt die Bischofssynode von 1985 in ihrem Abschlußdokument. Im fortschreitenden Einigungsprozeß zwischen den Völ- 614 REISEN kern dieses Kontinents muß sich die Kirche entschieden darum bemühen, zu einer konstruktiven Übereinstimmung über die ethischen Werte beizutragen, die der weiteren Entwicklung der Gesellschaft die Richtung weisen. Es gilt, den Sinn für die Grundrechte des Menschen, den Geist der Versöhnung und Zusammenarbeit, die Suche nach wirklicher Gerechtigkeit und die Zustimmung zu einem transzendenten Ziel des Menschen zu fördern, das dem Leben und dem Tod letztlich Sinn verleiht. 6. Von großer Bedeutung sind während dieser meiner zweiten Pastoraireise wiederum die Begegnungen mit dem Zentralrat der Juden und mit Vertretern der anderen christlichen Kirchen, wie sie es schon damals 1980 in Mainz gewesen sind. Edith Stein, die im Jahre 1933 in den Kölner Karmel eintrat, war eine Tochter des jüdischen Volkes, mit dem sie selbst in Solidarität und zugleich in christlicher Hoffnung den Leidensweg in die „Schoah“ gegangen ist. „Das Heil kommt von den Juden“, sagt Jesus im Gespräch mit der samari-tischen Frau am Jakobsbrunnen (Joh 4,22). Wir Christen dürfen niemals diese unsere Wurzel vergessen. Der Völkerapostel mahnt uns: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich“ (Röm 11,18 b). Mit unseren evangelischen Brüdern und Schwestern haben die ökumenischen Gespräche und Veröffentlichungen seit meinem letzten Besuch hoffnungsvolle Ansätze zu einer weiteren Annäherung auf die volle Einheit im Glauben gebracht. Es ist uns — Gott sei Dank — an gemeinsamem Erbe dieses unseres christlichen Glaubens mehr geblieben, als wir lange gemeint haben. Darin müssen wir es aber auch zusammen leben und für ein gemeinsames Glaubenszeugnis fruchtbar werden lassen. Dabei bleibt uns gewiß noch die Aufgabe, daß wir alle verbleibenden Unterschiede vor diesem positiven Hintergrund nüchtern sehen und das Unsrige tun, um sie aufzuarbeiten, im Wissen, daß die Gnade der Einheit zuletzt nur vom Herrn selber kommen kann. Es bleiben wichtige Fragen, die auch durch meinen Besuch neu aufgeworfen werden: zum Beispiel die Marienfrömmigkeit und die Heiligenverehrung. Oft gibt mehr die Praxis als die Lehre der katholischen Kirche Anstoß für unsere getrennten Brüder und Schwestern. Echte Marien- und Heiligenverehrung kann und will aber der einzigen Mittlerschaft Jesu Christi keinen Abbruch tun, wie ich auch in der soeben erschienenen Enzyklika „Redemptoris Mater“ deutlich hervorgehoben habe. In Maria und den Heiligen hat das christliche Leben in der Nachfolge Jesu eine besonders dichte und überzeugende Ausformung gefunden. So liegt es nahe, daß wir uns an ihrem Leben ein Beispiel nehmen und, durch sie ermutigt, unseren Pilgerweg gehen. Damit nehmen wir ernst, was es bedeutet, daß in einer konkreten Person das Gnadengeschenk der Gotteskindschaft zur vol- 615 REISEN len Blüte gelangt ist und dieser heiligmäßige Mensch darum zur Fülle der ewigen Seligkeit zugelassen worden ist. Diese Überzeugung geht auch aus dem wichtigsten Bekenntnisdokument der lutherischen Kirche, der „Confessio Augustana “ hervor. Dort heißt es zum Dienst der Heiligen: „Über die Verehrung der Heiligen wird von den Unseren gelehrt, daß man der Heiligen gedenken soll, damit unser Glaube dadurch gestärkt wird, daß wir sehen, wie ihnen Gnade widerfahren und ihnen durch den Glauben geholfen worden ist. Außerdem soll man sich an ihren guten Werken ein Beispiel nehmen, jeder für seinen Lebensbereich“ (Confessio Augustana, Nr. 20). Darüber hinaus rufen viele Christen Maria und die Heiligen vertrauensvoll auch um ihre Fürbitte an, ja sie erhoffen sich von ihnen vielfältige Hilfe bei Beschwerden und Bedrängnissen auf ihrem Pilgerweg. Wenn wir der Muttergottes und so vieler Heiligen Fürbitte und Hilfe Zutrauen, bleiben sie für uns doch stets durchsichtig auf den einen und einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen, auf unseren Herrn Jesus Christus. Alles Wirken der Heiligen für uns hier auf Erden lebt aus ihrer seligen Nähe zu Gott, dem allmächtigen und barmherzigen Vater. Aus ihm und durch ihn und für ihn können auch sie uns beschenken . Alle konkreten Formen der Marienfrömmigkeit und der Heiligenverehrung müssen diese Glaubensgrundsätze beherzigen und im Vollzug deutlich werden lassen. Dann können auch sie durchaus zum ökumenischen Dialog und zur erhofften Einheit aller Christen beitragen. 7. Liebe Mitbrüder! Ich möchte diese unsere erste Begegnung zu Beginn meines Pastoralbesuches mit einem Hinweis auf Maria, die Königin der Heiligen, beschließen. In diesem Jahr findet in Kevelaer der Marianische Weltkongreß statt. Mögen daraus auch für eure Ortskirchen reiche geistliche Früchte erwachsen. In Kevelaer werde ich vordem Gnadenbild der Gottesmutter beten und ihre Fürbitte auch euren bischöflichen Dienst und alle Begegnungen und gemeinsamen Feiern der kommenden Tage anvertrauen. Am Pfingstfest wird dann in Rom das Marianische Jahr eröffnet, das bis zum 15. August 1988 dauern soll. In diesem Jahr wollen wir besonders die christlichen Grundhaltungen einüben, die uns in Maria auf beispielhafte Weise begegnen: ihr Jawort zu Gottes unbegreiflichem Willen, ihr Dank für Gottes Führung, ihr Hören und Bewahren des Wortes Gottes, ihr Hinweis auf Jesus: „Was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5), ihr Ausharren unter dem Kreuz und ihre betende Gemeinschaft mit den Jüngern in der Erwartung des Heiligen Geistes. Maria führt uns durch die Gemeinschaft der Kirche zu ihrem Sohn und damit zum Ziel unseres christlichen Lebens, zur seligen Gemeinschaft mit Gott, die uns bereits in der Taufe geschenkt ist und in unserer Auferstehung vollendet wird. Der Fürsprache Marias empfehle ich schließlich die Sendung der Kirche in eurem Land und in allen Ländern, unser Zeugnis für Christus und seine Wahrheit 616 REISEN in der Welt von heute, auf daß unser Zeugesein immer glaubwürdiger werde. Euer bevorstehender Ad-limina-Besuch wird es uns gestatten, die hier begonnenen Überlegungen fortzusetzen und noch weiter zu vertiefen. Von Herzen segne ich euch alle und unsere abwesenden Mitbrüder in der Liebe unseres Herrn Jesus Christus. Ihm sei Ehre und Dank in alle Ewigkeit! Grußwort an Vertreter des Zentralkomitees der deutschen Katholiken im Maternus-Haus in Köln am 30. April Liebe Brüder und Schwestern! Herzlich grüße ich euch als Vertreter des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zu diesem kurzen abendlichen Gebetstreffen. Das gemeinsame Gebet, das Einswerden vor Gott in Lobpreis und Fürbitte, ist eine der tiefsten Formen menschlicher Begegnung. Mein zweiter Pastoralbesuch in eurem Land ist bekanntlich verbunden mit den Seligsprechungen von Schwester Edith Stein und Pater Rupert Mayer. In diesen beiden Seligen ehren wir ihr mutiges Zeugnis für Christus und ihr Zeugnis selbstloser Nächstenliebe. Edith Stein verstand ihren Weg nach Auschwitz als Eintreten für das jüdische Volk, zu dem sie gehörte und mit dem sie sich bis in ihr qualvolles Sterben verbunden fühlte. Sie sagte zu ihrer Schwester: „Komm, wir gehen für unser Volk! “ Das Zeugnis für Christus und der Einsatz für den Nächsten gehören zum christlichen Leben und sind innigst mit der Heilssendung der Kirche und aller Glieder der Kirche verbunden. Unsere Begegnung findet ein halbes Jahr vor der Eröffnung der Weltbischofssynode statt, die sich mit der „Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt“ befassen wird. Es geht darum, zwanzig Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil das Dekret über das Laienapostolat noch wirksamer als bisher in die Situation unserer Zeit, unserer Welt und Kirche zu übersetzen. Die so notwendige Neuevangelisierung Europas wird von dieser Bischofssynode Impulse empfangen. Ihre Aufgabe wird es sein, dabei mitzuwirken und die lebendige Kraft des Glaubens in und für Europa zu entfalten. Ich weiß, daß das Zentralkomitee der deutschen Katholiken die große Tradition des Laienapostolates in eurem Land repräsentiert und in die Zukunft weiterführt. Es war stets euer Anliegen, die Teilnahme des Volkes Gottes am Heilsdienst der Kirche zu verbinden mit einer mutigen und tätigen Stellungnahme zu den wichtigen Fragen der Gesellschaft, der zeitgenössischen Kultur, 617 REISEN der Entwicklung der Menschheit. In diesem Geist gemeinsamer Verantwortung des Gottesvolkes zum Zeugnis und zum Weltdienst habt ihr euch mit an der Vorbereitung der Weltbischofssynode beteiligt. Es ist mir eine besondere Freude, mit euch in dieser Abendstunde für die Heilssendung der Kirche in der Welt von heute den Heiligen Geist herabzurufen, den Geist, der die Tiefen Gottes ergründet, der das Weltall erfüllt und der der Kirche die Einheit schenkt. Homilie bei der Seligsprechung von Edith Stein im Stadion Köln-Müngersdorf am 1. Mai „Selig sind, die aus der großen Bedrängnis kommen; sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht“ (Offb 7,14). 1. Unter diesen seligen Männern und Frauen grüßen wir heute in tiefer Verehrung und mit heiliger Freude eine Tochter des jüdischen Volkes, reich an Weisheit und Tapferkeit. Aufgewachsen in der strengen Schule der Traditionen Israels, ausgezeichnet durch ein Leben der Tugend und Entsagung im Orden, bewies sie eine heldenmütige Gesinnung auf dem Weg ins Vernichtungslager. Vereint mit dem gekreuzigten Herrn gab sie ihr Leben dahin „für den wahren Frieden“ und „für das Volk“: Edith Stein, Jüdin, Philosophin, Ordensfrau, Märtyrerin. Sehr verehrter Herr Kardinal, liebe Brüder und Schwestern! Mit der heutigen Seligsprechung geht ein langersehnter Wunsch nicht nur der Erzdiözese Köln, sondern auch vieler Christen und Gemeinschaften in der Kirche in Erfüllung. Vor sieben Jahren hat die gesamte Deutsche Bischofskonferenz diese Bitte einmütig an den Heiligen Stuhl gerichtet; zahlreiche befreundete Bischöfe aus anderen Ländern haben sich ihr angeschlossen. Groß ist deshalb unser aller Freude, daß ich heute diesem Wunsch entsprechen kann und Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz in dieser festlichen Liturgie den Gläubigen im Namen der Kirche als Selige in der Herrlichkeit Gottes vor Augen stellen darf. Wir dürfen sie fortan als Märtyrerin verehren und um ihre Fürsprache am Throne Gottes bitten. Hierzu beglückwünsche ich uns alle, vor allem aber ihre Mitschwestern im Karmel hier in Köln und in Echt sowie in ihrer ganzen Ordensgemeinschaft. Daß bei dieser Liturgiefeier auch jüdische Brüder und Schwestern, besonders aus der Ver- 618 REISEN wandtschaft Edith Steins, zugegen sind, erfüllt uns mit großer Freude und Dankbarkeit. 2. „Herr, offenbare dich in der Zeit unserer Not und gib mir Mut“ (Est 4,17r). Die Worte dieses Hilferufes aus der ersten Lesung der heutigen Liturgie spricht Esther, eine Tochter Israels, zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft. Ihr Gebet, das sie in der Stunde einer tödlichen Bedrohung ihres ganzen Volkes an Gott, den Herrn, richtet, erschüttert uns tief: „Herr, unser König, du bist der einzige. Hilf mir! Denn ich bin allein und habe keinen Helfer außer dir; die Gefahr steht drohend über mir ... Du, Herr, hast Israel aus allen Völkern erwählt; du hast dir unser Volk aus allen ihren Vorfahren als deinen ewigen Erbbesitz ausgesucht... Denk an uns, Herr, ... rette uns mit deiner Hand!“ (Est 4,171-t). Die tödliche Angst, vor der Esther zittert, war entstanden, als unter dem Einfluß des mächtigen Haman, eines Todfeindes der Juden, der Befehl zu ihrer Vernichtung im ganzen Perserreich erlassen worden war. Mit Gottes Hilfe und dem Einsatz ihres eigenen Lebens hat Esther damals zur Rettung ihres Volkes entscheidend beigetragen. 3. Dieses Gebet um Hilfe, weit über zweitausend Jahre alt, legt die heutige Festliturgie der Dienerin Gottes Edith Stein in den Mund, einer Tochter Israels unseres Jahrhunderts. Es ist wieder aktuell geworden, als hier, im Herzen Europas, erneut der Plan zur Vernichtung der Juden gefaßt wurde. Eine wahnsinnige Ideologie hat ihn im Namen eines unseligen Rassismus beschlossen und mit gnadenloser Konsequenz durchgeführt. Gleichzeitig zu den dramatischen Ereignissen des Zweiten Weltkrieges errichtete man eilends die Vernichtungslager und baute die Verbrennungsöfen. An diesen Schreckensorten fanden mehrere Millionen Söhne und Töchter Israels den Tod: von Kindern bis zu betagten Greisen. Der ungeheure Machtapparat des totalitären Staates hat dabei niemanden verschont und die grausamsten Maßnahmen sogar gegen jeden ergriffen, der den Mut hatte, die Juden zu verteidigen. 4. Edith Stein ist im Vernichtungslager von Auschwitz als Tochter ihres gemarterten Volkes umgekommen. Trotz ihrer Übersiedlung von Köln in den niederländlischen Karmel von Echt fand sie nur vorübergehend Schutz vor der wachsenden Judenverfolgung. Nach der Besetzung Hollands wurde auch 619 REISEN dort die Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten umgehend in die Wege geleitet, wobei die getauften Juden zunächst ausgenommen wurden. Als aber die katholischen Bischöfe der Niederlande in einem Hirtenbrief gegen die Deportation der Juden scharf protestierten, verfügten die Machthaber als Rache dafür die Vernichtung auch der Juden katholischen Glaubens. So trat Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz zusammen mit ihrer leiblichen Schwester Rosa, die ebenfalls im Karmel zu Echt Zuflucht gefunden hatte, den Weg ins Martyrium an. Beim Verlassen ihres Klosters faßte Edith ihre Schwester bei der Hand und sagte nur: „Komm, wir gehen für unser Volk.“ Aus der Kraft opferbereiter Christusnachfolge sah sie auch in ihrer scheinbaren Ohnmacht noch einen Weg, ihrem Volk einen letzten Dienst zu erweisen. Bereits einige Jahre vorher hatte sie sich selbst mit der Königin Esther im Exil am persischen Hof verglichen. In einem ihrer Briefe lesen wir: „Ich vertraue darauf, daß der Herr mein Leben für alle (Juden) genommen hat. Ich muß immer wieder an die Königin Esther denken, die gerade darum aus ihrem Volk genommen wurde, um für das Volk vor dem König zu stehen. Ich bin eine sehr arme und ohnmächtige kleine Esther, aber der König, der mich erwählt hat, ist unendlich groß und barmherzig.“ 5. Liebe Brüder und Schwestern! Neben dem Gebet der Esther steht in dieser Festmesse die zweite Lesung aus dem Galaterbrief. Der Apostel Paulus schreibt dort: „Ich will mich allein des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt“ (Gal 6,14). Der ganze Lebensweg von Edith Stein ist geprägt von einer unermüdlichen Suche nach der Wahrheit und erhellt vom Segen des Kreuzes Christi. Sie begegnete dem Kreuz zum erstenmal in der glaubensstarken Witwe eines Studienfreundes, die, statt durch den tragischen Verlust ihres Mannes zu verzweifeln) aus dem Kreuz Christi Kraft und Zuversicht schöpfte. Sie schreibt darüber später: „Es war meine erste Begegnung mit dem Kreuz und der göttlichen Kraft, die es seinen Trägem mitteilt... Es war der Augenblick, in dem mein Unglaube zusammenbrach, ... und Christus aufstrahlte: Christus im Geheimnis des Kreuzes.“ Ihr eigener Lebens- und Kreuzweg ist zuinnerst mit dem Schicksal des jüdischen Volkes verbunden. In einem Gebet bekennt sie dem Heiland, daß sie darum wisse, „daß es sein Kreuz sei, das jetzt auf das jüdische Volk gelegt würde“; und alle, die das verstünden, „müßten es im Namen aller bereitwillig auf sich nehmen. Ich wollte das tun, er sollte mir nur zeigen wie“. Zugleich erhält sie die innere Gewißheit, daß Gott ihr Gebet erhört hat. Je häufiger die Hakenkreuze auf den Straßen zu sehen waren, um so höher richtete sich das Kreuz Jesu Christi in ihrem Leben auf. Als sie als 620 REISEN Schwester Teresia Benedicta a Cruce in den Kölner Karmel eintrat, um am Kreuz Christi noch tieferen Anteil zu erhalten, wußte sie, daß sie „dem Herrn im Zeichen des Kreuzes vermählt“ war. Am Tag ihrer ersten Profeß war ihr nach ihren eigenen Worten zumute „wie der Braut des Lammes“. Sie war davon überzeugt, daß ihr himmlischer Bräutigam sie tief in das Geheimnis des Kreuzes hineinführen werde. 6. Teresia, die vom Kreuz Gesegnete — das ist der Ordensname jener Frau, die ihren geistlichen Weg mit der Überzeugung begonnen hatte, daß es überhaupt keinen Gott gebe. Zur damaligen Zeit, in den Jahren ihrer Jugend und ihres Studiums, war die Zeit für sie noch nicht vom erlösenden Kreuz Christi geprägt, bildete aber bereits den Gegenstand ständigen Suchens und For-schens ihres scharfen Verstandes. Als fünfzehnjährige Schülerin in ihrer Heimatstadt Breslau beschließt die in einem jüdischen Elternhaus geborene Edith, „nicht mehr zu beten“, wie sie selbst bekennt. Obwohl sie zeitlebens von der strengen Gläubigkeit ihrer Mutter tief beeindruckt war, gerät sie in ihrer Jugend- und Studienzeit in die geistige Welt des Atheismus. Sie hielt das Dasein eines persönlichen Gottes für unglaubhaft. In den Jahren ihres Studiums der Psychologie und Philosophie, der Geschichte und der Germanistik in Breslau, Göttingen und Freiburg spielt Gott zunächst keine Rolle. Dabei huldigte sie jedoch einem „hochgespannten ethischen Idealismus“. Entsprechend ihrer hohen geistigen Begabung wollte sie nichts ungeprüft hinnehmen, nicht einmal den Glauben ihrer Väter. Sie will den Dingen selber auf den Grund gehen. Darum sucht sie unermüdlich nach der Wahrheit. Im späteren Rückblick auf diese Zeit geistiger Unruhe erkennt sie doch darin eine wichtige Stufe ihres inneren Reifungsprozesses, indem sie feststellt: „Meine Suche nach der Wahrheit war ein einziges Gebet“ — ein herrliches Wort des Trostes für alle, die sich mit dem Gottesglauben schwertun! Schon die Suche nach Wahrheit ist zutiefst ein Suchen nach Gott. Unter dem starken Einfluß ihres Lehrers Husserl und seiner phänomenologischen Schule wandte sich die suchende Studentin immer entschiedener der Philosophie zu. Sie lernte allmählich, „alle Dinge vorurteilsfrei ins Auge zu fassen und alle , Scheuklappen1 abzuwerfen“. Durch die Begegnung mit Max Scheler in Göttingen kommt Edith Stein schließlich zum erstenmal mit katholischen Ideen in Berührung. Sie selbst schreibt darüber: „Die Schranken der rationalistischen Vorurteile, in denen ich aufgewachsen war, ohne es zu wissen, fielen, und die Welt des Glaubens standplötzlich vor mir. Menschen, mit denen ich täglich umging, zu denen ich mit Bewunderung aufblickte, lebten darin.“ Das lange Ringen um ihre persönliche Entscheidung für den Glauben an Jesus Christus fand erst 1921 ein Ende, als sie bei einer Freundin das autobiographi- 621 REISEN sehe „Leben der heiligen Teresa von Avila“ zu lesen begann. Sie war sofort gefangen und hörte nicht mehr auf bis zum Ende: „Als ich das Buch schloß, sagte ich mir: Das ist die Wahrheit! “ Die ganze Nacht hindurch hatte sie gelesen bis zum Aufgang der Sonne. In dieser Nacht hat sie die Wahrheit gefunden, nicht die Wahrheit der Philosophie, sondern die Wahrheit in Person, das liebende Du Gottes. Edith Stein hatte die Wahrheit gesucht und Gott gefunden. Sie ließ sich unverzüglich taufen und in die katholische Kirche aufnehmen. 7. Der Empfang der Taufe bedeutete für Edith Stein keineswegs den Bruch mit ihrem jüdischen Volk. Sie sagt im Gegenteil: „Ich hatte die Praxis meiner jüdischen Religion als Mädchen von vierzehn Jahren aufgegeben und fühlte micht erst nach meiner Rückkehr zu Gott wieder jüdisch.“ Sie ist sich stets dessen bewußt, „nicht nur geistig, sondern auch blutsmäßig zu Christus zu gehören.“ Sie leidet selber zutiefst an dem großen Schmerz, den sie ihrer geliebten Mutter durch ihre Konversion hat zufügen müssen. Sie begleitet sie auch später noch zum Gottesdienst in die Synagoge und betet zusammen mit ihr die Psalmen. Auf die Feststellung ihrer Mutter, daß man also auch jüdisch fromm sein könne, gibt sie zur Antwort: „Gewiß — wenn man nichts anderes kennengelernt hat.“ Obwohl seit der Begegnung mit den Schriften der heiligen Teresa von Avila der Karmel das Ziel Edith Steins geworden war, mußte sie noch über ein Jahrzehnt warten, bis Christus ihr im Gebet den Weg zum Eintritt zeigte. In ihrer Tätigkeit als Lehrerin und Dozentin in der Schul- und Bildungsarbeit, meist in Speyer, zuletzt auch in Münster, bemühte sie sich fortan, Wissenschaft und Glauben miteinander zu verbinden und gemeinsam weiterzuvermitteln. Dabei will sie nur „ein Werkzeug des Herrn“ sein. „Wer zu mir kommt, den möchte ich zu ihm führen.“ Zugleich lebt sie in dieser Zeit schon wie eine Klosterfrau, legt privat die drei Gelübde ab und wird zur großen, begnadeten Beterin. Aus ihrem intensiven Studium des heiligen Thomas von Aquin lernt sie, daß es möglich ist, „Wissenschaft als Gottesdienst zu betreiben ... Nur darauf habe ich mich entschließen können, wieder ernstlich (nach der Konversion) an wissenschaftliche Arbeiten heranzugehen.“ Bei aller Hochschätzung der Wissenschaft erkennt Edith Stein immer deutlicher, daß das Herz des Christseins nicht Wissenschaft, sondern Liebe ist. Als Edith Stein schließlich im Jahre 1933 in den Kölner Karmel eintritt, bedeutete dieser Schritt für sie keine Flucht aus der Welt oder aus der Verantwortung, sondern ein um so entschiedeneres Eintreten in die Kreuzesnachfolge Christi. Sie sagt bei ihrem ersten Gespräch mit der dortigen Priorin: „Nicht die menschliche Tätigkeit kann uns helfen, sondern das Leiden Chri- 622 REISEN sti. Daran Anteil zu haben, ist mein Verlangen.“ Aus demselben Grund kann sie bei ihrer Einkleidung keinen anderen Wunsch äußern, „als im Orden ,vom Kreuz1 genannt zu werden“. Und auf das Andachtsbildchen zu ihrer ewigen Profeß läßt sie das Wort des heiligen Johannes vom Kreuz drucken: „Mein einziger Beruf ist fortan nur mehr lieben.“ 8. Liebe Brüder und Schwestern! Wir verneigen uns heute mit der ganzen Kirche vor dieser großen Frau, die wir von jetzt an als Selige in Gottes Herrlichkeit anrufen dürfen; vor dieser großen Tochter Israels, die in Christus, dem Erlöser, die Erfüllung ihres Glaubens und ihrer Berufung für das Volk Gottes gefunden hat. Wer in den Karmel geht, der ist nach ihrer Überzeugung „für die Seinen nicht verloren, sondern erst eigentlich gewonnen; denn es ist ja unser Beruf, für alle vor Gott zu stehen“. Seit sie „unter dem Kreuz“ das Schicksal des Volkes Israel zu verstehen begann, ließ sich unsere neue Selige von Christus immer tiefer in sein Erlösungsgeheimnis hineinnehmen, um in geistlicher Einheit mit ihm den vielfältigen Schmerz der Menschen tragen und das himmelschreiende Unrecht in der Welt sühnen zu helfen. Als „Benedicta a Cruce — die vom Kreuz Gesegnete“ wollte sie mit Christus Kreuzesträgerin sein für das Heil ihres Volkes, ihrer Kirche, der ganzen Welt. Sie bot sich Gott an als „Sühneopfer für den wahren Frieden“ und vor allem für ihr bedrohtes und gedemütigtes jüdisches Volk. Nachdem sie erkannt hatte, daß Gott wieder einmal schwer seine Hand auf sein Volk gelegt hatte, war sie davon überzeugt, „daß das Schicksal dieses Volkes auch das meine war“. Als Schwester Teresia Benedicta a Cruce im Karmel von Echt ihr letztes theologisches Werk „Kreuzeswissenschaften“ beginnt, das jedoch unvollendet bleiben wird, da es in ihren eigenen Kreuzweg einmündet, bemerkt sie: „Wenn wir von Kreuzeswissenschaft sprechen, so ist das nicht... bloße Theorie ..., sondern lebendige, wirkliche und wirksame Wahrheit.“ Als die tödliche Bedrohung ihres jüdischen Volkes sich auch über ihr wie eine dunkle Wolke zusammenzog, war sie bereit, mit ihrem eigenen Leben zu verwirklichen, was sie schon früher erkannt hatte: „Es gibt eine Berufung zum Leiden mit Christus und dadurch zum Mitwirken mit seinem Erlösungswerk ... Christus lebt in seinen Gliedern fort und leidet in ihnen fort; und das in Vereinigung mit dem Herrn ertragene Leiden ist Sein Leiden, eingestellt in das große Erlösungswerk und darin fruchtbar.“ Mit ihrem Volk und „für“ ihr Volk ging Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz zusammen mit ihrer Schwester Rosa den Weg in die Vernichtung. Leid und Tod nimmt sie jedoch nicht nur passiv an, sondern vereinigt diese bewußt mit der sühnenden Opfertat unseres Erlösers Jesus Christus. „Schon jetzt nehme ich den Tod, den Gott mir zugedacht hat, in vollkommener Unterwerfung unter seinen heiligsten Willen mit Freu- 623 REISEN de entgegen“, hatte sie einige Jahre zuvor in ihrem Testament geschrieben: „Ich bitte den Herrn, daß er mein Leiden und Sterben annehmen möge zu seiner Ehre und Verherrlichung, für alle Anliegen ... der heiligen Kirche.“ Der Herr hat diese ihre Bitte erhört. Die Kirche stellt uns heute Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz als selige Märtyrerin, als Beispiel heroischer Christusnachfolge zur Verehrung und Nachahmung vor Augen. Öffnen wir uns für ihre Botschaft an uns als Frau des Geistes und der Wissenschaft, die in der Kreuzeswissenschaft den Gipfel aller Weisheit erkannte, als große Tochter des jüdischen Volkes und gläubige Christin inmitten von Millionen unschuldig gemarterter Mitmenschen. Sie sah das Kreuz mit aller Unerbittlichkeit auf sich zukommen; sie ist in allem Schrecken nicht vor ihm geflohen, sondern hat es in christlicher Hoffnung mit letzter Liebe und Hingabe umfangen und im Geheimnis des Osterglaubens sogar begrüßt: „Ave Crux, spesunica!“ — „Edith Stein ist“, wie Euer verehrter Kardinal Höffner in seinem kürzlichen Hirtenschreiben gesagt hat, „ein Geschenk, ein Anruf und eine Verheißung für unsere Zeit. Möge sie Fürsprecherin bei Gott für uns und für unser Volk und für alle Völker sein.“ 9. Liebe Brüder und Schwestern! Heute erlebt die Kirche des zwanzigsten Jahrhunderts einen wichtigen Tag: Wir verneigen uns tief vor dem Zeugnis des Lebens und Sterbens von Edith Stein, der herausragenden Tochter Israels und zugleich Tochter des Karmels, Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz, einer Persönlichkeit, die eine dramatische Synthese unseres Jahrhunderts in ihrem reichen Leben vereint; die Synthese einer Geschichte voller tiefer Wunden, die noch immer schmerzen, für deren Heilung sich aber verantwortungsbewußte Männer und Frauen bis in unsere Tage immer wieder einsetzen; und zugleich die Synthese der vollen Wahrheit über den Menschen, in einem Herzen, das so lange unruhig und unerfüllt blieb, „bis es schließlich Ruhe fand in Gott.“ Wenn wir uns geistig an den Ort des Martyriums dieser großen Jüdin und christlichen Märtyrerin begeben, an den Ort jenes schrecklichen Geschehens, das heute „Schoah“ genannt wird, vernehmen wir zugleich die Stimme Christi, des Messias und Menschensohnes, des Herrn und Erlösers. Als Bote des unergründlichen Heilsgeheimnisses Gottes spricht er zu der Frau aus Samaria am Jakobusbrunnen: „Das Heil kommt von den Juden. Aber die Stunde kommt, und sie ist schon da, da die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit: denn so will der Vater angebetet werden. Gott ist Geist, und alle die ihn anbeten, 624 REISEN müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Joh 4,22-24). Selig gepriesen sei Edith Stein, Schwester Teresia Benedicta vomKreuz, eine wahre Anbeterin Gottes — in Geist und Wahrheit. Ja, selig ist sie! — Amen. Aussendung des ,,Altenberger Lichtes“ vom Stadion Köln-Müngersdorf aus am 1. Mai Bevor wir von dieser festlichen Eucharistiegemeinschaft wieder aufbrechen, grüße ich ganz besonders euch, meine lieben jungen Freunde, die ihr das brennende Licht in alle Himmelsrichtungen in euer Land hinaustragen wollt. Es ist das Licht der Ostemacht, einst Zeichen der Auferstehung Jesu und des Neubeginns nach dem Grauen der Vernichtung und des Krieges, heute für uns alle Zeichen der Hoffnung auf euch, die neue Generation, die das Licht Christi ins kommende Jahrhundert trägt. Es ist das Licht aus Altenberg, jenem Ort, der in schweren Zeiten der Unterdrückung unzähligen jungen Christen geistige Orientierung und Kraft zum Widerstehen gab. Es ist das Licht der Versöhnung und des Friedens. Es soll voranleuchten auf dem Weg, zu dem wir alle bemfen sind. Vereint mit allen Menschen guten Willens gehen wir diesen Weg. Wir gehen ihn mit dem Blick auf Maria, der dieser Monat Mai besonders geweiht ist. Die „Königin des Friedens“ begleitet uns als Vorbild und Verheißung des „neuen Menschen voll der Gnade“. Zu diesem Aufbruch segne dieses Licht und euch alle der Allmächtige und Barmherzige, der durch uns allen Menschen seine Liebe und seinen Frieden schenken will. 625 REISEN Ansprache bei der Begegnung mit dem Zentralrat der Juden in Köln am 1. Mai Verehrte Herren, liebe Brüder! 1. Es erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit, auch während meines zweiten Pastoralbesuches mit Ihnen Zusammentreffen zu können. Diese erneute Begegnung gibt mir Gelegenheit, auf die Bedeutung der Tatsache hinzuweisen, daß es gerade in diesem Land auch heute noch jüdisches Leben und jüdische Gemeinden gibt. Die vatikanischen „Hinweise für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der katholischen Kirche“ vom Jahre 1985, deren Lektüre und Anwendung ich allen Katholiken sehr empfehle, erinnern an die jüdische Geschichte „in einer zahlreichen Diaspora, die es Israel erlaubt, das oft heldenhafte Zeugnis seiner Treue zum einzigen Gott in die ganze Welt zu tragen“ (vgl. VI,25). Schon in der Antike trugen Juden dieses Zeugnis der Treue bis ins Rheinland. Hier kam es bereits sehr früh zu einem bodenständigen Judentum von großer geistiger Schöpferkraft. 2. Meine verehrten Brüder, Sie hüten so mit Ihren heutigen Gemeinden ein kostbares geschichtliches und geistiges Erbe und sind gewillt, es fruchtbar zu entfalten. Darüber hinaus bekommen diese Gemeinden einen ganz besonderen Wert vor dem Hintergrund der Verfolgung und versuchten Ausrottung des Judentums in diesem Lande. Bereits die Existenz Ihrer Gemeinden selbst ist ein Hinweis, daß Gott, bei dem „die Quelle des Lebens“ ist (Ps 36,10) und den der Beter als „Vater und Gebieter meines Lebens“ preist (Sir 23,1), den Todesmächten nicht erlaubt, das letzte Wort zu haben. Möge der eine, gütige und barmherzige Vater des Lebens Ihre Gemeinden schützen und sie besonders dann segnen, wenn sie sich um sein heiliges Wort versammeln. 3. Heute ehrt die Kirche eine Tochter Israels, die während der nationalsozialistischen Verfolgung als Katholikin dem gekreuzigten Herrn Jesus Christus und als Jüdin ihrem Volk in Treue und Liebe verbunden geblieben ist. Zusammen mit Millionen von Brüdern und Schwestern hat sie Erniedrigung und Leiden bis zum Letzten, bis zur unmenschlichen Vernichtung, der Schoah, erlitten. Mit heroischem Glaubensmut hat Edith Stein ihr Leben in die Hände Gottes, des Heiligen und Gerechten, zurückgegeben, dessen Geheimnis sie ihr ganzes Leben hindurch besser zu verstehen und zu lieben suchte. Möge der heutige Tag ihrer Seligsprechung für uns alle ein Tag des gemeinsamen Lobpreises und Dankes an Gott sein, der wunderbar ist in seinen Heili- 626 REISEN gen, wie er sich auch als herrlich und erhaben erwiesen hat in den großen Gestalten des Volkes Israel. Zugleich wollen wir in ehrfürchtiger Stille verharren und die fürchterlichen Konsequenzen in unserem Gewissen bedenken, die sich aus der Leugnung Gottes und aus kollektivem Rassenhaß immer wieder ergeben können. Dabei erinnern wir uns in brüderlicher Solidarität auch an das Martyrium vieler Völker Europas unserer Tage und bekennen uns zu einem gemeinsamen Einsatz aller Menschen guten Willens für eine erneuerte „Zivilisation der Liebe“ hier in Europa, die von den besten jüdischen und christlichen Idealen beseelt ist. Dazu gehören auch ein wachsames Auge, ein mutiges Wort und ein klares Vorbild bei allen neuen Formen von Antisemitismus, Rassismus und neuheidnischer Glaubensverfolgung. Ein solcher gemeinsamer Einsatz wäre die kostbarste Gabe, die Europa der Welt auf ihrem mühsamen Weg zu Entwicklung und Gerechtigkeit anbieten könnte. 4. Die selige Edith Stein erinnert uns alle, Juden wie Christen, durch ihr gelebtes Beispiel an den Aufruf der Schrift: „Ihr sollt heilig sein, wie ich — euer Gott — heilig bin“ {Lev 11,45). Diese gemeinsame Berufung schließt auch eine gemeinsame Verantwortung ein, die „Stadt Gottes“ zu erbauen, die Stadt des Gottesfriedens. So wenden sich unsere Gedanken spontan auf Jerusalem hin, „Stadt des Friedens“. Von ihr sagt der Prophet: „Der Herr hat Erbarmen mit Zion ... Die Stadt gleicht... einer Steppe, doch er macht sie zum Garten des Herrn. Freude und Fröhlichkeit findet man dort, Loblieder und Harfen erklingen“ (Jes 51,3). Mit dieser Friedenshoffnung im Herzen bitten wir den Herrn um die Fülle seines barmherzigen Friedens. Ansprache auf dem Schloßplatz in Münster (Vesper/1. Teil) am 1. Mai Verehrter Herr Bischof, liebe Brüder und Schwestern! Als Bischof von Rom und Nachfolger des Apostels Petrus freue ich mich von Herzen, heute in eurer Bischofsstadt Münster bei euch zu sein, mit euch zu beten und das Wort an euch richten zu können. Euch und allen, zu denen meine Worte gelangen, gilt mein brüderlicher Gruß. 1. Von Anfang an sind Rom und Münster eng miteinander verbunden gewesen: Euer erster Bischof, der heilige Ludgerus, ist im Jahre 784 zum Petrus- 627 REISEN grab und zum Papst in Rom gepilgert, um dort den Auftrag für sein Missionswerk in eurer Heimat zu erhalten. Heute komme ich von Rom nach Münster, der Nachfolger des Petrus kommt zum Nachfolger des Ludgerus und zu euch allen hier im Bistum Münster, um euch im Glauben zu stärken, um zusammen mit euch zu erfahren, daß Rom und Münster, daß Petrus und Ludgerus zusammengehören und zusammenbleiben wollen im gemeinsamen Glauben. Vom Tod des heiligen Ludgerus berichtet eine alte Chronik: In der Stunde seines Hinscheidens sahen die Mitbrüder, „wie vor ihnen ein helles Licht wie Feuer in die Höhe stieg und alle Finsternis der dunklen Nacht vertrieb“. Das Dunkel der Nacht war hell geworden; das Dunkel der Nacht ist hell geblieben. Das Licht des katholischen Glaubens hat seine Leuchtkraft behalten durch die Jahrhunderte hindurch. Immer neu ist dieses Licht genährt worden durch die Zeugen der Wahrheit, die in eurem Land dieses Licht gehütet und weitergereicht haben. Unter diesen Glaubenszeugen ragt durch seinen großen Bekennermut euer unvergeßlicher Bischof und Kardinal Clemens-August Graf von Galen hervor, der „Löwe von Münster“, wie ihn der Volksmund voller Bewunderung und Anerkennung nennt. Ich bin heute nach Münster gekommen, um sein Grab zu besuchen und dort zu beten. 2. Bischof von Galen stand in seinem mutigen Glaubenszeugnis damals jedoch nicht allein. Glauben geschieht ja in der Gemeinschaft der auf den dreifältigen Gott getauften Mitchristen. Glauben geschieht in der Gemeinschaft der Zeugen der Wahrheit. Zu allen Zeiten habt ihr solche hier im Bistum Münster gehabt: Zeugen der Wahrheit, die wie Leuchtfeuer sind in dunkler Nacht und über allen Regionen eures Bistums aufstrahlen. In Xanten am Niederrhein liegen sie in der alten Krypta unter dem Sankt-Vik-tors-Dom: Märtyrer aus der Zeit des Anfangs, die ihr Leben als Preis für ihren Glauben hingaben. Da liegen die Gebeine des Priesters Gerhard Storm und des Studenten Heinz Bello, die mit unerschütterlicher Treue am Credo der Kirche festhielten, gegen die Herrschenden und die Machthaber der damaligen Zeit. Dort liegt Karl Leisner begraben, der im Konzentrationslager Dachau zum Priester geweiht wurde, ein Mann, dessen junges Leben die Begeisterung für seinen Glauben ausstrahlt. Sein Lebensmotto hieß: „Christus, du bist meine Leidenschaft!“ — sein Gebet lautete: „Christus, sei du mir Führer zum Licht!“ Im Oldenburger Land finden wir die Grabstätte von Dominikanerpater Titus Horten, dessen Leben die Güte und Menschenliebe Gottes in beispielhafter Weise wider spiegelt. Und hier in Münster habt ihr die Wirkstätten und das Grab der Clemensschwester Maria Euthymia, zu der Scharen von Hilfesu- 628 REISEN chenden pilgern. An den scheinbar verborgenen Orten ihres aufopfernden Dienstes hat diese einfache Ordensfrau stellvertretend für viele gezeigt: Ein Leben aus dem Glauben und aus dem Evangelium hat weltverändernde Kraft. Aus der Kraft ihrer Christusnachfolge entstand in ihrer Nähe Heimat und Geborgenheit für kriegsgefangene Menschen, die ihr anvertraut waren. Liebe besiegte den Haß. Noch viele andere Namen könnten genannt werden. Ich erinnere jedoch nur noch an Schwester Anna Katharina Emmerick, die uns mit ihrer besonderen mystischen Berufung den Wert des Opferns und Mitleidens mit dem gekreuzigten Herrn aufzeigt; und an Schwester Edith Stein, die ich heute morgen in Köln im Namen der Kirche seliggesprochen habe. Hier in Münster hat sie die Stunde ihrer Berufung erlebt. Von hier aus führte ihr Weg in den Karmel, von dort schließlich in den gewaltsamen Tod als Glaubenszeugin und so in die ewige Seligkeit Gottes. 3. Ihr Christen im Bistum Münster, ihr jungen Menschen, die ich hier besonders ansprechen möchte: Schaut auf diese „Wolke von Zeugen“ (Hebr 12,1), wie die Heilige Schrift sagt. Hier sind sie — die Vorbilder! Hier wird kraftvoll und anschaulich gesagt, wie das geht: glauben. Hier wird deutlich, daß die Welt nur verändert wird durch ein Leben aus der Bindung an Gott und sein befreiendes Wort. So siegt die Liebe über die Bosheit; so überwindet Versöhnung den Haß; so erhebt sich die Großmut des Glaubens über die Enge und Selbstbezogenheit des Menschen. Und ich frage euch Jugendliche: Sollten unter euch nicht auch solche sein, die bereit sind, die „Alternative“ eines radikalen Lebens aus dem Glauben zu wählen? Als Schwester oder Bruder, als Priester im Ordensstand oder im Dienst des Bischofs dem Ruf des Herrn zu folgen? In der äußersten Entschlossenheit der Hingabe auf dem Weg der evangelischen Räte von Armut, Keuschheit und Gehorsam? Als Priester oder Diakone das ganze Leben dafür einzusetzen, damit das Evangelium verkündet wird und die Sakramente gespendet werden, damit Christus lebt in eurem Land — heute und auch morgen? Ich bin fest davon überzeugt: Auch unter euch gibt es zahlreiche Jungen und Mädchen, Männer und Frauen, die berufen sind zum Ordensleben und zum Priestertum. Gott selber ist es, der euch ruft. Faßt euch ein Herz, seid mutig! Wagt den Sprung über die Hürden eurer Einwände und Bedenken: Gott, der euch ruft, ist auch getreu. Fangt mit seiner Gnade an; er wird den ehrlichen Beginn zu einem guten Ende bringen. 4. Liebe Brüder und Schwestern! Bischof von Galen hat gegen einen weltlichen Totalitätsanspruch deutlich und mutig die elementaren Wahrheiten christlicher Ehtik: die zehn Gebote verkündet. Das „Du sollst nicht...!“ des 629 REISEN göttlichen Gebotes war seine Antwort auf die Herausforderung durch einen Diktator, der in seiner menschenverachtenden Machtausübung die Würde und die Grundrechte des Menschen sowie die unabdingbaren Normen eines menschenwürdigen Zusammenlebens auf das schwerste verletzte. Als Bischof Clemens-August im Jahre 1941 in den bekannten drei großen Predigten seine Stimme erhob, hat er in einer Zeit der Lüge Zeugnis abgelegt für die Wahrheit. Gegen die Lehre von einer schrankenlosen Selbstbestimmung des Menschen, von einer Freiheit, die keine Grenzen mehr anerkennen will, hat er damals gesagt: Der Mensch ist von Gott geschaffen, von Gott geliebt, von ihm getragen. Diese Herkunft ist der Adel des Menschen und zugleich seine Aufgabe: Er wird wahrhaft Mensch, wenn er sich frei und treu an Gott bindet und sein Leben auf ihn als höchstes Gut ausrichtet. Wählt der Mensch für sein Leben aber ein geschaffenes Ziel und gibt sich ihm ausschließlich hin, so wird er zum Sklaven: Er verliert seine eigentliche Würde; Verwirrung, Chaos und Tod sind die tragischen Folgen. Prophetisch sind die Worte, die Bischof von Galen als Kämpfer für die Menschenrechte ausgerufen hat, als die Nationalsozialisten anfingen, Geisteskranke als sogenannte unproduktive Volksgenossen zu verschleppen und zu töten. Er sagte damals: Eine Lehre macht sich breit, „die behauptet, man dürfe sogenanntes ,lebensunwertes1 Leben vernichten, also unschuldige Menschen töten, wenn man meint ihr Leben sei für Volk und Staat nichts mehr wert. Eine furchtbare Lehre, die die Ermordung Unschuldiger rechtfertigen will, die die gewaltsame Tötung der nicht mehr arbeitsfähigen Invaliden, Krüppel, unheilbar Kranken, Altersschwachen grundsätzlich freigibt... Hier handelt es sich aber um Menschen, unsere Mitmenschen, unsere Brüder und Schwestern ... Hast du, habe ich nur solange das Recht zu leben, solange wir produktiv sind? Solange wir von anderen als produktiv anerkannt werden ...? Du sollst nicht töten! Dieses Gebot Gottes, des einzigen Herrn, der das Recht hat, über Leben und Tod zu befinden, war von Anfang an in die Herzen der Menschen geschrieben... Gott hat dieses Gebot gegeben, unser Schöpfer und einstiger Richter!“ (Predigt am 3. August 1941). 5. Diese Worte sollten keineswegs in Geschichtsbüchern und Archiven begraben bleiben; sie sind hochaktuell, auch in demokratischen Staaten, in denen gilt, daß das Volk selbst, also die Menschen gemeinsam ihr Zusammenleben in Würde und Freiheit gestalten sollten. Wieder gibt es heute in der Gesellschaft starke Kräfte, die das menschliche Leben bedrohen. Euthanasie, Gnadentod aus angeblichem Mitleid, ist erneut ein erschreckend häufig wiederkehrendes Wort und findet ihre neuen irregeleiteten Verteidiger. Auch kann die Kirche zur fast völligen Freigabe der Abtreibung in eurem Land und 630 REISEN in zahlreichen anderen Ländern nicht schweigen. Gewiß wird sie durch ihre Seelsorger und verantwortlichen Laien jeder einzelnen schwangeren Frau, die sich in Schwierigkeiten fühlt, mit aufrichtiger Anteilnahme und Güte begegnen und ihrer Lage, soweit wie möglich, Verständnis und konkrete Hilfsbereitschaft entgegenbringen. Der Gesellschaft gegenüber darf die Kirche aber nicht schweigen; auch dann nicht, wenn schon eine ehrliche Erörterung der gegenwärtigen Abtreibungssituation als lästiges Rühren an ein Tabu abgelehnt wird. Von Politikern und Gestaltern der öffentlichen Meinung, die sich noch ethischen Grundsätzen oder sogar dem christlichen Glauben verpflichtet fühlen, erwartet die Kirche eine Hilfe, damit die wissenschaftlichen Ergebnisse von Embryologie und Psychologie im Bereich von Schwangerschaft und Abtreibung mehr zur Kenntnis genommen werden und die praktischen Entscheidungen der Menschen immer wirksamer mitbestimmen. Die gesetzliche Indikationsregelung selbst und ihre konkrete Handhabung sollten von den Verantwortlichen einmal unvoreingenommen daraufhin geprüft werden, ob sie nicht — statt Leben zu schützen — im Gegenteil viele Menschen geradezu in dem irrigen Eindruck bestärken, hier gehe es um ein fast belangloses, in sich sogar erlaubtes Tun, zumal man ja nicht einmal die finanziellen Ausgaben dafür persönlich zu tragen braucht. Die Kirche muß auch heute mit Nachdruck, Klarheit und Geduld eintreten für das Lebensrecht aller Menschen, vor allem der noch ungeborenen und deshalb besonders schutzbedürftigen Kinder; sie muß eintreten für die uneingeschränkte Geltung des 5. Gebotes: „Du sollst nicht töten!“ Entgegen aller Wortkosmetik und Reflexionsverweigerung ahnen doch wohl die allermeisten: Abtreibung istbewußte Tötung von unschuldigen Menschenleben. Es ist ermutigend, daß bereits eine neue Nachdenklichkeit bei vielen Menschen einsetzt, weil sie immer stärker die Inkonsequenzen in heutigen moralischen Werten und Urteilen bemerken. Keine Friedensbewegung verdient doch diesen Namen, wenn sie nicht mit gleicher Kraft den Krieg gegen das ungeborene Leben anprangert und dagegen anzugehen versucht. Keine ökologische Bewegung kann ernst genommen werden, wenn sie an der Mißhandlung und Vernichtung unzähliger und lebensfähiger Kinder im Mutterschoß vorbeisieht. Keine emanzipierte Frau dürfte sich über ihre vermehrte Selbstbestimmung freuen, wenn diese erreicht worden wäre gegen ein menschliches Leben, das ihrem Schutz anvertraut war und auch bereits ein Recht auf Selbstbestimmung besaß. Nehmen wir doch endlich auch den Menschen selbst auf unter die Güter, die unseren höchsten Schutz verdienen und für die es sich lohnt, um breite Zustimmung unter der Bevölkerung zu werben! So müßte es gerade für Ärzte und Sozialarbeiter, für Parlamentarier, Journalisten und Lehrer eine besondere Gewissenspflicht sein, für den Rechtsschutz des Lebens auch öffentlich einzutreten. 631 REISEN 6. Gottes Sohn ist Mensch geworden; Christus will unser Bruder sein. Darum darf kein Mensch vom anderen gering denken, ihn mißhandeln oder sogar töten. Das Recht auf Leben ist das fundamentalste und heiligste aller Menschenrechte. In der Osterzeit, in der wir stehen, erfahren wir in besonderer Weise: Unser Gott ist ein Gott des Lebens, der Gott, der Jesus von den Toten auferweckt hat. Gott findet sich mit dem Tod nicht ab, und auch wir dürfen es nicht. Mit der Auferstehung Christi hat Gott eine neue Initiative für das Leben begonnen. Diese Initiative Gottes sollen wir mittragen. Sache der Christen ist es, mit Gottes Geist Partei zu ergreifen für Leben und Frieden, für Wahrheit und Gerechtigkeit. Letztlich lebt unsere Welt von der Güte und Barmherzigkeit, die Gott uns schenkt und mit der die einzelnen Menschen einander begegnen. Warten wir nicht alle darauf, daß jemand gut zu uns ist, uns anerkennt, uns ermutigt oder tröstet, uns hilft, wo wir Unterstützung brauchen? Wo die Güte des Herzens das Leben prägt, ist Platz auch für den schwachen, den alten, den verletzen Menschen; dort ist auch Platz und Zukunft für den noch ungeborenen Menschen im Mutterleib. Die Erfahrung der Barmherzigkeit weckt in uns die Hoffnung, schließlich einmal einer letzten, unüberbietbaren Güte zu begegnen: der unendlichen und ewigen Menschenfreundlichkeit Gottes. Gott ist der Erste; er ist auch der Letzte und Ewige. Von ihm kommt alles Leben; auf ihn geht unser Leben zu. Von Gott her — zu Gott hin: das ist der Weg des Menschen. Wähle das Leben! Wähle das ganze Leben! Wähle damit auch dein ewiges Leben! 7. Liebe Brüder und Schwestern! Es gibt Lieder von bleibender Dauer und Schönheit. Es gibt Lieder, die nie verklingen. Unser Lied, das alles Toben der Weltgeschichte übertönen wird, ist das Credo, das Lied unseres Glaubens. In ihm bekennen wir unseren Glauben an den Vater, der uns zum Leben ruft, an unseren Bruder und Erlöser Jesus Christus, an den Heiligen Geist, der immer wieder neu Leben schafft. Dieses Lied unseres Glaubens laßt uns nun gemeinsam singen. Amen. 632 REISEN Ansprache auf dem Domplatz in Münster (Vesper/2. Teil) am 1. Mai Liebe Brüder und Schwestern! 1. Unser gemeinsamer Vespergottesdienst findet nun seine Fortsetzung vor eurer herrlichen Bischofskirche. Dieser ehrwürdige Paulusdom, vor dem wir hier als Gemeinde Christi versammelt sind, ist schon kostbar in seiner kunstvoll gestalteten Architektur mit ihren wuchtigen Türmen und Bögen. Wer ein solches Gebäude zur Ehre Gottes und als geistige Heimat des Menschen zu errichten vermochte, lebte aus tiefen Überzeugungen und muß auch selbst ein starker, selbstbewußter und zugleich frommer Mensch gewesen sein. Dieses Gotteshaus ist ein würdiges Symbol des katholischen Glaubens, wie er im Münsterland seit mehr als tausend Jahren von dieser Mitte aus verkündet worden ist. Viele eurer Bischöfe und Priester haben hier ihre letzte Ruhestätte gefunden, nachdem sie für ihre jeweilige Zeit die Frohe Botschaft von Jesus Christus, unserem Herrn und Erlöser, in Wort und Tat den Menschen verkündet und vorgelebt hatten. Einer der bekanntesten unter ihnen, dessen Grab ich sogleich in Verehrung besuchen werde, ist euer unvergessener Bischof und Kardinal Clemens-August von Galen. Als wir soeben die Lesung aus dem 2. Brief des Apostels Paulus an seinen Schüler Timotheus hörten, war es mir, als spreche Bischof Clemens-August noch einmal zu uns: Ich beschwöre Euch bei Gott und bei Christus Jesus: Verkündet das Wort; tretet dafür ein, ob man es hören will oder nicht! Kämpft den guten Kampf! Haltet die Treue! (vgl. 2 Tim 4,1-7). Kardinal von Galen hat selbst unerschrocken das Wort Gottes verkündet. Zugleich aber hat er auch gelebt, was er verkündete. Sein Leben war ein Zeugnis für das Evangelium Jesu Christi. Die ihm von Gott geschenkte Zeit seines Lebens hat er eingesetzt im Dienst für seinen Herrn und Meister und für die ihm anvertrauten Gläubigen. Als 70. Nachfolger des Gründerbischofs, des heiligen Ludgerus, hat er hier in Münster den Hirtenstab ergriffen und seine Diözese mutig geführt, als es dunkel wurde in Deutschland, als Menschen in gottlosem Hochmut sich selber zur letzten Instanz für das Menschenleben machten, worauf Blut, Tod und Untergang folgten. 2. Bischof Clemens-August war ein Mann des Glaubens. Er stand unerschütterlich fest im Glauben der heiligen Kirche. Wie die Eichen eurer Heimat feststehen im Sturm und tief verwurzelt sind in der Erde, so stand euer Oberhirte in den Stürmen der Zeit. 633 REISEN Der Glaube: Das ist nicht die jeweils neueste Nachricht, die heute Schlagzeilen macht und morgen schon vergessen ist. Der Glaube ist nicht eine Lehre, die man sich selber zurechtlegt nach eigenem Gutdünken und nach den jeweiligen Bedürfnissen. Er ist nicht unsere Erfindung, unsere Leistung. Der Glaube ist ein großes Geschenk Gottes an die Kirche durch Jesus Christus. Paulus sagt im Römerbrief: „So gründet der Glaube in der Botschaft, die Botschaft im Wort Christi“ (Rom 10,17). Der Glaubende steht auf dem Boden Jesu Christi, der in seiner Kirche weiterlebt durch die Jahrhunderte bis zum Ende der Welt. „Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe“, bekräftigte derselbe Apostel (1 Kor 11,23) — „Was sie von den Vätern empfangen haben, das haben sie den Söhnen überliefert“, sagte später Augustinus. „So habe ich es im Elternhaus gelernt, so will ich es halten bis zum letzten Atemzug“, schreibt schließlich Bischof von Galen in seinem ersten Hirtenbrief an die Diözese und fahrt fort: „Und das bekenne ich heute vor euch, daß ... der Gehorsam gegen den Papst, die vertrauensvolle Hingabe an die Leitung der heiligen Kirche und an die Weisungen des Heiligen Stuhles mir Leitstern und Richtschnur sein sollen für mein persönliches Leben und für mein Wirken für euch.“ Der Glaube lebt aus der Tradition der Kirche. Dort allein können wir die Wahrheit Jesu Christi mit Gewißheit finden. Nur ein lebendiger Zweig am Baum der kirchlichen Gemeinschaft bleibt in Verbindung mit ihren kraftspendenden Wurzeln. 3. Haltet fest am Glauben der Kirche, so rufe ich euch heute zu. Eure Mütter und Väter haben es getan. Haltet auch ihr fest am Glauben und vermittelt ihn weiter an eure Kinder. Das ist der Grund meiner Pastoraireise zu euch: „Ich erinnere euch, Brüder und Schwestern, an das Evangelium. Ihr habt es angenommen; es ist der Grund, auf dem ihr steht“ (7 Kor 15,1). Ohne einen starken Glauben seid ihr ohne Halt, umhergetrieben von den wechselnden Lehren der Zeit. Ja, auch heute gibt es Bereiche, wo man die gesunde Lehre nicht mehr erträgt, wo man sich nach eigenen Wünschen immer neue Lehrer sucht, die den Ohren schmeicheln, wie Paulus es vorhergesagt hat. Laßt euch nicht täuschen. Fallt nicht herein auf die Propheten des Egoismus, der falsch verstandenen Selbstverwirklichung, der irdischen Heilslehren, die diese Welt ohne Gott gestalten wollen. Es bedarf der Bereitschaft zur Hingabe, zum Sichverschenken, es bedarf auch der Bereitschaft zum Opfer und zum Verzicht, es bedarf eines großmütigen Herzens, um sagen zu können: Credo — Ich glaube. Wer aber diesen Mut hat, vor dem verschwinden die Dunkelheiten. Wer glaubt, hat den Leuchtturm gefunden, der ihm eine sichere Fahrt ermöglicht. Wer glaubt, kennt die Rich- 634 REISEN tung, ist orientiert. Wer glaubt, hat den Sinn gefunden, und kein Unsinn falscher Lehrer kann ihn mehr in die Irre führen. Wer glaubt, hat einen Standpunkt und versteht, das Leben menschenwürdig und gottgefällig zu leben. Wer glaubt, kam sein Leben auch bewußt beschließen und ja sagen, wenn Gott ihn in der letzten Stunde ruft. 4. Aber diesen Schatz, unseren Glauben, tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen (vgl. 2 Kor 4,7); unser Glaube ist oft nur schwach und klein. Der erste in der Reihe der Päpste, der heilige Petrus, hat das bereits schmerzlich erfahren müssen (vgl. Mt 14,22 f.). Hochherzig und voll Begeisterung stieg er aus dem Schiff auf die Wasser des Sees. Denn der Herr hatte ihn gerufen: Komm! Und der Glaube trug den Petrus über die Wellen und Tiefen. Das ist ein Bild für unseren Glauben. Auch vor uns steht der Herr. Er blickt uns an und spricht zu jedem einzelnen dieses „Komm“. Gegenüber dieser ermutigenden Einladung bleibt der Glaubende nicht sitzen oder liegen: Er steht auf, macht sich auf den Weg, über alle Hindernisse hinweg, hin zum Herrn. Aber dann kommen Angst und Zweifel, damals für Petrus — und auch heute oft für uns. Da beginnt Petrus zu sinken und unterzugehen. Wenn der Glaube schwach wird, trägt er nicht mehr. Und was hat in dieser Situation Petrus, der erste Papst, damals getan? Mit aller Kraft und aus ganzem Herzen hat er zum Herrn gerufen: „Herr, rette mich!“ Und der Herr streckt seine Hand aus: „Du Kleingläubiger, was hast du gezweifelt?“ (Mt 14,29-31). — Eine echte Glaubenskrise! Doch der Herr verläßt den nicht, der von ihm Hilfe erbittet. Herr, ich glaube — credo. Aber nicht selten ist es ehrlich, hinzuzufügen: „Hilf meinem Unglauben!“ (Mk 9,24). Diesen Rat möchte ich euch geben: Wenn Unglaube und Zweifel sich regen, hört nicht auf zu beten: Herr, ich glaube; und fügt ruhig hinzu: Hilf meinem Unglauben! Der Herr wird euch nicht im Stich lassen, euch nicht allein lassen in den Stürmen eures persönlichen Lebens und des Weltgeschehens. 5. Brüder und Schwestern! Wenn ich heute zu euch von Kardinal von Galen spreche, denke ich zugleich auch an die Gläubigen, für die er als Bischof bestellt war. Ich gedenke der unzähligen Frauen und Männer, der Jungen und Alten, die in Oldenburg, im Münsterland, am Niederrhein aufstanden in großer Einmütigkeit, die zusammen mit ihrem Bischof ein Bekenntnis ablegten für den Glauben — und für das Kreuz. Ebenso denke ich an die zahlreichen engagierten evangelischen Christen in der Bekennenden Kirche. Weil sich das gläubige Volk in Begeisterung und Liebe eng um seinen Bischof scharte, konnten es sich die Herrscher der damaligen Zeit nicht leisten, die Stimme des mutigen Oberhirten aus Münster zu überhören oder gar gewaltsam zum 635 REISEN Schweigen zu bringen. Die Treue der Gläubigen war der Rückhalt des Bischofs. Wo der Bischof war, dort standen auch die Katholiken: mit ihm, hinter ihm und vor ihm, immer vereint im gemeinsamen Glauben. Ohne solche Treue seiner Gläubigen ist der Bischof schwach; er ist stark, wenn Herde und Hirt entschlossen zusammenstehen. Auch heute liegt hier eure Verantwortung; werdet euch dessen wieder stärker bewußt! Sich heute zur Kirche Jesu Christi zu bekennen, ist nicht die bequemste Weise zu leben, das ist wohl wahr. Es mag billiger sein, sich anzupassen, unterzutauchen. Den Glauben zu bekennen und zu leben, heißt heute, gegen den Strom zu schwimmen. Das erfordert Kraft und Mut. Die Kirche braucht heute mehr denn je auch das öffentliche Bekenntnis der Gläubigen. Nicht der Bischof allein, nicht nur die Priester und Diakone, nicht allein die hauptamtlichen Laien im Dienst der Kirche werden es schaffen. Nur mit euch allen zusammen, den Jungen und Alten, den Frauen und Männern, kann die Botschaft Christi in seiner Kirche und in der Welt lebendig und anziehend bleiben! Helft dazu mit durch euer Bekenntnis, durch euren Einsatz, damit der Glaube in eurer Heimat weiterlebt, damit auch das dritte Jahrtausend eine christliche Epoche wird: für das Bistum Münster, für Deutschland, für Europa. Bildet darum eine Einheit mit eurem Bischof, mit dem Papst, mit der Kirche Christi in aller Welt! 6. Als der irdische Lebensweg eures Bischofs Clemens-August kurz nach seiner Kardinalserhebung zu seinem gottgewollten Ende kam, hat er diese letzten Worte gesprochen: „Wie Gott es will. Gott lohne es euch. Er schütze das liebe Vaterland. Für ihn (Christus) Weiterarbeiten.“ Es ist, als wenn der sterbende Kardinal in diesen wenigen Worten die Grundhaltung seines Lebens noch einmal zusammenfassen wollte: eine tiefe Geborgenheit in der barmherzigen Vorsehung Gottes, eine selbstlose Dankbarkeit gegenüber allen, die ihm zur Seite standen, eine väterliche Sorge um das deutsche Volk und Vaterland, das er so liebte, sein mutiger Einsatz für das Reich Gottes, für seine Sendung als Christ und Bischof. Für Christus Weiterarbeiten: Das ist sein Testament, das ist sein Auftrag für alle, denen das Wohl dieses Landes und seiner Menschen, das irdische und ewige Glück der Jungen und Alten, der Gesunden und Kranken am Herzen liegt. Das ist seine Sendung für alle, die einen Weg suchen, um einen eigenen Beitrag zur geistigen und religiösen Lebendigkeit eures Volkes zu leisten. Für Christus Weiterarbeiten, damit die Erde wohnlich und menschenwürdig bleibe, damit Gottes Reich immer mehr komme in Wahrheit und Gerechtigkeit. 7. Brüder und Schwestern! Heute beginnt der Maimonat. Er ist nach guter katholischer Tradition in besonderer Weise der Gottesmutter Maria gewidmet. 636 REISEN Im Schmuck der Blumen und Kerzen sehen wir vor uns ihr Bild als Mutter der Glaubenden, als Beschützerin der Völker, als Königin des Friedens. „Hilf, Maria, es ist Zeit — hilf, Mutter der Barmherzigkeit!“ So beten wir voll Vertrauen zu Maria, die Jesus am Kreuz uns allen zur Mutter gegeben hat. „Hilf, Mutter der Barmherzigkeit!“ — Wie oft mögen eure Bischöfe, Priester und Mitchristen in stürmischen Zeiten der Vergangenheit so gerufen haben vor dem Bild der Schmerzhaften Mutter in Telgte, dem geistlichen Zufluchtsort vor den Toren der Stadt! In kindlicher Liebe wollen auch wir uns der Mutter des Herrn anvertrauen. Wer sich an die Hand Marias begibt, wer sich von ihr führen läßt, der ist gut geleitet; der findet den Weg des Glaubens, den Maria so beispielhaft vorangegangen ist; der ist offen für die Botschaft Christi, ihres Sohnes und unseres Bruders; der ist niemals allein, auch nicht in Leiden und Tod. Zuversichtlich und entschlossen kann er seine irdischen Aufgaben erfüllen und voranschreiten auf dem Weg in die Zukunft: Für ihn und für alle Christen ist dies stets eine Zukunft in Gott. Ihm sei Dank und Ehre. Amen. Grußwort an kranke und betagte Menschen im Dom zu Münster am 1. Mai Liebe Brüder und Schwestern! Euch allen gilt bei diesem kurzen Besuch in eurem herrlichen Dom mein brüderlicher Gruß. Euch, die ihr krank seid, die ihr unter Gebrechen an Leib und Seele leidet. Und auch euch, die ihr die Würde und Bürde des Alters tragt. Eigentlich möchte ich nun schweigen. Ich möchte nur eines tun: eure Hand still in meine Hand nehmen, um euch zu zeigen: Ich bin bei euch. Ich trage mit euch eure Leiden und Sorgen. So möchte ich euch trösten und ermutigen. Aber ich darf auch zu euch sprechen. Wir sind ja zutiefst verbunden in unserem gemeinsamen Glauben an Jesus Christus, der selber gelitten hat und von den Toten auferstanden ist. Christus ging durch Leiden und Tod zur Auferstehung. Mit großer Bewegung habe ich den Satz gelesen, den ihr eurem verstorbenen Bischof Clemens-August Kardinal von Galen auf die Grabplatte geschrieben habt: „Hic exspectat resurrectionem mortuorüm Augustinus Clemens Cardinalis de Galen.“ Hier wartet euer Kardinal auf die Auferstehung der Toten. In dieser christlichen Hoffnung gehören wir alle zusammen, wir, die wir noch leben, diejenigen, die krank sind und leiden, jene, die alt sind und wissen, daß 637 REISEN die Stunde des Abschieds näher rückt und auch die Toten in den Gräbern, die in dieser Hoffnung gestorben sind. Wir alle sind Menschen, die auf die Auferstehung warten. In dieser gläubigen Zuversicht können wir leben, können wir sogar schweres Leid geduldig ertragen und auch vertrauensvoll sterben. Denn wir haben die Gewißheit: „In te Domine speravi, non confundar in aeternum“ — wie der Domchor soeben gesungen hat. „Auf dich, o Herr, habe ich gehofft. Ich werde nicht zuschanden werden in Ewigkeit.“ Liebe kranke und betagte Brüder und Schwestern! Seid euch stets bewußt, daß die Kirche euch in einer besonderen Weise braucht. Auch der Papst braucht euch. Wir alle brauchen euer Gebet und den Rat eures abgeklärten Alters; wir brauchen das Opfer eurer Krankheiten und Gebrechen für die Kirche und die Welt. Dadurch könnt ihr oft mehr für die Erneuerung der Kirche und den Frieden in der Welt tun als viele andere, die gesund und arbeitsfähig sind. Helft dem Papst, helft eurem Bischof und den Priestern, helft der Kirche und der Welt durch euer treues Gebet und die gläubige Annahme eurer persönlichen Prüfungen und Beschwerden. Ebenso beten auch wir für euch und helfen euch so, euer Los mit Geduld und Zuversicht zu tragen. Am heutigen ersten Tag des Marienmonats Mai empfehle ich euch ganz besonders der liebenden Sorge und Fürsprache der Gottesmutter. Zugleich erteile ich euch, euren Angehörigen und allen, die euch in brüderlicher Solidarität hilfsbereit zur Seite stehen, von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. Weihegebet an die Gottesmutter am 2. Mai Sei gegrüßt, Jungfrau Maria, Mutter unseres Erlösers, Mutter der Kirche und unsere Mutter! Als Pilger zu diesem Gnadenort Kevelaer reihe ich mich ein in die Schar der ungezählten Gläubigen, die hier vor deinem Bild dein Lob gesungen haben. So erfüllt sich auch durch uns das Wort der Schrift: „Von nun an werden mich seligpreisen alle Geschlechter.“ Mit dir preisen wir unseren Herrn und Gott, der auf die Niedrigkeit der Menschen schaut und Großes für uns getan hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes. 638 REISEN Mit allen Pilgern, die sich mit meinem Gebet vereinen, rufe ich dich als unsere Hoffnung und Quelle des Trostes. Maria, Trösterin der Betrübten, bitte für uns. Deiner mütterlichen Liebe und Fürsprache empfehle ich heute alle, die sich voll Zuversicht an dich wenden. Zu dir kommen die Gesunden und Glücklichen; erhalte in ihnen Freude und Dankbarkeit und mache sie empfänglich und hilfsbereit für die Not ihrer Mitmenschen nah und fern. Zu dir kommen die Kranken; sie beten um Gesundheit der Seele und des Leibes. Hilf ihnen, ihr Leid tragen; lindere ihre Schmerzen und erbitte ihnen darin Trost und Heil. Zu dir gehen die Blicke der Einsamen und Verlassenen, vor dir weinen die Trauernden. Laß sie erfahren, daß du unter dem Kreuz unsere Mutter geworden bist und vor allem denen mütterlich nahe bist, die deiner Hilfe besonders bedürfen. Vor dir stehen die jungen Menschen, die in das Leben hineingehen. Leuchte ihnen als heller Stern in den Dunkelheiten der Pilgerschaft, daß sie nicht abirren vom Weg des Glaubens. Vor dir stehen die Menschen in der Mitte des Lebens; laß sie nicht mutlos werden, stärke sie in ihren täglichen Aufgaben und führe sie immer tiefer in die Nachfolge deines Sohnes. Vor dir stehen die Alten, die wissen, daß sich ihr Weg durch dieses Erdental dem Ende zuneigt. Mit ihnen beten wir: Heilige Maria, zeige uns nach diesem Elende Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes. O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria. Deinem mütterlichen Schutz empfehle ich zugleich die ganze Kirche in diesem Land: die Bischöfe, Priester und Ordensleute, die Alleinstehenden, die Familien und die Pfarrgemeinden. Mögen alle Christen wachsen in Glaube, Hoffnung und Liebe. Mache sie zu glaubwürdigen Zeugen deines Sohnes, 639 REISEN seiner befreienden Wahrheit und erlösenden Liebe, in der allen Menschen guten Willens ewiges Heil verheißen ist. Mutter des ewigen Wortes, lehre uns, Christus entgegenzugehen, unserem wiederkommenden Herrn und Retter, in dessen seliger Gemeinschaft du lebst und für uns eintrittst jetzt und alle Tage und in Ewigkeit. Amen. Eintragung in das Goldene Buch der Stadt Kevelaer am 2. Mai Stadt Kevelaer, „wer dich liebt, sei in dir geborgen Friede wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit. Wegen meiner Brüder und Freunde will ich sagen: In dir sei Friede. Wegen des Hauses des Herrn, unseres Gottes, will ich dir Glück erflehen.“ (Ps 122,6-9) Auf Mariens Fürsprache werde vom Herrn euch zuteil Leben, Gnade und Heil. Kevelaer, beim Gnadenbild der „Consolatrix afflictorum“, den 2. Mai 1987 im neunten Jahr des Pontifikats. 640 REISEN Ansprachen bei der Marienfeier (Laudes) in Kevelaer am 2. Mai Sancta Maria, consolatrix afflictorum, ora pro nobis. Heilige Maria, Trösterin der Betrübten, Mutter Gottes von Kevelaer, bitte für uns. Bitte für uns alle, die wir hier zum Morgengebet der Kirche, den Laudes, zum Gotteslob und zu Deinem Lobpreis versammelt sind. Bitte für uns alle, die sich mit uns heute morgen durch Fernsehen und Rundfunk zu einer großen Gebetsgemeinschaft verbinden. Liebe Brüder und Schwestern! 1. In großer Freude bin ich heute zu euch nach Kevelaer gekommen. Mein erster Weg in diesem Wallfahrtsort führte mich zum Gnadenbild der Trösterin der Betrübten. Vor diesem Bild habe ich gebetet und euch alle und auch mich dem besonderen Schutz der Gottesmutter anempfohlen. Ich komme als Pilger und Beter in der Reihe der ungezählten Menschen, die seit dem Jahre 1642 zur Gottesmutter in Kevelaer wallfahren. Heute eröffne ich selbst die diesjährige Wallfahrtszeit. Nun werden sie wieder nach Kevelaer ziehen: die großen Prozessionen, die kleinen Gruppen und Familien, die vielen Einzelpilger, Menschen aus allen Ständen und Schichten. Sie alle folgen den Spuren der Pilger durch die Jahrhunderte. Eine Prozession des Glaubens, die nicht abreißt. Unübersehbare Scharen von Menschen, die den Lob-' preis Marias singen. Das Lied des Glaubens klingt über die Zeiten, über die Länder und die ganze Welt. Es klingt in dieser irdischen Zeit und findet seinen Widerhall in Gottes Ewigkeit. Die wirklichen Zentren der Welt- und Heilsgeschichte sind nicht die betriebsamen Hauptstädte von Politik und Wirtschaft, von Geld und irdischer Macht. Die wahren Mittelpunkte der Geschichte sind die stillen Gebetsorte der Menschen. Hier vollziehen sich in besonders dichter Weise die Begegnungen der irdischen Welt mit der überirdischen Welt, der pilgernden Kirche auf Erden mit der ewigen und siegreichen Kirche des Himmels. Hier geschieht Größeres und für Leben und Sterben Entscheidenderes als in den großen Hauptstädten, wo man meint, am Puls der Zeit zu sitzen und am Rad der Weltgeschichte zu drehen. 2. Bei dem Gnadenbild der Gottesmutter in Kevelaer versammelt, schauen wir heute auf Maria, die den König des Himmels und der Erde auf ihrem Arm trägt. Diese Begegnung mit Maria und ihrem Sohn ist für uns ein neuer Anruf, 641 REISEN eine Aufforderung zu Besinnung und geistlichem Aufbruch. Hier ist der Ort, wo uns die Botschaft des Evangeliums neu zugerufen wird: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15). Kehrt um! Hört die Botschaft! — Welches ist wohl das Wort, das die Menschen heute am meisten auf ihren Lippen führen? Welches Wort bestimmt am stärksten das Denken und Tun der Menschen? Es ist das kleine Wörtchen: Ich! Was habe ich davon? Was nützt mir das? Was geht mich das an? So fragen wir. Die Ich-Bezogenheit des Menschen beherrscht das private und öffentliche Leben. Ist nicht „Selbstverwirklichung“ ein besonders oft wiederkehrendes und sehr beliebtes Wort unserer Tage? Ich möchte vor allem zu mir kommen, mich selbst entfalten. Im Evangelium Christi steht jedoch der Satz: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten“ (Mk 8,34). Wie kann der ich-verhaftete Mensch diese Botschaft Christi überhaupt verstehen und sie befolgen? Er ist unlähig, sich selbst loszulassen und zu verzichten. Er hat keine Zeit für den Nächsten und für Gott, kein Brot für den Hungernden, keinen Platz für den Heimatlosen und Asylsuchenden. Er hat keine Liebe. — „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Öffnen wir uns wieder neu dieser Botschaft! 3. Hier am Gnadenort der Mutter des Herrn hörten wir das Wort, das Maria bei der Verkündigung des Engels gesprochen hat: „Fiat. Mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ Marias Geschichte beginnt damit, daß sie Du sagt. Schon damals in Nazaret hat sie jenen Satz gesprochen, den uns dann der Herr selber zu beten gelehrt hat: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“ Maria hat sich bei der Botschaft des Engels nicht in sich verschlossen und verweigert. Sie hatte den Mut zur Hingabe; die Demut, Magd des Herrn zu werden. Und nur deshalb, weil Maria sich dem göttlichen Du geöffnet und seinen Ruf angenommen hat, wird ihr Schoß fruchtbar und darf sie Christus, den Sohn Gottes und Erlöser der Menschheit, gebären. Weil sie Ja zu Gott gesagt hat, wird sie die Mutter eines unendlich großen Volkes, Mutter der Kirche und auch unsere Mutter. In unserer heutigen Begegnung bei ihrem Gnadenbild lädt uns Maria ein, sie nicht in unseren Gebeten anzurufen, sondern vor allem auch ihrem Wort und Beispiel zu folgen. Haben auch wir Mut, wie Maria Du zu sagen, unser Leben auf die Mitmenschen und auf Gott hin zu öffnen! Seid Menschen, die bereit sind, für andere da zu sein und in der Liebe zum Nächsten ihre Liebe zu Gott 642 REISEN konkret zu leben (vgl. 1 Joh 4,20). Unsere Öffnung zum göttlichen Du verlangt notwendig unsere liebende Hinwendung zu unseren Brüdern und Schwestern. Erst der hingebende Dienst am Nächsten macht uns fähig zum würdigen und wohlgefälligen Gottesdienst. 4. Als Magd des Herrn war Maria bereit zur selbstlosen Hingabe, zu Verzicht und Opfer, zur Christusnachfolge bis unter das Kreuz. Sie verlangt von uns die gleiche Haltung und Bereitschaft, wenn sie uns auf Christus verweist und auffordert: „Was er euch sagt, das tut!“ (Johl,5). Maria will uns nicht an sich binden, sondern ruft uns in die Nachfolge ihres Sohnes. Um aber wahrhaft seine Jünger zu werden, müssen wir — wie Christus selbst uns lehrt — von uns wegschauen, uns aus unserer eigenen Selbstgefälligkeit befreien und wie Maria ganz auf Christus einlassen; müssen wir seiner Wahrheit folgen, die er selbst uns als einzigen Weg zum wahren, zum unvergänglichen Leben anbietet. „Was er euch sagt, das tut!“ — Eine solche konkrete Nachfolge Christi verlangt von uns die gläubige Annahme seines Wortes, die Bereitschaft zu Gehorsam und Hingabe, die bewußte Bindung unserer Freiheit an seine Wahrheit, an seine Gebote. Wir müssen nach dem Vorbild und in der Haltung Marias unser ganz persönliches Fiat sprechen: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ Oder wie Christus selbst beten: „Nicht wie ich will, sondern wie du willst“ (Mt 26,39). Nur ein solches bereites Eingehen auf Christus und seine Botschaft kann uns zu unserer wahren Selbstverwirklichung führen. Wahre Selbstverwirklichung geschieht nur, wenn wir die in uns grundgelegte Gottesebenbildlichkeit voll zur Entfaltung bringen. Nehmt als sicheren Wegweiser zu diesem Ziel das Wort der Heiligen Schrift und die verbindliche Lehre der Kirche. Hier in Kevelaer empfehle ich euch auch noch besonders das wertvolle Buch der „Nachfolge Christi“ des Augustiner-Chorherm Thomas von Kempen, das hier in eurer näheren Heimat vor mehreren Jahrhunderten verfaßt wurde. Es ist ein geistlicher Wegweiser von bleibendem Wert. Erbitten wir also für den Weg unserer Christusnachfolge in einer besonderen Weise die Fürsprache und Hilfe der Gottesmutter. Sie zeigt und führt uns mit sicherer Hand den Weg zu Christus und mit ihm zum Vater. Ich empfehle euch heute neu ihrer mütterlichen Sorge. Zugleich ermutige ich euch zu einer innigen Verehrung der Gottesmutter; jetzt im Monat Mai, der ja ihr geweiht ist, und dann im bald beginnenden Marianischen Jahr. 643 REISEN Liebe Brüder und Schwestern! 5. Als wir unser heutiges Morgenlob der Kirche begonnen haben, habe ich euch zugerufen: Pax vobis! Der Friede sei mit euch! Damit habe ich ein Wort gesagt, das eine Grundsehnsucht aller Menschen ausdrückt: Friede; Friede im eigenen Herzen und Friede in der Welt. In der Lauretanischen Litanei bekennen wir Maria auch als „Königin des Friedens“ und bitten sie um ihren Beistand. Um der Welt den Frieden zu schenken, nach dem sich die Menschheit sehnt, braucht es mehr als die Konferenzen der Politiker, braucht es mehr als Verträge, als von Menschen versuchte Politik der Entspannung — so wichtig und notwendig auch diese sind. Die vom Unfrieden heimgesuchte Welt braucht vor allem den Frieden Christi. Und dieser ist mehr als bloßer politischer Friede. Der Friede Christi kann nur dort einziehen, wo Menschen bereit sind, sich von der Sünde zu lösen. Die tiefste Ursache aller Zwietracht in der Welt ist die Abkehr des Menschen von Gott. Wer mit Gott nicht in Frieden lebt, der kann nur schwerlich mit seinen Mitmenschen in Frieden leben. kommt bei den vielfältigen Friedensbemühungen vor allem dem Gebet eine große Bedeutung zu. Unsere Hoffnung für die Zukunft der Menschheit gründet dort, wo Menschen im Gebet um den Frieden ringen. Hier verbindet sich unsere menschliche Ohnmacht mit der Allmacht Gottes. Hier kommt unserer menschlichen Erbärmlichkeit das Erbarmen Gottes zu Hilfe. Hier betet mit uns die Mutter des Herrn und bringt unser Gebet um Frieden vor ihren Sohn, der gekommen ist, wie die Schrift sagt, den Frieden zu verkünden den Fernen und den Nahen (vgl. Eph 2,17). 6. Als Maria den Erlöser der Welt in Betlehem gebar, da öffnete sich der Himmel. Die Botschaft der Engel verkündete einer im Dunkel liegenden Welt: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erdenist Friede bei den Menschen seiner Gnade“ (Lk 2,14). Die Botschaft des Friedens ist eng mit der Sendung Marias und der Heilsbotschaft ihres göttlichen Kindes verbunden. Die großen Botschaften der Gottesmutter an die Welt—wie zum Beispiel an die Kinder von Fatima — sprechen immer wieder vom Frieden und von der Notwendigkeit der Bekehrung der Menschen und Völker in Jesus Christus. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Marienwallfahrtsorte Zentren, in denen sich die Angehörigen der durch den Krieg verfeindeten Völker zuerst wieder getroffen haben: zum gemeinsamen Gebet und zur gegenseitigen Versöhnung. In Lourdes wurde damals von Bischof Theas die Pax-Christi-Bewegung gegründet. In Deutschland ist sie hier in Kevelaer ins Leben gerufen worden. Die Pax-Christi-Kapelle am Wallfahrtsplatz erinnert in eindrucksvoller Symbolik daran. 644 REISEN 7. Darum rufe ich euch heute an diesem Gnadenort der Mutter des Herrn zu einem verstärkten Einsatz für den Frieden auf. Der Friede ist vor allem eine moralische Verpflichtung und gründet in der Friedensbereitschaft aller Beteiligten. Als Jünger Christi sind wir in einer besonderen Weise aufgerufen, Friedensstifter zu sein: Überwindung der Ungerechtigkeiten, Verzicht auf Gewaltanwendung, Bereitschaft zur Verständigung und auch zum gegenseitigen Verzeihen. Jeder kann dadurch zum Frieden unter den Menschen einen entscheidenden und ganz persönlichen Beitrag leisten. Tretet ein für die internationale Völkerverständigung, für eine schrittweise Beseitigung aller Massenvernichtungswaffen und gemeinsame Anstrengungen aller Völker für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt. Prüft im konkreten Alltag, was euch als „Fortschritt“ angeboten wird. Besondere Wachsamkeit ist geboten, wenn wir unsere Erde und das menschliche Leben auf ihr für die Zukunft wirksam verteidigen wollen. Es geht ja zum Beispiel beim Umweltproblem und beim Strahlenschutz längst nicht mehr nur um das Leben der heutigen Menschen, sondern auch um das der kommenden Generationen. Wir müssen aus den Grenzen und Gefahren des Wachstums die Konsequenzen ziehen. Wir dürfen nicht alles machen, was wir tatsächlich machen könnten. Askese, Selbstbeschränkung, Verzicht — diese alten Forderungen der Kirche werden plötzlich wieder sehr aktuell und modern; ja, weithin sogar lebensnotwendig, um das Überleben der Menschheit auch morgen zu gewährleisten. 8. Wir tragen heute die Bitte um Frieden unter den Völkern und um eine gesicherte und menschenwürdige Zukunft vor Gott, der ein „Gott des Friedens“ (Röm 15,33) ist. Dabei vertrauen wir auf die Fürsprache Marias. Sie wird uns helfen, vom Mißtrauen zum Verstehen zu finden, den Haß durch die Liebe zu überwinden. Sie wird uns helfen, Gleichgültigkeit in Solidarität zu verwandeln und Geist und Herz füreinander in weltweiter Brüderlichkeit zu öffnen. Maria ist die Mutter aller Menschen, weil sie die Mutter des Sohnes Gottes ist. Gott ist ja Mensch und damit der Bruder aller Menschen geworden. Über alle Grenzen von Rassen, Nationen und Staaten hinweg reicht der schützende Mantel der Mutter des Herrn. Hier in Kevelaer wird das deutlich. Mit mir, dem Bischof von Rom, sind hier Gläubige aus den verschiedenen deutschen Ländern. Mit uns sind Gläubige aus den Niederlanden, aus Belgien und aus Luxemburg, aus Frankreich, aus Polen und aus zahlreichen anderen Nationen. Was vielen als Traum und Utopie erscheint, hier ist es wahr und wirklich: Grenzen fallen nieder. Menschen kommen zusammen. Fremdheit schwindet. Trennendes weicht. Weil der gemeisame Glaube die Menschen eint. Weil gemeinsame Hoffnung uns trägt. Weil gemeinsame Liebe uns be- 645 REISEN seelt. Hier gibt es schon das einige Europa aus den vielen Völkern — das die Politiker mit so unzähligen Schwierigkeiten zu schaffen versuchen. Hier ist das Europa des Glaubens, das es bereits in vergangenen Jahrhunderten gegeben hat. Hier erhebt sich die Hoffnung, daß es ein solches auch künftig wieder geben kann. Liebe Brüder und Schwestern! 9. In der Apostelgeschichte wird berichtet, wie im Abendmahlssaal alle einmütig im Gebet verharrten „zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern“ (Apg 1,14). In dieser Einmütigkeit sind wir heute zusammen mit Maria bei ihrem Gnadenbild in Kevelaer versammelt, um uns durch ihr Wort und Beispiel, durch ihr gesprochenes und gelebtes Fiat, den Weg zu Christus, unserem wahren Leben, zeigen zu lassen. Wir sind hier, um von ihr, der Königin des Friedens, den Frieden für die Welt zu erbitten. Laßt uns auch in Zukunft, in den Mühen und Pflichten unseres Alltages, in dieser einmütigen Gebetsgemeinschaft mit Maria verharren! Möge der Internationale Marianische und Mariologische Kongreß, der im Herbst dieses Jahres unter dem Leitgedanken „Maria, Mutter der Glaubenden“ hier in Kevelaer stattfinden wird, auch euch wertvolle Anregungen für eine weitere Vertiefung eurer Verehrung und Liebe zur Gottesmutter schenken. Ebenso soll das kommende Marianische Jahr uns helfen, uns zusammen mit der ganzen Kirche würdig auf die bevorstehende 2000-Jahrfeier der Geburt unsres Erlösers vorzubereiten, damit unter der Führung und dem Schutz Marias das Reich Gottes in der Welt immer mehr Wirklichkeit werde. Maria mit dem Kinde lieb, uns allen deinen Segen gib! Amen. In niederländischer Sprache sagte der Papst: Meine lieben Brüder und Schwestern aus Belgien und Holland! Auch für die Gläubigen aus Ihren Ländern ist Kevelaer seit langer. Zeit ein beliebter Wallfahrtsort, wo man Hilfe und Trost suchen kommt bei der Trösterin der Betrübten und ihr dankt für erhaltene Gnade. Es freut mich sehr, daß auch heute viele aus Ihren Ländern nach Kevelaer gekommen sind, um zusammen mit dem Bischof von Rom und vielen Gläubigen aus anderen Ländern Europas das Lob derjenigen zu singen, die durch ihr gläubiges Fiat die Menschwerdung des Sohnes Gottes und die Erlösung der Menschheit möglich gemacht hat, insofern dies nach Gottes Plan von ihr abhing. 646 REISEN Gerade durch ihren Glauben ist Maria das größte Vorbild für die Kirche und für alle Gläubigen; sie spornt uns an, das zu tun, was sie ihr Leben lang getan hat: „Tut, was Jesus Euch sagen wird.“ Aber die Heilige Jungfrau ist nicht nur ein Vorbild, sie ist auch Fürsprecherin und Vermittlerin. Sie überbringt unsere Nöte ihrem göttlichen Sohn und trägt zur Linderung unserer tiefsten Not bei, zu unserer Erlösung, zur Befreiung von Egoismus, von Sünde, zu der vollen Freiheit der Kinder Gottes. Zu Beginn des Marienmonats und am Vorabend des Marienjahrs laßt uns zusammen mit der Muttergottes im Gebet verharren. Möge die Trösterin der Betrübten, der Abendstern, stets ein sicherer Führer sein für die Kirche Ihrer Länder, auf daß Sie eine sichere Fahrt zum himmlischen Hafen haben mögen. Ansprache zur „Welt der Arbeit“ in Bottrop am 2. Mai Brüder und Schwestern, Damen und Herren, die Sie Verantwortung tragen in Gesellschaft, Wirtschaft und Staat, liebe Werktätige! 1. Hier, auf dem Gelände einer Kohlenzeche, unmittelbar vor dem Förderturm, grüße ich alle in herzlicher Verbundenheit mit dem alten Bergmannsgruß: „Glückauf!“ Die Welt der Arbeit ist mir aus jungen Jahren vertraut. Als Arbeiter unter Arbeitern habe ich selbst die Solidarität und Verläßlichkeit von arbeitenden Menschen erfahren, aber auch die Last und Härte der körperlichen Arbeit. Darum habe ich gern die Einladung angenommen, bei meinem Pastoralbesuch im Bistum Essen mit schaffenden Menschen an einem Ort der Arbeit zusammenzutreffen. Die Kirche wirkt ja mitten in der Welt und darf deshalb an der Lebenswirklichkeit der arbeitenden Menschen nicht Vorbeigehen. Weil Christus, unser Herr, Mensch geworden ist, muß die Kirche dem Menschen stets nahe bleiben und sich immer wieder neu um ihn bemühen. Diese Verpflichtung war der Kirche im Ruhrgebiet stets bewußt. Mit der Entstehung der größten europäischen Industrieregion gingen Aufbau und Entfaltung eines blühenden kirchlichen Lebens einher. Beredtes Zeugnis dafür ist die Gründung von zahlreichen Pfarreien, das Entstehen einer Vielzahl von sozialen und karitativen Einrichtungen, vor allem aber das Aufblühen einer sozialpolitischen Bewegung der Katholiken in Vereinen und Verbänden. Und nicht zuletzt ist auch die Gründung des Bistums Essen durch meinen Vorgänger Pius XE. Ausdruck der elementaren Beziehung von Kirche und sozialer Wirklichkeit im Ruhrgebiet. 647 REISEN 2. Was aber wird morgen sein? Der Auftrag der Kirche ändert sich nicht. In Treue zu Christus verkündigt sie die Botschaft vom wahren Leben bis ans Ende der Zeiten. In Jesus Christus ist die Fülle menschlichen Lebens offenbar geworden. Der Herr selber sagt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Ein solches Leben zielt auf den Menschen. Bevor wir in der ewigen Gemeinschaft mit Gott leben dürfen, sind wir berufen, das irdische Leben in seinen reichen Möglichkeiten zu erfahren und zu gestalten. Diese befreiende Botschaft vom Leben steht gegen alle Resignation, gegen alle Verweigerung und Verkürzung des Lebens, gegen jeden Mißbrauch und jede Bedrohung des Lebens. . - . Christus fordert uns auf: Ergreift das Leben, wählt das Leben! Pflegt das Leben in der Familie! Habt Freude an den Kindern! Habt Freude am Schaffen! Liebt und achtet die Schöpfung! Öffnet eure Herzen und Hände für Notleidende und Einsame, für Kranke und Unterdrückte! Stellt euch den Herausforderungen unserer Zeit! Gebt aber auch eurem geistigen Leben gute Nahrung, seid religiöse Menschen! Nehmt Maß an Jesus Christus, unserem Erlöser und Bruder; folgt ihm nach! Diesen Christus verkündet die Kirche und ist so der zuverlässigste Anwalt des Menschen. 3. Ich weiß um die sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Ruhrgebietes, um die Herausforderungen einer weitgehend materialistisch. eingestellten Welt. Die zentrale Frage lautet: Hat der Mensch noch Vorrang in der Welt der Maschinen und der modernen Kommunikation, in der Welt des Handels und der Werbung, in der Welt der Politik und Kultur? Wem dienen in Wahrheit die Anstrengungen menschlichen Fortschritts und Forschens? An diesem eindrucksvollen Ort schwerer Arbeit gebietet es sich, auch die Arbeit des Menschen im Licht der Zusage Gottes von der Fülle menschlichen Lebens zu betrachten. Gott hat den Menschen ins Leben gerufen, indem er ihn zugleich „als Herrscher eingesetzt hat über das Werk seiner Hände“ und ,jihm alles zu Füßen“ legte, wie es in einem Psalm heißt (vgl. Ps 8,7). Gott, der von alters her auch unter dem Bild eines arbeitenden Menschen, als Baumeister, dargestellt wird, hat sein Werk dem Menschen zum Erbe gegeben, damit dieser es bewahre und nutze, um so leben und sieh entfalten zu können. Der gestaltende Umgang des Menschen mit dem Schöpfungswerk Gottes ist die Arbeit in all ihren Erscheinungsformen, ist körperliche und geistige Arbeit, handwerkliche, landwirtschaftliche und industrielle Arbeit, Dienstleistung und Kulturschaffen. Die Arbeit gehört zum Menschen. Sie ist Ausdruck seiner Eberibildlichkeit mit Gott und so unverzichtbarer Bestand menschlicher Würde. Der.Söhn Got- 648 REISEN tes selbst wurde Mensch in der Familie eines Arbeiters, erlernte ein Handwerk und berief Arbeiter zu seinen Jüngern. Wegen dieser grundlegenden Bedeutung darf die Arbeit nicht das Privileg nur eines Teiles der Menschheit sein. Gott hat allen Menschen seine Schöpfung als Auftrag anvertraut. Somit ist jede Situation, die den-Menschen von der Arbeit und von ihrem Ertrag ausschließt, seiner unwürdig: „denn — wie der Apostel Paulus sagt—der Pflüger wie der Drescher“, das heißt alle, „sollen ihre Arbeit in der Erwartung tun, ihren Teil zu erhalten“ (i Kor 9,10). Unverschuldete Arbeitslosigkeit wird zum gesellschaftlichen Skandal, wenn die zur Verfügung stehende Arbeit nicht gerecht verteilt und der Ertrag der Arbeit nicht auch dazu verwandt wird, neue Arbeit für möglichst alle zu schaffen. Hier ist die Solidarität aller gefordert, derjenigen, die über Kapital und Produktionsmittel verfügen, wie auch aller, die bereits Arbeit haben. Das biblische Wort: „Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat“ (Lk 3,11) gilt auch für die Arbeit. Ohne Opfer und Kompromisse kann die Arbeitslosigkeit wohl kaum wirksam bekämpft werden. 4. An der gerechten Verteilung' menschlicher Arbeit wird bereits die große Verantwortung der Entscheidungsträger in Staat und Wirtschaft deutlich. Sie dürfen die Arbeitslosigkeit nicht einfach hinnehmen oder ihr Vertrauen allein auf den Marktmechanismus setzen. Besondere Verantwortung tragen sie für zukunftsweisende Lösungen der Jugendarbeitslosigkeit. Denn für JugendlL che ist es eine untragbare Belastung, wenn sie nach Abschluß der Schule keine Möglichkeit beruflicher Ausbildung haben. Das kann sie in eine schwere Lebenskrise führen, aus der sie ohne unverzügliche konkrete Hilfe und Solidarität der Gesellschaft nicht herausfinden. Ausreichende und zukunftssichere Ausbildungsplätze sind das Gebot der Stunde. Deshalb möchte ich eurem Bischof und verantwortungsbewußten Laien im Bistum Essen für ihre beispielhaften Initiativen danken, insbesondere für die bekannten Aktionen des Diö-zesanrates und der katholischen Verbände zugunsten von jungen Menschen auf der Suche nach Ausbildung. Die Verantwortlichen in Staat und Gesellschaftsollten dieses ernste Problem mit den ihnen gegebenen politischen und wirtschaftlichen Mitteln noch entschiedener angehen. Unter den arbeitslosen Jugendlichen haben es oft die Ausländer besonders schwer. Die ausländischen Arbeitnehmer haben durch ihre Arbeitskraft viel zum wirtschaftlichen Erfolg in eurem Land beigetragen und leisten auch heute noch unverzichtbare Dienste. Deutsche leben mit ausländischen Mitbürgern Tür an Tür. Öffnet diese Türen und entdeckt den kulturellen und menschlichen Reichtum, den diese Menschen aus ihrer Heimat mitgebracht haben. Die Kirche kennt eigentlich keine Fremden. Die „Hausgenossen Gottes“ le- 649 REISEN ben alle unter einem Dach. Dieses kirchliche Selbstverständnis ist die stärkste Wurzel der Integrationskraft, die sich hier im Ruhrgebiet — einem Schmelztiegel der Völker — in den verschiedenen Phasen der Industrialisierung hervorragend bewährt hat. Die Lebenskraft des Ruhrgebietes ist die Solidarität. Diese Kraft wird sich — davon bin ich überzeugt — auch in der augenblicklichen ernsten Situation des Ruhrgebietes bewähren. Die Entwicklung im Bereich von Kohle und Stahl erfüllt auch mich mit tiefer Besorgnis. Stellenweise droht die Gefahr von Massenarbeitslosigkeit und sind Erschütterungen für den sozialen Frieden zubefürchten. Die seit längerem vorhersehbare Strukturkrise im Ruhrgebiet trifft die betroffenen Städte hart. Eine solche Krise verpflichtet die Verantwortlichen der Wirtschaft und der Politik, gemeinsam mit den Gewerkschaften'unverzüglich konstruktive, sozial wirksame und gerechte Lösungen zu suchen und in die Tat umzusetzen. In meiner Predigt in Mainz vom Jahre 1980 habe ich bereits auf das Problem des Strukturwandels und die damit verbundenen Auswirkungen für die Arbeiter hingewiesen und gesagt: „In der Mitte aller Überlegungen in der Welt der Arbeit und der Wirtschaft muß immer der Mensch stehen. Bei aller geforderten Sachgerechtigkeit muß doch stets die Achtung vor der unantastbaren Würde des Menschen bestimmend sein, nicht nur des einzelnen Arbeiters, sondern auch ihrer Familien, nicht nur der Menschen von heute, sondern der kommenden Generationen ... Strukturelle Umgruppierungen mögen sich nach genauester Prüfung als notwendig erweisen, und je ehrlicher gesehen, desto besser. Niemals jedoch dürfen dabei Arbeiter, die viele Jahre ihr Bestes gegeben haben, die allein Leidtragenden sein! Steht solidarisch zusammen und helft ihnen, wieder eine sinnerfüllte Tätigkeit zu finden.“ 5; Aus diesem Geist der Solidarität wurde hier im Ruhrgebiet auch das Verhältnis von Kapital und Arbeit fruchtbar für das Ganze zu ordnen versucht. Ein Meilenstein in der Entwicklung der sozialen Partnerschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern war die Forderung des 73. Deutschen Katholikentages vom Jahre 1949 in Bochum nach Mitbestimmung „in sozialen, personalen und wirtschaftlichen Fragen als natürliches Recht in gottgewollter Ordnung“. Diese Bemühungen zielten auch auf die überbetriebliche Mitbestimmung. Soziale Partnerschaft bedeutet, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils den Zuständigkeitsbereich und den Entscheidungsspielraum des anderen anerkennen und auch mit Kompromißbereitschaft gemeinsam zum Wohl des Ganzen beitragen. Ihr habt bereits vieles auf diesem Weg erreicht. Es gilt, das Erreichte zu sichern. Da aber das Prinzip des Vorranges der Arbeit vor dem Kapital, das heißt des arbeitenden Menschen vor den Produktionsmitteln, anzuerkennen ist, muß die Frage des Miteigentums des Arbeiters an den Pro- 650 REISEN duktionsmitteln (vgl. Enzyklika Laborem exercens, Nr. 14) noch weiterentwickelt werden. Grundlage und Orientierung bei diesem Bemühen muß die Soziallehre der Kirche sein. Aus der Geschichte der katholischen Sozialbewegung in eurem Land weiß ich, wie sehr diese Lehre in der Vergangenheit die sozialen Reformen mitbestimmt hat. Mittlerweile sind neue gesellschaftliche Herausforderungen an euch herangetreten, die durchaus mit den bleibenden Grundsätzen der kirchlichen Soziallehre und im Licht heutiger Erfahrungen beurteilt und einer gerechten Lösung zugeführt werden können. Strukturen allein aber gewährleisten keine Gerechtigkeit, auch keine partnerschaftliche Zusammenarbeit. Es kommt auf die persönliche Bereitschaft an, Verantwortung über die Gruppeninteressen hinaus zu übernehmen. Den zahlreichen Frauen und Männern, die sich auf Seiten der Arbeitnehmer wie der Arbeitgeber, oft sogar mit persönlichen Opfern, in den Dienst der gerechten Gestaltung des sozialen und wirtschaftlichen Lebens stellen, gebührt unser hoher Respekt . Von solchem Dienst wird auch in Zukunft die humane Gestaltung der Arbeitswelt, die Regelung gerechter Entlohnung, die Sicherung der Arbeitsplätze und die Leistungsfähigkeit der Unternehmen abhängen. Aktive Mitarbeit ist eine Konsequenz aus der Weltverantwortung der Christen auf der Grundlage eines entschiedenen christlichen Glaubens. Gewerkschaften und Arbeitnehmerverbände sind gut beraten, wenn sie der spezifischen Mitarbeit der Christen einen sicheren Raum geben und deren Gewissensüberzeugungen achten. Letztlich kommt es der Würde aller arbeitenden Menschen zugute, wenn die Interessenverbände alles unterlassen, was Christen ausgrenzt, weil sie es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können. 6. Auf eine Besonderheit möchte ich noch zu sprechen kommen, die das Leben in der Industrielandschaft des Ruhrreviers immer schon geprägt hat: die Offenheit für Kultur und Wissenschaft. In den letzten Jahrzehnten sind vier neue Universitäten im Ruhrgebiet entstanden. Auch die Kirche ist in dem vielfältigen kulturellen Angebot gut vertreten: durch katholische Akademien, Bildungswerke, Familienbildungsstätten, durch die Erziehungs- und Bildungsarbeit der katholischen Verbände, durch katholische Schulen und andere Einrichtungen der Jugendbildung. Wenn wir als Christen den ganzen Menschen emstnehmen, dann ist der von der technischen Arbeitswelt geprägte Mensch in besonderem Maße angewiesen auf die Pflege kultureller Werte, die nicht bestimmt sind von wirtschaftlichem Nutzen und der Vermehrung des materiellen Wohlstandes. Eine stärker vom Kulturellen her bestimmte Gesellschaft wird aber ihre humanen Möglichkeiten nur dort voll entfalten können, wo sie die Hinordnung des Menschen auf Gott als den Grund und die Fülle des 651 REISEN Lebens, als das Fundament der Kultur, anerkennt. Alle schöpferischen Fähigkeiten des Menschen sind eine Teilhabe an Gottes Schaffen und Gestalten. Ohne das Gegengewicht einer geistigen Grundlage und Wertung werden die Arbeit zu: sinnloser Hetze, das Streben nach Fortschritt blind, und das Leistungsstreben verliert sein Maß. Darum muß die werktägliche Arbeit immer wieder Maß nehmen am Sonntag, dem Tag des Herrn. Der recht begangene Sonntag befreit den Menschen aus vielfältigen Zwängen. Als Tag der Feier und der Ruhe schenkt er Zeit für Besinnung und Begegnung mit Gott und den Mitmenschen. Für die Christen ist der Sonntag der Ur-Feiertag, an dem wir uns im Gottesdienst versammeln, um das Wort Gottes zu hören und an der Eucharistiefeier teilzunehmen. So ist der Sonntag von hohem kulturellem und religiösem Wert. Er ist wichtig für die christliche Gemeinde, aber auch für die gesamte Gesellschaft. Darum muß der Sonntag auch in Zukunft geschützt bleiben. Er darf durch keinen anderen Tag ersetzt werden. Hierfür bedarf es der Solidarität der Gewerkschaften und der Unternehmer zum Wöhle der arbeitenden Menschen und ihrer Familien, zum Wohl des kulturellen Niveaus des ganzen Volkes. 7. Wehn die Kirche die hohe Bedeutung der Kultur für das Leben der Menschen betont und in diesem Zusammenhang auch für die Förderung der Wissenschaften eintritt, so erkennt sie damit an, welchen Einfluß die verschiedenen Zweige, darunter; die Naturwissenschaften, für ein gesundes und menschenwürdiges Leben auf der Erde haben: Die Kirche mißtraut nicht der menschlichen Vernunft, die in der von Gott geschaffenen Natur die Spuren Gottes und seine Sinngebung entdecken kann. Sie ermutigt alle Wissenschaftler zu redlichem, sachgerechtem Forschen. Aber um desselben Menschen willen muß sie auch auf die Gefahren hinweisen, die sich aus einer, sogenannten wertneutralen, ethisch abstinenten Forschung und Anwendung ergeben. Angesichts des: gefährlichen militärischen Rüstungspotentials auf der Welt, der Entwicklung immer noch schrecklicherer Vernichtungswaffen und des damit verbundenen Rüstungsexportes, aber auch angesichts der Schädigung von Erde und Luft, von Flüssen und Meeren, von Pflanzen und Tieren durch Produkte, welche unsere technische Zivilisation hervorgebracht hat, angesichts auch der möglichen Manipulationen, welche mit der; Gentechnologie verbunden sind, tauchen bei immer mehr Menschen Zweifel an Sinn und Zielsetzung der modernen Forschung auf. Es muß zu einem neuen Miteinander von Wissen und Gewissen kommen. Die Wissenschaft selbst muß sich bereits an den gottgegebenen, unveräußerlichen Grundrechten des Menschen orientieren und seinem wahren Wohl wie auch der Erhaltung oder Wiederherstellung der geschädigten Natur dienen wollen und darf diese Verantwortung 652 REISEN nicht auf andere abschieben. Die Wissenschaft sollte sich stets als Teil einer sie umgreifenden Kultur verstehen und über die Grenzen ihres spezialisierten Wissens und des jeweiligen geographischen Ortes hinaus nach dem Sinn und der Stellung menschlicher Existenz im Ganzen der Wirklichkeit fragen. Wir müssen mit Gewissen und Verstand und weltweit solidarische Menschen werden. 8. Solidarität — das ist für die Bevölkerung des Ruhrgebietes kein Fremdwort! Verantwortung füreinander und Verantwortung vor Gott ist hier durchaus noch gelebte und bewährte Wirklichkeit. Als Zeugen hierfür stehen unter vielen anderen der Arbeitersekretär Gottfried Könzgen aus Duisburg, zu Tode gekommen im Konzentrationslager Mauthausen, und Nikolaus Groß, Bergmann, Gewerkschaftssekretär und Redakteur, hingerichtet in Berlin-Plötzensee. Sie lebten aus der Gewißheit des Glaubens, daß Christus, das Licht der Welt, stärker ist als alle Dunkelheiten, die das Leben immer wieder zu bedrohen suchen. In einem alten Bergmannslied, das euch im Revier vertraut ist, heißt es : „und er hat sein helles Licht bei der Nacht“. Haltet das Licht des Lebens, das Licht eures Glaubens, fest in Herz und Hand! Dann braucht ihr um das Morgen nicht zu bangen. Gott segne Sie! Glückauf! Grußwort und ,,Engel des Herrn“ auf dem Burgplatz in Essen am 2. Mai Liebe Bürger und Bürgerinnen von Essen, liebe Brüder und Schwestern! Mit großer Herzlichkeit habt ihr mich durch die :Straßen eurer Stadt hier in das Zentrum, zum Burgplatz, geleitet. Ich danke euch sehr dafür und grüße euch alle von Herzen. Während der Fahrt erwachten in mir liebe Erinnerungen an meinen ersten Besuch vor neun Jahren. Damals, im September 1978 — drei Wochen vor meiner Wahl zum Papst —, durfte ich schon im Haus eures verehrten Bischofs Franz Hengsbach zu Gast sein. Die Stadt Essen ist die Metropole des Ruhrgebietes. Von einer Metropole erwartet man, daß von ihr Impulse ausgehen und wirksam werden. Die Kraftquellen dafür liegen in ihrem geschichtlichen Erbe und im Gemeinschaftssinn und Gestaltungswillen ihrer Bürger. Am Anfang eurer Städt steht der heilige 653 REISEN Bischof Altfrid als Gründer des Stiftes Essen, das auch die Keimzelle, der Stadt wurde und damit Ausgangspunkt einer reichen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung. Bereits 50 Jahre vorher, um das Jahr 800, hatte der heilige Bischof Ludger, der Gründer des Bistums Münster, in Werden seine Abtei nach der Regel des heiligen Benedikt errichtet. Das Leben und Werk dieser beiden heiligen Bischöfe seien für euch auch heute Ermutigung und Verpflichtung. Eure Stadtpatrone, die heiligen Ärzte Kosmas und Damian, weisen auf die karitativ-soziale Grundhaltung im Leben der Essener Bürgerschaft hin: Immer hat es hier Menschen gegeben, die sich in vorbildlicher Weise für den Nächsten eingesetzt haben. An Bürgersinn und christlicher Solidarität hat es hier nie gefehlt. Diese Erfahrungen und Vorbilder aus Vergangenheit und Gegenwart haben auch für das menschliche Antlitz der modernen Stadt unverzichtbare Bedeutung. Die räumliche Nähe von Domkirche und Rathaus sollte stets daran erinnern, daß auch in Zukunft die Bemühungen von Stadt und Kirche zum Wohl der Menschen gemeinsam unternommen werden müssen. Das heißt: Die menschenwürdige Stadt der Zukunft kann und darf nur eine Stadt mit Gott sein. In diesem Anliegen wissen wir uns verbunden mit unseren evangelischen Brüdern und Schwestern, aber auch mit den jüdischen Mitbürgern. Ihre altehrwürdige Synagoge in dieser Stadt möge allen ein bleibendes Mahnmal sein, die Würde eines jeden Menschen immer und überall zu schützen und zu verteidigen. Schon das Alte Testament weiß, daß Gott jeden einzelnen beim Namen gerufen hat. Mit besonderem Dank erinnere ich an dieser Stelle ferner an das Werk der ; deutschen Katholiken für die Kirche in Lateinamerika, die Aktion „Adve-niat“, die in Essen ihren Sitz hat. Als sie im Jahre 1961 von der Deutschen Bischofskonferenz gegründet wurde und dann hier im Bischofshaus ihre Arbeit begann, war das der Anfang eines Dienstes der Barmherzigkeit und Solidarität mit der wachsenden Not der Kirche in Lateinamerika. Diese nunmehr von den deutschen Katholiken in 26 Jahren praktizierte Solidarität wird sich — davon bin ich überzeugt — auch in Zukunft bewähren und fruchtbar auswirken. Ich möchte allen danken, die „Adveniat“ seit vielen Jahren unterstützen, den Mitarbeitern, meinen Mitbrüdern im Bischofsamt und besonders Bischof Hengsbach für seine unermüdliche Förderung dieser mutigen und verdienten Initiative. Wenn wir in dieser Stunde unter der leuchtenden Figur des Engels gemeinsam den Angelus, den „Engel des Herrn“ beten, verbinden wir uns mit diesem universalen Gebet mit den Christen der ganzen Kirche. Wenn wir beten: „Und das Wort ist Fleisch geworden“, kommt darin in einzigartiger Weise die Liebe Gottes zu allen Menschen zum Ausdruck. Denn der menschgewordene Gott ist der eigentliche Grund unserer Hoffnung. Diese Hoffnung gibt uns Kraft 654 REISEN zum Handeln. Darauf macht uns Maria, die Mutter des Sohnes Gottes, aufmerksam, die hier in der Essener Münsterkirche seit 1000 Jahren im Bilde der „Goldenen Madonna“ verehrt wird und die ihr gleich nach der Gründung eures Bistums als Mutter vom Guten Rat zu eurer Patronin erwählt habt. Im Blick auf Maria, die Mutter vom Guten Rat, wollen wir jetzt gemeinsam den „Engel des Herrn“ beten: Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft, und sie empfing vom Heiligen Geist. Gegrüßest seist du Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen. Maria sprach: Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort. Gegrüßest seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Gegrüßest seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen. Bitte für uns, heilige Gottesmutter, daß wir würdig werden der Verheißung Christi. Lasset uns beten. — Allmächtiger Gott, gieße deine Gnade in unsere Herzen ein. Durch die Botschaft des Engels haben wir die Menschwerdung Christi, deines Sohnes, erkannt. Laßt uns durch sein Leiden und Kreuz zur Herrlichkeit der Auferstehung gelangen. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn. Amen. 655 REISEN Homilie während der Euchäristiefeier im Gelsenkirchener Parkstadion am 2. Mai Verehrte Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt, liebe Brüder und Schwestern! 1. Der Friede des auferstandenen Herrn sei mit euch allen! Es ist mir eine große Freude, den alljährlich zahlreichen Rompilgern aus dem Bistum Essen nun ihren Besuch in der Heimat erwidern zu können. Vom Hubschrauber aus habe ich die gewaltige Konzentration von Wohnungen und Fabriken, von Verkehrswegen und Verwaltungshochhäusern, von Sportanlagen und Erholungsparks in eurem Land gesehen. Darunter habe ich auch viele Kirchen entdeckt, die von eurer christlichen Vergangenheit und eurem heutigen Glauben zeugen. Das Ruhrgebiet als am dichtesten besiedelte Gegend Europas bietet dazu noch zahlreichen Bürgern aus anderen Ländern Gastfreundschaft und neue Lebensgrundlage. Mögen diese besonders in eurer Ortskirche, in euren Pfarreien und kirchlichen Gemeinschaften heimatliche Geborgenheit und brüderliche Solidarität finden. In aufrichtiger Dankbarkeit für die herzliche Aufnahme, die ihr heute auch mir und meiner Begleitung in eurer Mitte gewährt, begrüße ich euch alle in der Liebe Jesu Christi zu dieser festlichen Vorabendmesse des 3. Ostersonntags: vor allem euren verehrten Oberhirten, Bischof Hengsbach, zusammen mit den anderen anwesenden Bischöfen, die Priester und Ordensleute, die Familien und jeden einzelnen Gläubigen ganz persönlich. Einen besonderen brüderlichen Gruß richte ich auch an die ausländischen Mitchristen, die mit uns die Eucharistie feiern und dadurch unserem Beten und Singen über alle Sprachgrenzen hinaus katholische Weite geben. In der Kirche Jesu Christi sind alle Menschen Brüder und Schwestern und bilden um den einen Altar die große Familie der „Hausgenossen Gottes“. Im gemeinsamen Glauben vereint, rüsten wir uns als pilgerndes Volk Gottes mm zu einer neuen gemeinschaftlichen Begegnung mit Christus, unserem auferstandenen Herrn und Erlöser, in der Eucharistie. 2. Liebe Brüder und Schwestern! Wir befinden uns mitten in der Osterzeit, in der die Kirche Jahr für Jahr in der Liturgie zu jenen Ereignissen zurückkehrt, die ihren eigentlichen Anfang darstellen: der Tod Jesu Christi am Kreuz und seine machtvolle Auferstehung. Den Aposteln war es geschenkt, dem Auferstandenen zu begegnen. Gerade diese Begegnung macht sie zu seinen ersten Zeugen. Die entscheidende Aufgabe des Apostels ist, Christi Auferstehung zu 656 REISEN bezeugen. Vom ersten Augenblick ihrer Berufung an hat Christus sie auf diese Sendung vorbereitet. Das Ostergeschehen von Jerusalem leitet auf diesem Weg der Vorbereitung einen neuen und entscheidenden Abschnitt ein. Die Apostel und Jünger begegnen diesem Jesus, der gekreuzigt wurde, der wirklich gestorben ist und begraben wurde wie jeder andere Mensch — und siehe: Er lebt! Er lebt und hat vertrauten Umgang mit ihnen. Er ist verschieden, aber dennoch derselbe. Sie wagten ihn nicht einmal zu fragen: „Wer bist du? Denn sie wußten, daß es der Herr war“ (Joh 21,12). Diese erste Stufe der österlichen Erfahrung ist von grundlegender Bedeutung. Aus der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn erinnern sich die Apostel, die ja selbst noch in der geistigen Welt des Alten Bundes leben, auf neue Weise an verschiedene wichtige Aussagen der Heiligen Schriften. Sie hören und verstehen sie nun im Lichte Jesu Christi. Ihre wahre Bedeutung war ihnen vorher „verborgen“ geblieben — nun wird ihr Sinn ihnen offenkundig und verständlich . So geschieht es auch mit den Worten von Psalm 16, einem der sogenannten „messianischen Psalmen“. „Ich habe den Herrn beständig vor Augen. Er steht mir zur Rechten, ich wanke nicht. Darum freut sich mein Herz und frohlockt meine Seele; und mein Leib wird wohnen in Sicherheit. Denn du gibst mich nicht der Unterwelt preis; du läßt deinen Frommen nicht das Grab schauen.“ (Ps 16,8-10). . Von wem spricht der Psalmist, der König und Prophet David, in diesem Psalm? Etwa von sich selbst? Auf keinen Fall! Sagt doch Petrus in der Apostelgeschichte von David: „Er starb und wurde begraben, und sein Grabmal ist bei uns erhalten bis auf den heutigen Tag‘ ‘ (Apg 2,29). Im Licht der österlichen Ereignisse wird den Aposteln vielmehr klar, daß der Psalmist hier von Christus spricht. Er spricht „vorausschauend über die Auferstehung Christi“ (Apg 2,31). Was unter dem Schleier der inspirierten Worte des Alten Bundes verborgen war, hat nun durch Christus seine wahre Bedeutung, seinen vollen Sinn erhalten. Er ist durch das neue Verständnis der Apostel und Jünger enthüllt worden. 3. Vor den versammelten Bewohnern von Jerusalem und den Besuchern aus vielen anderen Ländern erweist sich am Pfingsttag, daß Gottes Geist aus diesem neuen Bewußtsein der Gefährten Jesu endgültige Gewißheit gemacht hat: Christus ist wahrhaft auferstanden! Die erste öffentliche Predigt des Petrus ist ein wunderbarer Beweis für diese unerschütterliche Glaubensüberzeugung, die in ihm und in den anderen Aposteln aus der Begegnung mit dem auferstandenen Christus herangereift ist.' 657 REISEN Petrus nimmt ausdrücklich Bezug auf den messianischen Psalm Davids; denn er spricht ja zu Menschen, die wie er mit diesen Heiligen Schriften groß geworden sind. Auf diesen gemeinsamen Boden gründet er sein Zeugnis über Christus, das den Anfang der gesamten Evangelisierung und Katechese in der apostolischen Kirche darstellt. Petrus sagt: ■ „Jesus von Nazaret, den Gott vor euch beglaubigt hat durch machtvolle Taten, Wunder und Zeichen, die er durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr selbst wißt — ihn, der nach Gottes beschlossenem Willen und Vorauswissen . hingegeben wurde, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und umgebracht. Gott aber hat ihn von den Wehen des Todes befreit und auferweckt; denn es war unmöglich, daß er vom Tod festgehalten wurde“ (Apg 2,22-24). Durch dieses Zeugnis der Apostel über Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen, beginnt dann der Weg des Evangeliums in alle Welt. Es gelangt über alle Grenzen und Hindernisse hinweg schließlich auch in euer Land. Eure Vorfahren haben sich diesem weltweiten Pilgerweg des christlichen Glaubens angeschlossen. Sie haben das Zeugnis der Apostel und ihrer Nachfolger angenommen und sind in die Gemeinschaft der Gläubigen eingetreten. Wie schon in Jerusalem wurde auch hier aus derselben Wurzel des Ostergeschehens die Kirche geboren. 4. Die Anfänge der Kirche in eurem Land reichen zurück bis in die ersten christlichen Jahrhunderte. Die ältesten Märtyrergräber, die ihr in einigen Kirchen eurer weiteren Heimat hütet, stammen sogar schon aus der Römerzeit. Der christliche Glaube hat auch in eurem Volk bald tiefe Wurzeln geschlagen und reiche Früchte eines lebendigen religiösen Lebens und der Heiligkeit hervorgebracht. Eure heiligen Bischöfe Altfrid und Ludgerus sind leuchtende Beispiele dafür. Ihr dürft stolz darauf sein, ihre Gräber in dieser Diözese verehren zu können. In allen Jahrhunderten haben sich aus eurer Mitte Männer und Frauen erhoben, die den Ruf Jesu angenommen und sich persönlich zu eigen gemacht haben: „Ihr werdet meine Zeugen sein ... bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8) — und das bis in unsere Gegenwart. Zeugen aus eurem Land, die euch den Weg zeigen, echte Jünger Christi in unserer Zeit zu sein, kann ich in diesen Tagen im Namen der Kirche besonders ehren. Gestern: die Karmelitin Edith Stein in Köln; morgen: den Jesuitenpater Rupert Mayer in München. Sodann galt mein Besuch auch dem Grab des mutigen Bekenherbischofs Clemens August Graf von Galen in Münster. Aber auch aus eurer engeren Heimat sind Namen zu nennen, Männer aus der Welt der Arbeit, die sich durch ihr heroisches Glaubenszeugnis ausgezeichnet ha- 658 REISEN ben: der Bergmann, Journalist und Widerstandskämpfer Nikolaus Groß, der Duisburger Arbeitersekretär Gottfried Könzgen, der Gewerkschaftler und Schriftleiter Bernhard Letterhaus. Sie haben ihr Leben für ihren Glauben und ihre Kirche hingegeben. Zahlreiche Priester und Laien waren mit ihnen standhafte Zeugen gegen den Ungeist einer gottlosen und menschenverachtenden Diktatur. Diese Zeugen ermutigen jeden von uns, selbst für Christus unerschrocken Zeugnis zu geben in der Familie, im Wohnviertel, im Beruf, in der Schule, in Arbeit und Freizeit. Das Wort des Herrn: „Ihr werdet meine Zeugen sein“ muß jede Generation von Christen neu beunruhigen und beflügeln. 5. Liebe Brüder und Schwestern! Der Aufruf, Zeugen Christi zu sein, erreicht uns aus dem Munde des auferstandenen Herrn. Vor seiner Himmelfahrt gibt er uns noch die feste Versicherung: „Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Als österliche Menschen sind wir heute von dem in unserer Mitte anwesenden Herrn in unsere Welt und unsere Zeit gesandt, um von ihm und seiner erlösenden Wahrheit vor unseren Mitmenschen Zeugnis zu geben. Wie im heutigen Evangelium steht Jesus auch am Ufer unserer Zeit, am Ufer des Lebens eines jeden von uns. Er hat das Feuer schon angezündet. Viele haben ihn jedoch noch nicht erkannt. Es geht ihnen wie den Jüngern, die zunächst nocht „nicht wußten, daß es Jesus war“. Aber das Zeugnis und die Erkenntnis von seiner erlösenden Gegenwart sind nicht mehr aufzuhalten: Ohne ihn gibt es keinen Halt und keine Hoffnung. Ohne ihn ist alle menschliche Mühe vergeblich und wird der Hunger der Menschen nicht gestillt. Ohne ihn öffnet sich keine Tür jenseits des Todes. Christus ist in die Welt gekommen und als der auferstandene Herr unter uns gegenwärtig, „damit wir das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Um von Christus und seinem neuen Leben wirksam Zeugnis geben zu können, müssen wir uns zuerst selbst von ihm ganz ergreifen lassen. Wie die Jünger am See von Tiberias sind jedoch auch wir immer wieder versucht, kleingläubig zu werden und aufzugeben. Obwohl jene die Botschaft von der Auferstehung Jesu schon von Maria Magdalena gehört hatten, obwohl sie ihm selber verschiedene Male leibhaftig begegnet waren, kehrten sie wieder zu ihren Booten zurück, als ob nichts geschehen wäre. Es klingt nach Resignation: „Ich gehe fischen ... wir kommen auch mit.“ Der Aufbruch zu neuen Ufern in der Nachfolge Christi scheint vorbei. Und selbst in ihrem kleinen begrenzten Erfahrungsbereich als Fischer am See bleiben sie ohne Erfolg: „In dieser Nacht fingen sie nichts.“ Obwohl die Jünger sich die ganze Nacht äbgemüht hatten, blieb ihr Netz leer. Diese Erfahrung der Erfolglosigkeit, die leicht zu Mutlosigkeit führt, wird heute von vielen Menschen geteilt: in der Gesellschaft, in der Welt der Arbeit, aber auch in der Kirche. Trotz größter Anstren- 659 REISEN gungen fiir die Erhaltung der Arbeitsplätze im Kohlenbergbau muß eine Zeche nach der anderen geschlossen werden. Wie viele Bewerbungen mögen Jugendliche auf ihrer Suche nach Arbeit schreiben und erhalten nichts als Absagen! Und in der Kirche? Es wurde in den letzten Jahren mehr für die Erneuerung des religiösen Lebens beraten und getan als zuvor, aber die Kirchen wurden leerer, das religiöse Interesse und das christliche Glaubenszeugnis gehen zurück. Kreuzweg und Grablegung bleiben dem oft nicht erspart, der es lernen muß, seine ganze Hoffnung auf die Auferstehung durch Gott zu setzen. Es scheint, der Herr müsse uns unsere eigenen Mittel nehmen, damit unser Blick frei wird für ihn. Denn er sucht unsere Gemeinschaft. Wie es in der Frohen Botschaft des heutigen Evangeliums heißt: „Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer.“ Er braucht zuerst die ehrliche Antwort der Jünger, das Eingeständnis der eigenen Ausweglosigkeit und Ohnmacht: „Habt ihr nicht etwas zu essen? Sie antworteten ihm: Nein.“ Dann folgt die göttliche Hilfe: „Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus, und ihr werdet etwas fangen. Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es“(Joh 21,4-6). Plötzlich tritt der auferstandene Herr als lebendige Wirklichkeit in ihr Leben und verwandelt es, gibt allem einen neuen Sinn und oft eine unerwartete tiefere Erfüllung. 6. Laßt, liebe Mitchristen an der Ruhr, Christus, den Auferstandenen, auch in euren Lebensraum wieder machtvoll eintreten. Öffnet ihm erneut die Tore eurer Gesellschaft, eurer Gemeinden und Familien, eures persönlichen Lebens. Mut zur Zukunft, Zuversicht, Überwindung von Resignation und gemeinsames Handeln sind Tugenden, die wir von den Fischern aus ihrer Begegnung mit dem Herrn am See von Tiberias lernen können. Diese sind auch eine gute Voraussetzung für eine menschengerechte Zukunft des Ruhrgebietes. Lassen wir uns aber vor allem durch das Beispiel des Petrus begeistern und mitreißen. Er sprang in den See, um schneller beim Herrn zu sein. Ich möchte euch zurufen: Zögert auch ihr nicht, zu Christus, dem Herrn, zu kommen. Zu viele Menschen stehen da und ahnen vielleicht etwas von der neuen, weltverwandelnden Lebenskraft des Mannes am Ufer, aber sie zögern. Sie haben sich ihr Leben anders eingerichtet, sie scheuen den prüfenden Blick Jesu Christi. Zu viele stehen da und wissen schon etwas mehr vom Herrn und seinem geheimnisvollen Feuer, aber sie springen nicht. Gewiß haben viele junge Männer den Ruf zum Priestertum, zum Menschenfischersein gehört, aber sie sind unentschlossen, weil sie sich selbst oder dem Netz der Kirche oder der Erscheinung des Herrn am Ufer nicht trauen. Zu viele junge Mädchen fahren kreuz und quer auf dem See ihres Lebens umher, und während die Netze der 660 REISEN Ordensgemeinschaften immer weitmaschiger werden, lassen sie den Herrn allein am Ufer stehen. Ihr Eltern, bekennt euch zu Christus durch eine christlich gelebte Ehe und Familie. Die Kirche zeigt euch dazu in ihrer Lehre den gottgewollten Weg. Werdet selbst Apostel für eure Kinder, indem ihr ihnen euren überkommenen Glauben gewissenhaft weitervermittelt. Ihr Verantwortlichen und Werktätigen, übt christliche Rücksichtnahme und Solidarität in der rauhen Welt der Arbeit, besonders mit den Arbeitslosen. Bekennt euch alle in tätiger Hilfsbereitschaft zu den kranken und alten Menschen, zu den Entrechteten und Ausgestoßenen in eurer Gesellschaft. Es ist Christus, der Herr, der euch als seine Zeugen der Botschaft der Liebe und Versöhnung in Dienst nehmen möchte. Was ich über die Tugenden gesagt habe, die eurer Heimat eine verheißungsvolle Zukunft geben können, das gilt erst recht vom Glaubensmut. In solch gläubigem Einsatz hat die katholische Bevölkerung des Ruhrgebietes unter großen Opfern eine imponierende Zahl von Kirchen gebaut, ebenso von Krankenhäusern und karitativen Einrichtungen. Laßt diese nicht zu Denkmälern aus einer vergangenen Welt werden oder zu Institutionen, denen ihr christlicher Ursprung nicht mehr anzumerken ist. Füllt sie vielmehr mit Liebe und Leben. Laßt sie zu Knotenpunkten eines Netzes werden, das nicht zerreißt, zu Stätten der Offenbarung österlicher Lebenskraft, die auch heute die Welt zu verwandeln vermag. Wißt aber vor allem, daß vor aller Tüchtigkeit und Treue im Reich Gottes noch ein neues Gesetz gilt: Der Erfolg ist nicht Ergebnis von Tugend und Leistung, sondern Geschenk. Der reiche Fischfang der Jünger ist nicht ein Rekord, sondern eher ein Symbol. In der geheimnisvollen Zahl wird die Osterwirklichkeit anschaulich: Fülle statt Leere, Erfüllung statt Vergeblichkeit — und zwar in der Kraft des auferstandenen Herrn. 7. Liebe Brüder und Schwestern! Unser Blick auf das österliche Geschehen am See von Tiberias läßt uns unser eigenes Christsein tiefer verstehen. Christus, der Gekreuzigte und Gestorbene, der lebt, ist uns als der Auferstandene heute ebenso gegenwärtig wie damals seinen Jüngern, auch hier in der Welt der Rohstoff- und Energiegewinnung, der Produktion und des Handels an Rhein, Ruhr und Emscher. Es gilt nur, ihm unter uns wieder volles Heimatrecht zu gewähren und ihn erneut in unserer Mitte willkommen zu heißen. Ebenso ist das im Evangelium Berichtete nicht ferne Vergangenheit, sondern lebendige Gegenwart. „Jesus sagte zu ihnen: Kommt her und eßt!... Jesus trat heran, nahm Brot und gab es ihnen (ebenso den Fisch).“ Das geschieht hier und jetzt. So imponierend die Kohlenfeuer des Ruhrgebietes sind, das geheimnisvolle Kohlenfeuer im Evangelium brennt weiter in allen Kontinenten und zu allen Zeiten. Es sorgt dafür, daß die Welt nicht erkaltet, weil die Liebe 661 REISEN selbst sich hier verteilt in der unscheinbaren Gestalt von Brot. Sorgt, daß ihr nicht erfriert im Egoismus und Konkurrenzkampf, im Leerlauf der Betriebsamkeit und Vergnügungsjagd, sondern kommt zum Osterfeuer der heiligen Messe, laßt den Sonntag, den Tag des Herrn, nicht ausbluten, laßt das wärmende und leuchtende Kohlenfeuer am Ufer eures Lebens nicht erlöschen. Laßt Christus nicht allein am Ufer stehen. Ihr sorgt euch, daß die Förderbänder laufen und die Feuer in den Stahlwerken nicht erlöschen, weil euch die Sorge um die Arbeitsplätze drückt. Ich teile eure Sorge. Teilt ihr auch meine Sorge, daß die Feuer des Glaubens nicht herunterbrennen, daß nicht Asche bleibt statt Glut. Petrus bekam vom Herrn den Auftrag: „Stärke deine Brüder!“ (Lk 22,32). Hört heute auf die Stimme des Petrus unter euch: Glaubt an die Zukunft eurer Heimat! Glaubt an die Zukunft der Kirche! Glaubt an den auferstandenen Herrn und Heiland Jesus Christus, der uns versichert hat, immer bei uns zu seinfalle Tage bis zum Ende der Welt. Amen. Kurzes Grußwort an die Jugend in der Eucharistiefeier im Gelsenkirchener Parkstadion am 2. Mai Bevor wir am Ende dieser Eucharistiefeier Gottes Segen erbitten, möchte ich noch ein besonderes Wort an die hier anwesenden Jugendlichen und an die ganze Jugend in eurem Land richten. Liebe junge Freunde! Von Herzen grüße ich euch noch eigens bei diesem festlichen Gottesdienst und auch daheim in euren Gemeinden und Verbänden. Christus ist unsere gemeinsame Berufung. Er ist wirklich in unserer Mitte: in seiner Kirche, besonders in der Eucharistie. Er möchte sich ganz uns schenken, um uns zu seinen Freunden und Jüngern zu machen. Die innige Beziehung, die Christus mit uns eingehen will, ist die einzige Freundschaft, die nie enttäuschen kann. Jesus ist treu; er hält, was er verspricht. Deshalb ist Christus euer wahrer Freund. Ihr werdet keinen treueren Weggefährten finden. Laßt darum auch eure Antwort an ihn nicht kleinlich sein. Reicht ihm nicht nur euren kleinen Finger! Öffnet ihm weit die Türen eurer eigenen Freundschaft! Man zahlt Großes nicht mit kleiner Münze zurück. Gebt ihm euer Herz, euren Kopf, eure Hände! Und wenn er dich persönlich in seine engere Nachfolge ruft, so versage ihm deine 662 REISEN Gefolgschaft nicht. Mit Christus gibt es kein Verlustgeschäft! Er gibt euch so reichlich, daß ihr davon noch andere bereichern und mit ihm die Welt verändern könnt. Die Welt ist arm geworden in den menschlichen Beziehungen. Darum bemüht euch um Verläßlichkeit, Treue, Wahrhaftigkeit und Solidarität, auch wenn in der Gesellschaft oft Eigennutz, Gewinnstreben, Rücksichtslosigkeit und Egoismus das Leben bestimmen wollen. Denkt insbesondere auch an eure Kameraden ohne Ausbildungsplatz und ohne Arbeit, an die Ausländer, an Behinderte, an Jugendliche in schwierigen familiären Verhältnissen, aber auch an die Menschen in der Dritten Welt, die sich nach Gerechtigkeit und Frieden sehnen und dafür große Opfer bringen müssen. Ich freue mich heute besonders, daß so viele Pfadfinder und Pfadfinderinnen zu dieser Eucharistiefeier gekommen sind. Euch möchte ich, wie letztes Jahr euren italienischen Freunden, sagen: „Erweist euren Dienst immer und überall jedem Menschen, der ihn braucht, selbstlos und großzügig. So erfüllt ihr das Testament eures Gründers, Sir Robert Powell, in dem es heißt: ,Die echte Weise, glücklich zu sein, besteht darin, andere glücklich zu machen1.“ Liebe Jugend! Freunde haben sich etwas zu sagen, es drängt sie immer wieder zu Gesprächen. Das gilt auch in der Freundschaft mit Christus. Im Gebet suchen wir das Gespräch mit ihm. Christus können wir alles sagen, was uns bewegt; ihn dürfen wir um alles bitten, was wir nötig haben. Im Gebet bleibt unsere Freundschaft mit Christus lebendig. Gleich nach der heiligen Messe wollen wir alle gemeinsam hier im Stadion den Rosenkranz beten. Dieses Gebet, das in seinen Ursprüngen auch auf den Raum des Bistums Essen zurückgeht, ist für unzählige Menschen bis auf den heutigen Tag Zeichen und Mittel inniger Verbundenheit mit Christus. Gerade in schweren Zeiten, in Bedrängnis, Verlassenheit, Krankheit und Todesnot haben Menschen immer wieder zum Rosenkranzgebet ihre Zuflucht genommen, in ihm Trost und neue Kraft gefunden. Wir wollen uns heute ganz bewußt in diese Kette der Beter durch die Jahrhunderte einreihen. Maria, die Mutter Jesu und unsere Mutter, hilft uns dabei, Jesus nicht aus den Augen zu verlieren, wenn wir uns — wie sie —, offen für das Wort Gottes und treu unserer Berufung, von Christus ergreifen lassen. Dabei begleite auch ich euch mit meinem besonderen Gebet und Segen. 663 REISEN Homilie bei der Seligsprechung von Pater Rupert Mayer im Olympiastadion München am 3. Mai Gelobt sei Jesus Christus! „Seht, ich sende euch (Mt 10,16) werdet stark durch die Kraft und Macht des Herrn!“ (Eph 6,10). Verehrte Mitbrüder, liebe Brüder und Schwestern! 1. Der Aufruf des Apostels Paulus zur Stärke im Herrn ist gleichsam die angemessene Ergänzung jener Worte, die Jesus bei der ersten Aussendung der Apostel spricht. Die Kirche nimmt beide Texte heute als Lesungen für die Liturgiefeier, in der ich euren Landsmann, den Jesuitenpater Rupert Mayer seligsprechen darf; hier in der Stadt München, mit der sein Leben und priester-licher Dienst auf das engste verbunden sind. Erst vor eineinhalb Jahren konnte ich in Rom die bayerische Ordensfrau Schwester Maria Theresia von Jesu Gerhardinger zur Ehre der Altäre erheben, die ebenfalls in dieser Stadt gelebt und weltweit gewirkt hat. Es ist mir deshalb eine besondere Freude, heute wiederum einen aus eurer Mitte im Namen der Kirche den Gläubigen zur Verehrung und Nachahmung vor Augen zu stellen. Pater Rupert Mayer wird zu Recht „Apostel Münchens“ genannt. Aber das Licht seines Lebens und Wirkens leuchtet weit über diese Stadt hinaus in die weite Welt. Von Herzen grüße ich alle, die sich hier eingefunden haben, um im festlichen Gottesdienst gemeinsam mit uns diesen Gnadentag zu begehen. Nicht wenige davon haben unseren neuen Seligen gewiß noch persönlich gekannt. Mein brüderlicher Gruß gilt vor allem dem verehrten Herrn Erzbischof von München und Freising, Kardinal Friedrich Wetter sowie allen anwesenden Kardi-nälen und Bischöfen, den Priestern und Ordensleuten; darunter besonders den Patres und Brüdern der Gesellschaft Jesu, der unser Seliger angehört hat, und den Schwestern der Heiligen Familie, deren Mitbegründer und langjähriger Spiritual er gewesen ist. Ich grüße ferner seine Landsleute aus der Heimatdiözese Rottenburg und die Mitglieder der Marianischen Männerkongregation, die in ihrem früheren Präses nun einen mächtigen himmlischen Fürsprecher erhalten; ebenso die Vertreter aus Staat und Gesellschaft sowie alle Gäste von nah und fern, die durch ihre Anwesenheit das Andenken dieses mutigen Glaubenszeugen ehren. 664 REISEN 2. Die Worte des heutigen Evangeliums, die Christus bei der ersten Aussendung an die Apostel gerichtet hat, scheinen im Leben und Wirken des Dieners Gottes Rupert Mayer eine neue Aktualität zu gewinnen. Christus sagt: „Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben!“ Und darauf: „Nehmt euch aber vor den Menschen in acht“ {Mt 10,16f.). Wie vielsagend sind doch diese Worte: Ich sende euch zu den Menschen — und zugleich: Ich warne euch vor den Menschen. Und warum warnt Christus seine Jünger vor ihnen? „Sie werden euch vor die Gerichte bringen ... Ihr werdet um meinetwillen vor Statthalter und Könige geführt...“ {Mt 10,17f.). Als Rupert Mayer sich im Jahre 1900 als junger Priester zum Eintritt in die Gesellschaft Jesu entschloß, galten die Jesuiten noch offiziell als „Reichsfeinde“, die durch Gesetz des Landes verwiesen und verboten waren. Er selbst bezeichnet sie als „Geächtete, Verbannte und Heimatlose“, da ihnen nicht gestattet war, im damaligen Reichsgebiet eigene Niederlassungen zu gründen und zu unterhalten. Die mächtig geschürte antikatholische Hetze und Aktivität gegen den Orden — statt ihn abzuschrecken — bestärkte ihn vielmehr noch in seinem Willen, sich dieser so geschmähten Gesellschaft Jesu anzuschließen. Durch seinen baldigen Ruf nach München wurde Pater Mayer in zunehmendem Maße mit antireligiösen und antikirchlichen Strömungen, mit einer Atmosphäre von Hohn und Haß gegen Christus und die Kirche konfrontiert, in der es immer mehr Mut und Tapferkeit erforderte, den katholischen Glauben frei zu bekennen. Je offenkundiger und brutaler in jenen Jahren der Kampf gegen Religion und Kirche wurde, ein um so entschiedenerer und unerschrockenerer Kämpfer für die Wahrheit des Glaubens und für die Rechte der Kirche wurde unser neuer Seliger. Wir hörten in der Lesung aus dem Epheserbrief die Worte des Apostels: „Legt die Rüstung Gottes an, damit ihr am Tag des Unheils standhalten, alles vollbringen und den Kampf bestehen könnt ... Gürtet euch mit Wahrheit... Vor allem greift zum Schild des Glaubens ... Nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes!“ {Eph 6,13-17). Was der Apostel hier empfiehlt, hat Rupert Mayer in hervorragender Weise getan. Er hat Gottes Rüstung angezogen und sie bis zu seinem Tod nie mehr abgelegt. Unerschrocken und unbeugsam kämpfte er für die Sache Gottes. Als unbestechlicher Zeuge der Wahrheit widerstand er den Lügenpropheten jener Jahre ins Angesicht, immer bereit, für das Evangelium vom Frieden zu kämpfen. Ausgerüstet mit dem Schild eines tiefen, unbeirrbaren Glaubens führte er in seinen berühmten Predigten das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes. Es gab Monate, in denen er bis zu siebzigmal predigte. 665 REISEN 3. „Wenn man euch vor Gericht stellt, macht euch keine Sorgen sagtJe-sus weiter zu den Aposteln. Rupert Mayer wußte, daß nach 1933 seine Predigten von der Polizei überwacht wurden. Trotzdem verkündete er die Wahrheit ungeschminkt und unverkürzt. Als er gefangengenommen wurde, gab er vor der Geheimen Staatspolizei zu Protokoll: „Ich erkläre, daß ich im Falle meiner Freilassung trotz des gegen mich verhängten Redeverbotes nach wie vor sowohl in den Kirchen Münchens als auch im übrigen Bayern, aus grundsätzlichen Erwägungen heraus, predigen werde.“ Er konnte nicht schweigen, ebensowenig wie der Apostel Paulus, der sagte: „Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“ (1 Kor 9,16). Bereitwillig nahm unser Seliger dafür Gefängnis und Konzentrationslager auf sich. Er schrieb auf den Fragebogen, den er im Gefängnis auszufüllen hatte: „Ich bin mit diesem Los keineswegs unzufrieden: ich empfinde es nicht als Schande, sondern als Krönung meines Lebens.“ Und aus der Gestapo-Haft vor der Einlieferung in das Konzentrationslager Sachsenhausen berichtet er: „Als die Gefängnistür eingeschnappt war und ich allein in dem Raum war, in dem ich schon so viele Stunden zugebracht hatte, kamen mir die Tränen in die Augen, und zwar waren es Tränen der Freude, daß ich gewürdigt wurde, um meines Berufes willen eingesperrt zu werden und einer ganz ungewissen Zukunft entgegenzusehen.“ Das ist nicht die Stimme eines lediglich tapferen Menschen, sondern eines Christen, der stolz darauf ist, am Kreuz Christi teilzuhaben. Vorgestern habe ich in Köln die Karmelitin Schwester Teresia Benedicta a Cruce, die vom Kreuz Gesegnete, seliggesprochen. Beide Selige gehören zueinander. Denn auch euer Münchener Seliger, Pater Rupert Mayer, war vom Kreuz gesegnet. In einem Brief aus dem Gefängnis an seine betagte Mutter lesen wir: „Jetzt habe ich wirklich nichts und niemanden mehr als den lieben Gott. Und das ist ja genug, ja übergenug. Wenn die Menschen doch einsehen wollten, es gäbe viel mehr Glückliche auf Erden.“ In der Einsamkeit seiner Haft galt das ganze Mühen von Pater Rupert Mayer der Vertiefung seiner inneren Bindung an Gott. In völliger Hingabe an ihn suchte er alle Bedrängnisse und Nöte für seine innere Erneuerung und Heiligung fruchtbar zu machen. Als Angeklagter vor seinen Richtern erfuhr er die tröstende und stärkende Nähe Gottes, die Christus seinen Zeugen verheißen hat:,,... macht euch keine Sorgen, wie und was ihr reden sollt. Nicht ihr werdet dann reden, sondern der Geist eures Vaters wird durch euch reden“ (Mt 10,19f.). 4. Diese Worte Jesu sind eine Vorankündigung der Lebensgeschichte der Apostel, der besonderen Gegenwart Gottes in ihrem Wirken, vor allem in ihrem Glaubenszeugnis. Sie bewahrheiten sich schon in jener Begebenheit, von 666 REISEN der die heutige erste Lesung spricht. Am Pfingstfest „trat Petrus auf, zusammen mit den Elfi (Apg 2,14) und sprach zum ersten Mal zu den versammelten Bewohnern von Jerusalem und den Besuchern, die zum Fest gekommen waren. Er legte Zeugnis ab für Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen. Ist es aber wirklich nur Petrus, der an diesem bedeutungsvollen Tag spricht? Oder ist es vielleicht „nicht nur Petrus“? In der Tat! Durch Petrus spricht zugleich der Geist des Vaters und des Sohnes. Ebenso scheinen die Worte des Psalmisten und Königs David, die Petrus anführt, nicht nur von diesem, sondern auch von unserem neuen Seligen gesprochen zu werden: „Du zeigst mir die Wege zum Leben, du erfüllst mich mit Freude vor deinem Angesicht“ (Apg 2,28). Selbst inmitten großer Bedrängnis erfahrt Pater Rupert Mayer Gott als innere Kraft und beglückende Erfüllung seines Lebens. Zugleich wird er aus dieser tiefen Verbundenheit mit Gott in den Zeiten großer Not selbst für viele Menschen zum Quell des Trostes, zum Vermittler neuer Hoffnung und Zuversicht, zum Vater der Armen, die ihn ihren 15. Nothelfer nannten. Wie sich die Menschen einst um Jesus scharten und bei ihm Hilfe fanden, strömten sie mit allen ihren Nöten auch zu ihm. Sechzig, siebzig Hilfesuchende klopften täglich an seine Tür. Mit offenem Herzen nahm er sie alle auf. Viele Stunden verbrachte er auch im Beichtstuhl, zu dem sich die Menschen drängten, um Hilfe in ihren geistlichen Nöten zu suchen. „Es muß Wärme von uns ausgehen, den Menschen muß es in unserer Nähe wohl sein, und sie müssen fühlen, daß der Grund dazu in unserer Verbindung mit Gott liegt.“ Mit diesem Wort sagt uns der neue Selige, worum es ihm im Dienst an den Armen ging: Er wollte Gottes Liebe sichtbar und erfahrbar machen und die Menschen spüren lassen, daß sie von Gott selbst geliebt sind. Seine Güte und Hilfsbereitschaft war von solcher Kraft, daß er es auch ertrug, wenn sie einmal mißbraucht wurden. Als man ihn darauf aufmerksam machte, gab er zur Antwort: „Wer noch nicht angeschmiert wurde, hat nie etwas Gutes getan.“ Die Torheit seiner Liebe ist Teilhabe an der Torheit des Kreuzes, in der sich der liebende Gott uns zugewandt hat, um uns alle an sich zu ziehen. 5. Der Grundsatz, dem Pater Rupert Mayer zeitlebens treu geblieben ist, lautet: „Christus, der Mittelpunkt unseres Lebens. Zwischenlösungen gibt es nicht.“ Was er war, das wollte er ganz sein. Diese seine Entschiedenheit in der Nachfolge Christi hat ihn auf den Weg der Heiligkeit geführt. Gemäß dem Wahlspruch seines Ordens: „Alles zur größeren Ehre Gottes“ ging es ihm vor allem um Gottes Ehre und damit um die Rechte Gottes. „Der Herrgott hat das erste Anrecht auf uns“, sagte er. Und er wußte, daß er damit auch für die Rechte und Würde des Menschen kämpfte. 667 REISEN Wir hören heute viel von Menschenrechten. In sehr vielen Ländern werden sie verletzt. Von Gottesrechten aber spricht man nicht. Und doch gehören Menschenrechte und Gottesrechte zusammen. Wo Gott und sein Gesetz nicht geehrt werden, erhält auch der Mensch nicht sein Recht. Wir sehen das deutlich am Verhalten der nationalsozialistischen Machthaber. Sie kümmerten sich nicht um Gott und verfolgten seine Diener; und so gingen sie auch unmenschlich mit den Menschen um, in Dachau vor den Toren Münchens wie in Auschwitz vor den Toren meiner früheren Bischofsstadt Krakau. Auch heute gilt: Gottesrechte und Menschenrechte stehen und fallen miteinander. Unser Leben ist nur dann in Ordnung, wenn unser Verhältnis zu Gott in Ordnung ist: Deshalb sagte Pater Rupert Mayer in den weltweiten Bedrängnissen des letzten Krieges: „Die heutige Zeit ist eine furchtbar ernste Mahnung für die Völker der Erde, zurückzukehren zu Gott. Es geht nicht ohne Gott!“ Dieses Wort unseres Seligen hat auch heute nichts an Gewicht verloren. Auch heute gilt es, Gott zu geben, was Gottes ist. Dann wird auch dem Menschen gegeben werden, was des Menschen ist. 6. Liebe Brüder und Schwestern! Die Seligen und Heiligen der Kirche sind Gottes lebendige und gelebte Botschaft an uns. Deshalb stellt sie uns diese zur Verehrung und Nachahmung vor Augen. Öffnen wir uns also heute jener Botschaft, die uns der neue Selige Rupert Mayer durch sein Wort und Wirken so anschaulich verkündet. Suchen wir wie er in Gott die Mitte und Quelle unseres Lebens. Auf Gott baute er in unerschütterlichem, kindlichem Vertrauen. „Herr, wie du willst, soll mir gescheh’n, und wie du willst, so will ich gehn, hilf deinen Willen nurversteh‘n, so lautet der erste Vers seines Lieblingsgebetes. Gott, der Herr, war die Quelle, aus der er in langen Stunden des Gebetes, in der heiligen Messe und in der täglichen treuen Pflichterfüllung die Kraft schöpfte für sein erstaunliches Lebenswerk. Suchen auch wir aus derselben Kraftquelle unser Leben und unsere Umwelt zu gestalten. Der selige Rupert Mayer ist für uns alle ein Vorbild und Anruf, ein heiliges Leben zu führen. Heiligkeit ist nicht eine Sache für einige auserwählte Seelen; zur Heiligkeit sind wir alle berufen, alle ohne Ausnahme. Und er selber sagte uns auch, was zu einem heiligen Leben gehört: „Keine außergewöhnliche Arbeit, keine außergewöhnlichen religiösen Erlebnisse, keine Erscheinungen. Nur: Heroische Tugend .“Das heißt: Tag für Tag treu und un-berirrt Gottes Willen tun und aus seiner Gegenwart leben; jeder ganz persönlich und auch in der Familie. Wir wissen, wie unserem Seligen besonders die christliche Familie am Herzen lag und er zu ihrer Förderung mit zwei anderen Priestern sogar eine eigene Schwesterngemeinschaft gegründet hat. Die hohe Zahl der Ehescheidungen und die geringe Kinderzahl zeigen, welch großen 668 REISEN Belastungen und Bedrohungen die Familie in der heutigen Gesellschaft ausgesetzt ist. In euren Familien aber entscheidet sich die Zukunft eures Volkes, auch die Zukunft der Kirche in eurem Volk. Haltet zusammen, daß die Familien gestärkt werden. Haltet die Ehe heilig und laßt die eheliche Liebe fruchtbar werden in den Kindern, die Gott euch schenken will. 7. Sein Leben heiligen heißt aber auch, sich für das öffentliche Leben mitverantwortlich zu fühlen und es aus dem Geiste Christi mitzugestalten. Keinem Christen darf es gleichgültig sein, wie es in der Welt zugeht. Männer, Frauen und meine jungen Freunde, euch alle rufe ich auf: Setzt euch wie Rupert Mayer für Gottes Rechte und Gottes Ehre auch in der Öffentlichkeit ein. Laßt nicht zu, daß die Entchristlichung weiter um sich greift. Seid Salz der Erde und tragt das Licht der Wahrheit Gottes in alle Bereiche des Lebens hinein. Das ist der Dienst, den wir der Welt schulden. Es geht nicht ohne Gott! Habt nach dem Vorbild unseres Seligen vor allem auch ein Herz für die Armen.: Ihr lebt in einem Land, das zu den wohlhabendsten Ländern der Erde gehört. Laßt euer Herz durch euren Besitz nicht stumpf werden für die Not der Hilfsbedürftigen und Vergessenen am Rande eurer Gesellschaft und in aller Welt, Macht auch ihr durch eure Güte Gottes Liebe sichtbar und erfahrbar unter euren Mitmenschen. Liebe Schwestern von der Heiligen Familie, eure Gemeinschaft wurde durch Pater Rupert Mayer nicht nur mitgegründet, sondern vor allem auch geistig geformt. Haltet seinen Geist lebendig. Eurer Ideal veraltet nicht. Die Aufgabe, für die eure Gemeinschaft gegründet wurde, ist noch immer zeitgemäß. Liebe Sodalen der Marianischen Männerkongregation, ihr hütet in eurer Kongregationskirche als kostbaren Schatz das Grab des neuen Seligen, an dem ich nach diesem Gottesdienst beten werde. Hütet auch das geistige Erbe, das er euch hinterlassen hat: die Liebe zu Maria und die Bereitschaft zum Dienst an der Welt. Liebe Patres und Brüder der Gesellschaft Jesu, euch beglückwünsche ich zu eurem Mitbruder, den wir von heute an als Seligen verehren. Er ist eine Zierde eures Ordens. Möge er euch auch Vorbild und Ansporn sein, treu dem hohen Ideal des heiligen Ignatius von Loyola euren Dienst in Kirche und Welt zu erfüllen. Euer seliger Mitbruder hat nach diesem hohen Ideal gelebt.: Er stehe euch bei, seinem Beispiel zu folgen. 5 8. „Seht, ich sende euch ... werdet stark durch den Herrn!“ Liebe Brüder und Schwestern! Sagt nicht auch der selige Rupert Mayer diese Worte am heutigen Tag seiner Seligsprechung zu uns, die wir hier versammelt sind? Zu euch, seinen Landsleuten, hier in dieser Stadt und im ganzen Land? 669 REISEN zur Kirche von München? Zur ganzen Gesellschaft? „Werdet stark durch die Kraft und Macht des Herrn! Zieht die Rüstung Gottes an ... Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern ... gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister (Eph 6,10-12). Es gibt Zeiten, in denen die Existenz des Bösen unter den Menschen in der Welt in einer besonderen Weise in Erscheinung tritt. Dann wird noch offenkundiger, daß die Mächte der Finsternis, die in den Menschen und durch die Menschen wirken, größer sind als der Mensch. Sie übersteigen ihn, sie kommen von außen über ihn. Der heutige Mensch scheint dieses Problem fast nicht sehen zu wollen. Er tut alles, um die Existenz jener „Beherrscher dieser finsteren Welt“, jene „listigen Anschläge des Teufels“, von denen der Epheserbrief spricht, aus dem allgemeinen Bewußtsein zu verbannen. Dennoch gibt es solche Zeiten in der Geschichte, in denen diese — nur widerwillig angenommene — Wahrheit der Offenbarung und des christlichen Glaubens ihre volle Ausdruckskraft und fast handgreifliche Bestätigung findet. 9. Der geistige Sieg von Pater Rupert Mayer erklärt sich vollkommen vor dem Hintergrund einer solchen Epoche, einer solchen geschichtlichen Erfahrung. Die Worte des Apostels beziehen sich in einem gewissen Sinn auf den konkreten Lebensverlauf dieses Dieners Gottes. Er war einer von jenen, die in diesem geistigen Kampf, in diesem Ringen mit den Mächten der Finsternis „die Rüstung Gottes angelegt, sich mit der Wahrheit gegürtet, den Panzer der Gerechtigkeit und als Schuhe die Bereitschaft, für das Evangelium vom Frieden zu kämpfen, angezogen haben“ (vgl. Eph 6,12-15). Der Glaube war für ihn wirklich der Helm, und das Wort Gottes war das Schwert des Geistes. Er kämpfte fortwährend mit diesem „Schwert“ und „hörte nicht auf zu beten und zu flehen.“ Nein, er vertraute nicht auf seine eigenen Kräfte. Er erinnerte sich an die Worte des Meisters an die Apostel im Abendmahlssaal: „Der Geist eures Vaters wird durch euch reden“ (Mt 10,20). Und deshalb hörte er auch nicht auf zu bitten, daß Gott ihm „das rechte Wort schenke ..., um das Geheimnis des Evangeliums zu verkünden“ (vgl. Eph 6,19). Die Worte des Epheserbriefes hat der Apostel Paulus geschrieben, als er nur noch als „Gefangener“ seiner Sendung nachkommen konnte (vgl. Eph 3,1; 4,1 u. a.). So hat auch Pater Rupert Mayer gesprochen und bezeugt, so hat auch er sich verhalten und für Christus Verfolgung erduldet — als „Gefangener“ in Landsberg und im Konzentrationslager Sachsenhausen. Und so ist er uns in Erinnerung geblieben, im Gedächtnis der Kirche: als mutiger Zeuge der 670 REISEN Wahrheit und Apostel der Gottes- und Nächstenliebe. Diesem seinem Andenken erweist die Kirche nun ihre besondere Verehrung, damit es von Generation zu Generation fortdauert. Heute spricht dieser „Gefangene Christi“ im Lager Sachsenhausen noch einmal zu uns — und die Kirche nimmt seine Worte auf in ihr geistiges Erbe: „Betet jederzeit im Geist; seid wachsam, harrt aus ... Legt die Rüstung Gottes an“ (Eph 6,18.13). Nehmt, liebe Brüder und Schwestern, an diesem Festtag das Zeugnis des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe eures großen Landsmannes an! Möge das geistige Erbe seines Lebens und seines apostolischen Dienstes immer, besonders in Zeiten der Prüfung, mit euch sein und euch stets neue Kraft und Zuversicht schenken in Christus, unserem Herrn. Amen. Einleitungswort zum Gebet,,Regina caeli“ im Olympiastadion München am 3. Mai Liebe Brüder und Schwestern! Unser neuer Seliger Pater Rupert Mayer war 24 Jahre lang Präses der Marianischen Männerkongregation in München. Seine Verehrung galt somit in einer besonderen Weise auch der Gottesmutter. Nach der religiösen Zielsetzung dieser Vereinigung hatte er ihren Mitgliedern zu helfen, aus marianischer Grundhaltung heraus den Glauben im Alltag bewußt zu leben. Am Ende dieser festlichen Eucharistiefeier wollen wir hören, was uns der selige Pater Mayer über Maria sagt: „Sie (Maria) war eine Christusträgerin, und das sind auch wir bei jeder heiligen Kommunion. Ich würde wünschen, daß wir an manchen Tagen besonders diesen Gedanken in unserem Herzen pflegen: Ich will den Tag auch heute so zubringen, wie ihn die Gottesmutter zugebracht hat: in inniger Lebensgemeinschaft mit Christus. Es genügt nicht, daß Christus erschienen ist auf Erden und daß er wieder erscheinen wird am Jüngsten Tag. Notwendig ist, daß er von unserem eigenen Herzen Besitz ergreift.‘ ‘ Unsere Verehrung zur Gottesmutter soll also vor allem in der Nachahmung ihrer Tugenden bestehen, ihrer Güte, ihrer Christusverbundenheit, ihrer Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen. Auch das bald beginnende Marianische Jahr will uns nachdrücklich dazu einladen. Darum wollen wir uns in diesem Gnadenjahr durch das Vorbild und die Fürsprache des seligen Pater Rupert 671 REISEN Mayer zu Maria führen lassen, damit sie uns in eine immer tiefere Lebensgemeinschaft mit Christus führt. Maria, die Mutter unseres Erlösers und unsere Mutter, preisen wir nun mit dem österlichen Marienhymnus: Freu’ dich, du Himmelskönigin, alleluja! Den du zu tragen würdig warst, alleluja! Er ist auferstanden, wie er gesagt hat, alleluja! Bitt’ Gott für uns, alleluja! Freu dich und frohlocke, Jungfrau Maria, alleluja! Denn der Herr ist wahrhaft auferstanden, alleluja! Lasset uns beten. Gott, du hast durch die Auferstehung deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, die Welt erfreut; wir bitten dich, laß uns durch seine Mutter, die Jungfrau Maria, die Freuden des ewigen Lebens erlangen. Durch ihn, Christus, unseren Herrn. Amen. Homilie während der Eucharistiefeier im Dom zu Augsburg am 3. Mai Verehrte Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt, liebe Brüder und Schwestern! Vor allem ihr, liebe Gläubigen, die ihr der heiligen Messe im Freien beiwohnen wolltet! Ich grüße euch besonders herzlich, wenn ihr euch nun durch das Fernsehen mit unserer Eucharistiefeier im Gebet verbindet. Möge der unerwartete Regen ein Zeichen sein für den reichen Segen, den Gott unserer heutigen Gebetsgemeinschaft und der ganzen Diözese Augsburg schenken möchte! 1. Für den Bischof von Rom, den Nachfolger des heiligen Petrus, ist es eine große Freude, euch bei dieser abendlichen Stunde zusammen mit eurem verehrten Oberhirten, Bischof Josef Stimpfle, und seinen Mitarbeitern im Dienstamt Christi zur Feier der österlichen Geheimnisse hier versammelt zu sehen und gemeinsam mit euch allen diesen festlichen Gottesdienst zu erleben und in Lob und Dank dem Herrn darzubringen. Es ist heute genau der Tag, an dem vor zweihundertfünf Jahren Papst Pius VI. die Stadt besucht und in ihr die heilige Eucharistie gefeiert hat. 672 REISEN Wie ihr wißt, war es schon seit langem mein Wunsch, auch einmal nach Augsburg zu kommen. Diese Stadt ist nicht nur durch ihren Namen und ihre Entstehung unter Kaiser Augustus vor zweitausend Jahren in einer besonderen Weise mit Rom verbunden, sondern mehr noch durch ihre christliche Geschichte: Die Märtyrerin Afra hat nicht weit von hier im Jahre 304 für Christus den Feuertod erlitten; der heilige Bischof Ulrich hat mehrmals die damals beschwerliche Reise nach Rom unternommen, um die Einheit dieses Bistums mit dem Herzen der Kirche zu bestärken. Eure heiligen Bistumspatrone Ulrich, Simpert und Afra zeugen zusammen mit anderen Heiligen von der Leuchtkraft des christlichen Glaubens in eurer Heimat, einer Geschichte von Tod und Auferstehung, einer Geschichte des siegreichen Kreuzes. Sie ermutigen euch durch ihr heroisches Beispiel, mit derselben Glaubenskraft nach vorne zu schauen, die Zeichen unserer Zeit zu erkennen und der Welt von heute Zeugnis zu geben vom gekreuzigten und auferstandenen Herrn, den wir jetzt in unserer Mitte wissen. 2. Liebe Brüder und Schwestern! Auch wir bitten den Herrn in dieser Stunde: „bleib bei uns; es wird bald Abend, der Tag hat sich schon geneigt“ (Lk 24,29). Diese Einladung der Jünger von Emmaus soll über unserer heutigen festlichen Liturgie stehen; das Evangelium von diesem 3. Ostersonntag führt uns ja auf den Weg nach Emmaus. Es ist dies ein wichtiger Ort im Zusammenhang der österlichen Ereignisse: ein Ort der Begegnung mit Christus, ein Ort der Erscheinung des auferstandenen Herrn. Im Glaubensverständnis des alttestamentlichen Gottesvolkes erinnert das Osterfest an den „Vorübergang“ des Herrn, an den Auszug der Israeliten aus dem „Haus der Knechtschaft“ in Ägypten auf dem Weg zum verheißenen Land. Gott selbst ist es, der sein Volk führt, befreit und errettet. Am Beginn jenes Auszuges hatte das Zeichen des Lammes gestanden: Sein Blut hatte die Häuser der Isrealiten gekennzeichnet und die Bewohner vor der Strafe des Todes verschont; sein Fleisch stärkte sie beim letzten Familienmahl vor dem Aufbruch. Von diesem Glauben ihres Volkes beseelt, hatten die beiden Emmausjünger am Paschafest der Juden in Jerusalem teilgenommen und auch die Kreuzigung Jesu Christi erlebt. Als ihnen auf ihrem Heimweg der auferstandene; Herr erschien, ohne daß sie ihn sogleich erkannten, erklärte er ihnen, wie das Osterfest des Neuen Bundes in den Ereignissen und Schriften des Alten Testamentes vorausverkündet worden ist: im Auszug aus der Knechtschaft in die Freiheit. Dieser vollzieht sich nun im Übergang vom Tod zum Leben, von der Sünde zur Freundschaft mit Gott. Und wiederum geschieht es mit Hilfe eines Lammes: durch das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt, 673 REISEN durch Jesus Christus, unseren Erlöser. Von ihm und seinem Schicksal sprechen schon Mose und die Propheten, ja die „ganze Schrift“. Deshalb konnte der auferstandene Herr zu Recht fragen: „Mußte nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?“ (Lk 24,25f.). 3. In der Tat, viele Aussagen des Alten Testamentes deuten im voraus auf das Geschehen im Abendmahlssaal und auf Golgota hin. Diese Ankündigungen wären jedoch nicht erfüllt worden, wenn sich die österlichen Ereignisse nicht in der von Gott vorherbestimmten Zeit und Weise in Jerusalem zugetragen hätten. Und dennoch haben die Jünger Jesu das so dramatische und bewegende Geschehen mit ihrem Meister während des Paschafestes der Juden nicht sogleich in seiner wahren Bedeutung und tieferen Wahrheit erkannt. Es fiel ihnen schwer, „alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben“ (Lk 24,25). So schwierig war für sie diese Wahrheit, die ein anderes Verständnis der Heiligen Schriften gewohnt waren. Warum sollte der Messias leiden müssen, verurteilt werden und am Kreuz sterben, verachtet und verspottet wie ein Ausgestoßener? So sind sie zunächst wie von Blindheit geschlagen, mutlos und traurig, wie gelähmt. Dem Menschen war es und bleibt es unbegreiflich, warum der Weg zum Heil über das Leiden führt. Darum ist diese Begegnung auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus so bedeutsam; nicht nur im Zusammenhang der österlichen Ereignisse von damals, sondern für immer, für alle Zeiten — auch für uns. Auf diesem Weg haben die Jünger von Jesus gelernt, die Heiligen Schriften neu zu lesen und in ihnen ein prophetisches Zeugnis über ihn, eine Vorankündigung auf ihn, auf seine Botschaft und Heilssendung zu entdecken. Dadurch werden die Jünger vom Herrn selber vorbereitet, seine Zeugen zu werden. So gibt Petrus in den Lesungen der heutigen Liturgie aus diesem neuen, tieferen Verständnis des Ostergeschehens vor den Menschen Zeugnis für die Auferstehung des Herrn. In diesem Lichte Christi, des Auferstandenen, versteht und verkündet er auch das Psalmenwort aus dem Munde Davids: „Du gibst mich nicht der Totenwelt preis, noch läßt du deinen Heiligen die Verwesung schauen“ (Apg 2,27). Als Jesus den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus den wahren Sinn der Heiligen Schrift erschließt, wissen die Apostel in Jerusalem schon, daß dieses Psalmwort sich bereits konkret erfüllt hat: „Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen“ (Lk 24,26). 4. Die Begegnung auf dem Weg nach Emmaus ist ferner auch deshalb von großer Bedeutung, weil Jesus nach seinem Tod am Kreuz seinen Jüngern dadurch bekräftigt hat, daß er bei ihnen bleibt. Er ist trotz oder gerade wegen des Karfreitags bei ihnen und wird für immer bei seiner Kirche bleiben gemäß 674 REISEN seiner Verheißung: „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch“ (Joh 14,18). Christus ist nicht nur derjenige, der war, sondern er ist mehr noch dbrjenige, der ist. Er war gegenwärtig auf dem Weg nach Emmaus, er ist auch gegenwärtig auf allen Straßen der Welt, auf denen durch die Generationen und Jahrhunderte hin seine Jünger wandern. 5. Liebe Brüder und Schwestern! Aus der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn auf dem Weg nach Emmaus fiel für die beiden Jünger neues Licht auf die Heiligen Schriften und auf das Geschehen von Kalvaria, es fiel Licht in das Dunkel ihres eigenen Lebens. Es fallt daraus Licht auch auf die Geschichte und Geschicke der Menschheit und der Kirche, so auch der Kirche von Augsburg. Christus weist nach, daß der Messias leiden „mußte“, um seine Heilssendung zu vollbringen. Läßt sich nicht vielleicht in diesem selben Licht auch manches Dunkle und Leidvolle sehen und verstehen, das den Jüngern Christi und der Kirche auf ihrem Weg durch die Geschichte begegnet? Dadurch läßt sich oft in Prüfung und Leid Gottes gütige und sorgende Hand erkennen, die durch die Erfahrung des Kreuzes zu Heil und Auferstehung führt. So wurde am Beginn des geschichtlichen Weges der Kirche von Augsburg die Herausforderung der heidnischen Umwelt für die Jungfrau Afra nicht zur Versuchung zum Glaubensabfall, sondern Anruf zum Blutzeugnis für Christus. „Mußte“ nicht, so können wir fragen, das Blut von Märtyrern zum Samen für ein lebendiges und kraftvolles Christentum werden, von den ersten Jahrhunderten der Kirche bis in unsere Tage? Die Kirche von Uganda, die mit eurer Diözese in einem engen partnerschaftlichen Austausch steht, ist ein eindrucksvolles Beispiel aus nicht allzu ferner Vergangenheit dafür. „Mußte“ es vielleicht sogar — so wagen wir hier in Augsburg zu fragen — nach Gottes unergründlichem Ratschluß zu Kirchenspaltung und Religionskriegen in Europa kommen, um die Kirche zu Besinnung und Erneuerung zu führen? Oder „mußten“ etwa Männer und Frauen wie der heilige Maximilian Kolbe, die selige Edith Stein, ein Max Josef Metzger oder Dietrich Bonhoeffer ihr Leben hingeben, damit durch ihr Opfer neues christliches Leben in diesem Land erwachse und Versöhnung zwischen verfeindeten benachbarten Völkern wieder möglich werden konnte? Gott, der Herr der Geschichte, der Christus durch Kreuz und Tod zur Auferstehung und Herrlichkeit geführt hat, hält auch die Geschicke der Kirche und der Menschheit in seiner Hand und führt sie nach seiner gütigen Vorsehung durch Gericht zu Läuterung und Heil. Wir dürfen hoffen, daß die Orte des Leidens und der Schuld zugleich auch Orte besonderer Gnade gewesen sind. 675 REISEN Gott hat auch heute mit der Kirche von Augsburg, seinen Plan. Er läutert und erneuert sie, damit das Antlitz Christi in ihr klarer erstrahle. Er sendet sie, damit sie der Welt den Auferstandenen verkünde, und vermittle. 6. Christus selbst erschließt den Jüngern von Emmaus das tiefere Verständnis allen Geschehens als Heilsgeschehen durch das Wort der Heiligen Schrift: „Und er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten ...“ (Lk 24,27). Zu allen Zeiten hat Gott durch das Wort seiner Offenbarung Menschenbewegt und die Kirche erneuert. Trauen wir auch heute Gottes Wort die Kraft zu, neues Leben in der Kirche zu wecken und Menschen neu für die Nachfolge Christi zu begeistern! Glauben wirkt dort überzeugend, wo er treu gelebt und mit anderen geteilt wird. Wagt also das Glaubensgespräch, teilt eure Glaubenserfahrung einander mit, sucht euch gläubige Vorbilder! Sie leben mitten unter euch! Erneuert so euer Leben aus der Quelle der Heiligen Schrift, wie sie in Treue zur Überlieferung geglaubt und ausgelegt wird; lest sie, wenn möglich, täglich; meditiert darüber; gebt dem Wort Gottes in eurem Leben eine überzeugende und- gewinnende Gestalt. Durch sein Wort wird Christus selbst in euch lebendige Gegenwart. Das Wort des Evangeliums ist uns mit allen Christen gemeinsam über noch bestehenden Grenzen hinweg. Gebt also zusammen mit euren getrennten Brüdern und Schwestern gemeinsam Zeugnis von der uns darin geschenkten christlichen Hoffnung, auf daß gerade hier in Augsburg, wo man sich in der Reformationszeit um des Wortes willen voneinander abgewandt hat, dieses lebenschaffende Wort die christlichen Gemeinschaften und Kirchen wieder zu-sammen führt. Die von unseren Brüdern und Schwestern evangelisch-lutheranischen Bekenntnisses auf dem Reichstag in Augsburg eingereichte Schrift, um ihren Glauben an „die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“ zu bezeugen, hat damals leider nicht zu der ersehnten Versöhnung geführt. Doch hat uns gerade die Jubiläumsfeier dieses Dokumentes, das als „Confessio Augustana“ in die Kirchengeschichte eingegangen ist, vor einigen Jahren in einer besonderen Weise daran erinnert, wie breit und fest noch die gemeinsamen Fundamente unseres christlichen Glaubens sind. Der Geist wahrer Ökumene ruft uns deshalb auf, vor allem das alle Christen schon jetzt zutiefst Verbindende des apostolischen Erbes und das gemeinsame Glaubensgut neu zu entdecken und zu fördern. Wenn auch noch keine volle eucharistische Gemeinschaft zwischen uns möglich ist, so gibt es doch schon vieles, was wir gemeinsam tun können. Warum noch getrennte Wege gehen dort, wo wir sie schon jetzt gemeinsam gehen können? In diesem Geist treffen sich morgen Vertreter und Gläubige der verschiedenen christlichen Kirchen zu einem öku- 676 REISEN menischen Gebetsgottesdienst in der Kirche der Heiligen Afra und Ulrich. Im Gehorsam gegenüber dem Drängen des Heiligen Geistes und dem Willen Christi wollen wir den Weg zur Einheit unter allen Christen mit Geduld und Ausdauer weitergehen. Das Vermächtnis Jesu Christi verpflichtet uns! 7. Liebe Mitchristen! Der auferstandene Herr hat den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus die Augen geöffnet für das Handeln Gottes in der Geschichte zum Heil der Menschen und ihr Herz entflammt, als er ihnen die Schrift erschloß. Erkannt haben sie ihn jedoch erst am Zeichen des Brotbre-chens; Unter dem Zeichen hatte er am Abend vor seinem Leiden seine Liebe bis zum Letzten, bis zur Hingabe am Kreuz, zum Ausdruck gebracht und das bleibende Gedächtnis an seinen Tod gestiftet. „Da gingen ihnen die Augen aufund sie erkannten ihn“ (L&24,31). Wir erkennen Christus vor allem, wenn er mit uns eins wird in der Gemeinschaft des österlichen Mahles. Von den Straßen dieser Welt und aus der Zerstreuung eures Alltags dürft ihr euch immer wieder zum Opfermahl mit dem auferstandenen Herrn treffen, als Volk Gottes zu einer lebendigen Glaubensgemeinschaft vereint. In dieser gemeinsamen Begegnung mit Christus in der Eucharistie voller Glaube, Hoffnung und Liebe kann schon jene österliche Wirklichkeit aufleuchten und für uns erfahrbar werden, die den neuen Himmel und die neue Erde ankündigt. Erwarten die Menschen nicht zu Recht von der Kirche und den Christen den Lebensraum, in dem die „Zivilisation der Liebe“ sichtbar und erlebbar wird, die Christus als Keim in dieser Welt eingestiftet hat? Vielen Menschen ist der tiefere Sinn ihres alltäglichen Tuns abhanden gekommen; unserer Gesellschaft fehlt weithin die Herzmitte. Zu allen Jahrhunderten war es gerade das besondere Merkmal der Christen, den Sonntag, den Herrentag, in Gebetnnd gemeinsamem Gottesdienst zu begehen; manche sind dafür in der Zeit der Verfolgung sogar in den Tod gegangen. Die Versammlung der Gemeinde am Sonntag mit ihrem Höhepunkt in der Eucharistiefeier ist die Mitte des Lebens einer Pfarrei. Bleibt darum der sonntäglichen Messe ganz besonders treu! Sie ist nach dem Konzil „der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt“ (Sacrosanctum Concilium, Nr. 10) 8. Nach der Begegnung mit Christus im Bedenken der Heiligen Schrift und im Brotbrechen heißt es dann von den Emmausjüngem: „Noch in derselben Stunde brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück“ (Lk 24,33). Ihre persönliche Christuserfahrung drängt sie zum Aufbruch und zum Zeugnis. Hier beginnt der „neue Weg“, der Weg der Kirche, die voll Hoffnung bis an die Grenzen der Erde Zeugnis gibt vom auferstandenen Herrn: „Da erzählten 677 REISEN auch sie, was sie unterwegs erlebt und wie sie ihn erkannt hatten, als er das Brot brach“ (Lk 24,35). Wie sehr braucht der heutige Mensch die bewußte Begegnung mit Christus! Wie sehr braucht er als Suchender, Zweifelnder und Fragender die Entdeckung der vollen Wahrheit der österlichen Wirklichkeit des Herrn, der vollen Wahrheit seines Lebens und Sterbens und seiner Auferstehung. Die Welt braucht dafür unser christliches Zeugnis! Auch wenn Menschen oft leben, als gäbe es Gott nicht, so sehnen sie sich doch im Tiefsten auf ihrer Suche nach Glück und Geborgenheit ständig nach ihm. Euer Zeugnis in der Familie, im Berufsleben, in der Schule, in den Büros und Fabriken, in der Öffentlichkeit und im politischen Leben entscheidet darüber, ob die befreiende Botschaft Christi auch heute die Menschen an eurer Seite, in eurem Lebensraum erreicht. Alle Bereiche unseres Lebens und unserer Gesellschaft können in ihm wahrer und reicher werden. Durch das gläubige Zeugnis der Christen könnte es gelingen, nach manchen tragischen Brüchen zwischen Kirche und Welt, zwischen Glaube und Vernunft zu einer neuen Begegnung von Evangelium und Kultur zu kommen, gerade auch in diesem offensichtlich gealterten Europa. Hier hat jeder Christ schon aufgrund seiner Taufe ein weites Feld für sein Apostolat. Nehmt nach den Jahren einer notwendigen Besinnung auf die Fragen des Aufbaus eurer Pfarrgemeinden und Diözesen jetzt wieder mehr eure Weltverantwortung wahr und bleibt nicht eingeschlossen im Innenraum der Kirche: „Noch in derselben Stunde brachen sie auf!“ (Lk 24,33). Um einen solchen Aufbruch zu lebendigen Pfarrgemeinden in einer missionarischen Ortskirche geht es ja auch in der Diözesansynode, die euer Bischof für das Jahr 1990 angesagt hat. Die Weltbischofssynode im Jahre 1985 in Rom nennt die Durchführung einer solchen Synode innerhalb einer Diözese ausdrücklich einen Weg zur Anwendung des II. Vatikanischen Konzils für die Ortskirche. Ich ermutige euch alle, euch in einem solidarischen Prozeß auf dieses wichtige Ereignis vorzubereiten, und bete zu Gott, daß die Synode die Grundlagen zu einer neuen Evangelisierung in Stadt und Bistum Augsburg lege. Macht euch so gemeinsam auf den Weg in das dritte christliche Jahrtausend eurer Stadt. Nützt die besondere Gnade dieser Zeit! Laßt euer Leben verwandeln durch das Wort des Herrn und euer Herz brennen durch seine Gegenwart! Werdet eures Glaubens froh, damit ihr ein Zeugnis der Freude und Ermutigung geben könnt! 9. So hat, liebe Brüder und Schwestern, der Weg nach Emmaus im Zusammenhang des Ostergeschehens in Jerusalem auch für uns eine vielfältige Bedeutung . Wir kehren als Jünger Christi, als seine Kirche immer wieder auf ihn zurück. Er ist ja nicht nur der Weg der Enttäuschung und des Zweifels, son- 678 REISEN dern vor allem der Weg der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn, der Weg der Besinnung und der Umkehr. Er ist der Weg, auf dem die Herzen der Menschen „entbrennen“, wenn sie die Worte jener Wahrheit hören, die von Gott kommt: „Brannte uns nicht das Herz, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erklärte?“ (Lk 24,32). Wie notwendig bedürfen wir und alle Menschen nicht immer wieder der Erfahrung einer solchen wärmenden und erhellenden Nähe Jesu Christi! Öffnen wir dem auferstandenen Herrn weit unsere Herzen und unser Leben, der sich uns in dieser Eucharistiefeier erneut durch das Brotbrechen zu erkennen gibt. Möge er auch unsere Herzen durch das Feuer seiner Liebe entzünden und uns heute neu als seine Zeugen aussenden. Amen. Ansprache an Ordensfrauen und junge Mädchen im Dom zu Augsburg am 4. Mai Liebe Schwestern im Herrn! 1. Herzlich begrüße ich euch als Vertreterinnen der verschiedenen Ordensgemeinschaften und religiösen Institute der Kirche von Augsburg. Mit euch grüße ich alle Mitschwestem, die heute nicht hierher kommen konnten, die in euren Häusern den Dienst übernommen haben oder wegen Alter und Krankheit verhindert sind. Besonders freue ich mich, euch junge Christen hier zu sehen, Mitglieder der Mädchengemeinschaft „Der Neue Weg“. Mit euch grüße ich alle Jugendlichen des Augsburger Bistums, die bewußt oder unbewußt auf der Suche sind nach Jesus Christus und einem in ihm erfüllten Leben. Der heilige Paulus schreibt in seinem ersten Brief an die Korinther: „Wir haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott stammt, damit wir das erkennen, was uns von Gott geschenkt worden ist“ (7 Kor 2,12). Was ist uns denn von Gott geschenkt worden, welche Möglichkeiten eröffnet er unserem Leben? Liebe Schwestern! Die Möglichkeit, die ihr erkannt und lieben gelernt habt, ist die innige Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus, in der ihr so leben wollt, wie er selbst gelebt hat: Sein Leben ist euer Vorbild, sein Handeln euer Maßstab, sein Geist eure Kraft. Durch eure Verbundenheit mit ihm nehmt ihr teil an seinem Auftrag und gebt Kunde von den Heilstaten Gottes. Für diese 679 REISEN hohe Sendung gewinnt ihr Kraft und Freiheit in einem Leben der ehelosen Keuschheit, um des Himmelreiches willen, in Armut vor Gott und den Menschen, im Gehorsam gegen Gott innerhalb einer konkreten Gemeinschaft. 2. Ihr habt eure bräutliche Liebe dem Herrn geschenkt und darin den Sinn eures Lebens gefunden. Sein Leben aus der Fülle des Vaters kann auch das persönliche Leben einer jeden von euch erfüllen. Die erbetete und meditierte Begegnung mit ihm, die Glaubensgewißheit seiner Treue, sie geben euch Freiheit. So könnt ihr euch selbst verschenken im Dienst an den Menschen und im schwesterlichen Miteinander in euren Gemeinschaften. Habt keine Angst, euch dabei zu verlieren oder zu kurz zu kommen: Gottes Liebe umfangt euch und gibt euch Halt. Dadurch werdet ihr fähig, um des Gottesreiches willen auf das hohe Gut ehelicher Gemeinschaft und leiblicher Mutterschaft zu verzichten. Ihr wollt Gott allein gefallen und um seine Sache besorgt sein (vgl. 1 Kor 7,32). Diese jungfräuliche Haltung ist in Mariä vollkommen verwirklicht. Sie war um die Sache des Herrn besorgt wie keine andere, von der Verkündigung des Engels bis unter das Kreuz ihres Sohnes. Deshalb wurde sie auch die Mutter der ganzen Kirche. Viele von euch tragen ihren Namen. Tragt auch ihr Vorbild in eurem Herzen und ahmt ihre Treue nach. Ihr zündet ein Licht an für die Menschen unserer Zeit, wenn ihr zeigt, daß enthaltsames Leben um des Gottesreiches willen zu Freude und Erfüllung führt, je mehr es in Freiheit und Hingabe gelebt wird. Im Finstern bleibt nur, wer mit geteiltem Herzen lebt; im Finstern bleibt nur, wer mit halbem Herzen liebt. Ihr jungen Mädchen, schaut aufmerksam auf dieses Zeichen christlicher Jungfräulichkeit. Laßt euch nicht beirren von denen, die euch lediglich an eure Triebe binden wollen. Wirklich frei wird nur, wer durch die Bindung an Christus Raum gefunden hat, sich selbst in Liebe zu verschenken an Gott und seine Barmherzigkeit für die Welt und ihre Menschen. 3. Liebe Schwestern, ihr lebt in einem Land, in dem viele meinen, sich alles kaufen zu können: Besitz und Macht, Anerkennung und Glück. Eure freiwillige Armut mag für manche Menschen Ärgernis und Torheit sein. Der Mensch ist aber mehr, als was er besitzt. Durch euren Weg der Armut, den Weg eines einfachen Lebens, seid ihr mehr, als was ihr leistet, mehr, als was ihr erreicht, mehr, als was ihr wißt und erkennt. Jesus Christus ist euer Reichtum. So können euch Besitz, Macht und Ansehen zweitrangig werden. Das macht'euch frei. Ihr könnt loslassen, verfügbar sein und solidarisch werden mit den „Armen“ unserer Tage. Durch eure Armut seid ihr den Schwachen und Entrechteten, den Ausgenützten und Hilflosen besonders verbunden. 680 REISEN Stellt euch auf ihre Seite und steht für sie ein, tapfer und ehrlich. Dann gilt auch von euch: „Ihr seid arm und macht doch viele reich; ihr habt nichts und habt doch alles“ (vgl. 2 Kor 6,10). Nehmt also gern und bewußt die Armut in der Nachfolge Christi auf euch, wie sie Maria in Betlehem und Nazareth mit Jesus geteilt hat. Ihr setzt damit ein prophetisches Zeichen für endgültiges, reiches Leben in Gott. Liebe Jugendliche, ihr seid auf der Suche nach dem echten Sinn und Reichtum eures Lebens. Schaut auf Jesus Christus: Er ist euretwillen arm geworden und als Mensch in diese Welt gekommen. Durch ihn ist auch euer Leben in Gott geborgen. Lebensfurcht und Unsicherheit kommen in ihm zur Ruhe. Das macht euren Reichtum aus. Es geht darum, dem Herrn alles zu schenken, um in ihm alles zu finden. 4. Liebe Schwestern, heute wird viel gesprochen von Befreiung und Emanzipation, und es kommt diesen in sich berechtigten Anliegen eine besondere Bedeutung zu. Wird aber der Mensch, der nur Gebote und Bindungen abschüttelt, schon wirklich frei? Findet er heraus aus der Gefangenschaft des Egoismus und des Hasses, wenn er jeder Autorität mißtrauisch gegenübersteht? Ihr lebt den Gehorsam. Ihr steht in der Freiheit der Liebe, weil ihr auf Gott vertraut und seiner Liebe gewiß seid. Euer Maßstab ist der Gehorsam Jesu Christi: „Er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8). In dieser Grundhaltung gelingt euch dann auch ein erwachsener Gehorsam gegenüber euren Ordensoberen und den kirchlichen Autoritäten. Euer Gehorsam ist vor allem Gehorsam gegen Gott; er muß sich aber in der konkreten Gemeinschaft und ihrer Ordnung bewähren und verleiblichen. In und mit eurer Gemeinschaft seid ihr verfügbar für Gott, erhaltet ihr Sicherheit und Kraft für euren selbstlosen Einsatz. Laßt euch gebrauchen als Werkzeuge der Liebe. Auch hier ist Maria, die Mutter des Herrn, euer Vorbild. Sie sprach ihr „Fiat“ und nahm damit den Willen Gottes an. Ihre gehorsame Liebe führte sie unter das Kreuz, aber auch zur Freude der Auferstehung. < Euch, liebe Jugendliche, bitte ich: Laßt euch nicht verführen zu falscher, kurzsichtiger Freiheit. Ihr seid noch nicht frei, wenn ihr lediglich tun könnt, was euch behagt, was euer Geldbeutel euch erlaubt. Ihr seid keineswegs frei, wenn ihr euch durchsetzt auf Kosten anderer. Unterstellt eure junge Begeisterung dem lebenweckenden Willen Gottes, Bündelt euren guten Willen in kraftvoller Gemeinschaft mit Gleichgesinnten. Sucht gemeinsam, was auf Dauer gut ist für euch und für die anderen. So werdet ihr frei. 681 REISEN Liebe Schwestern und junge Mitchristen! Wie kostbar ist eure Berufung, Licht der Welt und Zeugen des Evangeliums zu sein! Seid nicht zaghaft, sondern habt Mut! Lebt mit Christus, aus seiner Kraft; denn der Herr nimmt sich unserer Schwachheit an (vgl. Röm 8,26). Gebt der Welt ein Zeugnis von der Menschenfreundlichkeit Gottes. Ich wünsche euch allen und bete darum, daß ihr darin immer vollkommener werdet. Gott, „der das gute Werk in euch begonnen, wird es auch vollenden“ (vgl. Phil 1,6). Dazu erteile ich euch, allen euren Mitschwestem und Gemeinschaften von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen.—Amen. Ansprache bei der Einweihung des Priesterseminars in Augsburg am 4. Mai Verehrte Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt, liebe Alumnen, liebe Brüder und Schwestern! Ein weiterer Höhepunkt meines kurzen Pastoralbesuches in eurer Diözese ist die Einweihung des neuen Priesterseminars. Dies ist für euch, aber auch für mich eine besondere Freude, die mir zum ersten Mal während einer Pastoraireise zuteil wird. 1. Das II. Vatikanische Konzil nennt das Seminar das „Herz der Diözese“ (vgl. Optatam totius, Nr. 5). Sein Pulsschlag bestimmt langfristig das religiöse und kirchliche Leben draußen in den Gemeinden. Von hier sendet Christus in der Person des Bischofs immer wieder neu seine Boten aus, durch die er selber im Volke Gottes seine Heilssendung fortsetzt. Je mehr diese von seinem Geist beseelt sind, desto reicher werden bei den Gläubigen die geistlichen Früchte der Frömmigkeit und Heiligkeit sein. Zu Recht erwartet das Konzil die ersehnte Erneuerung der Kirche zum großen Teil vom priesterlichen Dienst. Darum auch die entscheidende Bedeutung der Seminare, in denen die Priester seit der Zeit des Konzils von Trient ihre religiöse und theologische Ausbildung erhalten und auf ihre spätere Sendung vorbereitet werden. Wie fruchtbar die tridentinische Einführung des Priesterseminars in der jüngeren Geschichte der Kirche gewesen ist, geht aus dem Urteil des bekannten deutschen Kirchenhistorikers Hubert Jedin hervor, der dazu bemerkt: „Es war ein großer Schritt nach vorn, ein so großer, daß man sagen konnte, allein dieses Dekret habe die Veranstaltung des Trienter Konzils gerechtfertigt.“ 682 REISEN Möge auch das neue Seminar der Diözese Augsburg, über das wir heute Gottes Segen herabrufen, in gleichem Maße fruchtbare Pflanzstätte — „Semina-rium“ — für diese Ortskirche werden. Hirten im Geiste Christi sind nach Gottes Hilfe die beste Gewähr, daß das pilgernde Volk Gottes auf dem Weg der Nachfolge des Herrn sicher voranschreitet. Das Priesterseminar hat in der Diözese Augsburg eine lange Tradition. Eine besondere Erwähnung verdient der Weitblick des Kardinals Otto Truchseß von Waldburg, der dem Mangel an guten Priestern schon im Jahr 1549 durch die Gründung einer Lehr- und Erziehungsanstalt in Dillingen abhelfen wollte. Darin sollten vor allem die künftigen Priester geistig und religiös in angemessener Weise auf ihren Dienst vorbereitet werden. Mit der Errichtung eines solchen Seminars nahm dieser Augsburger Oberhirte bereits die tridentini-sche Idee vorweg. Es wurde Jahre später an die ebenfalls dort neugegründete Universität angeschlossen. Die Theologiestudenten fanden herzliche Aufnahme im Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern, bis nun hier in der Bischofsstadt selbst das neue Seminar erbaut wurde. Ich beglückwünsche die Diözese Augsburg zu diesem Haus. Wie ich erfahren habe, wurde die Einrichtung vieler Zimmer von einzelnen Personen, von Pfarreien und kirchlichen Gemeinschaften übernommen. Gleichzeitig hat die Diözese Augsburg noch drei armen Bistümern tatkräftig geholfen, ihr eigenes Priesterseminar einzu-richten. Euch allen möge Gott dies reich vergelten, besonders dadurch, daß er aus diesem Haus für eure Diözese viele gute Priester hervorgehen läßt. 2. Der heutige Tag soll uns ein Wort des n. Vatikanischen Konzils in Erinnerung rufen, wonach der „wichtigste Beitrag“ für die Förderung der Priesterberufe in den Familien geschieht. Es nennt diese sogar das „erste Seminar“ (vgl. Optatam totius, Nr. 2). Darum wendet sich die Kirche mit besonderem Nachdruck an die Eltern: Schafft in euren Familien eine Atmosphäre, in der sich der Glaube und eine mögliche geistliche Berufung entfalten können. Betet gemeinsam und nehmt möglichst zusammen mit euren Kindern am Gottesdienst und am Leben der Pfarrei teil. Öffnet euch in christlicher Solidarität den Nöten der kranken, einsamen und alten Mitmenschen. Verschafft euch ausgewogene und zuverlässige Informationen über das heutige Leben der Kirche, damit ihr im Familiengespräch Entscheidungen der Oberhirten oder auch eventuelles Versagen in der Kirche gerecht und wohlwollend beurteilen könnt. Selbst wenn Zeiten kommen, in denen ihr als Vater oder Mutter meint, eure Kinder würden der Faszination diesseitiger Erwartungen und Verheißungen erliegen, zweifelt nicht: Sie werden immer wieder danach ausschauen, ob ihr selbst Jesus Christus als Einschränkung oder als die Begegnung eures Le- 683 REISEN bens, als Freude und Quelle der Kraft im Alltag empfindet.-Vor allem aber hört nicht auf zu beten. Denkt an die heilige Monika, deren Sorgen und Beten sich verstärkte, als ihr Sohn Augustinus, der spätere Bischof und Heilige, seinen Weg fernab von Christus ging und so seine Freiheit zu finden glaubte. Wie viele Monikas gibt es heute! Was viele Mütter durch ihr Gebet und Opfer für die Kirche und das Reich Gottes in der Stille gewirkt haben und wirken, wird ihnen niemand gebührend zu danken vermögen. Gott vergelte es ihnen! Wenn die erstrebte Erneuerung der Kirche vor allem vom Dienst der Priester abhängt, dann sicher auch in hohem Maße von den Familien und besonders von den Frauen und Müttern. Ebenso möchte ich in diesem Zusammenhang auch an die große Familie der Pfarrei einige dringende Bitten richten: Haltet das monatliche Triduum: Priesterdonnerstag, Herz-Jesu-Freitag, Herz-Mariä-Samstag! Betet beharrlich, der Aufforderung Christi entsprechend, daß der Herr Arbeiter in seine Ernte sende (vgl. Mt 9,38)! Betet um Priester-, Missions- und Ordensberufe! Laßt die Jugend erkennen, daß nicht nur der Bischof, sondern auch die Pfarrge-meinde jedem dankbar ist, der trotz Schwierigkeiten den an ihn ergangenen Ruf Christi großherzig erwidert. In besonderer Weise wende ich mich an die Kranken: Ihr erfahrt in euren Gebrechen, daß unsere Hoffnung nicht in dieser Welt aufgeht. Ihr spürt die Notwendigkeit von Menschen, die euch von Christus her, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, euer Leben deuten und euch durch Wort und Sakrament Kraft und Trost spenden. Euer Leben und Leiden ist nicht sinnlos, sondern kann überreicher Segen für die ganze Kirche werden, wenn ihr es Christus anbietet. Vergebt in eurer Krankheit nicht das Gebet um Priester- und Ordensberufe! Wenn so Pfarrgemeinde und Familie eine vom Glauben geprägte Atmosphäre schaffen, ist die Kirche überzeugt, daß Gott trotz vermehrter Schwierigkeiten und Hindernisse, trotz der Aufrechterhaltung des priesterlichen Zölibates auch in unserer Zeit genügend junge Menschen zum Priestertum berufen und ihnen die Weite des Herzens schenken wird, seinem Ruf zu folgen. 3. Die Familie ist das erste und eigentliche Seminar. Doch bedarf es dann noch eines eigenen Hauses, in dem der junge Theologe geistig und religiös für den späteren Dienst ausgebildet wird. Der Bedeutung des Priesterseminars entsprechend richtet die Kirche hohe Erwartungen an die Leitung des Semi-nars, an die Professoren der Universität und an die Alumnen. Ihr, meine lieben Seminaristen, widmet euch hier einem mehrjährigen Studium der Theologie. Nutzt diese Zeit für euren späteren priesterlichen Auftrag. Der erste Petrusbrief mahnt: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,15). Rechen- 684 REISEN schaft zu geben über den Grund unserer Hoffnung und den Glauben überzeu-gend darzulegen, weil die Menschen vom Meinungssog der vielen Weltanschauungen und Ideologien hin- und hergeworfen werden. Meint nicht, zur Seelsorge genüge schon die priesterliche Lauterkeit: Nicht nur das Herz, auch der Kopf muß glauben können und den Glauben bezeugen. Kardinal Otto Truchseß Waldburg hatte zu Recht mit der Gründung des Dillinger Seminars die Bildung des Seelsorgsklerus heben wollen und dann die Verbindung mit der Universität gesucht. Seid dankbar für diese Möglichkeit eines intensiven Theologiestudiums und erkennt darin eine Chance für euer kommendes prie-sterliches Wirken. Schon die großen Theologen der Väterzeit, wie Klemens von Alexandrien und Basilius, Augustinus und Hieronymus haben diese Notwendigkeit der denkerischen Durchdringung und Darlegung des Glaubens erfaßt und die theologische Reflexion selbst maßgeblich gefördert. 4. Echte Theologie ist allerdings nicht nur Sache des Intellekts, sonders des ganzen Menschen mit allen seinen geistigen Kräften, auch denen des Willens und der Liebe. Deshalb lädt der heilige Bonaventura, einer der großen Theologen der Kirche, den Leser seiner Schriften zuerst zum Gebet ein. Er schreibt: Der Leser „glaube nicht etwa, es nütze ihm Lesung ohne Salbung, Gedankenschärfe ohne Andacht, Forschen ohne Bewunderung, umsichtiges Erwägen ohne Jubel, Fleiß ohne Frömmigkeit, Wissen ohne Liebe, Einsicht ohne Demut, Studium ohne göttliche Gnade, eine Betrachtung [der Welt] ohne von Gott geschenkte Weisheit“ (Itinerarium, Prologus 4). Ich erinnere hier an den aus dem Bistum Augsburg hervorgegangenen Theologen und Bischof Johann Michael Sailer. Wie alle großen Theologen wußte er von einer geistlichen und weisheitlichen Theologie, die das Verfahren der wissenschaftlichen Argumentation und das Einzelwissen übersteigt und letzte Zusammenhänge in Gott als dem Grund und dem Sinn allen Wissens schaut. Eine solche mehr intuitive Schau kann auch dem Einzelwissen, so bruchstückhaft dieses sein mag, seinen Ort im Ganzen zuordnen; sie ahnt eine Harmonie, auch wenn sie nicht begrifflich auszudrücken ist. Zu dieser Schau gelangen wir nicht ohne Gebet und Erleuchtung. Das Seminar der Diözese Augsburg trägt seit seiner Gründung in Dillingen den Namen des heiligen Hieronymus, des großen Erklärers der Heiligen Schrift. Vergeßt nicht, daß Hieronymus immer wieder den um Erleuchtung gebeten hat, „der den Schlüssel Davids hat, der öffnet und niemals schließt..., daß er uns die Geheimnisse des Evangeliums aufschließt“ (In Marci Ev. I, 13-21). i 5. Meine lieben Alumnen! Nützt also eure kostbare Seminarzeit auf best mögliche Weise zum Studium, aber ebenso auch zum Gebet, zum vertieften 685 REISEN Mitvollzug der Eucharistie, die ihr täglich feiert, und zur persönlichen Erfahrung des Friedens, den Gott im Bußsakrament schenkt. Die Seminarzeit ist ja zugleich eine Entdeckungsreise in euer eigenes Innenleben. Dort entdeckt ihr Fähigkeiten und Talente, hochherzige Ideale und Vorsätze. Zweifellos begegnet ihr im eigenen Herzen aber auch mancherlei Schwächen, Fehlern und schlechten Neigungen: Egoismus, Sinnlichkeit, Stolz. Alle guten Anlagen unserer menschlichen Natur sollen auch auf dem Weg zum Priestertum entfaltet und gekräftigt werden; es gilt aber auch, alles Negative zu durchschauen, zu überwinden, umzuwandeln. Gewiß ist dies alles eine Aufgabe für ein ganzes Leben. In den Jahren eurer Jugend, liebe Freunde, stellt ihr jedoch die Weichen für euren künftigen Weg, legt ihr den Grund für den Bau eures Lebens. Darum gilt es, die relativ stillen Jahre der Seminarzeit für die geduldige und stetige Formung eüres inneren Menschen zu nutzen. Darin wirkt ihr auf ganz persönliche Weise zusammen mit unserem Herrn Jesus Christus, der schon mit den ersten Jüngern eine solche geistige Formung begonnen hat, nachdem er sie in seine Nähe gerufen hatte: „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind!“ (Mk 6,31). Im Auftrag Christi, des Guten Hirten, sollt auch ihr, liebe Seminaristen, einmal als Priester den Menschen dienen. So viele von ihnen sind ohne Richtung und Ziel, ohne Hoffnung — wie Schafe, die keinen Hirten haben. Darum wünscht das Konzil, daß auch jene Eigenschaften „der Alumnen ausgebildet werden, die am meisten dem Dialog mit den Menschen dienen, wie die Fähigkeit, anderen zuzuhören und im Geist .der Liebe sich seelisch den verschiedenen menschlichen Situationen zu öffnen“ (Optatam totius, Nr. 19). Das setzt auf eurer Seite die Fähigkeit und Bereitschaft voraus, in Offenheit und Freundlichkeit, mit Zuneigung und Güte auf die Mitmenschen zuzugehen. Jetzt schon im Seminar könnt ihr das im Umgang miteinander üben, wenn ihr wie die Apostel einen Jüngerkreis um Jesus, eine Seminargemeinde, bildet. Als Priester werdet ihr dann besser in der Lage sein, mit allen Mitbrüdern bereitwillig und solidarisch zusammenzuarbeiten; soll doch das Presbyterium eines Bistums eine wahrhaft brüderliche Gemeinschaft bilden. Gestatten Sie mir nun, verehrte Herren Professoren, daß ich mich kurz auch an Sie wende. Von ihrem Forschen und Lehren wird der Glaube von Generationen junger Priesteramtskandidaten und auch Laientheologen maßgeblich geprägt. An der Klarheit, Festigkeit und Tiefe Ihrer Glaubensüberzeugung sollen Ihre Studenten sich ausrichten können. Es drängt mich, Ihnen, denen die Kirche ihren Priestemachwuchs während der Ausbildungszeit anvertraut, den aufrichtigen Dank auszusprechen für Ihren Dienst in Forschung und Lehre, in Beratung und geistlicher Führung, und Sie zu bitten, Ihre Kraft auf allen diesen Feldern zum Besten der vom Herrn besonders berufenen jungen Men- 686 REISEN sehen einzusetzen und Ihr Amt stets im Licht des Glaubens unter der.Führung des kirchlichen Lehramtes auszuüben. Mögen alle Verantwortlichen und Mitarbeiter in Seminar und Universität an ihrem jeweiligen Ort den von ihnen erwarteten wichtigen Beitrag leisten, auf daß dieses Priesterseminar für die Ortskirche in Augsburg zu einem kraftvoll pulsierenden „Herzen der Diözese“ werde, aus dessen Lebensstrom in die Gemeinden hinein sich nicht nur die Priesterschaft immer wieder verjüngt, sondern auch das religiöse Leben der Gläubigen sich fortwährend erneuert und reiche Früchte hervorbringt. Das gebe Gott mit seinem bleibenden Schutz und Segen! Homilie im ökumenischen Wortgottesdienst zu Apg 1,6-8 in der Basilika St. TJlrichund Afra zu Augsburg am 4. Mai Liebe Brüder und Schwestern im Herrn! Unser Herr Jesus Christus sagt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). In dieser Stunde sind wir im Namen des Herrn versammelt. Seine Gnade hat uns zusammengeführt, sein Geist verbindet uns. Wir suchen seine Hilfe und wollen sein Wort hören; wir sind bereit zu tun, was er uns aufträgt. So dürfen auch wir dessen sicher sein: Er selbst ist in unserer Mitte; er spricht zu uns, wie er es bei seinem Abschied getan hat, von dem die Apostelgeschichte berichtet. Wie seine Jünger damals, so werden auch wir von der Frage bedrängt: „Was wird aus uns? Was wird aus unserer Welt? Was muß geschehen, damit inmitten aller Gefahren das Reich Gottes anbricht, das Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens? „Als sie nun beisammen waren, fragten sie ihn: Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her?“ (Apg 1,6). Grundsätzlich sind die Jünger bereits davon überzeugt, daß Jesu Person und Wirken für das Anbrechen des Gottesreiches entscheidend sind. Aber ihre Frage zeigt doch auch, daß sie mit ihren Erwartungen noch weit hinter dem Zurückbleiben, was der Herr mit ihnen und der Welt vorhat. Gleich dreimal sprengt er die Grenzen, die ihr Leben und Denken einengen. Sie sprechen von Israel als dem Ort des Reiches. Er aber führt über die räumliche Beschränkung hinaus und sagt: Nicht nur hier, „in Jerusalem und in ganz Judäa“, sondern auch im euch fremden Samarien kommt das Reich; „bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8) wird es sich erstrecken. 687 REISEN Die Jünger reden von „dieser Zeit“ (Apg 1,6). Unverzüglich möchten sie ihre Wünsche erfüllt sehen. Er entgegnet: „Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat“ (Apg 1,7). Sie wollen Daten und Termine, Greifbares und Begreifbares. Er verweist sie auf den Vater und seinen unerforschlichen Willen. Seine Liebe überschreitet unsere Maße. Sie beschränkt sich nicht auf einzelne Heilsmomente; sie eröffnet vielmehr eine Heilszeit, die nicht aufhört, solange die Erde besteht. Für immer sollen die Jünger eine unvergängliche Heilsgabe empfangen, seinen Heiligen Geist. „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird, und ihr werdet meine Zeugen sein“ (Apg 1,8). Fortan soll in jedem Augenblick Gottes Geist in den Jüngern und durch sie in der Welt sein und wirken. Damit werden alle Möglichkeiten und Grenzen des Menschen vollends überschritten. Gottes Reich soll durch Gottes Geist im Innersten der Seinen beginnen und sich von dort aüsbreiten. Das soll nicht wie ein Naturereignis über sie hereinbrechen: ganz persönlich sollen sie in dieses Geschehen einbezogen werden; durch das bewußte Zeugnis jedes einzelnen und aller miteinander sollen die Gläubigen in das persönliche Tun des dreifältigen Gottes hineingenommen werden. Mit großer Dankbarkeit bekennen wir, daß sich diese Worte des Herrn am ersten Pfingstfest erfüllt haben und sich seither immer wieder neu erfüllen. In der Kraft des Heiligen Geistes ist die Kette der Zeugen Christi nicht abgerissen. Wir alle leben von ihr. Daß wir glauben können, verdanken wir nach dem Hebräerbrief einer „Wölke von Zeugen“ (Hebr 12,1). Stellvertretend für die unermeßlich große Zahl der Zeugen Christi rücken die beiden Patrone dieser Kirche in unseren Blick: die Heiligen Afra und Ulrich, eine Frau, die in der diokletianischen Verfolgung in Augsburg für den Herrn in den Tod ging, und der Bischof, dessen Leben an die Rettung Mitteleuropas aus größter Gefahr erinnert und dessen Gestalt für immer mit dem siegreichen Kreuz verbunden ist. Vergessen wir es nicht: Wir leben vom geistgewirkten Zeugnis Ungezählter vor uns und neben uns. Bedenken wir aber zugleich: Wir leben auch für das Zeugnis. Uns allen gilt die Verheißung Christi: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen.“ Sein Auftrag nimmt uns alle in Pflicht: „Ihr werdet meine Zeugen sein“ (Apg 1,8). Wer immer den Glauben empfangt, ist auch gehalten, ihnmitzutei-len. Das Licht des Herrn, das in unsere Finsternis hineinleuchtet, ist das Licht für die Welt. Wir schulden es allen unseren Mitmenschen. Unser Leben steht unter dem Wort des Völkerapostels: „Wehmir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde“ (1 Kor 9,16). Jeder ist zu einem ganz persönlichen Zeugnis gerufen. Zugleich ist jeder verpflichtet, das gemeinsame Zeugnis anzustreben. 688 REISEN Jesus Christus verheißt den Heiligen Geist ja der Gemeinschaft der Jünger: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen.“ Ebenso überträgt er die Zeugnisaufgabe allen zusammen: „Ihr werdet meine Zeugen sein“ (Apg 1,8). Wenn vor Gericht ein wichtiger Tatbestand zu ermitteln ist, braücht man mehrere Zeugen. Erst wenn ihre Aussagen übereinstimmen, kommt Licht ins Dunkel. Bei den wichtigsten Fakten im Prozeß der Welt kommt es entscheidend auf das einhellige gemeinsame Zeugnis an. Deshalb fleht der Herr im Blick auf den Glauben und auf das Heil aller: „Alle sollen eins sein, ... damit die Welt glaubt“ (Joh 17,21). Wenn wir der Weisung des Herrn gehorchen und Zeugnis von ihm geben wollen, müssen wir alles daran setzen, um immer mehr eins zu werden. Dabei dürfen wir auf den Heiligen Geist vertrauen. Der Geist der Wahrheit kann in alle Wahrheit einführen; der Geist der Liebe kann alle Trennung überwinden. Seit dem ersten Pfingstfest ist er am Werk. Danken wir für alle Einheitsgnaden, die er uns bereits geschenkt hat. Bitten wir um Verzeihung dafür, daß wir uns nur unzulänglich von diesen Gnaden haben ergreifen, beseelen und bewegen lassen. Danken wir für alle Schritte, die uns in den letzten Jahren der größeren Einheit nähergebracht haben. Insbesondere sollten wir denen danken, die sich in intensivem ökumenischem Gespräch darum bemüht haben, die Trennungen, die zu wechselseitigen Verurteilungen geführt haben, nach Kräften überwinden zu helfen. Lohnen wir der hierfür nach meiner ersten Pasto-ralreise eingesetzten Dialogkommission die sorgfältige und verantwortungsbewußte Arbeit, indem wir alle auf der Ebene unserer jeweiligen Kompetenz ihre Ergebnisse ernsthaft und zügig studieren, werten und einem möglichen kirchlichen Konsens zuführen. Was immer man uns in unserem Bemühen um die Einheit aller Christen skeptisch entgegenhält — werden wir nicht müde auf dem Weg zum gemeinsamen Herrn; er ist auch der geradeste Weg zueinander. Erstreben wir das gemeinsame Zeugnis, wo immer es geht. Je mehr wir es versuchen, um so mehr werden wir weiter mögliche Schritte zur vollen Einheit entdecken; je mehr wir eins werden, um so bessere Zeugen des Herrn können wir sein. Liebe Schwestern und Brüder! Nicht weit von hier sind im Jahre 15f8 Martin Luther und Kardinal Cajetan zusammengetroffen. Was wäre geworden, wenn am Ende ihrer Gespräche die erneuerte, vertiefte und verstärkte Einheit im Glauben gestanden hätte? Um 1530 waren viele hier in Augsburg noch um Versöhnung und Gemeinschaft bemüht. Welchen Weg hätte die Geschichte genommen, welche missionarischen Möglichkeiten hätten sich doch für die neuentdeckten Erdteile ergeben, wenn damals die Überbrückung des Trennenden und die verständnisvolle Klärung der Streitpunkte gelungen wären! Es ist nicht unsere Sache, über Wenn und Aber zu spekulieren. Auch hierfür gilt 689 REISEN wohl die Mahnung Jesu: „Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren“ {Apg 1,6). Uns ist aufgetragen, heute zu tun, was heute fällig ist, damit morgen geschehen kann, was morgen vonnöten ist. „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet euer Herz nicht“ (Hebr 3,7 f.), sagt uns der Herr. Laßt uns sein Wort und seinen Geist aufnehmen. „Laß uns eins sein, Jesu Christ, wie du mit dem Vater bist.“ Laßt uns einmütig und ohne Unterlaß beten: „Sende aus deinen Geist, und alles wird neu geschaffen“: unser Zeugnis, unsere Kirche, unsere Welt! Das schenke uns Gott in seiner Barmherzigkeit und Güte! — Amen. Homilie bei der Eucharistiefeier zum Thema ,,Europa“ auf dem Domplatz in Speyer am 4. Mai „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“ {Phil 1,2). Mit diesem Segenswunsch des Apostels Paulus grüße ich euch alle von Herzen, woher auch immer ihr vor diesem gewaltigen europäischen Dom hier in Speyer zusammengekommen seid: Laienchristen und Ordensleute, Priester und Diakone, Bischöfe und Kardinäle. Mein brüderlicher Gruß gilt in besonderer Weise dem gastgebenden Oberhirten dieser Diözese, Bischof Anton Schiembach; herzlich grüße ich auch die Gäste aus den Nachbardiözesen diesseits und jenseits der Landesgrenzen, die Repräsentanten aus Staat und Gesellschaft sowie aus der Stadt Speyer. Mit besonderer Wertschätzung grüße ich schließlich die verehrten Vertreter der christlichen Bruderkirchen. Wir sind hier versammelt, um Gott die Ehre zu geben, um unsere Gemeinschaft mit der weltweiten Kirche Jesu Christi zu bekunden und uns in Glaube, Hoffnung und Liebe gegenseitig zu bestärken und zu erneuern. Liebe Brüder und Schwestern! 1. „Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!“ {Apg 16,9). Diese Worte der heutigen ersten Lesung hörte der Apostel Paulus in einer Vision auf einer Missionsreise an der Küste Kleinasiens, gegenüber der griechischen Provinz Mazedonien. Jenseits der Meeresenge lag Europa, das der Völkerapostel bisher noch nie betreten hatte. Und nun dieser Ruf: Paulus, komm herüber nach Europa und hilf uns; verkünde uns die Wahrheit über Gott und den Menschen! Paulus und seine Gefährten erkannten in diesen Ereignissen die Führung des Heiligen Geistes; er selbst sagt es uns: „Auf diese Vision hin wollten wir so- 690 REISEN fort nach Mazedonien abfahren; denn wir waren überzeugt, daß Gott uns dazu berufen hatte, dort das Evangelium zu verkünden“ (.Apg 16,10). So haben die Füße des Apostels zum erstenmal europäischen Boden, diesen unseren Kontinent, betreten. An jener Stelle in Nordgriechenland hat die Evangelisierung Europas begonnen. 2. Worüber mag der Völkerapostel zu unseren fernen Vorfahren vor fast zweitausend Jahren gesprochen haben? Ganz gewiß auch über das Goldene Gesetz der Bergpredigt, die Acht Seligpreisungen, wie sie uns soeben im Evangelium verkündet worden sind: „selig, die arm sind vor Gott — selig die Barmherzigen — die ein reines Herz haben — die Frieden stiften — selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden“ (vgl. Mt 5,1-12). Vor allem aber hat Paulus auf denjenigen hingewiesen, der diese Seligpreisungen verkündet und mit seinem eigenen Leben bezeugt hat und sich für ihre Erfüllung hat kreuzigen lassen: unser Herr Jesus Christus, „der lebendige Stein“ ..., von Gott auserwählt und geehrt“, wie es heute in der zweiten Lesung heißt. Er ist der „Eckstein“, der denjenigen nicht zugrunde gehen läßt, der ihm glaubt (vgl. 1 Petr 2,4-8). 3. So hat die Frohe Botschaft der Bergpredigt, von Gott besiegelt durch den Tod und die Auferstehung Christi, die Grenzen Europas überschritten. Zugleich begann Paulus damals, diesem „Eckstein“ auf dem neuen Kontinent weitere „lebendige Steine“ durch neue Gläubige hinzuzufügen zu einem „geistigen Haus“, der Kirche Jesu Christi. Dieser hat sein Leben am Kreuz und sakramental schon im Abendmahlssaal zur Sühne für die Schuld der Welt dem Vater dargeboten; so ist er zum Hohenpriester des Neuen Bundes geworden. Seinem erlösenden Opfer dürfen sich nun alle anschließen, die Gottes Barmherzigkeit aus der Dunkelheit in das Licht seiner Gnade und Wahrheit gerufen hat. Deshalb zögert der erste Petrusbrief nicht, alle Jünger Christi „eine heilige Priesterschaft“ zu nennen, die — eingefügt in das eine Opfer Jesu Christi — nun auch selbst imstande sind, „geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen“ (vgl. 1 Petr 2,5). Der „Eckstein“ Jesus Christus, seine Jünger als die „lebendigen Steine“ des geistigen Hauses der Kirche, der Heilige Geist mit seiner steten unsichtbaren Führung: Das sind die Grundkräfte, die das Reich Gottes im Leben der Menschen und der Völker im Verlauf der Geschichte heranreifen lassen. 4. Die grundlegenden Wahrheiten über die Ausbreitung der Frohen Botschaft, die uns die heutige festliche Liturgie aus der Heiligen Schrift vor Augen stellt, lassen uns an jenen langen geschichtlichen Weg zurückdenken, den 691 REISEN diese Botschaft seit der Zeit der Apostel Petrus und Paulus unter den Völkern Europas bis zu uns heute zurückgelegt hat. Die Evangelisierung Europas im ersten Jahrtausend nach Christi Geburt ging von zwei ehrwürdigen Zentren aus: von Rom und von Konstantinopel. Von Rom aus gelangte die Frohe Botschaft Christi durch beauftragte Missionare wie auch durch missionarisch gesinnte Laien — Soldaten, Kaufleute, Politiker — nach den Wirren der großen germanischen Völkerwanderung vor allem zu den Franken im Westen und zu den Angelsachsen im Norden und besonders früh auch schon in dieses Rheintal. Wie ihr wißt, stammt die erste gesicherte Nachricht über einen Bischofssitz hier in Speyer aus dem Jahre 614. Wenige Jahrzehnte später wird eine erste Domkirche urkundlich bezeugt. Die nächsten Jahrhunderte erleben vor allem die Ausbreitung des Evangeliums bei den verschiedenen Slawenvölkem. Sie erfolgt zugleich von Rom und von Konstantinopel aus. In diesem Zusammenhang erinnere ich besonders an die Taufe des hl. Wladimir, des Großfürsten von Kiew, im Jahre 988, deren Tausendjahrfeier wir im nächsten Jahr zusammen mit den orthodoxen Brüdern und Schwestern in dankbarem Gebet und Lobpreis begehen wollen. Jene Taufe bedeutete den Anfang des Christentums in der Gegend des damaligen Rus‘- Reiches, im Bereich des heutigen Rußland. Den vorläufigen Abschluß der Christianisierung Europas bildet wohl die Taufe des Großfürsten Jagiello von Litauen im Nordosten Europas und seine Verbindung mit dem damaligen polnischen Reich. Das war im Jahre 1387, so daß wir gegenwärtig in tiefer geistiger Einheit mit den Christen Litauens die Sechshundertjahrfeier dieser Bekehrung begehen. Hier in Speyer hatte unterdessen Kaiser Konrad II. aus dem berühmten Geschlecht der Salier um das Jahr 1030 den Grundstein zu diesem mächtigen romanischen Dom gelegt, der dann im Jahre 1061 seine kirchliche Weihe empfing. Von da an begleitet dieses eindrucksvolle Meisterwerk mittelalterlicher Architektur die weitere Geschichte Speyers, Deutschlands und Europas. 5. Der Dom zu Speyer, einmal das größte Gotteshaus des christlichen Abendlandes,.ist wie kaum ein anderes Bauwerk Europas mit der Geschichte dieses Kontinents verwachsen. In den mehr als neunhundert Jahren seines Bestehens hat er die großen Zeiten einer gemeinsamen Kultur Europas im Bereich des Glaubens, der Wissenschaft und der Kunst miterlebt. Er hat aber auch Zeiten endloser Kriege mit ihren Zerstörungen, Zeiten der Zerrissenheit Europas miterlitten. So ist dieser Dom ein Zeuge der Größe des christlichen Europa und zugleich Zeuge seines selbstverschuldeten Niedergangs. Das reiche menschliche und geistliche Erbe, das er in sich birgt, verkündet er noch immer als mahnende Botschaft an uns Europäer von heute und von morgen. Nur 692 REISEN wenn wir unsere wahrhaft große christliche Geschichte als bleibenden Wert anerkennen und für unsere heutigen Aufgaben erschließen, kann es gelingen, als geistig geeintes Europa der Welt eine befreiende Botschaft anzubieten, die den Menschen und Völkern die Zukunft erstrebenswert machen kann und ihnen hilft, sie menschenwürdig zu gestalten und ihre Prüfungen zu bestehen. — Welche Bausteine bietet uns dafür das Vermächtnis dieser Domkirche? 6. Aus dem Erbe des Domes erschallt vor allem der Ruf nach einer neuen Transzendenz des europäischen Geisteslebens, nach einer neuen Verankerung des menschlichen Herzens und Verstandes in jenem höchsten Wesen und Urgrund, den wir Gott nennen und den wir Christen als unseren liebenden Vater und gerechten Richter anbeten dürfen. Die kostbare Krone der salischen Kaiser, die dieses Gotteshaus im wesentlichen erbauten, schmückt ein Bildnis Christi, des Weltenrichters, mit der Inschrift: „Per me reges regnant“ — „Durch mich — euren Herrn und Gott — regieren die Könige.“ Diese Herrscher wußten noch, daß sie ihre Vollmacht über andere Menschen nicht aus sich selbst hatten, sondern daß diese ihnen letztlich von Gott anvertraut war. Für ihr Leben und ihre Regierung schuldeten sie ihm Rechenschaft. Absolutistische Herrscher der Neuzeit beanspruchten hingegen eine Regierungsgewalt, die von Gott völlig losgelöst war und einzig ihrem eigenen Machtwillen entsprang. Echte oder vermeintliche Demokratien unserer Gegenwart leiten die Vollmacht ihrer gewählten Regierungen vor allem aus der Völkssouveränität ab. Dennoch binden zahlreiche von ihnen die Ausübung der Staatsgewalt sowie die Gestaltung des öffentlichen Lebens darüber hinaus — wenigstens dem Buchstaben nach — an eine Reihe von Grundwerten und Grundrechten, die sie in ihre Verfassungen aufnehmen. Oft wird in diesem Zusammenhang auch die Verantwortung vor Gott und seinen grundlegenden Geboten noch ausdrücklich genannt. Solche Beteuerungen haben jedoch nur Wert, wenn sie nicht toter Buchstabe bleiben! Seid euch deshalb bewußt, daß solche Grundsätze, die sich auch in eurer deutschen Verfassung finden, sowohl von den Verantwortlichen, aber auch von jedem einzelnen hochgeschätzt und gelebt werden müssen, damit sie sich für die Gestaltung eures Gemeinwesens sinnstiftend und richtungweisend auswirken können. Es mehren sich heute nachdenkliche Stimmen, die in der sittlichen und religiösen Ungebundenheit der Menschen und in der sich immer säkularisierter gebärdenden Gesellschaft einen Weg ins Scheitern und zu wachsendem Chaos erblicken. Der Mensch ist eben von Natur aus nicht.sich selbst Anfang und Ziel. Der Mensch ist nicht das Maß aller Dinge! Er muß einsehen, daß es über ihm etwas Unverfügbares gibt: Gott, seinen Schöpfer, seinen Vater und Richter. Nur wenn wir gemeinsam bereit sind, an Ihm wieder neu Maß zu nehmen 693 REISEN in all unseren Lebensbereichen, können wir Tiefstes und Höchstes wagen, können wir unsere vollen Möglichkeiten entfalten und einsetzen. Es wird dann immer zum Besten und zum Heil der Mitmenschen und dieser Erde gereichen und nicht zu ihrer Unterjochung oder gar Vernichtung. 7. Liebe Brüder und Schwestern! Der letzte große Baumeister am Dom von Speyer war der hl. Otto, der spätere Bischof von Bamberg. Von ihm ist bekannt, daß er in Gnesen den Frieden vermittelte zwischen Polen und den Mecklenburgern und Pommern. Zugleich führte er diese beiden Stämme in wenigen Jahren zum Christentum, wobei er dem Grundsatz folgte, keine Missionierung mit Zwang und Gewalt durchzuführen. Von ihm stammt das großartige Wort: „Gott will keinen erzwungenen, sondern einen freiwilligen Dienst.“ Wie aktuell ist doch dieses Wort über die Zeiten hinweg für Europa und für die Welt von heute! Wie ein Leuchtturm sei es über die Probleme der Gegenwart gestellt, über die Konflikte und harten Fronten innerhalb einzelner Staaten. Nicht Polizei- oder Militärmacht, nicht diktatorische Maßnahmen vermögen die grundsätzlichen Fragen zu beantworten, die Klagen zu beheben, eine gerechte Ordnung des Gemeinschaftslebens herbeizuführen. Auf weite Sicht gesehen sind Wege in eine bessere Zukunft, in eine befriedete Welt, zu fruchtbarer Zusammenarbeit aller Gesellschaftsschichten nur möglich unter diesem allgemeinen anzuerkennenden Leitwort: „Gott will keinen erzwungenen, sondern einen freiwilligen Dienst.“ Unter dieser Idee allein werden auch die bedrohlichen internationalen Gegensätze zwischen den Staaten und Machtblöcken überwunden werden können, kann ein neues, geeintes Europa vom Atlantik bis zum Ural geschaffen werden. Bei gewissenhafter Beachtung dieses Grundsatzes werden vor allem die Grundrechte des Menschen in der Gesellschaft und gegenüber der staatlichen Gewalt am besten gesichert sein. Eines der höchsten und heiligsten von diesen ist die Freiheit, Gott verehren und die eigene Religion ohne Zwang oder Behinderung ausüben zu dürfen. Dieser Dom hat es erlebt, wie blinder Haß gegen Gott und den christlichen Glauben ihn entweihte, den Gottesdienst verbot und seine Heiligtümer den Flammen preisgab. Darum erheben wir gerade von hier aus unsere Stimme, um alle Verantwortlichen in den einzelnen Ländern zu bitten, dahin zu wirken, daß in Gesamteuropa die Einschränkung und Unterdrückung der freien Religionsausübung für Personen und Gemeinschaften sowie für das Wirken der Kirchen endlich ein Ende finden. Zusammen mit dem Recht auf Religionsfreiheit muß die Achtung aller Grundrechte der Einzelpersonen sowie aller Grundwerte für ein menschenwürdiges Zusammenleben das unabdingbare Fundament für die Zukunft Europas sein. 694 REISEN 8. Das Zeugnis der Christen für die Menschenwürde und die unantastbaren Grundrechte des Menschen würde natürlich klarer und wirkungsvoller sein, wenn es mit gemeinsamer Stimme und von einer geeinten Kirche vorgetragen werden könnte. Das große Hauptportal dieser Kathedrale zeigt, in Erz gegossen, den Ruf Jesu Christi aus dem hohepriesterlichen Gebet: „Utunum sint“ — „Sie sollen eins sein!“ Als man im Jahre 1030 den Dombau begann, waren Rom und Byzanz, West- und Ostkirche, noch geeint. Als er jedoch dreißig Jahre später geweiht wurde, war der Bruch zwischen beiden Bruderkirchen bereits traurige Wirklichkeit geworden. Fünfhundert Jahre später fand im Ratssaal dieser Stadt, im Schatten dieser Domtürme, jener Reichstag statt, auf dem die Anhänger der Reformbewegung Martin Luthers ihre bekannte Gegenerklärung, ihre „Protestatio“, vorgebracht haben. Von da an tragen sie den Namen „Protestanten“. Das Leid der gespaltenen Christenheit ist das Leid dieses Gotteshauses. Es ist ein Denkmal der Einheit, die einmal gewesen ist, und ein Mahnmal zur Einheit, wie sie wieder aufkommen muß, wenn wir dem Vermächtnis Jesu treu bleiben wollen. Auf diesem mühsamen Weg zur Einheit wollen wir alles wahmehmen und hochschätzen, was zwischen den getrennten Christen noch gemeinsam ist, und alles vermeiden, was Gräben erneut vertiefen könnte. Vor allem an die orthodoxen Kirchen richten wir von dieser ehrwürdigen Stätte gemeinsamer europäischer Geschichte aus die eindringliche Bitte zur baldigen Wiedervereinigung — in dankbarer Bewunderung ihrer Christustreue und ihres Bekennermutes in den Bedrängnissen, die diese unsere Brüder und Schwestern in der Vergangenheit erleiden mußten und heute noch erleiden. 9. Liebe Mitchristen! Mancher von euch wird vielleicht in diesem Augenblick bei sich denken: Christliche Wurzeln Europas, Weltfriede, Religionsfreiheit, Wiedervereinigung der Christen, das alles sind wichtige und große Herausforderungen unserer Zeit; aber was kann ich, der einzelne, dafür tun? Kann ich überhaupt etwas dazu beitragen? Darauf gebe ich euch zur Antwort: Ja, du, der einzelne, kannst etwas in Bewegung setzen; denn jeder gute Entschluß, jede bereite Übernahme einer Aufgabe beginnt immer beim einzelnen Menschen. So sehr die Einzelbemühungen dann auch gebündelt werden müssen, um sich im Großen auswirken zu können, so bleibt doch bestehen: Das Ja einer einzelnen Person, mit Hochherzigkeit gegeben und im eigenen Lebensbereich treu durchgehalten, kann tatsächlich tiefgreifende Veränderungen zum Guten auf kirchlicher wie auf gesellschaftlicher Ebene einleiten und wirksam fordern. Diese Möglichkeiten von einzelnen Menschen bezeugen uns vor allem die großen Heiligen Europas. Sie sind ja die wahren Realisten. Sie sehendas Rin- 695 REISEN gen der Mächte des Bösen inmitten allen Geschehens; sie sehen aber auch den Heiligen Geist am Werk. So ahnen sie oft, wie das Zukünftige bereits im Gegenwärtigen heranwächst. Einige dieser bedeutenden Heiligen Europas zeigt das Bronzetor des Domes: Hugo von Cluny, Bruno von Köln, Norbert von Xanten, Bernhard von Clairvaux. Ihr Werk setzen fort die Heiligen Franz von Assisi, Dominikus, Ignatius. Sie und ihre Orden haben einen bleibenden Anteil am Wesen, an der Kultur und Geschichte Europas. Drei dieser Heiligen bezeugen als offizielle Patrone Europas dessen ganze Spannweite von West bis Ost: Benedikt von Nursia sowie Cyrill und Methodius, die beiden Slawenapostel. 10. Gott hat auch unserer Zeit heilige Menschen gesandt, die uns helfen sollen, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden, die Möglichkeiten des Menschen im Licht seines Schöpfers und Erlösers voll auszumessen und den Weg ins ewige Vaterhaus auch durch Nebel und Dunkelheit hindurch zu finden. Für sie alle nenne ich die soeben Seliggesprochenen Pater Rupert Mayer aus dem Jesuitenorden und die dem jüdischen Volk angehörende Karmelitin Edith Stein. Sie besaßen ganz gewiß die Gabe der Unterscheidung der Geister, weil sie an Gott selbst Maß genommen haben; sie durchschauten den Massenwahn und.die verführerische Propaganda ihrer Zeit. Die selige Edith Stein, Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz, hat wichtige Stationen ihres Lebens und ihres langsamen Aufstieges zur Höhe einer christlichen Philosophin und Mystikerin hier in dieser Stadt Speyer verbracht. Seid treue Hüter ihrer Botschaft und ihres Lebenszeugnisses! Edith Stein ist mit ihrem Werk und Leben Nachfolgerin der großen heiligen Frauen, Bekennerinnen, Mystikerinnen und Beterinnen des alten Europa, von denen hier stellvertretend nur die heilige Hildegard von Bingen genannt sei. Gerade die Frau von heute könnte in der neuen Seligen ein echtes Leitbild finden, um zu wahrer Selbstverwirklichung und Selbständigkeit aus der reinen Quelle unbeirrbarer Gottverbundenheit zu gelangen. 11. Paulus, „komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!“ Gibt es im heutigen Europa noch diesen Schrei nach Hilfe, nach geistigem Brot und nach Licht auf der Suche nach dem Wesentlichen, nach dem reinen Wasser der Wahrheit und Gerechtigkeit? Sollte dieser Ruf wirklich verstummt sein unter der scheinbaren „Selbstgenügsamkeit“ und Sattheit vieler heutiger Europäer, in ihrer ständigen Versuchung, so zu leben, als gebe es keinen Gott? So könnte man wirklich manchmal meinen. Und doch gibt es trotz allem gegenteiligen Anschein — Gott sei Dank! — auch heute noch diesen Ruf! Eure Priester und Bischöfe setzen dafür ihre ganze Lebenskraft ein; der Papst reist 696 REISEN gerade dafür in die verschiedenen Länder, auch dieses Kontinents. Vor allem aber erschallt dieser Ruf aus dem Leben und Werk der Heiligen und Seligen, der großen und bekannten wie auch der stillen und namenlosen. Sie alle weisen hin auf das Licht aus den Seligpreisungen der Bergpredigt, auf Jesus Christus, den „Eckstein“. Wer an ihn glaubt, der geht nicht zugrunde. Wer ihm nachfolgt, geht den Weg in die Zukunft mit jenem Optimismus, der immer wieder zum nächsten Schritt ermutigt, aber auch mit jenem Realismus, der auf dieser Erde noch keine utopischen Paradiese erwartet. Wer in Treue und Liebe dem Herrn nachfolgt, wird auch stets bereit sein, seiner europäischen Heimat zu helfen, ihre christliche Seele wiederzuentdecken und dafür gemeinsam Zeugnis zu geben. Heilige Maria, Königin des Friedens, Mutter Gottes und unsere Mutter, erbitte uns den Segen deines Sohnes für Europa und für alle Völker in der Welt! — Amen. Abschiedswort in Speyer am 4. Mai 1. „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“ (Joh 18,37). Dieses Bekenntnis spricht Jesus in der Stunde persönlicher Verfolgung und Erniedrigung, als Gefangener vor Pilatus vor Beginn seines Leidensweges. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, verehrte Mitbrüder, liebe Brüder und Schwestern! Wir haben in diesen Tagen meines Pastoralbesuches in der Bundesrepublik Deutschland im Namen der Kirche das Andenken von Zeugen Jesu Christi geehrt, die dem Herrn in dieser Sendung unter Einsatz ihres Lebens bis in Gefängnis und Tod nachgefolgt sind. Sie selber haben aus seiner Wahrheit gelebt und waren deshalb auch imstande, seine Stimme zu vernehmen und dafür vor den Menschen ein glaubwürdiges Zeugnis zu geben. Voll Freude und Dankbarkeit denke ich mit Ihnen in diesem Augenblick des Abschieds an die feierlichen Seligsprechungen von Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz in Köln und von Pater Rupert Mayer in München zurück; ebenso an die anderen Eucharistiefeiern, Gebetstreffen und zahlreichen Begegnungen. Wir haben dabei vor allem Gott in Gebet und Lobpreis unsere Eh- 697 REISEN re erwiesen, der wunderbar ist in seinen Heiligen. Zugleich haben wir gemeinsam betrachtet, was das Beispiel der beiden neuen Seligen, des Kardinals von Galen und anderer mutiger Glaubenszeugen aus der jüngeren Geschichte Ihres Landes für unsere Berufung als Jünger Christi heute bedeutet. Wie sie „gelegen oder ungelegen“ (vgl. 2 Tim 4,2) furchtlose Zeugen für Christus und sein befreiendes Wort gewesen sind und opferbereit dafür ihr Leben eingesetzt haben, so sollen wir mit Christus in der Welt von heute Zeugnis geben für die Wahrheit, für Recht und Gerechtigkeit in der Gesellschaft, für Solidarität und Brüderlichkeit in der Welt der Arbeit, für die in der Taufe grundgelegte Einheit aller Christen und unsere gemeinsame Verantwortung für ein christliches Europa sowie die Ausbreitung des Reiches Gottes in der Welt. Die Kirche stellt uns die Seligen und Heiligen zur Verehrung, vor allem aber zur Nachahmung vor Augen. 2. Aufrichtig danke ich noch einmal allen Verantwortlichen für die freundliche Einladung zu diesem zweiten Besuch in Ihrem Land. In Ihnen, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, gilt mein Dank auch dem Herrn Bundespräsidenten und allen Bürgern für die mir und meiner Begleitung erneut gewährte großzügige Gastfreundschaft; besonders jedoch all denen, die durch ihre tatkräftige Mitarbeit die Vorbereitung und den reibungslosen Ablauf dieses meines Besuches ermöglicht haben. Die bereite und wirksame Zusammenarbeit zwischen den staatlichen und kirchlichen Stellen in diesen Tagen unterstreicht ein weiteres Mal das gute partnerschaftliche Verhältnis, das in diesem Land zwischen Staat und Kirche besteht und sich seit Jahrzehnten vielfältig bewährt hat. Diese „verständige Kooperation“, die in Ihrer Verfassung grundgelegt ist, erwächst aus dem Dienst und der Verantwortung für die Menschen, die zugleich Gläubige und Staatsbürger sind. Sie garantiert den jeweiligen Institutionen und jedem Bürger jenen Freiheitsraum, der es ermöglicht, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist. Es ist jedoch zugleich ein Gebot der Stunde, daß Staat und Kirche sich im Interesse des Gemeinwohls gemeinsam darum bemühen, jene Grundwerte und -rechte in der heutigen Gesellschaft zu fördern, die allein ein menschenwürdiges Zusammenleben gewährleisten und dem Menschen helfen, seine Freiheit verantwortungsbewußt gegenüber Gott und seinen Mitmenschen zu gebrauchen. 3. Ein Wort besonderen Dankes gilt sodann den Bischöfen, deren Diözesen ich besuchen durfte, sowie der ganzen Kirche in diesem Land. Ihnen und allen Gläubigen hinterlasse ich als Auftrag und Verpflichtung das Wort des Herrn, das als Leitwort dieses Pastoralbesuches gedient hat: „Ihr werdet meine Zeugen sein.“ Ich empfehle eure Zeugenschaft nun in einer ganz besonderen Wei- 698 REISEN se dem fürbittenden Beistand eurer neuen seligen Glaubenszeugen: Schwester Teresia Benedicta vom Kreuz und Pater Rupert Mayer. Beide weisen uns auf die lebendige Kraft des Glaubens hin, die sich auch in einem unmenschlichen Regime und einer glaubensfeindlichen Umwelt zu bewähren vermochte. Diese Glaubenskraft gilt es immer wieder zu erneuern und zu stärken für ein wahrhaft christliches Lebenszeugnis in der Familie und Gesellschaft. Sie ist auch die beste Voraussetzung für zahlreiche neue Priester- und Ordensberufe, die für das Zeugnis der Kirche in der Welt von grundlegender Bedeutung sind. Ebenso wird nur ein von lebendigem Glauben geprägtes Denken und Handeln dazu beitragen können, ein christliches Europa zu formen, das zugleich Ausgangspunkt und Kern eines weltweiten Friedens sein kann. Der Aufruf zum Zeugnis für Christus hat uns in diesen Tagen auch unsere Verantwortung für die Wiederherstellung der Einheit unter allen Christen in verstärktem Maße wieder verspüren lassen: „ut unum sint.“ Christus selbst betet für die Einheit seiner Jünger gerade wegen der Glaubhaftigkeit ihres Zeugnisses gegenüber der Welt: „damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast“ (Joh 17,23). Im Vertrauen auf unser gemeinsames Gebet und die Bereitschaft aller Christen zu verstärkter ökumenischer Zusammenarbeit bin ich der festen Überzeugung, daß auch das Ärgernis der konfessionellen Spaltung mit der nötigen Geduld und Ausdauer allmählich überwunden werden kann. Die Kirche in Deutschland hat hier eine besondere Verantwortung. Möge Gott unseren schwachen Kräften mit seiner gütigen Allmacht zu Hilfe kommen und das Werk, das er durch seinen Heiligen Geist unter uns begonnen hat, auch vollenden. Mit meinen besten Wünschen für Frieden und Wohlfahrt in Freiheit und Gerechtigkeit erbitte ich Ihrem geschätzten Land und allen seinen Bürgern Gottes bleibenden Schutz und Segen. — Gelobt sei Jesus Christus! 699 REISEN Funkspruch an Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker am 4. Mai Am Ende meines zweiten Pastoralbesuches in Ihrem geschätzten Land übermittle ich Ihnen, sehr geehrter Herr Bundespräsident, in froher Erinnerung an die erlebnisreichen und geistlich fruchtbaren Tage in verschiedenen deutschen Diözesen meinen nochmaligen aufrichtigen Dank für die mir wieder gewährte herzliche Gastfreundschaft. Im ehrenden Gedenken an die zahlreichen bekannten und unbekannten Bürger, die in der großen Bedrängnis ihres Volkes mutig und opferbereit für Recht und Gerechtigkeit eingetreten sind, empfehle ich die Geschicke Ihres Landes nun in einer besonderen Weise der Fürbitte der beiden neuen seligen deutschen Glaubenszeugen, Schwester Edith Stein und Pater Rupert Mayer, und erbitte Ihnen und allen Ihren Bürgern Gottes bleibenden Schutz und Segen. 700 REISEN 4. Pastoraireise in die süditalienische Provinz Foggia (23. bis 25. Mai) REISEN Die Grundwerte des Priestertums beachten Ansprache an die Franziskaner in San Giovanni Rotondo am 23. Mai Liebe Franziskanerpater, liebe Brüder und Schwestern! 1. Vor allem danke ich Pater Flavio Roberto Carraro, dem Minister Generalis der Kapuziner, für den herzlichen Gruß, den er auch im Namen der ganzen franziskanischen Familie, die hier in ihren vier Zweigen vertreten ist, an mich gerichtet hat. Groß ist meine Freude über diese Begegnung, und dies aus verschiedenen Gründen. Wie ihr wißt, ist dieser Ort für mich mit persönlichen Erinnerungen verbunden, mit den Besuchen, die mich zu Pater Pio führten, sei es während seines irdischen Daseins, wie auch geistig, nach dem Tod, an sein Grab. Es ist immer eine große Freude für mich, den Söhnen des hl. Franziskus zu begegnen, die ich hier so zahlreich versammelt sehe. Ich liebe die franziskanische Spiritualität sehr. Eine meiner ersten Reisen in Italien führte mich zum Grab von Pater Seraficus in Assisi, und sicher erinnern sich alle an den dort im vergangenen Oktober gefeierten ökumenischen Tag. Ich freue mich auch, in diesem Heiligtum zu sein, das der heiligen Maria der Gnaden geweiht ist. Dieser Ort hat in jüngster Zeit dank Pater Pios Wirken eine große geistige Ausstrahlung erlebt; wie war jedoch dieses Wirken möglich, wenn nicht durch die ständige Ausgießung der Gnade, die durch Maria den Menschenströmen gegeben wird, die hierherkommen, um Friede und Vergebung zu finden? Pater Pio war der Mutter Gottes ergeben, der Mutter der Priester, die für sie eine besondere Rolle spielt, um sie dem höchsten Beispiel ihres Sohnes gleichförmig zu machen. 2. Der Wunsch, Christus nachzuahmen, war in Pater Pio besonders lebendig. Als Kind schon für die Gnade offen, erhielt er fünfzehnjährig von Gott die Gabe, eine klare Sicht für sein Leben zu haben. Im Rückblick auf jene Zeit erzählt er uns: „Der sichere Ort, der Hort des Friedens, war der Bereich der Kirche. Und wo hätte ich, oh Herr, dir besser dienen können als im Kreuz, unter dem Banner des Armen von Assisi? ... Möge Jesus mir helfen, ein würdiger Sohn des hl. Franziskus zu sein, damit ich ein Beispiel sei für meine Mitbrüder.“ — Wir können sagen: Der Herr erhörte ihn noch über seine Erwartungen hinaus. Als Ordensmann lebte er ganz das Ideal des Kapuziners 702 REISEN wie auch das Ideal des Priesters. Deshalb ist er auch heute ein Bezugspunkt, denn in ihm sind die beiden Elemente oder Gewalten entwickelt, die das katholische Priestertum in seiner Besonderheit und seinem wahren Wesen charakterisieren: die Fähigkeit, Leib und Blut des Herrn zu weihen und die Sünden zu vergeben. Waren denn nicht Altar und Beichtstuhl die beiden Pole seines Lebens? Dieses priesterliche Zeugnis enthält eine bedeutsame und aktuelle Botschaft. 3. Man braucht nur zu erinnern, was das Zweite Vatikanische Konzil über das Sakrament des Priestertums lehrt, vor allem im Dekret „Presbyterorum or-dinis“. Selbsthingabe des Priesters in Christus ist seine eigentliche Aufgabe, Es unterstreicht die wesentlichen und beständigen Werte des Priestertums, die sich in Pater Pio ausgezeichnet verwirklicht haben. Es werden natürlich auch neue Perspektiven und neue Formen des Zeugnisses vorgelegt, die der Mentalität unserer Zeit besser entsprechen. Es wäre jedoch ein grober Fehler, wenn der Geistliche aufgrund eines schlecht ausgerichteten Dranges zur Erneuerung diese Grundwerte vergäße; man kann sich sicher nicht auf das Konzil berufen, um eine solche Vergessenheit zu rechtfertigen. Ein wesentliches — in Pater Pios Leben erkennbares — Element des heiligen Dienstamtes ist die Selbsthingabe des Priesters in Christus und mit Christus als Opfer der Sühne und Wiedergutmachung für die Sünden der Menschen. Der Priester muß immer die klassische Definition der eigenen Sendung vor Augen haben, wie sie im Brief an die Hebräer enthalten ist: „Jeder Hohepriester wird aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott, um Gaben und Opfer für die Sünden darzubringen“ (Hebr 5,1). Dieser Definition schließt sich das Konzil an, wenn es lehrt: „Im Dienst am Heiligen, vor allem beim Meßopfer, handeln die Priester in besonderer Weise an Christi Statt, der sich für das Heil der Menschen zum Opfer hingab.“ (Dekret Presbyterorum Ordinis, Nr. 13). Pater Pio: „In der Messe ist der ganze Kreuzweg enthalten. “ Diese Hingabe muß in der Feier des eucharistischen Opfers ihren höchsten Ausdruck finden. Wer erinnert sich nicht an die Innigkeit, mit der Pater Pio bei der Messe die Passion Christi nochmals erlebte? Daher rührt die Wertschätzung, die er für die Messe hatte — sie wurde von ihm „ein erschreckendes Geheimnis“ genannt. Sie war für ihn das entscheidende Moment für das Heil und die Heiligung des Menschen durch die Teilhabe an den vom Gekreu- 703 REISEN zigten selbst erlittenen Schmerzen. „In der Messe ist der ganze Kreuzweg enthalten“, sagte er. Die Messe war für ihn Quelle und Höhepunkt, Kern und Zentrum seines ganzen Lebens und Wirkens. 4. Aus dieser innigen und liebevollen Teilnahme am Opfer Christi entsprangen für Pater Pio die Hingabe und Verfügbarkeit für die Seelen, vor allem jenen gegenüber, die in den Netzen der Sünde und den Bedrängnissen der menschlichen Not verstrickt waren. Dies ist so bekannt, daß ich nicht weiter darauf eingehen möchte; ich möchte jedoch nur einige Punkte hervorheben, die mir wichtig erscheinen, denn auch hier finden wir Übereinstimmung zwischen Pater Pios Verhalten und der Lehre des Konzils. Der demütige Ordensmann nahm bereitwillig die Eingießung jenes Geistes der Gnade und des Rates an, von dem das Konzil spricht, jenes Geistes also, der dem Seelenhirten ermöglicht, „daß er mit reinem Herzen dem Volk beistehe und es leite“ (vgl. Dekret Presbyterorum Ördinis, Nr. 7). Einer weiteren Lehre des Konzils entsprechend (vgl. ebd., Nr. 9) setzte er sich besonders für die geistliche Führung ein, indem er sich darum bemühte, den Menschen dabei zu helfen, die Gaben und Charismen zu entdecken und zu werten, die Gott in seiner geheimnisvollen Freigebigkeit wann und wie er will gewährt. Auch dies kann ein Beispiel für viele Priester sein, um einen „Dienst an den Brüdern“ wieder aufzunehmen oder zu verbessern, der so sehr mit ihrer besonderen Sendung verbunden ist. Er war stets und soll auch heute reich an geistlichen Früchten für das ganze Gottesvolk sein, vor allem zur Förderung der Heiligkeit und der heiligen Berufungen. 5. Wenn das für das Priestertum charakteristische Element die Verwaltung der Sakramente ist, so kann dieses Amt nur dann in den Augen der Menschen glaubhaft sein, wenn es auch den Forderungen der Bruderliebe genügt. Auch diesbezüglich wissen wir sehr genau, was Pater Pio getan hat: wie lebendig sein Gerechtigkeitssinn und sein Mitgefühl waren, sein Mitfühlen mit den Leidenden und wie sehr er sich tatkräftig für sie einsetzte, mit Hilfe wertvoller und hochherziger Mitarbeiter. „In die Tiefen dieser Seele“ — sagt Pater Pio von sich selbst — „scheint es mir, als habe Gott viele Gnaden eingegossen zum Mitleiden mit den Nöten der anderen, insbesondere den bedürftigen Armen gegenüber... Wenn ich von einem Menschen weiß, daß er seelisch oder körperlich leidet, was würde ich nicht tun beim Herrn, um ihn von seinen Leiden befreit zu sehen? Gerne würde ich alle Schmerzen übernehmen, nur ihn heil zu sehen, und ihm alle Früchte dieser Leiden abtreten, wenn der Herr es mir erlaubt.“ 704 REISEN Gemeinsam mit euch möchte ich dem Herrn danken, daß er uns den lieben Pater geschenkt hat, daß er ihn unserer Generation geschenkt hat in diesem so schweren Jahrhundert. In seiner Liebe zu Gott und zu den Brüdern ist er ein Zeichen großer Hoffnung und ruft uns alle auf, vor allem uns Priester, ihn in dieser Sendung der Liebe nicht allein zu lassen. Die Jungfrau vom Heiligen Rosenkranz, die er so verehrte und die auch wir in diesem ihr geweihten Monat besonders ehren, möge uns helfen, vollkommene Nachahmer des einzigen Lehrers zu sein: ihres Sohnes Jesus. Mein Segen kommt von Herzen. Die Leiden lindern Ansprache an die Kranken und das Pflegepersonal des Krankenhauses in San Giovanni Rotondo am 23. Mai Liebe Brüder und Schwestern, liebe Kranke! 1. Herzlich danke ich dem Präsidenten dieses Werkes, Msgr. Riccardo Ruo-tolo, für das Grußwort, das er an mich gerichtet hat. Euch allen gilt mein herzlicher Gruß: dem Ärzte- und Pflegepersonal, den Priestern, Kranken und Gläubigen. Ich bin tiefbewegt darüber, mich noch einmal an diesem Ort einzufinden, den ich 1947, vor langer Zeit, kurz nachdem dieses Krankenhaus errichtet worden war, zum ersten Mal besuchte. Ich freue mich, das modern verwirklicht zu sehen, was Pater Pio im Sinn hatte und vorhersagte: „eine Krankenhausstadt, die den kühnsten klinischen Notwendigkeiten technisch entspricht und gleichzeitig eine ,aszetische Lebensform“ eines kämpferischen franziskanischen Geistes ist, ein Ort des Gebetes und der Wissenschaft, wo die Menschheit sich im gekreuzigten Christus als einzige Herde mit einem einzigen Hirten wiederfindet.“ Und diese Stadt wächst noch weiter. Sie ist eine „Zitadelle der Liebe“ am Heiligtum Marias und trägt nach dem Wunsch von Pater Pio den bedeutsamen Namen: Haus zur Linderung des Leidens. " 2. Die Linderung des Leidens: In diesem feinen Ausdruck ist einer der wesentlichen Gesichtspunkte der christlichen Liebe zusammengefaßt, jener brüderlichen Liebe, die Christus uns lehrte und die auf seine ausdrückliche Er- 705 REISEN mahnung hin das unterscheidende Zeichen seiner Jünger ist und sein muß; j e-ner Liebe, deren aktive Ausübung besonders den Bedürftigsten gegenüber ein unabdingbares Motiv für die Glaubwürdigkeit jener Botschaft der Wahrheit, der Liebe und des Heils ist, die der Christ der Welt künden soll. Dieses Werk, für das Pater Pio so sehr betete und sich aufopferte, ist ein wunderbares Zeugnis der christlichen Liebe. Pater Pio hatte die große Intuition, die Wissenschaft im Dienst der Kranken mit dem Glauben und Gebet zu vereinen: die Medizin, die im Kampf gegen die Krankheit immer weitere Fortschritte machte; der Glaube und das Gebet, die das Leiden wandeln und erheben, das trotz aller medizinischen Fortschritte in gewissem Maße immer ein Erbe des Erdenlebens bleiben wird. 3. Daher war und ist ein wesentlicher Gesichtspunkt des großen Planes von Pater Pio, daß der Aufenthalt in diesem Krankenhaus neben der Gewährleistung körperlicher Behandlung auch eine wahre und eigene Formung zur Liebe darstelle—verstanden als christliche Annahme des Schmerzes. Besonders muß dies dank des. Liebeszeugnisses geschehen können, das vom Ärzte- und Pflegepersonal und von den Priestern gegeben wird, wenn sie den Kranken beistehen und sie behandeln. So soll sich eine wahre und eigene Gemeinschaft bilden, die auf der Liebe Christi gründet: eine Gemeinschaft, welche die Pflegenden mit denen verbrüdert, die gepflegt werden, wie Pater Pio 1957 sagte: „Hier werden Kranke, Ärzte und Priester ,Vorräte der Liebe1 sammeln und diese Liebe wird im einzelnen um so reicher sein, je mehr sie sich den anderen mitteilt.“ Das war die Absicht von Pater Pio, und sie möge stets das grundlegende Ziel dieser schönen Einrichtung sein! „In jedem Kranken ist der leidende Jesus “ Indem ich alle Kranken in diesem Haus meiner tief empfundenen Nähe versichere, wünsche ich, daß sie immer mehr die Wohltat einer Atmosphäre der Liebe und Solidarität erfahren dürfen, die auf Glauben und Gebet gründet. „In jedem Kranken ist der leidende Jesus“, sagte Pater Pio. „In jedem Armen ist der schmachtende Jesus. In jedem armen Kranken begegnet uns zweimal Jesus: als Leidender und Schmachtender.“ 4. Ich bitte Gott, daß der Geist brüderlicher Liebe, der dieses „Haus zur Linderung des Leidens“ beseelt, weiter blühe und zunehme. Euer Zeugnis, liebe Ärzte, Pfleger und Priester,, ist nicht nur für die hier eingelieferten Kranken äußerst wertvoll, sondern ist auch ein wichtiges Zeichen für die ganze Kirche und die Gesellschaft. 706 REISEN Euch, lieben Kranken, gewähre die selige Jungfrau Maria von ihrem Sohn das Licht und die Kraft, um im Glauben den Wert des Kreuzes zu begreifen, das ihr tragt. i Euch allen und euren Lieben gilt von Herzen mein Segen. Christen sind keine Waisen Predigt bei der Eucharistiefeier in San Giovanni Rotondo am 23. Mai 1. „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch“ (Joh 14,18). Die Osterzeit, liebe Brüder und Schwestern von San Giovanni Rotondo, ist die Zeit des Abendmahlssaals. Christus sagte diese Worte zu den Aposteln im Abendmahlssaal, während sich der Augenblick der schmerzlichen Trennung näherte. Am gleichen Abend sollte er in Getsemani gefangengenommen und dem Hohen Rat übergeben werden, um vor Gericht gestellt zu werden. Am darauffolgenden Tag sollte er verurteilt werden und sich von den Aposteln trennen durch den Kreuzestod. Als Jesus die Worte, die wir im heutigen Evangelium lesen, gesprochen hatte, war er sich der Leiden bewußt, die auf sie und ihn zukommen sollten. Er war sich dessen bewußt, daß er sie „als Waisen“ zurückließ, und daß dies sie tief betrüben würde. Zu der Tatsache, als Waisen zurückgelassen zu werden, kommt die Bitterkeit der Enttäuschung hinzu. Obwohl Christus oftmals sein Leiden und seinen Kreuzestod angekündigt hatte, waren die Jünger innerlich nicht auf so eine Prüfung vorbereitet. Als sie da war, verspürten sie eine herbe Enttäuschung. Sie hielten nicht stand mit ihrem Meister. Durch die Auferstehungsbotschaft wich die Niedergeschlagenheit 2. „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen.“ Heute vernehmen wir diese Worte, und sie sind nur der Widerhall jener schweren Tage. Jesus ist zu seinen Jüngern zurückgekommen. Er hat sie nicht als Waisen zurückgelassen. Er ist als Auferstandener gekommen. So wie er aus ihrer Mitte in den Himmel aufgenommen wurde (vgl. Apg 1,11) und wie er hinwegging, als er den Kreuzestod erlitt. Die Zeit des Abendmahlssaals ist ständig mit der Erinnerung an jenes Hinweggehen und mit der Erfahrung des Wiederkommens verbunden. 707 REISEN In diesem Wiederkommen wird das, was Christus vorhergesagt hatte, bestätigt: „Ihr werdet erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir, und ich bin in euch“ (Joh 14,20). Ja. In der Tat. Christus ist im Vater als vielgeliebter, wesensgleicher Sohn, der eines Wesens mit ihm ist. Jener schmerzliche Tag, der diese Wahrheit durch die Finsternis des Todes zu verdunkeln schien, liegt nunmehr weit zurück. Jetzt, durch die Auferstehung, erstrahlt diese Wahrheit in neuem Licht, in vollem Licht. Der Sohn ist im Vater. „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat“ (Ps 117/118,24). Die Stadt, die besonders mit der Person P. Pios verbunden ist 3. Liebe Brüder und Schwestern, auch wir wiederholen heute voll Freude mit dem Psalmisten: „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat!“ Freude, weil das Osterlicht den ganzen Verlauf der menschlichen Geschichte erhellt. Freude auch über diese unsere Begegnung, die in diesem Licht des Glaubens stattfindet, in dieser Zeit inneren Jubels, die dem Osterfest folgt. Mit diesen Empfindungen grüße ich herzlich alle Anwesenden: die Erzbischöfe von Manfredonia-Vieste und von Foggia-Bovino zusammen mit den anderen Oberhirten der Diözesen der Provinz Foggia. Ich grüße mit Hochachtung die Vertreter der Behörden! Ein besonderer Gruß gilt den zahlreichen Kranken; der Gruppe die von UNITALSI betreut wird, und jener der spastisch gelähmten Kinder der Provinz Foggia. Dann grüße ich herzlich euch alle hier anwesenden Gläubigen, die Jugend, die ältere Generation, die Familie, alle! Eure Stadt San Giovanni Rotondo erlebt seit einiger Zeit — so können wir sagen — einen „Tag, den der Herr gemacht hat“: ich denke besonders an den Aufschwung, den sie erfuhr infolge der Anwesenheit und Tätigkeit von P. Pio da Pietralcina, durch die er weltweit bekannt wurde. Auch jetzt noch ist eure Stadt ein Anziehungspunkt für zahlreiche Pilger, dank der Tätigkeit der Kapuzinerbrüder, die das Werk des Dieners Gottes würdig fortführen. Liebe Brüder und Schwestern von San Giovanni Rotondo, erweist euch immer des Zeugnisses würdig, das P. Pio gegeben hat. 4. Im Licht des Tages, „den der Herr gemacht hat“, sehen die Jünger Jesu alles erneuert. Die gesamte Schöpfung erscheint vor ihren Augen mehr denn je als ein Werk Gottes, ein Werk voll des Ruhmes. Deshalb sagen sie zu Gott: „Wie ehrfurchtgebietend sind deine Taten; ... Kommt und seht die Taten Gottes! Staunenswert ist sein Tun an den Menschen“ (Ps 65/66,3.5). 708 REISEN Der Exodus des Neuen Bundes führt die Menschen zur Erlösung 5. Die Apostel, die Jünger Christi, haben in ihrem Herzen immer das Andenken an den Auszug aus Ägypten, das Andenken an jene Befreiung, bewahrt. Und nun inmitten des Paschafestes selbst, das eine gewaltige Ankündigung war, hat sich vor ihren Augen das erfüllt, was von den Propheten vorhergesagt worden war: Jesus hat mit seinem Kreuz für alle die endgültige Befreiung begonnen und sie ihnen gebracht. „Christus ist der Sünden wegen ein einziges Mal gestorben, er, der Gerechte, für die Ungerechten, um euch zu Gott hinzuführen; dem Fleisch nach wurde er getötet, dem Geist nach lebendig gemacht“ (1 Petr 3,18). Der Paraklet läßt seine „Klienten“ nicht auf den falschen Weg geraten 6. Dieses Leben, dieses neue Leben, ist aus dem Heiligen Geist. Er ist jener Geist der Wahrheit, der von Jesus vor seinem Leiden angekündigt worden war: „Und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben... Es ist der Geist der Wahrheit“ (Joh 14,16-17). Nun, Jesus lebt in der Kraft dieses Geistes. In seiner Macht erfüllt er das Versprechen, das er den Jüngern gegeben hat: „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch.“ In der Auferstehung Christi wird die Macht des Heiligen Geistes offenbar, wird die Macht des Geistes der Wahrheit bestätigt. Schon am ersten Abend nach der Auferstehung kommt Jesus in den Abendmahlssaal, haucht die versammelten Apostel an und sagt: „Empfangt den Heiligen Geist“ (Joh 20,22). Deshalb sind sie nicht mehr Waisen, sind sie nicht mehr verlassen. Und sie werden nie verlassen sein, auch wenn die Tage nach der Auferstehung vorbei sein werden und Jesus in den Himmel aufgenommen sein wird. Die Apostel werden keine Waisen sein. Auch die immer wieder neuen Generationen der Christen, der Jünger Christi, werden und sind keine Waisen. Jesus ist ständig bei ihnen. Er kommt ständig zu ihnen in der Macht des Heiligen Geistes. Als erste sollten die Apostel am Pfingsttag davon überzeugt werden. Die Kontinuität Gottes in Christus, in ihm und mit ihm 7. „Es ist der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht erkennt. Ihr aber kennt ihn“ (Joh 14,17). Nicht von der Welt, sondern von Gott. Das ist die tiefste Wahrheit von der Kirche und in der Kirche von jedem von uns. 709 REISEN Von jedem, der durch den Tod und die Auferstehung Christi wiedergeboren ist: durch die Taufe und den Glauben. Das ist die Wirklichkeit. Die Zeit des Abendmahlssaals dauert in der Kirche fort. Sie dauert in uns fort. Er ist offen für die Menschen aller Zeiten. Wenn von außen Trübsal hereinbricht, wenn die Welt voller Gefahren und Versuchungen ist, kommt Christus immer wieder im Heiligen Geist zu uns. Er lebt in uns, wir leben in ihm (vgl. Joh 14,19). Und wir erkennen ständig, daß er, der Sohn, im Vater ist. Und gleichzeitig erkennen wir, daß er in uns ist — und wir in ihm sind. Die Eucharistie ist eine besondere Verwirklichung dessen. Sie ist das Sakrament der Gegenwart Christi in uns und unserer Gegenwart in ihm. Die Welt ist Empfänger, nicht Spender des Geistes 8. Hier sind wir im Begriff, dieses wunderbare, heiligste Sakrament, die Eucharistie, zu feiern. Die Bitte des Erlösers im Abendmahlssaal erfüllt sich von neuem. Wir empfangen den Beistand, den Geist der Wahrheit, den nur er uns geben kann. Die Welt kann ihn nicht geben, „weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt“ (Joh 14,17). Aber kann sie ihn auch nicht empfangen? Kann die Welt den Geist der Wahrheit nicht empfangen? Eben deshalb empfangen wir ihn inmitten der Welt, um ihn uns überall hinzutragen, an jeden Ort, wo er nicht ist. Und wo nur er Quelle des neuen Lebens, Quelle der Wahrheit und der Liebe, werden kann. Komm, Heiliger Geist! So erklingt das Gebet des Abendmahlssaals unaufhörlich durch jeden von uns in der Welt. 710 REISEN Der hl. Erzengel Michael — Beschützer und Verteidiger der Kirche Ansprache beim Heiligtum des Erzengels Michael in Monte Sant Angelo am 24. Mai Geliebte Brüder und Schwestern! 1. Es ist mir eine Freude, heute in eurer Mitte zu weilen, im Schatten dieses dem Erzengel Michael geweihten Heiligtums, das seit fünfzehn Jahrhunderten Ziel von Pilgerfahrten und Bezugspunkt derer ist, die Gott suchen und Christus nachfolgen wollen, „denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten“ [Kol 1,16). Herzlich grüße ich euch alle, ihr Pilger, die ihr aus dem Umkreis des Garga-no, dieses wunderbaren Gebirgszuges, gekommen seid, der dem Blick des Besuchers reizvolle Ausblicke auf die liebliche, blühende Landschaft mit ihren charakteristischen Gruppen knorriger Ölbäume auf den Felsen bietet. Insbesondere begrüße ich die Vertreter der Behörden und religiösen Institutionen, die zur Verwirklichung dieses Pastoralbesuches beigetragen haben; ich begrüße Erzbischof Valentino Vaillati von Manfredonien und danke ihm für die Worte, mit denen er diese Glaubenskundgebung eröffnet hat; ich begrüße vor allem die Benediktinerpatres der Abtei Montevergine, denen die geistliche Betreuung dieses Heiligtums anvertraut ist. Ihnen und insbesondere ihrem Abt P. Tommaso Agostino Gubitosa spreche ich meinen Dank für die christliche Belebung und geistliche Atmosphäre aus, die sie allen vermitteln, die hierher kommen, um ihren Geist an den Quellen des Glaubens aufzufrischen. Ein Ort des Schweigens, des Gebets und der Buße 2. Wie einst viele meiner Vorgänger auf dem Stuhl Petri bin auch ich hierher gekommen, um einen Augenblick lang die diesem Heiligtum eigene Atmosphäre — Schweigen, Gebet und Buße — zu genießen; ich bin gekommen, um den Erzengel Michael zu verehren und ihn anzurufen, damit er die Kirche in einem Moment schütze und verteidige, in dem es schwierig ist, ein authentisches christliches Zeugnis ohne Kompromisse oder Halbheiten zu geben. Seit Papst Gelasius I. im Jahr 493 gestattete, die Grotte der Erscheinungen des Erzengels Michael als Gottesdienststätte zu gestalten, ihr auch selbst seinen 711 REISEN ersten Besuch abstattete und dabei den Ablaß „Perdono angelico“ gewährte, sind viele Päpste seinen Spuren gefolgt und haben diesen heiligen Ort verehrt. Zu ihnen zählt man Agapitus I., Leo IX., Urban II., Innozenz II., Coelestin III., Urban VI., Gregor IX., den hl. Petrus Coelestinus und Benedikt IX. Auch zahlreiche Heilige sind hierher gekommen, um Kraft und Trost zu schöpfen: ich möchte den hl. Bernhard, den hl. Wilhelm von Vercelli — den Gründer der Abtei Montevergine —, den hl. Thomas von Aquin und die hl. Katharina von Siena nennen. Mit Recht berühmt geworden und immer noch in lebhafter Erinnerung ist der Besuch des hl. Franz von Assisi, der zur Vorbereitung auf die Fastenzeit 1221 hierher kam. Die Überlieferung berichtet, daß er, der sich nicht für würdig hielt, in die heilige Grotte einzutreten, bei ihrem Eingang stehen blieb und aiif einem Stein ein Kreuzzeichen einritzte. Dieser lebendige und nie unterbrochene Strom berühmter und einfacher Pilger, der seit dem Hochmittelalter bis in unsere Tage aus diesem Heiligtum einen Ort der Begegnung im Gebete und der Stärkung des christlichen Glaubens gemacht hat, bezeugt, wie sehr die Gestalt des Erzengels Michael, Hauptfigur vieler Seiten des Alten und Neuen Testaments, vom Volk verehrt und angerufen wird, und wie sehr die Kirche seines himmlischen Schutzes bedarf, des Schutzes dessen, der in der Bibel als der große Kämpfer gegen den Drachen, den Anführer der Dämonen, vorgestellt wird. Wir lesen in der Offenbarung: „Da entbrannte im Himmel ein Kampf; Michael und seine Engel erhoben sich, um mit dem Drachen zu kämpfen. Der Drache und seine Engel kämpften, aber sie konnten sich nicht halten, und sie verloren ihren Platz im Himmel. Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel und Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt, und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen“ (Offb 12,7-9). Der Autor des heiligen Textes legt uns in dieser dramatischen Beschreibung den Fall des ersten Engels vor, der vom Ehrgeiz verführt wurde, „wie Gott“ zu werden. So erklärt sich auch die Reaktion des Erzengels Michael, dessen hebräischer Name „Wer ist wie Gott?“ das Eintreten für die Einzigartigkeit und Unverletzbarkeit Gottes zum Ausdruck bringt. Der hl. Michael setzt sich ein für die unveräußerlichen Rechte Gottes 3. Die Angaben der Offenbarung über die Persönlichkeit und die Rolle des hl. Michael sind zwar lückenhaft, aber sehr beredt. Er ist der Erzengel (vgl. Jud 1,9), der sich für die unveräußerlichen Rechte Gottes einsetzt. Er ist einer der Fürsten des Himmels (vgl. Dan 12,1), woraus der Erlöser hervorgehen wird. Das neue Volk Gottes ist jetzt die Kirche. Das ist nun der Grund, warum sie Michael als ihren Beschützer und Helfer in all ihren Kämpfen für die Ver- 712 REISEN teidigung und Ausbreitung des Reiches Gottes auf Erden betrachtet. Wenn auch, der Versicherung des Herrn gemäß, „die Mächte der Unterwelt sie nicht überwältigen werden“ (Mt 16,18), so bedeutet das jedoch nicht, daß wir keine Prüfungen und Kämpfe gegen die Hinterlist des Bösen zu bestehen haben. In diesem Kampf steht der Erzengel Michael der Kirche zur Seite, um sie gegen alle Bosheiten der Welt zu verteidigen und den Gläubigen beim Widerstand gegen den Dämon beizustehen, der „wie ein brüllender Löwe umhergeht und sucht, wen er verschlingen kann“ (1. Petr 5,8). Dieser Kampf gegen den Dämon, der die Gestalt des Erzengels Michael kennzeichnet, ist auch heute aktuell, weil der Dämon noch immer lebt und in der Welt wirkt. Tatsächlich, das Böse, das sich in ihr findet, die Unordnung in der Gesellschaft, die Widersprüchlichkeit des Menschen, die innere Zerbrochen-heit, deren Opfer er ist, sind nicht nur Folgen der Erbsünde, sondern auch des verheerenden und dunklen Wirkens Satans, dieses hinterlistigen Feindes des moralischen Gleichgewichtes des Menschen, den der hl. Paulus entschieden als den „Gott dieser Weltzeit“ (2 Kor 4,4) bezeichnet, da er sich als gerissener Betörer kundtut, der es versteht, sich ins Spiel unseres Handelns einzuschleichen, um dort Abweichungen zu bewirken, die ebenso schädlich wie unseren instinktiven Wünschen scheinbar gemäß sind. Deshalb warnt der Völkerapostel die Christen vor den Hinterhalten des Dämons und seines zahlreichen Gefolges, wenn er die Bewohner von Ephesus auffordert: „Zieht die Rüstung Gottes an, damit ihr den listigen Anschlägen des Teufels widerstehen könnt. Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs“ (Eph 6,11-12). An diesen Kampf erinnert die Gestalt des Erzengels Michael, dem die Kirche sowohl des Ostens als auch des Westens stets besondere Verehrung entgegengebracht hat. Wie bekannt errichtete Konstantin das erste ihm geweihte Heiligtum in Kontantinopel: das berühmte Michaelion, dem in jener neuen Hauptstadt des Reiches zahlreiche andere, dem Erzengel geweihte Kirchen folgten. Im Westen verbreitete sich die Verehrung des hl. Michael vom 5. Jahrhundert an in vielen Städten: in Rom, Mailand, Piacenza, Genua und Venedig; die berühmteste der vielen Verehrungsstätten ist jedoch sicher die auf dem Gargano. Der Erzengel wird hier auf dem 1076 in Konstantinopel gegossenen Bronzetor dargestellt, wie er den höllischen Drachen erlegt. Dies ist ein Symbol, mit dem ihn die Kunst darstellt und die Liturgie anruft. Alle erinnern sich an das Gebet, das vor Jahren am Ende der hl. Messe gesprochen wurde: „Hl. Erzengel Michael, verteidige uns im Kampf.“ Ich werde dieses Gebet gleich im Namen der ganzen Kirche wiederholen. 713 REISEN Vorher jedoch erteile ich euch allen, die ihr hier anwesend seid, sowie euren Familien und allen Menschen,die euch teuer sind, meinen Segen, der auch all jenen gilt, die an Leib und Seele leiden. Dem Wert der Familie treu bleiben Ansprache in Foggia am 24. Mai Herr Minister, Herr Bürgermeister, liebe Brüder und Schwestern aus der Stadt Foggia! 1. Es ist mir eine Freude, heute unter euch zu weilen, auf diesem an Menschlichkeit, Fleiß und Hoffnung reichen Boden. Ich danke dem Herrn Minister, der mir den Gruß der italienischen Regierung übermittelte, und ich danke auch dem Herrn Bürgermeister für die freundlichen Worte, die er im Namen der Bevölkerung der Stadt an mich gerichtet hat. Ich danke euch allen, die ihr hierher gekommen seid, und begrüße euch, und ich möchte wünschen, meine Pilgerfahrt in die Provinz Foggia möge in euch allen als Ergebnis unserer Verbundenheit tiefe Spuren der Spiritualität und der Hoffnung hinterlassen. 2. Mit Freuden denke ich daran, daß die Stadt Foggia ihren Ursprung einem christlichen Glaubensereignis verdankt, nämlich der Auffindung eines Heiligenbildes, das Maria, die Mutter Gottes und der Menschen, darstellt und das ihr unter dem Namen „alte Ikone“ so sehr verehrt. Dieses Bild ist auch mir teuer, weil es mich sehr an die Muttergottes von Jasna Gora erinnert. Eure ganze fast tausendjährige Geschichte ist von einem lebendigen Sinn für das Evangelium durchdrungen. Seit den ältesten und bis in die neuesten Zeiten wurden und werden hier in der Umgebung Wallfahrtsorte und Zentren des christlichen Glaubens errichtet. In ununterbrochenem Zustrom kommen nach alter Tradition Pilger in dieses Gebiet, um sich Kraft für den harten und schweren Lebensweg zu holen. In vielen Formen erblühte hier echteste Heiligkeit aus dem Herzen des christlichen Volkes. Liebe Brüder und Schwestern aus Foggia! Schon mehrmals bin ich als Hirte einer Teilkirche hierher gekommen. Heute komme ich als Hirte der Weltkirche für drei Tage, um die fünf Diözesen der Region Capitanata zu besuchen. 714 REISEN Die Probleme, die euch bedrücken, und die Schwierigkeiten, denen ihr Tag für Tag begegnen müßt, sind mir zum Großteil schon bekannt. Ich hoffe, daß die zuständigen Autoritäten auf den verschiedenen Ebenen rechtzeitig euren Notwendigkeiten mit entsprechenden Maßnahmen entgegenkommen werden, und möchte unterstreichen, daß der Glaube, der dem Evangelium entstammt und dessen Mittelpunkt der für uns gestorbene und auferstandene Gottmensch ist, eine geistige Kraft darstellt, die uns in den Schwierigkeiten des Lebens mit Energie ausrüsten kann. Dieser Glaube ist gleichzeitig ein Lebenskeim, imstande, zu Lösungen von Problemen der sozialen Gerechtigkeit und der menschlichen Entwicklung anzuregen und das Gute in jeder Form zu fordern. 3. Brüder und Schwestern, die von Gebirgen umgebene Tavoliere-Ebene hat sich immer durch den Fleiß ihrer Bewohner ausgezeichnet. Einst war diese Erde eine sumpfige, ungesunde Steppe. Die Arbeit hat sie zu Weiden und Wäldern und kleinen Wohngebieten umgestaltet. Das ganze Gebiet ist heute von einzigartiger Bedeutung für Landwirtschaft und Industrie. Es ist dies ein Geschenk, das euch eure Vorfahren als Erbe hinterlassen haben, das ihr als solches empfangen habt und das zu vervollkommnen ihr euch verpflichtet fühlt. An euch liegt es jedoch vor allem, auf menschlicher, sozialer und christlicher Ebene eine noch höhere Aufgabe zu erfüllen: ihr sollt dahin wirken, daß die Arbeit nicht nur dem eigenen Lebensunterhalt und dem der Familie dient, sondern auch Element für die Förderung der menschlichen Person wird und sie in die Lage versetzt, ihre Fähigkeiten zum Ausdruck zu bringen, ihre gesunden Bestrebungen zu verwirklichen und die großen Ziele zu erreichen, die über den materiellen Bereich hinausgehen. Bei der Verwirklichung dieser erhabenen Aufgabe sollen euch die christliche Herkunft eurer Traditionen, der lebendige Sinn für die Einheit der Familie sowie der zähe und konkrete Fleiß, der es versteht, Lösungen für die ständig auftauchenden Probleme zu finden, Ansporn und Hilfe sein. 4. Euer Land war im Lauf der Geschichte Treffpunkt der Völker. Eure Zivilisation ist Frucht der Begegnung vieler Rassen, die im Feuer der christlichen Liebe zusammengeschmolzen sind. Auch heute ist Foggia mit seinem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt ein Ort des ständigen Durchzuges verschiedener Bevölkerungsgruppen, die aus Gründen der Arbeit, der Kultur und des Glaubens unterwegs sind. Diese Tatsache sei für euch eine Einladung, einen spezifischen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten, indem ihr aus der nie versiegenden, immer alten und immer neuen Quelle eurer christlichen Wurzeln schöpft. Bleibt dem unschätzbaren Wert der Familie treu. Pflegt, wie ihr es immer getan habt, die Liebe zum menschlichen Leben, insbesondere zum keimenden 715 REISEN Leben. Wenn sie ihm keine Achtung entgegenbringt, hat die Gesellschaft keine Zukunft. Schließt eure Kräfte zusammen, um Möglichkeiten zu finden, die der Jugend Arbeitsplätze garantieren, damit die Jugendlichen mit der gesicherten Arbeit sich selbst wiederfinden und nicht Opfer jener verheerenden Vorspiegelungen werden, die mit dem schändlichen Phänomen der Drogensucht im Zusammenhang stehen. Vertraut stets auf die Hilfe Gottes, die ich mit meinem Segen auf euch herabrufe. In der Kraft des Geistes Zeugnis für Christus ablegen Predigt bei der Konzelebration mit den Bischöfen Apuliens in Foggia 1. „Samaria hatte das Wort Gottes angenommen“ (vgl. Apg 8,14). Die liturgischen Lesungen der Osterzeit greifen in erheblichem Ausmaß auf den Text der Apostelgeschichte zurück, in der die Zeugnisse von den ersten Ereignissen der Geschichte der Kirche gesammelt vorliegen. Der Diakon Philippus ist von Jerusalem nach Samaria gekommen und hat dort Christus verkündet und Samaria hat das Wort Gottes angenommen. Wenn wir dieses Zeugnis hören, liebe Brüder und Schwestern von Foggia und der Capitanata, erinnern wir uns der Vergangenheit eurer Heimat. Wann kam das Wort Gottes in diesen Teil der Halbinsel von Apulien und in diese Stadt? Wann wurde es so aufgenommen wie damals in Samaria? Seit wann geht in diesem Land die Apostelgeschichte weiter? Bekanntlich versetzen jahrhundertealte und ehrwürdige Überlieferungen die Ankunft des Christentums in Apulien noch in das Zeitalter der Apostel. In den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeit blühten dann die ältesten Diözesen in diesem Gebiet auf, und von diesen Gemeinschaften erbten die ersten Bewohner der Capitanata den Glauben; sie waren es auch, die nach dem Jahr 1000 die Dörfer der Ebene von Foggia gründeten. Die Kathedralen Apuliens zeugen auch heute noch von lebendigem Glauben Eine ununterbrochene Glaubenstradition verbindet die Bevölkerung des Apulien von heute mit jenen christlichen Wurzeln , und das Wort Gottes wird nach dem Beispiel der Apostel hier weiter gepredigt. Jene predigten das Wort der Wahrheit und gründeten Kirchen, ihre Sendung aber ging ständig und ohne Unterbrechung durch die Zeiten weiter. So wird das Wort Gottes auch heute 716 REISEN noch „verherrlicht“ (2 Thess 3,1), und wir danken Gott für die herrliche Arbeit, die in so vielen Jahrhunderten der Geschichte des Glaubens geleistet wurde. Eure wunderbaren Kathedralen sind ein Hymnus, und er bezeugt die Kraft und Vitalität eines Glaubens, der in die Kultur eingegangen ist, Ihr habt das Wort des Herrn „angenommen“. Die Wurzeln eurer Mentalität, sind mit dem Genius eures Landes im Christentum wohl gegründet. 2. Als die Apostel in Jerusalem erfuhren, daß Samaria das Wort Gottes angenommen hatte, sandten sie Petrus und Johannes dorthin. Diese zogen hinab und beteten für sie, sie möchten den Heiligen Geist empfangen (vgl. Apg 8,14-15). Erst war der Diakon Philippus dort gewesen, nach ihm kamen die Apostel, die seit dem letzten Abendmahl die Fülle des Priestertums besaßen. Gerade dort, im Abendmahlssaal haben sie den Heiligen Geist empfangen. Erst war er ihnen als Tröster versprochen worden. Jesus hatte am Vorabend seines Todes gesagt: „Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit“ (Joh 14,16-17). Dann hat Christus den Aposteln nach der Auferstehung, und wieder im Abendmahlssaal, dieses „Geschenk von oben“ (vgl. Jak 1,17) gebracht. Er tat es kraft seines Erlösertodes, und die Apostel konnten an seinen Händen und in seiner Seite die Zeichen der Kreuzigung sehen. In dieser Stunde also „hauchte er sie an und sprach: ,Empfangt den Heiligen Geist,“ (Joh 20,22). Er hat erfüllt, was er verheißen hatte: „Der Geist der Wahrheit... wird bei euch bleiben und in euch sein“ {Joh 14,17). An jenem Tag werdet ihr im Licht dieses Tröstergeistes „erkennen, daß ich in meinem Vater bin, ihr in mir seid und ich in euch bin“ {Joh 14,20). 3. Die Apostel haben den Heiligen Geist empfangen, um ihn anderen weiterzugeben. Gerade deswegen gingen Petrus und Johannes auch nach Samaria und beteten für jene, die durch den Dienst des Philippus das Wort Gottes angenommen hatten, sie möchten den Heiligen Geist empfangen. Denn „sie waren nur auf den Namen Jesu, des Herrn, getauft“ {Apg 8,16). Nun „legten (die Apostel) ihnen die Hände auf, und sie empfingen den Heiligen Geist“ {Apg 8,17). Vielleicht wird an keiner anderen Stelle derart klar die Verbindung zwischen Taufe und Firmung aufgezeigt. Die Taufe versenkt uns in den Tod Christi, damit wir an seiner Auferstehung teilhaben können. Die Firmung dagegen ist die Vollendung der Taufe so wie Pfingsten die Vollendung von Ostern ist. Die liturgische Zeit, die wir eben durchleben, läßt uns gerade dieses Geheimnis neu aufgehen. 717 REISEN 4. Alle, die irgendwo in der Welt das Wort Gottes angenommen haben — in Samaria und anderswo, und auch in diesem uralten christlichen Land, empfangen durch die Auflegung der Hände der Apostel den Heiligen Geist: den Tröstergeist, den die Apostel nach der Auferstehung Christi als erste am Pfingsttag empfangen haben. Nachdem sie aber den Tröster, der der Geist der Wahrheit ist, empfangen hatten, erkannten sie auch, daß sie keine Waisen mehr waren; sie erkannten, daß Christus nun in ihnen weilte: Er ist im Vater, und sie sind in ihm, weil Er in ihnen ist. So lebt also Christus, und sie leben in Ihm. 5. An jene, die das Wort Gottes angenommen haben und durch Taufe und Firmung der Gabe des Heiligen Geistes teilhaftig geworden sind, schreibt der Apostel Petrus: „Haltet in eurem Herzen Christus, den Herrn, heilig! Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (7 Petr 3,15). Seid bereit, für diese Hoffnung Zeugnis abzulegen. Für welche Hoffnung? Für jene, die ihr in euren Herzen tragt, da ja Christus in ihnen wohnt, weil Er in euch weilt und ihr in Ihm. Ja, Christus lebt. Er, der in der Kraft des Heiligen Geistes zu euch gekommen ist, hat den Tod und die Sünde überwunden. Christus lebt, und auch ihr werdet in ihm leben. Dies ist die Hoffnung, für die ihr Zeugnis geben müßt. Wenn wir durch die Auflegung der Hände der Apostel bzw. der Bischöfe den Heiligen Geist empfangen, so geschieht das, damit in uns die Hoffnung lebendig wird, die ihre Quelle in Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen hat, und damit wir für diese Hoffnung Zeugnis geben. 6. „Gebt uns Raum in eurem Herzen“ (2 Kor 7,2). Mit dieser dringenden Aufforderung des Apostels Paulus an die Christen von Korinth haben eure Bischöfe euch ermahnt, meinen Besuch anzunehmen. Ich danke ihnen für ihren bedeutsamen Hirtenbrief und für die Hoffnungen, die sie eurem guten Willen machen wollten. Ich mache mir ihre Mahnungen zu eigen und lade euch ein, die Erwartungen eurer Hirten nicht zu enttäuschen, weil ihr wohl wißt: sie haben euch mit erleuchtetem Geist und voll Eifer geschrieben und die besondere Stunde bedacht, in der eure Kirchen in dieser Zeit tiefreichender sozialer Wandlungen eures Landes leben müssen. Sie haben euch ermuntert, euren Glauben neu zu festigen und ihn tatkräftig vorzuleben. Auch ich fordere euch auf, das Bewußtsein von eurem Credo neu zu erwecken, entsprechend den geistigen Erfordernissen von heute, so daß ihr euch immer mehr dessen bewußt werdet; was in unseren Tagen zu bezeugen ist. 718 REISEN Die Bischöfe müssen den Aufbau und die Sendung der Kirche besorgen Ich fordere euch auf, in der Liebe zur Kirche zu wachsen; in ihr ist es Christus selbst, der uns führt, der mit seiner Stimme zu uns spricht, uns lehrt und heiligt. Macht euch hochherzig verfügbar und übernehmt Verantwortung für ihren Aufbau und die Sendung, die sie auf Erden weiterführt. Entdeckt neu die Bedeutung, die euch als einer Gemeinschaft zukommt, die die dem ganzen christlichen Volk eigene Sendung teilt. Haltet an eurem Willen fest, euer Herz mit echt katholischer Hochherzigkeit zu öffnen. Ich freue mich mit euch über das Liebeswerk, das ihr für eine Nation in Afrika übernommen habt. In Cotonou in Benin steht ein Hospital, das euer Werk ist. 7. Das Zeugnis für die Hoffnung, die ihre Quelle im auferstandenen Christus hat, muß mit der Liebe zu einem einzigen Ganzen werden, denn durch die Liebe wohnt Christus in uns und wir in ihm. „Wer mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren“ {Joh 14,21). „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten“ Ich werde mich ihm offenbaren... er wird mit einem neuen Bewußtsein sein Leben weiterführen. In einem gewissen Sinn wird er es mit einem neuen Christusbild im Herzen und in seinen Werken tun. Dieses Bewußtsein spiegelt sich im Herzen und in den Werken wider als göttlicher Maßstab für das ganze christliche Leben: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten“ — sagt Christus (Joh 14,15). Der Apostel Petrus aber schreibt: „Das geschehe bescheiden und ehrfürchtig, denn ihr habt ein reines Gewissen“ (I Petr 3,16). „Euer rechtschaffenes Leben“ (1 Petr 2,12) und eure Werke, die eines christlichen Gewissens würdig sind, sollen die Hoffnung bezeugen, die in uns ist. 8. Liebe Brüder und Schwestern! Seit vielen Jahrhunderten haben die Söhne und Töchter dieses Landes — wie einst Samaria — das Wort Gottes angenommen. Die Sakramente der Taufe und der Firmung führen uns als Sakramente der Einführung ins Christentum seit Generationen zu dieser Quelle der Hoffnung hin, die der auferstandene Christus ist: Zu Christus, der im Vater lebt. Zu Christus in der Eucharistie: Zu ihm, der in uns lebt und wir in ihm. Müssen wir dann nicht auch an uns die gleichen Forderungen stellen, die der Apostel Petrus an die ersten Christen richtete? Müssen wir dann nicht auch ständig bereit sein — auch in unserer heutigen Zeit — die Hoffnung, die in uns ist, zu verteidigen? 719 REISEN Besteht unsere Berufung als Christen nicht darin, in der Kraft des Geistes der Wahrheit für Christus Zeugnis abzulegen? Mit diesen Fragen, die das Gewissen und die Einsatzbereitschaft eines jeden aufrütteln, spreche ich alle Anwesenden — ganz Foggia und der gesamten Ca-pitanata — meine Grüße aus und meine besten Glückwünsche im auferstandenen Christus. Amen. Jung sein bleibt ein kostbarer Schatz Ansprache an die Jugendlichen von Foggia am 24. Mai Liebe Jugendliche! Ein Treffen mit euch durfte auf diesem meinem Besuch in Apulien nicht fehlen. Mit großer Freude begrüße ich euch und danke all denjenigen, die diese Begegnung organisiert haben, aber ganz besonders euch, die ihr aus allen Teilen der Provinz Foggia gekommen seid. Dankeschön für den Empfang, für die herzliche Freude, die euer Vertreter zum Ausdruck gebracht hat, für die prachtvolle Folkloredarbietung, die ich habe bewundern können. Im Szenarium dieses eures wundervollen Landes, das eine jahrhundertelange Geschichte bewahrt, bilden eure Stimmen einen kräftigen, von Vitalität und Hoffnung getragenen Chor. Als Pilger der Frohbotschaft des Evangeliums komme ich zu euch. Ich bringe euch eine Botschaft, die ich euch als Aufgabe anvertrauen möchte: Haltet in eurem Herzen den Sinn für das Ideale lebendig und verbreitet ihn um euch her. Ich verhehle mir nicht die Schwierigkeiten, denen die Jugend heute begegnet: die harte Gegenüberstellung zwischen der Welt der Gleichgültigkeit und der Kriminalität und jener — unvergleichlich weitergespannten — der Ehrlichkeit. Mir entgehen auch die zahlreichen Krisenfaktoren nicht, die in der Gesellschaft von heute bestehen: Todesideologien, die im Umlauf sind, der kulturelle Verfall, der ungehemmte Kult materieller Werte, soziale Diskriminierungen, die Arbeitslosigkeit, dies alles sind Phänomene, die dazubeitragen, die Gegenwart zu verdunkeln und Schatten auf die Zukunft zu werfen .Wiesieauf der Jugend lasten, läßt sich ablesen an Begriffen wie Vergiftung, Müdigkeit und Mißtrauen, und manchmal tauchen Symptome von Instabilität auf, die zwischen gewalttätiger Rebellion und verzweifelter Flucht schwanken. 720 REISEN Die Jugend ist eine Zeit voll schöpferischer Aufgaben Aber das Jungsein bleibt ein kostbarer Schatz, eine Gabe Gottes, eine an schöpferischen Aufgaben und an Perspektiven reiche Zeit. Der Ruf nach hohen Idealen ist im Herzen der Jugendlichen von heute nicht erloschen, denn keine äußere Macht kann die tiefen Sehnsüchte der Seele unterdrücken. Nichts Böses ist imstande, die Macht des Guten aufzuhalten; es gibt keine Gewalt, die fähig ist, die Kraft der Liebe auszulöschen, die im Herzen des jungen Menschen schlägt. Darum erhofft und erwartet man von euch, ihr Jugendlichen, eine gültige, positive Antwort auf die Probleme, die unsere Welt plagen. Von euch erwartet man einen Beitrag, der nötig ist, damit die Zukunft des Menschen menschlicher sein kann. Ihr Jugendlichen seid dazu aufgerufen, in den vordersten Linien zu handeln und nicht Zuschauer bei der Entwicklung unserer Zeit zu sein. Die Gaben, die Gott euch mit der Jugend gegeben hat — Kraft, Intelligenz, Mut, Freiheit und, auf übernatürlicher Ebene, den Glauben, die Gnade, die mutige und mit-empfindende Nächstenliebe und uneigennützige Hochherzigkeit — sind für alle ein Grund zu lebendiger Hoffnung. 2. Ihr wißt, daß all das, was sich in der Welt entwickelt, der Herrschaft des Menschen unterworfen und daher euren Händen, eurer Intelligenz anvertraut ist und von euch die Ausrichtung nach einem Ziel erwartet, das gut oder schlecht sein kann. Es hängt von euch, von eurem Herzen ab, dafür zu sorgen, daß sich der Fortschritt auf bestmögliche Weise vollzieht. Nun hat der Weg des Guten einen Namen: er heißt Liebe; in ihr kann man den Schlüssel für jede Hoffnung finden, denn die wahre Liebe hat die Wurzel in Gott selbst: „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen“ (Joh 4,16). Gegen den Egoismus des Menschen die Liebe setzen Die Liebe ist die konstruktive Macht eines jeden positiven Wegs für die Menschheit. Die Zukunft erntet keine Hoffnungen aus Gewalt, Haß und Überflutung mit individuellen oder kollektiven Egoismen. Der Liebe beraubt, wird der Mensch Opfer einer heimtückischen Spirale, die die Horizonte der Brüderlichkeit immer mehr verengt und den einzelnen dazu drängt, aus sich selbst, dem eigenen Ich und dem eigenen Vergnügen das einzige Urteilskriterium zu machen. Die egozentrische Perspektive, der Grund für die Verarmung der Liebe, entwickelt die schlimmsten Gefahren, die heute in der Welt der Jugendlichen existieren. 721 REISEN Mangel an Liebe bedeutet, der Gleichgültigkeit und der Skepsis weichen; Mangel an Liebe heißt auch, Sklaven des Rauschgifts und der ungeordneten Sexualität werden; Mangel an Liebe heißt, sich Organisationen überlassen, die auf Gewalt beruhen und illegal und mit gewaltsamen Übergriffen am Werk sind. 3. Es wird heutzutage viel von der Religionskrise der Jugendlichen gesprochen. Es stimmt, daß die Welt der Jugend von schwerwiegenden Einmischungen verwirrt wird, die die innere Öffnung zu Werten des Glaubens stark beeinflussen. Es trifft aber auch das zu, was aufmerksame Beobachter schon seit einiger Zeit hervorheben: Es entwickelt sich eine intensive Suche nach Gott und es behaupten sich Verhaltensweisen, die sich auf den religiösen Sinn des Daseins berufen. Gott ist nicht zu unterdrücken, denn er ist die Wahrheit, die Güte, die Vollkommenheit; in Gott finden sich auf unendliche Weise all die Werte, von denen hohe Ideale nicht absehen können. Euch, ihr gläubigen Jugendlichen, steht die Aufgabe zu, zu diesem Wiederaufblühen beizutragen. Es ist Zeit, Zeugnis abzulegen, miteinander zu sprechen, zu handeln und von der Hoffnung, die in euch ist, Rechenschaft abzulegen (vgl. 1 Petr 3,14). Schwierigkeiten im Leben von euch Jugendlichen sind nicht Frucht eines unüberwindbaren Schicksals. Sie sind in Wahrheit ein Zeichen dafür, daß die schwindelerregenden Wandlungen der Lebensbedingungen, gemeinsam mit umwälzenden kulturellen Angeboten unsere Gesellschaft tief getroffen haben. Diese Gefahren müssen abgewehrt werden, indem der Kultur des Negativen, die den Menschen zerstört, die Kultur der Liebe, die ihn erzieht und rettet, entgegengesetzt wird. Wir haben Vertrauen, denn wir wissen, daß Gott in das Herz eines jeden Menschen den Sinn für das Gute gelegt hat, den Wunsch nach Wahrheit und die Fähigkeit, die Gerechtigkeit zu erkennen und zu suchen. Auch die nichtgläubi-gen Jugendlichen entdecken wieder, wie dringlich es ist, die Ideen der Liebe und der Würde, die aus den Wurzeln der christlichen Kultur erwachsen, zu erkennen und zu verteidigen. Hinsichtlich dieser Werte können wir uns daher mit allen Menschen treffen und sind sicher, daß wir auch eine Antwort auf die im Menschenherzen vorhandene Sehnsucht nach Gott geben können, indem wir unsere Brüder mit unserem Glauben bekanntmachen. 722 REISEN Jesus gibt Antwort auf Fragen und Probleme der Jugend Der auferstandene und nun ewig lebende Christus ist die Antwort auf eure Fragestellungen und Probleme. In ihm findet jedes reine und edle Ideal seine tiefen und wesentlichen Gründe. Christus erhellt in der Tat das Geheimnis des Menschen, indem er das Geheimnis Gottes enthüllt: in seinem Licht leuchtet all das auf, was der Mensch ist, sei es in der Dynamik seines Handelns, sei es in den verborgenen Seiten seines Seins. Der auferstandene Christus ist schöpferisches Licht, das vom Bösen befreit, jeden Keim des Guten wachsen läßt und sein Reifen schützt. Es ist das allumfassende Licht, das jedes Hindernis überwindet und die Schatten zerstreut. In ihm wird jedes ehrliche Streben bekräftigt, das den charakteristischen Schwung der Jugend ausdrückt. Christus ist jedoch anspruchvoll; er vermeidet halbe Maßnahmen. Er weiß, daß er auf eure Großzügigkeit und Konsequenz zählen kann; deshalb erwartet er sich viel von euch! 4. Um Christus treu zu folgen — dies ist ein Punkt, auf den ich eure Aufmerksamkeit lenken will — müßt ihr euer Verhältnis zur Kirche tief und aufrichtig gestalten. Christus lebt heute in der Kirche, die, eingegliedert in die menschliche Familie, von Generation zu Generation an seine Botschaft erinnert. Ihr habt teil an der Berufung der Kirche, das Evangelium unverkürzt zu verkündigen, unterstützt durch die Kraft des Heiligen Geistes, der das Schiff Petri durch die Wogen der Geschichte zum Ufer der endzeitlichen Erfüllung geleitet. Diese Überfahrt ist nicht leicht, und die Kirche erscheint dabei oft als Zeichen des Widerspruchs, gegen das sich Meinungsverschiedenheiten und Gegensätze erheben. Das geht soweit, daß man die Kirche für eine unnütze und überflüssige Struktur hält. Liebe Jugendliche, laßt euch nicht von den Anschuldigungen und leichtfertigen negativen Urteilen über die Kirche in Versuchung führen. Sie sind oft Frucht von veralteten Vorurteilen und zuweilen von einer methodischen und spitzfindigen Feindseligkeit, die sich in Wirklichkeit gegen den Glauben wendet, sich aber insbesondere gegen die katholische Kirche richtet, da diese am ausgeprägtesten die religiöse Dimension in unserer Gesellschaft verwirklicht. Kirche kennenlemen durch Vertiefung in ihren inneren Reichtum Setzt alles daran, die Kirche kennenzulernen, sie zu verstehen, sie zu lieben, ihrer Stimme Aufmerksamkeit zu schenken. Man darf die Kirche nicht mit ei- 723 REISEN nem oberflächlichen kurzen Blick auf ihre Identität und ihre Lehre kennenlernen wollen, sondern muß sich bemühen, sich in ihren inneren Reichtum zu vertiefen. Wendet euch mit offenem, aufrichtigem, vorurteilsfreiem Herzen an die Kirche, damit ihr besser versteht, was die Kirche ist und tut. Ich bitte euch um eine aufrichtige Haltung gegenüber der Kirche. Nehmt die Verantwortung auf euch, auf ihre wahre Stimme zu hören. Junge Menschen sind empfänglich für die Wahrheit, sie wissen, daß die Kirche die Probleme, von denen das Schicksal des Menschen abhängt, mit Aufrichtigkeit und Weisheit angeht. Die Jugendlichen wissen, daß die Kirche, um die Wege der Gerechtigkeit und des Friedens zu verkünden, sich zur Stimme der Armen macht, zur Stimme derer, die keine Stimme haben. In der natürlichen Frische ihrer Intuition und der Großzügigkeit ihrer Anfangserfahrung können gerade die Jugendlichen besser die Gültigkeit der ursprünglichen und doch durch jahrhundertelangen Erfahrung erprobten Lösungen verstehen, die die Kirche den Menschen angesichts der gewaltigen Probleme anbietet, welche das Bewußtsein aller erregen. Sucht in der Kirche, in ihrer lebendigen Stimme, die Zeichen ihres ewigen Zeugnisses und seid bereit, persönlich und hochherzig die Verantwortungen, die euch als lebendige Mitglieder des Gottesvolkes betreffen, auf euch zu nehmen. 5. Euch, ihr Jugendlichen, öffnet Christus einen unermeßlichen Horizont; er ruft euch dazu auf, ihm auf der Straße des Guten zu folgen, er lädt euch dazu ein, von ihm zu lernen. Die geistige und moralische Ebene eures Daseins hängt zu guter Letzt von eurer Fähigkeit ab, die Augen auf Christus, das höchste Vorbild, zu heften. Ohne ihn nutzt sich das moralische Gewissen ab, der Sinn für das Gute und das Böse verdunkeln sich. Habt keine Angst vor den Forderungen der Liebe Christi. Fürchtet vielmehr jede Form von Egoismus, der auf Oberflächlichkeit, Individualismus, Böswilligkeit, Angst, mit einem Wort: auf all das hinausläuft, was versucht, in euch die Stimme Christi, die euch zu seiner Nachfolge ermutigt, zum Schweigen zu bringen. Nehmt hochherzig den Einsatz auf euch, mit Tatsachen zu beweisen, daß ihr an die befreiende Kraft der Lehre Jesu, an die Wirksamkeit der Botschaft des Friedens und der Gerechtigkeit glaubt, die von seiner Liebe ausgeht. Tragt dazu bei, daß die Welt sich von den Mächten der Gewalttätigkeit und der Ungesetzlichkeit, von der Logik der Gewalt, der Rache und des Hasses befreit. Mit Vertrauen und Hoffnung wiederhole ich: Haltet das Ideal der Liebe, die von Gott kommt, im Herzen lebendig und verbreitet es um euch her. Nun sagen wir miteinander:, ,Wir haben die Liebe erkannt, die Gott zu uns hat, und haben an sie geglaubt. Gott ist die Liebe.“ Dies sei heute die abschließende Katechese. 724 REISEN Mit Marias Hilfe das Geschenk der Liebe annehmen Die Jungfrau Maria, die in ihrem Schoß das menschgewordene Wort Gottes empfing und in ihrem Herzen liebend über das Geheimnis Christi nachsann, wie wir in der wunderbaren Dichtung von Giacopone da Todi gehört haben, begleite euch und unterstütze euch in eurem Bemühen, euch dem Geschenk der Liebe zu öffnen, so daß ihr dazu beitragen könnt, in einer neuen Welt die Kultur der Liebe aufzubauen. Eure Hochherzigkeit unterstütze der Segen, den ich euch allen gern erteile. Bevor ich euch zum Schluß gemeinsam mit eurem Erzbischof und den anderen anwesenden Bischöfen den Segen erteile, möchte ich euch noch einmal für diesen Dialog danken. Es ist wirklich ein Dialog gewesen! Ihr habt mit euren Stimmen, durch eure Gesten, eure Lieder, eure Begeisterung, durch Volkstänze und die szenische Darbietung des Werkes eines großen italienischen Dichters des Mittelalters gesprochen. Ihr habt gesprochen als Erben eurer ganzen Kultur, der Kultur eures Landes, eures Volkes, der Kultur dieser Region, dieser Provinz Foggia. Ihr habt zu mir gesprochen, und ich habe mit größter Aufmerksamkeit und tiefer Dankbarkeit diesem Wort, eurem Wort, einem so reichen, so unterschiedlichen Wort zugehört. Dann habe ich eine Antwort gegeben in dem Sinn, daß ich alles bekräftigte, was ihr in eurem Wort als Ausdruck jenes menschlichen und christlichen Erbes eures Landes und auch als Ausdruck eurer Ideale vorgetragen habt, und ich habe euch von jenem Ideal gesprochen, das endgültig in Christus Gestalt annimmt und in Glauben, Hoffnung und Liebe gelebt wird. So könnten wir unsere Begegnung zusammenfassen. Ich danke euch für dieses Treffen, das für mich eine große Freude bedeutet. Schließlich haben wir auch ein wenig den Regen aufhalten können!“ Und so kommen wir nun zum Schlußsegen, der vor allem ein liturgischer Ausdruck jenes Segens sein soll, den Gott, der Schöpfer der Welt und des Menschen, mit jenem Blick verband, den er auf seine Schöpfung richtete. Er schaut von Anfang an und immer auf sie. Er schaut auch an diesem Abend auf uns und sagt uns die gleichen Worte, die er am Anfang der Schöpfung sprach, als er alles ansah und sah, daß alles gut war. Darum hat er seinen Sohn hingegeben, der bei uns ist. Er ist in der Kirche, ist gegenwärtig in seinem Wort, in seinen Sakramenten, in der Eucharistie, und so, wie wir es heute im Evangelium des hl. Johannes gehört haben: „Ich bin im Vater und ihr in mir und ich in euch.“ Dieser Schlußsegen sei Ausdruck jener Liebe Gottes, des Schöpfers, und Gottes, des Erlösers, der Liebe Christi, der in seinem Vater und in uns ist, und wir in ihm! 725 REISEN Maria — Fürsprecherin der menschlichen Sorgen Predigt bei der Messe beim Wallfahrtsheiligtum der Mutter von der immerwährenden Hilfe in San Severo am 25. Mai 1. „Meine Tochter, du bist von Gott... mehr gesegnet als alle Frauen auf der Erde“ (Jdt 13,18). Gepriesen sei Gott... Gepriesen sei Gott, Schöpfer des Himmels und der Erde, der „seinen Sohn sandte“ (Gal 4,4). Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen ewigen Sohn, der eines Wesens mit dem Vater ist, den geliebten Sohn ... geboren von einer Frau. Und gepriesen sei jene Frau, die auf ewig dazu bestimmt ist, die Muttergottes zu sein. Gepriesen sei Maria, die Tochter Zions. Eine Versammlung im Glauben und in der Liebe Mit den Worten der heutigen Liturgie, die der Feier der Muttergottes von der immerwährenden Hilfe gewidmet ist, grüße ich euch, ihr Brüder des hl. Severin. Ich grüße Carmelo Cassati, den Bischof dieser geliebten Diözese und mit ihm denke ich voll Zuneigung an die Priester, die Ordensmänner und Ordensfrauen und an die im Apostolat wirkenden Laien. Mein achtungsvoller Gruß wendet sich auch an die anwesenden Behördenvertreter und an die ganze Bevölkerung von San Severo. Ich danke ganz besonders für die geistige Vorbereitung, auf die ihr eure Seelen eingestimmt habt, damit' dieser Besuch unter dem Blick der Madonna, der Schutzherrin eurer Stadt, ein Moment der Gemeinschaft im Glauben und in der Liebe ist. Euch alle, Männer und Frauen, Kinder und Jugendliche, Erwachsene und alte Leute, aber insbesondere euch, liebe Kranke, vertraue ich ihr an. 2. Möget ihr euch immer bewußt sein, daß die Heilige Jungfrau, deren vor nunmehr 50 Jahren gekröntes Bildnis sich heute neben dem Altar befindet, die Hoffnungen und die Sorgen aller in ihrem mütterlichen Herzen aufnimmt. Um auf eurer Pilgerfahrt des Glaubens fortzuschreiten, blickt auf ihre liebliche Gestalt und liebt, wie sie, Gott und die Brüder. Danken wir dem Herrn für die beständige Gegenwart der Muttergottes in den geschichtlichen Wechsellallen von San'Severo, das aus gutem Grund die Stadt Mariens genannt wird, denn seine Bewohner haben sich im Laufe des Jahrhunderts durch ihre andächtige Hingabe ausgezeichnet, die auch von den zahlreichen Kirchen bezeugt wird, die ihr hier gewidmet sind. 726 REISEN Wendet euch beharrlich an diese sorgende Mutter. Eure Gebete, eure Werke und eure Leiden werden durch die mütterliche Vermittlung zur Verherrlichung des Herrn und zum Dienst am Nächsten, so wie es in Kana in Galiläa auf der Hochzeit geschah, zu der Maria gemeinsam mit ihrem Sohn und seinen ersten Jüngern eingeladen worden war. Maria als Mittlerin zwischen menschlicher Not und göttlicher Hilfe Johannes, der einer der anwesenden Jünger war, legt im Evangelium Zeugnis davon ab, wie Maria von Anfang an dazu bereit war, den Menschen in der Not Beistand zu leisten. Die menschliche Not war folgende: die Brautleute und gemeinsam mit ihnen der für das Festmahl Verantwortliche „haben keinen Wein mehr“ (Joh 2,3) für die Gäste. Und Maria sagt zu Jesus: „Sie haben keinen Wein mehr.“ Ihr mütterlich empfindsames Herz nimmt in sich das Echo dieser konkreten menschlichen Sorge auf. Sie überträgt dem Herzen ihres Sohnes diese Not. Die Sorge um den Nächsten wird ihre Sorge vor Jesus Christus. Maria glaubt an die messianische Kraft ihres Sohnes, an seine heilende Kraft, die vom Bösen, von jedem Bösen befreit, angefangen bei dem kleinsten. Maria wird von ihrem Sohn zur Fürsprecherin der menschlichen Sorgen: sie wird zur Mittlerin. In Kana zeigt sie sich daher bereits als Mutter der immerwährenden Hilfe. 3. Es gibt jedoch auch große Sorgen, so wie die, an die der heutige Wechselpsalm mit den Worten des Buchs der Judit erinnert. „... in der Not unseres Volkes hast du dein Leben nicht geschont; nein, du hast entschlossen unseren Untergang von uns abgewehrt“ {Jdt 13,20). Es gibt große soziale Sorgen. Ganze Völker werden bedroht. Wie oft finden ganze Völker inmitten dieser Bedrohungen den Weg, sich an die Mutter Christi zu wenden, so wie ihn die jungen Brautleute von Kana in Galiläa gefunden haben. Davon legt die Geschichte Zeugnis ab: sowohl die Geschichte der Nation, deren Sohn ich bin, als auch die vieler anderer Nationen. Männer und Frauen, Familien und Menschengruppen, ganze Völker in verschiedenen Teilen der Erde haben Vertrauen in sie, die Mutter des Gekreuzigten und Wiederauferstandenen. „Die Erinnerung an dein Vertrauen soll in Ewigkeit nicht aus den Herzen der Menschen entschwinden, die sich an die Macht Gottes erinnern“ (Jdt 13,19). 727 REISEN Marias Hoffnung und Vertrauen auf Gott soll unser Vorbild sein Menschen, Gesellschaften, Völker haben Vertrauen in ihr Vertrauen! Sie ist die große Erfahrung der christlichen Hoffnung. Die Erfahrung des Glaubens. Die Hoffnung wurzelt in der Tat im Glauben, geht aus ihm hervor. 4. Die ganze Kirche hat Vertrauen in ihr Vertrauen. Von den ersten Tagen an, seit die Apostel sich nach der Himmelfahrt des Herrn im Abendmahlssaal in Jerusalem versammelt hatten um zu beten: gemeinsam mit ihr. Mit Maria, der Mutter Jesu (vgl. Apg 1,14). In diesen Tagen rufen wir in der Liturgie jene Zeit wach, die zwischen der Auferstehung und dem Pfingstfest liegt; wir begehen die glückliche Zeit, in der sich die „Erfüllung der Zeiten“ bestätigt hat. Derselbe Vater nämlich, der „seinen Sohn gesandt hat“, „sandte den Geist seines Sohnes in unser Herz“ (Gal 4,6). Der Geist des Vaters in Gemeinsamkeit mit dem Geist des Sohnes erlaubt es uns auszurufen „Abba, Vater“! So wie Jesus, der Sohn Marias in seinen irdischen Tagen rief: Abba, Vater! Maria hat dieses Herabkommen des Geistes zur Stunde der Verkündigung als erste erfahren: „Der Heilige Geist wird über dich kommen. ... Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,35). Nun nimmt sie gemeinsam mit den Aposteln im Abendmahlssaal am neuerlichen Herabkommen des Heiligen Geistes teil, durch dessen Wirken aus ihr der Sohn Gottes geboren wurde. Von ihr hat der Sohn Gottes die menschliche Natur, einen menschlichen Körper genommen. Durch das Werk des Heiligen Geistes muß nun die Kirche geboren werden, die der Apostel den Leib Christi nennt. 5. Was ist die Wirklichkeit dieses Leibes? Was ist seine innere Natur? Derselbe Apostel antwortet im Brief an die Galater mit drei sehr bedeutsamen Worten: „Ihr seid Söhne“ (vgl. Ga/ 4,6). Ihr seid Söhne, weil euch der Sohn der Frau, der der Sohn Gottes ist, erlöst hat. Ihr seid deshalb „Söhne im Sohn“. Ihr empfangt die Sohnschaft von Gott und bildet daher eine Gemeinschaft, die der Leib des Sohnes ist. Ihr seid mit ihm in der Einheit des Leibes vereinigt, mit der Einheit der Inkarnation, mit der Einheit der Gabe des Heiligen Geistes, mit der Einheit der Gnade. Sagt deshalb gemeinsam mit ihm zu Gott: „Abba, Vater“. So rufen die Herzen, zu denen der Heilige Geist herabgekommen ist. 6. Und die Mutter? Diejenige, die durch das Werk des Heiligen Geistes dem Sohn, dem ewigen Wort Gottes einen menschlichen Leib gegeben hat, welche Rolle spielt sie im Moment dieser neuerlichen Herabkunft? 728 REISEN Sie ist die Zeugin ihres Sohnes, seiner rettenden Kraft, so wie es in Kana war. Sie ist die Zeugin des trostspendenden Geistes, die diese rettende Kraft des Sohnes in den menschlichen Herzen verbreitet. Sie verbreitet sie im Leib Christi, der die Kirche ist. Und Maria? Und die Mutter? Sie ist wie in Kana stets die Zeugin der menschlichen Bedürfnisse, des menschlichen Unglücks und menschlicher:Armut, der menschlichen Leiden und Sünden, der Kümmernisse und der Ängste. In diesem Leib, der die Kirche ist, muß sie stets die Mutter der immerwährenden Hilfe sein. Gerade weil sie die Muttergottes von der immerwährenden Hilfe ist, hört sie nicht auf — wie in Kana — zu wiederholen: „Was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5). In der Tat weiß sie, daß jeder von uns „kein Sklave mehr, sondern Sohn ist“ (vgl. Gal 4,7). Jeder ist dazu aufgerufen, „Sohn im Sohn“ zu sein. Und daher muß er das erfüllen, was der Sohn verkündet. Jeder ist zur göttlichen Erbschaft aufgerufen, die der Sohn für uns verdient hat und deren Preis er mit dem eigenen Blut bezahlt hat. Maria sagt daher — gemeinsam mit dem Apostel Paulus — zu jedem von uns: „daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott“ (Gal 4,7). 7. Unsere Sohnschaft und unser Erbe mit ihm ist vor allem der Grund für die beständige und immerwährende Sorge der Mutter Christi; Sohnschaft, Erbe, aller, eines jeden und einer jeden. Die unaufhörliche Sorge dieser Mutter muß zu immerwährender Hilfe werden. Die Botschaft, die sie an uns wendet, ist: „Was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5).' Für jeden den Lebensstandard sichern Ansprache an die Gläubigen von Ascoli Satriano (Region Apulien) am 25. Mai Liebe Brüder und Schwestern aus Ascoli Satriano! 1. Aus tiefstem Herzen danke ich dem Herrn, der es mir geschenkt hat, diesen unvergeßlichen Augenblick, der so klar durch euren lebendigen katholischen Glauben und die Großmut und Gastfreundschaft eures Herzens gekennzeichnet ist, in eurer Mitte zu erleben. Mein herzlicher Gruß gilt den Persönlichkeiten des bürgerlichen und des religiösen Lebens: dem Herrn Bürgermeister, dem ich für den herzlichen Emp- 729 REISEN fang danke, und dem Herrn Bischof Vincenzo D’Addario, dem mein Dank für die freundlichen Worte gilt, mit denen er diese familiäre Begegnung eröffnet hat. Euch alle und jeden einzelnen von euch versichere ich meines herzlichen Gedenkens, das mein Wohlwollen und auch meine Bewunderung für die Schönheiten der Natur zum Ausdruck bringen soll, die ich sowohl aus der Höhe als auch beim Betreten eurer Stadt bewundern konnte. Feierliche Ehrerbietung für die Mutter Christi Besonders freut es mich, mit euch hier bei der byzantinischen Ikone der „Madonna der Barmherzigkeit“ Zusammentreffen zu können, die ihr als Beschützerin eurer Stadt verehrt. Die feierliche Ehrerbietung, die wir heute gemeinsam der heiligsten Mutter Christi darbringen wollen, wird ein neuer, öffentlicher Beweis der Treue sein, die euch von den Vorfahren überliefert wurde, die vor vielen Jahrhunderten in einem Vertrag gelobten, daß die Stadt das wundertätige Bild der „Odigitria“ verehren werde. 2. Es hat seine Bedeutung, daß diese unsere Begegnung mit der seligen Jungfrau, seit der berühmten Schlacht zwischen Epiroten und Römern die so geschichtsträchtige Stadt Ascoli Satriano, nachhaltig um das soziale, moralische und kulturelle Wiederaufleben bemüht sieht. Eure himmlische Patronin, die euch stets in den schwierigen Augenblicken eurer Geschichte unterstützt hat, wird es auch in unseren Tagen nicht versäumen, euch bei der Verwirklichung eurer Hoffnungen und eurer berechtigten Wünsche nach einer echten Förderung und Hebung des Lebensstandards zu helfen. Die Probleme, denen ihr jeden Tag gegenübersteht, sind bekannt: die Entvölkerung der ländlichen Gebiete, die zum Großteil auf den ungenügenden Verdienst und die Mechanisierung der Landwirtschaft zurückzuführen ist, was die Handarbeit verringert; die sich daraus ergebende Abwanderung der jungen Menschen, die die kleinen Landgüter brach liegen und ihre Angehörigen ohne fürsorgende Nähe und Hilfe läßt; die traurige Wirklichkeit der armen Familien, die noch verlassen am Rande der Gesellschaft leben; schließlich auch das Problem der Gesundheits- und Sozialfürsorge sowie der Schulen, die nicht immer dem allgemeinen Niveau der Nation entsprechen. Verbesserung der Lebensbedingungen durch gemeinsame Schritte Es ist deshalb notwendig, gut koordinierte, gemeinsame Schritte zu unternehmen, welche die Dringlichkeit von Vorkehrungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten bewußt machen, wobei die Teilnahme an den Entscheidungen, die zum sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Aufstieg aller Bürger 730 REISEN notwendig sind, gefordert werden soll. Mein Wunsch ist es, daß ihr diesen Prozeß der Umgestaltung mit befriedigenden Ergebnissen vorantreiben könnt, damit jedem Mann und jeder Frau dieses hochherzigen Lahdes ein würdiger Lebensstandard gesichert werde. 3. Ich bin euch nahe: ich bin gekommen, um eure Ängste und Bemühungen verstehen zu können und um euch zu sagen, daß ich mit euch solidarisch bin. Die Anstrengung, die ihr heute unternehmt, um eure Gesellschaft umzugestalten, hat jedoch nicht nur materiellen oder technischen Wert, sondern auch ethische Bedeutung, da der soziale Fortschritt nur dann echt ist, wenn er den Menschen zum Herrn, nicht zum Sklaven der Wirklichkeit macht, die ihn umgibt. Leider müssen wir manchmal feststellen, daß die Technik, so bewundernswert sie auch in ihren ständigen Eroberungen ist, den Menschen in seiner Menschlichkeit verarmen lassen kann, indem sie ihn seiner inneren Dimension beraubt und in ihm den Sinn für die geistigen Werte erstickt. Die Bedürfnisse des Geistes müssen wieder den Vorrang gewinnen! Die Kirche lädt zur Bewahrung der rechten Hierarchie der Werte ein. Das berühmte Doppelwort „bete und arbeite“, in der Vergangenheit Lebensprogramm der Bene-diktinerinnen, die mit ihrer jahrhundertelangen Präsenz in dieser Stadt ihre Spuren hinterlassen haben, sei auch für euch, liebe Brüder und Schwestern, Quelle der Weisheit und der Güte; das Gebet möge der Arbeit Flügel verleihen, die Absichten läutern und gegen die Gefahren des Materialismus verteidigen; die Arbeit wiederum lasse euch nach der Mühe die Erquickung einer Begegnung mit Gott neu entdecken, in der der Mensch seine vordringlichste Berufung und den wahren Sinn seines Daseins wiederfindet. 4. Noch eine weitere Überlegung möchte ich hinzufügen, die mir das verehrte Bild der „Odigitria“ nahelegt; sie hält das Kind im Arm, das uns, als Pilger hier auf Erden den Weg weist. Über die Betrachtung des Geheimnisses von Nazaret, das dank der beispielhaften Tugenden, die es lehrt, stets Quelle unaussprechlich geistlicher Erbauung ist, führt uns die Gestalt der Mutter mit dem Kind dazu, auch über die Familie von heute nachzudenken, die immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und Sorge der Kirche steht. Die Familie als Bollwerk gegen Hedonismus und Materialismus Brüder und Schwestern, die Familie soll unter euren täglichen Sorgen den ersten Platz einnehmen. In einer Welt, in der die Familie so vielen Bedrohungen ausgesetzt und durch so viel Egoismus gefährdet wird, soll sie für euch ein Zufluchtsort der Liebe und eine Schule der Weisheit und Geduld bleiben; sie 731 REISEN soll das Heiligtum bleiben, wo man Gott lieben und Christus, den Erlöser des Menschen, kennenlernt; sie soll das Bollwerk gegen die hedonistische und materialistische Mentalität bilden, die heute auch in die gesündesten Familien einzudringen versucht, sowie gegen den Individualismus, der langsam, aber unaufhaltsam auch die festgefügtesten Familien zersetzt. Steht alle in der Verteidigung dieser Werte und im Bemühen um ihre Förderung zusammen! Der Einsatz für eine wirtschaftlich sichere Zukunft soll euch nicht zur Vernachlässigung eurer Kinder verleiten, vor allem dann nicht, wenn sie besondere Probleme haben, sich anzupassen. Der Eintritt der Jugendlichen in die Gesellschaft, Schule oder Arbeit bringt oft einen Zusammenprall mit Mentalitäten oder Ideologien mit sich, die das zu Hause empfangene, gesunde kulturelle Erbe in Frage stellen. So erleiden die Jugendlichen manchmal geistige Wunden die nur schwer vernarben. Ermutigt eure Kinder zur Teilnahme am pfarrlichen Leben und an den Aktivitäten der verschiedenen katholischen Verbände, aus denen auch hier in Ascoli Satriano Persönlichkeiten hervorgegangen sind, die die Grundsätze des Evangeliums und die Lehre der Kirche überzeugend gelebt haben. Jugendliche aus Ascoli! Seid hochherzig und gut! Kirche und Gesellschaft brauchen euch. Die sozialen Werke und die Initiativen für die Jugendlichen, die Missionen, die Kultur und der Sport erwarten euren Beitrag. Enttäuscht die Hoffnungen nicht, welche die Kirche in euch setzt. Euch allen erteile ich meinen Segen und versichere euch meines Gedenkens im Gebet. Die Kirche ist den Landarbeitern nahe Ansprache an Landarbeiter in Cerignola am 25. Mai Liebe Brüder und Schwestern! 1. Es ist mir wirklich eine große Freude, unter euch, den Arbeitern von Cerignola, Ascoli Satriano und der Umgebung zu weilen. Mein ehrerbietiger Gruß gilt den bürgerlichen Autoritäten, die an unserer Begegnung teilnehmen. Ich danke Bischof Vincenzo D Addario für das herzliche Grußwort in eurem Namen. Auch danke ich den Vertretern der verschiedenen Arbeitergruppen, die mich im Namen von euch allen begrüßt, die alten und neuen, mit eurer Arbeit ver- 732 REISEN bundenen Sorgen zum Ausdruck gebracht und das Empfinden für Gerechtigkeit und Güte kundgetan haben, das eure großmütigen Herzen beseelt. Euch allen danke ich für den Empfang, den ihr mir bereitet habt. 2. Eure Probleme sind mir bekannt und ich betrachte sie als.einen Teil meiner seelsorglichen Mission und, nachdem ich während dieser Tage meines Aufenthalts in der Provinz Foggia nochmals die spezifischen örtlichen Lebensbedingungen aus der Nähe kennenlernen konnte, werde ich es nicht versäumen, sie im Licht des Gebetes zum Gegenstand aufmerksamer Reflexion zu machen. Mühsal und Armut kennzeichnen das Leben der Landarbeiter Ihr vertretet zum Großteil die Kategorie der landwirtschaftlichen Arbeiter, und viele von euch befinden sich noch immer in einer Lage, ähnlich der im Gleichnis des Evangeliums, das heißt jener Arbeiter, die gezwungen waren, lange auf dem Platz zu warten und zu hoffen, daß jemand sie als Taglöhner anwerbe. Wenn man sich die wechselvolle Vergangenheit der Taglöhner, Lohnarbeiter und Kleinbauern Apuliens ins Gedächtnis ruft, wird man von deren dramatischem Charakter zutiefst berührt: es sind Lebensumstände, die von Mühsal und Armut gezeichnet sind. Euer Land leidet an althergebrachten Problemen: Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung, unsichere Arbeit, ungeeignete Beschäftigung. Gerade deshalb bin ich jedem von euch und euren Familien besonders nahe. Als einstiger Arbeiter, der sich sein Brot mit der Arbeit seiner Hände und im Schweiße seines Angesichts verdient hat, fühle ich euch mit eurer Last an Leiden und Sorgen, mit eurem Sinn für Güte und Opferbereitschaft meinem Herzen nahe. Mit herzlicher Zuneigung möchte ich euch versichern, daß ich gekommen bin, um in euch Christus zu ehren und um euch zu versichern, daß dieser einer meiner bevorzugten Augenblicke des Besuches in der. Provinz Foggia ist. 3. Die ganze Kirche ist euch, den landwirtschaftlichen Arbeitern und Arbeiterinnen nahe, weil sie allen Menschen nahe ist und vor allem dann, wenn sie ihre Pflichterfüllung teuer zu stehen kommt. Die Kirche begleitet, achtet und liebt euch und blickt in diesem Augenblick einer vielschichtigen ideologischen, moralischen und sozialen Krise, wie sie die zeitgenössische Menschheit durchzustehen hat, mit besonderem Vertrauen auf euch. Die Kirche schenkt der Welt der Arbeit immer Aufmerksamkeit, weiß sie doch, daß der Arbeiter eine menschliche Person ist, deren Würde ihren Ur- 733 REISEN sprang nicht in der Qualität der menschlichen Gesetze und auch nicht in der der verrichteten Arbeit, sondern direkt in Gott, ihrem letzten Ziel hat. Die Kirche, die von ihm den Auftrag empfangen hat, den Menschen auf eine Weise leben zu helfen, die ihrer hohen Berufung würdig ist, fühlt sich zu einer aktiven Teilnahme an ihrer gesamtheitlichen Förderung verpflichtet. Sie wiederholt unermüdlich, daß die Arbeit ein Mittel und die gewöhnliche und natürliche Weise ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, um ein Leben führen zu können, das man als wahrhaft menschlich bezeichnen kann; um den Plan der eigenen Vervollkommnung zu verwirklichen; um die Sicherheit der Familienangehörigen gewährleisten zu können; um am Aufbau des Gemeinwohls in der Gesellschaft teilnehmen und das letzte Ziel eines Glückes erreichen zu können, das man nicht in dieser Welt findet. Wenn die Arbeit vom christlichen Glauben und von der Liebe dessen getragen wird, der selbst Arbeiter gewesen ist, nimmt sie höheren Wert an und schenkt in einem Maß Kraft, Erleichterung und Verdienst, das die Last der körperlichen Mühe übersteigt und die Menschen zu unbeschwertem Fleiß und zu gesunder Freiheit führt. Darüber hinaus ist die Kirche euch, den landwirtschaftlichen Arbeitern, und insbesondere den jungen Bauern und Bäuerinnen nahe, um euch an die Schönheit und den Wert gerade eurer Tätigkeit zu erinnern, die, obgleich auf ihr Opfer und unvorhergesehene Ereignisse lasten, reich an natürlichen, menschlichen und ethischen Werten und Quelle spiritueller Energie ist. Ihr habt stets das große Buch der Natur vor euren Augen aufgeschlagen, mit der unvergleichlichen Schönheit der Felder und Berge und mit der reinen Luft; ihr seid direkt mit dem wunderbaren Wechselspiel der Jahreszeiten in Kontakt, mit der Fruchtbarkeit des Bodens und dem Geheimnis des Lebens, das sich regelmäßig erneuert. Es ist dies eine Art ständiger Schöpfung, an der ihr mit eurer Arbeit aus der Nähe mitwirken könnt. Der Gott der Schöpfung und der Vorsehung schenkt der Erde ihre Fruchtbarkeit, und ihr habt das Privileg, mit ihm zusammenzuarbeiten, um die Menschheitsfamilie mit den für sie lebensnotwendigen Gütern zu versorgen. So habt ihr einerseits die Möglichkeit, in direktem Kontakt mit den Werken des Schöpfers der Natur zu leben und ein Gebet des Lobes, des Flehens und des Dankes zu ihm emporsteigen zu lassen; andererseits kommt euch eine Rolle ersten Ranges in Gesellschaft und Wirtschaft zu. Ein Fortschritt und eine Entwicklung der Menschheit auf den verschiedenen Wegen, die ihr offenstehen, wären undenkbar ohne gerade eure Arbeit. 734 REISEN Wer die Erde bebaut, empfängt den göttlichen Segen Die Heilige Schrift berichtet, daß Gott die Welt erschaffen, dann Mann und Frau nach seinem Bild und Gleichnis gestaltet, sie gesegnet und dazu bestimmt hat, die Erde zu bebauen und zu behüten. So tut auch ihr, liebe Brüder und Schwestern, wenn ihr die Erde bebaut, etwas Gutes und empfangt den göttlichen Segen. 5. Da sie das Leben der ländlichen Welt aufmerksam verfolgt, kennt die Kirche auch deren spezifische und nicht unbedeutende Probleme von gestern und heute und weiß um ihre — im Vergleich zu anderen sich entwickelnden Sektoren — unausgeglichenen und ungerechten Lebensbedingungen sowie um ihren Willen, Fortschritte zu erreichen. Die im Lauf dieser Jahre erzielten Verbesserungen sind zweifellos bedeutsam, doch bleibt auf diesem Gebiet noch viel zu tun. Ich habe darüber in meiner Enzyklika Laborem exercens eingehend gesprochen, wo ich zwar bemerkt habe, daß die soziale Stellung der landwirtschaftlichen Arbeiter in den einzelnen Ländern verschieden ist, jedoch auch hervorgehoben habe, daß das Recht des Bauern auf Arbeit „auch in den wirtschaftlich entwickelten Ländern, wo wissenschaftliche Forschung, technologische Errungenschaften und politische Maßnahmen die Landwirtschaft auf ein sehr hohes Niveau gebracht haben“ (Nr. 21), verletzt werden kann. Die entbehrungsreiche Landarbeit führt immer mehr zu Landflucht und Auswanderung Darüber hinaus wird die harte und manchmal zermürbende Landarbeit nicht immer in ihrer fundamentalen Bedeutung gewürdigt, was oft in denen, die sie verrichten, Minderwertigkeitskomplexe und das Gefühl wachruft, am Rand der Gesellschaft zu leben. Diese Überzeugung trägt nicht wenig dazu bei, daß in ihnen der Wunsch erwacht, ihre Arbeit zu verlassen; so kommt es zur Landflucht, die in nicht lange zurückliegenden Jahren massive Dimensionen angenommen hat und zu einer vor allem die jugendlichen Arbeitskräfte betreffenden Erscheinung geworden ist, nämlich zur Auswanderung in andere Länder oder in che Industriestädte des eigenen Landes. Es handelt sich hier um eine bedauernswerte Tatsache, die viel Leid hervorgerufen hat und immer noch hervorruft. Sicher hat jeder Mensch das Recht, seine Heimat zu verlassen, um anderswo bessere Lebensbedingungen zu suchen. Es ist dies ein natürliches Recht, das verteidigt werden muß. Dennoch ist es sicher nichts Positives, wenn man aus Mangel an Arbeit gezwungen ist, die Familie und die Heimat zu verlassen, in 735 REISEN der man seine Wurzeln hat, um einer unsicheren Zukunft in den Großstädten entgegenzugehen, wo man oft menschenunwürdigen Lebensbedingungen ausgesetzt ist. Deshalb bringt die Emigration viele persönliche, familiäre und soziale Nachteile mit sich, wie etwa den Energieverlust in der Heimat und die Notwendigkeit, sich inmitten einer anderen Kultur und einer anderen Sprache einen Weg zu bahnen, wobei oft nicht einmal die natürlichen Rechte der Arbeiter genügend Schutz erfahren. Den Auswanderern stehen viele Christen zur Seite In diesem Zusammenhang mit seinen Licht- und Schattenseiten möchte ich alle jene ins Gedächtnis rufen — zu ihnen gehören auch einige Heilige —, die sich unter persönlichen Opfern für die Auswanderer eingesetzt haben, um ihnen bei der Überwindung ihrer Schwierigkeiten zu helfen und soweit als möglich aus einem Übel eine positive Wirklichkeit zu machen. 6. Liebe Brüder und Schwestern, die Kirche kann nicht eingreifen, wo es um technische Lösungen der menschlichen und sozialen Probleme geht. Ihr Wirken gilt der menschlichen Person. Ihre Mission hat das Heil zum Gegenstand. Ihre Lehre, auf Gewißheiten beruhend, die der Wahrheit Gottes entspringen, vermag es, klares und sicheres Licht auf die Wege zu werfen, die es zu beschreiten gilt, will man das Ziel einer authentischen Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft erreichen. Die Kirche war immer ganz besonders um die Landbevölkerung besorgt und hilft ihr bei der Lösung ihrer Probleme, indem sie die Gewissen der Größe der moralischen und spirituellen Werte entsprechend bildet, sie lehrt, die Arbeit im weiteren Rahmen eines göttlichen Planes zu betrachten, und den einzelnen bei der Verwirklichung des grundlegenden Zweckes ihres Lebens hilft. Arbeitslosigkeit als moralisches Übel verletzt die Würde des Menschen, erniedrigt die Gesellschaft Gleichzeitig ruft die Kirche unermüdlich die verantwortlichen Autoritäten auf den verschiedenen Ebenen auf, damit sie die nötigen Maßnahmen treffen, um den Arbeitnehmern gerechten Lohn und einen sicheren Arbeitsplatz zu gewährleisten. Sie erinnert alle — Regierungsmitglieder, Politiker, Gewerkschaftsfunktionäre, Unternehmer und Gemeinschaften — daran, daß der Einsatz für die Beschäftigung aller zur Verfügung stehenden Kräfte im Mittelpunkt ihrer Verpflichtungen steht, ist doch die Arbeitslosigkeit vor allem ein moralisches Übel, das die Würde des Menschen zutiefst verletzt und die Gesellschaft als solche erniedrigt. 736 REISEN 7. Liebe Brüder und Schwestern, an diesem Maiabend möchte ich, bevor ich die Rückreise antrete, euch nochmals herzlichst grüßen und euch nachdrücklich empfehlen, immer am sicheren Felsen jener moralischen und religiösen Werte verankert zu bleiben, mit denen ihr das Licht der Welt erblickt habt und aufgewachsen seid: Fleiß, Ehrlichkeit, Genügsamkeit, Ausdauer, Hoffnung, Liebe zur Familie, Achtung für das Leben, Glaube an Gott, Treue zur Kirche. Es sind dies Werte, die einen unvergleichlichen Besitz und den wahren Reichtum des Menschen und der Gesellschaft darstellen. Verstreut ihn nicht und laßt euch nicht von Vorspiegelungen anziehen, die keinerlei Lösung bieten. Dieser Besitz ist das Fundament für den Aufbau einer gerechteren und besseren Zukunft und die Gewähr für das Kommen einer neuen, von der Liebe gezeichneten Zivilisation. Möge euch die Jungfrau Maria, die Mutter des Erlösers und Mutter aller beschützen. Mein besonderer Segen möge euch allzeit begleiten. Eine christliche Gemeinschaft aufbauen Ansprache im Marienheiligtum von Bovino am 25. Mai Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich freue mich, hier in diesem Heiligtum von Valleverde zu sein, das der jungfräulichen Mutter gewidmet ist. Ich kenne diesen Ort gut, da ich als Erzbischof bereits anläßlich der Eröffnung der 700-Jahr-Feier der Einweihung der ersten Kirche hierhergekommen bin. Meine Rückkehr heute nach 22 Jahren anläßlich der Einweihung des neuen Gotteshauses ist mir um so mehr willkommen, als bereits in zwei Wochen das Marianische Jahr eröffnet wird, das sich anschickt, das Volk Gottes durch eine Vertiefung der christlichen Lebensweise auf das dritte Jahrtausend vorzubereiten. Deshalb freue ich mich, unter euch zu sein. Von Herzen begrüße ich euch alle, liebe Brüder und Schwestern aus Bovino, die ihr von nah und fern mit der Absicht hierhergekommen seid, gemeinsam die jungfräuliche Mutter zu bitten, sie möge vom Sohn erlangen, daß wir die pastoralen Ziele der Initiative erreichen. 737 REISEN Maria als Vorbild zeigt uns, wie das Geschenk des göttlichen Lebens zu verwirklichen ist 2. Unser andächtiges und brüderliches Treffen hier oben ruft jene Seite des Evangeliums in Erinnerung, wo der hl. Lukas erzählt, wie sich Maria zur Reise ins Bergland aufmachte und, als sie in Eile das Haus der Verwandten erreicht hatte, von Elisabeth mit diesen Worten empfangen wurde: „Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. .. Selig ist die, die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ (Lk 1,39-45). Ein Gruß, der wie ein Loblied auf den Glauben Mariens klingt und sie zugleich jedem von uns als Vorbild und Mutter vor Augen stellt, damit wir in Fülle das große, unermeßliche Geschenk des göttlichen Lebens verwirklichen. Seit seiner Errichtung von mehr als sieben Jahrhunderten ist das Heiligtum, das auf dem Bergrücken der Daunia emporragt und gleichsam von oben auf die Ebene des Tavoliere herabschaut, zu einem idealen Begegnungsort für die angrenzenden Regionen geworden. Von oben ist es möglich, die Ebene, die Flüsse, die Täler und das Meer zu betrachten. Im übertragenen Sinne geschieht dies auch, wenn wir uns durch das Gebet in die Höhe des Glaubens an Gott erheben: wir sind dann in einer privilegierten Beobachtungswarte versammelt und können die irdischen Werte anhand ihrer Realität prüfen. Diese Werte sind Geschenke des himmlischen Vaters und doch durch präzise Grenzen gekennzeichnet: sie sind deshalb weder geeignet, das Interesse der ganzen menschlichen Person auf sich zu ziehen, noch den Durst unseres Herzens zu stillen. 3. Nach Errichtung der ersten Kirche auf diesen Bergen nahmen zwölf Bischöfe an der Einweihung teil, und zwölf waren auch anwesend bei der Grundsteinlegung für das neue Heiligtum — ein Symbol für die Versammlung der zwölf Apostel. Heute kommt der Nachfolger Petri selbst, um die Kostbarkeit des von Gott empfangenen Glaubens zu unterstreichen, der durch die Kollegialität der Bischöfe in Gemeinschaft mit dem Hl. Stuhl in Rom garantiert ist, und der unter dem universalen Schutz der heiligsten Jungfrau steht, der Mutter Christi und seiner Kirche. Neben dem Heiligtum ist ein Kloster errichtet worden, um zu zeigen, daß der Ort ein Zentrum für Gebet und Besinnung sein sollte: ein Ort, wo sich die Erde dem Himmel nähert, und wo der Himmel den Bitten, die von der Erde aufsteigen, besser Gehör schenken kann. Das neue Heiligtum, das aus dem alten entstanden und reich an wertvollem Marmor, schönen Skulpturen und bunten Glasfenstem ist, auf denen die Rosenkranzgeheimnisse dargestellt sind, wurde mit der freiwilligen Hilfe des ganzen Volkes sowie der Frucht eurer persönlichen Opfer und Hochherzigkeit 738 REISEN errichtet. Deshalb kann es ganz besonders als das eurige bezeichnet werden. Aus genau diesem Grund erhält es seine tiefe Bedeutung und wird zum Auftrag an euch alle: Der materielle Bau muß sichtbares Zeichen eures Willens und Einsatzes zur Errichtung eines neuen Baues auf geistlicher Ebene sein. Dieser Bau ist die persönliche und gesellschaftliche Erneuerung des christlichen Lebens in dieser Region. Wenn sich jeder von euch zu diesem Unternehmen verpflichtet fühlt,: wird auf euch der Segen Gottes herabkommen. Und Gott, der sich an Hochherzigkeit nicht überbieten läßt, wird euren Bemühungen mit seiner Fülle an Licht, Kraft und Freude entgegenkommen. Der Einzelne und die Gemeinschaft sollen zur Vollkommenheit reifen 4. Als einzelne wie als Gemeinschaft sollt ihr im Glauben wachsen, bis zur Reife des vollkommenen Menschen. Dies ist der Auftrag, der euch erwartet. In gewisser Form ist er in den Steinen dieses heiligen Bauwerks überliefert. Hier stand einmal das uralte Heiligtum, das von euren Vätern erbaut worden war. Der baufällige Zustand, in dem es sich schon befand, hat euch Christen von heute veranlaßt, die Last auf euch zu nehmen, ein neues zu bauen — noch größer und schöner als das ursprüngliche. Das neue Projekt ist endlich verwirklicht, und die neue Kirche steht uns nun in ihrer mächtigen, harmonischen Pracht vor Augen. Die Schlußfolgerung, die wir daraus zu ziehen aufgefordert sind, ist eindeutig und ermunternd: Die frühen Generationen unserer Ahnen haben in dieser Region eine christliche Gemeinde aufgebaut, die sich durch eine tiefe Glaubensüberzeugung auszeichnete, durch eifrige Religionsausübung und die Umsetzung der Werte des Evangeliums in den Alltag. Die heutige Zeit, die vom Phänomen des Säkularismus gekennzeichnet ist, hat diesen geistlichen Bau schwer erschüttert. Wie anderorts auch ist in eurer Region der Glaube nicht weniger Christen in eine Krise geraten, und die Sitten vieler haben sich schließlich an Lebensmodelle angeglichen, die mit dem Evangelium herzlich wenig zu tun haben. Sich dessen bewußt zu werden heißt jedoch nicht, vor jedweder Form von Mutlosigkeit und Pessimismus zu kapitulieren. Im Gegenteil: Im Organismus der Kirche müssen alle gesunden Kräfte und deren hochherziger Einsatz für eine Neuevangelisierung der modernen Welt angeregt werden. Neuevangelisierung in einer Region mit alter religiöser Tradition Eine Neuevangelisierung! Das ist die Botschaft, die ich euch, Christen der antiken Daunia, von diesem Heiligtum aus hinterlasse. Es ist nötig, eine neue 739 REISEN christliche Gemeinschaft aufzubauen, die aus dem Glauben lebt, mutig und stark in der Hoffnung ist und von der drängenden Liebe zu allen, die bedürftig sind und leiden, angetrieben wird. Es ist notwendig, ein neues geistliches Heiligtum in dieser Region zu errichten, deren religiöse Traditionen bis auf die Zeit der Apostel zurückgehen. Ein neues Heiligtum, dessen lebendige Steine morgen eure Kinder sein werden, denen ihr die Fackel des von euren Vätern empfangenen Glaubens übergeben wollt, damit sie sie ihrerseits an die Generationen weitergeben, die im neuen Jahrtausend Zeugnis für den Namen Christi ablegen werden. In diesem Tun ist euch Christus nahe, den die Kirche in dieser Zeit des liturgischen Jahreskreises im Geheimnis der Auferstehung feiert. Getragen von der erhabenen Gewißheit, die der Auferstandene Jesus euren Herzen einflößt — er, der „durch seinen Tod ... unseren Tod vernichtet und durch seine Auferstehung das Leben neu geschaffen“ hat {Prüfation für die Osterzeit I) —, sollt ihr euch diesem Unternehmen von historischer Tragweite widmen. Nicht weniger als früher brauchen die Menschen heute das Evangelium, das eine befriedigende Antwort auf die wichtigen Fragen zu sein scheint, die das Herz beunruhigen. Als Christen des ausgehenden Jahrtausends ist es eure ehrenvolle und schwierige Aufgabe, an all jene das Wort weiterzugeben, die — obwohl sie in dieser Region aufgewachsen sind — seinen vollen Sinh und seine wirkliche Tragweite nicht mehr kennen. 5. Es bestärke euch in eurem Auftrag das Wissen um all das, was derzeit in der Welt vor sich geht. Bei meinen apostolischen Reisen in verschiedene Erdteile bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß der Evangelisierungsprozeß in der Welt von heute im Gange ist wie nie zuvor. Aus der kleinen Herde der Anfänge ist bereits ein blühender Baum geworden, der seine Äste in alle Teile der Erde ausstreckt. Die nichtchristlichen Völker haben Hunger und Durst nach der vom Evangelium verkündeten Wahrheit. Und die Völker alter christlicher Tradition, die heute von schleichenden Formen des Neüheidentums in Versuchung geführt werden, äußern in verschiedener Weise Unbehagen über den Leerraum, den die Vernachlässigung evangelischer Werte hinterlassen hat. Im Bewußtsein dessen fühlt sich die Kirche zur Evangelisierung der Welt und zur Neuevangelisierung der christlichen Völker stark verpflichtet. Es ist nötig, daß auch jene Länder, die jahrhundertelang die unschätzbare Gabe des Glaubens besaßen, diese wiederentdecken, auf daß das Wort Gottes in ihnen Erfüllung finde und reiche Frucht trage. Der seligen Jungfrau, die ihr seit Jahrhunderten in diesem Heiligtum verehrt, vertraue ich diesen Wunsch an, der aus meinem Herzen aufsteigt. Möge die 740 REISEN christliche Gemeinschaft, die ihre Wurzeln in dieser Region hat, in der Lage sein, zu der Begeisterung und dem Schwung früherer Zeiten zurückzufinden. Möge sie nach dem Beispiel Mariens, die „den Pilgerweg des Glaubens“ ging und „ihre Vereinigung mit dem Sohn ... in Treue bis zum Kreuz“ hielt (Lumen gentium, Nr. 58; Redemptoris Mater, Nr. 2), entschlossen den Weg des Evangeliums gehen und der Welt von heute durch ein glaubwürdiges Zeugnis die Botschaft von der heilbringenden Wahrheit anbieten. Liebe Brüder und Schwestern aus Daunia! Habt Vertrauen, schaut nach oben, und der Herr wird euch in Fülle seine Freude und sein Leben geben. Besonders Er wird euch mit der Kraft seiner Gnade nahe sein, auf daß euer Bemühen reiche Frucht bringe und das Licht des Evangeliums in eurer Region in neuem Glanz erstrahle. Unterpfand all dessen sei euch der besondere Segen, den ich euch — und speziell den Kindern, den Alten und Kranken — von Herzen erteile. 741 REISEN 5. Pastoralbesuch in Polen (8. bis 14. Juni) REISEN Die Eucharistie ist mit der Erde verbunden Ansprache auf dem Flughafen Warschau-Okecie am 8. Juni 1. Erneut grüße ich an der Schwelle meiner dritten Reise in das Vaterland alle meine Landsleute. Ich grüße Polen, mein Vaterland. Ihnen, Herr General, danke ich als dem Staatsratsvorsitzenden für die Einladung, die Sie im Januar in Ihrem eigenen Namen sowie im Namen der höchsten Staatsbehörden der Volksrepublik Polen an mich richteten. Ich danke auch für die Worte der Begrüßung, die Sie soeben sprachen. Dem Kardinalprimas danke ich für die parallel dazu erfolgte Einladung, die im Namen der Kirche in Polen, insbesondere der Bischofskonferenz, erging. In Erwiderung dieser Einladung komme ich — ähnlich wie im Jahre 1979 sowie im Jahre 1983 — hierher, um diesmal am Eucharistischen Kongreß des Landes teilzunehmen. Ich danke insbesondere allen meinen Brüdern, den Hirten der Diözesen, die sich am Wege meiner Pilgerreise durch die Heimat befinden. 2. Durch unerforschlichen Ratschluß der göttlichen Vorsehung wurde ich aus eben diesem Lande, vom Sitz des Heiligen Stanislaus im königlichen Krakau, berufen, um den „Dienst Petri“ zu erfüllen. Schon geht seit diesem Zeitpunkt das neunte Jahr ins Land. Die Kirche ist sich in dieser Zeit erneut dessen bewußt geworden, daß jeder Mensch, der irgendwo auf dem Erdball lebt, ihr Weg in Jesus Christus ist. Indem ich diesem Bewußtsein der Kirche in der Welt von heute folge, das sich durch die Lehre des letzten Konzils mit neuer Kraft gefestigt hat, bemühe ich mich, in meinem Dienst der Einladung der Hirten sowie der Gemeinschaften des Gottesvolkes an verschiedenen Orten der Erde zu entsprechen. Ich besuche sie, damit jene Wahrheit, daß Gott in Christus der Kirche jeden Menschen zur Aufgabe gemacht hat, alle Völker und Nationen der Erde, noch transparenter werde. 3. Auf dieser polnischen Erde, die ich bei der Begrüßung zum dritten Mal geküßt habe, lebt die Nation, die meine Nation ist. Hier leben Menschen, die aus demselben geschichtlichen Stamm erwachsen, aus dem herauszuwachsen auch mir vergönnt war. In diesem Augenblick möchte ich mein Herz so weit machen, wie es mir nur möglich ist, um alle diese Menschen, die in meinem Vaterland leben, mit einem neuen Aufgebot einigender Liebe zu umfassen. Alle und jeden. Die Frau und den Mann. Die Familien. Die Jugend. Die Alten mit den Erfahrungen des Lebens. Und die Kinder — auch jene, die erst unter 744 REISEN dem Herzen ihrer Mütter leben. Alle gesellschaftlichen und beruflichen Gruppen. Die körperlich und geistig Tätigen. Die Kulturschaffenden. Die Priester und die Ordensfamilien, sowohl die männlichen wie auch die weiblichen. Jene, die nähren und schützen. Alle ohne jede Ausnahme. Alle Polen, die auf der heimatlichen Erde leben. Und alle jenseits ihrer Grenzen — wo immer sie sich auch befinden. Jeder Mensch, der auf polnischem Boden lebt; jeder, der aus ihm erwächst, bleibt in Christus, dem Erlöser, Weg der Kirche. Der Eucharistische Kongreß macht uns dies in besonderer Weise bewußt. 4. Die Eucharistie ist mit der Erde verbunden. In sie bringen wir jedesmal Brot und Wein als Symbol aller Gaben der Erde ein — Gaben des Schöpfers sowie Frucht menschlicher Arbeit. Daher möchte ich vom ersten Augenblick unserer Begegnung, die mit dem Eucharistischen Kongreß in Polen zusammenhängt, diese Gabe der heimischen Erde und der heimischen Mühe aufnehmen und erheben, wo immer sie sich erfüllt, und ich will Segensworte darüber sprechen. O polnisches Land! Schwieriges und geprüftes Land! Du schönes Land! Mein Land! Sei gegrüßt! Und seid gegrüßt ihr, meine Landsleute, die ihr die Freude und Bitternis des Daseins in diesem Lande kennt. Ich lade euch zur Gemeinschaft ein — zu jener Gemeinschaft, die über die Generationen hin Christus formt.: Er hört nicht auf, dem ermüdeten, dem verlorenen Menschen den Sinn wiederzugeben, dem leidenden Menschen, der das Gefühl für jeden Sinn verliert. Die Eucharistie ist das Sakrament dieses großen Sinnes. Sie ist es auch, die den Glauben an rechte Ideale, den Willen zum Leben, die Hoffnung wiederaufzurichten hilft. 5. Noch einmal danke ich für die Begrüßung in der Hauptstadt Polens. Auf dem Wege meiner Pilgerreise werde ich bemüht sein, meiner Nation zu dienen — den Menschen zu dienen, meinen Landsleuten, den Brüdern und Schwestern. Ich bitte alle, meinen Hirtendienst anzunehmen. 745 REISEN Christi Liebe bis zur Vollendung verkünden Ansprache an die Klausurschwestern in der St .-Johannes-Kathedrale in Warschau am 8. Juni 1. Ich möchte meine herzliche Freude darüber zum Ausdruck bringen, daß die erste Gruppe, der ich im Programm meiner dritten Pilgerreise in das Vaterland begegnen soll, gerade ihr Klausur-Schwestern seid. Ihr habt euch in der Warschauer St.-Johannes-Kathedrale versammelt, wohin ich komme, um in die Mitte der Kirche der hauptstädtischen Erzdiözese zu treten. Ich komme auch hierher, um am Grabe des verstorbenen Primas des Millenniums niederzuknien, zu dem viele Landsleute kommen, um zu beten. Dies ist mit Sicherheit sehr oft ein Gebet für das Vaterland an einem Ort, an dem jener ruht, der „Christi Kirche so sehr geliebt“, der so treu das Vaterland und jeden Menschen geliebt hat, indem er dessen Würde und Rechte verteidigte, indem er den Feinden vergab und so „das Böse durch das Gute besiegte“ (vgl. Rom 12,21), ein Mann „heroischen Glaubens“, „der alles auf Maria setzte und ihr grenzenlos vertraute ... Bei ihr suchte er Hilfe bei der Verteidigung des Christusglaubens und der Freiheit der Nation“. Mit solchen Worten betet die Kirche im polnischen Land am Grabe des verstorbenen Primas, und auch ich wiederhole dieses Gebet. 2. Ich meine, der Primas des Millenniums freut sich über die Initiative seines Nachfolgers und der ganzen Bischofskonferenz, daß in Polen nach fünfzig Jahren der Zweite Eucharistische Landeskongreß stattfindet. Insbesondere, wenn dieser Kongreß seinen Leitgedanken in jenen Worten des Johannes-Evangeliums über Christus findet: „Da er die Seinen ... liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ (Joh 13,1). Der verstorbene Primas war ja sein ganzes Leben und seinen ganzen Hirtendienst hindurch bemüht, eben einer solchen Liebe treu zu sein: „bis zur Vollendung“. In dieser Liebe drückt sich die besondere Fülle des Evangeliums aus, man kann sagen — die besondere „evangelische Radikalität“. Und das ist auch eure Berufung, teure Schwestern. Das ist euer Teil. Ihr habt Christus gerade im Bewußtsein seiner Liebe „bis zur Vollendung“ als den einzigen Bräutigam erwählt. Mehr noch: Ihr habt eine solche Liebe als Ideal erwählt, als Ziel eurer Berufung in der Klausur. Auch ihr wollt, nach Christi Vorbild, „Liebe erweisen bis zur Vollendung“. Die Menschen, eure Brüder und Schwestern, wissen darum. Wie oft kommen sie zu euch, um ein Gebet zu erbitten, sie kommen auch um Worte des Trostes, um ein Licht zu erhalten, 746 REISEN das sich aus eurem Schweigen in Gott ergibt. Man kann nicht umhin, hier auch in Erinnerung zu bringen, daß Schwestern der kontemplativen Klöster, wenn es notwendig wurde — so in den Jahren der Besatzungszeit, insbesondere während des Warschauer Aufstandes —, sich bereit erwiesen haben zum Dienst an den Brüdern: an den Verwundeten, den Obdachlosen, den Verfolgten sowie zum Opfer, das — wie es scheint — von Gott angenommen wurde. Ich denke hier an die Geschichte des Warschauer Klosters der Sakramentali-stinnen in der Neustadt und vieler anderer. Auf diese Weise erwiesen sie „Liebe bis zur Vollendung.“ Ein stiller Dienst in der Verborgenheit der Klausur 3. Eure Berufung ist in das ganze Evangelium hineingeschrieben als besonderer Rat unseres Meisters. Er fordert dies nicht von allen. Er verlangt nicht von allen solche Armut, Reinheit, solchen Gehorsam, zu dem ihr euch durch eure Gelübde verpflichtet. „Wer das erfassen kann, der erfasse es!“ (Mt 19,12) — sagt der Meister, nachdem er seinen Jüngern das Ideal der „Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen“ (vgl. ebd.) vor Augen geführt hat. Aber nicht nur diese eine Stelle, das ganze Evangelium öffnet vor unseren Augen die Perspektive eines Lebens nach dem lebendigen Vorbild des Jesus von Nazaret — eines Lebens, dessen besondere Synthese die acht Seligpreisungen sind. 4. Teure Schwestern! Wie innig freue ich mich darüber, daß der Kirche in Polen das Zeugnis eurer Berufung geschenkt ist. Heute, an der Schwelle des Eu-charistischen Kongresses, möchte ich sagen, daß diese Berufung mit dem grundsätzlichen Motiv dieses Kongresses „Er erwies Liebe bis zur Vollendung“ in besonderer Weise harmoniert. Es ist also kein Zufall, daß ich mit euch zuerst zusammentreffe. Denn ihr tragt in eurem ganzen Alltagsleben die Wahrheit über Christus, wie sie in den.obengenannten Worten zum Ausdruck kommt. Euer kontemplatives, bräutliches, opfervolles Leben in der Klausur erwächst in besonderem Maße aus der Eucharistie, und in besonderem Maße führt es auch zur Eucharistie, es verkündet sie — obwohl ihr in der Abgeschlossenheit lebt. Euer ganzes Leben verkündet die Eucharistie: das Sakrament von Christi Liebe „bis zur Vollendung“ — verkündet sie durch die Mauern eurer Klöster und durch die Gitter eurer Klausuren hindurch. „Das Leben der Eucharistie leben heißt, ganz aus der Enge des eigenen Lebens hinauszugehen und hineinzuwachsen in die Unendlichkeit von Christi Leben.“ Das sind die Worte der seligen Theresa Benedicta vom Kreuz, einer Karmeliterin, die ich kürzlich zur Ehre der Altäre erheben durfte (Edith Stein, Autobiographie). 747 REISEN Die Eucharistie ist ausdrucksstärkstes Zeichen der Liebe Gottes 5. Durch die Eucharistie findet ihr euch immer, jeden Tag, im unmittelbaren „Herzen“ eurer Berufung wieder. Und ihr findet euch wieder im „Herzen“ der Kirche, wie es die heilige Karmeliterin von Lisieux äusgedrückt hat. Denn das Herz der Kirche schlägt im eücharistischen Rhythmus. Das eben ist der Rhythmus jener Liebe, mit der Christus „die Seinen liebte ... ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ erwies. Und deshalb ist diese von vielen, vielen menschlichen Herzen aufgenommene Liebe von Dauer. Aufgenommen in besonderer Weise von euren Herzen, teure Schwestern. Diese Liebe dauert bis zum Ende der Zeiten, damit sie sich — jenseits der Grenze des Irdischen — in ihrer ganzen Fülle offenbaren kann, in ihrer wahrhaft göttlichen Fülle. Deshalb ist die Liebe „am größten“, wie der hl. Paulus schreibt (vgl. 1 Kor 13,13). „Wenngleich die vielfältigen apostolischen Werke unerhört bedeutsam sind..., so bleibt das grundlegendste apostolische Werk immer das, was in der Kirche ihr seid. Man kann mit besonderer Berechtigung ... über jeden von euch die Worte des Apostels wiederholen: ,Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott“ (Kol 3,3)“ (Redemptionis donum, Nr. 15). Hinter den Klostermauem blüht eine Oase der Liebe und der Hoffnung 6. Nur scheinbar, teure Schwestern, seid ihr von der Welt abgeschnitten. In Wirklichkeit befindet ihr euch in ihrer, unmittelbaren Mitte — im Zentrum der irdischen Wirklichkeit, im Zentrum der polnischen Wirklichkeit — durch das Mysterium der Kirche. Ihr wißt sehr gut, daß diese Wirklichkeit schwierig ist, voller schmerzhafter Spannungen, voll menschlichen Zweifelns und Scheiterns, belastet mit der Sünde, die recht häufig die Folge menschlicher Schwäche ist, aber nicht nur... Hinter der Klausur schaut man nicht nach dem Menschen, hinter der Klausur liebt man. Mit jeher Liebe, mit der Christus geliebt hat: „bis zur Vollendung“. Diese Liebe ist der „Sauerteig“ des Evangeliums: Sie ist der Sauerteig, der „das Ganze durchsäuert“ (vgl. Mt 13,33), zum Brot verwandelt, das der Mensch für das tägliche, sterbliche Leben braucht. Wie die Eucharistie — das Brot.der Unsterblichkeit. Ich wünsche euch, daß ihr eben so ein „Sauerteig“ seid. 748 REISEN Das Gebet des Herrn im Kreise von Klerus und Laien gesungen Ich möchte noch alle hier Versammelten begrüßen, vor allem die gesamten Bischöfe, die um den Kardinal-Primas, den Vorsitzenden der Bischofskonferenz, versammelten Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe, alle Geistlichen, das Warschauer Metropolitan-Kapitel, die Vertreter des Diözesan- und Ordensklerus sowie alle anderen Brüder und Schwestern, insbesondere jene, die mit solcher Hingabe über die Ordnung dieser Pilgerreise — sowohl auf kirchlicher wie auch auf staatlicher Seite — wachen. Jetzt wollen wir, denn das gehört sich so, das „Vaterunser“ beten oder wohl eher singen, und ich bitte alle Bischöfe, gemeinsam mit mir den Versammelten, vor allem aber den Schwestern, den Klausurschwestern, den Segen zu erteilen. Nach dem Singen des „Vaterunser“ sagte der Papst: Ich begrüßte die in der Kathedrale Versammelten, und auch jene, die außerhalb der Kathedrale sind — und die zusammen mit uns beten. Insbesondere die Pfadfinderjugend, die männliche und die weibliche, die männliche Seminarjugend sowie alle anderen Vertreter. Gerade souffliert mir hier der Primas, er muß es tun, denn was ich schon weiß, das souffliert er mir: daß dieser kirchliche Ordnungsdienst sich „Totos tous“ nennt. Ich weiß nicht, ob man nach den Autorenrechten gefragt hat. Schließlich kann man schwerlich die Feststellung unterlassen, daß ein ungewöhnlicher Gast heute bei uns ist — Mutter Teresa von Kalkutta, von der wir sehr wohl wissen, was sie in der heutigen Kirche repräsentiert. Und außerdem möchte ich von mir hinzufügen, daß sie hinsichtlich der apostolischen Reisen sehr deutlich und wohl erfolgreich mit dem Papst konkurriert. Zum Schluß noch eine Bemerkung, nämlich daß wir versuchen, auf der rechten Seite zu gehen: auf der rechten Seite bin ich hereingekommen, rechts werde ich hinausgehen. Daraus darf man keinerlei falsche Schlüsse ziehen. Dagegen habe ich die schreckliche Versuchung, allen den Klausurschwestem, die ich so sehr nach Evangelium und Bibel in meiner Ansprache darzustellen versuchte, vertraulich zu sagen: Führt euch gut! Ich möchte es noch schöner hinzufügen: Führt euch gut, damit ich mich mit eurer Hilfe auch nicht am schlechtesten führe. Gelobt sei Jesus Christus! 749 REISEN Alle sind zum ökumenischen Engagement verpflichtet Ansprache bei der Begegnung mit Vertretern der christlichen Kirchen in Warschau am 8. Juni 1. „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus ... (der) uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet hat“ (Eph 1,3). Unsere heutige brüderliche Begegnung im Namen des Herrn ist eine erneute Gelegenheit, daß wir in der ökumenischen Gemeinschaft auf heimatlicher Erde dem Herrn der Kirche für das Band danken, das bereits zwischen uns besteht, für die gemeinsame Teilhabe am Dienste des Evangeliums. „Ich vertraue darauf, daß er, der bei euch das gute Werk begonnen hat, es auch vollenden wird bis zum Tag Christi Jesu“ (vgl. Phil 1,6). Ich denke, wir können als Brüder in Christus im Streben nach voller Einheit die Worte der Ermunterung des Völkerapostels mit geistigem Nutzen auf uns beziehen, „daß ihr nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei tut... in Demut schätze einer den anderen höher ein als sich selbst“ {Phil 2,3). Wie euch, teure Brüder, bekannt ist, fallt diese meine dritte Pilgerreise in das Vaterland in die Zeit des Eucharistischen Kongresses, der von der römisch-katholischen Kirche in Polen begangen wird. Dieser Kongreß findet unter dem Motto statt: „Er erwies ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ {Joh 13,1). Die unwiederholbare Atmosphäre des Letzten Abendmahles, die in diesen Tagen unsere Gedanken und Herzen erfüllt, läßt uns mit um so größerer Sensibilität die Worte des hohenpriesterlichen Gebetes Jesu um die Einheit seiner Jünger hören (vgl. Joh 17,21). Ich glaube, auch am heutigen Abend lädt der Herr uns ein, daß wir uns mit unserem ökumenischen Gebet seiner Bitte anschließen und daß wir seine Hirtenfürsorge um die Einheit aller Gläubigen zu unserer Sorge machen, daß wir — nach den Worten des hl. Basilius — nicht ermüden in immer neuen Anstrengungen für die „Wiedererrichtung der Freundschaft der Kirchen Gottes“ {Epistula, Nr. 70). Das Sakrament der Taufe ist eine ständige Aufforderung zu brüderlicher Einheit in Christus 2. Zu tiefer Dankbarkeit gegenüber unserem gemeinsamen Herrn und Erlöser bewegt uns die Tatsache, daß die Christen unterschiedlicher Bekenntnisse sich immer stärker bewußt machen, daß sie durch die „eigene Taufe ... miteinander und mit der Kirche aller Zeiten und Orte geführt werden. Unsere gemeinsame Taufe, die uns mit Christus im Glauben vereint, ist ein so grundle- 750 REISEN gendes Band der Einheit“ (Lima-Dokument von 1982: ,,Taufe, Eucharistie und Amt“, Taufe, Nr. 6) In dem von Theologen des Weltkirchenrates und der römisch-katholischen Kirche gemeinsam erarbeiteten sogenannten „Lima-Dokument“ über die Taufe,die Eucharistie und den geistlichen Dienst wurde zu Recht bemerkt: „Die Einheit mit Christus, an der wir durch die Taufe teilhaben, hat wichtige Folgen für die Einheit... Daher ist unsere eine Taufe in Christus ein Ruf an die Kirchen, ihre Trennungen zu überwinden und ihre Gemeinschaft sichtbar zu manifestieren“ {Taufe, Nr. 6). Es ist mein inniger Wunsch, daß alle Bekenner Christi in meinem Vaterland nicht aufhören, die sich aus der gemeinsamen Taufe ergebende Brüderlichkeit in Christus zu entdecken. Mich freut die Tatsache, daß die christlichen Kirchen in Polen den Dialog zum Thema Taufe aufgenommen haben: vor Jahren gestützt auf das „Accra-Dokument von 1974“ und gegenwärtig auf das erwähnte „Lima-Dokument von 1982“. Ich drücke hier der Gemischten Kommission des Polnischen Ökumenischen'Rates und der Kommission der Bischofskonferenz für Fragen des Ökumenismus, insbesondere der Unterkommission für Fragen des Dialogs, für ihre ausdauernde Arbeit meine Dankbarkeit aus. 3. Mit Dankbarkeit gegenüber Gott können wir feststellen, daß 20 Jahre nach Beendigung des Zweiten Vatikanischen Konzils „der Ökumenismus im Bewußtsein der Kirche tief und unauslöschlich eingeschrieben ist“ (Außerordentliche Bischofssynode, 1985, Schlußbericht, C,7). Ich freue mich, daß auch in meinem Vaterland — in Polen — Zeichen dieses neuen Bewußtseins der römisch-katholischen Kirche und anderer christlicher Bruderkirchen sichtbar sind. Davon zeugt die seit vielen Jahren bestehende Zusammenarbeit der Kommission der Bischofskonferenz für Fragen des Ökumenismus und des Polnischen Ökumenischen Rates, ferner die Entstehung eines Ökumenischen Instituts an der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Lublin, die offen ist für die wissenschaftliche ökumenische Zusammenarbeit; davon zeugen schließlich viele wertvolle Basisinitiativen in den Ortskirchen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle meine Dankbarkeit allen denen gegenüber ausdrücken, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten nach dem Konzil in unserem gemeinsamen Vaterland so ausdauernd gearbeitet, gebetet und gelitten haben für die Herausbildung ökumenischer Beziehungen zwischen Christen unterschiedlicher Bekenntnisse: den Hirten, den Theologen sowie den Gläubigen aus allen christlichen Kirchen in Polen. Es ist nötig, Brüder, daß wir einander weiterhin im Geiste der Brüderlichkeit des Evangeliums das zu vergeben vermögen, worin wir voreinander in der Vergangenheit schuldig geworden sind, und daß wir den Willen haben, mutig eine bessere ökumenische 751 REISEN Zukunft zu gestalten, „vergessend, was hinter uns liegt, und uns ausstreckend nach dem, was vor uns ist“ (vgl. Phil 3,13). Lernen wir es, „die wahrhaft christlichen Güter aus dem gemeinsamen Erbe mit Freude an(zu)erkennen und hoch(zu)schätzen“ (vgl. Dekret über den Ökumenismus, Nr. 4). Denn „was wahrhaft christlich ist, steht niemals im Gegensatz zu den echten Gütern des Glaubens, sondern kann immer dazu helfen, daß das Geheimnis Christi und der Kirche vollkommener erfaßt werde“ (Dekret über den Ökumenismus, Nr. 4). 4. Unserer gemeinsamen Aufmerksamkeit kann die schmerzhafte Tatsache nicht entgehen, daß die in der Taufe geeinten Christen in der Feier des Herrenmahls getrennt bleiben. Die Eucharistie ist das große, der Kirche .gegebene Geschenk des Auferstandenen. „Sie ist das neue Passahmahl der Kirche, das Mahl des Neuen Bundes, das Christus seinen Jüngern gab zum Gedächtnis (anamnesis) seines Todes und seiner: Auferstehung, als Vorwegnahme des Hochzeitsmahles des Lammes“, nach den Worten des gleichen Lima-Dokuments {Die Eucharistie, Nr. 1). Im Geheimnis der Eucharistie wird das Werk der Versöhnung aller Menschen gegenwärtig, das durch das Kreuz und die Auferstehung Jesu Christi vollzogen wurde. Deshalb „werden wir ständig vor das Gericht gestellt durch das Fortbestehen ... der mannigfachen Trennungen ... und ungerechtfertigter konfessioneller Gegensätze innerhalb des Leibes Christi“ (vgl. Die Eucharistie, Nr. 20). „Solange sich Christen nicht in voller Gemeinschaft um denselben Tisch vereinen können, um vom selben Brot zu essen und vom selben Kelch zu trinken, wird ihr missionarisches Zeugnis auf der persönlichen wie gemeinschaftlichen Ebene geschwächt“ (Nr. 26). Denn letztlich wird die Kirche nur eucharistisch durch ein glaubwürdiges Zeichen versöhnt — durch das Sakrament der Einheit der ganzen Menschheit und des Friedens in der Welt. Das „Dekret über den Ökumenismus“, das von der Voraussetzung ausgeht, daß Christus „in seiner Kirche das wunderbare Sakrament der Eucharistie gestiftet (hat), durch das die Einheit der Kirche bezeichnet und bewirkt wird“ (Nr. 2), definiert dadurch geradezu als Ziel des Ökumenismus: „Daß dadurch allmählich ... alle Christen zur selben Eucharistiefeier, zur Einheit der einen und einzigen Kirche versammelt werden, die Christus seiner Kirche von Anfang an geschenkt hat“ (Nr. 4). Die noch zwischen den Christen bestehenden Teilungen kann nur der Heilige Geist überwinden. Am Pfingsttage, als er auf die Apostel herabkam, verwandelte er sie zu entschiedenen und miteinander geeinten Zeugen Christi: „Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32). Im ganzen Christentum vertieft sich gegenwärtig die Überzeugung, daß die Herbeiru- 752 REISEN fang des Heiligen Geistes in der Eucharistie, das heißt die sog. EpiHese, ein großes Gebet um die Einheit der Christen und ein unablässiger Appell zur Vereinigung ist. Mögen diesen Appell die in der Feier des Herrenmahls leider noch getrennten Christen hören. Einheit hat auch Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der Kirche 5. Das schon genannte „Dekret über den Ökumenismus“ des II. Vatikanischen Konzils hebt ausdrücklich hervor: „Die Sorge um die Wiederherstellung der Einheit ist Sache der ganzen Kirche, sowohl der Gläubigen wie auch der Hirten, und geht einen jeden an, je nach seiner Fähigkeit“ (Dekret über den Ökumenismus, Nr. 5). Im Geiste der Treue zur Lehre des Konzils möchte ich unterstreichen, daß es sehr wichtig ist, daß alle Christen in Polen teünehmen an der Verwirklichung der Worte des Vermächtnisses Jesu Christi: „Alle sollen eins sein... damit die Welt glaubt“ (Joh 17,21). Neben dem ökumenischen Engagement der Hirten der Kirche und der Theologen ist es auch wichtig, daß sich alle gläubigen Christen dem durch Gebet und eine Haltung brüderlicher Liebe anschließen. Der Geist des Ökumenismus muß das ganze Leben der Kirchen durchdringen — die Verkündigung des Wortes Gottes und die Katechese, wie ich im Apostolischen Schreiben Catechesi tradendae schrieb (vgl. Nr. 32). Er muß auch noch mehr die geistlichen Seminare, die Klöster und Ordenshäuser durchdringen. Die ökumenische Tätigkeit gehört zu den pastoralen Prioritäten der Kirche, und bei dieser Arbeit darf kein Christ fehlen. Der Heilige Geist gebe uns allen auf diesem Wege viel Eifer und dauerhaften Mut. 6. Teure Brüder und Schwestern in Christus! Wir versammeln uns im Namen unseres gemeinsamen Herrn für einen Augenblick brüderlichen Gebetes. Wir wollen für den gemeinsam zurückgelegten Weg danken. Wir wollen auch beten um Ausdauer in allen ökumenischen Bestrebungen. Unser Gebet güt in erster Linie dem Polnischen Ökumenischen Rat, der im vergangenen Jahr sein 40jähriges Bestehen feierte. Schon seit vielen Jahren entwickelt sich die Zusammenarbeit der römisch-katholischen Kirchen mit dem Polnischen Ökumenischen Rat. Die bisherigen Erfahrungen und Erfolge ermuntern zur Fortsetzung des Dialogs trotz der Schwierigkeiten, die auf dem Wege zu einer volleren Gemeinschaft überwunden werden müssen. Möge der Herr der Kirche den Rat und seine neue Leitung mit seiner Gnade stützen im Dienste der Annäherung zwischen den christlichen Kirchen in Polen. In das kommende Jahr — 1988 — fallt das Millennium der Taufe der Rus’. Vor über 20 Jahren erlebten wir das Millennium der Taufe Polens, um so besser 753 REISEN begreifen wir die Größe eines solchen Jubiläums. Schon heute wollen wir in brüderlichem Gebet vor dem Herrn aller Christen der östlichen Tradition gedenken — der Erben eines tausendjährigen, hochachtungswerten Erbes. Möge das kommende Jubiläum der weiteren Annäherung aller Christen der östlichen und der westlichen Tradition in Polen dienen. Ich danke euch, teure Brüder, daß ich euch diese Überlegungen mitteilen durfte, die meinem Herzen so nahe sind. Möge die Liebe Christi, der „seine Liebe bis zur Vollendung erwies“, für uns alle eine unerschöpfliche Quelle der Kraft, der schöpferischen ökumenischen Inspiration, der Geduld und Ausdauer sein. In allem wollen wir dem Heiligen Geist vertrauen. Denn er kann „neue Kräfte wecken und neue Möglichkeiten eröffnen“ (Der geistliche Dienst, Nr. 42). Ich lade zu dem Gebet ein, das Jesus der Herr uns gelehrt hat. Die Menschenrechte sind unveräußerlich Ansprache an die staatlichen Repräsentanten der Volksrepublik Polen im Königsschloß in Warschau am 8. Juni Sehr geehrter Herr General und Vorsitzender des Staatsrates! Vertreter der Staatsbehörden! Meine Damen und Herren! Die heutige Begegnung anläßlich meiner dritten Pilgerreise in das Vaterland findet im Königsschloß zu Warschau statt. Dieses Schloß, im Zweiten Weltkrieg wie auch die ganze Hauptstadt vernichtet, erlebte seinen Wiederaufbau und kann weiterhin von den Traditionen polnischer Staatlichkeit zeugen, von der Geschichte des unabhängigen und souveränen Vaterlandes. In Gedanken verbinde ich diese Residenz mit dem Königsschloß auf dem Wawel, um ein volleres Bild eben dieser Geschichte im Laufe der Jahrhunderte zu gewinnen. Man müßte noch weiter zurückgehen: zu Poznln (Posen) und Gniezno (Gnesen) — zu den ältesten Hauptstädten der Piasten. Dann eröffnet sich vor uns die tausendjährige Geschichte der polnischen Nation und des polnischen Staates, dieser Republik, die — angefangen insbesondere vom Ende des 14. Jahrhunderts — die Republik zweier und dreier Nationen, vieler Nationen war. Sie war ein für alle weit offenes Land, ungeachtet ethnischer, kultureller oder religiöser Unterschiede. In unser Bewußtsein kehren häufig die Worte jenes Monarchen zurück, der in einer Periode großer und oftmals bluti- 754 REISEN ger Spannungen gewußt hat; daß er „nicht der König der menschlichen Gewissen ist“ — und dem öffentlichen Ausdruck verlieh. 2. Das Königsschloß in Warschau hat seinen Wiederaufbau aus den Ruinen erlebt. Diese Ruinen sind verschwunden, aber nicht verschwunden aus dem Bewußtsein der Polen — ähnlich übrigens wie bei vielen anderen europäischen Nationen — ist die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Wenn in den Äußerungen der Staatsmänner (auch in der Äußerung des Herrn Staatsratsvorsitzenden, die wir soeben mit größter Aufmerksamkeit angehört haben) so oft das Wort „Frieden“ ertönt, so steht das vor allem im Zusammenhang mit diesem Krieg, der so viele Opfer zur Folge gehabt hat. Ich möchte an meine Anwesenheit auf dem Gelände des Konzentrationslagers in Auschwitz im Jahre 1979 erinnern; an die Worte, die ich damals sprach, als ich vor den Tafeln mit der Aufschrift in 19 Sprachen innehielt. Jede von diesen Tafeln ist gleichsam ein stummer Zeuge der schrecklichen Hekatombe. Ich erinnere mich, daß ich damals die Tafeln mit der Aufschrift in hebräischer, russischer und polnischer Sprache erwähnt habe. Diese Tafeln zeugen vom Grauen des Zweiten Weltkrieges, und sie warnen! ... Die geschichtliche Erfahrung Polens muß auch bei der Gegenwartsbewältigung eingebracht werden 3. Diese Warnung fand ihr Echo im Bewußtsein der Völker, insbesondere derer, die in besonderer Weise die Grausamkeiten des Krieges an sich selbst erfahren haben — und unter ihnen befindet sich die polnische Nation mit Sicherheit auf einem der vordersten Plätze. Wenn ich heute daran erinnere, dann auch mit dem Ziel, noch einmal diesen großen, in gewissem Sinne die allgemeine Menschheit betreffenden Aufschwung der Gewissen zu unterstreichen, der zum Ausdruck kam in der Charta der Menschenrechte. Dieses Dokument gehört gleichsam zu den Fundamenten der Organisation der Vereinten Nationen, deren Ziel es ist, über das friedliche Zusammenleben der Nationen und Staaten auf dem ganzen Erdball zu wachen. Die Aussage der Menschenrechtscharta ist eindeutig. Wenn ihr den Frieden bewahren wollt, dann denkt an den Menschen. Denkt an seine Rechte, die unveräußerlich sind, weil sie sich aus dem unmittelbaren Menschentum jeder menschlichen Person ergeben. Denkt unter anderem an sein Recht huf Religionsfreiheit, auf die Freiheit, sich zu vereinigen und seine Meinungen zum Ausdruck zu bringen. Denkt an seine Würde, in der sich die Handlungen aller menschlichen Gesellschaften und Gemeinschaften begegnen müssen. Denn sie alle — die Gemeinschaften, die Gesellschaften, die Nationen und Staaten, leben dann ein volles, authentisch menschliches Leben, wenn die Würde des 755 REISEN Menschen, eines jeden Menschen, nicht aufhört, ihr Sein und ihre Tätigkeiten auszurichten. Jegliche Verletzung und Mißachtung der Menschenrechte stellt eine Bedrohung für den Frieden dar. 4. Eben über dieses Thema sprach ich vor der Vollversammlung der Verein-tenNationen schon am 1. Oktober 1979, denn die Wahrheit vom Frieden, eben diese Wahrheit vom Frieden auf dem Boden der Lehre der Kirche, hat eine Schlüsselbedeutung. Sie fand vielfach Ausdruck in Äußerungen des Hl. Stuhls. Sie fand besonders autoritativen Ausdruck in der Enzyklika “Pacem in terris“ von Papst Johannes XXIII. Das Thema „Friede auf Erden“, so eng mit der Botschaft des Evangeliums verbunden, hört gewissermaßen von ihren ersten Kapiteln an (vgl. Lk 2,14) nicht mehr auf, Gegenstand systematischer Ermahnungen der Kirche zu sein, Gegenstand von Äußerungen einzelner Bischofskonferenzen, doch insbesondere des Hl. Stuhls, und zwar bei verschiedenen Gelegenheiten, angefangen vom ersten Tag jedes Jahres. In letzter Zeit wurde — vor dem Hintergrund des von der Organisation der Vereinten Nationen verkündeten Jahres des Friedens — das Ereignis in Assisi, das Gebet um den Frieden, besonders bedeutsam, zu dem nicht nur alle Christen, sondern auch Vertreter der nichtchristlichen Religionen eingeladen wurden. 5. Als ich das letzte Mal in meinem Vaterland war, in den schwierigen Tagen des Jahres 1983, kam mein Gruß in den folgenden Worten zum Ausdruck: „Friede sei mit Dir, Polen! Mein Vaterland!“ Wenn ich heute im Königsschloß, in Warschau spreche, habe ich vor den Augen meiner Seele die ganze Geschichte des Vaterlandes, die ja so oft gezeichnet war mit dem Stigma von Krieg und Zerstörung. Diese geschichtlichen Erfahrungen, insbesondere die Erfahrungen des letzten Krieges, stellen für uns eine besondere Herausforderung dar, den „Kampf um den Frieden“ auch in unserem eigenen Hause aufzunehmen. Können wir das anders tun, als daß wir zur „Charta der Menschenrechte“ greifen? Friede ist ja stets, zwischen den Völkern und im Schoße der Gesellschaft, inmitten der Nationen, eine reife Frucht gesellschaftlicher Gerechtigkeit: opus iustitiae pax. Man muß also bei der Gesellschaft beginnen. Bei den Menschen — bei jenen Menschen, die das Polen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts darstellen. Das Polen der sechziger, siebziger und achtziger Jahre! Jeder von diesen Menschen hat seine eigene personale Würde, hat Rechte, die dieser Würde entsprechen. Im Namen dieser Würde streben jeder und alle danach, nicht nur Objekte einer übergeordneten Handlung der Staatsmacht zu 756 REISEN sein, einer Institution des staatlichen Lebens, sondern: Subjekt zu sein. Subjekt sein aber heißt: teilhaben an der Entscheidung über die „res publica“ aller Polen. Die Nation lebt nur dann ein authentisch eigenes Leben, wenn sie in der ganzen Organisation des staatlichen Lebens ihren eigenen Subjektcharakter feststellt, wenn sie feststellt, daß. sie Herr im eigenen Hause ist, daß sie durch ihre Arbeit, durch ihren Beitrag mitbestimmt. Wie wesentlich ist doch für das Leben der Gesellschaft, daß der Mensch das Vertrauen zu seiner Arbeit nicht verliert, damit er keine Enttäuschung verspürt, die diese Arbeit ihm bereitet; damit in ihr und durch sie er selber als Mensch bejaht wird, er, seine Familie, seine Überzeugungen. Das wiederum hat grundlegende Bedeutung für die ganze nationale Ökonomie. Die Ökonomie ist — wie auch die Arbeit — um des Menschen willen da, nicht aber der Mensch um der Arbeit, nicht der Mensch um der Ökonomie willen. Ja, nur dann, wenn der Mensch das Gefühl seines eigenen Subjektcharakters hat, wenn Arbeit und Ökonomie für ihn da sind — dann ist auch er für die Arbeit, für die Ökonomie da. Nur so läßt sich auch ökonomischer Fortschritt aufbauen. Der Mensch steht immer an erster Stelle. 6. Ich sage das, weil die obengenannte Wahrheit zur Botschaft der Kirche in der Welt gehört: in der Welt von heute; zu der Botschaft von „Frieden und Gerechtigkeit“. Ich erlaube mir aber, auch deshalb davon zu reden, weil ich die schwierige Periode im Leben der Nation und des Staates zutiefst empfinde. Schwierig in so-zio-ökonomischer Bedeutung. Deshalb zitiere ich in dieser Frage noch die folgende Äußerung des Väticanum n.: „Anerkennung verdient das Vorgehen jener Nationen, in denen ein möglichst großer Teil der Bürgerin echter Freiheit am Gemeinwesen beteiligt ist“ 0Gaudium et spes, Nr. 31). Das Konzil unterstreicht in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit einer „energischen öffentlichen Macht“ und sagt dann weiter: „Damit... alle Bürger zur Beteiligung am Leben der verschiedenen Gruppen des Gesellschaftskörpers bereit seien, müssen sie auch in diesen Gruppen Werte finden, die sie anziehen und zum Dienst für andere willig machen. Mit Recht dürfen wir annehmen, daß das künftige Schicksal der Menschheit in den Händen jener ruht, die den kommenden Geschlechtern Triebkräfte des Lebens.und,der Hoffnung vermitteln können“ (ebd.). 7. Um eben diese Triebkräfte des Lebens und der Hoffnung“ bete ich unablässig für mein Vaterland, für die Nation, als deren Sohn ich mich zutiefst fühle. Als Bischof von Rom bemühe ich mich, in diesem Geiste allen Menschen 757 REISEN und Nationen Dienste zu leisten: denn das ist der eigentliche Dienst der Kirche. Auf polnischem Boden leisten ihn die Hirten der Kirche in unserem Vaterland, vereint mit dem Bischof von Rom. Im Geiste ebendieser gleichen „Triebkräfte des Lebens und der Hoffnung“ bringe ich meinen Wunsch an die Adresse aller zum Ausdruck, die Macht ausüben und zugleich eine besondere Verantwortung für diese jetzige Etappe in der Geschichte unserer Nation tragen. Ich richte diese Wünsche zu Händen des Vorsitzenden des Staatsrates. Ich wünsche gleichzeitig, daß Polen den ihm gebührenden Platz unter den Nationen und Staaten Europas sowie der ganzen Welt habe — und immer wieder gewinne. Noch einmal danke ich für die Einladung. Dieser Dank soll sich erstrecken auf alle Instanzen der Behörden, der regionalen und Ortsbehörden, auf alle, denen der Aufenthalt des Papstes unter seinen Landsleuten soviel Mühe und Verantwortung bereitet hat. Wir alle wünschen, den heutigen und künftigen Generationen zu dienen. Und der Inhalt dieses Dienstes kommt so treffend in dem Satz zum Ausdruck: „Triebkräfte des Lebens und der Hoffnung“ zu formen und zu vermitteln. Deshalb wünsche ich dies von ganzem Herzen. Bitte, nehmen Sie auch mein Geschenk entgegen, dieses Geschenk ist ein — ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert stammendes — Bild eines großen Mannes der Kirche, eines der Führer des Tridentinischen Konzils, des Kardinals Stanislaus Hozjusz. Die Eucharistie ist das Sakrament der Liebe Predigt zur Eröffnung des Eucharistischen Kongresses bei der heiligen Messe in der Allerheiligen-Kirche in Warschau am 8. Juni 1. Er „erwies ... ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ (Joh 13,1). Teure Brüder und Schwestern, an diese Worte Christi des Herrn knüpft ihr in diesen Tagen des Eucharistischen Kongresses in Polen an, den ich am heutigen Tag eröffnen darf. Diese Worte sprach Jesus unser Herr am Gründonnerstag. Wir finden sie im Johannes-Evangelium, zu Beginn der Abschiedsrede, die sich mit dem Letzten Abendmahl verbindet. „Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ {Joh 13,1). 758 REISEN Diese Worte — genauso wie die Einsetzung der Eucharistie — verbinden sich mit dieser „Stunde“, die Jesus „seine“ Stunde nannte (vgl. Joh 13,1): die Stunde, in der er endgültig die Sendung erfüllen sollte, die „ihm der Vater in die Hand gegeben hatte“ (vgl. Joh 13,3). Die Eucharistie gehört zu ebendieser Stunde: zur erlösenden Stunde Christi, zur erlösenden Stunde der Geschichte des Menschen und der Welt. Dies ist die Stunde, in der der Menschensohn „Liebe bis zur Vollendung“ erwies. Bis zur Vollendung bestätigte er die erlösende Kraft der Liebe. Er offenbarte, daß Gott selber die Liebe ist. Eine andere, größere Offenbarung dieser Wahrheit gab es nicht und wird es nie mehr geben. Auch keine radikalere Bestätigung für sie: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben ... hingibt“ (vgl. Joh 15,13) für alle, damit sie „das Leben haben und es in Fülle haben“ (vgl. Joh 10,10). Das alles kommt in der Eucharistie zum Ausdruck. Für all das ist die Eucharistie Gedächtnis und Zeichen, ein Sakrament. 2. Wir kommen also, teure Brüder, zum eigentlichen Kern der eucharisti-schen Wirklichkeit, wenn wir hier anfangen, die Tage des Eucharistischen Kongresses in Polen in Anknüpfung an eben diese Worte des Erlösers zu durchleben. Wenn ich an diesem Altar unter euch trete, will ich mich mit allen vereinigen, die sich im Laufe dieses Jahres, insbesondere im Laufe der nächsten Woche, im Geiste der im Abendmahlssaal gesprochenen Worte unseres Herrn um das Allerheiligste Sakrament versammeln werden. Herzlich grüße und begrüße ich die Teilnehmer dieser zur Eröffnung des II. Eucharistischen Landes-Kongresses versammelten liturgischen Gemeinschaft. Ich begrüße den Primas, Erzbischof und Metropolit von Warschau, die Warschauer Weihbischöfe, die als Gäste anwesenden Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe, das Metropolitankapitel, den Klerus der Erzdiözese und Kirchenprovinz, die Pilger aus den benachbarten Diözesen, aus ganz Polen und aus dem Ausland. Ich begrüße und grüße die Vertreter der männlichen und weiblichen Ordensinstitute, der katholischen Hochschulen und geistlichen Seminare, die Angehörigen des liturgischen Altardienstes und alle Gruppen der Sonderseelsorge. Ich begrüße und grüße in ganz besonderer Weise die Stadt Warschau und alle hier versammelten Einwohner dieser Stadt. Ich begrüße und grüße euch alle, teure Brüder und Schwestern, meine Landsleute. 3. Die Eröffnung des Eucharistischen Kongresses fallt auf den Montag nach der Herabsendung des Heiligen Geistes, wenn die Kirche in Polen das Fest Mariens als Mutter der Kirche begeht. 759 REISEN Dieser Umstand hat eine besondere Aussage. Man kann sagen, daß der „polnische Weg“ zur Eucharistie über Maria führt. Er führt durch alle mit dem Geheimnis der Menschwerdung zusammenhängenden Erfahrungen von Kirche und Nation. In der Eucharistie ist Christus ständig bei uns gegenwärtig, , ,hat Fleisch angenommen durch den Hl. Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden“. Er ist es auch, der — indem er das Geheimnis seiner Menschwerdung gleichsam bis zum Ende der Zeiten fortführt — die Kirche als seinen Leib baut. Die Eucharistie als Sakrament vom Leib und Blut Christi führt uns ein in das Geheimnis der Kirche als des Leibes, als des Leibes Christi, des mystischen Leibes. Die Eucharistie „baut“ die Kirche von den tiefsten Grundlagen her auf. Das alles finden wir auf jenem Wege der „polnischen“ Glaubenserfahrung, der von Jasna Göra, vom Millenniumsakt der Weihe an die Gottesmutter, zur Eucharistie führt: zum gegenwärtigen Kongreß. Man kann andererseits sagen: Unsere heimische Eucharistie-Erfahrung lenkt uns gleichzeitig zu Maria. Wir erinnern uns, daß der Gottessohn seinen „menschlichen Leib erhielt aus der Gebärerin, der unbefleckten Jungfrau“. Durch Maria wird das Geheimnis der Eucharistie verdeutlicht 4. Die Gottesgebärerin ist im Geheimnis Christi und der Kirche gegenwärtig, wie das Konzil lehrt. Sie ist — man kann sagen — in besonderer und außerordentlicher Weise beteiligt an diesem „Bau“ der Kirche durch die Eucharistie von den Grundlagen her. Sie — die Mutter des fleischgewordenen Wortes — ist persönlich in diesen entscheidenden Momenten gegenwärtig, in denen diese „Grundlagen“ in der Geschichte der Erlösung der Welt errichtet werden. Das bringen uns auch die Lesungen der heutigen Liturgie in Erinnerung. Sie ist zuerst zu Füßen des Kreuzes gegenwärtig. Sie befindet sich dort als Zeugin — als in besonderer Weise vom Heiligen Geist vorbereitete, besonders sensible Zeugin dieser Liebe, mit der Christus, ihr Sohn, uns „Liebe bis zur Vollendung“ erwies. Diese Liebe, die ihren sakramentalen Ausdruck eben in der Eucharistie findet. Erneut ist Maria — als die besonders sensible Zeugin dieser erlösenden Liebe — am Pfingsttage im Abendmahlssaal in dem Augenblick, in dem der Tröster, der Geist der Wahrheit, auf die Apostel hemiederkommt. Im Augenblick der Geburt der Kirche — dieser Kirche, die ständig in der Eucharistie lebt: „Jeder, der mich ißt, wird durch mich leben“ (Jäh 6,57). Von ebendiesem Tage, vom Tage der Geburt der Kirche im pfingstlichen Abendmahlssaal — in dem gleichen Abendmahlssaal, in dem das Sakrament von Leib und Blut des Herrn eingesetzt wurde —, ich wiederhole: Von diesem 760 REISEN Tage ist Maria im Geheimnis der Kirche durch ihre besondere Mutterschaft gegenwärtig. „Im Geheimnis der Kirche, die ja auch selbst mit Recht Mutter und Jungfrau genannt wird, ist die selige Jungfrau Maria vorangegangen, da sie in hervorragender und einzigartiger Weise das Urbild sowohl der Jungfrau wie der Mutter darstellt“ (Lumen gentium, Nr. 63). Dieser Ausdruck der Konzilskonstitution über die Kirche, Lumen gentium, ist auch hauptsächlicher Inhalt der Inspiration zum „Marianischen Jahr“, das gestern in Rom eröffnet wurde. Die Wege der Kirche treffen sich, auch wenn sie von verschiedenen Seiten herführen und von unterschiedlichen geschichtlichen und zeitgenössischen Erfahrungen ausgehen, stets bei diesen gleichen göttlichen Geheimnissen, die für uns „Quelle des Lebens und der Heiligkeit“ sind. 5. Es ist also gut, daß die Kirche in Polen die Initiative zum Eucharistischen Kongreß ergriffen hat. Es ist gut, daß die Initiative an die Worte Christi an-knüpft, die von der größten Liebe sprechen: von der Liebe „bis zur Vollendung“. Diese Worte im Munde unseres Meisters und Erlösers beziehen sich gleichzeitig auf das Kreuzesopfer — und auf die Eucharistie. Der neue Bund im Blut des Opferlamms — der Ewige Bund — geht gewissermaßen in ein Sakrament über, und unter der Gestalt des Sakraments währt dieses gleiche erlösende Opfer bis zum Ende der Zeiten. Polnisches Land! Vaterland! Verehre Christi Kreuz! Möge es überall von dem zeugen, der uns bis zur Vollendung Liebe erwies. „Dank dem Tod und der Auferstehung Christi“, sagte Priester Jerzy Popie-luszko, „wurde das Symbol der Schande und Erniedrigung zum Symbol des Mutes, der Mannhaftigkeit, der Hilfe und der Brüderlichkeit. Im Zeichen des Kreuzes drücken wir heute aus, was das Schönste und Wertvollste im Menschen ist. Durch das Kreuz kommt man zur Auferstehung. Einen anderen Weg gibt es nicht. Und deshalb müssen die Kreuze unseres Vaterlandes, unsere persönlichen Kreuze, die Kreuze unserer Familien zum Siege führen, zur Auferstehung, wenn wir uns mit Christus verbinden“ {Patriotische Predigten, Paris 1984, S. 65-66). Polnisches Land! Vaterland! Werde eins im Angesicht von Christi Eucharistie, in der sich das Blutopfer Christi: immer wieder erneuert und von neuem unter der Gestalt des Allerheiligsten Sakraments unseres Glaubens verwirklicht! Durch dieses Opfer ging Christus, der Priester des „Neuen und ewigen Bundes“ Gottes mit den Menschen, in das ewige Heiligtum ein: eines Bundes, gegründet „im Blut“ des unbefleckten Opferlammes. „Wieviel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst kraft ewigen Geistes Gott als makelloses Opfer 761 REISEN dargebracht hat, unser Gewissen von toten Werken reinigen, damit wir dem lebendigen Gott dienen“ — Worte aus dem Brief an die Hebräer (vgl. Hebr 9,14). 6. Möge also die Eucharistie vor euch allen, teure Brüder und Schwestern, meine Landsleute, die Liebe bezeugen, die Christus bis zur Vollendung erwies! Möge sie unser Gewissen reinigen von toten Werken (vgl. ebd.). Wie unabdingbar ist so ein Zeugnis! Wie schöpferisch! Nur eine solche Liebe ist „bis zur Vollendung“ fähig, die „Gewissen zu reinigen“, ist fähig, imMen-schen alles das zu überwinden, was zum Gefolge der Erbsünde gehört (woran die heutige Liturgie in der ersten Lesung erinnert). Wir müssen uns aber immerzu frei machen von diesem Erbe. Wir müssen uns frei machen vom Erbe des Hasses und des Egoismus, denn die Eucharistie ist das Sakrament der Liebe Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott, zugleich aber ist sie das Sakrament der Liebe des Menschen zum anderen Menschen, das Sakrament, das Gemeinschaft bildet. Wir müssen also immerzu in uns jene Sicht der Welt überwinden, welche die Geschichte des Menschen von Anfang an begleitet, eine Sicht, die davon ausgeht, „als ob Gott nicht existiert“ — als ob er „nicht die Liebe sei“. Die Worte aus dem Buch Genesis: „Ihr werdet wie Gott“ (vgl. Gen 3,5) hängen zusammen mit der Leugnung der Wahrheit von Gott, der die Liebe ist. Sie hängen zusammen mit dem Versuch, von seiten der Geschöpfe den Schöpfer zu verdächtigen, ihn anzuklagen. Wie nahe sind wir bisweilen dieser Versuchung. Wie leicht vergessen wir, daß alles „empfangen ist“ (vgl. 1 Kor 4,7). Auch das, was der Mensch für ein Werk seines eigenen Genius hält, auch das ist — an der Wurzel — etwas Empfangenes. Und sogar Leid — wenn man es durch das Prisma von Christi Geheimnis: von der Erlösung durch das Kreuz betrachtet—, sogar Leid gewinnt den Wert von etwas Empfangenem, durch das wir das erlösende Opfer des Gottessohnes „vollenden“. Viele Menschen leben heute an der Schwelle von Frustrationen, hervorgerufen durch verschiedene Umstände der heutigen Existenz — im übrigen nicht nur hier, in diesem mühseligen, geprüften Land — sondern auch im Klima von Komfort und Genuß, wie sie kennzeichnend sind für die Länder des „technischen Fortschritts“. Frustration: Gefühl von der Sinnlosigkeit des Lebens. Gibt es einen Ausweg aus diesem Geisteszustand? Gibt es für den Menschen einen Weg? Der Weg besteht eben in Dem, der „Liebe bis zur Vollendung“ erwies. Der Weg besteht in der Eucharistie, dem Sakrament dieser Liebe. 7. Möge Maria, die Mutter der Kirche, die „sensibelste“ Zeugin für diese Liebe Christi bis zur Vollendung, uns allen, teure Brüder und Schwestern, 762 REISEN helfen, aus dem Irrweg herauszukommen, aus den Abwegen, zu denen nicht selten unser menschliches Sein strebt — und bei Dem zu sein, der der Weg ist! Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben (vgl. Joh 14,6). Jesus Christus: Erlöser des Menschen. Jesus Christus: Eucharistie.1 Die Universität ist ein Ort solidarischer Sorge Ansprache an die Vertreter der Wissenschaft in der Aula der Katholischen Universität Lublin am 9. Juni 1. Ich begrüße von ganzem Herzen alle, die heute in der Aula der Katholischen Universität Lublin versammelt sind. Der Besuch eines früheren Mitarbeiters dieser Hochschule gab den Organisatoren Gelegenheit, Vertreter der wissenschaftlichen Welt aus ganz Polen und auch aus dem Ausland einzuladen. Ich fühle mich durch diese Einladung sowie durch Ihre Gegenwart am heutigen Tage, verehrte Damen und Herren, wirklich geehrt. Ich weiß, daß außer Vertretern vieler Hochschulen in der Heimat sowie der Polnischen Akademie der Wissenschaften hier auch Repräsentanten ausländischer Hochschulen anwesend sind, die eine enge Zusammenarbeit mit der Katholischen Universität Lublin verbindet — aus Leuren und Louvain-la-Neuve, aus Mailand, Paris, Washington, Nijmwegen und aus Tilburg. In ihrer Person treffe und begrüße ich alle Universitäten, alle Hochschulen, die sich im Vaterland befinden, angefangen von der ältesten — der Jagiello-nen-Universität in Krakau, der ich mein Studium sowie die ersten akademischen Erfahrungen verdanke. Diese Erfahrungen haben in meinem Bewußtsein sowie in meiner ganzen Persönlichkeit tiefe Spuren für das gesamte Leben hinterlassen. Dies vielleicht in besonderer Weise deshalb, weil sie zuerst mit der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, danach (und zwar in der Mehrheit) mit der Besatzungszeit und schließlich mit den ersten Jahren der Nachkriegsperiode verbunden waren. Die Erinnerung dessen, was die Universität — die Alma Mater — ist, trage ich immerzu lebendig in mir. Nicht nur die Erinnerung, sondern das Gefühl der Schuld, die man ein ganzes Leben lang abzahlen muß. 2. Von daher ergibt sich die Notwendigkeit, daß ich diese meine heutige Ansprache beginne, indem ich anknüpfe an die Universität als an ein besonderes Milieu, an eine Gemeinschaft, in der Gelehrte und Lernende, Professoren und Studenten, Vertreter unterschiedlicher Generationen Zusammentreffen, 763 REISEN vereint durch das gemeinsame Ziel und die gemeinsame Aufgabe. Dies ist eine erstrangige Aufgabe im Leben eines Menschen, aber auch im Leben der Gesellschaft, der Nation und des Staates. Wenn ich zu Ihnen, sehr verehrte Damen und Herren, spreche, dann habe ich vor den Augen meiner Seele alle jene Gruppen, jene Gemeinschaften, in denen der Dienst an der Erkenntnis — das heißt der Dienst an der Wahrheit — bei der Formung des Menschen zur Grundlage wird. Wir wissen, es hat Einen gegeben, der gesagt hat: „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien“ (vgl. Joh 8,32). In der Zeit des Eucharistischen Kongresses in Polen, dessen Gast und Teilnehmer ich bin, leben diese Worte Christi mit besonderer Macht gerade hier wieder auf, in der Aula der Universität, bei der Begegnung mit den polnischen Wissenschaftlern. Sie leben wieder auf und finden gleichzeitig ihre natürliche Ergänzung in den Worten des hl. Paulus: Haltet euch, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit (vgl. Eph 4,15). Indem wir der Wahrheit aus Liebe und Wahrheit und zu denen, denen wir sie übermitteln, dienen, bauen wir eine Gemeinschaft freier Menschen in der Wahrheit auf, schaffen wir eine Gemeinschaft von Menschen, die in der Liebe zur Wahrheit und durch die gemeinsame Liebe in der Wahrheit geeint sind, eine Gemeinschaft von Menschen, für die die Wahrheitsliebe das Prinzip des sie einigenden Bandes darstellt. 3. Ich habe bisweilen Gelegenheit, mich jenen Problemen, die für Ihr Milieu wesentlich sind, zu nähern. In einer Reihe von Interviews mit Wissenschaftlern, die ich in der letzten Zeit lesen konnte, fand ich Worte eines tiefen Verantwortungsgefühls für die erkannte und weitergebende Wahrheit, ich sah, daß man an sich und an die Studenten redliche Anforderungen stellt, und das alles ist vom „Nachhall“ einer tiefen Sorge durchdrungen! Wir haben zahlreiche sehr befähigte junge Menschen, es fehlt nicht an Talenten in der Generation der heutigen Studenten, der jungen Wissenschaftler, die unsere akademischen Lehranstalten bevölkern! Verfügen sie über alle Bedingungen, die dazu notwendig sind, daß ihre Studien voll fruchtbar werden? Hier, im Vaterland? Diese Frage berührt die Gegenwart, die Ausstattung der Arbeitsstätten an den Universitäten, den Kontakt mit den führenden Zentren der Wissenschaft im Weltmaßstab. Diese Frage berührt auch die Zukunft. Wie sind die Perspektiven dieser Generation? Die Perspektiven der Arbeit — dieses Problem existiert auch in vielen Ländern des europäischen Westens. Die Perspektiven des Lebens vor allem: der Wohnung! Des Daches über dem Kopf für die jungen Ehen und Familien. Diese Fragen müssen gestellt werden. Sie sind nur und ausschließlich Ausdmck der Sorge um den Menschen. Die Universität war stets ein Ort dieser solidarischen Sorge. Einst gab man dem den Namen „brüderliche Hilfe“. 764 REISEN Im Geiste ebendieser solidarischen Sorge erlaube ich mir, diese Frage vor Ihnen, meine Herrschaften, zu wiederholen. Die Universität dient, ihrer Natur nach, der Zukunft des Menschen und der Nation. Ihre Aufgabe ist es, ständig die Frage dieser Zukunft ins Bewußtsein der Gesellschaft zu rufen, diese Frage zu beschwören in unermüdlicher, unnachgiebiger Weise. Wir haben so viele junge vielversprechende Menschen. Wir können es nicht zulassen, daß sie für sich keine Zukunft im eigenen Vaterland sehen. Ich erkühne mich also — als einer, der ebenfalls Sohn dieses Vaterlandes ist —, die Ansicht zu äußern, daß es notwendig ist, viele Fragen des gesellschaftlichen Lebens, der Strukturen, der Arbeitsorganisation bis hin zu den eigentlichen Prämissen des zeitgenössischen staatlichen Organismus unter dem Gesichtswinkel der Zukunft für die junge Generation auf polnischem Boden zu überdenken. Die Universitäten, die Hochschulen dürfen sich nicht der Notwendigkeit entziehen, auf diesem für die unmittelbare Existenz Polens wesentlichen und grundlegenden Gebiet Zeugnis zu geben. Freiheit in Forschung und Lehre zur Förderung des Subjekts . 4. Wenn ich bei dem Milieu — bei der Universität als besonderer Gemeinschaft — begonnen habe, dann mit Rücksicht auf die für die ganze Nation so grundlegende Frage des Subjektcharakters. Dieser Subjektcharakter wird überall herausgearbeitet, an den unterschiedlichen Arbeitsstätten in diesem unseren Vaterland. Dazu aufgerufen ist die Welt der Arbeit in der Industrie und in der Landwirtschaft. Dazu aufgerufen ist jede Familie und jeder Mensch. Der Subjektcharakter ergibt sich aus der Natur des Personseins selbst: er entspricht in erster Linie der Würde der menschlichen Person. Er ist die Bestätigung, der Prüfstein dieser Würde — und zugleich ein Erfordernis, sowohl im persönlichen wie im gemeinschaftlichen Leben. Die Hochschulen, jene nach einer mannigfaltigen Methodologie wirkenden Werkstätten der Erkenritnistätigkeit, sind dazu in besonderer Weise berufen. Sie sind dazu „von innen her“ berufen: auf der Ratio ihrer Verfassung, die unentbehrlich ist im Dienste an der Wahrheit. Sie sind dazu auch gewissermaßen „von außen“ berufen — mit Rücksicht auf die Gesellschaft, inmitten deren sie leben und für die sie wirken. Die Gesellschaft erwartet von ihren Universitäten eine Festigung des eigenen Subjektcharakters, sie erwartet, daß sie Gründe aufzeigen, die diesen Subjektcharakter beweisen, ferner erwartet sie Motive und Handlungen, die diesem dienlich sind. Eng damit zusammen hängt das Gebot akademischer Freiheit, das heißt einer begründeten Autonomie der Universitäten und Hochschulen. Ebendiese Autonomie im Dienste der erkannten und weitergegebenen Wahrheit ist gewissermaßen die organische 765 REISEN Voraussetzung des Subjektcharakters der ganzen Gesellschaft, in der die Universitäten ihre Mission erfüllen. Schwebte ein solches Ziel unseren Monarchen — zuerst aus der Piastendyna-stie und danach aus jener der Jagiellonen — bei der Gründung und Erneuerung der ersten Universität in Polen vor? Ich wage zu sagen: Ja. 5. Diese Angelegenheit hängt mit einem — wohl noch grundlegenderen — Problem zusammen, und dieses betrifft ganz einfach die „Verfassung“ des Menschen: den Stellenwert des Menschen in der Welt, im Universum. Bei der Betrachtung dieser Frage ist es unabdingbar, daß man zum „Anfang“, zur „Arche“ zurückgreift. Dies ist ein Problem gewaltiger Bedeutung für die unterschiedlichen Wissenschaften über den Menschen und über die Welt, zum Beispiel für die Paläontologie, die Geschichte, die Ethnologie. Derartige Wissenschaften erweitern ihren Horizont auf Grund ihrer eigenen empirischen Methoden. Sie suchen nach Indices und Beweisen, die man aus der Erforschung von Ausgrabungsfunden erhalten kann, die von den ältesten Spuren des Menschen in der Erdkruste Zeugnis geben. Symbolischer Text für die Standortbestimmung des Menschen im Kosmos Gestatten Sie, daß ich an dieser Stelle einen biblischen Text zitiere. Sicher besitzt er keinen Wert unter dem Gesichtspunkt der Prämissen und Methoden einer empirischen Wissenschaft. Er besitzt dagegen symbolische Bedeutung. Wir wissen, ein „Symbol“ bedeutet soviel wie Zeichen der Konvergenz, des Zusammentreffens und der Kongruenz gewisser Elemente untereinander. Ich meine, der Text aus dem Buch Genesis, den ich anführen will, besitzt — ohne den Anspruch zu erheben, unter dem Gesichtspunkt der empirischen Wissenschaften einen wissenschaftlichen Charakter zu haben — auch eine eigene, besondere Bedeutung für den Verstand selbst, der nach der Wahrheit über den Menschen forscht. Hier der Text: „Gott, der Herr, formte aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte es heißen. Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber eine Hilfe, die dem Menschen entsprach, fand er nicht“ (Gen 2,19-20). Ungeachtet dessen, was wir durch die empirische Methode, vielmehr durch viele Methoden, über den „Anfang“ in Erfahrung bringen, scheint der obige Text eine unerhörte „symbolische“ Bedeutung zu besitzen. Mehr noch, er trifft gewissermaßen die 766 REISEN Wurzeln des Problems, das mit „Stellenwert des Menschen im Universum“ bezeichnet ist. Man könnte auch sagen, er stellt einen Ausdruck der Gemeinsamkeit alles dessen dar, was die mit den Methoden der empirischen Wissenschaften geführten Untersuchungen in sich bergen. Denn sie alle, die nach möglichst ursprünglichen Spuren des Menschen suchen, lassen sich'gleichzeitig von einem grundlegenden Begriff des Menschen leiten. Sie besitzen eine elementare Antwort zumindest auf die Frage: wodurch sich der Mensch von anderen Wesen im sichtbaren Kosmos unterscheidet. Der Mensch unterscheidet sich selber „von Anfang an“ vom ganzen sichtbaren Universum, insbesondere von der Welt der Wesen, die ihm gleichsam am nächsten sind. Sie alle sind für ihn Objekt. Er selber bleibt unter ihnen das Subjekt. Dasselbe Buch Genesis spricht vom Menschen als von einem Wesen, das geschaffen ist nach Gottes Bild und Gleichnis. Mehr noch, im Lichte des oben zitierten Textes ist gleichfalls klar, daß jener Subjektcharakter des Menschen sich in grundlegender Weise mit der Erkenntnis verbindet. ; Der Mensch ist inmitten einer Welt von Objekten deshalb Subjekt, weil er fähig ist, erkenntnismäßig alles ihn Umgebende zu objektivieren, deshalb, weil sein Geist „von Natur aus“ auf die Wahrheit ausgerichtet ist. In der Wahrheit ist die Quelle der Transzendenz des Menschen gegenüber dem Universum enthalten, in dem er lebt. Erkannte Wahrheit verpflichtet Eben durch die Reflexion über die eigene Erkenntnis offenbart der Mensch sich selber als das einzige Wesen in der Welt, das „sich von innen“ durch die erkannte Wahrheit gebunden sieht — gebunden, also auch zu deren Anerkennung „verpflichtet“, im Bedarfsfall auch durch Akte der freien Wahl, durch Akte eines Zeugnisses für die Wahrheit. Dies ist die Befähigung, sich selber in der Wahrheit zu transzendieren. Durch die Reflexion über die eigene Erkenntnis entdeckt der Mensch, daß die Art seiner Existenz in der Welt nicht nur ganz verschieden ist von allem anderen in der Welt, sondern daß er auch ausgezeichnet ist, übergeordnet allem anderen in seinem Bereich. Der Mensch bemerkt ganz einfach, daß er personales Objekt, daß er Person ist. Er ist mit seiner eigenen Würde konfrontiert! Der biblische Text spricht gewissermaßen von ersten, von elementaren Wahrheiten (er gab „Namen“), durch die der Mensch den eigenen Subjektcharakter inmitten der Welt feststellte und bestätigte. Man kann gleichzeitig sagen, daß in dieser Beschreibung dieser ganze Erkenntnisprozeß, der für die Geschichte der menschlichen Kultur entscheidend ist, angekündigt und gewissermaßen „antizipiert“ worden ist. Ich würde nicht zögern, zu sagen, daß das 767 REISEN erste Buch der Bibel die Perspektive jeglicher Wissenschaft und aller Wissenschaften eröffnet. Die Wirklichkeit — die ganze Wirklichkeit, alle ihre Aspekte und Elemente — werden von nun an für den Menschen eine unaufhörliche Herausforderung darstellen. Auch die ganze neuzeitliche und zeitgenössische gigantische Entwicklung der Wissenschaft ist in dieser Beschreibung bereits angekündigt und angestoßen. Auch keine neue Epoche wissenschaftlichen Erkennens geht wesensmäßig „über“ das hinaus, was darin bereits — in bildlicher und elementarer Weise — Umrissen wurde. Die Namengebung ist Ausdruck der Subjekthafligkeit des Menschen 6. Das biblische Paradigma „des Menschen inmitten der Welt“ enthält, wie man sieht, einen Komplex von Elementen, die nicht aufhören, unser Denken über den Menschen zu bestimmen. Sie hören auch nicht auf, die eigentlichen Grundlagen seines Subjektcharakters zu berühren, aber auch — zumindest perspektivisch —jenen Zusammenhang, der zwischen der „Benennung“ der Objekte, dem sich allmählich auch in Gestalt einer Vielzahl von Wissenschaften entwickelnden Erkenntnisprozeß, einerseits und der Tatsache andererseits besteht, daß der Stellenwert des Menschen im Kosmos als Subjekt begründet wird. Je weiter das Bemühen im Zusammenhang mit der Erkenntnis, das heißt mit der Entdeckung der Wahrheit über die objektive Wirklichkeit, greift, um so mehr vertieft sich die Begründung des menschlichen Subjektcharakters. Diese Begründung betrifft nicht nur — und nicht so sehr — den Menschen inmitten der Welt als vielmehr: den Menschen inmitten der Menschen, den Menschen in der Gesellschaft. Paradoxerweise kann man sagen: Mit fortschreitendem Wissen in der Welt — in den Makro- und Mikro-Dimensionen — muß der Mensch auf Grund des Fortschritts der wissenschaftlich-technischen Zivilisationen immer mehr die Wahrheit über sich selber verteidigen. Der Mensch muß auch im Namen der Wahrheit über sich selbst einer doppelten Versuchung widerstehen: der Versuchung, die Wahrheit über sich selbst der eigenen Freiheit untertan zu machen, sowie der Versuchung, sich selbst der Welt der Dinge untertan zu machen; er muß sich sowohl wehren gegen die Versuchung der Selbst-Vergötzung wie auch gegen die Versuchung der Selbst-Verdinglichung. Nach dem Ausdruck eines mittelalterlichen Autors: „Positus est in medio homo: nec bestia — nec deus!“ Das gehört im übrigen auch zum biblischen Paradigma im Buch Genesis. Der Mensch wird schon „von Anfang an“ von der Versuchung verlockt, die Wahrheit über sich der Macht des eigenen Willens zu unterwerfen und sich dadurch „außerhalb von Gut und Böse“ zu setzen. Er wird versucht von der Illusion, er werde die 768 REISEN Wahrheit über Gut und Böse erst dann erkennen, wenn er selber über sie entscheiden wird. „Euch gehen die Augen auf, ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse“ (Gen 3,5). Gleichzeitig wird der Mensch „vonAnfangan“ aufgerufen, „sich die Erde zu unterwerfen“ (vgl. Gen 1,28), was selbstredend eine „natürliche“ Frucht und gleichzeitig die praktische „Fortsetzung der Erkenntnis“, das heißt der durch die Wahrheit bedingten „Herrschaft“ über die übrigen Geschöpfe, darstellt. Hier möchte ich das heute in der ganzen Welt sehr aktuelle Problem des Schutzes der bedrohten Umwelt wenigstens berühren. Dies ist, wie mir bekannt, ein auch in Polen enorm wichtiges Problem. „Sich die Erde unterwerfen“ bedeutet auch, ihre Gesetze, die Gesetze der Natur zu respektieren. Auf diesem Gebiet — bei der mühevollen Arbeit, die Kräfte der Natur in verständiger Weise zu beherrschen und mit ihren Schätzen klug zu wirtschaften—hat die Wissenschaft—wie Sie selber wissen — eine große Aufgabe zu erfüllen. Doch „sich die Erde unterwerfen“ bedeutet auch: sich nicht selber zum Untertan der Erde zu machen! Den Menschen weder erkenntnismäßig noch praktisch auf den Rang von Objekten zu „reduzieren“. Es bedeutet, den Subjektcharakter der Person im Bereich der ganzen menschlichen „Praxis“ zu bewahren. Diesen Subjektcharakter auch in der menschlichen Gemeinschaft zu sichern: in der Gesellschaft, im Staat, an den verschiedenen Stätten der Arbeit, ja sogar der gemeinsamen Zerstreuung. Ich denke, dies ist letztlicher Grund und Sinn dessen, was man heutzutage Menschenrechte nennt. Auf dem Boden der methodischen Erkenntnis, also der Wissenschaft, verläuft hier auch die Linie, wo man der Philosophie, insbesondere der Ethik — und auch gewissermaßen der Theologie begegnet. 7. DieZeitder Aufklärung, mehr noch das 19. Jahrhundert, entwickelte die These von der Antinomie zwischen Wissenschaft und Religion. Diese Antinomie gebar auch die Auffassung, vor allem im Marxismus, vom Entfremdungscharakter jeglicher Religion. Die in dieser Anschauung enthaltene Reduktion des „Menschen in der Welt“ auf die Dimensionen einer absoluten Immanenz des „Menschen“ im Hinblick auf die, ,Welt“ birgt in sich nicht nur die Nietzschesche Problematik des „Todesgottes“, sondern — wie allmählich bemerkt wurde — die Perspektive des „Todes“ auch des „Menschen“, der in dieser prinzipiell „materialistischen“ Vision der Wirklichkeit im letzten, eschatologischen Sinne über keine anderen Möglichkeiten verfügt als alle übrigen Objekte des sichtbaren Universums. Der obige Standpunkt wurde mit Entschiedenheit verkündet und postuliert, ja sogar in den entsprechenden Milieus als Synonym für die einzig wissenschaftliche Methode, mehr noch für die„wissenschaftliche Weltanschauung“ gefordert. 769 REISEN Heute ist eine nicht ganz so absolute Entschiedenheit auf diesem Gebiete festzustellen. Das Paradigma „Mensch-Subjekt“ (das, wie gesagt, seine Verwurzelung auch im Buch Genesis hat) scheint — auf irgendeinem Wege, nicht immer durch die Haupteingangstür — ins Bewußtsein der Menschen und Gesellschaften zurückzukehren, auch in der Welt der Wissenschaft. Man sieht auch in der Religion keinen Gegner des Verstandes und seiner erkenntnismäßigen Möglichkeiten. Eher sieht man in ihr eine andere Art, die Wahrheit über den Menschen in der Welt auszudrücken. Es steht außer Zweifel, daß dies einhergeht mit der Tatsache, daß die Dimension der dem Menschen als Subjekt eignenden Transzendenz erneut wahrgenommen wird. Dies ist — gewissermaßen im ersten Ansatz eine Transzendenz durch die Wahrheit. Es scheint auch, daß der zeitgenössische Mensch sich immer mehr dessen bewußt wird, daß Gott, also auch die Religion — insbesondere aber der persönliche Gott der Bibel und des Evangeliums, der Gott Jesu Christi — letzter und endgültiger Garant des menschlichen Subjektcharakters, der Freiheit des menschlichen Geistes ist, vor allem unter Bedingungen, unter denen diese Freiheit und dieser Subjektcharakter nicht nur im theoretischen, sondern mehr noch im praktischen Sinne bedroht sind. Durch ein System und eine Skaiäder Werte, durch ein „Ethos“ — oder Anti-Ethos—, das einseitig technokratisch ist, durch die Verbreitung eines Zivilisationsmodells des Konsums, durch verschiedene Abarten eines systemhaften Totalitarismus. So kehren wir gewissermaßen zu dem uralten Paradigma der Bibel zurück: Gott der Schöpfer, aber auch der Bundesgenosse des Menschen. Der Gott des Bundes! Der Vater! 8. Zum Schluß möchte ich noch meine besondere Freude darüber zum Ausdruck bringen, daß diese so bedeutsame Begegnung mit der Welt der polnischen Wissenschaft in Lublin stattfand. Diese Stadt hat historisch viel zu sagen. Denn sie bedeutet nicht nur „Union von Lublin“, sondern alles, was den geschichtlichen, kulturellen, ethischen und religiösen Kontext dieser „Union“ darstellt. Der ganze große geschichtliche Prozeß der Begegnung zwischen West und Ost. Der Prozeß des gegenseitigen Sich-Anziehens und Sich-Abstoßens. Des Sich-AbStoßens, aber auch des Sich-Anziehens. Dieser Prozeß gehört zu unserer ganzen Geschichte. Man kann sagen, unsere ganze Geschichte steckt in der Mitte dieses Prozesses. Vielleicht eher „gestern“ als „heute“, doch das „Heute“ läßt sich nicht vom „Gestern“ trennen. Die Nation lebt immerzu in ihrer ganzen Geschichte. Und auch die Kirche in der Nation. Und dieser Prozeß ist nicht abgeschlossen. Niemand wird auch den hier lebenden Menschen, insbesondere den Menschen der Wissenschaft, die Verantwortung für das endgültige Ergebnis die- 770 REISEN ses geschichtlichen Prozesses an dieser Stelle Europas abnehmen! Und der Welt! Ich würde sagen: an dieser Stelle einer „schwierigen Herausforderung“. Benedikt, Cyrill und Method — die Patrone Europas Somit hat das Problem, auf das diese Stadt symbolisch hinweist — Lublin, vielleicht auch diese Universität: die Katholische Universität Lublin —, nicht nur eine polnische, sondern eine europäische Dimension, ja, eine universale Dimension. Dieser Dimension war ich mir bewußt, als ich nach dem Beispiel Pauls VI., der den heiligen Benedikt zum Patron Europas erklärte, die Notwendigkeit sah, dieses „Patronat“ um zwei andere Gestalten zu erweitern: um die Slawenapostel, die heiligen Brüder von Saloniki, Cyrillus und Methodius. Sie alle drei gingen der historischen Zeit Polens, unseres Vaterlandes, voraus. Aber sie haben in gewisser Weise auch diese Zeit — und unser ganzes vergangenes Jahrtausend — gemeinsam vorbereitet. Mögen wir es verstehen, dieses große Erbe treu, authentisch und schöpferisch fortzuführen. „Dem König der Ewigkeit, dem unvergänglichen, unsichtbaren ... Gott sei Ehre: Soli Deo“ (vgl. 1 Tim 1,17): Ich ende mit jenen Worten, die das bischöfliche Wappen Kardinal Stefan Wyszynskis, des großen Primas des Millenniums, darstellten, der hier in Lublin seinen bischöflichen Dienst für die Kirche in Polen begonnen hat. Zum Ende der Begegnung sagte der Papst: Meine Damen und Herren, man erinnert mich hier noch daran, daß ich Bischof sei und daß ich als Bischof meine Pflichten tun müsse. Jeder Bischof hört bei der Bischofsweihe, daß es eine Pflicht sei, zu segnen. Also will ich allen hier Versammelten den Segen erteilen. Es segne euch der Allmächtige Gott: der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Und jetzt sehe ich, daß der Rektor, obwohl er ein Bischof ist, sehr schüchtern ist. Er hat gesagt, man wisse nicht, wie das jetzt sein soll. Nun, am besten wird es sein, wenn die Herrschaften, zumindest die Vertreter der Hochschulen außerhalb Lublins, außerhalb der Katholischen Universität Lublin, denn mit der KUL habe ich noch eine besondere Begegnung, jetzt vorbeikommen, am besten dort entlang, und daß wir uns hier begrüßen. Ich werde sehr dankbar sein für ein solches Händeschütteln. 771 REISEN Der Mensch ist der Welt die Wahrheit schuldig Ansprache bei einem Wortgottesdienst an die Angehörigen der Katholischen Universität Lublin am 9. Juni 1. Wir hörten die Worte des Johannesevangeliums, mit denen die Beschreibung des Letzten Abendmahls beginnt. Diese Beschreibung führt uns ein in den seelischen Zustand Jesu Christi zu Beginn der Osterereignisse. „Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ (Joh 13,1). An ebendiese Worte knüpft der Eucharistische Kongreß in Polen an. Dieser Kongreß führt mich heute nach Lublin, in das Milieu der Katholischen Universität, mit der ich eine Reihe von Jahren eng verbunden war. Nach der Begegnung mit Vertretern der polnischen Hochschulen, der Universitäten älteren und neueren Entstehungsdatums treffen wir uns in der Schar der Professoren, der Studenten, der Mitarbeiter und Freunde der Katholischen Universität, die heute uns allen ihre Gastfreundschaft bietet. Unsere Begegnung hat einen liturgischen Charakter. Die Liturgie des Wortes Gottes führt uns in das innere Geheimnis Christi in dem entscheidenden Augenblick ein, in dem Christus „wußte, daß ihm der Vater alles in die Hand gegeben hatte“ (vgl. Joh 13,3). 2. ' „Alles“. Verweilen wir bei diesem Ausdruck. „Alles“ ^ das ist ein Be- griff, der dem nahekommt, was in dem Ausdruck universitas steckt. Universitas — das ist ein besonderes Milieu; das darauf eingestellt ist, „alles“ zu er^ kennen. Der subjektiven universitas entspricht das objektive Universum. Diese Einstellung, dieses Streben, hängt eng mit dem Menschen aller Zeiten zusammen, mit der eigentlichen Natur des menschlichen Geistes. Intellectus est quodam — modo omnia — der menschliche Geist ist gewissermaßen „alles“ (hl. Thomas). . Denn alles, was in irgendeiner Weise existiert, ist der menschlichen Erkenntnis, also dem menschlichen Geist, aufgegeben. Alles, was in irgendeiner Weise existiert — das heißt, die ganze Wirklichkeit, die ganze differenzierte Wirklichkeit. Der menschliche Geist ist aüf diese Wirklichkeit hin ausgerichtet, sowohl unter dem Blickwinkel ihrer Universalität — „alles“ — wie auch unter dem Blickwinkel ihrer Differenzierung. Die Institutionen, die die Bezeichnung Universität (polnisch: „wszechnica“) tragen, verkünden schon mit ihrem Namen diese grundlegende Wahrheit über den Menschen, über die menschliche Erkenntnis. Die ganze Wirklichkeit ist 772 REISEN dem Menschen aufgegeben unter dem Blickwinkel der Wahrheit. Universität besagt gleichzeitig auch ein besonderes „Schuldigsein“ des Menschen gegenüber der ganzen differenzierten Wirklichkeit. Dies ist ein Schuldigsein wegen der Wahrheit. Der Mensch ist der Welt die Wahrheit schuldig: Durch die Erkenntnis der Wahrheit über die Welt, über die Wirklichkeit, über Schöpfer und Schöpfung zahlt der Mensch diese Schuld ab, gleichzeitig verwirklicht er sich selbst. Er rechtfertigt seine „Vernünftigkeit“ im ganzen Universum. Das bisher Gesagte bezieht sich auf alle Universitäten auf dem Erdball' Orientierung an Gott ermöglicht authentische Weltdeutung 3. Das Johannesevangelium sagt von Christus: „Er wußte, daß ihm der Vater alles in die Hand gegeben hatte.“ Auf diese Weise wird jener Ausdruck „alles“ in einen neuen Kontext gestellt. „Alles“, was zu der reichen und differenzierten Wirklichkeit gehört, der Makrokosmos und der Mikrokosmos, „alles“ wird hier in Relation gezeigt zu Gott, zum Geheimnis der Dreifaltigkeit, zum Vater, zum Sohn und zum Heiligen Geist. Dies ist das im Wort Gottes geoffenbarte Geheimnis des Glaubens. Bevor die Welt im ganzen Reichtum der Geschöpfe, in ihrer ganzen makro- und mikrokosmischen Struktur existierte, bestand sie in Gott. Bevor „die Welt durch Gottes Wort erschaffen“ (Hehr 11,3), zur Existenz berufen worden war, existierte sie von Ewigkeit in dem dem Vater wesensgleichen Wort. Sie existierte, umfangen von der Erkenntnis und der Liebe, umfangen vom inneren Leben des Dreieinigen: des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Und nach der Schöpfung dauert diese von Ewigkeit bestehende Umarmung des Dreieinigen Gottes in der Geschichte des Universums fort: „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17,28). „Alles ist in ihm.“ Es ist in ihm nicht nur in schöpferischer oder — nach unseren menschlichen Begriffen — ursächlicher Weise. Es ist in ihm in unaufhörlicher Relation zu dieser über-geschöpflichen Communio, die Gott in sich selber ist: Vater, Sohn und Geist. 4. Wenn der Evangelist von Christus sagt: „Der Vater hatte ihm alles in die Hand gegeben“, dann spiegelt dieser Satz jene ewige Relation zwischen Gott und Welt auf dem Boden der menschlichen Geschichte wider. . Indem der Vater den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis schuf, hat er dem Sohn in besonderer Weise „alles ... gegeben“. Man kann sagen: er hat es ihm gegeben — und ihm aufgegeben. Er stellte ihm die Zweckmäßigkeit der sichtbaren Welt im Menschen zur Aufgabe. Er gab ihm die Erlösung des Menschen auf. Er hat sie „ihm ... in die Hand gegeben“. Er gab ihm, dem Sohn, 773 REISEN die Sünde auf, die die menschliche Geschichte „von Anfang an“ überlagert. Er gab ihm die Erlösung der Welt zur Aufgabe. Christus „wußte, daß seine Stunde gekommen war“ — diese „Stunde“, in der er ebendiese Aufgabe in der Geschichte der Menschheit endgültig erfüllen sollte — und er geht ihr entgegen: „Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung.“ So gewinnt also dieser Ausdruck „alles“, der so wesentlich ist für Natur und Sendung aller Universitäten auf der Welt, dann eine völlig neue Bedeutung, wenn wir dieses „alles“ in bezug auf den Dreieinigen Gott begreifen, in bezug auf das Geheimnis von Schöpfung und Erlösung, in bezug auf Christus, in bezug auf die Eucharistie. Eine katholische Universität strebt nach ganzheitlichem Wissen 5. Auf diese Weise berühren wir auch das eigentlich Spezifische der Katholischen Universität. Eine Universität mit diesem Adjektiv besitzt alle Merkmale der Universitäten überhaupt, sie hat Teil an dem gleichen Bezug zur differenzierten Wirklichkeit, zu „allem“, an der gleichen Verantwortung für die Wahrheit in der Durchführung der Wissenschaft, in den Forschungen und Forschungsmethoden sowie in ihrer Weitergabe, das heißt in der Lehre, in der Didaktik. Gleichzeitig weist das Adjektiv „katholisch“ daraufhin, daß diese ganze Mühe des Erkennens, den diese Universitätsgemeinde auf sich nimmt, zugleich organisch auf das bezogen ist, was vom Wort der göttlichen Offenbarung herkommt. Sie ist verbunden mit dem Glauben — wie er von der Kirche bekannt und gelehrt wird. „Alles“ als Bereich der Erkenntnistätigkeit — das ist gleichzeitig dieses „alles“, das seinen Anfang vor dem „Anfang“ hat: den Anfang in Gott, im ewigen Wort — in dem dem Vater wesensgleichen Sohn. Es ist dieses „alles“, das der Vater dem Sohn „in die Hand gegeben“ hat, damals, als Christi Stunde gekommen war: die Stunde der Erlösung der Welt. Wir wissen, daß dies gleichzeitig die Stunde der Eucharistie war. 6. Die Kirche hatte seit vielen Jahrhunderten teil am Prozeß der Entstehung von Universitäten. Wir wissen dies sehr gut aus der Geschichte, insbesondere aus der Geschichte Europas, auch aus der Geschichte Unserer Nation. Als sich die zeitgenössische Wissenschaft entwickelte, sah die Kirche in der neueren Zeit die Notwendigkeit, in verschiedenen Ländern der Welt neue Universitäten zu berufen, die versehen sind mit dem Adjektiv „katholisch“, damit diese Bedeutung, die das „alles“ im Wort der göttlichen Offenbarung besitzt, nicht aufhört, im großen Erkenntnisprozeß gegenwärtig zu sein, in der schöp- 774 REISEN ferischen Anstrengung des menschlichen Verstandes, der mit der Wahrheit seine Schuld gegenüber der ganzen Wirklichkeit abzahlt. Es ist eine sehr kennzeichnende und sehr aussagekräftige Tatsache, daß eine solche katholische Universität auch in Lublin berufen wurde, fast gleichzeitig zu dem Datum, als Polen seine staatliche Unabhängigkeit wiedergewann. 7. Wenn ich mich heute mit der ganzen akademischen Gemeinschaft der Katholischen Universität Lublin treffe, dann möchte ich, daß wir auf der Grundlage der Worte der Liturgie zuerst gewissenhaft die Bedeutung dieses Dienstes betrachten, von dem Jesus nach der Aufzeichnung des Johannes-Evangeliums spricht. „Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müßt auch ihr einander die Füße waschen“ (Joh 13,14). Die Universität Lublin entstand und besteht unter dem Motto Deo et Patriae. Diese Worte sprechen von einem Dienst, vom Dienst für Gott und die Kirche sowie für die Nation und das Vaterland. Ich denke, es gibt ein tertium comparationis, das es ermöglicht, mit gewisser Demut die knapp 70jährige Geschichte der Katholischen Universität Lublin in die Nähe der über 600jährigen Geschichte der Jagiellonen-Universität zu rücken. Die Liebe zur Wahrheit im Dienste für den Menschen. Die Formung des nationalen Bewußtseins und der nationalen Haltung durch redlichen Dienst an der Wahrheit. Die Tatsache, daß diese Hochschule die einzige katholische Universität in den Ländern ist, die im System der Machtausübung und der gesellschaftlichen Organisation die materialistische marxistische Ideologie als die offizielle annehmen, ist von sehr großer Aussagekraft. Bei unserer ersten Begegnung auf Jasna Göra im Jahre 1979 sagte ich, daß die Universität ein Abschnitt des Kampfes um die Menschlichkeit des Menschen ist und daß es um die Freisetzung dieses gewaltigen geistigen Potentials des Menschen geht, durch das der Mensch sein Menschentum verwirklicht (vgl. Ansprache vom 6.6.1979). Deo et Patriae durch die Kraft der Wahrheit und der in ihrem Dienst stehenden Anstrengung des menschlichen Geistes. Durch den Dienst an der höchsten Wahrheit sowie an dieser Wahrheit, welche ein Abglanz der unendlichen Wahrheit im Leben der Welt und der Menschen ist. Wer den Menschen um seiner selbst willen bejaht, bejaht den Schöpfer des Menschen, und er kann gar nicht umhin, den Menschen zu bejahen. Deshalb muß auch an jeder Fakultät einer katholischen Universität, selbst an der naturwissenschaftlichsten und „weltlichsten“ Fakultät, die Mühe des nach der Wahrheit suchenden Geistes mit dem Glauben vereinigt sein, der auch auf diesen Gebieten seine Bestätigung und Vertiefung findet. Dies ist das Profil der nachkonziliären Kirche und des zeitgenössischen Katholizismus. Gleich- 775 REISEN zeitig ist die katholische Universität ein lebendiges Zeugnis gegenüber allen denen, welche die Religion im Bereich einer irrationalen Welt ansiedeln möchten. Dieser wechselseitigen Offenheit von Glaube und menschlichem Geist dient in unserem Lande, die Katholische Universität Lublin, indem sie ihren Beitrag leistet zum Schutz der polnischen Wissenschaft und Kultur, indem sie auch Anerkennung in der Welt erringt, wovon ihre reiche Zusammenarbeit mit ähnlichen Zentren der Wissenschaft in Europa und darüber hinaus Zeugnis ablegt. Unschätzbar ist ihre Rolle, die darin besteht; daß sie die katholische Intelligenz in unserem Vaterland im Geiste der christlichen, der humanistischen und nationalen Werte erzieht. Es muß auch hinzugefügt werden, daß eine große Zahl von Mitgliedern der polnischen Bischofskonferenz ihre intellektuelle und geistliche Ausbildung der Katholischen Universität Lublin verdankt. Mit Dankbarkeit gedenken wir heute der Gestalten von Professoren, Mitarbeitern und Studenten, angefangen von Priester I. Radziszewski bis zum Primas des Millenniums und zu so vielen hervorragenden katholischen Laien. In der Hochschule gewinnen die vielfältigen Charismen Bedeutung 8. Wenn wir die Bedeutung des Dienstes erwägen wollen, den eure akademische Gemeinschaft gegen Gott und das Vaterland — Deo et Patriae — erfüllen soll, dann müssen wir uns zugleich vertiefen in die Lehre des Apostels aus dem Ersten Korintherbrief: „Gott: Er bewirkt alles in allen“ (1 Kor 12,6). „Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt“ (vgl. ebd.,1). Wir müssen nachdenken über diese Wahrheit von den „Gaben“, von den Talenten, vomjeweiligen Charisma, die uns der Apostel bei der Gelegenheit unseres heutigen Treffens verkündet. Die Universität ist eine Arbeitsstätte besonderer Art. Vielleicht fallt auf den ersten Blick ihre Lehrtätigkeit ins Auge. Bei näherem Kennenlemen jedoch wird klar, daß das wahre „Wasser des Lebens“, das die ganze Lehre belebt, in der wissenschaftlichen Arbeit schöpferisch forschenden Charakters besteht. Die wissenschaftliche Arbeit und die ihr eigenen Methoden stellen gewissermaßen die grundlegende Form der Existenz und Wirkungsweise einer Universität dar. Aus ihr erwachsen alle anderen, also sowohl die Weitergabe des gewonnenen Wissens an die breiten Scharen, der Studenten wie auch die Heranbildung neuer wissenschaftlicher Mitarbeiter. Ich habe darüber bei verschiedenen Gelegenheiten gesprochen. Hier möchte ich unterstreichen, daß die vielfältigen Gaben, in denen sich der Geist offenbart, die Gaben und Talente von Menschen, von Menschen, die das 776 REISEN Profil einer Hochschule in einer gegebenen Epoche formen, sowie alle Gaben, welche die Mitglieder der akademischen Gemeinschaft aufweisen, von Gott gegeben sind, damit sie anderen nützen. In ihnen hat Gott in unsere Herzen gleichsam ein „Teil seiner selbst“ gelegt, das Wehen des Heftigen Geistes. Eine Gabe, aber auch eine Aufgabe. Das katholische Spezifikum entscheidet über die Attraktivität der Katholischen Universität Lublin in der ganzen polnischen akademischen Familie. Sie spürt einwandfrei, daß man hier nicht nur solides Wissen erwarten muß, sondern auch den Zugang zu einer anderen Ordnung der Wahrheit, zu diesem spezifischen Licht, das das Geheimnis Christi auf das Mysterium der menschlichen Existenz wirft. Von daher ist es notwendig, den Bedürfnissen der wissenschaftlichen Zentren des ganzen Vaterlandes entgegenzukommen. Erreichbar ist dies nur durch die Eindeutigkeit der eigenen akademischen und zugleich christlichen Haltung, durch die Sensibilität für das Menschliche und für das Göttliche. Dies gilt für die Professoren, für die Studenten, für alle, die diese Universität bilden. Ihr wißt, wie lebendig in der Welt von heute die Sehnsucht nach dem Zeugnis ist — gleichsam als Beweis dafür, daß die Einheit von Wahrheit möglich ist, ja, daß sie existiert. Die Rolle, die Attraktivität der Katholischen Universität verbindet sich mit der Hoffnung, daß sich hier eine wahre, verbindende Gemeinschaft von Professoren, Mitarbeitern der Verwaltung und körperlich Schaffenden, eine Gemeinschaft der Studenten findet — als Zeugnis lebendigen Christentums; daß die authentische katholische Universitätsfamilie nicht nur ein Ort, wissenschaftlicher Wahrheit“ ist, sondern auch einer „Wahrheit des Lebens“, und zwar dadurch, daß die verschiedenen Formen der Schwäche und des Bösen, die verschiedenen Formen der Wahrheitsleugnung durchbrochen werden — diese kommen vor im persönlichen Leben, im gegenseitigen Verhalten zu anderen, aber auch in der Oberflächlichkeit von Forschungen oder in dem Bemühen, an ein Forschungsobjekt nicht nach den Kriterien der Wahrheitssuche, sondern nach außerhalb der Wissenschaft liegenden konjunkturellen Beweggründen heranzugehen. „Gott: Er bewirkt alles in allen.“ Bewahrt das lebendige Bewußtsein, daß dies der Weg ist, auf dem ihr zusammen mit Christus schreitet; daß dies der Weg ist, den ihr durch das schwierige „Heute“ der Kirche in der zeitgenössischen Welt und in unserem Vaterlande geht, um das Licht der Wissenschaft und des Glaubens, das Licht eines in der Wahrheit gründenden christlichen Lebens weiterzutragen, ein Licht, das so notwendig ist bei der Vorbereitung seines christlichen „Morgen“. Gestattet, daß ich hier noch Worte zitiere, die ich zu den Angehörigen der Universität in Louvain-la-Neuve sagte, mit der ihr seit Jahren durch eine fruchtbare 777 REISEN Zusammenarbeit verbunden seid: „Die Wiederfindung der schöpferischen Dynamik des Geistes setzt seitens der ganzen Universitätsgemeinschaft und insbesondere seitens der Lehrkräfte und der akademischen Autorität den festen Willen zur Transzendenz und eine lebendige Verbindung zur theologischen Hoffnung voraus. Die Wissenschaft, das Wissen, akzeptiert nicht die Fatalität, sondern bemüht sich, frei die Zukunft zu bauen... Die Zukunft ist kein Schicksal mehr, das man über sich ergehen läßt, sondern ein Entwurf und eine Aufgabe, die es gemeinsam zu verwirklichen gilt mit dem Licht Gottes, das das Geheimnis der jeder katholischen Universität eigenen Dynamik durchdringt, ihr selbst die vorbehaltlose Aufnahme des Evangeliums Christi und einen hochherzigen, verständigen Dienst an seiner Kirche ermöglicht“ (Ansprache in Louvain-la-Neuve, 21.5.85, in: O. Rät., Nr. 25, S. 11). Es muß auch hervorgehoben werden, daß das Profil der Katholischen Universität Lublin in bedeutendem Maße durch die Quelle ihrer Existenz gekennzeichnet ist, die in der Opferwilligkeit der katholischen Gesellschaft unserer Nation besteht. Besonders bekannt auf diesem Gebiet ist die Tätigkeit der Freundeskreise der Katholischen Universität Lublin in der Heimat und im Ausland. Bei unserer Begegnung sind hervorragende Vertreter des polnischen Exils anwesend, zusammen mit der Leitung der Gesellschaft für Verbindungen mit den Auslandspolen. Ich richte ein herzliches Begrüßungswort an sie. Den gleichen Gruß richte ich an alle anderen Gäste. Dank dieser Opferwilligkeit der Gläubigen ist diese Katholische Universität Lublin das Eigentum einer katholischen Nation und der katholischen Kirche, die mit Recht und Billigkeit erwarten können, daß sie im Dienste des menschlichen Wohls und im Dienste der Sache der Kirche steht — nach den Prinzipien, die von dieser definiert werden. Allen Freunden dieser Universität bringe ich hier meine besondere Dankbarkeit zum Ausdruck. 9. „Da er die Seinen ... liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“. Wir fügen den heutigen Tag in die Gesamtheit des Eucharistischen Kongresses ein. In der Eucharistie findet dieses „alles“, das der Vater dem Sohn „gegeben hat“, immerzu seinen sakramentalen Ausdruck. Er hat es „gegeben“, damit der Sohn dieses „alles“ mit ebendieser Liebe umfinge, die er „bis zur Vollendung“ erwies, damit er es umgestalte und verwandle. Die Eucharistie ist gleichzeitig eine Quelle dieser Liebe — in uns. Sie ist eine Quelle dieser Liebe — hier, an dieser Katholischen Universität. Sie ist die Quelle. Sie ist die Aufforderung zu dieser Liebe, die endgültig den Menschen frei macht, die erlöst, die ihm das Leben gibt. Das ewige Leben. 778 REISEN Universität. Alma Mater! Du bist von dieser Liebe umfangen, die Christus bis zur Vollendung erwies. Du bist umfangen von der Eucharistie. Bleibe in dieser rettenden Umarmung des Erlösers der Welt. Diene der Wahrheit! Wenn du der Wahrheit dienst — dann dienst du der Freiheit, der Befreiung des Menschen und der Nation. Dann dienst du dem Leben! Der Priester ist für die Menschen bestellt Predigt bei der Priesterweihe in Lublin am 9. Juni 1. „Ich habe euch Freunde genannt“ (Joh 15,15). Heute befinde ich mich auf dem Wege meiner Pilgerreise durch das Vaterland in Lublin. Ich freue mich, daß ich wieder in dieser historischen Stadt sein kann, mit der ich über eine Reihe von Jahren der Tätigkeit an der Katholischen Universität verbunden war. Herzlich begrüße ich Lublin: die Stadt und die Kirche, die im Lubliner Land ihre Sendung erfüllt. Ich begrüße den Bischof von Lublin, die Weihbischöfe, die zu Gast weilenden Bischöfe, die Kapitel, die ganze Geistlichkeit der Diözese sowie die männlichen und weiblichen Ordensfamilien. Ich begrüße die Pilger aus den Nachbardiözesen: von Podla-sien, von Sandomierz-Radom, von Kielce, von Przemysl, aus der Erzdiözese Lubaczöw und alle, die aus dem Ausland hierhergekommen sind. Am Tage der Priesterweihe begrüße ich in besonderer Weise die Priesteramtskandidaten: aus vier Lubliner Seminaren und aus allen Diözesan- und Ordensseminaren in Polen sowie die Alumnen des griechisch-katholischen Ritus, die sich in Lublin auf das Priestertum vorbereiten. Wie viele historische Erinnerungen kommen mir doch in den Sinn, wenn ich in der Stadt bin, in der das Christentum auf eine Tradition von tausend Jahren zurücksieht, in der Stadt, die Ort der Union Polens mit Litauen im Jahre 1569 war, in der Stadt, die so viele Kriege, Überfälle und Zerstörungen erlebt hat. Ihr Symbol ist Majdanek, wo ich heute morgen Gelegenheit hatte, mit tiefer Ergriffenheit zu verweilen. Ich bringe meine Freude darüber zum Ausdruck, daß diese Stadt lebt, daß sie sich entwickelt, daß neue Viertel und neue Kirchen in ihr entstehen. Ich bringe meine Freude zum Ausdruck, daß sie die Stadt von fünf Hochschulen ist: der Katholischen Universität Lublin, der Ma-rie-Curie-Sklodowska-Universität, der Medizinischen Akademie, der Landwirtschaftsakademie und der Technischen Hochschule. Und wie könnte man es unterlassen, hier an die Verbindungen der Kirche von Lublin mit dem so alten Bischofsstuhl in Krakau zu erinnern, Verbindungen 779 REISEN durch das Lubliner Erzdiakonat, durch Kazimierz und Piotrowin, das an den hl. Stanislaus, den Bischof und Märtyrer, gemahnt. Im Geiste besuche ich die Reliquien des Holzes vom Heiligen Kreuz in der Basilika der Dominikaner Patres, wohin ich mich viele Male zum Gebet begab, aber auch, um die hl. Messe zu feiern. „Aus den Menschen ausgewählt undfiir die Menschen eingesetzt“ 2. Mein heutiger Dienst im Rahmen des Eucharistischen Kongresses steht in besonders engem Zusammenhang mit dem Geheimnis der Eucharistie. Die hier anwesenden Diözesan- und Ordensdiakone aus ganz Polen sollen die Priesterweihe, die Weihe des Presbyterats, empfangen. Im Zusammenhang damit richte ich ganz besondere Worte an alle, die wegen deren Weihe hierhergekommen sind: an die Eltern, an die Familien, an die Pfarreien, aus denen die heutigen Neupriester stammen, an die Gruppen und die Bereiche, mit denen sie bisher verbunden waren — und auch an jene, mit denen sie in Zukunft durch ihr Leben und ihren priesterlichen Dienst verbunden sein werden. Der Priester „wird aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt“, wie wir im Brief an die Hebräer lesen (vgl. Hebr 5,1). Deshalb bringe ich auch meine Freude zum Ausdruck, daß in dem Augenblick, in dem die Söhne der Kirche in diesem Land das Sakrament der Priesterweihe erhalten, hier so zahlreich das ganze Gottesvolk versammelt ist, in dessen Mitte die priesterliche Berufung der heutigen Neupriester heranreifte. Besonders bedeutsam ist die Gegenwart vieler junger Menschen, eurer Altersgenossen und Altersgenossinnen, mit denen euch vielfältige Bande der Kameradschaft, der Freundschaft und der Interessen verbunden haben. Dafür sei Christus Dank dem, der „da er die Seinen liebte ..., ihnen seine Liebe ... bis zur Vollendung erwies“ (Joh 13,1), wie uns der Eucharistische Kongreß in seinem Leitgedanken in Erinnerung ruft. 3. Heute ist mitten unter uns Christus gegenwärtig. Christus — das heißt der Gesalbte, der Messias, der, welcher von sich mit den Worten des Buches Jesaja sagt: „Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt“ (Jes 61,1). Wir erinnern uns daran, daß Jesus von Nazaret eben mit diesen Worten seine messianische Sendung in seiner Heimatstadt begann. Wir alle, das ganze Volk Gottes, haben Anteil an dieser „Salbung“ des Messias, die die Kraft des Heiligen Geistes bedeutet. Das Sakrament der Taufe macht uns zu Teilhabern von Christi Sendung, wie es das II. Vatikanische Konzil in Erinnerung gerufen hat. Wir wissen auch, daß schon bei der Taufe 780 REISEN die Katechumenen gesalbt werden. Sie werden auf diese Weise Teilhaber an Christi Priestertum, das „allgemein“ ist: alle Getauften sind aufgefordert, „geistige Opfer“ (1 Petr 2,5) darzubringen. Christus, der Priester, will alle mit seinem erlösenden Opfer vereinigen, um uns zur „ewigen Gabe für den Vater“ zu machen. Wir alle sind, wenn wir zu Jüngern Christi werden, dazu berufen, dadurch zugleich „Salz der Erde“, aber auch „Licht der Welt“ (vgl. Mt 5,13-14) zu werden. Im heutigen Evangelium hören wir diese beiden herrlichen Vergleiche, die von der tiefen Bedeutung christlicher Berufung sprechen. 4. Sind nicht jene christlichen Familien „Salz der Erde“, in deren Mitte solche priesterlichen oder Ordensberufe erwachsen? Diese gesunden Familien, wo die Jungen „Geschmack“ finden an der Wahrheit des Evangeliums und an einem Leben im Geiste dieses Evangeliums? Sind nicht j ene Gemeinschaften des Gottesvolkes,,Licht der Welt“ — Die Pfarreien und anderen Gemeinschaften, wo man über das Licht kein „Gefäß“ darüberstülpt, sondern wo man „es auf den Leuchter stellt; dann leuchtet es allen“ {Mt 5,15): den Nahen und auch den Femen. Denn Christus sagt: „So soll euer Licht vor den Menschen leuchten“ {Mt 5,16). Und dieses Licht sind die „guten Werke“ {Mt 5,16): ein Leben in Übereinstimmung mit dem Glauben! Sind nicht „Licht und Salz der Erde“ jene Gläubigen, die auf allen Gebieten des Lebens, insbesondere im Bereich der Arbeit, die Prinzipien des Evangeliums, der Gerechtigkeit, der Solidarität in die Tat umzusetzen versuchen? Eure Aufgabe, teure Neupriester, wird darin bestehen, im Gefühl der Verantwortung für die Kirche, für eine christliche Form des polnischen Lebens mit den Laien zusammenzuarbeiten. Man muß den Laien Vertrauen schenken. Sie haben, wie das n. Vatikanische Konzil, ihren Platz und ihre Aufgabe bei der Erfüllung der dreifachen Mission Christi in der Kirche. In ihnen steckt ein großes Potential von gutem Willen, von Kompetenz und Dienstbereitschaft. Von euch, von den Priestern, die in das Jahr 2000 hineingehen, wird es in bedeutendem Maße abhängen, daß ein richtiges Bewußtsein sowohl bei den Laien wie auch bei den Priestern herausgebildet wird, damit jeder Christ lebendiger Teil der Kirche als des Leibes Christi ist und seine Mühe eines opferbereiten Lebens um des Gemeinwohls willen einbringt. Die nächste Bischöfs-synode wird der Kirche auf diesem Gebiet gewiß viel Licht bringen. Testamentsverwalter des ewigen Hohepriesters Jesus Christus 5. Teure Neupriester! Heute tretet ihr zum Altar der Eucharistie in der Kirche des Gottesvolkes im Lubliner Land, damit dieses „allgemeine“ Priestertum, 781 REISEN das ihr als Folge von Taufe und Firmung in euch tragt, durch den apostolischen Dienst des Bischofs zu einem neuen Sakrament wird. Damit das Weihesakrament euren jungen Seelen ein neues, unverwischbares Zeichen aufprägt: das Siegel des Heiligen Geistes. Der Priester „wird aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt“. In seiner messianischen Sendung wurde Christus zum Priester des Neuen und Ewigen Bundes mit Gott durch sein eigenes Opfer. Dieses Opfer brachte er dem Vater durch sich selbst, durch sein Leben und seinen Tod. Durch seinen Leib, der am Kreuze für uns „hingegeben“ wurde — durch sein Blut, das „für euch vergossen“ wurde (vgl. Lk 22,19-20). Eben auf diese Weise erfüllten sich die Worte des Evangelisten: Er erwies uns seine Liebe bis zur Vollendung. Christus setzte dieses sein eigenes Opfer am Vortag des Leidens als Sakrament ein — als heiligstes Sakrament der Kirche — beim Letzten Abendmahl. Und die Verwaltung dieses Sakraments befahl er den Aposteln sowie allen, denen die Apostel es von Generation zu Generation weitergeben. „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ {Lk 22,19). Heute wird die Verwaltung der Eucharistie euch übergeben; teure Neupriester. „Tut dies zu meinem Gedächtnis“. 6. Wir sind also jetzt inmitten der Kirche, die in Lublin ist, im polnischen Land — und wir sind zugleich im Abendmahlssaal. Ihr erhaltet dieses Sakrament, das gleiche, das die Apostel beim Letzten Abendmahl im Zusammenhang mit der Eucharistie empfangen haben, die damals eingesetzt worden ist. Ihr werdet Priester — das heißt „Verwalter von Geheimnissen Gottes“ (1 Kor 4,1), insbesondere aber dieses größten Geheimnisses, das die Eucharistie ist. Von nun an müßt ihr von euch so denken und sprechen wie der Apostel. „Als Diener Christi soll man uns betrachten“ (vgl. 1 Kor 4,1). In den in euren Seelen durch das allgemeine Priestertum, das Teil aller Getauften ist, vorbereiteten Boden wird das Priesteramt als ein eng mit der Eucharistie verbundenes Sakrament hineingesetzt. Ihr sollt diesen Dienst aufnehmen, so wie Christus ihn den Aposteln im Abendmahlssaal übergeben hat. Mit dem Weihesakrament sollt ihr bei der Feier der Eucharistie ständig in den verschiedenen Gemeinden des Gottesvolkes das Bewußtsein dieses „allgemeinen Priestertums“ beleben, das ebenfalls königliches Priestertum ist, denn es kommt darin zum Ausdruck, daß diesem Gott „geistige Opfer“ gebracht werden, dem „zu dienen“ „herrschen“ bedeutet (vgl. Lumen gentium, Nr. 36). 7. Gott dienen — den Menschen dienen: in ihnen das Bewußtsein des königlichen Priestertums freisetzen, jener Würde, die dem Menschen als dem Sohn 782 REISEN und der Tochter Gottes selber eigen ist. Dem Menschen, dem Christen, von dem gesagt wurde, daß er ein „zweiter Christus“ ist. Der Primas des Millenniums notiert in seinen „Aufzeichnungen aus dem Gefängnis“: „... ich übe meine priesterliche Sendung aus. Mein Elend hindert mich nicht — um Gottes Barmherzigkeit willen —, den Menschen mit Gütern zu dienen, die für die Welt am wertvollsten sind.“ So schritt Christus, ein Spott für das gemeine Volk, bis zum heutigen Tage. Abgerissen, geschlagen, beschmutzt mit dem Kot der Straße, bespien. Und dennoch hat gerade er die Welt erlöst... Und er hat sie erlöst, auch wenn die Welt ihren Erlöser verspottet hat. Wie nahe führen doch diese beiden Wege nebeneinander! Die sakramentale Gnade stützt mein Unvermögen; Jesu Unvermögen wurde durch seine Gottheit gestützt... Möge die Welt lachen, wenn nur das Werk der Erlösung erfüllt wird“ (Kardinal Stefan Wyszynski, Aufzeichnungen aus dem Gefängnis, Paris 1982, S. 58). Ja, teure Neupriester! Den Menschen dienen! Den Menschen auf dieser polnischen Erde dienen, auf der der Dienst an der Wahrheit des Evangeliums so nottut: an der Wahrheit, die jeden Menschen frei macht. Wie der hl. Paulus schreibt: wir „verfälschen das Wort Gottes nicht, sondern lehren offen die Wahrheit. So empfehlen wir uns vor dem Angesicht Gottes jedem menschlichen Gewissen“ (2 Kor 4,2). Das ist eine kraftvolle Lehre! Die Lehre des Apostels. Kraft einer solchen Lehre wächst die Kirche, erweitert sie sich, indem sie Zeugnis von der Wahrheit gibt. Und gleichzeitig: wächst der Mensch! Denn der Mensch wächst, indem er sich jedem menschlichen Gewissen „empfiehlt“, er wächst “vor dem Angesicht Gottes“, wie der Apostel sagt. Wie aktuell ist das doch in einer Epoche, in der die Gewissen abzusterben drohen — und der Mensch in Gefahr ist, sich von diesem „Angesicht Gottes“ zu entfernen, das überall seine wahre Würde freisetzt. Aber, teure Söhne! Um Erzieher der Gewissen zu sein, um andere zu führen, um ihnen zu helfen, sich aus Sünden und schlechten Gewohnheiten zu erheben, um das „mutlos werdende Volk aufzurichten“, müssen wir selber stets bereit sein, vor das „Angesicht Gottes“ zu treten und vor das Urteil „jedes menschlichen Gewissens“. Wir selber müssen Anforderungen an uns stellen. Das Priestertum stellt Anforderungen. Es fordert. Es fordert — und dadurch befreit es. Schaut euch die Beispiele an. Es gibt davon viele in jeder Diözese, und ich nenne nur den heiligen Maximilian Maria Kolbe, Bischof Michal Kozal, der Märtyrer aus Dachau, den es mir vergönnt sein wird, während dieses Eucha-ristischen Kongresses zur Ehre der Altäre zu erheben, ferner Priester Woj- 783 REISEN ciechBlaszyriski, Priester Jan Balicki, Priester AleksanderFedorowicz, Priester Wladyslaw Komilowicz, den damaligen Konviktsdirektor der Priesterstudenten an der Katholischen Universität Lublin, den Mitbegründer des Werkes in Laski, das den an Körper und Seele Blinden dient, schließlich den jungen, bis zum Tode opferbereiten Priester Jerzy Popieluszko. Durch Handauflegung des Bischofs gespendetes gesellschaftliches Sakrament 8. Imitamini, quod tractatis! So ruft euch der Bischof in der heiligen Liturgie auf. Aber „quod tractatis? Quod tractatis“. Nicht ebenjene „Liebe“, von der es heißt: „Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“? Euer Dienst besteht eben darin. Ihr sollt der Würde des Menschen, seiner Befreiung dienen, ihr sollt Menschen und Gruppen aus der Mutlosigkeit, aus Krisen erheben durch das Zeugnis ebendieser Liebe, die in Christus ist, die aus Christus kommt. „Wir verkündigen nämlich nicht uns selbst“, schrieb der Apostel, „sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu willen“ (2 Kor 4,5). Es ist also nötig, daß Gott „in unseren Herzen aufleuchtet“ als das Licht, das Christus ist — damit es „aufleuchtet“ in anderen Herzen (vgl. 2 Kor 4,6). 9. Das Priestertum ist ein gesellschaftliches Sakrament. Es ist die Quelle besonderer apostolischer Energien — und apostolischer Möglichkeiten. Das alles wird euch heute zuteil, Neupriester. Als Gabe für euch — und in euch als Gabe für die Kirche. Für diese Kirche, die auf polnischer Erde ist — und auf der ganzen Erde. Denn Kirche ist an jedem Ort Missionskirche, sie bleibt „im Zustand der Mission“ — und dieser missionarische Zug ist in besonderer Weise in die priesterliche Berufung hineingeschrieben. Kniet also nieder, teure Brüder! Mehr noch, fallt auf das Angesicht vor der Größe des Sakraments, das ihr heute „durch Handauflegung des Bischofs“ erhalten sollt. Und wenn das, was sich vor den Augen der Kirche im Lubliner Land vollziehen soll, von innerer Scheu, von einem Zittern des jungen Herzens begleitet wird — dann ist es gut so. Eine solche Scheu bringt das Gefühl für Verantwortung zum Ausdruck. Das ist gut so. Denn die Worte des Apostels: „Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, daß das Übermaß an Kraft von Gott und nicht von uns kommt!“ (2 Kor 4,7), enthalten eine tiefe Wahrheit. Ja, von Gott. Nicht von uns. Von Gott. 784 REISEN Heilige legen von der Würde des Menschen Zeugnis ab Predigt bei der hl. Messe zur Seligsprechung Karolina Közkas in Tarnöw am 10. Juni 1. „Selig seid ihr“ (Mf 5,11). Wir hörten die Worte Christi aus der Bergpredigt. Noch einmal sprach der Meister zu uns in der Sprache der acht Seligpreisungen: in der Sprache der Frohbotschaft. Selig seid ihr ... In diesen Worten finden wir die Vergangenheit und Zukunft. Zuerst die Vergangenheit. Die Kirche von Tarnöw, die im vergangenen Jahr Gott für zweihundert Jahre ihres Dienstes auf diesem Lande an der Weichsel und im Vorkarpatenraum zu danken hatte, findet in der Botschaft der acht Seligpreisungen ihre eigene über tausendjährige Geschichte auf diesem Gebiete wieder. Seit über tausend Jahren ertönte hier diese Botschaft, sie fiel auf den Ackerboden der menschlichen Seelen wie das Korn, das dieselben Menschen zugleich auf die Felder dieses Landes aussäten; eines manchmal fruchtbaren Landes, das hundertfältige Frucht bringt, und eines manchmal schwierigen, steinigen Landes, wie in den Bergen, wo eine fruchtbare und reichliche Ernte nicht so leicht zu erzielen ist. Ich freue mich, daß ich heute bei euch sein kann, um das noch immer deutliche Echo eures Jubiläums aufzugreifen. Ich weiß, daß dieses Jubiläum wie ein leidenschaftlicher Hymnus der Dankbarkeit in deinem Herzen ertönte, Bischof und Hirte der Kirche von Tarnöw, im Herzen deiner Brüder, der Bischöfe und Priester, im Herzen der männlichen und weiblichen Ordensfamilien, im Herzen aller, die ihr in diesem Land „Volk Gottes“ und „königliche Priesterschaft“ seid (vgl. 1 Petr 2,9). 2. Ich freue mich, daß ich heute bei euch sein kann. Dieses Land war mir seit Jahren nahe. Ich schaute mit Bewunderung auf den Zauber seiner Landschaft, ich wanderte über die Gebirgszüge und durch die Täler entlang der Bäche. Ich habe viel Gastfreundschaft erfahren. Auch diese Kirche ist mir nahe. Und wenn ich heute zu euch auch als Pilger vom Stuhl des heiligen Petrus in Rom komme, so war ich doch Jahre hindurch hier Nachbar. Und ich habe gute, herzliche Nachbarschaft erfahren. Das Evangelium, die Botschaft der acht Seligpreisungen, ist das nicht von Anfang an in die Geschichte eurer Kirche hineingeschrieben worden? Haben diese rettende Botschaft nicht schon die ersten heiligen Einsiedler vom Dunajec 785 REISEN und später vom slowakischen Vah — Swierad und Benedikt — unmittelbar zu Beginn unserer Geschichte verkündet? Und später Stanislaus von Szczepanöw, der Bischof und Märtyrer auf dem Krakauer Bischofsstuhl, mit dem das gemeinsame Erbe aller Polen verbunden ist. Und noch später: Kinga, die Fürstin, Mutter der Nation und Ordensfrau im Kloster der heiligen Klara in Stary Sacz. Vom Heiligen Geist durch eine wechselvolle Geschichte geführt 3. Die Botschaft der acht Seligpreisungen, die Saat des göttlichen Evangeliums, geht durch die Jahrhunderte. In der Zeit des Jubiläums habt ihr euch genau an alle Personen, Orte und Zeiten erinnert, durch die in eurer gemeinsamen Geschichte dieser gleiche Geist der Wahrheit wehte, der den Aposteln am Pfingsttage unter der Gestalt feuriger Zungen erschienen ist. Und in unserer Zeit, in diesem Jahrhundert, verharrte eine weitere feurige Zunge des Geistes der Wahrheit, des Parakletos, über der Gestalt eines einfachen Dorfmädchens: „Das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen, um die Weisen zu beschämen“ (vgl. 1 Kor 1,27). Sind die Heiligen dazu da, um zu beschämen? Ja. Sie können auch dafür da sein. Manchmal ist eine solche erlösende Scham nötig, um den Menschen in der ganzen Wahrheit zu sehen. Sie ist nötig, um die richtige Rangordnung der Werte zu entdecken — oder: wiederzuentdecken. Sie ist für uns alle nötig, für die Alten und die Jungen. Wenngleich diese blutjunge Tochter der Kirche von Tamöw, die wir von heute an eine Selige nennen werden, mit ihrem ganzen Leben und Tod vor allem die Jugendlichen anspricht. Die Jungen und Mädchen, die Männer und Frauen. Sie spricht von der großen Würde der Frau: von der Würde der menschlichen Person, von der Würde des Leibes, der zwar in dieser Welt dem Tode unterworfen, zerstörbar ist, wie auch ihr junger Leib von seiten des Mörders dem Tode erlag, aber dieser menschliche Leib trägt in sich das Vermächtnis der Unsterblichkeit, die der Mensch im ewigen und lebendigen Gott durch Christus erreichen kann. So sind also die Heiligen dafür da, um von der großen Würde des Menschen Zeugnis abzulegen. Zeugnis abzulegen von Christus, der „für uns und für unsere Erlösung“ gekreuzigt wurde und auferstanden ist, das heißt gleichzeitig Zeugnis abzulegen von dieser Würde, die der Mensch gegenüber Gott hat; Zeugnis abzulegen von dieser Berufung, die der Mensch in Christus hat. 786 REISEN 4. Karolina Közka war sich dieser Würde bewußt. Sie war sich dieser Berufung bewußt. Sie lebte in diesem Bewußtsein und reifte in ihm. Mit diesem Bewußtsein gab sie schließlich ihr junges Leben hin, als sie es hingeben mußte, um ihre frauliche Würde zu schützen. Um die Würde eines polnischen, bäuerlichen Mädchens zu schützen. „Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen“ (vgl. Mt 5,8). So schreibt sich diese Botschaft der acht Seligpreisungen mit neuen Silben in die Geschichte der Kirche von Tarnöw ein, in die Geschichte dieses Volkes, das seit Generationen — ungeachtet der historischen Ungerechtigkeiten und Demütigungen — in sich das Bewußtsein bewahrt hat, daß es ein heiliges Volk Gottes ist, ein Volk, erlöst um den Preis vom Blut des Gottessohnes, königliche Priesterschaft. Dort, inmitten der in der Ebene liegenden Wälder, in der Nähe der Ortschaft Wal-Ruda, scheint diese eure Landsmännin fortzudauern, eine Tochter des Volkes, ein „Stern des Volkes“ — und sie scheint Zeugnis abzulegen von der unzerstörbaren Zugehörigkeit des Menschen zu Gott selbst. „Ihr aber gehört Christus, und Christus gehört Gott“ (vgl. 1 Kor 3,23). 5. Die Liturgie der heutigen Seligsprechung, der Responsorien-Psalm, gestattet uns gewissermaßen, die einzelnen Momente dieses Zeugnisses wiederzufinden. Dieses Martyriums. Ist es nicht sie, die so spricht, sie, Karolina? „Behüte mich, Gott, denn ich vertraue dir. Ich sage zum Herrn: ,Du bist mein Herr“ (Ps 16,1-2). Ist es nicht sie, die aus den Worten des Psalmisten spricht? In einem Augenblick schrecklicher Bedrohung durch einen anderen Menschen, der über Mittel der Gewalt verfügt, sucht sie Schutz und vertraut auf Gott. Und der Schrei: „Du bist mein Herr“ bedeutet: die schmutzige Gewalt wird mich nicht beherrschen, denn du bist die Quelle meiner Kraft — in der Schwäche. Du, der einzige Herr meiner Seele und meines Leibes: Mein Schöpfer und Erlöser meines Lebens und meines Todes. Du, Gott meines Herzens, von dem meine Erinnerung und mein Gewissen sich nicht trennt. „Ich habe den Herrn beständig vor Augen. Er steht mir zur Rechten, ich wanke nicht. Auch mahnt mich mein Herz in der Nacht“ (Ps 16,8.7). So der Psalmist und so Karolina. Im Augenblick der tödlichen Prüfung ihres Glaubens, ihrer Reinheit und ihres Mutes. So als folgten wir den Fluchtspuren dieses Mädchens, das sich gegen den räuberischen Angreifer wehrt, das nach Pfaden sucht, auf denen sie in diesem heimatlichen Wald in der Nähe ihres Dorfes ihr Leben und ihre Würde retten konnte. 787 REISEN „Du zeigst mir den Pfad zum Leben“ (vgl. ebd., Nr. 11). Pfad des Lebens. Auf diesem Fluchtpfad wurde ihr der letzte mörderische Stoß versetzt. Karolina rettete ihr irdisches Leben nicht. Sie fand den Tod. Sie gab dieses Leben hin, um das Leben zu gewinnen mit Christus in Gott. Im irdischen Leben Zeugnis von der Hoffnung auf ewiges Heil gegeben 6. Denn in Christus begann zusammen mit dem Sakrament der Taufe, die sie in der Pfarrkirche in Radlow empfing, ihr neues Leben. Und hier, wo Karolina von der Hand des Angreifers fällt, gibt sie auf dieser Welt das letzte Zeugnis von dem Leben, das in ihr ist. Der leibliche Tod vernichtet es nicht. Der Tod bedeutet den neuen Anfang dieses Lebens, das von Gott ist, das uns zuteil wird durch Christus, durch seinen Tod und seine Auferstehung. Karolina stirbt also. Ihr toter Mädchenleib bleibt zurück unter dem Waldesdach. Doch der Tod der Unschuldigen scheint von nun an mit besonderer Kraft jene Wahrheit zu verkünden, die der Psalmist ausspricht. „Du, Herr, gib mir das Erbe und reich mir den Becher; du hältst mein Los in deinen Händen“ (vgl. ebd., Nr. 5). Ja, Karolina, obwohl zurückgelassen im Wald von Ruda, ist sicher. Sie ist in Gottes Hand, der der Gott des Lebens ist. Und die Märtyrerin ruft zusammen mit dem Psalmisten: „Ich preise den Herrn“. Du Kind einfacher Eltern, du Kind dieses Gebietes an der Weichsel, du „Stern“ deines Volkes, heute nimmt die Kirche diesen Ruf deiner Seele, einen wortlosen Ruf auf und nennt dich eine Selige! Christus wurde zu deiner von Gott geschaffenen „Weisheit“ und „Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung“ (i Kor 1,30). Er wurde zu deiner Kraft. Wir danken Christus für diese Kraft, die er in deinem reinen Leben und in deinem Märtyrertod offenbart hat. 7. „Seht doch auf eure Berufung, Brüder!“ {ebd., Nr. 26). So schreibt der Apostel Paulus an die Korinther, und ich wiederhole heute diese Worte an euch, die ihr hier versammelt seid. Ihr seid von verschiedenen Gegenden dieser ausgedehnten Diözese hierher gekommen, die ihr Zentrum in der historischen Stadt Tarnöw hat. Ihr seid zusammen mit mir der Aussage dieses jungen Mädchenlebens der Karolina Közka und dieses Mätyrertodes konfrontiert. Seht doch, teure Brüder und Schwestern, auf eure Berufung. Ihr, teure Brüder und Schwestern, zu denen ich spreche: ihr Arbeiter und ihr hier durch eure Innungsorganisationen vertretenen Handwerker; 788 REISEN ihr ehemaligen Häftlinge von Auschwitz (von hier, aus dem Gefängnis von Tarnöw, brach der erste Transport in das Lager Auschwitz auf); ihr Vertreter der Felsigen Untertatra (Skalne Podhale), die ihr in deren Freundeskreis vereint seid; ihr Kombattanten, insbesondere aus Szczawa; ihr Jugendlichen der Oasen und Mitglieder der Bewegung „Licht-Leben“; ihr Pfadfinderinnen und Pfadfinder; ihr Brüder Pilger aus Ungarn (von Paks); ihr slowakischen und tschechischen Brüder, Ankömmlinge aus Mähren; ihr Landsleute aus Amerika, die ihr in diesem bedeutsamen Augenblick im Lande eurer Herkunft, in eurer alten Heimat weilt; ihr Pilger aus der Erzdiözese Krakau sowie aus den Diözesen Kattowitz, Kiel-ce, Sandomierz, Radom und Przemysl sowie aus der Erzdiözese in Lubaczöw. Ihr alle, woher ihr auch immer kommt. Ihr alle, die ihr hier seid. Seht auf eure Berufung. Jesus hatte einen ursprünglichen Bezug zur Agrarwelt 8. In besonderer Weise will ich mich am Tage der Seligsprechung von dieser Tochter des polnischen Dorfes vom Anfang unseres Jahrhunderts an jene wenden, deren Lebensberufung — auch und heute, am Ende dieses Jahrhunderts — das dörfliche Leben und die Arbeit in der Landwirtschaft ist, an die polnischen Bauern, die hier durch ihre Delegationen aus dem ganzen Lande anwesend sind. Wie bezeichnend ist es doch, daß Christus sich in der Lehre vom Himmelsreich der Analogie und der Bilder bediente, die er aus dem Leben der Natur und aus der daraus — durch das menschliche Handeln — erwachsenen landwirtschaftlichen Kultur schöpfte. Auch auf diese Weise zeigte er, wie sehr Schöpfung und Erlösung aus demselben Ursprung erwachsen: aus der schöpferischen und erlösenden Liebe Gottes. Wie das in der Schöpfung Beschlossene — trotz der Sünde des Menschen — in der Erlösung zu seiner Fülle gelangt. „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Winzer“ — der Bauer, sagten ältere Übersetzungen (vgl. Joh 15,1). „Ihr seid die Reben“, (vgl. Joh. 15,5). „Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät“ (Mk 4,26). Tod und Auferstehung Christi, aber auch das durch sie bedingte und geformte innere Leben des Menschen, das ewige Leben des Menschen, finden ihre überzeugende Illustration in der Welt der Natur, in eurer täglichen Erfahrung. 789 REISEN „Wenn das Weizenkom nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“ (Joh 12,24). Auf diese Weise werden die Erde und der, der sie bebaut, seine Arbeit, zu einem besonderen Bild Gottes und zum Schlüssel für das Verständnis seines Reiches. Und auch das ist eine — mittelbare, aber unerhört tiefschürfende — Bestätigung für die Würde der landwirtschaftlichen Arbeit. Laßt uns daran denken, daß man für das Verständnis des Evangeliums, für das Verständnis, was das Himmelreich und das ewige Leben sind, was Christus selber ist, die Landwirtschaft und das Hirtenleben kennen muß. Man muß wissen, was Herde und Hirt sind. Was der Sämann ist, welches die Rolle des fruchtbaren Bodens, des Windes und des Regens ist. Soviel zur Sprache und zu den Bildern, zum Verständnis des Evangeliums. Aber die Landwirtschaft bedeutet ja Brot. Dieses Brot, von dem der Mensch lebt. NichtnurvomBrotlebt der Mensch, aber er muß doch Brot haben, um zu leben. Deshalb liegt es uns so sehr am Herzen, daß dieses Brot niemandem fehle auf unserem Erdball — und es fehlt j a —, daß es nicht fehle in unserem Vaterlande. Dies ist das gleiche Brot, das Christus „am Tage vor seinem Leiden in seine heiligen und ehrwürdigen Hände nahm, er dankte seinem allmächtigen Gott, segnete es, brach es und gab es seinen Jüngern mit den Worten: Nehmet hin und esset alle davon — denn dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“. Der Mensch braucht also Brot, auch das, welches „Frucht der Erde und der Arbeit menschlicher Hände“ ist, wie auch das, das „vom Himmel herabkommt und der Welt das Leben gibt“ {Joh 6,33). Mit den polnischen Bauern hoffen 9. Als Gast und Teilnehmer am EL Eucharistischen Landes-Kongreß in Polen komme ich hierher, um gemeinsam mit meinen Landsleuten in Tamöw zu beten: „Unser tägliches Brot gib uns heute“. Ich komme nicht hierher als Fachmann für Landwirtschaft, und ich bringe auf diesem Gebiet keinerlei Lösungen. Ich möchte gewissermaßen auf den Spuren der Seelsorge des polnischen Dorfes, des polnischen Bauern sein. Ich möchte eure Sorgen und eure Unruhe teilen. Ich möchte das Verhältnis der Kirche zu euch in Erinnerung bringen und bestätigen. Alle auf der ganzen Welt sind einhellig der Meinung, daß der Mangel an Brot — dort, wo er herrscht — ein Skandal ist. Alle in unserem Land sind darin einig, daß das Brot in ihm nicht fehlen darf, nicht zu fehlen braucht. Gleichzeitig ist bekannt, daß das heutige polnische Dorf infolge dramatischer Prüfungen, die ihm zuteil geworden sind, eine vielfältige wirtschaftliche und moralische Krise durchmacht. 790 REISEN Wie leicht fiel es, die in der Vergangenheit begangenen Fehler aufzuführen sowie jene, die immer noch andauem und von der Unterbewertung der Landwirtschaft zeugen, die zum Gelände undurchdachter Experimente, mangelnden Vertrauens, ja sogar der Diskriminierung geworden ist. Dabei sind doch die Landwirte nicht nur jene, die ernähren, sondern auch jene, die ein Element der Beständigkeit und Dauer darstellen. Wie könnte man es hier, in Tarnöw, unterlassen, den großen polnischen Führer des einfachen Volkes und Staatsmann, Wincenty Witos, zu zitieren, einen Sohn dieses Landes. Er schrieb: „Wer soll die Kraft und niemals trügende Bastion des Staates darstellen? Für mich drängte sich die Antwort von selber auf: die bewußten, unabhängigen, zufriedenen polnischen Bauern, denn solche sind bereit, Gesundheit und Leben für jede Scholle heimatlicher Erde hinzugeben und erst recht für.die Verteidigung des unversehrten Vaterlandes. Man muß sich nicht nur bemühen, auf diese Bauern die Zukunft zu stützen, sondern man muß ihre Treue und Anhänglichkeit an den Staat um jeden Preis erringen, und wenn man sie erringt, für immer erhalten und festigen“ (W. Witos, Meine Erinnerungen, Band 1, Paris 1964, S. 35). Die hier angeführten Worte von Wincenty Witos markieren nicht nur den polnischen Bauern den Weg, sondern auch allen denen, die verantwortlich sind für die Organisation des sozioökonomischen Weges des polnischen Dorfes. In einem solchen, der polnischen Tradition entsprechenden Geist wurden in letzter Zeit auch die Abkommen von Rzeszöw-Ustrzyce in der Frage der Landwirtschaft (vom 18. und 20. Februar 1981) geschlossen, in denen die Bauern versuchten, gemeinsam mit den Behörden eine Lösung für viele schmerzhafte Probleme zu finden. Es scheint, daß in der jetztigen Zeit diese Verträge nicht nur nicht verschwiegen werden dürfen — jedenfalls kann der Papst sie nicht verschweigen, selbst wenn er kein Pole wäre, um so weniger der aus Polen kommende Papst. Es scheint also, daß diese Verträge ihre volle Verwirklichung finden müssen. Möge die polnische Landwirtschaft aus der vielfachen Bedrohung herauskommen und aufhören, nur zum Kampf ums Überleben verurteilt zu sein. Möge sie allseitige Hilfe von seiten des Staates erfahren. Viele Deformationen des dörflichen Lebens finden ihren Ursprung darin, daß der Status des Bauern als Schaffender und als Bürger zu niedrig angesiedelt wird. Eben deshalb muß das Modell des Bauern oder des Bauern, der zugleich Arbeiter ist, der mit geringem Erfolg, aber über seine Kraft schafft, ersetzt werden durch das Modell eines produktiven und unabhängigen Produzenten, der ein hohes Bewußtsein hat und imstande ist, nicht schlechter als andere die Güter der Kultur zu nutzen, und fähig, sie zu mehren. 791 REISEN Und jetzt kein Zitat mehr von Witos, sondern von Norwid. „Die Inspiration des einfachen Volkes zu einer Kraft zu machen, die die ganze Menschheit erfaßt — das Volkshafte zur Menschheit zu erheben das sollte sich nach Meinung Norwids vollziehen „durch die innere Entwicklung der Reife .. (Promethidion, Epilog V). Man muß zugeben, daß Polen, daß Südpolen noch immer eine lebendige Quelle der Kultur ist. Hier wirken Hunderte von „Volkskunstschaffenden“. Ich möchte ihnen und allen anderen Mut machen und sie in ihrer Arbeit hin-weisen auf die Verbindung zwischen der geistigen Kultur und der Religion. An die Tiefe dieser Berufung dachte Norwid, als er schrieb, daß der Bauer „mit der einen Hand Brot für uns sucht, mit der anderen die Quelle frischer Gedanken vom Himmel holt“ (C. K. Norwid, Pismö, 21-22). Ich danke sehr für diesen Applaus für Norwid. Er hat viel Leid im Leben erfahren und die Verbannung. Ich freue mich, daß ihm heute die Bauernschaft applaudiert, ebenso wie Wincenty Witos — wegen seiner Weisheit, seiner großen, christlichen, vaterländischen, nationalen Weisheit. Möge sich die Bauernseelsorge in eben der gleichen Richtung bewegen und entwickeln, indem sie Teilnehmer der bäuerlichen Pastoralgemeinden heranbildet und immer tiefere Formen des inneren Lebens erarbeitet, welche die Mühen im Leben des Landwirts als Verwirklichung des göttlichen Willens und der alltäglichen menschlichen Pflicht ausweisen, als Berufung: 10. „Seht, Brüder, auf eure Berufung.“ Im Zusammenhang mit dem Jubiläum, das die Kirche von Tarnöw durchlebt, darf ich heute diesen erlösenden Dienst des Wortes Gottes und der Eucharistie feiern. Durch die Gestalt Karolinas, der seligen Tochter dieser Kirche, seht, Brüder und Schwestern auf eure Berufung durch alle Generationen, welche die göttliche Vorsehung mit eurem Land an der Weichsel und im Vörkarpatenraum, mit eurem mal ebenen, mal hügeligen und bergigen Land ... mit diesem schönen Land verbunden hat. Mit diesem schwierigen Land. Dieses Land hat die Botschaft der acht Seligpreisungen als Licht der göttlichen Bestimmung des Menschen angenommen, als Licht dieses Erbes, das uns in Jesus Christus zuteil geworden ist. „Selig, diearmsind vor Gott... selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit ... selig die Barmherzigen ... die ein reines Herz haben ... selig, die Frieden stiften ... selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn sie werden Erbarmen finden ... sie werden Gott schauen ... wie werden Söhne Gottes genannt werden ... ihnen gehört das Himmelreich“ (vgl. Mt 5,3-10). „Königlicher Stamm der Piasten“ (M. Konopnicka, Rota): Ihr Söhne und Töchter dieses Stammes, hier von der Weichsel bis zu den Karpaten, haltet an 792 REISEN diesem Erbe fest! Euch gehört das Himmelreich! Haltet daran fest, wie Generationen daran festgehalten haben. Wie die heiligen Einsiedler am Dunajec, wie der Bischof Stanislaus, der „unter dem Schwert lebt“, wie Karolina, die in unserem Jahrhundert ein Zeugnis für Christus gab: ein Zeugnis des Lebens durch den Tod. Haltet an diesem heiligen Erbe fest. Euch gehört... das Himmelreich. Amen. Priester sind Verwalter der Eucharistie Ansprache an die Geistlichen und die Orden bei einer Vesper vor der Kathedrale in Tamöw am 10. Juni 1. „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (1 Kor 11,24). Verweilen wir bei diesen Paulus-Worten aus der Lesung der heutigen Vesper. Christus sagt im Abendmahlssaal: „Das ist mein Leib (hingegeben) für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis! ... Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut!“ (ebd., 24-25). So spricht Christus zu den Apostel am Vortag seines Leidens und seines Kreuzestodes. Am Vortag seines Opfers. Er verweist auf Brot und Wein als Zeichen des Leibes und Blutes seines Kreuzesopfers. Er setzt die Eucharistie ein. In der Eucharistie kommt die Liebe zum Ausdruck, die er uns „erwies ... bis zur Vollendung“ (vgl. Joh 13,1). 2. Er spricht zu den Aposteln. Paulus war damals keiner vonihnen, dennoch schreibt er: „Denn ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe“ (i Kor 11,23). Er war damals keiner der Apostel, aber er wurde es später: vom Verfolger zum Apostel. Er wurde es aus dem Willen des auferstandenen Christus, der ihn vor den Toren von Damaskus berief. Christus sagt diese Worte auch zu Paulus. Und er sagt sie zu allen, die er im Laufe der Jahrhunderte und Generationen zu diesem gleichen Erlösungsdienst der Eucharistie beruft. Die Eucharistie ist sein Opfer, das er der Kirche darbringt. Christus spricht also zu den Priestern, denn der Priester ist der, welcher das Opfer darbringt, er ist der Verwalter der Eucharistie. Christus spricht also zu den Verwaltern seines eucharistischen Opfers. Er spricht zu allen und überall. Er spricht zu uns, die wir hier versammelt sind, zu allen unseren Brüdern im Priesteramt im polnischen Land — und in den Missionen — auf der ganzen 793 REISEN Erde. Überall und zu allen. Wir wollen die Frage der priesterlichen Berufung betrachten, die einen universalen Charakter hat, wie das letzte Konzil es besonders deutlich machte. 3. „Tut dies.“ Christus der Herr sagte nicht nur „verkündet“, „berichtet“ — er sagt: „Tut dies“. Und dies ist das entscheidende Wort. Das Priestertum ist ein Sakrament der Tat. Es ist das Sakrament von Christi Erlösungs-Tat, die im Abendmahlssaal in die Hände der Apostel gegeben wurde. Und durch das apostolische Erbe, über die Sukzession, die in der apostolischen Kirche weiterdauert, wurde diese Tat in unsere Priesterhände gegeben. Wir sollen also Christi Tat erfüllen — zu seinem Gedächtnis. Durch das, was wir im eucharistischen Dienst von Brot und Wein tun, wird dieses „Gedächtnis“ zur Vergegenwärtigung der eigenen Tat Christi: seines Todes und seiner Auferstehung. Seines ganzen Ostergeheimnisses, aus dem ununterbrochen die Kirche entsteht: der Leib Christi. Entsteht, lebt und wächst. 4. Wir sind also Verwalter eines Geheimnisses: des größten und heiligsten. Durch das Sakrament des Priestertums berufen zum besonderen Dienst am ganzen Gottesvolk in der Kirche, handeln wir in persona Christi. Wir handeln in persona Christi. Wir handeln — also leben wir auch. Jeder Christ ist alter Christus. Vor allem wegen der Taufe, die „eintaucht in den lebenspendenden Tod Christi“. Was ist also zu sagen über den Priester, der diesen lebenspendenden Tod tagtäglich feiert und dabei in persona Christi handelt. Brüder! Denkt daran, was wir am Tage unserer Weihe gewagt haben! Denkt daran, was wir erlangt haben! Denkt daran, was Gott uns erwiesen hat — und ständig erweist! Wie gut der Herr ist! Wir sind Verwalter seines Todes und seiner Auferstehung. Wir sind Verwalter der großen Erwartung der Kirche, die im Glauben und in der Hoffnung seiner endgültigen Ankunft lebt. In der endgültigen Ankunft des Herrn wird sich die Bestimmung seiner Schöpfung erfüllen. „Preisend erwarten wir deine Ankunft“. 5. Bevor das durch unsere priesterlichen Hände geschieht, gibt der Erlöser der Welt täglich in der Eucharistie dem Vater alles Geschaffene in die Hand. Denn er ist ja der Erlöser der Welt. Insbesondere gibt er alle dem Vater in die Hand: er ist der Erlöser des Menschen. Er „vollendet alles in allen“ (vgl. Eph 1,11). In dieser Form dauert seine Tat an. Wir aber sind „Verwalter von Geheimnissen Gottes“ (vgl. 1 Kor 4,1), Verwalter dieser Tat im Dienste der Kir- 794 REISEN che. Im Dienste des Volkes Gottes. Im Dienste unserer Brüder und Schwestern. Und wir — „aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt“ (vgl. Hebr 5,1). „Wie kann ich dem Herrn all das vergelten, was er mir Gutes getan hat?“ (vgl. Ps 116,12). 6. Am heutigen Festtage, an dem die Kirche von Tarnöw sich um die Gestalt der Tochter dieses Volkes versammelt, die erhoben wurde zur Ehre der Seligen, möge es mir erlaubt sein, die Person dieses Priesters in Erinnerung zu rufen, den ich in seinen späteren Lebensjahren kannte: Prälat Wladyslaw Men-drala. Ich lernte ihn als Pfarrer in Szczepanöw kennen, als wir in dieser Geburtsstadt des hl. Stanislaus das neunhundertjährige Jubiläum seines Hirtenamtes auf dem Krakauer Bischofsstuhl begannen. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges war dieser selbe Priester Pfarrer in der Pfarrei, zu der Karolina Közka gehörte und in deren Bereich sie ihr Leben zum Zeugnis für Christus hingab. Sicher hat dieser Priester ihr Christus in der Eucharistie gereicht. Sicher hörte sie aus seinem Mund von jener Liebe, die der Erlöser denen „bis zur Vollendung“ erwies, die in der Welt waren. Und ihr war es gegeben, ihren märtyrerhaften „Teil“ an dieser Liebe „bis zur Vollendung“ zu finden. 7. Der Priester — der Verwalter der Eucharistie. Ich denke an euch alle hier im Lande an der Weichsel und im Vorland der Karpaten und an alle Diözesan-und Ordenspriester im ganzen polnischen Land. An die Seelsorger, an die Pfarrer und Kapläne, an alle, die durch ihren Dienst das eucharistische Leben ihrer Gemeinden und Pfarreien und in diesen Pfarreien die einzelnen Familien formen. Ein wie großes Ereignis ist doch für jede Familie und gleichzeitig für die ganze Pfarrei die Erste Heilige Kommunion der Kinder. Der verstorbene Priester Mendrala erzählte mir von der Tradition der Kinder-Frühkommunion im Vorschulalter in seiner Pfarrei, so wie das der heilige Papst Pius X. empfohlen hatte. Und er sprach noch von zahlreichen Priester-und Ordensberufen, die von dort ihren Anfang nahmen. Die Eucharistie bezeugt nicht nur den, der uns „Liebe bis zur Vollendung“ erwies, die Eucharistie erzieht zu einer solchen Liebe. „Man muß seine Seele dreingeben“, wie Konstanty Michalski immer wieder zu sagen pflegte, der große Professor an der Jagiellonen-Universität, ein großer Kenner der menschlichen Seele und ein großer Priester. „Man muß seine Seele dreingeben“, denn „um welchen Preis könnte ein Mensch seine Seele zurückkaufen?“ (vgl. Mk 8,37). An der Quelle einer Priester- oder Ordenberufung findet sich stets dieser große Aufschwung einer jungen Seele, in der die Stimme des verborgenen Meisters widerhallt. Und es entsteht ein Bedürfnis, geradezu ein innerer Imperativ, diese „Seele dreinzu- 795 REISEN geben“, wenn doch Er selber für jede menschliche Seele den Preis der höchsten Liebe gezahlt hat:-„bis zur Vollendung“. 8. Meine teuren Brüder! Unser ganzes Priestertum ist vom ersten bis zum letzten Augenblick des Lebens aus dieser Liebe empfangen. Aus ihr entsteht es, und aus ihr wächst es. Laß niemals zu, daß diese Liebe abstirbt. Stützt sie mit allen Kräften, wenn sie zu erlöschen scheint. Dient! Der Dienst ist der grundsätzliche Ausdruck dieser Liebe, mit der Christus uns geliebt hat. Es ist sein eigener Dienst: „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen“ (vgl. Mk 10,45). Und unser Dienst zusammen mit ihm. In seinem Namen. In persona Christi.„Von Gott in den Dienst des Gottesvolkes gestellt, wurden wir zu seinem Eigentum. Alle unsere Kräfte an Seele und Leib müssen dem Volk dienen, das ein Recht auf unser Leben , auf unsere priesterlichen Augen und Lippen hat, auf unsere opferbereiten Hände und apostolischen Füße. Man muß diese also aufreibend gebrauchen, indem man sich der unablässigen Arbeit weiht, solange noch Tag ist... Bischof Lisowski starb, als er in der Kathedrale von Tarnöw die Priesterweihe erteilte. Welch großen Eindruck machte ein solcher Tod auf die jungen Priester!“ (Kardinal Wyszynski, Briefe an meine Priester, II, Paris 1969, S. 162-163). Die Menschen warten überall auf das priesterliche Zeugnis dieses Dienstes; nicht nur auf den -- noch immer weitausgedehnten — Gebieten der dörflichen, bäuerlichen Pfarreien, sondern auf diesen — immer zahlreicheren Gebieten — der polnischen Städte, der Arbeitersiedlungen, der Intellektuellenzentren — überall. Zu euch, den polnischen Priestern, Ordenspriestern und Ordensfrauen kommen Menschen, viele Menschen, manche von sehr weit her. Sie kommen gleichsam aus einer anderen Welt als der, der ihr im Alltag begegnet; aus einer Welt, die ohne Gott zu leben scheint; es kommen solche Menschen, die vor langer Zeit das Haus des Vaters verlassen haben. Vielleicht sind ihre Begriffe von Gott, vom Glauben, von der Kirche, von den Priestern und von den Orden nicht immer gereift; es kann sein, daß sie selber nicht immer klar imstande sind zu sagen, weshalb sie gekommen sind. Eskommen zu euch Menschen, die gequält sind, erniedrigt, bedroht in ihrem Menschsein. Sie suchen nach Zeugen der Verklärung. Mögen sie sie in euch finden. Möge nie einer, der einen Zeugen der Verklärung sucht, auf Mißtrauen oder Gleichgültigkeit stoßen. Lieber soll man dem vertrauen, der vielleicht das Vertrauen nicht verdient, als jemanden abzustoßen, der sich nach diesem Vertrauen sehnt und seiner würdig ist. . 796 REISEN 9. Eine solche Haltung entspricht den Traditionen des polnischen Priesters und der polnischen Seelsorge in der Heimat, aber auch unter den zur Zeit der nationalen Sklaverei nach Sibirien Verbannten, in den Gefängnissen und Konzentrationslagern in der Zeit der letzten Okkupation; des Priesters, der die Geschicke seiner Nation teilte, des Priesters, der allen ihren Prüfungen nahe ist und ständig nahe bleibt. Wie viele müßte man hier in Erinnerung rufen, wie viele mit Namen nennen? Bis hin zu wem? ... Wohl bis hin zu diesem Priester Jerzy (Anm. d. Übers.: Popieluszko) aus der Warschauer Pfarrei des hl. Stanislaus Kostka. Es wäre ein wirkliches Drama, wenn die existenzielle Lage der Priester, das Freisein von vielen Alltagsplagen, mit denen sich die Laien häufig herumschlagen müssen, zwischen dem Klerus und den Gläubigen ein Gefühl der Entfremdung schaffen würden. Ihr seid aus dem Volke und für das Volk. Denkt daran, daß ihr im Namen einer Kirche auftretet, die heute in besonderer Weise ihre „Option“ für die Armen zum Ausdruck bringt. Ich weiß, wie viele herrliche Werke auf diesem Gebiet von Priestern, Ordensmännern und Ordensfrauen geschaffen wurden und geschaffen werden. Man muß in dieser Richtung noch weitergehen. Alles, was ihr für die Schwachen, die Verfolgten tut, für die Armen, ist ein prächtiges Kapital für die Kirche in Polen. Neue Zeiten, neue Bedingungen verlangen neue Formen dieses Dienstes. Ich weiß, daß in Polen neue Initiativen der pastoralen Arbeit, neue Formen der sozialen Tätigkeit entstehen. Und es ist gut, daß es so ist'. Schließlich — in den Missionen. Ich sage das in einer Diözese, die auf diesem Gebiet besondere Erfolge aufzuweisen hat. Ich sage das im Gefühl dieser großen Verantwortung, die der Bischof von Rom und der Hl. Stuhl für die ganze Missionstätigkeit der Kirche tragen. Ich danke für die polnischen Missionare und Missionarinnen. Und ich bitte sie. „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter“ (vgl. Mt 9,37). Worte unseres Herrn. 10. Wir kehren zurück in den Abendmahlssaal, diese Geburtsstätte unseres Priestertums. Mit der Erinnerung und dem Herzen erfassen wir diese „Nacht“, als Jesus der Herr „ausgeliefert“ wurde. Auch die Worte, mit denen er die Eucharistie eingesetzt hat. Und die Worte, durch die er uns zu ihren Dienern machte. „Wie kann ich dem Herrn all das vergelten?“ „Wie kann ich dem Herrn all das vergelten, was er mir Gutes getan hat?“ 797 REISEN Das Pascha-Geheimnis dauert in der Eucharistie an Begegnung mit den Krakauem auf den Blonie-Auen am 10. Juni 1. Gelobt sei Jesus Christus! Ich grüße im Namen Jesu Christi meine Landsleute: die Krakauer und die Gäste auf diesen gleichen Blonie-Auen, wo ich schon zweimal während meiner Besuche im Vaterland die Eucharistie feiern durfte. Krakau ist eine Stadt der Studenten. So fügt es sich glücklich, daß sich in der Nähe unserer Begegnungsstätte ein großes Studentenstädtchen befindet. An die ganze akademische Bruderschaft, an die Studentinnen und Studenten aller Hochschulen und aller Fakultäten richte ich meine herzlichen Gefühle und Grüße. Ich grüße euch im Namen Jesu Christi — dessen, der am Ende seiner messia-nischen Mission, als er wegging aus dieser Welt zum Vater, den Aposteln gesagt hat: „ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Heute werden diese Worte in der heiligen Messe auf dem Wawel, am Kreuz der seligen Königin Jadwiga (Hedwig), gelesen werden. „Ich bin bei euch“. Diese Worte hatten in dem Augenblick, als Christus fortging, eine besondere Aussagekraft. Sie wurden zur Bestätigung dessen, was er früher, vor seinem Leiden, im Abendmahlssaal gesagt hatte: „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch“ (vgl. Joh 14,18). Und in dem gleichen Abendmahlssaal setzt er das Sakrament seines Leibes und Blutes ein: die Eucharistie. Das Sakrament seines „Weggehens“ durch das Kreuz und seiner „Wiederkunft“ ... seines ständigen „Wiederkommens“ zu uns, zu seinen Jüngern und Bekennern, eines Wiederkommens in der Kraft des Heiligen Geistes. Nach Hause gekommen, um die Brüder und Schwestern im Glauben an Christus zu stärken 2. „Ich bin bei euch“. Zum drittenmal ist es mir vergönnt, in das Vaterland zu kommen und auf diese königliche Stadt zu schauen — zu einer Zeit, in der die Kirche in Polen zum Eucharistischen Kongreß um das Sakrament von Christi Liebe „bis zur Vollendung“ versammelt ist. Im Zusammenhang mit diesem wichtigen Ereignis kann ich mir noch einmal diesen brennenden Wunsch erfüllen, der ständig in meinem Herzen gegenwärtig ist — und davon sprechen auch die Worte des Apostels Paulus, die als liturgische Lesung für die heutige Begegnung ausgewählt wurden: „Ich sehne mich danach; euch zu sehen; ich möchte euch geistige Gaben vermitteln; damit ihr dadurch gestärkt werdet oder besser: damit wir, wenn ich bei euch bin, 798 REISEN miteinander Zuspruch empfangen durch meinen und euren Glauben“ (Röm 1,11-12). So schreibt der Apostel im Brief an die Römer, und ich möchte mir heute diese Worte zu eigen machen und sie auf die jetzige Begegnung anwenden. Schließlich befinde ich mich ja an einem Ort, an dem mein Glaube entstanden ist und Jahre hindurch „Zuspruch“ von seiten der Gemeinschaft erfahren hat, in deren Mitte ich aufwuchs, der ich später als Priester und Bischof diente ... bis zu dem Tage, an dem der Herr mich das römische Erbe des heiligen Petrus übernehmen ließ. Die Gemeinschaft in Jesus Christus umgreift die nationale und politische Verbundenheit 3. Deshalb verbindet uns, liebe Brüder und Schwestern, diese vielfältige Gemeinschaft: die Gemeinschaft der Nation und der Kultur, die Gemeinschaft des Glaubens und der Kirche ... Uns verbindet die Gemeinschaft, daß wir an diesem gleichen Christus festhalten, der gesagt hat: „Ich bin bei euch.“ Er sagte es zu den Aposteln und zu allen. Er sagte es zu uns. Sein Wort war ein Zeugnis dieses Ewigen Zeugen, welcher der dem Vater wesensgleiche Sinn ist, dieses Augenzeugen. In ihm kam die Wahrheit über den Gott des Bundes, über Immanuel zum Ausdruck — über Gott, der ganz in sich ist — in dem Geheimnis seiner dreieinigen Gottheit: des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, der aber gleichzeitig mit dem Menschen sein will: Immanuel — Gott mit uns. Und diese seine ewige Sehnsucht und Absicht greift bis zu den letzten Grenzen. Ja, über die Grenzen dessen hinaus, was der Mensch denken oder sich vorstellen kann. Es ist das wahrhaft die Liebe, mit der er „Liebe bis zur Vollendung“ erwies, als er — der dem Vater wesensgleiche Sohn — einer von uns wurde: ein Mensch. Und noch mehr: er ging in die Geschichte aller Menschen ein und überschritt die Grenze, die jede menschliche Sünde darstellt, um trotz der Sünde bei uns zu sein. Diese Grenze „überschritt“ er — Christus, unser Paschamahl, Opfer und Priester der ganzen menschlichen Geschichte auf Erden — an seinem Kreuz auf Golgota, in seinem Pascha-Geheimnis. Opfer und Priester unserer Erlösung. 4. Er, Christus: die Eucharistie. Die Eucharistie — das Sakrament des gekreuzigten und auferstandenen Christus. Sakrament — sichtbares Zeichen der Liturgie der Kirche. In diesem Zeichen dauert sein Pascha-Geheimnis in realer Weise an: als Wirklichkeit des Allerheiligsten Sakraments unseres Glaubens. Christus, der mit seinem eigenen Blut „in das Heiligtum hineingegangen“ ist, „um jetzt für uns vor Gottes Angesicht zu erscheinen“ (vgl. Hebr 9,12.24). Als einziger Mittler zwischen Gott und den Menschen (vgl. 1 Tim 799 REISEN 2,5) erfüllt er in diesem Sakrament Tag um Tag die Worte seiner Verheißung: „Ich bin bei euch“ ... „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Das Wort ist Fleisch geworden — und das Wort wurde zum Sakrament. Im Namen dieses Wortes und dieses Sakramentes bin ich heute unter euch — so wie ich so viele Jahre lang zum priesterlichen Zeugnis des Wortes und des Sakramentes hier weilte. Und gemeinsam mit dem Apostel „danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle... Gott, den ich... mit ganzem Herzen ehre, ist mein Zeuge: Unablässig denke ich an euch in allen meinen Gebeten und bitte darum“ (Röm 1,8-10). Und diese meine Gebete sind nur ein geringfügiger Teil dessen, was ihr mir opfert. Ihr, meine Landsleute, durch euer unablässiges Gedenken vor Gott, das meinen Dienst für die Kirche in Rom und auf der ganzen Welt begleitet. Durch eure Opfer. Oh, meine Lieben! Wie groß ist meine Schuld vor euch allen: den Jungen und Alten, vor euch Kranken und Leidenden, vor den Priestern, den Orden und den Laien. Vor dem ganzen Volk, in dem Immanuel wohnt: Christus. Die Eucharistie. 5. Die Kirche von Krakau hat sich — bei dem jetzigen Besuch des Papstes im Vaterland — entschieden, sich zugunsten anderer Kirchen und Orte zu beschränken. Im Geiste des eucharistischen „Teilens mit den Brüdern“. Ich will deshalb in diese unsere kurze Begegnung mein ganzes Herz hineinlegen. Dazu bewegt mich auch dieses'mir so teure Bild der Muttergottes aus Kalwaria Zebrzydowska, die mein Herz von jüngsten Jahren an erzogen hat. Ich danke dafür, daß sie aus ihrem Heiligtum gekommen ist und sich an der Stätte unserer Begegnung befindet. Und dies geschieht zum 100. Jahrestag der Krönung ihres Bildes, die Kardinal Albin Dunajewski im Jahre 1887 vornahm. Zu Beginn des Marianischen Jahres, das die allgemeine Kirche an Pfingsten begonnen hat, möchte ich zu Füßen der Muttergottes von Kalwaria eine päpstliche Rose niederlegen, als Ausdruck der Dankbarkeit für alle Gnaden, die durch sie den Pilgern zuteil wurden, sowie für das, was sie in meinem Leben war und nicht zu sein aufhört. Maria ist ständig im Geheimnis Christi und der Kirche anwesend. Sie ist anwesend im pfingstlichen Abendmahlssaal an dem Tage, an dem durch die Kraft des Heiligen Geistes die Kirche in Jerusalem geboren wurde. Ich wünsche deshalb, daß das Marianische Jahr, das wir gerade erst begonnen haben, uns diesem Geheimnis noch näherbringt — zu einer Zeit, in der die ganze Menschheit, vor allem die Christen, sich auf das Jahr 2000 seit Christi Geburt vorbereiten. 800 REISEN 6. Ich will in diese unsere Begegnung mein ganzes Herz legen. Sehr gern hätte ich die Wünsche vieler in Krakau, meiner Heimatstadt, erfüllt. Besonders den Wunsch der Pfarreien in der Siedlung von Krowodrza und auf den Hügeln von Krzeslawice. Wenn ich, wie es ihr Wunsch wäre, die Weihe dieser beiden Pfarrkirchen, mit deren schwierigen Anfängen ich persönlich so sehr verbunden war, nicht vollziehen kann, dann nehmt zumindest diesen meinen herzlichen Wunsch entgegen. Schließlich nimmt Jesus der Herr so oft auch die Kommunion unserer Wünsche an: die geistige Kommunion. Seid nicht schlechter als Jesus der Herr. Und möge sich in euren Gemeinden — auf den Hügeln und in Krowodrza — Tag um Tag Christi Verheißung erfüllen: „Ich bin bei euch.“ Das ewige Licht brennt als Symbol für die neue Schöpfung in Christus 7. Ja, er ist bei uns, liebe Brüder und Schwestern! Christus ist bei uns. Christus — unser Pascha-Lamm, unsere Eucharistie. Er ist bei uns, vor dem Tabernakel brennt Tag und Nacht das ewige Licht. Das erste Mal in Polen wurde es auf dem Wawel-Hügel vom Krakauer Bischof, dem seligen Wincenty Kad-lubek, im Jahre 1215 entzündet. Seither ist dieses ewige Lämpchen nicht erloschen, das zugleich die eucharistische Gegenwart des Herrn — und unseren Glauben symbolisiert (vgl. P. K. Swizek, Der selige Wincenty Kadlubek, in: Die polnischen Heiligen, Band 2, Warschau 1983, S. 28.57). Und dadurch, daß er bei uns ist, daß er in uns weilt, sind wir anders. Wir sind „eine neue Schöpfung“ (2 Kor 5,17). Und wir können nicht „alter Sauerteig“ (vgl. 1 Kor 5,7) bleiben, wieder Apostel sagt, sondern müssen „als neue Menschen leben“ (vgl. Rom 6,4). Pascha nostrum immoiatum est Christus. Jeder von uns ist ein neues Geschöpf, ein neuer Mensch. Als Person. Und als menschliche Gemeinschaft. Wir sind ja als Kirche auch Leib Christi. Dieses „als neue Menschen leben“ ist Wirklichkeit. Und es ist auch eine Herausforderung. Ja, Christus ist eine unaufhörliche Herausforderung. Zu einer solchen Herausforderung wurde er für die Apostel, für Paulus von Tarsus. Für so viele, so viele Menschen, die durch diese Stadt, über dieses Land gegangen sind. Auch für uns. Für uns ist er auch eine Herausforderung. Wir dürfen der Mutlosigkeit, den Depressionen nicht erliegen. Wir dürfen uns nicht von der geistigen oder gesellschaftlichen Frustration beherrschen lassen. Denn schließlich „hat uns Christus zur Freiheit befreit“ {Gal 5,1). Und er befreit uns immer noch. Auf der ganzen Erde ertönt die Botschaft dieser Befreiung in Christus. In dieser Botschaft leben Völker, die oftmals sehr geprüft worden sind. 801 REISEN An der unüberbietbaren Norm der Liebe muß sich die technische Entwicklung orientieren „Die befreienden Möglichkeiten der Wissenschaft und der Technik, der Arbeit und der Wirtschaft sowie der Politik werden nur dann ihre Früchte bringen, wenn sie ihre Inspiration und ihren Maßstab aus der von Jesus Christus den Menschen geoffenbarten Wahrheit und Liebe nehmen, die stärker ist als das Leid.“ Diese Worte stammen ans der Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung (Nr. 24), einem bedeutsamen Dokument des Hl. Stuhls aus den letzten Jahren. Bekanntlich hat diese Botschaft auch in unserer Historie ihre besondere Geschichte. Und jeder von uns ist aufgefordert, dieser schwierigen Geschichte ein neues Kapitel, ein neues Teil, ein Fragment hinzuzufügen. „Ist Gottfüruns, wer ist dann gegen uns?“ fragt der heilige Paulus (Rom 8,31). Und Gott ist mit uns. Die' Eucharistie ist die unaufhörliche Bestätigung dessen. Er ist mit uns. Er ist Immanuel. 8. Ich schaue auf Krakau. Mein Krakau, Stadt meines Lebens. Stadt unserer Geschichte. Und ich wiederhole die Worte des Gebets, das täglich auf meine Lippen kommt: „Gott, Herrscher und Herr der Völker, mögest du uns aus deiner Hand und Zucht nicht entlassen“ — Worte des großen Piotr Skarga, dessen irdische Überreste in der Krakauer Petrus-Kirche ruhen. Und weiter: „Wir danken dafür, daß du unsere Väter herausgeführt hast aus der Hand der Unterdrücker, der Aggressoren und Feinde ... Daß du uns nach Jahren der Sklaverei erneut Freiheit und Friede geschenkt hast.“ Und jetzt wieder — „jetzt, da die Nation so viele Kräfte braucht, um die Freiheit zu bewahren, bitten wir dich, Gott: erfülle uns mit der Kraft deines Geistes. Beruhige die Herzen, gib Vertrauen in deine Liebe ... Erwecke in der Nation den Willen zu geduldigem Kampf um die Wahrung von Friede und Freiheit. Bewirke, daß wir jeden Tag, auf das Geheimnis deines Kreuzes schauend, fähig werden, unsere gemeinsame Zukunft mit eigenen Händen und durch gesellschaftliche Solidarität zu bauen. Gott, möge der Heilige Geist das Angesicht unseres Landes verändern und dein Volk stärken ... Möge er uns helfen, dein Reich im persönlichen und familiären, im nationalen, im gesellschaftlichen und staatlichen Leben zu bewahren.“ Bewahre uns vor individuellem, familiärem und gesellschaftlichem Egoismus. Laß nicht zu, daß der Stärkere den Schwächeren verachtet. Schütze uns vor dem Haß und vor dem Vorurteil gegenüber den Menschen anderer Überzeugungen. Lehre uns das Böse bekämpfen, aber den Bruder im Menschen zu sehen, der schlecht handelt, und lehre uns, ihm nicht das Recht auf Umkehr 802 REISEN zu nehmen. Lehre jeden von uns, die eigene Schuld zu sehen, damit wir nicht das Werk der Erneuerung damit beginnen, daß wir versuchen, den Splitter aus dem Auge des Bruders zu ziehen. Lehre uns, das Gute überall dort zu sehen, wo es ist; gib uns den Eifer, es zu bewahren, zu stützen und mutig zu verteidigen. Bewahre uns davor, an der Verlogenheit teilzuhaben, die unsere Welt zerstört. Gib den Mut zu einem Leben in der Wahrheit. Schenke uns das tägliche Brot. Segne unsere Arbeit. Gott, Herrscher und Herr der Nationen!“ Christus, der du uns bis zur Vollendung Liebe erwiesen hast... Maria, Königin Polens ... Amen. Sei gegrüßt, Kreuz des Wawel, Kreuz Jadwigas! Predigt bei der heiligen Messe in der Kathedrale auf dem Krakauer Wawel-Hügel am 10. Juni 1. Ave Crux ... Sei gegrüßt, Kreuz Christi! Wenn Jesus auf dem Berg in Galiläa zu den Aposteln sagt, „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde“ (Mt 28,18), dann wendet sich unser Sinn und Herz dem Kreuz zu. Im Kreuz ist dir, o Christus, „alle Macht“ gegeben, eine Macht, wie kein anderer in der Geschichte der Welt sie hat. Im Kreuz ist die Macht zur Erlösung des Menschen, in deren Namen die Apostel vernehmen: Geht zu allen Völkern und lehret sie. Im Kreuz Christi ist der Dreieinige Gott — Vater, Sohn und Heiliger Geist — zum Leben für die sterblichen Seelen geworden. Und den Beginn dieses Lebens stellt die Taufe dar. Im Kreuz, in diesem — menschlich gesprochen: Zeichen der Schande — wurdest du, o Christus, zum Hirten unserer Seelen und unserer Geschichte. Sei gegrüßt, Kreuz Christi! Ave Crux. 2. Im Kreuz „haben wir die Liebe erkannt“ (1 Joh 3,16), diese Liebe „bis zur Vollendung“. Diese Liebe, die die ganze Kirche in Polen an den Tagen des Eu-charistischen Kongresses betrachtet. Diese Liebe, die Jadwiga (Hedwig), unsere selige Königin, hier erkannt hat: bei diesem Kreuz. „Sei gegrüßt, Kreuz des Wawel, Kreuz Jadwigas!“ Wir sind mit dieser großen Monarchin eben durch dieses Wawel-Kreuz verbunden, zu dessen Füßen jetzt die Reliquien der Seligen ihren Platz gefunden haben. Sie sollen hier gleich- 803 REISEN sam eine ständige schweigende Liturgie der Kreuzerhöhung feiern. Erhöhung der Reliquien der Königin Jadwiga — Erhöhung durch das Kreuz. Hier, an dieser Stelle, erkannte Jadwiga, welche Macht der Gekreuzigte „im Himmel und auf der Erde“ hat. Sie erkannte den Glauben. Sie erkannte ihn mit dem Herzen. Hier offenbarte sich ihr die Liebe, die größer ist als jede menschliche Liebe. Am Kreuz hat Christus „sein Leben für uns hingegeben“ (1 Joh 3,16). Mußt nicht auch du, junge Königin Polens, Andegawenka, „das Leben hingeben für die Brüder“? Das christliche Paradoxon Aus Schwachheit erwächst die Macht der Liebe 3. In der Kathedrale auf dem Wawel befindet sich der Ort eines großen Sieges Christi im menschlichen Herzen. Mußt nicht auch du, Jadwiga, deine eigene Liebe „hingeben“ für diese Liebe? Wie kann in dir „die Gottesliebe ... bleiben“ (vgl. 1 Joh 3,17), wenn du dein Herz nur in der „Menschenliebe“ verschlossen hättest? In dieser schönen, von Kind an gehegten Liebe — einer Liebe, auf die du nach menschlichem Ermessen ein Recht hättest, eine Liebe, die zu deinem Lebensweg und deiner Berufung hätte werden können ... Und dennoch ... Was sagt zu dir dieser Christus von der Höhe seines Wawel-Kreuzes? Überaus wunderbar ist seine „Macht“ über das Herz des Menschen. Woher kommt diese Macht? Welche Macht hat er, der ausgezehrte, der zu seiner Agonie am Kreuze an so vielen Stellen der Welt Verurteilte? Aus dieser Agonie, aus dieser Auszehrung, aus diesem Bild extremer Schwäche, der Schande und des Elends spricht Kraft: es ist die Macht der Liebe „bis zur Vollendung“. 4. Jadwiga, du hast noch nicht „bis zur Vollendung“ Liebe erwiesen. Das Ende deiner Liebe liegt weiter entfernt, jenseits der Grenzen dessen, was dein jungfräuliches Herz auf das Wawel-Schloß, auf den polnischen Thron gebracht hat. Die Grenze deiner Liebe liegt weiter entfernt. Gott hat dich mitten unter die Völker und Nationen gestellt. Er hat dich berufen, damit du mit deinem Herzen ihre Geschicke, ihre Bestrebungen, ihr Ringen umfaßt. Daß du Gottes Absichten in bezug auf Polen, auf Litauen, auf die Länder der Rus‘ errätst. Christus, dessen Kreuzes-Agonie im Wawel-Kruzifix festgehalten ist, ist der gleiche, der zu den Aposteln gesagt hat: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (vgl. Mt 28,19). Er sagte es, indem er bis zum Ende der Zeiten vorausgriff, indem er durch die Geschichte der Menschen und Nationen schaute. Er sagte es in der Kraft die- 804 REISEN ser Liebe, die jeden Menschen durch die Geschichte begleitet — bis zur Vollendung. Jadwiga, entspreche dieser Liebe! 5. Sehr verehrte und teure Brüder und Schwestern, ihr Teilnehmer an der eu-charistischen Liturgie, die heute am Wawel-Kreuz und bei den Reliquien der seligen Jadwiga, unserer großen Königin und Mutter der Völker, feiern darf. Dieser Ort, an dem wir uns treffen, hat ganze Generationen angesprochen. In ihm ist zutiefst und im innersten Kern der Inhalt des Evangeliums beschworen, der vor 600 Jahren in die Geschichte unseres Vaterlandes hineingeschrieben wurde. Ich wünsche so sehr, gerade in diesem Jahr — 1987 — hier zu sein, wenn unsere litauischen Brüder, Mitschöpfer ihrer und unserer gemeinsamen Geschichte, in Wilna und im ganzen Lande den 600. Jahrestag der Taufe ihrer Nation begehen. Da es mir nicht gegeben ist, in diesem Jubiläumsjahr unter ihnen zu sein, auf ihrem Boden zu beten, in ihrer Sprache, dann danke ich um so mehr der göttlichen Vorsehung dafür, daß ich vor das Wawel-Kreuz treten und beim Herzen unserer Königin, der seligen Jadwiga, verweilen darf. Und außerdem: schließlich ist ja hier, auf dem Königsschloß, der heilige Kasimir auf die Welt gekommen, der Patron Litauens, der sein junges Leben in Grodno beschlossen hat. In dieser Kathedrale hat er gebetet. In Krakau lebte und erbaute durch sein Leben auch der heiligmäßige Ordensmann Michael Giedroyc seine Zeitgenossen, ein besonderer Verehrer des Kreuzes Christi. 6. Die Kathedrale auf dem Wawel birgt viele Schätze. Eine Reihe von Jahren durfte ich Hausherr und erster Diener dieser Kathedrale sein. Unter diesen Schätzen bleibt das Kreuz der Königin Jadwiga der Ort besonderen Zeugnisses. Hütet diesen Schatz in besonderer Weise, so wie ihn Generationen gehütet haben. Ich wende mich an alle Krakauer, vor allem an meinen Nachfolger auf dem Stuhl des heiligen Stanislaus — sowie an das hochwürdige Metropolitankapitel. Zu Händen des Dekans und Präpositus dieses Kathedralkapitels, des teuren Bischofs Julian, richte ich dieses mein heutiges Bekenntnis am Wawel-Kreuz und am Herzen der Seligen. Ich danke dem Krakauer Kapitel für die ganzen Jahrhunderte der Fürsorge für dieses große Heiligtum der Kirche und der Nation! Ich danke für die Sorge-waltung um den bischöflichen Stuhl selbst, der so oft verwaist war. Ich danke für so viele Beweise priesterlichen Eifers. Muß ich hier nicht unbedingt — von so vielen mir teuren Gestalten — zumindest diese eine erwähnen, der ich seit jüngsten Jahren soviel verdanke: der Gestalt des verstorbenen inhalierten Prälaten Kazimierz Figlewicz, eines großen Verehrers ebendieser königlichen Kathedrale und dieser außergewöhnlichen Stätte darin, wie es das Wawel-Kruzifix der Jadwiga darstellt. 805 REISEN 7. Wenn wir uns an dieser Stätte befinden, dann wird in besonderer Weise auch noch das große Werk Jadwigas deutlich, das in der Theologischen Hochschule besteht, die viele Jahrhunderte eine Theologische Fakultät der Jagiel-lonen-Universität war und in letzter Zeit als Päpstliche Akademie wiedererrichtet wurde. Man muß wohl nicht länger nachzuweisen versuchen, daß diese Hochschule von unserer Geschichte Zeugnis gibt, daß sie zum Erbe der Kirche und der polnischen Kultur gehört. Wie könnte sie in Krakau fehlen? 8. „Wir wissen, daß wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben. Wer nicht liebt, bleibt im Tod“ (7 Joh 3,14). Ja, wir wissen es. Dies wußte unsere selige Königin Jadwiga — und sie hat dieses Wissen in der Geschichte der Nation gefestigt. In der Geschichte der polnischen Seelen. Dies war immer — und dies blieb die Aussage des Kreuzes auf dem Wawel. Und dies ist die Aussage jedes Kreuzes auf der ganzen Erde. Jedes Kruzifixes. Sei gegrüßt, Kreuz Christi! Wo immer sich dein Zeichen befindet, gibt Christus Zeugnis von seinem Pascha: von jenem „Übergang aus dem Tod in das Leben“. Und es gibt Zeugnis von der Liebe, die die Macht des Lebens ist — von einer Liebe, die den Tod überwindet. Sei gegrüßt, Kreuz, wo immer du dich befindest: Auf den Feldern, an den Wegen, an den Orten, wo Menschen leiden und sterben ... An Stellen, wo sie arbeiten, sich bilden und schöpferisch tätig sind ... An jedem Ort, an der Brust jedes Menschen, des Mannes oder der Frau, des Jungen oder des Mädchens ... und in jedem menschlichen Herz, so wie im Herzen Jadwigas, der Herrin des Wawels. Sei gegrüßt, Kreuz Christi. Ave Crux. Die Ehe braucht eine gründliche Vorbereitung Predigt bei der hl. Messe für die Familien in Stettin am 11, Juni I. „... Ich verspreche dir die Treue..., ich will dich lieben,... solange ich lebe.“ Teure Brüder und Schwestern! Söhne und Töchter der Kirche im Stettiner Land! Ich danke eurem Bischof dafür, daß er mich hierher eingeladen hat, dafür, daß er sich so herzlich darum bemüht hat, daß der heutige Besuch Johannes Pauls II. in Szczecin (Stettin) verwirklicht werden konnte. 806 REISEN Ich bin dankbar und grüße alle hier Versammelten. In besonderer Weise begrüße ich alle Eheleute und Familien sowie jene, die sich darauf vorbereiten, eine Familie zu gründen. Ich begrüße die Mütter, die neues Leben unter dem Herzen tragen. Ich begrüße die Mitglieder der Kommission der Bischofskonferenz für Familienfragen, die Wissenschaftler, die sich dem Studium der Familie widmen, die Mitarbeiter der Familienseelsorge. Ich begrüße alle Bewegungen, die zugunsten der Familie wirken, auch die Pfarrgruppen der „Barmherzigen gegenüber den Geringsten“. Euer Hirte, Bischof Kazimierz Majdanski, trägt in seinem Hirten-,, Ausweis“ dieses große Thema, diese große Angelegenheit: die Familie. Die Ehen und die Familien. Dieser Sache diente und dient er nicht nur in Polen, sondern auch in Rom. Ich höre nicht auf, ihm für das dankbar zu sein, was er für den „Päpstlichen Rat für die Familie“ getan hat, insbesondere im Zusammenhang mit der Synode von 1980. Wenn ich eurer Einladung folge, möchte ich also bei diesem eucharistischen Opfer Christi jedem Ehepaar und jeder Familie begegnen, nicht nur den hier anwesenden, sondern auch denen am ganzen Weg des Eucharistischen Kongresses in Polen. Ich lade alle zur Teilnahme an dieser feierlichen Liturgie ein. Ich lade auch zur Erneuerung der Ehegelübde ein. ln Jesu Leben finden die Eheleute ihr Existenzmodell 2. An den Tagen des Kongresses versammeln wir uns alle bei diesen Worten, die der Evangelist Johannes, der Lieblingsjünger Christi, im Zusammenhang mit dem letzten Abendmahl ausspricht: „Da er die Seinen ... liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ (Joh 13,1). Diese Worte erklären gleichzeitig das Geheimnis von Christi Pascha und die sakramentale Wirklichkeit der Eucharistie: Er „erwies ... seine Liebe bis zur Vollendung“. Und die Eheleute, die am Tage der Trauung vor dem Altar knien, versprechen Liebe, „solange ich lebe“, bis zum Tode. So sprechen sie gemeinsam vor der Majestät des lebendigen Gottes. Vor Christus. Harmonieren diese Worte nicht zutiefst mit jenen: Er erwies „ihnen seine Liebe bis zur Vollendung?“ Mit Sicherheit, liebe Brüder und Schwestern, existiert hier eine tiefe Übereinstimmung und Gleichartigkeit. Das Sakrament der Ehe erwächst aus einer eucharistischen Wurzel. Es erwächst aus der Eucharistie und führt zu ihr hin. Die menschliche Liebe, „solange ich lebe“, muß sich zutiefst jene Liebe zum Vorbild nehmen, die Christus bis zum Ende, bis zur Vollendung erwies. Sie muß diese Liebe Christi — gewissermaßen — zu ihrer eigenen machen, um den Inhalten des Ehegelübdes gerecht zu wer- 807 REISEN den: „Ich verspreche dir die Treue ..., ich will dich lieben, achten und ehren, solange ich lebe.“ 3. Aus diesem Gelübde wird eine besondere Einheit errichtet: eine Gemeinschaft von Personen. Communiopersonarum. Dies ist eine Einheit, die Vereinigung der Herzen und Leiber. Eine Einheit, eine Vereinigung im Dienste lebenspendender Liebe. Eine Vereinigung von Personen, eines Mannes und einer Frau, und zugleich die Vereinigung mit Gott, der der Schöpfer und der Vater ist. Eine Vereinigung beider in Christus, im Bannkreis dieser bräutlichen Liebe, die er — der Erlöser der Welt — der Kirche und in dieser Kirche jedem Menschen schenkt. Wir alle sind ja um den Preis seines Blutes erlöst worden. Teure Brüder und Schwestern! Auf die Ehe als großes Sakrament ist eine sehr gründliche Vorbereitung notwendig. Man muß häufig zu jenen heiligen Texten der sakramentalen Eheliturgie zurückkehren, der heiligen Messe für die Brautleute, der heiligen Messe für ein Ehejubiläum, man muß sie vorlesen und betrachten ... Das sind Worte des Lebens. 4. Heute lade ich euch auch dazu ein, daß ihr zusammen mit mir alle Lesungen der Liturgie vom Fest der Heiligen Familie betrachtet, die wir hier, in Stettin, gemeinsam feiern. Also die erste Lesung — aus dem Buch Jesus Sirach — den Responsorien-psalm, der auch in der Liturgie des Ehesakramentes wiederholt wird. Die zweite Lesung: der heilige Paulus vermittelte die bedeutsamsten Wahrheiten über das göttliche Geheimnis der Ehe im Rahmen des Epheserbriefes. Dennoch ist die heutige Lesung aus dem Brief an die Kolosser genommen. Man kann sagen, daß wir dort eine knappe und bündige, aber gleichzeitig sehr wesentliche Belehrung zum Thema finden: Wie soll die Ehe- und Familiengemeinschaft aufgebaut werden? Wie soll man sie aufbauen im Maßstab eines ganzen Lebens und gleichzeitig für den Alltag? Deshalb lehrt der Apostel, daß die Liebe „das Band“ (vgl. Kol 3,14) ist, sie stellt gleichsam das lebenspendende Zentrum dar, das man jedoch systematisch und ausdauernd durch sein ganzes Handeln „ausbauen“ muß. Dieser Aposteltext verweist auf verschiedene Tugenden, von denen die Dauerhaftigkeit, mehr noch, die Entfaltung der Liebe zwischen den Eheleuten abhängt. Denn er schreibt: „Bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig, und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!“ (Kol 3,12-13). Wie konkret ist das doch! Der Apostel hat das Eheleben seiner Zeit, vor zweitausend Jahren, vor Augen, aber die Menschen unseres Jahrhunderts können sich darin sehr gut genauso wiederfinden. 808 REISEN Ehe — das heißt Lebensgemeinschaft. Das heißt das Heim. Das heißt Arbeit. Das ist die Sorge um die Kinder. Das ist auch gemeinsame Freude und Zerstreuung. Empfiehlt der Apostel denn nicht, daß wir „einander ermahnen in aller Weisheit“, auch durch „Lieder, wie sie der Geist eingibt, denn ihr seid in Gottes Gnade“? (vgl. Kol 3,16). So als spräche er vom Gesang der Weihnachtslieder im polnischen Heim. Kriterien der Macht treten in der Familie zugunsten der Liebe zurück 5. Man muß diese Worte des apostolischen Erbes der Kirche in ihrem originalen Klang mit allen Einzelheiten lesen, gleichzeitig muß man sie ständig in die Sprache unserer — recht oft doch so schwierigen — Bedingungen, unserer Probleme und Situationen übertragen. Auch das, was sich auf das Verhältnis von Eltern und Kindern bezieht. Der Apostel schreibt: „Ihr Kinder gehorcht euren Eltern in allem“ (Kol 3,20), aber er schreibt auch: „Ihr Väter, schüchtert eure Kinder nicht ein, damit sie nicht mutlos werden“ (Kol 3,21). Eine sehr bedeutsame Verbindung. Was können diese Worte heute unter unseren polnischen Bedingungen bedeuten? Es scheint, eine große Arbeit muß unbedingt geleistet werden, um die Spiri-tualtität der Ehe zu formen, die Moral, das geistliche Leben der Eheleute. Das Sakrament enthält eine deutliche Verpflichtung: Treue, Liebe, Redlichkeit. Dies sind Verpflichtungen moralischer Natur. Ehe und Familie gründen darauf. Auf diese Weise werden sie zu einer menschenwürdigen Gemeinschaft, zu einer wahren Gemeinschaft von Leben und Liebe. Eine Arche des Bundes mit Gott in Christus. Der Dienst der Kirche Christi gegenüber der Familie hat, beginnend mit den ersten Anfängen unserer Geschichte und durch die Jahrhunderte hindurch, ein vorzügliches Familienmodell geschaffen. Er hat auch ein Brauchtum geschaffen, das von einer großen Hochachtung vor der Würde der Frau gekennzeichnet ist. Beredter Ausdruck dessen ist auch die Seligsprechung Karolina Közkas, einer Tochter des polnischen Dorfes. Und dieser Dienst wird in neuen Erscheinungsformen, die neuen Bedürfnissen entsprechen, weiter geleistet. Die Kirche in Polen hat bedeutende Verdienste bei der Verteidigung der Rechte der Familien aufzuweisen. Die Familie ist nach Gottes Plan ein heiliger und heiligender Ort. Die Kirche wachte stets und überall über diese Heiligkeit, aber in besonderer Weise will sie der Familie nahe sein, wenn diese Gemeinschaft des Lebens und der Liebe, wenn die Arche des Bundes mit Gott von innen oder aber — wie dies heute leider oft der Fall ist — von außen bedroht ist. Auch die Kirche in unserem 809 REISEN Land steht treu auf seiten der Familie, auf der Seite ihres wahren Wohls, selbst wenn sie manchmal bei ihr selbst nicht das gebührende Verständnis findet. Sie verkündet nicht nur in Liebe, sondern auch in Entschiedenheit die geoffenbarte Lehre über Ehe und Familie, sie erinnert nicht nur an deren Pflichten und Rechte, wie auch an die Pflichten anderer, insbesondere an die Pflichten der Gesellschaft und des Staates gegenüber der Familie, sondern bemüht sich auch ständig, die notwendigen seelsorgerischen Strukturen zu entwickeln, deren Ziel es ist, der christlichen Familie moralische Hilfe zu bringen. Und vielleicht verdanken wir es dieser Anwesenheit und Sensibilität in besonderem Maße, daß das Böse, das die Familie bedroht, weiterhin böse genannt wird, daß die Sünde weiterhin Sünde genannt wird und Entartung — Entartung; daß es hier nicht — wie es manchmal in der Welt von heute der Fall ist — üblich geworden ist, eine Theorie zur Rechtfertigung des Bösen zu konstruieren, und das Böse gut zu nennen. Mehr noch, es wächst immerzu die Zahl der Personen, die auf verschiedenen Gebieten der Familie bei der Verwirklichung ihrer Berufung Hilfe leisten wollen. Und es wachsen auch ständig die Reihen junger Ehen und Familien, die in ungewöhnlich lebendiger Weise voll und ganz in ihrem Leben die ganze christliche Lehre über Ehe und Familie verwirklichen, und zwar häufig in Form eines Apostolats sich miteinander vereinigender Familiengruppen, die eng mit der von der Kirche in Polen betriebenen Familienseelsorge verbunden sind. 6. Das heutige Evangelium führt uns gemeinsam mit Maria und Josef in den Tempel von Jerusalem: die Aufopferung des Erstgeborenen am vierzigsten Tag nach der Geburt. Und hier ertönt mitten in dem Ritual, das vom Gesetz des Mose vorgesehen ist, plötzlich die Stimme eines Greises, die dem Geschehen im Tempel von Jerusalem eine volle prophetische Dimension verleiht. Simeon sagt über Jesus:,, Dieser ist dazu bestimmt, daß in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird“ (Lk 2,34). Und zur Mutter gewandt, fügt er hinzu: „Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen. Dadurch sollen die Gedanken vieler Menschen offenbar werden“ (Lk 2,35). Christus — ein Zeichen, dem widersprochen wird. Teure Brüder und Schwestern, gehtdieser „Widerspruch“ nichtauch, ja vielleicht sogar vor allem durch dieses große und zugleich grundlegende Gebiet des menschlichen Lebens, dieses Gebiet des gesellschaftlichen Lebens, des nationalen Lebens, das eben Ehe und Familie darstellen? Erfahren wir hier nicht zugleich in besonderem Maße eine Bedrohung? Jene moralische Niederlage, die der Mensch davonträgt: die Frau, der Mann, die 810 REISEN Kinder! Und zugleich die Gesellschaft, zugleich die Nation und auch der Staat. Man kann diese „kleine“ Gemeinschaft, die vielleicht schwach, vielleicht ungenügend ist, die aber dennoch an der Wurzel aller Gemeinschaften steht, nicht „erschüttern“, ohne daß das ganze gesellschaftliche und nationale Leben nicht wiedergutzumachende Verluste und Schäden davonträgt. Ehe und Familie sind durch Gefahren egoistischer Natur bedroht 7. Es gibt keinen erfolgreicheren Weg zur Wiedergeburt von Völkern als den ihrer Wiedergeburt durch gesunde Familien. Doch die Familie, „die erste Schule der sozialen Tugenden, deren kein gesellschaftliches Gebilde entraten kann“ (Gravissimum educationis, Nr. 3), ist heute sehr bedroht. Wir wissen das alle. Sie ist von außen und von innen bedroht. Und über diese Bedrohung, über das eigene Schicksal müssen nicht nur jene sprechen, schreiben, sich durch Filme oder Massenmedien aussprechen, die — wie sie behaupten — „ein Recht auf Leben, Glück und Selbstverwirklichung haben“, sondern auch die Opfer eines durch Rechte abgesicherten Egoismus. Darüber sprechen müssen die verratenen, verlassenen und zurückgelassenen Ehefrauen, darüber sprechen müssen die verlassenen Ehemänner. Darüber sprechen müssen die wahrer Liebe beraubten, die in ihrer Persönlichkeit zu Beginn ihres Lebens verletzten und zu geistiger Verkrüppelung verurteilten Kinder, Kinder die nach Gesetz den Ersatzeinrichtungen übergeben werden — aber... welches Kinderheim kann eine wirkliche Familie ersetzen? Man muß die Stimme der Opfer verbreiten — die Opfer des Egoismus und der „Mode“; der Permissivität und des moralischen Relativismus; der Opfer materieller, existentieller und mit der Wohnungsfrage zusammenhängender Schwierigkeiten. „Darum verteidigt die Kirche“, um es mit den Worten des Apostolischen Schreibens Familiaris con-sortio zu sagen, „offen und nachdrücklich die Rechte der Familie vor den untragbaren Anmaßungen der Gesellschaft und des Staates“ (Nr. 46). Wenn ich nicht irre, haben wir den höchsten Prozentsatz an berufstätigen Müttern, die diese Arbeit unter Beeinträchtigung ihres Familienlebens ausüben. Das alles bewirkt — im Zusammenhang mit den besonderen wirtschaftlichen Bedingungen —, daß in die polnische Familie ein eigenartiger Mangel an Sensibilität für außermaterielle Werte der menschlichen Arbeit Einzug hält, das Vertrauen in den Sinn menschlicher Arbeit schwindet, man sieht nicht mehr ihre langfristigen Ziele, dagegen ist die Erscheinung zu beobachten , daß man provisorisch, von einem Tag auf den anderen lebt, und manchmal beobachtet man auch den Wunsch — auf Kosten des Familienlebens — Verdienst und Wohlstand in der Fremde zu suchen. 811 REISEN Wovon ich in Umrissen spreche, ist Gegenstand vieler Diskussionen, Analysen und treffender Veröffentlichungen, vor allem aber ist es ein realistisches Postulat der Familie, insbesondere der jungen in Entwicklung befindlichen Familie; es ist ein Postulat der kinderreichen Familie, es ist ganz einfach ein Postulat der Familie. Möge es nicht an gutem Willen fehlen. Wir beten inbrünstig, daß es niemand an gutem Willen, an Initiative und Realisierung fehlen läßt. Daß die Familie durch Gott stark und das Land durch eine physisch und moralisch gesunde Familie stark sei. Grundlage für die Festigkeit der Familie ist das in der Kirche und in ihrem Programm, in ihren Sakramenten zu vertiefende und zu erneuernde Bewußtsein von der Bedeutung der christlichen Ehe, ein Bewußtsein, dessen Frucht es ist, daß man an ihr — „trotz allem“ — festhält,- solange man lebt, bis zum Tode. Familiengemeinschaft als Bild des Bundes Gottes 8. Wenn wir das Ereignis betrachten, das im Tempel von Jerusalem stattfand, dann bekennen wir zusammen mit Simeon, daß Christus „ein Licht (ist), das die Heiden erleuchtet“, daß er „Herrlichkeit“ für das Volk Gottes ist (vgl. Lk 2,30.32). Eben deshalb stehen wir alle vor einer großen Aufgabe. In der Zeit der Großen Novene vor dem Millennium der Taufe Polens faßte der Episkopat diese Aufgabe in dem knappen Satz zusammen: „Die Familie ist stark in Gott“. Die in Gott starke Familie — das ist zugleich die Familie als Stärke des Menschen: eine Familie edler Menschen. Eine Familie aus Menschen, die sich gegenseitig Liebe und Vertrauen schenken. Eine „glückliche“ und beglückende Familie. Eine Arche des Bundes. Am Ausgangspunkt der Familie steht die Elternschaft. Die Kirche lehrt: eine verantwortliche Elternschaft. Und sie widmet dieser Frage viel Aufmerksamkeit — und viel Mühe. Verantwortlich — das bedeutet: der menschlichen Person würdig, die geschaffen ist „nach Gottes Bild und Gleichnis“ (vgl. Gen 1,26). Verantwortlich für die Liebe. Ja: die Liebe, teure Eheleute, mißt sich eben an dieser Verantwortung der Eltern. Also — Familien, die verantwortlich sind für das Leben, für die Erziehung. Sprechen nicht gerade davon die Worte des Ehegelübdes? Gegenseitige Verantwortung: des Ehemannes für die Ehefrau, der Ehefrau für den Ehemann, der Eltern für die Kinder. Die väterliche Verantwortung: „Der Herr hat den Kindern befohlen, ihren Vater zu ehren“ — sagt das Buch Jesus Sirach (Sir 3,2). Und die mütterliche Verantwortung. — Man darf jedoch nicht vergessen, daß der Mann bei der Über- 812 REISEN nähme dieser Verantwortung an erster Stelle steht. Wenn der Apostel sagt: „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter“ (Kol 3,18), so sagt er zugleich: Ihr Männer, seid verantwortlich! Verdient euch wahrhaft das Vertrauen eurer Ehefrauen und eurer Kinder. 9. In den achtziger Jahren war Szczecin (Stettin) der Ort bedeutsamer Ereignisse — und bedeutsamer Vereinbarungen zwischen den staatlichen Behörden und Vertretern der Arbeitswelt. Was war der Sinn dieser Vereinbarungen? Ging es nicht um all das, was der Würde der menschlichen Arbeit entspricht — und der Würde des Werktätigen? Des Mannes und der Frau? Menschliche Arbeit: ist sie nicht gleichzeitig der ständige Bezugspunkt der ganzen Gesellschaft und in dieser Gesellschaft — jeder Familie? Deshalb hat jemand in Polen zu Recht gesagt: „Euch wurde die Arbeit an der Arbeit aufgegeben.“ Ja. Die Ereignisse der achtziger Jahre haben uns allen diese Aufgabe gestellt: „Die Arbeit an der Arbeit.“ In vielen Dimensionen. Denn die menschliche Arbeit hat viele Dimensionen und Aspekte, die für sie wesentlich sind. Somit bleibt die Arbeit an der Arbeit in bezug auf die grundlegenden Rechte und Erfordernisse des Familienlebens unsere ständige polnische Aufgabe. Man muß diese Aufgabe unermüdlich angehen. Positive äußere Lebensbedingungen für Familienwohl unverzichtbar 10. Wir müssen daran denken, daß Natur und Sendung der Familie den verantwortungsvollsten gesellschaftlichen Dienst darstellen, deshalb haben die Familien das Recht auf solche Lebensbedingungen, die ihnen ein ihrer Würde entsprechendes Lebensniveau und eine angemessene Entwicklung garantieren. Es geht hier um die gerechte Entlohnung für die Arbeit. Es geht um das Dach über dem Kopf, um die Wohnung, angefangen von den jungen Familien und den Familien, die erst geschlossen werden. „Ist doch die Familie eine durch die Arbeit ermöglichte Gemeinschaft und die erste häusliche Schule der Arbeit für j e-den Menschen“ (Laborem exercens, Nr. 10). Es geht also — ich wiederhole — um die ständige Verbesserung der Lebensbedingungen und in diesem Bereich um die gerechte Behandlung der Frau und Mutter, die wirtschaftlich nicht gezwungen werden darf, eine Verdienstarbeit außer Haus auf Kosten ihrer unersetzlichen Familienpflichten aufzunehmen. Wenn ich das alles sage, will ich nicht im geringsten etwas schmälern, was in Polen für diese Frage getan wurde. Ich meine jedoch, daß die Aufgaben immer noch gewaltig sind. Gleichzeitig müssen wir jedoch fragen, ob nicht der eigentliche Sinn der Arbeit verlorengegangen ist. Und ob diesem „Verlorengehen“ nicht zugrunde 813 REISEN liegt, daß dieses grundlegende Prinzip in Vergessenheit geriet, das den Fleiß und die Fähigkeit der Polen zu wirtschaften, dort lenkte, wo es sich zeigte, und in Westpolen zeigte es sich in besonderer Weise. Dieses Prinzip ist das einfache, benediktinische: „Bete und arbeite“. Denn die Arbeit hat, wie der unvergessene Kardinal Stefan Wyszynski lehrte, zwei Ziele: „Die Vervollkommnung einer Sache und die Vervollkommnung des werktätigen Menschen ... Sie soll so ausgeführt werden, daß in ihrem Ergebnis der Mensch besser werde“ {Geist der menschlichen Arbeit, S. 36). Dies geschieht so, wenn der Rat des Völkerapostels in die Tat umgesetzt wird: „Tut eure Arbeit gern, als wäre sie für den Herrn und nicht für Menschen; ihr wißt, daß ihr vom Herrn euer Erbe als Lohn empfangen werdet“ {Kol 3,23-24). Es ist sehr gut, daß euch diese Worte gefallen haben, nicht nur die von Kardinal Wyszynski, sondern auch die vom heiligen Paulus. Das Wort Gottes muß uns gefallen. Wir müssen Gefallen haben an Gottes Wort. Wenn man Gefallen am Wort Gottes hat, dann folgt dem ein Handeln im Geiste dieses Wortes. Und darum geht es uns sehr, darum geht es der Kirche in Polen sehr, allen meinen Brüdern im Bischofsamt, die hier mit dem Primas anwesend sind, und darum geht es mir, dem polnischen Papst (der Papst ist nie polnisch, aber er ist Pole). Es geht sehr darum, daß dieses Gefallen am Wort Gottes ein Gefallen am Wort der Wahrheit sei. Nur ein solches Gefallen kann ein Wirken im Geiste der Wahrheit entstehen lassen, kann die wahre Erneuerung formen, und gerade hier an der Küste hat man ja soviel von dieser Erneuerung gesprochen, von dieser Erneuerung, die zu wünschen wir nicht aufhören. 11. Ich möchte jetzt alle hier versammelten Ehepaare — und mittelbar, von hier, von Stettin, aus, alle Ehepaare im polnischen Land — dazu einladen, vor der Muttergottes in ihrem Bild von Fatima die Ehegelübde zu erneuern! Dieses Bild wird am Ende der hl. Messe gekrönt werden. Teure Brüder und Schwestern! „Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch“ (vgl. Kol 3,16). Dieses Wort ist euch zuteil geworden. Es wurde gewissermaßen zu eurem Wort von dem Tage an, als ihr auf den Stufen des Altares sagtet: „Ich verspreche dir Treue ..., ich will dich lieben, achten und ehren, solange ich lebe.“ In diesem Ehegelübde wurde Christi Wort im ganzen Reichtum seines erlösenden, heiligenden Inhalts zum Wort des Ehesakraments. Ihr aber seid Verwalter dieses großen Sakramentes. Dies ist euer „priesterlicher Anteil“ am Geheimnis Christi und der Kirche. Das ist das Sakrament eures ganzen Lebens. 814 REISEN Ich bitte deshalb, daß ihr diese Worte, die euch begleiten, durch alle Tage dieses Lebens bis zum Tode, in Kürze wiederholt! Wiederholt sie, um in euren Herzen ihre erlösende Kraft zu erneuern. Wiederholt sie, um die Gnade des Sakraments zu erneuern, die euch am Tage der Trauung verliehen wurde — und die euch ständig verliehen wird, wenn ihr sie sucht. Wenn ihr mit ihr zusammenwirkt. Wiederholt... Und „in euren Herzen herrsche der Friede Christi“ (vgl. Kol 3,15), wie ihn „die Welt nicht geben kann“ (vgl. Joh 14,27). Christus selber gibt diesen Frieden jenen, die ihn mit ganzem Herzen suchen. Gebt bei der Erneuerung eurer Eheversprechen euer ganzes Familienleben, eure Kinder, eure elterlichen Sorgen in die mütterlichen Hände Mariens. Legt sie ab am Herzen dieser Mutter, die uns „bei der Pilgerschaft des Glaubens“ vorangeht. Im Geiste ebendieses Vertrauens der polnischen Familien bitten wir, daß sie von uns die „päpstlichen Kronen“ für ihr Fatimabild annehme als Zeichen der Verehrung und Liebe des ganzen Gottesvolkes in diesem Land. Die Theologie muß der Pastoral dienen Ansprache an die Alumnen der Geistlichen Seminare in Stettin am 11. Juni 1. „Seht her, ich lege in Zion einen auserwählten Stein, einen Eckstein.“ (1 Petr 2,6) Wir legten heute einen Eckstein für den Bau des Priesterseminars für die Diözese Szczecin-Kamien (Stettin-Cammin). Deshalb lade ich alle Versammelten ein, mit mir gemeinsam zu betrachten, was die Worte des heiligen Petrus über die „lebendigen Steine“ besagen (vgl. 1 Petr 2,5). Der Apostel teilt uns die große Vision eines göttlichen Geheimnisses mit, das die Geschichte der Menschheit durchdringt, eines Geheimnisses, das seine Verwirklichung im erwählten Volk gefunden hat, das in der Kirche ist und bleibt; mehr noch: das über diese Kirche entscheidet. Gott, der der Gott des Bundes ist, sucht von Anfang und durch die Generationen sein Heiligtum. Er sucht den Raum, in dem er zusammen mit den Menschen wohnen, mit ihnen verkehren konnte. Denn er wünscht, Immanuel zu sein. Sein Name in der Geschichte des Menschen lautet gerade so: Immanuel, Gott mit uns. Das Wohnen Gottes bei den Menschen hat vor allem seine geistige Dimension. Es ist der Raum, in dem der Heilige Geist wirkt. Es ist der Raum, in dem Gott mit den Menschen verkehrt „im Geist und in der Wahrheit“ (Joh 4,23). 815 REISEN Kirche ist sichtbares Zeichen des Wirkens der Dreifaltigkeit 2. Christus ist der Eckstein dieses Baus. Der Raum des Heiligen Geistes, des Geistes der Wahrheit, des Parakletos, öffnete sich in den menschlichen Herzen, öffnete sich in der Geschichte des Menschen — durch sein Kreuz und seine Auferstehung. Ebendeshalb, weil dieser „Eckstein“ von den Menschen verworfen wurde. Ebendeshalb, weil er — durch dieses Wegwerfen — zum ersten „lebendigen“ Stein wurde, „von Gott auserwählt und geehrt“ (vgl. 1 Petr 2.4) . Er wurde zum Beginn des Lebens und der Wahrheit für alle, die als „wahre Beter den Vater anbeten“ (vgl. Joh 4,23). So wächst auch aus ihm, aus Christus, jenes ganze „geistige Haus“ (1 Petr 2.5) , das sich in der Geschichte als Kirche des lebendigen Gottes verwirklicht. Aus seinem Tod am Kreuz entstehen die „lebendigen Steine“ dieses Hauses. Denn dies ist ein lebenspendender Tod, bestätigt am Tage der Auferstehung — und später am Pfingsttage — als Quelle des neuen Lebens: des Lebens der Menschen in Gott. 3. Und so schreibt der Apostel auch: Laßt auch ihr „euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen“ (1 Petri,5). Dies ist ebenjener Raum des Bundes, der Raum Immanuels, wo der Verkehr der Menschen mit Gott darin zum Ausdruck kommt, daß sie „durch Jesus Christus geistige Opfer darbringen, die Gott gefallen“ (vgl. 1 Petr 2,5). „Lebendige Steine.“ Heute morgen sprach ich auf einer großen Versammlung des Gottesvolkes eurer Kirche zu den Eheleuten, zu den Familien. Sie alle sind dazu berufen, gestützt auf diese allgemeine Priesterschaft der Gläubigen, die sie seit dem Augenblick der heiligen Taufe in sich tragen, Gott geistige Opfer darzubringen. Und ihr Opfer „gefällt Gott“ durch das Wirken Jesu Christi: durch diese Liebe, die er allen Menschen erwiesen hat, indem er am Holz des Kreuzes sein Leben hingab: indem er Liebe erwies „bis zur Vollendung“ (vgl. Joh 13,1). 4. Gerade für dieses geistige Opfer aller Getauften, dafür, daß sie jeden Tag mit dem Opfer Christi in der Eucharistie verbunden werden, beruft Gott euch: euch alle, die ihr einstmals dieses Seminar bevölkern, in ihm zur Weihe heranreifen, aus ihm hervorgehen sollt, um das Amtspriestertum wahrzunehmen: „aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt“ (vgl. Hebr 5,1). Hier eben, in dem Bau, der über dem Eckstein erwächst, der geweiht worden ist, soll sich dieser besondere „Übergang“: dieses „Pascha“ vollziehen, das priesterliche Berufung genannt wird. „Aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott“ (vgl. Hebr. 5,1). 816 REISEN Wir mauerten also diesen Eckstein ein, damit er eine symbolische Verbindung für alle Steine sei, die zum Bau eures Seminars gehören. Aber dieser Bau aus toten Steinen soll in sich eine Gemeinschaft „lebendiger Steine“ aufnehmen. Er soll in Zukunft ein täglicher, unentbehrlicher Zeuge eines systematischen Prozesses sein, durch den der innere Raum für das Wirken des Geistes Christi in den jungen Menschenseelen vorbereitet wird: der Raum für das Heranreifen priesterlicher Berufungen. Ausdruck einer solchen priesterlichen Reife mögen die Worte Bischof Michal Kozals ein. Als er von dem einmal gewählten Weg nicht umkehren wollte, der ihn zum Martyrium hinführte, schrieb er noch am 9. Mai 1940 im Lager in Lad: „Ich legte das Schicksal meines Lebens in die Hände Gottes — und mir ist wohl dabei“ (W. Fratczak, Bischof Michal Komi, in: Christen, Band 12, Warschau 1982, S. 69). 5. Ich möchte meine Freude ausdrücken, daß das Gebäude eines Geistlichen Seminars in Stettin entsteht, das die äußeren Bedingungen für diesen Prozeß, der ja so wichtig ist im Leben der Kirche, schaffen soll! Ich möchte meine Freude darüber ausdrücken, daß sich zu dieser Inauguration hier nicht nur die Alumnen dieses Seminars sowie der Nachbarseminare und der Diözesen versammelt haben, sondern auch die Priester, die Priester vor allem aus eben den drei so verschwisterten Diözesen, die einst die eine Diözese Gorzöw (Landsberg) waren und jetzt drei sind: Szczecin-Kamieri (Stettin- Cammin), Koszalin-Kolobrzeg (Köslin-Kolberg) und Gorzöw (Landsberg). Ich drücke auch meine Freude darüber aus, daß an dieser Begegnung „lebendiger Steine“ neben den Priestern auch die Ordensschwestern teilnehmen, die jjach dem Charisma der ihnen verliehenen Berufung, nach den evangelischen Räten, auf ihre Weise zum Aufbau des Leibes Christi beitragen, zur Schaffung eben dieses lebendigen Raums, in dem der Heilige Geist wirkt, in ihren Herzen und durch ihren Dienst im Gottesvolk dieses ganzen gesegneten Landes wirkt. Das Zweite Vatikanische Konzil bestätigte den Standpunkt der Kirche, wie er schon auf dem Tridentinischen Konzil zur Frage der geistlichen Seminare zum Ausdruck gebracht wurde. Kardinal Stefan Wyszynski erinnerte, als er auf dem Konzil über die Aufgaben der geistlichen Seminare in unserer Zeit sprach, gleichzeitig an die polnischen geschichtlichen Erfahrungen auf diesem Gebiet. Er sagte u. a.: „Ich möchte ein wenig bekanntes Beispiel von der nördlichen Peripherie der damaligen katholischen Kirche an der fernen Ostsee und an der Weichsel benutzen. Denn bis hierher war das Denken des Tridentinischen Konzils gedrungen, und zwar außerordentlich schnell ... Das Korn des Tridentinischen Konzils wuchs sich zu einem Baum aus“ (Ansprache Kard. Stefan Wyszynski zum 817 REISEN 400. Jahrestag des Dekrets des Tridentinischen Konzils über die geistlichen Seminare in der Konzilsaula, 4.11.1963, in Gegenwart des Papstes Paul VI., in: Der polnische Seelsorger im Ausland, XV, 1964, Nr. 1,58, S. 88-89). In dem der Priesterausbildung gewidmeten Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils lesen wir, daß das Seminar das Herz der Diözese sei und daß alle Priester ihm gern Hilfe leisten müssen (vgl. Optatam totius, Nr. 5). Denn „in ihnen (Seminaren) muß die gesamte Ausbildung der Alumnen dahin zielen, daß sie nach dem Vorbild unseres Herrn Jesus Christus, des Lehrers, Priesters und Hirten, zu wahren Seelenhirten geformt werden; sie müssen also zum Dienst am Wort vorbereitet werden, daß sie das geoffenbarte Gotteswort immer besser verstehen, durch Meditation mit ihm vertraut werden und es in Wort und Leben darstellen; zum Dienst des Kultes und der Heiligung, daß sie in Gebet und im Vollzug der heiligen Liturgie das Heilswerk durch das eucha-ristische Opfer und die Sakramente vollziehen; zum Dienst des Hirten, daß die den Menschen Christus darstellen können, der ,nicht kam, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele hinzugeben1 (Mk 10,45; vgl. Joh 13,12-17), und daß sie Diener aller werden und so viele gewinnen“ (vgl. 1 Kor 9,19). Das Seminar als Übungsort für ein Gemeinschaflsleben in harmonischer Einheit 6. Ich möchte mich an Gott wenden mit tiefstem Dank für die außergewöhnliche Gnade der Priester- und Ordensberufe, die er in der heutigen Zeit der Kirche in unserem Vaterland schenkt. Mit einem Wort der Begrüßung, der Dankbarkeit und Ermunterung wende ich mich an die ganze Familie der geistlichen Seminare, der Theologischen Hochschulen, der Ausbildungs- und Studienhäuser der männlichen und weiblichen Gemeinschaften, an die Institute für Höhere Christliche Kultur, an alle. An die Oberen, an die Professoren und Erzieher sowie an die Alumnen, an die Kleriker und Novizen im ganzen Vaterland. Ich muß hier die zahlreichen Laien-Studenten und -Studentinnen der Theologie und christlichen Philosophie zusätzlich erwähnen. Dies ist ein besonderes Zeichen der Zeit im Leben der Weltkirche und der Kirche in unserem Land. Das Seminarleben, die Studien, die Arbeit an sich selber, die Einübung in Gemeinschaft und Solidarität muß ständig aus der Quelle der Einheit mit der Kirche schöpfen, aus dieser geistigen und übernatürlichen Kraft, die sich aus der Wahrheit und der Liebe ergibt. Ebendeshalb unterstrich Kardinal Wyszynski — in der schon erwähnten Ansprache —, daß auf diesem Stein, auf der Einheit der Kirche, die „vier Säulen 818 REISEN der Bildung der jungen Generation aufbauen: die Einheit mit der Heiligen Dreifaltigkeit, die Einheit mit der Kirche, die Einheit mit dem Bischof und die Einheit mit dem Gottesvolk“. 7. Die Theologie muß der Sendung, und zwar eben der pastoralen Sendung der Kirche, dienen. Dies ist zugleich ein Dienst für die polnische christliche Kultur als ein grundlegendes Gut des eigenen Volkes. Die katholische Wissenschaft muß ihre Aufgabe entsprechend den intellektuellen und moralischen Anforderungen der polnischen Gesellschaft anpacken und erfüllen, und diese Anforderungen sind bekanntlich gestiegen und steigen ständig weiter. Deshalb ist es für die Kirche und für die katholische Gesellschaft wichtig, daß der akademische Charakter der Studien an den höheren geistlichen Seminaren in ganz Polen gefestigt wird. Denn die didaktische Funktion — das heißt die Lehre — hängt zusammen mit der wissenschaftlichen Tätigkeit, mit der nicht selten mühseligen Forschungsarbeit, die so wesentlich ist für das wissenschaftliche Schaffen. Eine reelle philosophische und theologische Bildung muß die zukünftigen Priester — im Geiste des Dialogs, der Konfrontation mit der heutigen Welt dazu befähigen, eine christliche Vision Gottes, des Menschen und der Welt und ihre intellektuellen, sozialen und ethischen Implikationen aufzuzeigen. Die Dozenten müssen auf eine zeitgemäße Seelsorge hin ausbilden Gemäß den Weisungen des n. Vatikanischen Konzils müssen die als Professoren tätigen Priester ihre Sendung in der Kirche auf diesem bedeutsamen Gebiet erfüllen, aus der Überzeugung heraus, daß dies eine erstrangige und grundlegende Aufgabe ist, unerläßlich für das „Morgen“ der von der Kirche in unserem Vaterland durchzuführenden Evangelisation. Aufgabe sowohl der Professoren wie der Erzieher ist es, den Alumnen dabei zu helfen, das Bewußtsein von der Kirche als einer Gemeinschaft zu vertiefen, die um das Niveau des christlichen Lebens aller Gläubigen besorgt ist. Das innere Leben möge die „Seele“ des Apostolats sein, und das Apostolat seinerseits möge ein redliches Studium und ein vertieftes geistiges Leben verlangen. Wenn auch nur kurz, so muß die Rolle der Theologen erwähnt werden, die sie in Gemeinschaft mit den Hirten der Diözesen auf dem Gebiete der „permanenten“ Bildung der in der Seelsorge tätigen Priester haben. Andererseits ist zu sprechen über ihre Aufgaben für die gebührende Bildung der christlichen Laien; es geht darum, Laienmitarbeiter für das Werk der Evangelisierung heranzubilden. Die Perspektive der bevorstehenden Bischofssynode macht dieses Postulat besonders aktuell. Ihr müßt den Zentren der Seelsorge für die 819 REISEN Intelligenz, für die Kulturschaffenden, für die Menschen von Wissenschaft und Technik eine kompetente Hilfe gewährleisten, und ihr müßt auch mitar-beiten bei der Durchführung eines Studiums der katholischen Soziallehre und eines vertieften christlichen Studiums für die Pastoral der Arbeiter und der Bauern, für die ganze weitgefaßte Arbeitswelt. 8. Liebe Diözesan- und Ordensalumnen! Das Konzilsdokument definiert eure Aufgaben in der Etappe der Ausbildung, die eine Vorbereitung auf das Sakrament der Priesterweihe ist. Um diese Aufgaben zu erfüllen, ist es notwendig, daß ihr eure eigene Berufung sehr ernst nehmt, diese — aus dem unerforschlichen Ratschluß der Vorsehung erfolgte — Einladung auf den Weg des priesterlichen Lebens. Diese Berufung setzt ein unteilbares Herz voraus. Wenn ihr dem Priestertum folgt, antwortet ihr auf die Einladung Christi, die von der Gnade begleitet ist. Von einer großen Gnade, einer Gnade im Maßstab von Entsagungen und im Maßstab einer Sendung. Verlaßt alles, um ihm zu folgen. In dieser aufrichtigen Hingabe seiner selbst kann der Priester seine personale Indentität und zugleich seinen Platz in der Kirche und in der Gesellschaft finden. Die Aufforderung, Christus in vollkommener Weise nachzufolgen, kommt auch in der Verbindung von Priestertum und Zölibat, das heißt der Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ zum Ausdruck. Gleichzeitig geht es darum, Christus ähnlich zu werden und sich mit ihm durch Gehorsam und die eurer Berufung eigene Armut zu vereinen. Jede Generation trägt in sich spezifische Werte, aber sie stößt auch auf vielfältige Schwierigkeiten. Eure Generation empfindet oft eine Scheu davor, „sich anzuvertrauen“. Sie verschließt sich in sich selbst. Ihr müßt dies durchbrechen, um euch kraft des Glaubens und kraft der Dynamik eurer Berufung dazu aufzuschwingen, der Berufung vollkommen zu folgen, ohne nach „eigenen Sicherungen“ zu suchen, ihr müßt euch aufschwingen zum Dienst für Christus in seiner Kirche ... Eure Generation verspürt, vielleicht mehr als andere, einen Hunger nach Wahrheit, aber zugleich die Schwierigkeit, sich der Wahrheit voll zu öffnen, sich „in der Wahrheit“ zu öffnen, die Schwierigkeit, „der Kraft der Wahrheit zu vertrauen“. So als fehlte es bisweilen an einem ausreichenden Glauben an die Macht des Guten, die in euch selber ist, im Menschen, in der menschlichen Umgebung, an die Kraft des Guten, die im konkreten Milieu des Seminars und im priesterlichen Milieu gegenwärtig ist und gestützt wird durch die erfolgreiche Gnade der Berufung und des Sakraments. Öffnet euch der Wahrheit, die Christus ist, um der Welt seine Wahrheit und die christliche Hoffnung zu bringen. Um auf diese Weise unter den Laien Mitarbeiter für die Evangelisierung zu sammeln und heranzubilden — für jene Evangelisierung, die sich in den Familien, in den Pfarreien, an den Stätten der 820 REISEN Arbeit vollzieht. Bereitet euch vor und seid offen für den Dienst an der Gemeinschaft: für das Apostolat der Laien. Möge es in eurem Dienst den richtigen Platz finden. Schafft für dieses Apostolat angemessene Bedingungen. Setzt es ganz einfach frei, inspiriert es und helft ihm mit pastoraler Sensibilität und Feingefühl, sich zu entfalten. In der Tugend der Treue die schwierigen Aufgaben angehen 9. Nutzt die Möglichkeiten, die das Milieu des Seminars für die Vertiefung eures Glaubens und geistigen Lebens schafft. Mögen sie eure Persönlichkeit formen und eurer geistigen, intellektuellen und apostolischen Reife die Orientierung geben. Das alles wird es euch gestatten, euch mit ganzem Vertrauen und innerer Freiheit in unwiderruflicher Weise dem priesterlichen Dienst in der Dimension eines ganzen Lebens zu widmen. Es fehlt heute so sehr den Menschen an dieser Haltung einer Treue „für immer“. Wir müssen selber treu an der Gabe festhalten, die der Herr uns verliehen hat, um die „Brüder stärken“ zu können. Ich möchte euch auch ermuntern, euch für die Geschichte und Literatur des Vaterlandes und der Welt zu interessieren, insbesondere für die religiöse und ethische Strömung, welche die Tiefe menschlichen Suchens zum Ausdruck bringt. Ihr müßt imstande sein, die Frohe Botschaft den Menschen zu vermitteln und auf die christlichen Wurzeln der heimischen Kultur sowie daraufhinzuweisen, wie diese durch ihre Verbindungen mit dem Christentum zum geistigen Gewebe Europas und der Welt beiträgt. Nach der Weihe müßt ihr fähig sein, insbesondere in der Zusammenarbeit mit den Laien in überzeugender Weise die Grundlagen einer ethischen Ordnung zu festigen, die für die Lösung der unsere Gesellschaft bewegenden Probleme unerläßlich und unersetzlich ist. Euer Weg, liebe Brüder, ist schwierig und voller Anforderungen, wenngleich er in gewissem Sinne leichter ist als der Weg eurer Schulkameraden, die verschiedene weltliche Berufe gewählt haben. Ihr könnt leichter die Erfahrung machen, daß ihr keine „Generation ohne Perspektive“ und „ohne Möglichkeiten“ seid. Die Bedürfnisse des Apostolats sind groß. Es fehlt nicht an Arbeit. Die Sorge der Gemeinschaft der Gläubigen sichert euch die materiellen Bedingungen eurer Existenz. Christus war arm. Man kann nicht authentisch den Armen das Evangelium verkünden, ohne sich an die seiner Berufung eignende Armut zu halten. Heute spricht man viel über die Kategorien von „Sein“ und „Haben“. Von uns allen Priestern Jesu Christi erwartet man, daß wir dem Vorbild „treu“ sind, das er uns hinterlassen hat. Daß wir also „um der anderen willen“ da sind. Und 821 REISEN wenn wir „haben“, daß wir dann auch „für die Armen haben“. Um so mehr, wenn wir das, was wir haben, „von anderen“ haben. Heute lebt die ganze Kirche — mehr als irgendwann — „von Almosen“, von den ärmsten Missionen in Afrika bis hin zu den modernen ausgebauten Hochschulen und Kurien, einschließlich des Hl. Stuhls. Denkt deshalb daran: Ihr seid „aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt“ (vgl. Hebr 5,1). Das bringt eine gewaltige Verpflichtung mit sich: eine Verpflichtung vor Gott selber, der Kirche, die diesen Kredit des Vertrauens zum polnischen Priester durch opfervollen Dienst, mehrfach sogar durch den Märtyrertod, errungen hat, eine Verpflichtung gegenüber dem Volk, insbesondere gegenüber den Ärmsten. Ihr müßt treu sein. Ihr müßt mit dem Volk solidarisch sein. In eurem Lebensstil müßt ihr der Durchschnittsfamilie, ja eher der ärmsten Familie nahe sein, ganz unserem Herrn, Jesus Christus, und seiner Kirche, der seelsorglichen Arbeit ergeben, in Einheit mit eurem Bischof und den Oberen. Danach wird Gott euch und euer Gewissen beurteilen. Nur diese Treue wird euch die Ruhe des Gewissens und das Gefühl des Glücks sichern. Das ist auch und vor allem ein Weg der Selbsterfüllung im priesterli-chen Leben und der Weg zur ewigen Errettung. 10. Indem wir den Eckstein weihen, nähern wir uns also dem, welcher der erste lebendige Stein der Kirche ist. Wir nähern uns voller Ehre und Dankbarkeit, die wir ihm entgegenbringen. Wir wollen die „großen Taten“ seiner Macht (vgl. 1 Petr 2,9) verkünden — der Macht des Gekreuzigten, in der sich die Kraft seiner Liebe bis zur Vollendung offenbart. Der rettenden Liebe. Der erlösenden Liebe. Der auferstandenen Macht. In ihm — in Christus — haben wir diese Liebe erfahren, die barmherzig ist, die sich über jeden verlorenen Sohn beugt, über jeden Sturz und jede Niederlage des Menschen: die ihr entgegeneilt. In ihm — in Christus — nähern wir uns dem Vater, Gott, der „voll Erbarmen ist“ (Eph 2,4). Denn in der Kraft dieser barmherzigen Liebe sind wir ständig „aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen“ (I Petr 2,9), um zum Volk Gottes zu werden: zum erwählten Stamm, zu der königlichen Priesterschaft, zum Volk, in dessen Mitte Immanuel wohnt, zum Volk, das in Christus erneut „Eigentum“ seines Schöpfers und Gottes geworden ist, Teilhaber seiner ewigen Bestimmungen — „ein heiliger Stamm“ (vgl. 1 Petr 2,9). An diesem heute geweihten Eckstein schauen wir in die Zukunft — nicht nur in jene irdische Zukunft — wir schauen in die endgültige Zukunft des Menschen in Gott. Und wir sprechen: Dir, dem König der Ewigkeit, sei Ehre und Herrlichkeit! (vgl. 1 Tim 1,17). 822 REISEN Solidarität ist Kampf für den Menschen Ansprache an die Menschen auf und an der See in Gdingen am 11. Juni 1. „Benedicete maria et flumina, Domino.“ „Preiset den Herrn, ihr Meere und Flüsse; Die Erde preise den Herrn, sie lobe und rühme ihn in Ewigkeit“ (vgl. Dan 3,78.74). An dieser Stelle sollte das Lied der ganzen Schöpfung ertönen, das dem Schöpfer Ehre erweist. Hier sollten die Flüsse und das Meer mit der Stimme des Lobpreises sprechen. Vor allem aber dieser Strom, der unweit von hier seinen Lauf beendet, wenn er in die Ostsee mündet. Die Weichsel — der Strom aller polnischen Lande, der Strom unserer Geschichte. Seit Jahrhunderten — bevor der Name Polens in den Annalen der Geschichte erschien — wälzte sie ihr Wasser von den Karpaten, von den Schlesischen Beskiden, wo sie ihre Quellen hat, bis hierher. Der Strom, schweigender Zeuge des Lebens von Generationen, ihrer Geburt und ihres Sterbens, ihrer schöpferischen Anstrengungen, die verbunden waren mit der Begründung alles dessen, was Polen darstellt, ihres Ringens, das manchmal ein Ringen auf Tod und Leben war, mit dem Ziel, das Vaterländische, die gemeinsamen Errungenschaften und das gemeinsame Erbe zu erhalten und zu sichern. Weichsel ... Sei gesegnet, Fluß! Lehre uns durch deine Treue zu unserem Land den Vater zu lobpreisen, der im Himmel ist. 2. Und sei gesegnet, du Meer, das du die Bestimmung der Weichsel bist, unseres Stroms — so wie das Himmelreich die Bestimmung der auf dieser Erde lebenden Menschen ist. Das Meer ... Es spricht zum Menschen in einer besonderen Sprache. Dies ist zuerst die Sprache der grenzenlosen Weite. Hier, von der Mündung der Weichsel an, eröffnet sich eine Weite, die durch die Fläche der Ostsee bestimmt ist, eine grenzenlose Weite, deren Ende das menschliche Auge nicht erreicht. Eine riesige Menge Wasser, gleichsam einheitlicher als die Gebiete der Erde. Ein Gebiet, nicht bewohnt und nicht bewohnbar, zugleich aber ein weit offenes Gebiet, das den Menschen zu sich ruft. Es ruft die Menschen zu sich. Es ruft die Nationen. Jene, die diesem Ruf folgen, heißen Leute des Meeres, Seeleute. Unsere Nation hatte mehrfach in der Geschichte mit dieser Herausforderung zu tun: ist sie ihr gefolgt? Hat sie genügend darauf geantwortet? Suchte sie darin eine Sicherung ihrer Existenz und ihrer Rechte unter allen Nationen des Erdballs?. 823 REISEN Das Meer ist sowohl Bild der Trennung als auch der Verbindung 3. Denn über diese Feme und Weite, die sich vor den Augen des am Ufer stehenden Menschen und wiederum vor den Augen des Fahrensmannes inmitten der Fläche des Meeres eröffnet, führt der Weg zu vielen anderen Orten auf der Welt, zu Ländern und Kontinenten. Zu vielen Völkern und Nationen. Der Aufruf der Meere begegnet dem Schicksal aller bewohnten Länder. Er teilt diese Länder nicht nur und hält sie voneinander entfernt, im Abstand — sondern er verbindet sie auch. Ja, das Meer spricht zum Menschen von der Notwendigkeit, einander zu suchen, von der Notwendigkeit der Begegnung und der Zusammenarbeit, von der Notwendigkeit der Solidarität, der zwischenmenschlichen und der internationalen Solidarität. Wie bedeutsam ist doch die Tatsache, daß gerade das Wort „Solidarnosc“ (Solidarität) hier, am polnischen Meer, ausgesprochen wurde, die gleichzeitig seinen ewigen Inhalt bestätigt. Spricht nicht die Zukunft des Menschen auf der ganzen Erde, in allen Kontin-tenten und auf den Meeren, für die Notwendigkeit ebendieses Inhalts? Kann die Welt — die große und ständig wachsende Menschheitsfamilie — in den wachsenden Gegensätzen des Westens gegenüber dem Osten überdauern und sich entwickeln? Des Nordens gegenüber dem Süden? So aber ist eben unsere heutige Welt geteilt und differenziert. Kann eine Zukunft, eine bessere Zukunft aus wachsenden Unterschieden und Konfrontationen auf dem Weg wechselseitigen Kampfes erwachsen? Eines Kampfes von System gegen System, von Nation gegen Nation — schließlich: von Mensch gegen Mensch! Im Namen der Zukunft des Menschen und der Menschheit mußte man dieses Wort „Solidarität“ aussprechen. Heute fließt es in einer breiten Wöge über die Welt, die begreift, daß wir nicht nach dem Prinzip des „alle gegen alle“, sondern nur nach dem Prinzip „alle mit allen“ leben können. 4. Dieses Wort wurde hier ausgesprochen, in neuer Weise und in einem neuen Kontext. Und die Welt darf das nicht vergessen. Dieses Wort ist euer Stolz, Menschen des polnischen Meeres. Menschen von Gdansk (Danzig) und Gdynia (Gdingen), der Dreistadt, die ihr die Ereignisse der siebziger und achtziger Jahre lebendig in der Erinnerung habt. Wir können in der Welt von heute nicht weiter vorwärtsgehen, getrieben vom Imperativ schwindelerregender Rüstung, denn das bedeutet eine Perspektive der Kriege und der Selbstvernichtung. Ja, eben: nicht nur der gegenseitigen Vernichtung. Sondern der kollektiven Selbstvernichtung. 824 REISEN Und wir können nicht weiter vorwärtskommen — es kann keine Rede von irgendeinem Fortschritt sein, wenn nicht im Namen der gesellschaftlichen Solidarität die Rechte jedes Menschen bis zur Vollendung repektiert werden. Wenn sich nicht im Leben der Gesellschaft genügend Raum für seine Talente und seine Initiative findet. Vor allem aber für seine Arbeit. Hier, an der Küste der Ostsee, spreche also auch ich dieses Wort aus, diesen Namen „Solidarität“, denn er gehört zu der ständigen Botschaft der kirchlichen Soziallehre. In diesem Geiste sprachen die Väter und Theologen. Von daher entstanden die Sozialenzykliken des letzten Jahrhunderts und in letzter Zeit die Lehre des Konzils sowie der beiden zeitgenössischen Päpste, Johannes und Paul, unter anderen auch Johannes1 Friedensenzyklika Pacem in terris. Solidarität muß vor Kampf kommen. Dann kann die Menschheit überdauern. Und dann kann jede Nation in der großen Menschheitsfamilie überdauern und sich entfalten. Denn was bedeutet das — Solidarität? Solidarität bedeutet, daß man in menschlicher Vielfalt, zum Beispiel einer Nation, existiert, in der Einheit, in der Achtung aller Unterschiede, aller Besonderheiten, die es zwischen den Menschen gibt. Also ist das eine Einheit in der Vielfalt, also Pluralismus, das alles steckt in dem Begriff Solidarität. Die Art und Weise , wie man in einer menschlichen — geringeren und größeren — Vielfalt, in der ganzen Menschheit, in einem einzelnen Volk existiert, wie man in einer Einheit existiert, die des Menschen würdig ist. Ich sagte: Solidarität muß vor Kampf kommen. Ich ergänze: Solidarität setzt auch Kampf frei. Aber dies ist nie ein Kampf gegen den anderen. Ein Kampf, der den Menschen als Feind und Gegner behandelt — und zu dessen Vernichtung strebt. Dies ist ein Kampf um den Menschen, um seine Rechte, um seinen wahren Fortschritt: ein Kampf für eine reifere Form des menschlichen Lebens. Denn dann wird dieses menschliche Leben auf Erden „menschlicher“, wenn man sich leiten läßt von Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe. Als ich vor einem Jahr in Indien war, kam zu mir ein Enkel des großen Mahatma Ghandi und sagte: „Wir danken dir für dein Vaterland, für Polen.“ Weshalb sprach ein Enkel des unermüdlichen Verteidigers der Menschenrechte und der Unabhängigkeit seiner riesigen Nation solche Worte? Ich fragte nach keiner Erklärung, ich kam gar nicht dazu, in der Menschenmenge. Dennoch fühle ich das Bedürfnis, diese Worte allen in Polen mitzuteilen. Insbesondere euch, ihr Menschen der See, denn ihr kennt wohl am besten den Weg nach Indien. Als ich hierher, ans Meer, nach Gdynia (Gdingen) und Gdansk (Danzig) kam, hatte ich die tiefe Pflicht und Schuldigkeit, dies alles zu sagen, diese grundlegende Analyse durchzuführen. Ich denke, selbst wenn dieser Papst, der zu 825 REISEN euch gekommen ist, kein Pole wäre, hätte er das auch tun müssen. Dies ist eine so wichtige Frage. Die menschliche Seele will in ihrer ganzen Tiefe ergründet sein 5. Die Sprache des Meeres. Es spricht zu uns ohne Worte. Es spricht in der Sprache der grenzenlosen Weite. Es spricht auch in der Sprache der Tiefe. Über das Meer meditierte der heilige Augustinus beim Thema des unergründlichen Geheimnisses, welches Gott ist — und jenes Geheimnisses, welches der Mensch ist. Die menschliche Seele. „Ich fragte das Meer und seine Tiefen und das Gekrieche seiner Lebewesen, und sie gaben mir die Antwort: wir sind dein Gott nicht; such droben über uns“ (Augustinus, Bekenntnisse, Buch 10,6). Abyssus abyssum invocat — der Abgrund ruft nach dem Abgrund. Der Mensch der zeitgenössischen Zivilisation ist bedroht durch die Krankheit der Oberflächlichkeit, durch die Gefahr der Verflachung. Man muß daran arbeiten, wieder Tiefe zu gewinnen — diese Tiefe, die dem menschlichen Wesen zu eigen ist. Diese Tiefe, die seinen Geist und sein Herz herausfordert, so wie das Meer sie herausfordert. Das ist eben die Tiefe der Wahrheit und Freiheit, der Gerechtigkeit und Liebe. Die Tiefe des Friedens. Ans Meer von Galiläa, das zwar hinsichtlich der Fläche klein ist, führt uns auch das heutige Evangelium. Die Apostel waren Fischer, Menschen des Meeres, deshalb weilte Christus oft mit ihnen zusammen am Meer — und auf dem Meer. Das Meer wurde also zu einer besonderen Begegnungsstätte des Menschen mit Gott. Zu einem Ort, den der Fuß des Welterlösers berührt. Zu einem Ort, an dem ein wesentliches Kapitel der Geschichte der Erlösung geschrieben wurde. 6. In diesem Zusammenhang möchte ich mich jetzt mit einem besonderen Wort an die Menschen des Meeres wenden. An alle, die entlang der Ostseeküste leben, auch in den Anliegerländern — aber in besonderer Weise an euch, ihr Menschen des polnischen Meeres. Und zugleich an alle Seeleute auf der ganzen Welt, die unter polnischer Flagge fahren. Ich meine die Fischer, die Matrosen, die Werftarbeiter und alle, die in den Häfen oder an Bord von Kuttern, von Passagier- und Handelsschiffen jeglichen Typs tätig sind, die auf Kriegsschiffen oder Unterseeboten Dienst tun. Ihr habt euer Leben und das Leben eurer Familien mit dem Meer verbunden. Es hat entscheidenden Einfluß auf die Verwirklichung eurer menschlichen und christlichen Berufung, auf die Bildung eurer Persönlichkeit und eurer Haltung. 826 REISEN Eure Arbeit, die sich der verdienten Anerkennung von seiten der Gesellschaft erfreut, ist eine schwere Mühe, die viele Opfer und Entsagungen erfordert: eine häufige und nicht selten lange Trennung von der Familie und den Freunden; eine Arbeit, die Seelenstärke verlangt, Kühnheit, Mannhaftigkeit, solidarische Zusammenarbeit im Angesicht von Gefahr und Schwierigkeiten. Das Meer ist gewissermaßen die Werkstatt eurer täglichen Arbeit. Manchmal ist es bedrohlich und gefährlich. Jedes Jahr verschlingt es, wie ihr wißt, viele Opfer. Wie viele Familientragödien verursacht es! Erinnern wir uns heute an alle Verstorbenen und an die verwaisten Familien in unserem Gebet. Gleich der Wüste bringt das Meer den Menschen Gott näher Das Meer erlaubt es, die menschliche Schwäche und die Allmacht Gottes besser zu verstehen, den Wert des Landes und das Bedürfnis nach einem anderen Menschen wahrzunehmen, das familiäre Band und den Wert der Gemeinschaft, auch der Pfarrgemeinschaft und des Millieus nahestehender Personen zu schätzen. Manchem von euch erleichtert die Macht und die Grenzenlosigkeit des Meeres den Kontakt zu Gott. Bekannt ist ja das Sprichwort: „Wer nicht beten kann, soll auf das Meer hinausfahren!“ Um eure Identität zu wahren, um das herzliche Band mit der Familie aufrechtzuerhalten, um nicht der Schwäche zu erliegen, müßt ihr Menschen des Gebets sein, müßt ihr im Gebet Kraft und Stärke in Augenblicken der Vereinsamung und der Sehnsucht finden. Es ist gut, daß die Seeleute jeden Sonntag eine Messe hören können, die extra für sie aus Danzig übertragen wird; daß es eine besondere Seelsorge für die Seeleute in Gdingen und in Danzig gibt; es ist gut, daß in Gdingen seit vier Jahren bei der Kirche der Redemptoristen der Klub „Stella Maris“ tätig ist. Ich weiß, daß die polnischen Matrosen die Seelsorgszentren, die über die ganze Erde verstreut sind, nutzen. Ich drücke meine Freude über den guten Ruf aus, dessen ihr euch bei diesen Seelsorgstellen erfreut. Denkt daran, daß ihr Botschafter eurer Nation und Sprecher der Werte seid, aus denen sie lebt. Dies verlangt von euch eine entschlossene moralische Haltung, wenn ihr mit atheistischen Einflüssen zusammentrefft, mit Wellen der Verderbnis und Demoralisierung. Ich wende mich jetzt an alle jene, die nicht selten ganze Monate lang auf eure Heimkehr warten: an die Mütter und Väter, die Ehefrauen, Töchter und Söhne, an die Freunde und Bekannten. Möge in euren Häusern ein christlicher Geist herrschen, der Friede Christi, Liebe und gegenseitiges Vertrauen. Das geistige Band des Gebetes möge die Sehnsucht der Trennung min- 827 REISEN dem und ein besonderes Gefühl der Sicherheit schaffen, das die Arbeit und die Überwindung der Schwierigkeiten erleichtert. 7. Wenn ich zu den Seeleuten spreche, will ich mich gleichzeitig an j ene wenden, die im Küstenland und in Pommern wohnen. Die Bewohner des Danziger Küstenlandes und Pommerns stellen eine geschlossene Gesellschaft dar, die — gestützt auf historische Erfahrungen, auf polnische Traditionen und die hierher von den Menschen aus dem Wilnaer Gebiet oder aus Zentralpolen mitgebrachten Werte—das zeitgenössische Antlitz dieses Gebiets formen. Ich muß mich jedoch heute in besonderer Weise an die Nachkommen der urslawischen, dem lechischen Stamm zugehörigen Pomoranen, an die uns allen teuren Kaschuben wenden, die bis heute ihre ethnische Identität und ihre Sprache, die eine slawische Wurzel hat, bewahrt haben. Ich weiß, daß die Kaschuben immer der Kirche treu waren und blieben. Hier, in der Kaschubei, verband sich in der Zeit der Reformation und in der Periode der Teilungen die Verteidigung des Katholizismus unlösbar mit der Verteidigung des Polentums. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg begannen die Geistlichen mit einer verstärkten Bildungs- und Genossenschaftstätigkeit unter den kaschubischen Fischern und Bauern mit dem Ziel, sie vor der Germa-nisiemng zu schützen. Auch kaschubische Laien verbinden den Schutz des Polentums mit der Religion. Der berühmte Antoni Abraham begann ein Gespräch oft mit den Worten: „Wenn du Pole bist und an Gott glaubst...“ Dieses gleiche Motiv zieht sich durch das Schaffen hervorragender kaschubischer Dichter. Hieronim Jarosz Derdowski schrieb in einem seiner Werke: „Czujce tu ze serca toni sklad nasz apostolsci: Nie ma Kaszub bez Poloni, a bez KaSzub Polsci“ (O panu Czorlinscim, co do Pucka po sece jachol); er läßt auch den Refrain der Kaschubenhymne mit den uns so wohlbekannten Worten enden: „Wir halten zu Gott!“ Aleksander Malkowski pflegte zu sagen: „Mit Polen verbindet uns Blut, Geschichte und die eine Kirche.“ Was wunder also, daß die Kaschuben, als in der Zeit des Zweiten Weltkrieges beide Werte — Polentum und Glaube — bedroht waren, wie im übrigen auch das ganze Land, sofort die Verteidigung organisierten. Der Kaschubische Streit — der Pommersche Streit — die Danziger Pfadfinder der Grauen Kampfreihe — wieviel sagen uns doch diese Namen! Teure kaschubische Brüder und Schwestern! Hütet diese Werte und dieses Erbe, das für eure Identität entscheidend ist. Euch alle, eure Familien und alle eure Anliegen lege ich nieder zu Füßen der Mutter Christi, die in vielen Heiligtümern dieses Landes verehrt wird, insbesondere in Sianowo (Zanow) und in Swarzew, wo sie euch als „Königin des polnischen Meeres“ seit 400 Jahren 828 REISEN in ihrer Obhut hält, ich freue mich, daß sie hier mit uns bei dieser Begegnung ist. Pioniere aus Gdingen eröffneten neue Zukunftsperspektiven 8. Es freut mich auch, daß es mir möglich wurde, am heutigen Tage am polnischen Meer, im Danziger Pommern, auf dem Gebiete der ganzen Dreistadt zu sein. Als erstes begrüße ich Gdynia (Gdingen). Wenngleich ich auf einem von hier aus weit entfernten polnischen Gebiet aufwuchs, kann ich doch sagen, daß ich parallel zu dieser Stadt aufwuchs, die gewissermaßen zum Symbol unserer zweiten Unabhängigkeit geworden ist. Zusammen mit meiner ganzen Nation höre ich nicht auf, denen gegenüber Dankbarkeit zu hegen, die diese Stadt, diesen Ostseehafen hier von den Grundlagen, gewissermaßen aus dem Nichts heraus, geschaffen haben. Ich meine insbesondere jenen großen Polen, den Ingenieur Eugeniusz Kwiatkowski, und zusammen mit ihm alle seine Mitarbeiter. Sie waren Vertreter der Generation, die nach Jahrhunderten erneut begriffen hat, daß der Zugang zum Meer ein konstitutives Element der Unabhängigkeit Polens ist. Ein sehr bedeutsames Element. Gdingen wurde also zum Ausdruck eines neuen Willens im Leben der Nation. Zu einem überzeugenden und erfolgreichen Ausdruck. Aus diesem Gdingen, das sich nach dem letzten Krieg dynamisch entwickelte, grüße und begrüße ich herzlich die ganze Kirche von Chelmno (Kulm), ihren Hirten, Bischof Marian, die Weihbischöfe, ich begrüße auch alle unsere Gäste, die Kardinäle und Bischöfe, die meisten von ihnen kommen aus Polen, aber einige aus Rom; ich begrüße den Klerus, die männlichen und weiblichen Ordensfamilien, die Pilger aus den Diözesen Warmia (Ermland), Koszalin-Kolobrzeg (Köslin-Kolberg), Gdansk (Danzig), aber auch alle Verteter der Landesseelsorge für die Seeleute. Die Diözese Kulm hat in der Zeit des Zweiten Weltkrieges viel gelitten und viele Opfer gebracht. Sie verlor über 350 Priester. Tausende ihrer Söhne und Töchter ruhen in Massengräbern in Pias-nica bei Wejherowo, im Szpegawer Wald bei Starograd (Stargard), in Mniszek bei Swiecie, im Todestal bei Chojnice. Wie viele Bewohner dieser Gebiete sind im Todeslager von Stutthof umgekommen? Wir denken an alle, und allen gilt unser Gebet um die ewige Ruhe und um das ewige Licht in Gott. 9. Als Jesus über die Wellen des Meeres von Galiläa schritt, sagte er zu den Aposteln: „Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!“ {Mt 14,24). Danach befiehlt er dem Petrus, über die Wasserfläche zu ihm zu kommen, Entfernung und Tiefe überwindend, diese unabdingbaren Attribute des Meeres. 829 REISEN Und als Petrus wegen des starken Windes Angst bekam und unterzugehen begann, rief er: „Herr, rette mich!“ (Mt 14,30). Christus streckte die Hand zu ihm aus mit den Worten: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ (Mt 14,31). Ich möchte, daß dieses biblische Geschehen vom Meer von Galiläa mit euch bleibe, ihr Menschen der Ostsee, des polnischen Meeres und des polnischen Pommern. Bedenkt es im Zusammenhang unserer Geschichte, im Zusammenhang der Ereignisse unseres Jahrhunderts, im Zusammenhang dieser letzten, der achtziger Jahre ... Jesus sagt: „Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!“ „Warum hast du gezweifelt; Ich bin es ...“ „Herr, rette mich!“ „Ich bin es ...“ Im Namen unserer ganzen Geschichte, im Namen der ganzen Geschichte dieses Landes: Pommerns, des Küstenlandes, des polnischen Meeres antworten wir zusammen mit Simon Petrus. Du bist es. „Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn“ (Mt 14,33). Zum Abschluß sagte der Papst: Ich möchte für alle Geschenke danken, die mir hier überreicht wurden. Man kann alle diese Gaben in das eine Wort fassen: „Dar Pomerze“ (Geschenk Pommerns). Wir wissen, das ist auch der Name eines Schiffes, das seine eigene Tradition in der Geschichte des polnischen Meeres hat. Es ist ein schöner Name, denn er hat einen gewaltigen Inhalt. Er spricht von all dem, was für unser Vaterland Pommern und das Meer ist. Ein Geschenk Pommerns. Es spricht von eurer ganzen schwierigen Geschichte, gleichzeitig von dieser unbeugsamen Geschichte, von diesem Überdauern im Laufe der Jahrhunderte und eines ganzen Jahrtausends. Ich, der ich heute durch die Gnade Gottes hierherkommen konnte, möchte euch für dieses Geschenk danken. Im Namen der Kirche — denn ich komme hierher als Hirte der Kirche, aber auch im Namen unseres gemeinsamen Vaterlandes, denn ich komme als Pole hierher, zu meinen Landsleuten. Für all das, was sich in dem Wort „Geschenk Pommerns“ ausdrückt — Gott vergelt‘s! Und ich muß noch an eines erinnern: unter diesen zahlreichen Gaben, die ich erhielt, war eine, die besonders rührend ist. Ich habe nämlich ein solches Geschenk noch nie erhalten — eine Monstranz, für Bonbons. Eure Kinder haben sich Bonbons versagt, um für das Geld, das sie sich von diesem Verzicht auf Bonbons gespart haben, eine Monstranz für die Mission zu kaufen und zu spenden. Eine Monstranz — für Bonbons. Ich danke diesen Kindern sehr. Und da ich weiß, daß Kinder Bonbons lieben, denke ich also, daß sie jetzt, wo sie dieses „Geschenk Pommerns“ — 830 REISEN die Monstranz für ihre Bonbons — geopfert haben, ein wenig von diesen Bonbons essen mögen. Ich will es nicht in die Länge ziehen — aber ich möchte noch eines sagen. Es gibt für mich persönlich ein zusätzliches Motiv der Freude, daß wir uns hier begegnen konnten, daß ich hier bin: nun, ich bin von Geburt ein Mensch der Berge, ich stamme vom anderen Ende Polens. Wenn meine Schritte in diese Gegend führten, dann eher zu den Seen als zum Meer. Heute komme ich endlich ans Meer, ich bekenne dieses mein Versäumnis, daß ich wenig hierherkam, und ich möchte das wiedergutmachen. Eben, um dies wiedergutzumachen, dieses mein Lebensversäumnis, soll ich jetzt über das Meer nach Gdansk (Danzig) fahren. So hat man es beschlossen. Gelobt sei Jesus Christus! „Mehr sein“ statt „mehr haben“ Ansprache an die Jugend auf der Westerplatte bei Gdansk (Danzig) am 12. Juni 1. Euch, die ihr heute hier versammelt seid auf der Westerplatte, euch, junge Generation des polnischen Meeres und Küstenlandes, und euch, den jungen Menschen im ganzen Vaterland, entbiete ich den Gruß der Kirche Christi und den Friedenskuß. Ich entbiete diesen Gruß im Namen aller eurer Altersgenossinnen und Altersgenossen aus verschiedenen Ländern und Kontinenten, die ich besuchen kann, indem ich den Petrusdienst erfülle, der in der Kirche mit dem römischen Bischofsstuhl verbunden ist. Insbesondere den Gruß der am diesjährigen Palmsonntag in Buenos Aires mit dem Ziel versammelten Jugend, einen „Tag der Jugend“ zusammen mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus zu feiern. Dieser „Tag“ ist die Frucht vieler Pilgergruppen, die sich für gewöhnlich eben am Palmsonntag mit dem Papst auf dem Petersplatz in Rom treffen. Insbesondere aber ist er die Frucht unserer Beteiligung am „Jahr der Jugend“, das von der Organisation der Vereinten Nationen 1985 ausgerufen wurde. Heute begegnen wir einander hier, in eurer jugendlichen Gemeinschaft aus Gdansk (Danzig), Gdynia (Gdingen) und Sopot (Zoppot) — aus der Dreistadt und dem Küstenland —, an der auch Vertreter der Jugend aus ganz Polen teilnehmen, insbesondere aus den akademischen Zentren. Wir begegnen einander im Gefühl der Einheit mit allen jungen Menschen in der Welt, die der Zukunft entgegengehen — und inmitten von Ängsten, aber auch inmitten von 831 REISEN Hoffnungen Wege in diese Zukunft suchen —, wie dies die Konstitution des Konzils über die Kirche in der Welt von heute besagt. Alle wollen eine menschlichere Welt, in der jeder den seiner Berufung entsprechenden Platz finden könnte, in der jeder Subjekt seines Schicksals, gleichzeitig aber Mitteilhaber des gemeinsamen Subjektcharakters aller Mitglieder seiner Gesellschaft sein könnte. Mitgestalter eines Hauses der Zukunft, das alle zusammen bauen müssen, im Bewußtsein der eigenen Pflichten, aber auch der eigenen, unveräußerlichen menschlichen Rechte. Die Gebote Gottes enthalten unrelativierbare Wahrheit 2. Im Laufe des weltweiten „Jahres der Jugend“ beugten wir uns gemeinsam mit den Jugendlichen der ganzen Kirche über ebendiesen Text des Evangeliums, der heute hier verlesen wurde. Das ganze Apostolische Schreiben „An die Jugendlichen in der Welt“, das ich in ebendiesem Jahr an alle — natürlich auch an die polnische Jugend — richtete, war eigentlich eine breite Analyse dieser Begegnung und dieses Gespräches Christi mit dem Jüngling (O.R. dt., 29.3.85, S. 5 ff.). Auch heute nehme ich bezug auf dieses Schreiben. Gleichzeitig will ich, indem ich die besonderen Umstände unserer Begegnung auf der Westerplatte berücksichtige, gemeinsam mit euch noch einmal diese Begegnung im Evangelium und dieses Gespräch analysieren. Der junge Mann fragt Christus: „Was muß ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ (Mk 10,17). In der Antwort weist der, den der junge Mann „guter Meister“ (vgl. Mk 10,17) nennt, ihn auf die Gebote Gottes hin: Du kennst doch die Gebote: Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen, du sollst keinen Raub begehen, ehre deinen Vater und deine Mutter“ {Mk 10,19). Gottes Gebote. Der Dekalog. Wir kennen sie gut. Wir kennen sie auswendig — und wir wiederholen sie oft. Sie sprechen wegen der unmittelbaren Selbstverständlichkeit der in ihnen enthaltenen Wahrheit jeden Menschen an. Diese Gebote hat Gott dem Volk des Alten Bundes durch Vermittlung von Mose gegeben, aber gleichzeitig sind sie, auch ohne daß sie gegeben wurden, „ins Herz“ des Menschen geschrieben. Daß Gott diese Gebote gibt, ist gewissermaßen eine Bestätigung dessen, daß sie im moralischen Bewußtsein des Menschen anwesend sind. Es ist zugleich eine Verstärkung ihrer verbindlichen Kraft im Gewissen eines jeden. 3. Auf diese Weise befinden wir uns im unmittelbaren Zentrum des Problems, das den Namen Mensch trägt. Der Mensch: jeder und jede von uns. Der Mensch ist er selbst durch die innere Wahrheit. Dies ist die Wahrheit des 832 REISEN Gewissens, die sich in Taten spiegelt. In dieser Wahrheit ist jeder Mensch sich selber zur Aufgabe gemacht. Jedes dieser Gebote, das der junge Gesprächspartner Christi voller Überzeugung nennt, jedes Moralprinzip ist ein besonderer Punkt, von dem Wege des Verhaltens, vor allem aber Wege des Gewissens ausgehen. Der Mensch folgt der hier zum Ausdruck gebrachten Wahrheit, die ihm gleichzeitig sein Gewissen diktiert, oder aber er handelt gegen diese Wahrheit. An dieser Stelle beginnt ein wahres Drama, das so alt ist wie der Mensch. An dem Punkt, den Gottes Gebot aufzeigt, wählt der Mensch zwischen Gut und Böse. Im ersten Fall wächst der Mensch, wird mehr zu dem, der er sein soll. Im anderen Fall degradiert sich der Mensch. Die Sünde macht den Menschen kleiner. Ist es nicht so? Schaut euch um in der ferneren und weiteren Umgebung. Ist es nicht so? Der Mensch ist der Ort, wo sich Gottes Wahrheit ereignet 4. Man spricht zu Recht von den Menschenrechten. Man unterstreicht, besonders in unserer Epoche, die Bedeutung dieser Rechte. Man darf jedoch nicht vergessen, die Menschenrechte sind dafür da, daß jeder Mensch einen Raum erhält, der zur Erfüllung seiner Aufgaben und Pflichten notwendig ist. Dafür, daß er sich auf diese Weise entfalten kann. Daß er mehr Mensch werden kann. Die Menschenrechte müssen Grundlage dieser moralischen Kraft werden, die der Mensch durch seine Treue zur Wahrheit und zur Pflicht gewinnt, durch Treue zu seinem aufrechten Gewissen, ja, durch Treue zu den Geboten Gottes, so wie davon in dem Gespräch Christi mit dem jungen Mann die Rede ist. Denn es geht um dauerhafte und unveränderliche Werte. Der junge Mann im Evangelium ist sich bewußt, daß die Einhaltung der Gebote Gottes ein Weg zum „ewigen Leben“ ist. Ja. Der Mensch lebt in dieser Perspektive. Und diese Perspektive, die des ewigen Lebens, der Begegnung mit Gott, der mein Schöpfer ist, mein Vater und Richter, ist die Quelle der moralischen Kraft des Menschen. Was kann ich euch jungen Menschen im Heimatland wünschen, die ihr unter nicht selten schwierigen materiellen Bedingungen heranwachst, manchmal geradezu mit einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit? Was kann ich euch wünschen? Ich meine, wir irren uns in diesem Punkte sicher nicht, wenn wir den Text des Evangeliums auslegen. Diese Perspektive, die Christi Worte in uns begründen, ist für den Menschen, von Jugend auf, eine Quelle moralischer Kraft. Der Junge, das Mädchen, die es lernen, mit Gott auf dem Boden der inneren 833 REISEN Wahrheit ihres Gewissens zu verkehren, sind stark. Sie können verschiedenen Situationen, selbst wenn diese sehr schwierig sind, die Stirn bieten. 5. Eine Gefahr ist das Klima des Relativismus. Eine Gefahr ist die Erschütterung der Prinzipien und Wahrheiten, auf denen Würde und Entwicklung des Menschen gründen. Eine Gefahr ist es, wenn Meinungen und Anschauungen einsickem, die dieser Erschütterung dienen. Von Aktualität sind hier die Worte Kardinal Newmans, man brauche „Menschen, die ihre Religion kennen und die sie vertiefen; die genau wissen, welches ihre Position ist; die sich bewußt sind, woran sie glauben und woran nicht; die so gut ihr ,Credo“ kennen, daß sie imstande sind, sich darüber Rechenschaft abzulegen; die bis zu dem Grade Geschichte kennengelernt haben, daß sie es verstehen, sie zu verteidigen“ (John Henry Newman, On Consulting the Faithful in Matters ofDoctrine, London 1986, S. 76). Der junge Mann aus dem Evangelium hatte eine sehr klare Anschauung von den Prinzipien, nach denen das menschliche Leben aufgebaut werden muß. Dennoch vermochte er in einem gewissen Augenblick nicht, die Schwelle seiner Bedingtheiten zu überschreiten. Als Christus sich an ihn wandte und, weil er ihn liebte, sagte: „Folge mir nach!“ (vgl. Mk 10,21), da folgte er nicht. Er folgte ihm nicht, denn „er hatte ein großes Vermögen“ (vgl. Mk 10,22). Das Verlangen, alles das zu behalten, was er hatte, hinderte ihn. Das Verlangen, zu „haben“, „mehr zu haben“, hinderte ihn daran, „mehr zu sein“. Denn der Weg, den Christus wies, führte dazu: „mehr zu sein“! Stets führen die Weisungen des Evangeliums dorthin. In ausnahmslos jedem Beruf oder jeder Berufung führt die Aufforderung Christi dorthin. Eure Berufung und eure Berufe sind unterschiedlich. Ihr müßt sehr wohl erwägen, in welchem Verhältnis — auf jedem dieser Wege — das „Mehr-Sein“ zum „Mehr-Haben“ steht. Nie aber darf das „Mehr-Haben“ obsiegen. Denn dann kann der Mensch das Wichtigste verspielen: sein Menschtum, sein Gewissen, seine Würde. Alles das, was auch die Perspektive des „ewigen Lebens“ darstellt. Das „ewige Leben“ ist das Himmelreich. Die Gebote Gottes stellen den Weg zu ihm dar. Aber ... ist es nicht wahr, daß von ihnen gleichzeitig das abhängt, was man hier auf Erden „Reich des Menschen“ nennen kann? Kann das Leben an irgendeinem Platz der Erde ein „Reich des Menschen“ sein, wenn man diese Gebote verwirft: du sollst nicht töten, du sollst nicht Ehe brechen, du sollst nicht falsch aussagen, ehre deinen Vater und deine Mutter, liebe deinen Nächsten? 834 REISEN 6. Christi junger Gesprächspartner „ging weg“ und er „ging traurig weg“ (vgl. Mk 10,22). Warum traurig? Vielleicht war er sich dessen bewußt, wieviel er verliert. In der Tat. Er hat unerhört viel verloren. Wäre er bei Christus geblieben, so wie die Apostel, hätte er den Tag des Pascha in Jerusalem erlebt. Er hätte das Kreuz auf Golgota erlebt, aber später auch die Auferstehung und die Herabkunft des Heiligen Geistes. Er hätte jene wunderbare Verwandlung erfahren, die den Aposteln am Pfingsttage zuteil wurde. Sie wurden zu neuen Menschen. Sie erlangten die innere Kraft der Wahrheit und der Liebe. Wenn dieser junge Mensch bei Christus geblieben wäre, so hätte er sich davon überzeugt, daß er — der Lehrer und Meister — „da er die Seinen... liebte ..., ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ erwies (Joh 13,1). Und eben durch diese Liebe „bis zur Vollendung“ „gab er (ihnen) Macht, Kinder Gottes zu werden“ (vgl. Joh 1,12). Sie — Menschen, gewöhnliche, schwache Menschen. Ebendeshalb versammelt sich die Kirche in Polen in diesen Tagen des Eucha-ristischen Kongresses bei dieser Liebe Christi „bis zur Vollendung“, um die Quelle dieser gleichen geistigen Macht vor allen Söhnen und Töchtern dieses geprüften polnischen Landes zu entdecken, um diese Kraft und Macht insbesondere für euch, junge Menschen, zu entdecken. Drohendes Sinndefizit nicht mit billigen Angeboten aujfilllen 7. Diese Kraft und Macht des Geistes, die Kraft des Gewissens und des Herzens, die Kraft der Gnade und der Charaktere, ist gerade in dieser eurer Generation besonders unabdingbar. Diese Kraft ist notwendig, um der Versuchung der Resignation, der Gleichgültigkeit, des Zweifels oder der inneren Emigration zu widerstehen; der Versuchung einer vielfältigen Flucht vor der Welt, vor der Gesellschaft, vor dem Leben, auch einer Flucht in buchstäblicher Bedeutung des Wortes — wenn man das Vaterland verläßt; der Versuchung der Hoffnungslosigkeit, die zur Selbstzerstörung der eigenen Persönlichkeit, des eigenen Menschentums durch Alkoholismus, Drogensucht, sexuellen Mißbrauch oder dadurch führt, daß man in Sekten oder Vereinigungen, die der Kultur, der Tradition und dem Geist unserer Nation so fremd sind, Erfahrungen und Genuß sucht. Diese Kraft ist notwendig, um selber in der Lage zu sein, zu den Quellen der Erkenntnis der wahren Lehre Christi und der Kirche zu gelangen, besonders dann, wenn man euch mit verschiedenen Methoden zu überzeugen versucht, daß das „Wissenschaftliche“ und „Fortschrittliche“ dem Evangelium widerspricht, wenn man euch eine Befreiung und Erlösung ohne Gott, ja sogar gegen Gott, anbietet. 835 REISEN Diese Kraft ist notwendig, um in der Gemeinschaft der Kirche zu leben, eure auf der Annahme Christi als der Wahrheit gründende Umgebung mitzugestalten, um der Gemeinschaft den eigenen Reichtum mitzuteilen, aber auch die eigenen Wege des Suchens. So viele Herzen gibt es, so viele Herzen, die auf das Evangelium warten. Diese Kraft ist notwendig, um im Alltag mutig zu leben, auch in einer objektiv schwierigen Wirklichkeit, um dem Gewissen im Studium, in der Berufsarbeit treu zu bleiben, um dem heute modischen Konformismus nicht zu erliegen, um nicht zu schweigen, wenn einem andern Unrecht geschieht, sondern um den Mut zu haben, berechtigten Widerspruch anzumelden und zur Verteidigung anzutreten. „Mehr sein.“ Das heutige „Mehr-Sein“ eines jungen Menschen, das ist der Mut, an der vollen Initiative festzuhalten — ihr könnt darauf nicht verzichten, davon hängt die Zukunft eines jeden und aller ab —, festzuhalten am pulsierenden Zeugnis des Glaubens und der Hoffnung. „Mehr sein“, das bedeutet sicher nicht Flucht vor einer schwierigen Situation. Die Kraft erfüllt dein Heiz mit diesem lebenspendenden Trank. Diese Kraft ist notwendig, um ein authentisches Leben des Glaubens zu leben, ein sakramentales Leben, das besonders im Sakrament der Buße sich erneuert und in der Eucharistie zum Ausdruck kommt. Die bewährte Kraft Christi treibt den Menschen zum wahren Sein Diese Kraft ist notwendig, um in der eigenen Umgebung trotz allem durch Freude und Hoffnung apostolisch zu wirken, um sich selber den anderen in der Arbeit, in der Familie, in der Schule oder auf der Hochschule, in der Pfarrgemeinde, in der Gruppe und überall zu widmen — nach dem Maß der eigenen Möglichkeiten. Diese Kraft, die von Christus kommt, die im Evangelium enthalten ist, sie ist notwendig, um sich zu fordern. Notwendig dafür, daß ihr euch in eurem Verhalten nicht von dem Wunsch leiten laßt, die eigenen Sehnsüchte um jeden Preis zu befriedigen, sondern vom Gefühl der Pflicht: ich will das erfüllen, was richtig ist, was meine Berufung, was meine Aufgabe ist. Ich sagte vor vier Jahren auf Jasna Göra: „Ihr müßt euch selbst fordern, auch wenn andere keine Anforderungen an euch stellen“ (18. Juni 1983). Entgegen allen Trugbildern eines leichten Lebens müßt ihr euch fordern. Das eben bedeutet dieses „Mehr-Sein“. Die Zukunft Polens hängt von euch ab und muß von euch abhängen. Das ist unser Vaterland — das ist unser „Sein“ und unser „Haben“. Und nichts kann uns das Recht nehmen, daß die Zukunft dieses unseres „Sein“ und „Haben“ nicht von uns abhängen soll. Jede Generation von Po- 836 REISEN len, insbesondere im Laufe der letzten 200 Jahre, aber auch früher, ein ganzes Jahrtausend hindurch, wurde vor das gleiche Problem gestellt, man kann es das Problem der Arbeit an sich selbst nennen. Und — das muß man sagen — wenn nicht alle, so sind auf jeden Fall sehr viele nicht vor der Antwort auf die Herausforderung ihrer Zeit geflüchtet. Für den Christen ist eine Situation nicht hoffnungslos. Der Christ ist ein Mensch der Hoffnung. Das zeichnet uns aus, angefangen von diesem Patriarchen, den der heilige Paulus den Vater unseres Glaubens nannte: er glaubte wider alle Hoffnung; das zeichnet uns aus durch die Gottesgebärerin, von der Elisabeth bei der Heimsuchung sagte: „Selig bist du, weil du geglaubt hast.“Ganz menschlich, wider alle Hoffnung glaubte sie, daß es geschehen werde, denn in der Geschichte des Menschen wirkt Gott. Christus hat gesagt: „Mein Vater wirkt und ich wirke.“ Das Motiv „Westerplatte“ hat seine Aussagekraft bis heute nicht verloren 8. Wir wissen, hier, an dieser Stelle, auf der Westerplatte, harrte im September 1939 eine Gruppe junger Polen, Soldaten, unter Führung Major Henryk Sucharskis in heldenmütigem Widerstand aus und stellte sich einem ungleichen Kampf gegen den Aggressor, einem heldenhaften Kampf. Sie sind in der Erinnerung der Nation ein beredtes Symbol geblieben. Es ist notwendig, daß dieses Symbol immerfort spricht, daß es eine Herausforderung für immer neue Menschen und Generationen von Polen darstellt. Jeder von euch, junge Freunde, findet auch in seinem Leben irgendeine eigene „Westerplatte“. Eine Dimension von Aufgaben, die angegangen und erfüllt werden müssen. Eine gerechte Sache, für die man nicht umhin kann zu kämpfen. Eine Pflicht, eine Schuldigkeit, der man nicht ausweichen kann. Vor der man nicht „desertieren “ kann. Schließlich — eine Ordnung der Wahrheiten und der Werte, die man „halten“ und „verteidigen“ muß, so wie diese Westerplatte, in sich und in seinem Umkreis. Ja, verteidigen — um seiner selbst und um der anderen willen. Bischof Kozal, der Märtyrer von Dachau, sagte: „Mehr als die Niederlage der Waffen entsetzt der Verfall des Mutes bei den Menschen. Der Zweifelnde wird wider Willen zum Bundesgenossen des Feindes“ (Wojciech Fratczak, Bischof Michal Kozal, in: Christen, Bd. 12, Katholische Theologische Akademie, Warschau 1982, S. 85). Es ist sehr gut, daß ihr die Worte dieses Dieners Gottes beklatscht habt. Dies ist gleichsam ein letztes Argument für die Seligsprechung, die am Sonntag in Warschau stattfinden soll. Gerade hier, liebe Freunde, in einem solchen Augenblick, nennen wir ihn einmal den „Augenblick der Westerplatte“, und ähnliche Augenblicke gibt es 837 REISEN viele, sie stellen nicht nur eine historische Ausnahme dar, sie wiederholen sich im Leben der Gesellschaft, im Leben eines jeden Menschen. In einem solchen Augenblick also denkt daran: hier kommt in deinem Leben Christus vorbei und er sagt: „Folge mir.“ Verlasse ihn nicht. Geh nicht weg. Nimm diesen Ruf an. Andernfalls bewahrst du dir vielleicht „ein großes Vermögen“, so wie der Mann im Evangelium, aber du „gehst traurig weg“. Du wirst Zurückbleiben mit der Trauer deines Gewissens. 9. Teure Freunde! Ich möchte euren Altersgenossinnen und Altersgenossen an verschiedenen Orten der Erde, wenn ich sie, wie euch heute hier, auf verschiedenen Kontinenten und in verschiedenen Ländern treffe, sagen: daß es in Polen junge Menschen gibt, die eine bessere, eine menschlichere Welt wollen. Seine Welt der Wahrheit, der Freiheit, der Gerechtigkeit und Liebe. Ich möchte diesen euren Altersgenossen und Altersgenossinnen auf der ganzen Welt sagen, daß es in Polen Menschen gibt, die — trotz aller Schwierigkeiten — bemüht sind, diesen grundlegenden Wunsch in die Tat umzusetzen und zur Wirklichkeit ihrer Umgebung, ihrer Nation und ihrer Gesellschaft zu machen. Ich möchte ihnen sagen, daß diese Menschen ihre Altersgenossinnen und Altersgenossen in Polen, am Gespräch mit Christus festhalten: sie hören seinen Ruf „Folge mir“, und sie bemühen sich, diesen Ruf auf die veschiedenen Berufungen und „Gaben“ anzuwenden, die ihr Teil in der Kirche und in der Gesellschaft sind; daß sie sich nicht von unserem Meister und Erlöser mit traurigem Gewissen trennen wollen, sondern bei ihm dauerhafte Kraft und Freude suchen, eine solche Kraft und eine solche Freude, wie „die Welt sie nicht gibt“ (vgl. Joh 14,27). Wie nur er sie gibt: Christus — und seine Eucharistie. 838 REISEN Jeden Preis für die Gesundheit zahlen Ansprache an die Kranken in der Marienkirche in Gdansk (Danzig) am 12. Juni Geliebte Brüder und Schwestern! 1. Christus wird zum Lager eines Kranken gerufen. „Herr, mein Diener liegt gelähmt zu Hause und hat große Schmerzen.“ „Ich will kommen und ihn gesund machen“ {Mt 8,6.7). Dies ist das Ereignis — eines von vielen; das ganze Evangelium ist voll von ähnlichen Ereignissen. Christus wird zu Kranken gerufen. Christus wird von Kranken gerufen. Christus im Dienste der leidenden Menschen. Die Worte der Heiligen Schrift, die wir bei der heutigen Begegnung lesen, sind dann an uns alle und an jeden von uns gerichtet, wenn wir mit dem Leiden eines anderen Menschen, unseres Bruders oder unserer Schwester, konfrontiert werden. Dann sind wir gerufen. Alle, gewissermaßen alle sind wir aufgerufen — wenn auch jeder in anderer Weise. Der Ruf — die Einladung, die der Hauptmann im Evangelium an Christus richtete, wiederholt sich unaufhörlich. An verschiedenen Orten leidet der Mensch, manchmal hat er „große Schmerzen“. Und er ruft nach einem anderen Menschen. Er braucht seine Hilfe. Er braucht seine Gegenwart. Wenn also irgendeiner von uns, teure Brüder und Schwestern, irgendwo in diesem polnischen Land von menschlichem Leid angerufen wird, dann möge ihm dieses Ereignis aus dem Evangelium vor Augen stehen und Christus, der zu dem Hauptmann sagt: „Ich will kommen und ihn gesund machen.“ Manchmal macht uns das befangen, daß wir nicht „gesund machen“ können, daß wir in keiner Weise helfen können. Laßt uns diese Befangenheit überwinden. Wichtig ist es, zu kommen, beim leidenden Menschen zu sein. Vielleicht braucht er mehr noch als die Gesundheit einen Menschen, ein menschliches Herz, menschliche Solidarität. 2. Das Ereignis im Evangelium bezieht sich in besonderer Weise auf euch alle, die ihr euren Ruf, eure Lebensberufung, mit dem menschlichen Leid verbunden habt: auf euch Ärzte, auf euch Apotheker, auf euch Krankenschwestern, Laborantinnen, auf euch, die ihr mit der Rehabilitation befaßt seid. Auf euch — alle, von denen bei der Bezeichnung „Gesundheitsdienst“ die Rede ist. Ihr vor allem, teure Brüder und Schwestern, müßt Christus vor Augen haben, der zu dem gelähmten Diener des Hauptmanns gerufen wird — Christus, 839 REISEN der sagt: „Ich will kommen.“ Das ist auch eure Antwort: „Ich will kommen“ ... Ich will das in meinen Kräften Stehende für deine Gesundheit tun ... Wenn ich das so sage, habe ich die hier Anwesenden vor Augen: die Ärzte, die Krankenschwestern, alle Vertreter des Gesundheitswesens, gleichzeitig alle eure Kollegen und Kolleginnen im ganzen polnischen Land. Ich habe die Institutionen vor Augen, die der menschlichen Gesundheit dienen: die ärztlichen und zahnärztlichen Ambulanzen, die Krankenhäuser, die Kliniken, die Institute, die Kurorte, Sanatorien und Pflegeheime. Stets hegte ich und hege weiterhin tiefe Hochachtung vor dieser Berufung, die so sehr Evangelium und gleichzeitig in der ganzen humanitären Tradition der Menschheit, auch der vorchristlichen und nichtchristlichen, verwurzelt scheint. Christus, der sagt: „Ich will kommen und ihn gesund machen.“ Und jeder von euch, der sagen muß und sagt: „Ich will kommen, ich will alles, was in meinen Kräften steht, für deine Gesundheit tun.“ 3. „Ich will alles tun“ — das heißt, ich werde den Willen, die Bereitschaft haben und auch Freude empfinden, daß ich dem Leidenden helfe, daß ich beim Leiden eines Menschen innehalte, daß ich sensibel bin für fremdes Leid, daß es mich anrührt — Freude empfinden über die Samaritergabe, die der kranke Mensch so sehr nötig hat. Der Gesundheitszustand der polnischen Bevölkerung weckt begründete Ängste. Weiterhin nehmen in dieser Bevölkerung Kreislauf- und Geschwulstkrankheiten zu, weiterhin zeigen viele Personen, darunter Jugendliche, eine Abhängigkeit von Alkohol, Drogen und Nikotin. Unbefriedigend ist auch der Gesundheitszustand der Kinder. Dies ist ein großes Betätigungsfeld für den vorbeugenden und behandelnden Gesundheitsdienst. Bedrückend ist die Tatsache, daß in Abteilungen von Krankenhäusern in Massen Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden. Die heutige Medizin hat sich sehr entwickelt und spezialisiert. Deshalb muß man, damit „alles für die Gesundheit des Menschen getan“ werden kann, angemessene Bedingungen dafür schaffen, wie zum Beispiel: eine ausreichende Zahl entsprechend mit medizinischem Gerät und mit Apparaturen ausgestatteter Krankenhäuser, Ambulanzen, angemessener Arzneien und anderer Hilfsmittel, deren Mangel in Polen leider zu spüren ist. Dieser Mangel, das Fehlen von Krankenhausbetten, lange Warteschlangen in den ärztlichen Ambulanzen, das Warten auf einen operativen Eingriff — all das erschwert die ohnehin schon nicht leichte und sehr verantwortliche Tätigkeit der Ärzte. Das verlangt von ihnen gleichzeitig, daß sie eine um so größere moralische Sensibilität und ein hohes Berufsethos haben und daß sie ihre dienende Rolle gegenüber dem Leidenden begreifen. 840 REISEN Man muß um jeden Preis an der schönen polnischen Tradition festhalten, die Tätigkeit des Arztes oder der Krankenschwester nicht nur als Beruf, sondern auch — und vielleicht vor allem — als Berufung anzusehen. Die Fürsorge für Behinderte und Alte, die Fürsorge für psychisch Kranke — diese Gebiete sind mehr als irgendein anderes Gebiet des sozialen Lebens ein Maßstab für die Kultur einer Gesellschaft und eines Staates. Wenn ich mich in diesen schweren Alltag der Mitarbeiter des Gesundheitsdienstes hineinversetze, dann „denke ich an alle Menschen, die mit ihrem Wissen und ihrer Fähigkeit den leidenden Nächsten vielfältige Dienste leisten“ — und ich möchte, im Namen der Kirche, ihnen den Ausdruck tiefer Anerkennung und Dankbarkeit aussprechen. Mit dem leidenden Jesus am Kreuz kann sich der Kranke identifizieren 4. „Mein Diener ... hat große Schmerzen.“ Christus ist nicht nur der „Gesundmachende“, wenn er das Beispiel des Evangeliums für alle bildet, die den Kranken dienen. Christus sagt von sich gleichzeitig: „Ich war krank“. Und diese Worte gehören zum Bild des Letzten Gerichts nach dem Matthäus-Evangelium: „Ich war krank, und ihr habt mich besucht“ (vgl. Mt 25,36). Wir sehen Jesus im Evangelium nicht als Kranken auf dem Schmerzenlager — aber wir finden ihn am Gipfel des Leids: gequält, schrecklichen Torturen des Leibes und der Seele unterworfen. Wir sehen ihn zuerst bei der geistigen Agonie am Olberg und am anderen Tag bei der schrecklichen Agonie der Kreuzigung. Wahrlich, er ist ein Schmerzensmann. Wahrlich, er durchschritt den Zenit menschlichen Leidens: physischen und moralischen Leidens — verhöhnt und verachtet von den Menschen. Tatsächlich „ein Wurm und kein Mensch, der Leute Spott, vom Volk verachtet“ (vgl. Ps 22,7). Der „sich erniedrigte und gehorsam war bis zum Tod“ (vgl. Phil 2,8). Also wird er am Tage des Gerichtes sagen können: „Ich war krank“, ich habe den Kelch des Leidens bis zur Neige getrunken ... Er kann es so sagen. Und wenn die Menschen, erstaunt über seine Worte, fragen werden: „Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?“, dann wird er ihnen antworten: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (vgl. Mt 25,39-40). 5. Teure Brüder und Schwestern, die ihr hier versammelt seid, und alle Kranken und Leidenden im polnischen Land! Was Christus da sagt, ist ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist diese seine Identifizierung mit jedem und mit jeder von euch. Das ist zugleich eine aus dem Evangelium stammende „Identitätskarte“ für jeden und für jede. Und der heilige Paulus, der gleichsam den in 841 REISEN den obengenannten Worten des Erlösers enthaltenen Gedanken zu Ende führt, schreibt: Ich „ergänze ... in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt“ (für seinen Leib, der die Kirche ist) (vgl. Kol 1,24). Dieser für den einzelnen und für die ganze Kirche so grundsätzlichen Frage widmete ich in dem Apostolischen Schreiben Salvifici doloris viel Raum: „Das Geheimnis der Kirche kommt darin zum Ausdruck, daß schon in der Taufe, die mit Christus verbindet, und dann durch sein Opfer — auf sakramentale Weise durch die Eucharistie — die Kirche fortwährend als Leib Christi geistlich auferbaut wird. In diesem Leib will Christus mit allen Menschen verbunden sein, und er ist es ganz besonders mit denen, die leiden ... Zugleich jedoch hat Christus im Geheimnis der Kirche als seines Leibes gewissermaßen sein Erlöserleiden jedem anderen Leiden des Menschen geöffnet. Insofern der Mensch — an jedem Ort der Welt und in jeder Zeit der Geschichte — an den Leiden Christi teilhat, ergänzt er auf seine Weise jenes Leiden, durch das Christus die Erlösung der Welt vollbracht hat“ (Salvifici doloris, Nr. 24). Von daher findet der Leidende „gleichsam eine neue Dimension seines ganzen Lebens und seiner Berufung.“ Auf diesem Wege des Dienstes begegnen einander der Priester und Arzt, um gemeinsam dem Kranken zu dienen, dessen Leidensbereich differenziert und vieldimensional ist, so wie auch die Existenz des Menschen viele Dimensionen hat. Ein solcher gemeinsamer seelsorgerisch-medizinischer Dienst hat eine besondere Bedeutung für jenen Kranken, der sich dem Ende seines irdischen Lebens nähert. Voller Anerkennung denke ich an das „Hospizium“, das in Danzig seinen Dienst aufgenommen hat und auf andere Städte aus strahlt. Es entstand aus der gemeinsamen Sorge der Krankenpastoral und der am Krankenbett stehenden Ärzte um einen gebührenden Platz und angemessene Bedingungen für die Kranken am Ende ihres Lebens. Diese Sorge kommt darin zum Ausdruck, daß man sich gemeinsam über den Kranken in seinem Hause beugt und über ihn wacht, indem man sich dafür in herzlicher und selbstloser Weise hingibt. Aber eine noch größere Gabe ist die Klugheit und die Reife, die man von dem Schwerkranken erhält: „Wenn dieser Leib schwerkrank und völlig darnieder liegt, wenn der Mensch gleichsam unfähig zum Leben und Handeln geworden ist, treten seine innere Reife und geistige Größe um so mehr hervor und bilden eine eindrucksvolle Lehre für die gesunden und normalen Menschen“ (Salvifici doloris, Nr. 26). Mit unerhörter Dankbarkeit hörte ich die Ansprache eines von euch, der hier versammelten Kranken, gesprochen im Namen nicht nur der hier Anwesenden, sondern aller Kranken und aller in irgendeiner Weise im polnischen Land Leidenden. Ich hörte mit großer Ergriffenheit diesen bedeutsamen Brief von Kranken, der gleichsam eine polnische Ergänzung meines Briefes an die 842 REISEN Kranken über das Leiden ist, den ich vor einigen Jahren verfaßte. Wenn ich das sage, greife ich gleichsam schon der Rundfunkansprache voraus, die ich am nächsten Sonntag im Zusammenhang mit der heiligen Messe halte, die aus der Heilig-Kreuz-Kirche über den Rundfunk ausgestrahlt wird. 6. Das menschliche Leiden ist immer ein Geheimnis. Und es fallt dem Menschen selber sehr schwer, dessen Dunkel zu durchdringen. Am Horizont unseres Glaubens bleibt dieser eine Bezugspunkt: das Kreuz Christi — der Zenit menschlichen Leidens, und zwar des Leidens eines zutiefst Unschuldigen, eines Opferlamms ohne Makel. Wenn wir die Eucharistie feiern, sprechen wir im Augenblick der heiligen Kommunion: Lamm Gottes, das du hinwegnimmst die Sünden der Welt ... Und es ertönt die Antwort: Herr, ich bin nicht würdig, daß du eingehst unter mein Dach. Diese Worte kamen aus dem Mund des Hauptmanns. Sie gehören zu der gesamten Einladung, die den Erlöser zu dem Diener ruft, der „gelähmt ... große Schmerzen“ hat. „Herr, ich bin es nicht wert, daß du mein Haus betrittst; sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund“ {Mt 8,8). „... sprich nur ein Wort, dann wird meine Seele gesund.“ Die Tage des Eu-charistischen Kongresses in Polen sind eine Zeit, in der jeder von uns in sich selbst das tiefe Bewußtsein dieser Worte erneuern muß, die zum ersten Mal von dem römischen Hauptmann gesprochen wurden. Teure Brüder und Schwestern! Alle Kranken und Leidenden. Ihr seid sehr tief in dieses ergreifende Geheimnis des Glaubens aufgenommen: Kreuz — Eucharistie — Abendmahlssaal — Worte des Hauptmanns. Denkt daran, daß Christus uns durch das Kreuz „seine Liebe bis zur Vollendung“ erwies (vgl. Joh 13,1) und daß diese Liebe in der Eucharistie fortdauert. Denkt daran! Dies sei eure Stärke in der Schwachheit. Auch ihr seid gerufen, „bis zur Vollendung“ Liebe zu erweisen. Auch ihr, teure Brüder und Schwestern, ihr Ärzte, Krankenschwestern, Mitarbeiter des Gesundheitsdienstes — auch ihr seid gerufen, „bis zur Vollendung“ Liebe zu zeigen. Bedenkt, was das bedeutet! Was dies bedeutet?! 843 REISEN Ich bete für dieses große Erbe der „Solidarnosc“ Predigt bei der hl. Messe für die Werktätigen in Gdansk (Danzig) am 12. Juni 1. „Deine Ehre, dein Ruhm, unser ewiger Herr.“ Wenn die eucharistische Prozession an Fronleichnam aufbricht, dann ertönt in den Straßen der Stadt oder auf den Wegen der Dörfer dieses altpolnische Lied. An diesen Tagen ertönt dieser prächtige Hymnus noch kraftvoller auf dem ganzen Wege des Eucharistischen Kongresses in Polen. Heute in Gdansk (Danzig). Was ist dein Ruhm, Christus? Was begleitet die Ehre der Kirche von Generation zu Generation? Dein Ruhm ist es, daß du dich geopfert hast..., „daß du dich geopfert für uns Unwürdige“. Daß du unaussprechlicher, unergründlicher Gott, der „in unzugänglichem Licht wohnt“ (vgl. 1 Tim 6,16), so schrecklich „zugänglich“ geworden bist. Dich — als das Fleisch gewordene Wort, als den Menschensohn — konnten nicht nur menschliche Augen schauen und menschliche Hände berühren, sondern der Mensch konnte dich ans Kreuz schlagen, er konnte dich hineinziehen in die Erfahrung des Todes, der sein Teil und seine Notwendigkeit auf dieser Erde ist, er konnte dich mit Schande bedecken, als du dich selber als Opfer des ewigen Geistes „erniedrigen“ wolltest „bis zum Tod“ (vgl. Phil 2,8). Und nicht nur das. Du, der du, da du alle liebtest, die in der Welt waren, „ihnen ... Liebe bis zur Vollendung“ erwiesen hast (vgl. Joh 13,1), wurdest für alle Zeiten zur Eucharistie — zum Opfer und zur Nahrung —. für deine Kirche! Das ist dein Ruhm, Christus. Das ist dein Ruhm, Gott, dessen Name „Liebe“ ist (vgl. 1 Joh 4,8). Das ist dein Ruhm, unser ewiger Herr ... 2. Heute, auf dem Wege meiner Pilgerfahrt durch das Vaterland, der zugleich der Weg des Eucharistischen Kongresses ist, grüße und begrüße ich Danzig. Ich bringe meine Freude zum Ausdruck, daß ich hier zusammen mit euch sein kann. Danzig — eine über tausendjährige Stadt, wohin der heilige Wöjciech (Adalbert) im Frühjahr 997 auf dem Wege zu den Pruzzen kam „und die Scharen des Volkes die Taufe annahmen“. Danzig, das — in den wechselnden Läufen der Geschichte — immer an der Mündung der Weichsel harrte, des Stroms der polnischen Lande. Und ständig eröffnete es uns hier, an der Ostseeküste, jene Perspektiven, die den Menschen auf Erden das Meer zeigt. Die Perspektiven der uferlosen Weite, die Perspektiven der Tiefe ihrer Wasser, die Perspektiven der Freiheit. Der Mensch fühlt sich auf der Fläche des Meeres frei, befreit von jenen Bedingtheiten, die das Leben auf dem Lande schafft, und 844 REISEN gleichzeitig den Anforderungen eines neuen Elementes unterworfen; Er wird mobilisiert zu neuer Verantwortung. Ich grüße und begrüße Danzig. Ich grüße in ihm alles das, was es für uns in den verschiedenen Etappen der geschichtlichen Vergangenheit war — auch das, wozu es in den letzten Jahren wurde. Dies bringen die symbolischen Kreuze neben der Werft und die Aufschrift in Erinnerung: „Der Herr gebe Kraft seinem Volk. Der Herr segne sein Volk mit Frieden.“ Danzig: Stadt der Seeleute, Stadt der Werktätigen, der Menschen, die eine große Arbeit leisten. Ich grüße die Stadt und das Milieu, in dem erneut das Bedürfnis zur Erneuerung des Menschen durch die Arbeit geboren wurde, das Bedürfnis zur Befreiung des Menschen durch die Arbeit. Ich grüße die hier anwesenden Pilger aus der Erzdiözese Gnesen und aus den nahen Diözesen: Chelmno (Kulm), Warmia (Ermland), Koszalin-Kolobrzeg (Köslin-Kolberg). Ich begrüße alle und jeden einzelnen! Gott gibt dem Menschen die Erde als Aufgabe 3. Die heutige Liturgie spricht zu uns von dieser Erneuerung und Befreiung, indem sie auf die biblischen Anfänge des Menschen auf Erden zurückgreift. Es ist der Mensch, den Gott nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat, inmitten des sichtbaren Universums. Es ist der Mensch, zu dem der Schöpfer sagt: „Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch“ {Gen 1,28). Gott gibt dem Menschen die Erde, und er gibt sie ihm als Aufgabe. Auf diese Weise aber gibt er ihm auch die Arbeit auf: die Arbeit in jeglicher Gestalt, wie sie sie annimmt in der Geschichte des Menschengeschlechts, zusammen mit dem Fortschritt und der Entwicklung des menschlichen Wissens über die Welt und über sich selbst. Die Worte des Buches Genesis enthalten nicht nur das erste Gebot Gottes. Sie tragen gleichzeitig das Kennzeichen Seines Gefallens an ihm, der schöpferischen Freude: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut“ {Gen 1,31). „Sehr gut“ war das Werk der Schöpfung, jener ganze sichtbare Kosmos, der dadurch gekrönt war, daß der Mensch in Erscheinung trat: das lebendige Abbild des Schöpfers. 4. Und der Mensch teilt — nach den Worten der heutigen Liturgie — diesen Gefallen Gottes an dem geschaffenen Kosmos und verkündet den Ruhm seines Schöpfers: „Herr ..., wie gewaltig ist dein Name ... Seh‘ ich den Himmel ..., Mond und Sterne, die du befestigt... was ist der Mensch?“ (vgl. Ps 8,2.4-5) 845 REISEN Der Mensch ist verwundert über sein Menschentum, über seine besondere Würde inmitten der Geschöpfe, und diese schöpferische, entdeckerische Verwunderung teilt er dem Schöpfer mit: „Was ist der Mensch, daß du an ihn denkst, des Menschen Kind, daß du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, hast ihm alles zu Füßen gelegt“ (vgl. Ps 8,5-7). Was ist der Mensch? Mit solchen Worten drückt der Psalmist seine Verwunderung über den Menschen, sein Erstaunen über dieses Werk des Schöpfers aus. Und dabei ist er doch Sprachrohr des Alten Testaments. Was erst können wir sagen, Söhne und Töchter des Neuen Bundes, für die sich „das Geheimnis des Menschen“ in Christus „tatsächlich aufklärt“ (vgl. Gaudium etSpes, Nr. 22)? Kann es eine vollständigere Bestätigung der Wahrheit, der im Psalm ausgedrückten Wahrheit über den Menschen geben als die, die Christus, der Gott-Mensch, darstellt? Der Sohn Gottes und Menschensohn? Der, welcher „da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte ... ihnen seine Liebe (erwies) bis zur Vollendung“. Christus — der Erlöser des Menschen. Und Christus — die Eucharistie. Wahrlich „lebendig ist das Wort Gottes, kraftvoll ...; es richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens“ (Hebr 4,12). Das Ewige Wort richtet ständig über die Regungen und Gedanken unserer Herzen. Es richtet als Mensch, als einer von uns, wie ein Mensch der gewöhnlichen Alltagsarbeit in Nazaret. 5. Die menschliche Arbeit. Noch einmal bringe ich meine Freude darüber zum Ausdruck, daß ich in dieser Etappe des Eucharistischen Kongresses bei euch in Danzig sein kann. Denn in dieser Stadt — und zugleich an der ganzen Ostseeküste und an anderen Zentren der Arbeit in Polen — wurde eine gewaltige Anstrengung mit dem Ziel unternommen, der menschlichen Arbeit ihre volle personale und gesellschaftliche Dimension zurückzugeben. Diese Anstrengung stellt in der Geschichte der „Arbeit an der Arbeit“, wie es ein zeitgenössischer polnischer Denker ausgedrückt hat, eine bedeutsame Etappe dar, nicht nur unter polnischem Gesichtspunkt. Dies ist eine Etappe, die wichtig ist für unterschiedliche Milieus, für unterschiedliche Regionen der heutigen Welt. Vielleicht begreift man diese Angelegenheit weniger in Ländern des Wohlstandes, der bis an die Grenzen des Konsummißbrauchs geht. Aber man begreift sie überall dort, wo das Problem der Arbeit weiterhin zu den Grundlagen eines authentischen Fortschritts und einer authentischen Befreiung des Menschen gehört. Denn die Arbeit besitzt eben eine solche Dimension, wie 846 REISEN dies die Lehre der Kirche zeigt, angefangen von den Evangelien und den Vätern und in letzterer Zeit von Rerum novarum bis Laborem exercens. 6. Das Evangelium der heutigen Liturgie führt uns gewissermaßen in das unmittelbare Zentrum dieses Problems ein. Da ist ein Gutsherr, der, zu verschiedenen Tageszeiten, Absprachen trifft mit Arbeitern wegen einer Arbeit im Weinberg. Der Weinberg ist eine typische Arbeitsstätte für das Land, in dem Jesus lehrte. Und wenngleich diese Arbeitsstätte zu Recht als sehr bescheiden gegenüber dem erscheinen mag, was die heutigen Stätten der industriellen Arbeit sind, zum Beispiel die Danziger Werft, so befinden wir uns dennoch sicher auf der Linie einer ewigen Analogie. Der Gutsherr sagt den Arbeitern: „Geht... in meinen Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist“ {Mt20,4). Es geht also um den Arbeitsvertrag, gleichzeitig um die Frage der rechten Entlohnung, das heißt um den gerechten Lohn für die Arbeit. Um diese ewige Frage rankt sich von Generation zu Generation die Geschichte von Gerechtigkeit — und Ungerechtigkeit — in den wechselseitigen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeiter. Darum rankt sich eines der zentralen Kapitel der sozialen Frage. Denn die Arbeit steht im unmittelbaren Zentrum dieser bedeutsamen Frage. Es trifft zu, daß für die Arbeit gezahlt werden muß, aber das ist noch nicht alles. Die Arbeit—das bedeutet der Mensch, der arbeitende Mensch. Wenn es also um die gerechte Relation zwischen Arbeit und Lohn geht, dann läßt sich das nie ausreichend bestimmen, wenn man nicht vom Menschen ausgeht — vom Subjekt der Arbeit. Die Arbeit kann nicht—nie und nirgendwo — als Ware behandelt werden, denn der Mensch kann nicht Ware für den Menschen, sondern muß Subjekt sein. In die Arbeit geht er durch sein ganzes Menschsein und durch sein ganzes Subj ekt-sein ein. Die Arbeit eröffnet im gesellschaftlichen Leben die ganze Dimension des menschlichen Subjektcharakters, auch des Subjektcharakters der Gesellschaft, die aus arbeitenden Menschen besteht. Also muß man alle Rechte des Menschen im Zusammenhang mit seiner Arbeit sehen und allen Genüge tun. Für die menschliche Arbeit muß man zahlen, und gleichzeitig darf man auf die Arbeit des Menschen nicht nur mit dem Lohn antworten. Schließlich ist er ja — als Person — nicht nur „Ausführender“, sondern auch Mitschöpfer eines Werks, das an der Arbeitsstätte entsteht. Er hat also ein Recht, auch über diese Arbeitsstätte zu entscheiden. Er hat das Recht auf Arbeiterselbstverwaltung — dessen Ausdruck unter anderem die Gewerkschaften sind: „unabhängige und selbstverwaltende“ Gewerkschaften, wie das gerade hier, in Danzig, unterstrichen worden ist. 847 REISEN Andererseits trägt die menschliche Arbeit — durch Hunderte und Tausende, wenn nicht Millionen von Arbeitsstätten — zum Gemeinwohl der Gesellschaft bei. Die Werktätigen, die Menschen der Arbeit, finden in eben dieser Arbeit ihren Rechtstitel, einen vielfachen und vielgestaltigen Titel, denn auch die menschliche Arbeit ist vielfältig und vielgestaltig — also: den Rechtstitel, über die Angelegenheiten der ganzen Gesellschaft zu entscheiden, die von ihrer Arbeit lebt und sich entfaltet. Die „Abkommen von Danzig“ werden in der Geschichte Polens Ausdruck eben dieses wachsenden Bewußtseins der Werktätigen im Hinblick auf die gesamte gesellschaftlich-moralische Ordnung im polnischen Land bleiben. Sie greifen in ihrer Entstehung auf den tragischen Dezember des Jahres 1970 zurück. Und sie bleiben weiterhin eine Aufgabe, die zu erfüllen ist! Solidarität heißt: „Einer trage des anderen Last“ 7. Gehen wir noch über zur zweiten Lesung der heutigen Liturgie. „Einer trage des anderen Last“ — schreibt der hl. Paulus an die Galater {Gal 6,2), und diese Worte sind von einer großen Tragkraft. „Einer ... des anderen.“ Der Mensch ist nicht allein, er lebt mit anderen, durch andere, für andere. Die ganze menschliche Existenz hat eine ihr eigene gemeinschaftliche Dimension — und eine soziale Dimension. Diese Dimension darf nicht eine Herabsetzung der menschlichen Person, ihrer Talente, ihrer Möglichkeiten, ihrer Aufgaben bedeuten. Gerade unter dem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Gemeinschaft muß genügend Raum für jeden sein. Eine wichtige Aufgabe des Staates ist es, einen Raum zu schaffen, so daß durch die Arbeit jeder sich selbst, seine Persönlichkeit und seine Berufung entwickeln kann. Diese persönliche Entwicklung, dieser Raum der Person im gesellschaftlichen Leben ist gleichzeitig die Voraussetzung des Gemeinwohls. Wenn man dem Menschen diese Möglichkeit nimmt, wenn die Organisation des Gemeinschaftslebens zu enge Rahmen für die menschlichen Möglichkeiten und die menschlichen Initiativen setzt — selbst wenn dies im Namen irgendeiner „gesellschaftlichen“ Motivation erfolgte —, dann ist dies leider gegen die Gesellschaft gerichtet. Gegen deren Wohl — auch gegen das Gemeinwohl. „Einer trage des anderen Last“ — dieser knappe Satz des Apostels ist eine Inspiration für die zwischenmenschliche und gesellschaftliche Solidarität. Solidarität — das bedeutet: der eine und der andere, und wenn Last zu tragen ist, dann gemeinsam, in der Gemeinschaft. Also nie: einer gegen den anderen. Die einen gegen die änderen. Und nie eine „Last“, die vom Menschen einsam zu tragen ist, ohne die Hilfe anderer. Kein Kampf kann stärker sein als die Solidarität. (Ich möchte eben darüber sprechen, also erlaubt dem Papst, sich zu 848 REISEN äußern, wenn er von euch sprechen will und auch in gewissem Sinne für euch.) Es kann kein Programm des Kampfes geben, das über das Programm der Solidarität hinausgeht. Sonst wachsen zu schwere Lasten heran. Und die Verteilung dieser Lasten wächst in unproportionaler Weise. Schlimmer noch: wenn man sagt: zuerst „Kampf“ (zum Beispiel in der Bedeutung des Klassenkampfes), dann stehen sehr leicht der andere oder die anderen auf gesellschaftlichem Felde vor allem als Feinde da, als jene, die man bekämpfen muß, die man vernichten muß. Nicht als diejenigen, mit denen man eine Übereinkunft suchen muß — mit denen man gemeinsam überlegen muß: wie die „Lasten zu bewältigen“ sind. „Einer trage des anderen Last.“ 8. Teure Brüder und Schwestern! Aus den Werften, aus den Häfen und aus allen Danziger Betrieben, und nicht nur von hier, sondern aus verschiedenen Gegenden Polens. Teure Brüder und Schwestern, die Werktätigen, die Zentren der Arbeit in der ganzen Welt danken euch, daß ihr diese schwierige „Arbeit an der Arbeit“ aufgenommen habt, daß ihr diesen edlen Kampf begonnen habt, das Ringen um die Würde der menschlichen Arbeit. Die Kirche dankt euch dafür, daß ihr dies vor dem Angesichte Christi und seiner Mutter begonnen habt. An verschiedenen Stellen hat man sich gewundert, daß etwas so sein kann. Daß ein Band besteht zwischen der Welt der Arbeit und dem Kreuz Christi, daß ein Band besteht zwischen der menschlichen Arbeit und der heiligen Messe: dem Opfer Christi. Erstaunen, aber auch Hochachtung weckte der Anblick polnischer Arbeiter, die auf dem Gelände ihres Betriebs beichten und zur heiligen Kommunion gehen. Verschiedene haben sich gewundert. Aber vielleicht nicht nur ... vielleicht haben sie auch eine Entdeckung gemacht... Vielleicht haben sie eine vergessene Dimension der ganzen „sozialen Frage“ entdeckt und überhaupt: der menschlichen Existenz. Arbeit und Christus? Arbeit und Eucharistie? Und dennoch ist es hier so gewesen! Und mit Recht! Sagen wir nicht täglich, wenn wir an den Altar treten: „Gepriesen bist du Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns das Brot, Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit... Gepriesen bist du ... Du schenkst uns den Wein.“ In jede heilige Messe, in das Opfer Christi, das Opfer unserer Erlösung geht die Frucht menschlicher Arbeit, jeglicher menschlicher Arbeit, ein: Brot ist der zusammenfassende Ausdruck dafür — und auch der Wein: jeden Tag schreibt sich die menschliche Arbeit in die Eucharistie ein: in das Sakrament unserer Erlösung und in das „große Geheimnis unseres Glaubens“. Alltäglich, an so vielen Stellen der Erde eröffnen sich der menschlichen Arbeit göttliche Perspektiven. „Dieses Brot werde für uns zur Speise der Erlösung ... dieser Wein zu einem Getränk für den Geist.“ 849 REISEN Der Mensch lebt nicht vom Brot allein Denn schließlich: „der Mensch lebt nicht nur von Brot“ (Lk 4,4). Seine Existenz und seine Arbeit müssen einen Sinn haben — und das nicht nur einen für den Tag gedachten und vorübergehenden Sinn. Sie muß einen letztlichen Sinn haben, dem entsprechend, was der Mensch ist. „Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt“ (vgl. Ps 8,6). Der Mensch — ein Wesen, zur Arbeit berufen. Der Mensch — ein Wesen, zur Ehre berufen! In solchem Geiste müssen wir heute auch das Bewußtsein und die Sensibilität unseres Gewissens für das Gebot erneuern: „Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig!“ Die sonntägliche Eucharistie ist die besondere und zugleich notwendige Weise, in der sich das menschliche Leben und die menschliche Arbeit in Gottes Perspektive hineinschreibt. Möge dies auch eine Frucht des Euchari-stischen Kongresses sein, Gott von den Werktätigen in Polen dargebracht. 9. Zum Schluß soll noch das Geheimnis des Gutsherrn aus dem heutigen Evangelium erläutert werden: „Mein Freund, dir geschieht kein Unrecht... Ich will dem Letzten ebensoviel geben wie dir ... Oder bist du neidisch, weil ich (zu anderen) gütig bin? (Mt 20,13-15). Gott spricht zum Menschen — im Weinberg seiner ewigen und endgültigen Bestimmungen: warum willst du mich durch das Maß nur deiner Gerechtigkeit einschränken? Die Ordnung der Gerechtigkeit ist grundlegend, aber nicht endgültig. Im Himmelreich wird die Gerechtigkeit vollendet. Sie wird durch die Liebe „überstiegen“. Dies ist eine Liebe, die den Menschen an sich zieht, die ihn erhebt, selbst wenn er ein verlorener Sohn ist. Es gibt keine volle Gerechtigkeit ohne die Liebe. „Warum willst du mich mit deiner menschlichen Elle messen?“ Erlaube mir, Geschenk zu sein. Ich bin ja der Schöpfer: alles, was existiert, ist Ausdruck eines grundlegenden Schenkens. Erlaube mir, Geschenk zu sein. Die Liebe ist größer als alles, was du, Mensch, denken kannst. Die Liebe erlaubte es dem Vater, seinen Sohn zu senden (vgl. Gal 4,4), damit niemand von uns zugrunde gehe. Der Sohn dagegen „starb“ am Kreuze. Er gab sein Leben hin. Und er ist auferstanden: er „erwies ... seine Liebe bis zur Vollendung“. Gestatte mir schließlich, Eucharistie zu sein! Möge diese Liebe, die Gott „bis zur Vollendung erwies — andauem! Möge sie als Sakrament den Menschen durch die Geschichte begleiten! Möge sie geistige Nahrung und Trank für die menschlichen Herzen sein! 850 REISEN „Oder bist du neidisch, weil ich (zu anderen) gütig bin?“ Nimm Gott an, der die Liebe ist. Schöpfe aus dieser Liebe geistige Kraft für deine Arbeit, für die „Arbeit an der Arbeit“, für die Solidarität... Deine Ehre, dein Ruhm, unser ewiger Herr, für alle Zeiten ... Amen. Zum Schluß der heiligen Messe sagte der Papst: Wir wollen jetzt — und ich tue dies voll Freude — das Bild der Muttergottes aus Trabki Wielkie krönen, das im Danziger Land seit 30 Jahren vom Volk Gottes verehrt wird. Auf diese Weise drücken wir am Anfang des Marianischen Jahres — es ist die erste Woche — unsere Liebe zur Mutter des Erlösers des Menschen aus und geben in ihre mütterliche Obhut noch einmal, hier im Danziger Land, die ganze Welt der Arbeit. Nach der heiligen Messe sagte der Papst: Gott sei dafür Dank, daß es mir vergönnt war, im Laufe des gestrigen und des heutigen Tages an das polnische Meer zu kommen, an die Küste, zuerst nach Szczecin (Stettin) und dann nach Gdansk (Danzig). Wir wissen, wie groß die Bedeutung dieses Meeres und dieses Küstenlandes für unser Vaterland ist. Gott sei dafür Dank, daß ich hier, gemeinsam mit euch, teure Brüder und Schwestern, in dieser Stadt mit einer so wunderbaren alten und zeitgenössischen Geschichte, das heiligste Opfer feiern, daß ich mit euch hier beten konnte. Ich danke euch dafür, daß ihr dieses Gebet so würdig, so prächtig vorbereitet, daß ihr so zahlreich daran teilgenommen habt. Ich danke allen hier Versammelten, sowohl aus Danzig wie auch aus den anderen Gegenden Polens, denn schließlich ist das ja eine heilige Messe für die ganze Welt der Arbeit. Und stellvertretend für die ganze Arbeitswelt in unserem Vaterland. Ich danke allen, die zur Teilnahme, zum liturgischen Ausdruck dieses unseres viele Tausende Menschen umfassenden Treffens beigetragen haben. Ich danke den Priestern und Laien, ich danke den Künstlern, den Chören, ich danke für alle bei der Opferung gebrachten Gaben. Vor allem danke ich für eure Gegenwart und für das, wovon diese Gegenwart zeugt. Ich bemühte mich, in meinen Worten von euch und für euch zu sprechen. Denn ich hege die tiefe Überzeugung, daß das, was sich hier zu vollziehen begann, in Danzig und an der Küste und in anderen Arbeitszentren in Polen, für die Zukunft der menschlichen Arbeit große Bedeutung hat und zwar nicht nur in unserem Land, sondern überall. Jetzt, nach Beendigung meiner Pilgerreise an die Küste und nach Danzig, begebe ich mich geradewegs nach Jasna Göra. Ich möchte zur Muttergottes, zur Königin Polens, zu Unserer Lieben Frau von Jasna Göra, alles das hintragen, 851 REISEN was gemeinsamer Gegenstand unserer Bestrebungen, unserer Sehnsüchte, unserer Leiden und auch dieses heutigen Treffens ist. Und ich bitte euch, daß ihr mich bei dieser Pilgerfahrt zu unserer Lieben Frau von Jasna Göra, während der ich gleichsam zu ihren Füßen all das hintrage, was wir hier gemeinsam erlebten, in dem gleichen Geiste begleitet, dem Geist des Gebets. Möge dieser Tag ein Tag unseres gemeinsamen Gebets für die menschliche Arbeit in Polen sein, für die Solidarität, für alle Dinge, die so wichtig für euch, für die Werktätigen, sind, für eure Familien, für die ganze Gesellschaft, für unser ganzes Vaterland; die Triebkräfte der Hoffnung darstellen, von denen ich schon am ersten Tag meiner Reise nach Polen sprach. Möge dieser ganze Tag ein Tag des Gebetes bleiben. Ich bitte euch sehr darum. Möge das Gebet grundsätzlicher und einziger Ausdruck dessen sein, was wir ausdrücken wollen, was wir demonstrieren wollen. Was wir ausdrücken wollen, ist sehr groß. Es muß vor allem einen Ausdruck des Gebets finden, so wie es ihn einst in den Danziger Betrieben, in der Danziger Werft, in diesen entscheidenden Tagen gefunden hat. Heute wiederholen wir, bis zu einem gewissen Grade, diese Tage. Möge dieser Tag bis zum Ende ein Tag des Gebets sein. Möge niemand diesen besonderen Charakter, den eure Sache verdient, stören. Nichts und niemand. Auch die Tatsache, daß ich mich heute von hier nach Jasna Göra begebe, ist eine Bestätigung dafür, daß die Sache, die uns hier alle verbindet, nicht aufhört, Inhalt meines täglichen Gebets zu sein. Täglich bete ich für euch, dort in Rom und wo immer ich bin, täglich bete ich für mein Vaterland und bete ich für die Werktätigen, und ich bete für dieses besondere, große Erbe der polnischen „Solidarnosc“. Ich bete für die Menschen, die mit diesem Erbe verbunden sind, in besonderer Weise für jene, die aus diesem Grunde Opfer bringen mußten oder bringen müssen. Und ich werde nicht aufhören zu beten, denn ich weiß, daß dies eine große Sache ist. Meine lieben Brüder und Schwestern, ich schließe deshalb jetzt, ich schließe mit diesem Versprechen des Gebets, des inneren Bandes, des geistigen Bandes mit meinem Vaterland und mit euch, mit den Werktätigen, mit all diesen berechtigten und edlen Bestrebungen, die darauf abzielen, das menschliche Leben durch die Arbeit menschlicher, menschenwürdiger zu machen und dadurch das „Angesicht der Erde zu erneuern“, unserer polnischen Erde, so wie ich schon bei meiner ersten Pilgerreise auf dem Siegesplatz in Warschau dafür gebeten habe, als ich den Heiligen Geist bat, er möge herabsteigen und das Gesicht der Erde, dieser Erde, erneuern. Ich bitte euch sehr, seid mit dem Papst auch in diesem Gebet und in diesem „Langzeitdenken“ solidarisch. Man muß in die Zukunft schauen, und man muß die Kräfte des Geistes und des Leibes für die Zukunft bewahren. 852 REISEN Maria, gib meinen Landsleuten Hoffnung Ansprache nach dem Appell von Jasna Göra am 12. Juni Teure Brüder und Schwestern! Bevor ich eine knappe Betrachtung im Zusammenhang mit diesem Appell von Jasna Göra beginne, möchte ich zuerst meiner Freude Ausdruck geben, daß es mir am Wege des Eucharistischen Kongresses in Polen heute vergönnt ist, auf Jasna Göra zu sein. Ich komme hierher, um der heiligsten Mutter all das Gute zu bringen, das zum gesamten Eucharistischen Kongreß in unserem ganzen Land, in allen Gemeinden, Diözesen, Pfarreien, Gruppen und Familien gehört. Insbesondere möchte ich die bisherigen Etappen meiner Pilgerreise hierhertragen, angefangen von der Eröffnung des Kongresses in Warschau über Lublin, wo die Priesterweihen ein charakteristisches Moment der großen Begegnung mit dem Volk Gottes jener Diözese und Region waren. Über Tarnöw, wo die Versammlung der Menschen des polnischen Dorfes, der Bauern, im Zusammenhang mit der Seligsprechung Karolinas Közkas, einer Tochter des einfachen Volkes in Polen, bezeichnendes Merkmal unserer Begegnung war. Über Krakau, wo ich mich kurz aufhielt, um in diesem besonderen Jahr, in dem unsere litauischen Brüder den 600. Jahrestag ihrer Taufe begehen, zusammen mit der seligen Königin Jad-wiga (Hedwig) zu Füßen des Wawel-Kreuzes zu sein. Über Szczecin (Stettin) an der Küste, wo ich in einer großen Versammlung des Gottesvolkes jener Kirchen und jener Gebiete in besonderer Weise mit den polnischen Familien und für die polnischen Familien beten durfte. Und schließlich die letzte Etappe: Gdansk (Danzig), von wo ich geradewegs komme, Danzig, Gdingen, die Dreistadt, das Küstenland und Pommern, ein großes, gewaltiges Treffen der Werktätigen, nichtnuraus dieser Stadt, sondern aus ganz Polen. Ich sagte ihnen beim Abschied, daß ich die mit ihren Bestrebungen für die Arbeit und zur Erneuerung der Arbeit in Polen verbundenen Hoffnungen nach Jasna Göra tragen werde. Ich sagte ihnen, daß der Tag unseres gemeinsamen Gebetes für die Arbeit und für die Werktätigen aus Danzig, aus dem Küstenland, von der Küste und aus ganz Polen weiterhin andauert und hier, zu Füßen Unserer Lieben Frau von Jasna Göra, endet. Mit all dem komme ich hierher. Mit diesem ganzen Erbe meiner Pilgerreise auf den Wegen des Eucharistischen Kongresses in Polen. Ich komme hierher als Mensch des Vertrauens, um alles das, alle diese großen Dinge unseres polnischen Lebens, die durchleuchtet sind vom Geheimnis der Eucharistie, inderjenerlebt, der uns „bis zur Vollendung“ Liebe erwies — um alles das hierherzutragen, um es der anzuvertrauen, die unsere Mutter ist, der, die die Herrin von Jasna Göra ist, Herrin unserer Nation und Königin Polens. 853 REISEN 1. „Maria, Königin Polens, ich bin bei dir, ich denke an dich, ich wache.“ Tag für Tag ertönt hier seit vielen Jahren, seit der Zeit der Vorbereitung auf das Millennium der Taufe Polens, dieser Appell von Jasna Göra. Ihn wiederholen menschliche Münder — und menschliche Herzen — an verschiedenen Orten des Vaterlandes, auch jenseits seiner Grenzen, auch in Rom, im Vatikan. Am heutigen Abend wiederholen ihn in besonderer Weise die Münder der hier anwesenden Pilger, vor allem aus dieser Stadt und der ganzen Diözese Tschenstochau, aus den Erzdiözesen, Wroclaw (Breslau) und Poznan (Posen), sicher auch aus vielen anderen und auch — mit uns — die Münder der Pilger aus den Nachbarländern, den Ländern unserer Freunde, die wir herzlich begrüßen. Täglich sprechen wir: Ich bin bei dir, und wir wollen sagen: Sei bei uns. Dieser Appell ist für uns — und für dich gedacht. Sei bei uns, wache bei uns, wie eine Mutter bei ihren Kindern wacht; auch dann, wenn sie heranwachsen, hört sie nicht auf zu wachen. 2. Das II. Vatikanische Konzil lehrt, daß Maria ständig im Geheimnis Christi und der Kirche anwesend ist. Sie, von der es heißt: „Selig ist die, die geglaubt hat“ (Lk 1,45), sie geht dem Volk Gottes auf der ganzen Erde bei der Pilgerfahrt des Glaubens, der Hoffnung und der Vereinigung mit Christus voran. In diesem Bewußtsein beginnen wir in diesen Tagen das „Marianische Jahr“ als eine Zeit besonderer Vorbereitung auf den Anfang des dritten Jahrtausends seit Christi Geburt. Es ist also notwendig, daß der Appell von Jasna Göra weiter ertönt, daß er von uns zu Maria sagt: „Ich bin da, ich denke an dich, ich wache,“ daß er ihre Gegenwart herbeiruft: Sei bei uns, sei bei uns zu jeder Zeit! Geh uns auf unserer Pilgerfahrt voran! Hierher, nach Jasna Göra, kommen zahlreiche Pilgergruppen zu dir, zur Mutter und Königin. Am zahlreichsten sind sie im Monat August. Sie alle spiegeln deine Pilgerfahrt mit uns durch das heimatliche Land wider. Durch dieses Land zu pilgern ist nicht leicht. Es könnte geradezu unmöglich erscheinen, wenn man keinen Glauben hätte. Führe uns durch deinen Glauben, Maria von Nazaret, Maria von Betlehem, Maria auf Golgota, Maria von Jasna Göra. Führe uns durch deinen heroischen Glauben! Mögen wir unterwegs nicht ermüden! So wie auch die Pilger auf dem Weg nach Jasna Göra nicht ermüden, obwohl sie manchmal sehr erschöpft sind und die Füße wehtun. Führe alle, die hierher kommen, aber auch die, welche nicht kommen, die, welche keinen Glauben haben, die, welche auch die anderen vom Unglauben, vom Atheismus überzeugen wollen. 854 REISEN 3. In dieser Stunde des Appells von Jasna Göra will ich mit dem Verstand und mit dem Herzen jeden Menschen hierher rufen, den Bruder und die Schwester, aus allen Gegenden des Vaterlandes — und darüber hinaus von den entferntesten Enden des Erdballs — wie vielen von ihnen begegne ich doch in Rom und in der ganzen Welt bei meinem apostolischen Dienst. Ich möchte herbeirufen: — meine Brüder und Schwestern, die in der Heimat oder außerhalb des Landes ihre körperlichen und geistigen Kräfte, ihre Talente und Energien für das Gemeinwohl, welches das Vaterland ist, geopfert und die Liebe zu ihm mit vielfachem Leid erkauft haben; — die Brüder und Schwestern, die gegenwärtig an ihren Arbeitsstätten auf dem Dorfe und in der Stadt, ob als körperlich oder geistig Schaffende, im Bewußtsein der vielgestaltigen Krise dennoch mutig und gewissenhaft die Mühe der täglichen Arbeit auf sich nehmen; — die Menschen der Feder und andere schöpferische tätige Gruppen; die Menschen, die mit redlicher Tätigkeit auf dem Gebiete der Massenmedien, insbesondere der Presse, weiteste Kreise der Gesellschaft erreichen, eine gesunde Beurteilung der Wirklichkeit vermitteln, die Barrieren von Angst, Egoismus, schlechten Gewohnheiten und des billigen Beifalls durchbrechen und Zeugnis von der Wahrheit geben; — alle, die vor Gefahren und Schwierigkeiten nicht zurückschreckten, die den Glauben an Ideale und wahre Werte nicht verloren, die den Sinn des Lebens und der Arbeit nicht aus dem Auge ließen, die ihren Schwächen nicht erlagen, sondern im Gefühl der solidarischen Verantwortung und der Fürsorge ihre Brüder im Glauben und in der Überzeugung stärken, daß es für den Christen keine ausweglose Situation gibt, daß es sich lohnt, im eigenen Land zu leben und schöpferische Initiativen zu ergreifen und eine Gemeinschaft der menschlichen Herzen und Hirne aufzubauen. Wie viele Personen müßte man hier nennen, die einander Gutes tun, wie viele Gemeinschaften, wie viele Gruppen, wie viele Bewegungen! Wenn ich das sage, kommen mir mindestens zwei in den Sinn, die bei dieser meiner Pilgerreise besonders spürbar werden. Es sind dies unsere heimischen „Oasen“, die Bewegung „Licht und Leben“; es sind das auch die zu uns aus dem Westen gekommenen Neo-Katechumenen“. Ich begegne ihnen überall auf der Welt, wo immer ich auftauche. Ich dachte, daß es sie zumindest in Polen nicht gibt. Dabei sehe ich vom ersten Tag an überall die gleichen Aufschriften, die ich in anderen Sprachen in verschiedenen Gegenden der Welt erblicke. Also gibt es sie! Sie sind gekommen und wollen in sich selbst das Bewußtsein der heiligen Taufe erneuern, dessen, was es heißt vom Urprung her Christ zu sein. Möge Gott sie segnen. Und alle anderen. Sie lassen sich kaum 855 REISEN aufzählen. Und sie sind sehr zahlreich in der ganzen Kirche. Ich sehe, auch in Polen ist genauso eine große, vielleicht sogar größere Schar. Gott zum Gruß. Ich möchte bei diesem Appell von Jasna Göra alle meine Brüder und Schwestern herbeirufen, die Not leiden, die den Mangel an Freiheit und Schwierigkeiten bei der Weitergabe und beim Aufnehmen der Wahrheit verspüren, die keine Arbeit haben oder keine, die ihren Qualifikationen entspricht, die ihre Lebenspläne, ihre berechtigten Ansprüche nicht verwirklichen und ihre Talente nicht entfalten können; die in irgendeiner Weise an Leib und Seele leiden und mit Glauben und Hoffnung ihr tägliches Kreuz tragen. Über sie schreibt der Dichter: „Selig, die in der Zeit von Donner und Blitz / das Gleichgewicht der Seele nicht verlieren, / denen beim Anblick von Verwüstung und Zerstörung / nicht das stumme Lied der Verzweiflung dem Herzen entspringt, / die in der Nacht des- undurchdringlichen Schattens / den Glauben an den Schein der Morgenröte nicht verlieren — / Selig sind sie!“ (Jan Kasprowicz, Gesegnet, 1-7) Es gibt noch zahlreiche andere schmerzliche Dinge und Probleme, die einzelne Menschen oder ganze Gruppen oder die Gesellschaft bedrücken. Du, Mutter, kennst sie am besten. Von ihnen sprechen zu dir die Pilger, die hierherkommen. Sie öffnen vor dir ihr Herz, sie bekennen ihre Schuld und ihre Schwäche, sie zeigen ihre Wunden. Sie suchen deine Fürsprache bei der Versöhnung mit Gott und mit den Menschen. Sie suchen Milderung, Kräftigung, Belebung ihrer Hoffnung. Alle Gebrechen und Schwächen des Volkes dieses Landes lege ich heute in deine mütterlichen, sorgenden Hände. Erbitte unablässig für alle den Geist, der sich „unserer Schwachheit annimmt“ (Rom 8,26) 4. Redemptoris Materl Alma Redemptoris mater — mit diesen Worten beginnt die letzte Enzyklika im Zusammenhang mit dem Marianischen Jahr. Und mit diesen Worten beginnt der ergreifende Antiphon des Advents, in dem wir zur Mutter des Erlösers rufen, zum Morgenstern der ersten Ankunft Christi: „Komm, hilf deinem Volke, das sich müht, vom Falle aufzustehn... „Maria, Königin Polens, sei bei uns, wache über jeden Menschen, über jede Frau und über jeden Mann, über jedes im Schoß der Mutter empfangene Kind. Wache! Wache über jedes Gewissen. Und lehre uns wachen! Lehre alle Gewissen in diesem Vaterland wachen. Daß sie der Schwäche nicht nachgeben! Daß sie wertlosen Dingen nicht erliegen! Daß sie nicht schrecklicher Sünden schuldig werden. Daß sie im Bewußtsein aller göttlichen Gebote leben, insbesondere dessen, das da sagt: „Du sollst nicht töten.“ Du sollst nicht töten das im Schoß der Mutter empfangene Kind! Und du sollst dich selber nicht zerstören. 856 REISEN Wir alle kennen diese schlechte Gewohnheit, die uns in der Vergangenheit soviel geschadet hat und die heute wieder stärker zu werden scheint. Ich sage deshalb zu jedem und zu jeder: zerstöre dich nicht selbst! Du darfst dich nicht zerstören, denn du lebst nicht nur für dich allein. Wenn du dich also durch die schlechte Gewohnheit entwertest, zerstörst du gleichzeitig andere. Du schadest deiner Familie, deinen Kindern. Du schwächst die Gesellschaft, die auf deine Nüchternheit, insbesondere bei der Arbeit, zählt. Wir beten jeden Tag: „Führe uns nicht in Versuchung.“ Man darf nicht versuchen! Man darf nicht mit dem Bösen spielen! Man darf den Menschen nicht „verkaufen“ für kurzfristigen und unwürdigen Gewinn, erzielt durch menschliche Schwächen und Mängel! Man darf die menschliche Schwäche nicht ausnutzen und vertiefen! Man darf die Abwertung des Menschen, der Familie, der Gesellschaft nicht zulassen, wenn man vor der Geschichte Verantwortung für sie übernommen hat! „Führe uns nicht in Versuchung!“ Vielleicht sprechen nicht alle diese Worte, aber sie alle sind durch sie gebunden. Hier, in diesem Lande, das durch die Geschichte schon so geprüft ist, darf man nicht mit dem Leben und der Gesundheit polnischer Seelen und Körper „experimentieren“. Freiheit darf nicht dazu führen, sich selbst und andere zu zerstören 5. Maria, Königin Polens, sei weiterhin die Inspiration aller derer, die für die Nüchternheit ihrer Nächsten kämpfen, für die eigene Nüchternheit, für die Nüchternheit der Nation. Besonders dankbar bin ich denen, die Initiativen auf diesem Gebiete ergreifen — insbesondere im Monat August, aber auch in der Zeit der Vorbereitung auf diese päpstliche Pilgerreise. Diese Initiativen dürfen nicht lächerlich gemacht und geschmälert werden! Zu hoch ist der Einsatz, um den es geht. Wir wissen das sehr gut aus der Geschichte. Zu hoch ist der Einsatz! Auch hier muß man gegen den Strom schwimmen! Gegen den Strom der gesellschaftlichen Gewohnheit und einer oberflächlichen Meinung. Gegen den Strom der menschlichen Schwäche. Gegen den Strom einer falsch verstandenen „Freiheit“. Die Freiheit wurde dem Menschen vom Schöpfer nicht dazu verliehen, sich selber und andere zu zerstören. Freiheit ist nicht Mutwille. Maria, Königin Polens, unsere Liebe Frau von JasnaGöra, inspiriere die polnischen Gewissen. Sei unsere Mutter und Erzieherin! Laß dich nicht entmutigen durch unsere Schwächen. Fordere uns! Zu dieser Stunde des Appells von Jasna Göra danke ich dir für alle, die für das Leben der Ungeborenen kämpfen und die für das Leben und die Gesundheit der ganzen Nation, jedes von böser Gewohnheit bedrohten Menschen kämpfen. 857 REISEN 6. Führe du uns, die du die erste unter allen Gläubigen bist — führe das Volk Gottes in diesem polnischen Land bei dieser Pilgerfahrt des Glaubens und der Hoffnung. Ja! Der Hoffnung! Der heutige Mensch braucht so sehr die Hoffnung. Der Mensch in diesem polnischen Land braucht so sehr Hoffnung. Was ist Hoffnung? Was bedeutet sie? Sie bedeutet: „Laß dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!“ (Rom 12,21). Man kann das Böse besiegen. Das eben ist die Kraft der Hoffnung. Maria, Königin Polens, zur Stunde des Appells von Jasna Göra, auf dem Wege des Eucharistischen Kongresses in Polen, bitte ich dich für alle meine Landsleute um eine solche „sieghafte Hoffnung“. Vielleicht ist die Hoffnung in diesem Augenblick, in diesem geschichtlichen Moment, am stärksten bedroht. Gleichzeitig ist sie am unentbehrlichsten: die Hoffnung, die die Kraft des Menschen ist, die ihn stark macht auch in Leid und Prüfung, angesichts aller Gegensätze. Unsere Liebe Frau von Jasna Göra, mach, daß der Mensch im polnischen Land durch die Kraft dieser Hoffnung siegt, die aus Christus, aus der Eucharistie kommt. Schließlich hat er ja uns „bis zur Vollendung“ Liebe erwiesen (vgl. Joh 13,1). Nach Spendung des Segens sagte der Papst: Gemeinsam mit der polnischen Bischofskonferenz, die hier unter Führung des Primas anwesend ist, möchte ich zusammen mit den Pauliner-Patres, den Hausherren von Jasna Göra, unsere Gäste aus Rom begrüßen, jene, die mich ständig begleiten, den Kardinalstaatssekretär und andere Mitarbeiter aus der römischen Kurie. An diesem Abend jedoch möchte ich in besonderer Weise Kardinal Ugo Poletti begrüßen, der mein engster Mitarbeiter in der Hirtenleitung der Diözese Rom ist. Wir alle freuen uns, daß er zu uns kommen und uns auf Jasna Göra und bei dieser Schlußetappe des Weges des Eucharistischen Kongresses und gleichzeitig meiner Pilgerreise durch das Vaterland begegnen wollte. Gott vergelt’s. 858 REISEN Eucharistische Erziehung zu menschlicher Freiheit Predigt in der Gnadenbildkapelle auf Jasna Göra am 13. Juni 1. „Was er euch sagt, das tut“ (vgl. Joh 2,5). Wie sehr hatte ich doch den Wunsch, während meiner jetzigen Pilgerreise durch das Vaterland hier zu sein. Auf Jasna Göra zu sein, in dieser Kapelle niederzuknien und hier das heiligste Opfer zu feiern. Pfingsten hat das Marianische Jahr begonnen. Dieser Umstand hat meine Sehnsucht noch belebt: Das Marianische Jahr in der Periode der Vorbereitungen von Kirche und Menschheit auf das Jahr 2000 seit Christi Geburt. Wenn jener ersten Ankunft der Advent vorausging, so spüren wir auch jetzt die Notwendigkeit eines neuen Advents. Wenn in jenem ersten Advent am Horizont der Erlösungsgeschichte der Morgenstern vor dem Aufgang der Sonne der Gerechtigkeit und Gnade — Maria vor der Ankunft Christi — aufleuchtete, so ist es auch jetzt notwendig, daß er von neuem erstrahle ... Die Mutter Jesu weist hin aufseine Liebe 2. Die Mutter Jesu weist in Kana in Galiläa auf den Sohn hin und sagt zu den Dienern beim Hochzeitsmahl: „Was er euch sagt, das tut.“ Mit Maria von Jasna Göra durchlebten wir im polnischen Land die Jahrtausendfeier der Taufe. Dann kam noch das Jubiläum ihrer gesegneten Gegenwart unter uns: seit 600 Jahren in diesem Bild von Jasna Göra. Und jetzt führt der Weg des Eucharistischen Kongresses durch das Heimatland. Wiederholte sich auf diese Weise nicht noch einmal das Geschehen von Kana in Galiläa? Wies nicht die Mutter auf den Sohn hin, auf diese Liebe, die er uns bis zur Vollendung erwies und die in der Eucharistie sakramental ständig gegenwärtig ist? Führt nicht sie — von hier, von Jasna Göra aus — uns auf diesem Eucharistischen Weg durch die polnischen Städte und Dörfer? Durch die polnischen Herzen und unsterblichen Seelen? „Was er euch sagt, das tut.“ Er, Christus, hat uns eben das gesagt, am Vortag seines Leidens und seines Todes, bevor das letzte Zeichen offenbar werden sollte: seine Auferstehung. Das eben hat er zu uns gesagt: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird ... Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird ... Tut dies ... “ (vgl. Lk 22,19-20; vgl. 1 Kor 11,24-25). So sagte er. Und von da an wurde die Eucharistie zum heiligsten Sakrament der Kirche. Sie wurde zum unfehlbaren Zeichen des Erlösers der Welt. Sie wurde zur täglichen Ankündigung der kommenden Zeit im Himmelreich. 859 REISEN 3. „Was er euch sagt.“ Ja. Christus spricht. Er sagt in Kana in Galiläa zu den Dienern: „Schöpft jetzt und bringt es dem, der für das Festmahl verantwortlich ist“ (vgl. Joh 2,8). Er spricht in diesem ersten Zeichen, das den Glauben seiner Jünger entstehen ließ. Und er spricht durch das ganze Evangelium durch die Frohe Botschaft der Taten und Worte. Er spricht schließlich durch das Wort des Kreuzes — und durch das Wort der Auferstehung. Ja. Er spricht durch die Kraft der Taten und durch die Kraft der Worte. Er spricht durch sich selbst! Er selber ist die Fülle der Offenbarung des lebendigen Gottes. Er selber ist die „erfüllte Zeit“ (Gal 4,4) der menschlichen Erlösung. Wovon spricht er? Wovon gibt er ein Zeugnis? Darauf antwortet der hl. Paulus mit den Worten des Briefes an die Galater. Christus gibt ein Zeugnis vom Vater, von diesem Gott, an den allein er sich mit dem Ruf wenden konnte: „Abba“ — denn er allein ist der Sohn: der vor Ewigkeit geborene und einzige. Und nur durch sein Wirken, durch das Wirken des Paschageheimnisses seines Sohnes, „sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz“ (vgl. Gal 4,6). Die Herabkunft des Geistes, der der Geist des Sohnes ist, in die Herzen der Menschen bewirkt, daß auch wir Söhne sind. Denn wir erlangten die „Sohn-schaft“ {Gal 4,5). Der Gottessohn machte uns zu Söhnen Gottes. Das ist die Frucht — die reife Frucht — dieser Liebe, die er uns erwies: einer Liebe „bis zur Vollendung“ (vgl. Joh 13,1). 4. „Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn“, ruft der Apostel (Gal 4,7). Sohn sein — das bedeutet, frei sein. Einst war das Blut des Osterlammes an den Türpfosten der Häuser der Israeliten in Ägypten das Zeichen der Befreiung: des Aufrufs zur Freiheit. Zeichen dieses Aufrufs ist noch mehr das Blut Christi am Kreuz — und die Eucharistie auf den Altären der ganzen Welt. Eine Gabe der Freiheit. Eine schwierige Gabe der Freiheit. Nur der, der frei ist, kann — auch — zum Sklaven werden. Wahre Freiheit gibt es nur durch die Liebe zu Gott und den Menschen Gabe der Freiheit. Schwierige Gabe der Freiheit des Menschen, die bewirkt, daß wir immer noch existieren zwischen Gut und Böse. Zwischen Erlösung und Ablehnung. 860 REISEN Freiheit kann auch Umschlagen in Mutwille. Mutwille aber kann — wie wir auch aus unserer eigenen Geschichte wissen — den Menschen mit dem Schein einer „goldenen Freiheit“ betören. Auf Schritt und Tritt sind wir Zeugen, wie Freiheit zum Sauerteig verschiedenartiger Knechtschaften des Menschen wird, der Menschen, ganzer Gesellschaften. Eine Knechtschaft des Hochmuts und eine Knechtschaft der Gier, eine Knechtschaft der Sinnlichkeit und des Neids, eine Knechtschaft der Faulheit — und eine Knechtschaft des Egoismus, des Hasses ... Der Mensch kann nicht wahrhaft frei sein, es sei denn durch die Liebe: durch die Liebe zu Gott vor allem und durch die Liebe zu den Menschen: zu den Brüdern, den Nächsten, den Landsleuten ... Eben dies lehrt uns Christus, der bis zur Vollendung Liebe erwies. Davon spricht die Eucharistie — das heiligste Erbe der zur Sohnschaft gekommenen Kinder Gottes. 5. Unsere Liebe Frau von Jasna Göra! Höre nicht auf, bei uns zu bleiben! Höre nicht auf, uns diese Worte aus Kana in Galiläa zu wiederholen: „Was er euch sagt, das tut.“ Höre nicht auf, auf deinen Sohn hinzu weisen. Höre nicht auf, uns dem Sakrament seines Leibes und Blutes nahezubringen. Denn von dir hat er diesen Leib und dieses Blut, das er für uns im Opfer von Golgota darbrachte. Möge im polnischen Land diese eucharistische Erziehung zu menschlicher Freiheit von Generation zu Generation erhalten bleiben. Insbesondere in dieser Generation, die erneut vom Zweifel bedroht ist. Sei weiterhin unsere Mutter und Erzieherin. „Maria, Königin Polens, ich bin bei dir, ich denke an dich, ich wache.“ Das Ringen um die Freiheit hat viele Dimensionen Ansprache vor dem Verlassen des Marienheiligtums auf Jasna Göra in Tschenstochau am 13. Juni Meine teuren Brüder und Schwestern, Pilger auf Jasna Göra! Bevor ich mich auf den weiteren Weg mache, möchte ich noch für die Begegnung danken, danken vor allem U. Lb. Frau von Jasna Göra dafür, daß ich ihr in diesem Heiligtum begegnen konnte, das das Heiligtum unserer Nation, unserer Geschichte und zugleich unserer polnischen Herzen ist. Und ich hätte mir nicht vorstellen können, daß es auf dem Wege des Eucharistischen Kon- 861 REISEN gresses diese Begegnung — wenn auch nur kurz — nicht gegeben hätte. Ich möchte auch der Kirche von Tschenstochau in der Person ihres Bischofs danken, denn diese Kirche nimmt uns hier vor allem auf, und diese Kirche ist auch ein Zeichen für die Gegenwart des Heiligtums von Jasna Göra in der Kirche im polnischen Land, in der Weltkirche. Und ich möchte den werten Patres und Brüdern der Pauliner-Mönche danken, die die unmittelbaren Wächter dieses heiligen Ortes sind, seine Wächter.und erste Diener. Bevor ich von hier weggehe, möchte ich gerade hier, an dieser Stelle, euch auf Jasna Göra alle Fragen und Probleme der allgemeinen Kirche, der Kirche in der ganzen Welt, anvertrauen. Diese Kirche hat ihr Zentrum in Rom, denn so hat es die göttliche Vorsehung gefügt, daß der Apostel Petrus von Jerusalem aufbrach, nach Rom kam und dort die Kirche gründete, ihr erster Hirte war und dort gemeinsam mit dem großen Völkerapostel, dem heiligen Paulus, den Märtyrertod erlitten hat. Deshalb anbefehle ich euch die Kirche, die in Rom ist, und ich freue mich, daß der Kardinal, der Vikar von Rom, mein engster Mitarbeiter im Seelsorgedienst für die Kirche, die in Rom ist, hier zusammen mit mir in Jasna Göra sein kann. Aber durch Rom denke ich an die ganze allgemeine Kirche, überall, wo sie ist, auf allen Kontinenten, in verschiedenen Ländern der Welt, und überall, wo ich kann, besuche ich diese allgemeine Kirche in den verschiedenen Ortskirchen, die in einzelnen Ländern und auf verschiedenen Kontinenten leben. Ich wurde zu einem solchen wandernden Hirten, einem wandernden Papst, und auf diese Weise möchte ich der allgemeinen Kirche und der Kirche in den verschiedenen Ländern der Welt dienen, unter verschiedenen Völkern und Nationen, so wie ich kann. Und ich bitte euch hier auf Jasna Göra, daß ihr immer im Gedächtnis, im Herzen und im Gebet nicht nur den Papst habt, denn das ist leichter, das ist ja euer Landsmann, sondern auch diese Kirche, welcher der Papst dient, diese allgemeine Kirche. Wir wissen alle, und ich war dessen Zeuge und Teilnehmer, daß sich am Tage des Millenniums der Taufe auf Jasna Göra durch den Mund des Primas des Millenniums ein ungewöhnlicher Akt vollzog, der Akt der Weihe in die mütterliche Knechtschaft Mariens für die Freiheit, in die Knechtschaft für die Freiheit, für die Freiheit der Kirche in der Welt und in Polen, aber nicht nur in Polen, in der ganzen Welt. Ihr wißt sehr wohl, daß die Kirche auf der ganzen Welt für die Freiheit ihres Dienstes ringt, für diese Freiheit des Wortes des Evangeliums, für die Freiheit des Gewissens und des Bekenntnisses, für die Freiheit der Religion. Es gibt ausgedehnte Gebiete in der Welt, wo dieses Ringen seine besondere Bedeutung hat, und das ist auch Gegenstand 862 REISEN unserer besonderen Sorge. Möge das Heiligtum von Jasna Göra dem Papst bei der Sorge um die Kirche, um das Volk Gottes, um alle Gläubigen dort helfen, wo es am schwierigsten ist, zu glauben und den Glauben zu bekennen. Utilitarismus und Permissivität nehmen dem Menschen seine Würde Dennoch zeichne ich hier keinerlei Bild, auf dem nur Weiß und Schwarz, Schwarz und Weiß gemalt ist. Überall auf der Welt gibt es das eine und das andere, auch dort, wo es der Kirche an äußerer Freiheit zur Verkündigung des Evangeliums, zum seelsorgerischen Dienst nicht mangelt, gibt es eine andere Form der Bedrohung ihrer Freiheit, der Freiheit des Geistes Gottes, eine Bedrohung, die von einer völlig verweltlichten Zivilisation herkommt, von einer Zivilisation, von einer Ideologie, die ein menschliches Leben ohne Gott verkündet, die eine Existenzweise des Menschen auf der Erde propagiert, des Menschen und der Gesellschaft, als ob Gott nicht existierte. Und das findet Widerspiegelung in ansonsten freien Ländern im Mißbrauch der Freiheit, in verschiedenen Übertretungen des göttlichen Gesetzes, insbesondere wenn es um die Achtung vor dem Leben, vor der Heiligkeit der Ehe geht, wenn es um dieses ganze delikate Gebiet des Verhältnisses von Mann und Frau geht, um ein Gebiet, das auf dem Gefühl höchster Würde des Menschen nach Gottes Bild und Gleichnis gründen muß und das in der modernen, utilitaristischen, permissiven Mentalität so reduziert wird, daß für diese Würde wirklich kein Platz mehr ist. Und oft tut man dies im Namen der menschlichen Freiheit. So hat also das Ringen um die Freiheit der Kirche, in der Welt und in Polen, viele Dimensionen. Ihr müßt zusammen mit dem Papst, der euer Landsmann ist, alle diese Dimensionen des Ringens der Kirche in der Welt von heute für die Freiheit der Kinder Gottes im Auge und im Herzen haben. Es ist ein Ringen nicht nur mit Programmen, mit Ideologien, mit Systemen, die der Religion feindlich gegenüb erstehen, sondern auch mit der Schwäche des Menschen, mit der Schwäche, die auf verschiedene Weise zutage tritt. Schließlich haben ja nicht Ideologien, nicht Gesellschaftsordnungen, nicht Systeme, sondern der Mensch hat den Grund zur Sünde gelegt, zu der, die sich durch die ganze Geschichte bewegt. Der Mensch erlag dieser Illusion Satans, der Illusion, daß er selber wie Gott sei, daß er selber über Gut und Böse entscheide und nur er das einzige und endgültige Maß alles dessen sei, was zur Welt gehört, in der er lebt, zur Schöpfung. Das sind in einem kurzen Aufriß jene Sorgen, jene Probleme, die ich euch hier auf Jasna Göra zurücklasse, auch euch, den Wächtern, auch euch, den Verwaltern dieses Heiligtums, dieses großen Schatzes, und euch allen Pilgern, die ihr hier aus Polen und von jenseits seiner Grenzen kommt. Das Vati- 863 REISEN kanische Konzil hat diese Wahrheit so prächtig zum Ausdruck gebracht, daß Maria, im Geheimnis Christi und der Kirche gegenwärtig, bei der großen Pilgerfahrt des Glaubens dem ganzen Gottesvolk auf der Welt unablässig vorangeht. Das Heiligtum von Jasna Göra ist einer der Orte, wo dieses Vorangehen der Mutter Christi vor dem Gottesvolk besonders spürbar ist. Ich bitte also, daß sie für euch zu dieser Führerin werde, für die Kirche von Tschenstochau, für die Kirche in Polen, für meine ganze Nation, aber auch für die Kirche, für das Gottesvolk in der weiten Bedeutung dieses Wortes an allen Orten der Erde, für die ganze Menschheit. Das ist das Votum, und das ist zugleich meine dringende Bitte, die ich euch hier zusammen mit dem Segen für alle hier Anwesenden und für alle, die ständig hierherkommen, zurücklasse. Nach Erteilung des Segens sagte der Papst: Ich anbefehle euch auch meinen Dienst im polnischen Land, der schon seinem Ende zugeht, daß er fruchtbar werde für die Kirche und die Nation, für die Gesellschaft und für den Staat. Denn in diesem Staat will sich ja die Nation in ihrer Souveränität ausdrücken, in ihrer Identität, in ihrer Würde. Möge dieser päpstliche Dienst also für die Nation und für den Staat nützlich und fruchtbar werden. Der Mensch braucht die Eucharistie Predigt bei der hl. Messe mit Kinder-Erstkommunion in Lodz am 13. Juni 1. „Wer von diesem Brot ißt, wird in Ewigkeit leben“ (Joh 6,51.58). Ich darf heute in die Mitte einer Kirche treten, die sich in der großen Stadt Lodz befindet. Im Namen der Eucharistie, die Brot des Lebens ist, begrüße ich diese Kirche, die Stadt und die Diözese. Ich begrüße auch alle, teure Brüder und Schwestern, die ihr an so vielen industriellen Arbeitsplätzen das tägliche Brot verdient. Ich begrüße auch die Wissenschaftler und Lehrkräfte aller Hochschulen und Schulen zusammen mit der großen Schar der studentischen und der Schuljugend. Euch alle, Söhne und Töchter der Kirche, die ihr Christus als Brot des ewigen Lebens empfangt. Er, Christus, „als Hoherpriester der künftigen Güter ... ist... ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen ... mit seinem eigenen Blut, und so hat er eine ewige Erlösung bewirkt“ (ygl.Hebr 9,11-12). Die Eucharistie ist das Sakrament unserer Erlösung. Ich begrüße euch im Namen der Eucharistie, aus der die Kirche sich als Leib Christi aufbaut: als Gemeinschaft der in Christus 864 REISEN Erlösten. Ich begrüße den Hirten eurer Kirche zusammen mit den Weihbischöfen. Ich begrüße den Altbischof, das Domkapitel, den Diözesan- und Ordensklerus, alle weiblichen Ordensgemeinschaften, das Geistliche Seminar und das Ordensseminar der Franziskaner-Konventualen zusammen mit den Kardinälen und Bischöfen aus ganz Polen. Ich begrüße auch die Geistlichkeit und die Gläubigen, die hierher gekommen sind aus den Erzdiözesen Wroclaw (Breslau) und Poznan (Posen), aus den Diözesen Kielce, Plock, Sandomierz-Radom und Wloclawek. In besonderer Weise begrüße ich die Priester, die Verwalter der Eucharistie unter euch sind. 2. Und jetzt richte ich meinen ganz besonderen Gruß an die Familien in Lodz: aus dieser Stadt und aus der ganzen Diözese. Unsere heutige Begegnung, die zusammenhängt mit der ersten heiligen Kommunion eurer Kinder, ist ein großer Festtag der christlichen Familien. So war es immer in unserer polnischen Tradition, die sich seit 1000 Jahren in diesem Land als christliche Tradition herausgebildet hat. Die Familie war immer — und bleibt weiterhin — jenes erste und grundlegende menschliche Milieu, in das Gott durch die großen Sakramente unseres Glaubens kommt, angefangen von der heiligen Taufe. Die Eheleute, die ihren Kindern hier auf Erden das menschliche Leben geben, laden in deren Herzen, in ihre ganze Gemeinschaft den Spender des ewigen Lebens ein. Auf diese Weise wandern immer neue Generationen über dieses Land zum Haus des Vaters, so wie einst das Volk des Alten Bundes durch die Wüste zum Gelobten Land gewandert ist. Gott aber nährte sie mit Manna vom Himmel, denn die Wüste konnte sie nicht ernähren. Auf diesem Wege der Generationen — auf dem Wege jeder Familie — zum Haus des Vaters ist die erste heilige Kommunion ein besonderer Tag. Ich drücke meine herzliche Freude darüber aus, daß ich auf dem Wege des Eucha-ristischen Kongresses in Polen einen solchen Tag zusammen mit euch in Lodz erleben kann. 3. Jetzt wende ich mich an euch, liebe Kinder, Mädchen und Jungen, die ihr heute zum erstenmal Jesus den Herrn als Speise der ewigen Erlösung in eure Herzen aufnehmen sollt. Wenn sich heute euer kindlicher Mund öffnet, um die weiße Gestalt des Brotes zu empfangen, dann wird der Priester die Worte sprechen: „Leib Christi“, und jeder und jede von euch wird antworten: „Amen“. „Amen“—das bedeutet: „ich glaube“, „ich nehme im Glauben an“. Wenn wir die Eucharistie feiern, dann feiern wir das große Geheimnis des Glaubens. Auch ihr — kleine Christen — seid schon so weit gereift: um voll und ganz an diesem Geheimnis teilzuhaben. Die heilige Kommunion ist eben 865 REISEN die volle Teilhabe an der Eucharistie, am Opfer Christi und der Kirche. Dieses Opfer wurde von Jesus, unserem Herrn, auch zu dem’Zwecke eingesetzt, uns geistige Nahrung zu sein. Erinnert euch daran, wie Jesus der Herr zu den Aposteln beim Letzten Abendmahl gesprochen hat; er sagte — zuerst beim Brot: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“ (Lk 22,19). Und später, beim mit Wein gefüllten Kelch, sagte er: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch und für viele vergossen wird“ (vgl. Lk 22,20 ). Als er das sagte, hatte er seinen Tod am Kreuz vor Augen. Eben am Kreuz erfüllten sich diese Worte — einmal nur und für die ganze Ewigkeit wurde der Leib Christi zum Opfer hingegeben, und dies war ein blutiges Opfer: Blut wurde vergossen .... für uns und für unsere ewige Erlösung. 4. Das geschah ein einziges Mal auf dem Kalvarienberg, am Karfreitag. Doch im Abendmahlssaal setzte Jesus der Herr das, was sich am Karfreitag vollziehen sollte, als heiligstes Sakrament der Kirche unter der Gestalt von Brot und Wein ein. Wenn sich also das Blutopfer am Kreuze ein für allemal vollzogen hat, dann soll das Sakrament eben dieses Opfers sich unter der Gestalt von Brot und Wein in der Kirche ständig erfüllen, von Tag zu Tag und von Generation zu Generation. Jesus der Herr sagte zu den Aposteln im Abendmahlssaal: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ {Lk 22,19). „Tut das“ — das bedeutet: wiederholt und erneuert das Opfer meines Leibes und Blutes unter den Gestalten von Brot und Wein. Warum aber Brot und Wein? Damit Leib und Blut Christi unsere Nahrung sein können. Das Brot dient dem Menschen als Speise, und der Wein ist ein Getränk — besonders in südlichen Ländern, dort, wo Jesus der Herr lebte und das Sakrament seines Opfers einsetzte. Was ist also unsere Nahrung? Es sind unter der Gestalt von Brot und Wein der Leib und das Blut Christi. Sein Opfer ist unter der Gestalt von Brot und Wein unsere Nahrung. Ein rettendes Opfer, durch das er uns von den Sünden loskaufte. Ein erlösendes Opfer, das ewiges Leben verleiht, wie es in der Auferstehung Jesus des Herrn offenbar wurde. 5. Der Mensch braucht Speise und Trank, um leben zu können. Der menschliche Leib, der Organismus braucht Speise und Trank, um leben, wachsen, um sich entwickeln und um arbeiten zu können. Dies ist die Nahrung für das irdische, für das vergängliche' Leben, das mit dem Tode endet. Speise und Trank braucht auch die menschliche Seele, um ausharren zu können bei der Wanderung zum ewigen Leben . Der Mensch braucht die Eucharistie, um in Ewigkeit das Leben zu leben, das von Gott ist. 866 REISEN „Dies ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist... Wer dieses Brot ißt, wird in Ewigkeit leben.“ So sprach Jesus der Herr, und er sagte diese Worte nach der wunderbaren Brotvermehrang, woran uns das heutige Evangelium erinnert: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben“ (Joh 6,35). Heute „kommt“ ihr, liebe Kinder, Jungen und Mädchen, zum erstenmal zu Jesus dem Herrn in der Eucharistie. Was für eine Freude für eure Eltern und Familien, für eure Pfarreien, für die ganze Kirche von Lodz. Was für eine Freude für mich, daß ich bei meiner Pilgerreise auf dem Wege des Eucharisti-schen Kongresses durch das polnische Land euch am heutigen Tage die erste heilige Kommunion spenden kann. Zwei Tische hat der Herr gedeckt: Eucharistie und Wort Gottes 6. „Die Weisheit hat ihr Haus gebaut... und schon ihren Tisch gedeckt“(5pr 9,1.2) — sehr schön hat euer Freund und Altersgenosse diese Worte bei der heutigen Liturgiefeier vorgelesen. Seit 2000 Jahren deckt die Weisheit Gottes uns den Tisch, einen zweifachen Tisch: den Tisch der Eucharistie und den Tisch des Wortes Gottes. An diese Wahrheit „von den zwei Tischen“ wie sie in den Schriften der Kirchenväter zum Ausdruck kommt, erinnerte das letzte Konzil. Sie gibt jene organische Verbindung wieder und verdeutlicht sie, die zwischen der Eucharistie, dem sakramentalen Leben der Kirche, einerseits und dem Wort Gottes, insbesondere der Katechese und der Katechesierung, andererseits besteht. In der ursprünglichen Tradition der Kirche gewann diese Verbindung besondere Intensität bei der Vorbereitung der erwachsenen Katechumenen auf die Taufe und auch auf ihre Firmung. Heute, da sich seit ganzen Generationen die Tradition der Taufe gleich nach der Geburt des Kindes in der christlichen Familie herausgebildet hat, gewinnt diese Verbindung besondere Intensität gerade bei der Vorbereitung der Kinder auf die erste heilige Kommunion, wenn diese schon fähig sind, dieses „große Geheimnis des Glaubens“ zu begreifen. 7. Denn die auf die erste heilige Kommunion unmittelbar vorbereitende wie auch die danach folgende Katechese hat das Ziel, nicht nur Jesus Christus kennenzulernen, sondern zielt vor allem darauf ab, ihn zu lieben und sich in vollkommenster Weise mit ihm zu vereinen. Die Kommunion aber ist das Zeichen und lebendige Zeugnis dieser Liebe und dieser Vereinigung. In der Kommunion führt Christus uns zur Liebe des Vaters im Heiligen Geist und gibt uns Anteil am Leben der Heiligen Dreifaltigkeit, so daß wir „an der göttlichen Natur Anteil“ erhalten (2 Petr 1,4), d. h. Kinder Gottes werden. 867 REISEN Die Katechese ist auch eine Gemeinschaftspflicht der ganzen Kirche, der im Glauben unterwiesenen und unterweisenden Kirche. In der Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe sind wir zugleich Katecheten und Katechesierte (vgl. Catechesi tradendae, Nr. 45). Und so muß die Katechese sowohl die Kinder und die Jugendlichen wie auch die Seelsorger, die Religionslehrer, die Seminaristen und die Personen umfassen, die sich auf ein Ordensleben vorbereiten, sowohl die Eltern, die ihren Kindern den Glauben weitergebeh, wie auch die Menschen, die in der eigenen Umgebung apostolisch wirken. Sowohl die Jüngsten wie auch die Ältesten — mit einem Wort: alle, denn alle sind in Christi Kirche aufgerufen zur „Auto-Evangelisierung“, natürlich in Einheit mit dem Lehramt des Hirten. Glaubwürdig und erfolgreich kann die Welt nur von jenen evangelisiert werden, die zuerst sich selber durch ständige Vertiefung in die Wahrheiten des Glaubens und durch ein Leben in der Liebe zu Gott und zum Nächsten evangelisieren (vgl. Evangelii nuntiandi, Nr. 15). Vielleicht drängt sich euch folgende Frage auf: Bedeutet das, daß auch der Papst immerfort katechisiert wird, so wie wir Kinder vor der Erstkommunion? Natürlich, er ist in der Kirche nicht nur, so kann man sagen, der erste Katechet, sondern wie jeder gute Katechet bemüht er sich ständig, ein in Religion Unterrichteter zu sein. Er lernt immerfort. Er lernt gewissermaßen von der Kirche alles das, was er der Kirche vermitteln soll. Er lernt vor allem im Gebet, im Hören des Wortes' Gottes. Er lernt vom Heiligen Geist, dem er so treu wie möglich sein möchte, so gehorsam wie möglich, damit er das Evangelium verkünden, damit er katechesieren kann. Auf diese Weise läßt sich dieses schwierige Wort erläutern. Ich habe schon einen Schreck bekommen, als ich es las, dieses halbgriechische Wort „ Auto-Evangelisierung“, „Auto-Katechesierung“. Ich fürchtete, die Kinder werden dies nicht verstehen. Also erkläre ich es: Dies eben bedeutet das Wort, mit diesem Wort komme ich hierher, und diesem Wort bin auch ich unterworfen, denn Jesus der Herr hat zu Petrus gesagt: „Weide meine Schafe“ (Joh 21,27). Meine — wir sind alle sein. Wir sind alle erlöst durch sein Blut. Wir werden alle von ihm zum Vater im Heiligen Geist geführt. Alle. „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe.“ Ich freue mich, daß ich diesen Dienst erfüllen kann, und ich erfülle ihn zur sammen mit einem inneren Zittern, daß ich ihn auch gut erfülle. Und deshalb bitte ich auch euch alle darum, daß ihr für mich eintretet und mich durch das Gebet stützt, damit ich meinen Dienst Petri überall gut erfülle, wo ich ihn erfüllen muß, in der Kirche auf der ganzen Welt; damit ich ihn auch gut in meinem Vaterland erfülle. Und ich bitte darum gerade euch in besonderer Weise, die „Erstkommunionkinder“, denn euer Gebet bedeutet viel. 868 REISEN 8. Auf dem Gebiet der Evangelisierung, verstanden als persönliche und gemeinschaftliche Pflicht, verfügen wir auch über prächtige Führer. Hier in Lodz und im nahen Pabianice wuchs in einer Arbeiterfamilie — unter tiefgläubigen Eltern und Geschwistern — der kleine Rajmund Kolbe auf, der spätere Zeuge einer großen Liebe, der heilige Märtyrer, Pater Maximilian Maria. Der erste polnische Heilige des Zweiten Jahrtausends. Schon als Junge entdeckte er in sich die Berufung zu einem Leben im Orden des hl. Franziskus, und — getreu dem göttlichen Ruf— entfaltete er als Priester und Missionar eine vielfältige apostolische Tätigkeit. Mit unverwüstlicher Energie widmete er sich dem Werk der Evangelisierung und nutzte dazu die ihm zugänglichen Massenmedien, um zu den Menschen von Christus und seiner Unbefleckten Mutter zu sprechen — in Italien, in Japan und in Polen. Verlangt nicht die heutige Welt gerade solche Katecheten von uns Christen? Ebenfalls mit Lodz ist die Tätigkeit der seligen Urszula Ledöchowska eng verbunden, der Gründerin der Gemeinschaft der Grauen Ursulinen. Eben in dieser riesigen Zusammenballung von Fabriken, in dieser Konzentration von Werktätigen, die jene Stadt in den zwanzig Jahren zwischen den beiden Weltkriegen darstellte, waren die ersten Ursulinenschwestern als Katechetinnen tätig, die auf Bitten des ersten Bischofs dieser Diözese, Wincenty Tymieniecki, nach Lodz gekommen waren. In einem schlichten Haus in der Czerwona-Straße 6 leiteten, organisierten und koordinierten sie die in den staatlichen Grundschulen in Lodz und in einigen umliegenden Städtchen zu entfaltende katechetische Arbeit. Mutter Urszula besuchte ihre Gemeinschaft in Lodz häufig, und da sie selber eine vorzügliche Erzieherin und Religionslehrerin war, interessierte sie sich lebhaft für die mit dem Religionsunterricht zusammenhängenden Probleme. Sie setzte sich auch voller Inbrunst für die Entwicklung des „Eucharistischen Kreuzzuges“ der Kinder ein. Einmal schrieb sie an ihre Grauen Schwestern: „Dieses Werk wächst am stärksten in Lodz — von daher kommen auch die meisten Briefe.“ Gemeint waren Briefe von den kleinen Rittern des „Kreuzzuges“ an Papst Pius XI. zu dessen goldenem Priesterjubiläum. Die Kinder von Lodz schrieben damals, daß sie den Hl. Vater mit der gleichen Liebe lieben, wie sie die eigenen Eltern lieben. Manche brachten auch zum Ausdruck, daß sie schon zur ersten heiligen Kommunion gegangen seien, daß sie Jesus den Herrn im Allerheiligsten Sakrament anbeten, daß sie für ihn Apostel und Missionare sein möchten. Eines der Kinder schrieb: „Ich wäre sehr glücklich, wenn ich den Hl. Vater sehen könnte! Wie gut wäre es, wenn der Hl. Vater nach Polen käme“ (s. Ausgewählte Schriften der seligen Urszula Ledöchowska, in: Polnische Heilige, Warschau 1984, Bd. 4, S. 347-349). So schrieb ein kleiner Junge aus Lodz an Pius XI., und das war vor sechzig Jahren. Vielleicht ist dieser Junge aus Lodz, der das damals 869 REISEN schrieb, bei dieser Begegnung als nun schon älterer Herr dabei. Auf jeden Fall freue ich mich, daß ich nach sechzig Jahren den Wunsch dieses Jungen erfüllen, daß ich heute als Papst unter den Kündern von Lodz sein kann. Die selige Urszula schätzte im Familienleben die Rolle der Mutter und Erzieherin des zur ersten heiligen Kommunion gehenden Kindes sehr hoch ein. Hier ihre Worte: „Wenn wir unsere Aufgabe, die Aufgabe der Mutter, die Aufgabe der Erzieherin, begreifen, die uns befiehlt, über die Seelen der uns von Gott anvertrauten Kinder zu wachen, die uns befiehlt, ihnen Gott zu geben, dann müssen wir vor allem in uns selber einen starken, tiefen Glauben erarbeiten ... Aus Liebe zu unseren Kindern wollen wir daran arbeiten, einen tiefen, lebendigen Glauben zu erwerben, der ausstrahlen soll auf unser Leben und das unserer Kinder, und aus dem Herzen der Mutter wird dieser Glaube in die Seele des Kindes übergehen“ {Ausgewählte Schriften, S. 299-300). Das sind sehr treffende Worte. Am besten wissen gerade die Mütter, wie wahr diese Worte sind. Ich kann auch nicht umhin, eine andere hervorragende Christin zu erwähnen, die Dienerin Gottes Wanda Malczewska, sie starb im Rufe der Heiligkeit gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts. Ihr Grab befindet sich auf dem Gebiet der Diözese Lodz, in der Pfarrkirche in Parzna bei Belchatöw. Bemühungen um ihre Seligsprechung sind im Gange. Wanda wurde in Radom geboren und verbrachte dort ihre Kindheit. Im Alter von acht Jahren ging sie zur ersten heiligen Kommunion — für jene Zeit war das sehr früh. Grund für eine so frühe Kommunion war es, daß sie den inbrünstigen Wunsch hatte, Jesus den Herrn zu empfangen, und daß sie die Geheimnisse des Glaubens richtig verstand. Ihr Leben lang zeichnete sie sich durch tiefe Verehrung für das Allerheiligste Sakrament aus. Gleichzeitig leistete sie im Geiste der Liebe des Evangeliums armen Dorfkindern und Menschen Hilfe, die krank waren und Betreuüng brauchten. Viel Mühe und Herzlichkeit wandte sie auf, wenn es darum ging, Bildung unter den Bauern zu verbreiten, sie lehrte sie Lesen und Schreiben und verbreitete Bücher unter ihnen. In eigener Initiative unterwies sie Kinder in Religion. In dieser sozial-karitativen Tätigkeit arbeitete Wanda, die dem Laienstand angehörte, eifrig mit der Geistlichkeit zusammen und gewann auch Ältere und Jugendliche für das Apostolat. Sie war in besonders schwierigen Zeiten apostolisch tätig, als Nation und Kirche, von den Teilungsmächten unterdrückt, erst auf dem Wege waren, die Unabhängigkeit wiederzugewinnen (vgl. u. a,: Wort der Bischöfe aus der Diözese Lodz an die Geistlichkeit uiid die Gläubigen über Wanda Malczewska und Stanislawa Leszczyhska, 28, Mai 1986). 870 REISEN Die Kontinuität der göttlichen Weisheit mündet in die Eucharistie 9. Es spricht die Weisheit: „Kommt, eßt von meinem Mahl und trinkt vom Wein, den ich mischte“ (Spr 9,5): Und Christus der Herr, der Hohepriester des Neuen und Ewigen Bundes, erfüllt die prophetische Ankündigung dieser Worte, wenn er im Abendmahlssaal sagt: „Nehmt und eßt; das ist mein Leib ... Trinkt alle daraus; das ist mein Blut“ (vgl. Mt 26,26-28). Mein Leib: das eucharistische Brot — „Wer von diesem Brot ißt, wird in Ewigkeit leben“ (Joh 6,51). Heute eben ist der Tag, an dem das Brot des Lebens „gegessen“ wird. Der Tag der ersten heiligen Kommunion. Deshalb ruft die Kirche begeistert: „Jerusalem, preise den Herrn, lobsinge, Zion, deinem Gott!“ (Ps 147,12). Zion — Jerusalem — der Abendmahlssaal — ist überall dort, wo sich das sakramentale Wunder der Eucharistie wiederholt, wo Christus zur Speise der Seelen wird. Heute ist es unter euch, in dieser großen Industriestadt, in dieser Kirche von Lodz. Es ist in euch allen, die ihr ihn in der heiligen Kommunion empfangt. In euch: in euren Herzen, liebe Kinder, Mädchen und Jungen, die ihr ihn heute zum erstenmal empfangt, um ihn von nun an ständig zu empfangen, das ganze Leben hindurch, damit euch die Kräfte bei der Wanderung über diese Erde zum Hause des Vaters nicht ausgehen. Lernt von Maria die Wahrheit über eure Berufung Ansprache an Textilarbeiterinnen in Lodz am 13. Juni Liebe Schwestern und Brüder, Landsleute! 1. „Gepriesen bist du, Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns das Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit“ (aus der Liturgie der hl. Messe). Wir kennen diese Worte gut. Sie werden bei der Opferung in der hl. Messe gesprochen. Diese Worte begleiten mich bei meiner ganzen Pilgerfahrt durch das Heimatland, vom ersten Augenblick an. Denn sie sind in besonderer Weise mit der Eucharistie verbunden — und mein Aufenthalt in Polen steht diesmal im engen Zusammenhang mit dem Eucharistischen Landeskongreß. 871 REISEN Das Brot der Eucharistie symbolisiert die Arbeit des Menschen Die Eucharistie ist organisch mit der Arbeit menschlicher Hände verbunden, wie das die Worte der Opferung bezeugen. Wir bringen zum Altäre Brot, und dieses Brot — eine Frucht der Erde — ist gleichzeitig eine Frucht der menschlichen Arbeit. Der Mensch arbeitet „für das Brot“. Das Brot drückt also gleichzeitig die ganze Arbeit des Menschen aus und symbolisiert sie, wo und in welcher Weise immer sie geleistet wird. 2. Brot gewinnt als Ausdruck und Symbol menschlicher Arbeit hier im polnischen Lodz, das in kurzer Zeit von einer einst kleinen Siedlung zu einer großen, fast eine Million Menschen umfassenden Stadt herangewachsen ist, eine besondere Aussage. Es ist das polnische Zentrum der Textilindustrie. Das Leben dieses Industriezentrums und seiner Bewohner war von Anfang an durch zahlreiche wirtschaftliche und soziale Kontraste, durch Spannungen, gekennzeichnet. Diese Kontraste und Spannungen waren sehr schmerzhaft, wie der Staatsvorsitzende bei seiner Ansprache im Warschauer Schloß in Erinnerung brachte. Trotz vielfältiger Bemühungen und Initiativen, die von der Gemeinschaft in Lodz im Laufe von fast 200 Jahren unternommen wurden, werden die mit der Industrie — die heute nicht nur Textilindustrie ist — zusammenhängenden Probleme weiterhin lebhaft verspürt; es sind Probleme im Zusammenhang mit der natürlichen und der städtebaulichen Umwelt: Ökologie, Wohn- und sanitäre Bedingungen, Beschäftigungs- und soziale Fragen; Probleme im Zusammenhang mit der Entwicklung der geistigen und materiellen Bedürfnisse in diesem großen Konglomerat vielfältiger physischer und geistiger Arbeit, gekennzeichnet durch sehr schwierige Prozesse der modernen gesellschaftlichen Umgestaltungen. Ich bringe meine Freude darüber zum Ausdruck, daß ich heute in dieser eurer Stadt der polnischen Arbeitswelt begegnen kann, die — gerade hier in Lodz in der Mehrzahl durch Frauen repräsentiert ist. Ich will hinzufügen, daß dies ein präzedenzloses Ereignis ist. Obwohl ich vielfach Begegnungen mit der Arbeitswelt hatte, war es mir bei meinen Pastoralbesuchen in Italien oder in anderen Ländem.nie vergönnt, einem Betrieb zu begegnen, wo in der Mehrzahl Frauen arbeiten. Herzlich und mit der großen Hochachtung, die die Frau verdient, grüße und begrüße ich alle hier versammelten Textilarbeiterinnen von Lodz — und in eurer Person alle Frauen im polnischen Land, die beruflich tätig sind und sich in verschiedenen Lebenslagen befinden. Ich tue dies zu Beginn des Marianischen Jahres, wenn die Kirche in der ganzen Welt mit besonderer Hoffnung auf die Frau schaut, die von Gott erwählt wurde, Mutter des Welterlösers zu sein. 872 REISEN 3. Die Quellen des Glaubens und der christlichen Kultur — insbesondere die Heilige Schrift — verkünden die frohe Botschaft von der Berufung des Menschen, den Gott von Anfang „als Mann und Frau“ schuf (vgl. Gen 1,27). Beiden auch gab er die Zukunft des Menschengeschlechts in die Hände. Beiden vertraute er diese Erde als irdische Heimat an, beiden gab er den Auftrag, sie sich zu unterwerfen. Doch diese Worte aus dem Buch Genesis sprechen zugleich von der Entstehung und von der eigentlichen Würde der menschlichen Arbeit, der Arbeit sowohl des Mannes wie auch der Frau. Schon im Alten Testament finden wir die Beschreibung — mehr noch — den Lobpreis der Arbeit der Frau, der „tüchtigen Frau“, wie sich der Verfasser des Buches der Sprichwörter ausdrückt (vgl. Spr 31,10). Dies ist vor allem die Arbeit im Bereich des Familienheimes, das damals, beim damaligen Stand der materiellen Zivilisation, eng mit der Arbeitsstätte der Familie verbunden, Hauptform der Arbeit war. Die moderne Zivilisation brachte eine Trennung dieses früheren Zusammenhanges zwischen Heim und Arbeitsstätte mit sich. Die großen Arbeitsstätten der Industrie heißen vor allem die Männer, aber auch die Frauen, das Haus zu verlassen, um Mittel für den Unterhalt der Familie außerhalb zu: suchen, manchmal in der Nähe des Hauses, manchmal weit entfernt — in Fabriken und anderen Betrieben, die oft Dutzende von Kilometern vom Heim entfernt sind. Die Arbeitsbedingungen müssen menschenwürdig sein Dazu kommen Beschwerlichkeiten der Arbeit selbst, die sich entweder aus ungünstigen Wohnbedingungen oder aus den euch wohlbekannten schwierigen Bedingungen ergeben, unter denen Frauen ihrer Berufsarbeit nachgehen — etwas, was nicht ohne negativen Einfluß auf ihren Gesundheitszustand und auch auf den Gesundheitszustand iherer Nachkommen bleibt. In dieser Stadt gehören — wie mir bekannt ist — noch nicht alle Industriebetriebe zur Kategorie der „Betriebe geschützter Arbeit“. Auch stehen nicht alle werktätigen Frauen unter der Obhut des „Industrie-Gesundheitsdienstes“. Man muß deshalb euch Frauen und allen denen, die für die Organisation der beruflichen Arbeit verantwortlich sind, wünschen, daß diese positiven Initiativen bald der ganzen Arbeitswelt zuteil werden. Wenn ich von all diesen Problemen spreche, will ich keineswegs all das übersehen, was in dieser Frage in Polen getan wurde und ständig getan wird; aber die Bedürfnisse des Menschen wachsen immerzu, und man muß ihnen begegnen. Wenn ich auch von den schwierigen Dingen spreche, dann nur deshalb, weil mir das wahre Wohl meiner Landsleute, meiner Landsmänninnen und meines Vaterlandes am Herzen liegt. Ich 873 REISEN will, daß das menschliche Leben überall auf der ganzen Welt und bei uns — wirklich zu einem immer menschenwürdigeren Leben wird. 4. Die Trennung zwischen Haus und beruflicher Arbeitsstätte stellt auch für den Mann, aber um vieles mehr noch für die beruflich tätige Frau ein Problem dar. Man kann nicht im vorhinein urteilen, daß die Situation des Entferntseins von Haus und Familie über viele Stunden des Tages hinweg mehr Verluste als Nutzen für das Wohl der Familiengemeinschaft bringt, insbesondere für die Kindererziehung — trotzdem ist dies eine Angelegenheit, die auf jeden Fall, zugleich im Maßstab ganzer Völker, mit großem Verantwortungsgefühl überlegt und gelöst werden muß. Denn hier kommt die grundlegende Rangordnung der Werte und Aufgaben ins Spiel; sie aber sind in unlösbarer Weise mit dem Wohl des Menschen verbunden. Wenn also die Prämisse „nicht — vor allem — der Mensch um der Arbeit willen, sondern die Arbeit um des Menschen willen“ richtig ist, dann muß dieses humanistische Axiom in besonderer Weise in Betracht gezogen werden, wenn es um die Berufsarbeit der Frauen geht. Denn die Frau ist, wie die Erfahrung lehrt, vor allem das Herz der Familiengemeinschaft. Sie gibt das Leben — und sie ist es auch, die es als erste erzieht. Natürlich muß sie dabei vom Mann unterstützt werden und systematisch mit ihm den ganzen Bereich der elterlichen und erzieherischen Pflichten teilen. Dennoch hört bekanntlich der menschliche Organismus auf zu leben, wenn das Herz mit seiner Arbeit aussetzt. Die Analogie ist recht transparent. Es darf nicht jene in der Familie fehlen, die das Herz der Familie ist. 5. Bedeutet das, daß die Frau nicht beruflich tätig sein soll? Die Soziallehre der Kirche stellt vor allem die Forderung auf, daß als Arbeit all das voll gewertet werde, was die Frau im Hause leistet, die ganze Tätigkeit der Mutter und Erzieherin. Das ist eine große Arbeit. Und diese große Arbeit darf nicht gesellschaftlich abgewertet werden, sie muß ständig aufgewertet werden, wenn die Gesellschaft nicht zum eigenen Schaden tätig sein will. Andererseits muß die Berufsarbeit der Frauen überall und immer unter deutlichem Bezug darauf behandelt werden, was sich aus der Berufung der Frau als Ehefrau und Mutter in der Familie ergibt. Die Frau und Mutter muß den Glauben und die ethischen Prinzipien weitergeben 6. Diese Berufung — die so wesentlich mit der göttlichen Gabe der Mutterschaft verbunden ist — kommt auch in der Sendung der Frau und Mutter zum 874 REISEN Ausdruck, die sie bei der Weitergabe der Glaubenswahrheiten und der ethischen Prinzipien hat. Mit Recht sagt man, daß die Frau über das Heim wacht, daß sie dessen Hüterin ist. Sie ist vor allem Gebärerin. Sie schenkt dem Kind das Leben, als Frau und Mutter hat sie am Geheimnis des Lebens teil. Gott ist der Spender jeden Lebens, und alles Lebende unterliegt der väterlichen Obhut Gottes. Deshalb lebt auch das im Schoß seiner Mutter heranwachsende Kind — gleichzeitig in Gott. Bei Gott findet die Mutter die Gnade der Liebe und die geistige Stärke für den mütterlichen Schutz des empfangenen und des sich entwickelnden Lebens. Dies sind ewige, grundlegende und zugleich immer wieder neue Wahrheiten, die immerzu auf eine schwere Probe gestellt werden. Wenn man sie auf der Ebene des Glaubens und der katholischen Ethik betrachtet, dann werden sie zu einer Aufgabe und Pflicht, die das Sakrament der heiligen Taufe den christlichen Eltern auferlegt. Die Frau als Mutter bittet auf gleicher Ebene mit dem Mann als Vater um die Taufe für das Kind und nimmt damit bewußt die Mühe auf sich, das Kind im Glauben zu erziehen. Mit der ganzen Liebe und Verantwortung für den neuen Menschen wacht sie sorgsam darüber, daß nicht das Böse seinen Geist und sein Herz verwandelt. Mit allen Kräften bemüht sie sich darum, daß das Kind eine allseitige körperliche und geistige Entwicklung erlangen kann. Vor allem aber führt sie ihr Kind durch das Beispiel ihres persönlichen Lebens zum reifen christlichen Leben — zur Fülle des Menschseins. 7. Diese natürliche Sendung der Frau als Mutter wird häufig von Positionen aus in Zweifel gezogen, die vor allem die gesellschaftlichen Rechte der Frau hervorheben. Manchmal betrachtet man ihre Berufsarbeit als gesellschaftlichen Aufstieg, und wenn sie sich restlos den Angelegenheiten der Familie und der Kindererziehung hingibt, dann wird das so angesehen, als verzichte sie darauf, ihre eigene Persönlichkeit zu entfalten, als wäre sie rückständig. Es trifft zu, daß die gleiche Würde und die gleiche Verantwortung von Mann und Frau in vollem Maße den Zugang der Frau zu öffentlichen Tätigkeiten rechtfertigen. Dennoch verlangt die wirkliche Förderung der Frau von der Gesellschaft die besondere Anerkennung ihrer mütterlichen und familiären Aufgaben, denn sie sind ein übergeordneter Wert gegenüber allen anderen öffentlichen Aufgaben und Berufen. Diese Aufgaben und Berufe sollten sich im übrigen gegenseitig ergänzen, wenn wir wollen, daß die Entwicklung der Gesellschaft wirklich und voll und ganz menschlich verläuft. Vor allem muß die fundamentale Verbindung geachtet werden, die zwischen Arbeit und Familie besteht, jene „eigene und unersetzliche Bedeutung der Hausarbeit und der Kindererziehung (Familiaris consortio, Nr. 23). Das Recht auf Zugang zu den 875 REISEN unterschiedlichen öffentlichen Aufgaben — das der Frau auf gleicher Ebene wie dem Mann zuerkannt wird — erlegt der Gesellschaft gleichzeitig die Pflicht auf, für die Entwicklung solcher Arbeitsstrukturen und Lebensbedingungen Sorge zu tragen, daß die Ehefrauen und Mütter nicht gezwungen sind, außer Haus zu arbeiten, und daß ihre Familien sich allseitig entwickeln können, auch wenn sie sich ganz der eigenen Familie widmen (vgl. ebd.). Besonders die Kinder brauchen die mütterliche Mühe, um sich als verantwortungsbewußte, religiös und moralisch reife und seelisch ausgeglichene Personen entwickeln zu können. Das Wohl der Familie ist etwas so Großes, daß zu Recht überall in der Welt von der modernen Gesellschaft gefordert wird, die Aufgabe der Mütter in jenen Strukturen aufzuwerten, die den gesellschaftlichen Aufstieg der Frau propagieren und die Notwendigkeit voraussetzen, daß Verdiensttätigkeit außerhalb des Hauses aufgenommen wird. Dazu äußerte ich mich vor allem in der Enzyklika Laborem exercens, (Nr. 19), auf die auch der Staatsvorsitzende in seiner Ansprache im Warschauer Schloß Bezug nahm. . Wenn ich an diese in der christlichen Sozialethik zum Ausdruck gebrachten Prinzipien bei der heutigen Begegnung mit Textilarbeiterinnen erinnere, so ist das durch eine beunruhigende Erscheinung gerechtfertigt, die in eurer beruf-lichen.Tätigkeit zu Tage tritt. Viele Frauen arbeiten weiterhin in drei Schichten, also auch in den Nachtstunden, was zur Ausbreitung von Berufskrankheiten beiträgt. Dies hat auch Einfluß auf die wachsende Zahl zerrütteter Ehen. Infolgedessen sind viele Frauen gezwungen, einsam ihre Kinder aufzuziehen und für deren materielle Existenz zu sorgen. 8. In den letzten Jahren ging ein großer, solidarischer Ruf — an dem die Frauen, auch die Textilarbeiterinnen von Lodz, ihren großen Beitrag hatten — durch ganz Polen, der Ruf nach der Würde des werktätigen Menschen, damit jeder über sich, über die eigene Arbeit nach Fähigkeit und Eignung entscheiden könne; damit jeder selbst sein moralisches Ideal wählen, nach seinen eigenen Überzeugungen leben, seinen religiösen Glauben öffentlich kundtun und bekennenvund ihn in der seiner Gemeinschaft gemäßen Weise erleben könne. In diesem Ruf fehlte es auch nicht an letzten Bezügen, wie sie im Evangelium aufgezeigt sind. Denn es existiert — wie ich in der gleichen Sozialenzyklika Laborem exercens schrieb — ein Evangelium der Arbeit, das hineingeschrieben ist in die ganze Botschaft des Evangeliums. Es ist ein Evangelium der Arbeit, das Christus vor allem durch sein eigenes Leben und später durch seine ganze Lehre schrieb. . Es reifte also die Überzeugung heran, daß es nicht nur darum geht, besser und bequemer zu leben und mehr zu haben, Es geht darum, daß in der Situation 876 REISEN einer größeren, gesellschaftlichen Achtung vor dem Menschen jeder seine personalen Werte entwickeln und seine Berufung besser erfüllen könne, die er von Gott bekommen hat. Es ist sehr wichtig, daß sich das Bewußtsein der werktätigen Frau immer so gestaltet. Dann wird sie in'ganzer Fülle den Wert ihrer Berufung als Mutter und Ehefrau sehen; und sie wird den vollen Sinn der Mühe ihrer Berufsarbeit wiederfinden. 9. Bei meiner Pilgerreise auf den Wegen des Eucharistischen Kongresses in Polen gewinnen die Opferungsworte aus der heiligen Messe in den großen Zentren der polnischen Arbeit besondere Bedeutung, auch heute, im industriellen Lodz, wo ich zu den Textilarbeiterinnen in ihrem Betrieb sprechen darf. Wenn wir bei der Opferung das Brot darbringen, „die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit“, dann bitten wir, daß es „uns das Brot des Lebens werde“. Diese Worte beziehen sich auf Christi Leib. Er nämlich ist für uns durch das Sakrament seines Leibes und Blutes, durch die Eucharistie, „Brot des ewigen Lebens“. ; Die menschliche Arbeit dient irdischen Zielen. Der Mensch arbeitet für das tägliche Brot. Christus — der Welterlöser — hat dieses Brot gleichzeitig zu einem sichtbaren Zeichen, das heißt zu einem Sakrament des ewigen Lebens, gemacht. . Und durch dieses Sakrament wurde Christus für uns in besonderer Weise „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Wir arbeiten also für das tägliche Brot. Gleichzeitig aber verlieren wir nicht aus den Augen, was letztliche Bestimmung jedes Menschen, jedes Mannes und jeder Frau, ist. „Was nützt es einem Menschen“, sagte Christus, „wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber Schaden leidet an seiner Seele?“ (vgl. Mk 8,36). Stanislawa Leszczyhska — ein Beispiel christlichen Heldenmutes 10. Meine lieben Landsmänninnen und Schwestern! Verliert dies nicht aus den Augen! Die polnische Frau hat geradezu unermeßliche Verdienste in unserer Geschichte, besonders in deren schwierigsten Perioden. Und unermeßlich sind — im Laufe dieser Geschichte — die.Schulden, die die ganze Nation gegenüber der polnischen Frau abzutragen hat: gegenüber der Mutter, der Erzieherin, der Werktätigen ... der Heldin. Am „Kelch des Lebens und der Wandlung der Nation“, den die polnischen Frauen als ihr Geschenk zum 600. Jahrestag der Gegenwart des Gnadenbildes der Muttergottes auf Jasna Göra darbrachten, sieht man Flachreliefs;heiliger 877 REISEN und heldenhafter Polinnen. Unter ihnen befindet sich ein Bildnis von Stanisla-wa Leszczynska, einer — im Stadtviertel Baluty geborenen — Lödzerin. Sie drückt in ihren Armen einen Säugling an sich. Es war gut, daß vor einem Jahr eure Hirten die ganze Diözese auf dieses Vorbild einer Frau und Mutter und zugleich auf dieses beredte Beispiel christlichen Heldenmutes aufmerksam machten. Stanislawa Leszczynska — so schrieben eure Bischöfe — „führte ein tiefreligiöses Leben in enger Verbindung mit der heiligen Messe ünd den heiligen Sakramenten, gleichzeitig aber strahlte sie, während sie ihren Beruf als Hebamme ausübte, eine außergewöhnliche Hilfsbereitschaft auf die gebärenden Mütter und eine begeisternde Liebe auf die Kinder aus. Ihre moralischen Werte leuchteten in einem geradezu außergewöhnlichen Glanz, als sie während des Krieges und der Besatzungszeit im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau festgesetzt wurde. Sie widersetzte sich dort dem verbrecherischen Befehl, die im Lager neugeborenen Kinder zu töten, und brachte ihnen einen grenzenlosen Opfermut entgegen“ (Wort der Bischöfe aus der Diözese Lodz an die Geistlichkeit und die Gläubigen über Wanda Malczewska und Stanislawa Leszczynska, 28. Mai 1986). Von dreitausend Säuglingen, die Dank ihrer Hilfe geboren wurden, überlebten dreißig das Vernichtungslager. Für Lodz, für diese Stadt, für diese Kirche und für ganz Polen hinterließ Stanislawa Leszczynska diese große Botschaft zur Verteidigung menschlichen Lebens. Dies sind ihre Worte: „Wenn in meinem Vaterland — trotz der traurigen Erfahrung aus der Zeit des Krieges — Tendenzen heranreifen sollten, die gegen das Leben gerichtet sind, dann glaube ich an die Stimme aller Hebammen, aller rechtschaffenen Mütter und Väter, aller rechtschaffenen Bürger bei der Verteidigung des Lebens und der Rechte des Kindes“, (Mütterliche Liebe zum Leben. Ein Text über Stanislawa Leszczynska, Warschau 1984, S. 24). Mit dieser Stimme des Gewissens solidarisiert sich die ganze Kirche, die nicht aufhört, auf die Treue der polnischen Mutter zu ihrer Berufung zu setzen, auf die Opferwilligkeit und Hingabe der Frauen, auf ihre Anhänglichkeit an die christlichen Traditionen, auf ihren Mut und ihre Ausdauer bei der Verteidigung der religiösen Werte in Familie und Nation. 11. Denkt daran, liebe Schwestern und Landsmänninnen, Gott schreibt durch die Geschichte der Menschen und Nationen gleichzeitig die Geschichte der Erlösung des Menschen.-Und in diesem seinen Erlösungsplan hat er von Anfang an auf Erden die „Frau“ berufen. Sie — als Mutter des Erlösers — ist dem ganzen Gottesvolk bei der Pilgerschaft Vorbild durch den Glauben, durch die Hoffnung und die Liebe zu den endgültigen Bestimmungen des Menschen in Gott selbst. Schaut auf diese „Frau“! Lernt von ihr, von Maria, 878 REISEN die Wahrheit über eure Würde, über eure Berufung. Soviel hängt im Leben des Menschen, der Familie und der Nation von jeder von euch ab. Auf dem Wege des Eucharistischen Kongresses in Polen bete ich heute innig für jede von euch. Und gleichzeitig bitte ich die Gottesgebärerin, sie möge es im polnischen Leben nicht an dem fehlen lassen, was mit Recht „weiblicher Genius“ genannt wird, das, was jede von euch, jede Frau, dank der vom Schöpfer und vom Erlöser verliehenen Gnade zum Gemeinwohl und zum gemeinsamen Erbe aller Polen immer wieder beitragen kann und muß. Künstler finden in Polens Kirche einen Raum der Freiheit Ansprache bei einer Begegnung mit Kulturschaffenden und Künstlern in Warschau am 13. Juni 1. Werte Damen und Herren! Sehr geehrte Brüder und Schwestern! Gestattet, daß ich an einen Ausschnitt der Apostelgeschichte anknüpfe, an die Worte: „Sie hielten an der Lehre der Apostel fest... am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2,42). Die Apostelgeschichte spricht von der ersten christlichen Gemeinde, die sich in Jerusalem nach dem Pfingsttag um die Apostel gebildet hatte, denen gerade an diesem Tage der Heilige Geist zuteil geworden war: der Geist der Wahrheit, der Parakletos, der Tröster. Ich möchte dieses Wort, „sie hielten ... fest“, das von den historischen Anfängen der Kirche zeugt, auf die hier Versammelten beziehen, auf alle, die an der gleichen „Gemeinschaft wie jener festhalten, und für diese Gemeinschaft sind die Lehre der Apostel“, das „Brechen des Brotes“ und die „Gebete“ entscheidend (vgl. Apg 2,42). Gleichzeitig jedoch, ihr Kulturschaffenden, ihr Vertreter schöpferisch tätiger Gruppen und ihr Künstler, besitzt dieses euer „Festhalten an der Gemeinschaft“ der Kirche eine besondere Bedeutung. Ich meine euch hier Versammelte, aber ich denke auch an alle, die sowohl im polnischen Lande wie auch jenseits seiner Grenzen zu dieser gleichen Gemeinschaft gehören: an die große Gemeinschaft von Menschen, die Ausdauer zeigen und „festhalten“ an der so vielgestaltigen Werkstatt ihres Schaffens, die zum „Festhalten“ und Überdauern ihrer Nation dienend beitragen. Denn die Nation hält durch die eigene Kultur an ihrer geistigen Substanz, an ihrer geistigen Identität fest. Diese Wahrheit erhielt in unserer Geschichte eine besondere Aussage, besonders in manchen Perioden. Es genügt, daß man an die jungen, an das 19. Jahrhundert, an den tödlichen Kampf um das Überdauern der Nation und auf diesem Hin- 879 REISEN tergrunde an eine zuvor nicht gekannte Entwicklung der polnischen Kultur erinnert, wie sie in den Werken unserer Dichterpropheten und eines Chopin zum Ausdruck kommt, dessen Herz sich in dieser Kirche befindet, in den Werken der Meister des Meißels und des Pinsels. An dieser Stelle wollen wir besonders an Karol Szymanowski erinnern, dessen 50. Todestag wir in diesem Jahr begehen und dessen Meisterwerk unsere Begegnung musikalisch umrahmte. 2. Ich lebe ständig im vollen Bewußtsein dieser Wahrheit, von meinen jüngsten Jahren an. Als ich vor Vertretern vieler Nationen der Welt bei der UNESCO in Paris (Juni 1980) sprechen durfte, kam dieses Bewußtsein in einer tief durchlebten und gründlich durchdachten, zugleich aber ganz spontanen Weise zum Ausdruck. Ich sagte damals: „Die Nation ist in der Tat die große Gemeinschaft der Menschen, die geeint sind durch verschiedene Bände, aber vor allem gerade durch die Kultur. Die Nation besteht,durch1 die Kultur und ,für‘ die Kultur...“ Weiter sagte ich: „Ich bin Sohn einer Nation, die im Laufe ihrer Geschichte die meisten Erfahrungen damit machte, daß ihre Nachbarn sie zum Tode verurteilt haben, zu wiederholten Malen, die aber überlebt hat, sie selbst geblieben ist. Sie hat ihre Identität bewahrt, und sie hat trotz der Teilungen und fremden Besatzungen nationale Souveränität bewahrt, indem sie sich nicht auf die Mittel physischer Gewalt gestützt hat, sondern einzig und allein auf ihre Kultur. Diese Kultur hat sich als eine Macht herausgestellt, die größer ist als alle anderen Mächte. Das, was ich hier sage, das Recht der Nation auf die Grundlage ihrer Kultur und ihre Zukunft betreffend, ist nicht das Echo irgendeines Nationalismus, sondern es geht hier um ein festes Element menschlicher Erfahrung und menschlicher Vorstellung von der Entwicklung des Menschen. Es gibt eine fundamentale Souveränität der Gesellschaft, die sich in der Kultur der Nation manifestiert. Es geht um die Souveränität, durch die gleichzeitig der Mensch höchster Souverän ist“ (Ansprache vorder UNESCO, 2. Juni 1980, Nr. 14). 3. Ich drücke deshalb meine Freude darüber aus, daß es mir während meiner jetzigen Pilgerreise in das Vaterland vergönnt ist, dem Milieu der Kultur- und Kunstschaffenden, den Vertretern eines viellältigen und viele Richtungen umfassenden künstlerischen Schaffens zu begegnen. Adam Chmielowski, der selige Bruder Albert, sagte: „Wesen der Kunst ist die Seele, die sich im Stil ausdrückt.“ 880 REISEN Der Hunger des Geistes gehört zur menschlichen Existenz Jeder von euch gibt ein besonderes Zeugnis vom Menschen: davon, wie die angemessene Dimension seiner Existenz ist. „Der Mensch lebt nicht nur von Brot“ {Mt 4,4). Wenngleich wir uns bewußt sind, wie wichtig die Fragen des Brotes sind, wieviel von ihnen im Leben der ganzen Menschheit und aller Nationen — im Leben der einzelnen Personen und Familien — abhängt, so überzeugen uns doch diese Worte Christi: „Nicht nur von Brot.“ Nicht nur. Der Mensch^ das ist noch eine andere Dimension von Bedürfnissen und eine andere Dimension von Möglichkeiten. Seine Existenz ist durch das innere Verhältnis zur Wahrheit, zum Guten und Schönen bestimmt. Wesentlich für die menschliche Person ist die Transzendenz — und das heißt zugleich: ein anderer Hunger. Der Hunger des menschlichen Geistes. Deshalb sagt Christus, und wir erinnern uns, daß er das während der Versuchung sagte, zum Versucher sagte: „nicht nur von Brot ..., sondern jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt“ {Mt 4,4). Menschliche Bedürfnisse verbinden sich mit der Dimension des Wortes, des Logos — also der Wahrheit. Sie verbinden sich auch mit der Dimension des Ethos: also der an der Wahrheit ausgerichteten Freiheit. Der Hunger nach Freiheit wird letztlich durch die Liebe befriedigt! Brot ... und Wort. Kultur und Ökonomie. Schließen sie einander aus? Bekämpfen sie einander? Nein, sie ergänzen ganz einfach einander. Doch vom Standpunkt der Fülle des Menschen ist es nötig, daß auch die Ökonomie teilnimmt an der Kultur, daß sie ihr grundsätzlich untergeordnet sei. Denn das bedeutet das Primat dessen, was zutiefst menschlich ist. Als Primas Wyszynski ein Jahr vor seinem Tode zu polnischen Schriftstellern sprach, sagte er: „Das Wort, das eine herrliche Gabe Gottes ist, soll voll Sonne und Heilung sein. Vor über zwanzig Jahren war auf Jasna Göra der erste Kongreß katholischer Schriftsteller nach dem Krieg. Ich sollte zu ihnen sprechen. Vor meinen Augen erstand deutlich das Bild des Lazarus, der an der Tür des großen Hauses lag, in dem ein Reicher, prunkvoll gekleidet, Tag für Tag üppig tafelte. Dieser arme Mensch, von Geschwüren bedeckt, starb vor Hunger, denn man gab ihm nichts vom Tisch des Reichen, nur die Hunde leckten Lazarus die Wunden. Damals drängte sich mir der Vergleich auf: wie passend für die Kulturschaffenden, für die Künstler, ist diese edle und heilende Aufgabe — die Wunden des geschlagenen Menschen zu lecken, das Volk zu heilen, die Menschen zu heilen ...“ {Ansprache Kardinal Stefan Wyszynski an die Schriftsteller und Literaten in der St.-Annen-Kirche, 15. März 1980, in: Pressebulletin der Polnischen Bischofskonferenz, 14/80/326, S. 4). 881 REISEN 4. Wir lesen über die erste um die Apostel versammelte Gemeinschaft: „Sie ... brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens“ (vgl. Apg 2,46). Unsere Begegnung erfolgt im Rahmen des Eucharistischen Kongresses, der in diesem Jahr in Polen stattfindet. Die Eucharistie stellt das Zentrum dieser Gemeinschaft dar, die sich um die Apostel versammelt. Die Eucharistie ist das Gedächtnis des Todes und der Auferstehung Christi. Sie verkündet und erneuert seine erste erlösende Ankunft — und sie sagt eine andere voraus: die endgültige Ankunft. Die Eucharistie ist das heiligste Sakrament unseres Glaubens. Die Hirten der Kirche in Polen möchten, daß alle, die zur Gemeinschaft dieser Kirche gehören, in sich das Bewußtsein der Eucharistie erneuern. Sie verweisen zu diesem Zweck auf die Worte, die in besonderer Weise die Tiefe der sakramentalen eucharistischen Wirklichkeit zum Ausdurck bringen. Diese Worte handeln von der Liebe: „Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ (Joh 13,1). Christus antwortet auf den tiefsten Hunger des menschlichen Wesens. Dies aber ist eben der Hunger nach Liebe. Er aber ist der, der „bis zur Vollendung“ seine Liebe erwies. 5. Die um die Apostel versammelte Gemeinschaft, die „am Brechen des Brotes“ festhält, versucht zugleich, einen Blick auf sich selbst zu werfen, auf ihr Leben und ihre Berufung im Lichte dieser Worte, die von Christus sprechen und die gleichzeitig von der Eucharistie sprechen. Genügt es nur, sie zu empfangen? Sie ist Nahrung — also muß man von ihr leben. Der menschliche Geist lebt von der Wahrheit und von der Liebe. Von daher entsteht auch das Bedürfnis nach dem Schönen. Der Dichter sagte: „Was weißt du vom Schönen? ... Es ist die Gestalt der Liebe“ (C. Norwid, Promethidion. Bogumil, Vers 109). Dies aber ist eine schöpferische Liebe. Eine Liebe, die Inspiration verleiht. Die die tiefsten Motive für die schöpferische Tätigkeit des Menschen liefert. Wieweit geht doch hier Norwid, wenn er sagt: „Denn das Schöne ist dazu da, für die Arbeit zu begeistern — und die Arbeit dafür, damit man aufersteht“ (ebd., Vers 185-186). Wieweit geht doch unser „vierter Dichterprophet!“ Man kann sich schwerlich der Überzeugung erwehren, daß er in diesen Worten zu einem Vorläufer des Vaticanum II. und dessen reiner Lehre geworden ist. So tief vermochte er das Pascha-Geheimnis Christi zu ergründen, so genau es in die Sprache des christlichen Lebens und der christlichen Berufung zu übersetzen. Den Zusammenhang zwischen dem Schönen — der Arbeit — der 882 REISEN Auferstehung: der unmittelbare Kern des christlichen: Sein und Handeln — esse et operari. 6. „Was weißt du vom Schönen? — Es ist die Gestalt der Liebe.“ Ihre Berufung, werte Damen und Herren, ist das Schöne, schöne Gegenstände zu schaffen, das Schöne in der vielfältigen Materie menschlichen Schaffens hervorzurufen: in der Materie der Worte und Klänge, in der Materie der Farben und Töne, in der Materie von Skulpturen oder architektonischen Bauten, in der Materie von Gesten, mit denen dieser ganz besondere Werkstoff der sichtbaren Welt, welches der menschliche Körper ist, sich ausdrückt und spricht. „Was weißt du vom Schönen? ... Es ist die Gestalt der Liebe.“ Und folglich: Steht es nicht in einem intimen, sehr realen Zusammenhang mit dem, der bis zur Vollendung Liebe erwies, der das endgültige Maß der Liebe in der Geschichte von Mensch und Welt offenbarte, das endgültige Maß: das rettende und erlösende Maß? Und folglich: steht dieses Schöne, das eure Berufung, eure Mühe und der schöpferische Schmerz eures Lebens ist, nicht in einem verborgenen, dennoch realen Zusammenhang mit dem Sakrament dieser Liebe Christi; mit der Eucharistie? Die Kirche bietet Künstlern einen Raum der Freiheit 7. Man hört, daß Kulturschaffende und Künstler in Polen in den letzten Jahren in einem zuvor nicht bekannten Grade die Verbindung mit der Kirche wiedergefunden haben. Ich freue mich gewaltig darüber. Ich danke dafür dem Heiligen Geist und der Mutter der Schönen Liebe. Diese Erscheinung tut sich auf verschiedene Weise kund. Man braucht wohl nur an jene „Wochen der christlichen Kultur“ zu erinnern, die Polen immer mehr erfassen und damit das bestätigen, was von unserer Identität, von der Geistesgeschichte: der Nation zeugt. Ich freue mich, daß die Intellektuellen, die Künstler, die Kulturschaffenden in der Kirche einen Raum der Freiheit finden, der ihnen nicht selten anderswo fehlt und daß sie dadurch Wesen und geistige Wirklichkeit der Kirche entdecken, die sie zuvor gleichsam von außen gesehen haben. Ich vertraue auch darauf, daß die polnische Kirche voll und ganz dem Vertrauen dieser Menschen gerecht wird, die recht häufig von weither kommen, und daß sie eine Sprache findet, die ihre Herzen und ihren Geist trifft. Persönlich freue ich mich zutiefst über diese Erscheinung. Die Verbindung mit der Kirche wiederentdecken — das bedeutet stets: sich im Bereich des Pascha-Geheimnisses Christi wiederzufinden, sich im Bannkreis jener Liebe zu 883 REISEN finden, die er „bis zur Vollendung“ erwies, sich im Bannkreis der Eucharistie zu befinden, die das Sakrament eben dieser Liebe ist. Man muß sich sehr darum bemühen, daß diese — von so vielen Menschen der Kultur in Polen wiedergefundene — Verbindung mit dem Pascha-Geheimnis Christi entsprechend Norwids wahrlich prophetischen Worten Früchte trage: „Denn das Schöne ist dazu da, für die Arbeit zu begeistern — und die Arbeit dafür, damit man auferstehtEs wird viel über die „polnische Arbeit“ gesprochen und geschrieben, und was man spricht und schreibt, erfüllt nicht selten mit tiefer Sorge. Es scheint, daß diese Arbeit im Bereich der Werteskala bedroht ist: nicht nur der ökonomischen Werte, sondern vor allem dieser grundlegenden — der menschlichen, humanistischen, moralischen — Werte. Uns droht, daß man „durch die Arbeit nicht aufersteht.“ 8. Kulturschaffende, Künstler, demütige Diener des Schönen im Leben der Nation! Ich denke, euer Bund mit der Kirche, wiedergefunden in eben dieser Geschichtsetappe, ist auch ein Signal dieser Bedrohung. Man muß dieses Signal richtig verstehen. Die Arbeit ist dann bedroht, wenn die Freiheit des Menschen sich nicht richtig erfüllt, das heißt, wenn sie sich nicht durch die Liebe erfüllt. Die Ökonomie muß hier auf die Kultur hören! Sie muß auf die Ethik hören, auch und mit Rücksicht auf sich selber — auf die Ökonomie. Denn alles gemeinsam ist in einem und dem gleichen Subjektcharakter verankert: dem des Menschen und dem der Gesellschaft. Gestattet, daß ich hier auch meine Anerkennung für diesen besonderen Bund ausdrücke, der sich bei uns in den letzten Jahren zwischen den Kulturschaffenden und den Werktätigen gebildet hat. 9. Ich komme auf diese Worte aus der Apostelgeschichte zurück, an die ich zu Beginn anknüpfte: „Sie hielten ... fest.“ Ja. Ihr müßt an dieser Gemeinschaft „festhalten“, damit euer Gefühl der Verantwortung für das „Schöne, das die Gestalt der Liebe ist“, noch geschärft werde, damit ihr anderen helft, an der gleichen Gemeinschaft der Kirche und der Nation „festzuhalten“. „Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk beliebt“ (Apg 2,47), so lesen wir weiter in der Apostelgeschichte. Ich wünsche euch, daß eure Werke den Menschen dienen, daß sie der Gesellschaft dienen, daß sie angenommen werden, daß sie den authentischen Hunger des menschlichen Geistes wecken und ihn zugleich befriedigen, daß ihr Achtung und Dankbarkeit von seiten derer findet, denen ihr dienen wollt. „.. .damit man aufersteht.“ 884 REISEN Die Eucharistie — Sakrament unserer Erlösung Predigt bei der hl. Messe zum Abschluß des Eucharistischen Kongresses in Warschau am 14. Juni Bevor ich mit der Predigt beginne, möchte ich alle Teilnehmer am heutigen eucharistischen Opfer herzlich grüßen und begrüßen, das wir in Warschau, der Haupstadt Polens, zum Abschluß des II. Eucharistischen Landes-Kongresses feiern. Ich grüße und begrüße die Polnische Bischofskonferenz und die ganze Kirche im geliebten Vaterland. Ich begrüße die Stadt Warschau, die Erzdiözese und ihren Hirten, den Primas von Polen. Ich grüße und begrüße die als Gäste anwesenden Kardinäle und Bischöfe, die Pilger aus ganz Polen und aus dem Ausland. Es ist mir sehr angenehm, in Warschau Pilger aus Rumänien — Geistliche und Laien — begrüßen zu können. Ich begrüße die Vertreter der im Polnischen Ökumenischen Rat vereinten Kirchen. In euch, den hier Anwesenden, und durch euch begrüße ich alle Gruppen eures täglichen Lebens und eurer täglichen Arbeit, insbesondere die Familien. Ich begrüße auch die, welche über Rundfunk und Fernsehen mit uns in geistiger Verbindung stehen. 1. „Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Diese Worte Christi ertönen heute hier, in der Hauptstadt Polens, am Tage der Beendigung des Eucharistischen Kongresses in besonderer Weise. Sie ertönen hier, und sie ertönen auf dem ganzen Weg des Kongresses: dort, wo ich persönlich sein konnte, und überall, im ganzen polnischen Land. Denn der Euchari-stische Kongreß hat eine solche Dimension. Er umfaßt das ganze Vaterland. „Ich bin bei euch“ — was bestätigt diese Worte mehr als die Eucharistie? Was ist mehr ein Sakrament der Anwesenheit als die Eucharistie? Ein „sichtbares und erfolgreiches“ Zeichen Immanuels? Denn „Immanuel“ bedeutet eben: „Gott ist mit uns“ {Mt 1,23). Eucharistie — Sakrament des Immanuel. Dieses Sakrament dauert von Anfang her in unserer Geschichte an seit 1000 Jahren. Und der Eucharistische Kongreß mußte dem seinen besonderen Ausdruck geben. Er wurde auf diese Weise gleichsam zu einer wesentlichen „Ergänzung“ unseres Millenniums: der Tausendjahrfeier der Taufe, die wir im Jahr des Herrn 1966 mit solcher Ergriffenheit begangen haben. 885 REISEN Christus sagt zu den Aposteln: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,19). Von der Taufe führt der Weg der Christen geradewegs zur Eucharistie: „Ich bin bei euch“, ich bin bei jedem und bei jeder von euch als Speise des ewigen Lebens. 2. „Ich bin bei euch.“ So spricht Christus — der Sohn Gottes, der mit dem Vater in der göttlichen Einheit vereinigt ist: der wesensgleiche Sohn, vereint mit dem Vater im Heiligen Geist. So also verwirklicht sich in der absoluten Einheit, der Göttlichkeit ewig die Einheit, die eine unausgesprochene Kommunion der Personen ist. So ist Gott, der alles umfaßt und alles durchdringt: „in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17,28). Gott in sich ist absolute Fülle des Seins. Dieser Gott in sich ist Liebe. Die Welt nimmt ihren Anfang aus dieser Fülle. In jeder Dimension ihrer Zufälligkeit, ihres Geschaffenseins hat sie Bezug auf den Schöpfer. Sie spricht von ihm. Die Welt nimmt ihren Anfang aus dieser Liebe. Und hier beginnt zwischen Gott und Welt ein Prozeß, der weit über das Geheimnis der Schöpfung hinausgeht: „... Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab“ (Joh 3,16). Dieser Prozeß — zwischen Gott und Welt — findet gewissermaßen sein letztes Wort in der Eucharistie. Denn der vom Vater an die Welt hingegebene Sohn erwies, „da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte ... ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ (vgl. Joh 13,1). Der Aufruf zur Liebe wird zu einer Forderung des Gewissens 3. Was bedeutet diese „Liebe bis zur Vollendung“? Sie bedeutet zuerst, daß die von Gott aus Liebe geschaffene Welt den Aufruf zur Gottesliebe in sich trägt. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit allen deinen Gedanken“ (vgl. Mt 22,37). Dieser Aufruf ist in die unmittelbare Struktur des geschaffenen Kosmos hineingeschrieben. Er „bewegt die Sterne und die Sonne“, wie wir in Dantes „Göttlicher Komödie“ lesen (HI, Das Paradies, XXXHI, 145). Dieser Aufruf ist Voraussetzung, damit die „Welt“ zum „Kosmos“ werde. Ja, die ganze Welt — das Universum: das sichtbare und unsichtbare All. In der sichtbaren Welt befindet sich ein Subjekt, ein neuralgischer Punkt, an dem dieser Aufruf zur Liebe zu einer Forderung des Gewissens wird: des Verstandes, des Willens und des Herzens. Dieser neuralgische Punkt ist der Mensch. 886 REISEN Du sollst im Namen aller Geschöpfe lieben. Du sollst mit Liebe die Liebe erwidern. Die Geschichte des Menschen auf Erden ist anders verlaufen. Von Anfang an erlag er der Einflüsterung, die aus der Welt jener unsichtbaren Geschöpfe kommt, die sich vom Schöpfer abgekehrt haben. Geschaffen nach Bild und Gleichnis Gottes, meinte der Mensch, er könne für sich selbst „Gott“ sein. Der große Aufruf zur Liebe wurde verspielt. Die im Herzen des Menschen deponierten überreichen Energien der Liebe wurden verzettelt, indem sie sich bei den geschaffenen Dingen aufhielten. Im Ergebnis vermochte der Mensch weder die Seinen noch sich selber noch die Welt zu lieben. Er erlag der Anti-Liebe. Denn sich selber und die Nächsten und die Welt kann man nur lieben, wenn man Gott liebt: wenn man ihn über alles liebt. Und andererseits: „Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht“ (vgl. 1 Joh 4,20). Seinen Bruder — unter dem gleichen Dach, an der gleichen Arbeitsstätte, in dem gleichen Vaterland ... Und weiter: jenseits von dessen Grenzen — in West und Ost, in Nord und Süd — immer weitere Kreise. Warum hat Gott, der die Welt liebte — und in der Welt den Menschen —, seinen einzigen Sohn hingegeben? Warum wurde der Gottessohn Mensch, einer von uns? Damit einer in dem ganzen aus Liebe geschaffenen Universum endlich eine Antwort gibt mit einer gleichen solchen Liebe. Damit einer endlich mit seinem Leben und Tod jenen Aufruf erfüllt: „Darum sollst du ... lieben mit ganzem Herzen, und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft“ (vgl. Mk 12,30). Damit endlich einer ... bis zur Vollendung Gott in der Welt liebt. Gott in den Menschen — und die Menschen in Gott. 4. Das eben ist das Evangelium — und das ist die Eucharistie. Sie schreibt sich hinein in die Geschichte des Menschen — und in die Geschichte des Universums, indem sie die Schöpfung zum „Kosmos“ umwandelt. Das Chaos zum Kosmos. Sie schreibt sich in die Geschichte des Menschen ein. Wir wissen, wie diese Geschichte auf Erden verläuft, wie weit wir mit Hilfe unserer Methoden der Erkenntnis zurückgreifen können. Wir wissen, wie sie im Raum der letzten Jahrtausende verläuft, wofür der Schatz an Beweisen ständig wächst: In den letzten Jahren wächst er in einem beschleunigten, geradezu schwindelerregenden Tempo. Wir wissen viel. Wir wissen immer mehr. Manchmal mag es uns sogar bei der Erkenntnis des Wesentlichen hindern — das, was wir wissen. Wir wissen auch, wie diese Geschichte in unserem Vaterland verläuft, im Bereich eines Jahrtausends der Geschichte, und zwar schon nach Christus, 887 REISEN schon im Bereich dessen, was der heilige Paulus die erfüllte Zeit nennt (vgl. Gal 4,4). Wir wissen, daß in unserem Jahrhundert der Widerstand und Widerspruch gegen den wächst, der „die Welt so sehr geliebt hat“ — ein Widerstand und Widerspruch bis zur Leugnung Gottes, bis zum Atheismus als Programm. Aber das alles ist in keiner Weise imstande, die Tatsache Christus zu verändern, die Tatsache Eucharistie. Auch wenn Gottvater, der Sohn und der Heilige Geist von den Menschen verworfen werden. Auch wenn die Menschen und Gesellschaften ihr Leben so einrichten, daß sie Gott dabei ignorieren: so als existierte Gott gar nicht. Auch wenn diese Leugnung noch so weit geht, die programmatische Atheisierung und die Sünde ... Das alles ändert nichts an der grundsätzlichen Tatsache: In der Geschichte des Menschen — und in der Geschichte des Universums — bleibt und dauert der Mensch, der wahre Menschensohn, der Liebe erwies „bis zur Vollendung“. Er liebte Gott mit einer Liebe, die dem Maße Gottes entspricht: als Sohn des Vaters, mit einer Liebe über alles: mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit allen seinen Kräften — bis zu deren letzter Erschöpfung im Todeskampf auf Golgota. Und eben diese Liebe „bis zur Vollendung“ machte er zum Sakrament der Kirche: zum Sakrament der ganzen Menschheit in der Kirche. „In keinem Sakrament“, sagte unser nationaler Prediger, „können wir genauso sagen, daß Christus mein ist, wie in diesem. Er ist mein, denn ich nehme ihn als Speise zu mir, denn er ist in mir ... Oh, was für ein Trost ist das für mich, der ich schwach bin wie ein Rohr ... Welche Tröstung für mich Sündigen, wenn ich den so reinen Leib verzehre! Welche Hochzeit für mich Traurigen, wenn ich den Ruhm des Herrn bei mir habe ... “ (Piotr Skarga, Sonntagspredigten, zitiert von K. Drzymala, in : Pater Piotr Skarga, Krakau 1984, S. 58). Jesu Liebe bringt Rettung und Erlösung flir die Menschen Dieser Mensch, Jesus Christus, ist ein „Zeichen ..., dem widersprochen wird“. Aber auch wenn dieser Widerspruch sich in der Geschichte der menschlichen Herzen, in der Geschichte der Gesellschaft und Weltanschauung auftürmt, so bleibt doch diese seine Liebe „bis zur Vollendung“ auf der Seite des Menschen. Und dies ist eine erlösende Liebe. Es ist eine rettende Liebe. Die Eucharistie ist das Sakrament unserer Erlösung. Nur die Liebe erlöst. 5. Eine solche Wahrheit über die Eucharistie bekennen wir heute in Warschau und in ganz Polen. Wir bekennen sie in Verbindung mit der Kirche, die 888 REISEN in Rom ist und in Antiochien und in Jerusalem und in Alexandrien und in Konstantinopel ... Die in Litauen ist, in Weißruthenien und in der Ukraine und in Kiew und in den Gebieten des großen Rußlands und bei unseren slawischen — und auch nicht-slawischen Brüdern, im Süden, auf den Gebieten, die einst die heiligen Brüder Cyrill und Method in ihrem apostolischen Dienst besucht haben. Und in ganz Europa. Auf den amerikanischen Kontinenten, die sich zur Zeit auf den 500. Jahrestag der Evangelisierung vorbereiten. In Afrika, in Australien und in Asien — und auf allen Inseln und Archipelen aller Meere und Ozeane. Alle vereint in der „Lehre der Apostel“ und im „Brechen des Brotes“ (vgl. Apg 2,42), wiederholen wir die Worte aus dem Brief an die Korinther: „Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes“ (vgl. 2 Kor 13,13) — und in diesen Worten finden wir einen bündigen Ausdruck des unergründlichen Geheimnisses des dreifältigen Gottes. Und zugleich finden wir in ebendiesen Worten eine Synthese dessen, was die Eucharistie ist: das Sakrament Christi, seines Todes und seiner Auferstehung. Seiner Liebe „bis zur Vollendung“, durch die die Welt definitiv und unwiderruflich Gott hingegeben und der Mensch —jeder Mensch — von der erlösenden Kraft der Versöhnung mit seinem Schöpfer und Vater im Heiligen Geist erfaßt wurde. 6. „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde“ {Mt 28,18). Alle, die wir auf den gekreuzigten Jesus Christus schauen, wissen, daß dies nicht die Macht der „Gewalt“ ist, sondern die Macht der Liebe. Von dieser rettenden Macht haben zahlreiche Söhne und Töchter des polnischen; Landes in unserem Vaterland Zeugnis gegeben. In verschiedenen Epochen. In verschiedenen Jahrhunderten. Nur einige hat die Kirche in das Verzeichnis ihrer Heiligen und Seligen aufgenommen. Manche warten auf das Urteil der Kirche. Bischof Michal Kozal — ein Mensch, in dem sich die Macht der christlichen Liebe erwies Heute fügen wir ihnen mit Freude und Begeisterung noch einen Vor- und Nachnamen hinzu: Bischof Michal Kozal, am Vorabend des letzten Krieges und der schrecklichen Besatzungszeit zum bischöflichen Dienst in der Kirche von Wloclawek berufen. Später gefangen genommen und in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Einer von Tausenden. Dort verschied er, gequält, im Rufe der Heiligkeit. Heute wird er hier, in Warschau, als Märtyrer zur Ehre der Altäre erhoben. 889 REISEN Unsere Landsleute kennen die Geschichte seines Lebens und seines Martyriums. Ein Mensch, noch einer von denen, in denen sich Christi Macht „im Himmel und auf der Erde“ erwies. Die Macht der Liebe — gegen die Verblendung der Gewalt, der Zerstörung, der Verachtung und des Hasses. Bischof Kozal nahm diese Liebe, die Gott ihm geoffenbart hatte, in der ganzen Fülle ihrer Forderungen an. Er schreckte selbst vor dieser schwierigsten Forderung nicht zurück: „Liebt eure Feinde“ (Mt 5,44). Möge er ein weiterer Patron für unsere schwierige Zeit sein, die voller Spannung, Feindschaft und Konflikte ist. Möge er vor jetzigen und kommenden Generationen ein Zeuge dafür sein, wie groß die Macht der Gnade unseres Herrn Jesus Christus ist — dessen, der Liebe erwies „bis zur Vollendung“. 7. Es ist gut, daß ihr euch dieser Macht unterwerft, die Christus „im Himmel und auf der Erde“ gegeben ist — ihr, teure Brüder und Schwestern, die ihr — nach dem Beispiel Pater Beyzyms und so vieler anderer — aus dem polnischen Land in Missionsländer aufbrecht. Werdet zu Wegbereitern der Evangelisierung Wenn ihr dieser Liebe folgt, die Christus „bis zur Vollendung“ jenen erwies, die „in der Welt waren“: nämlich allen, nehmt als euren evangelischen Auftrag das an, was die ersten Apostel mit auf den Weg bekamen: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ „Geht“ — werdet zu Dienern des Wortes von der Göttlichen Wahrheit, zu Verwaltern der göttlichen Geheimnisse, zu Pionieren der Evangelisierung. „Geht“ — und es wachse im polnischen Land die missionarische Begeisterung: dieses Wehen des lebendigen Gottes, der Ruf des Kreuzes und der Auferstehung. „Geht“ — und bringt anderen das, was das tausendjährige Erbe der Kirche im polnischen Land darstellt. Teilt es mit anderen. „Die ganze Kirche ist Missionskirche“. Ganz und überall! Ihr alle, die ihr nicht den Dienst in den Missionsgebieten antretet, vergeht nicht, daß unser eigenes polnisches Vaterland immerzu einer neuen Evangelisierung bedarf. Ebenso wie das ganze christliche Europa. Nach Hunderten von Jahren — und Tausenden — immer von neuem! Ganz Europa ist zu einem Kontinent einer neuen großen Herausforderung für das Evangelium geworden. Auch Polen. 8. Kann es im übrigen anders sein, wenn Gott der ist, der er ist? Wenn er der Vater und der Sohn und der Heilige Geist ist? Wenn er der Gott ist, der ist und der war und der kommt (vgl. Offb 4,8)? Der ständig kommt? Der immerzu von neuem kommt? 890 REISEN Wenn er der Vater ist, der seinen Sohn hingab, damit der Mensch nicht sterbe, sondern das ewige Leben habe? Wenn er der Geist der Wahrheit, der Parakletos, die Gabe aus der Höhe und der Hauch ist, der den ganzen Menschen heiligt? Kann es anders sein, wenn dieser dreieinige Gott die Liebe ist? Und die Liebe ist unvergänglich und unnachgiebig. 9. Dir, unser ewiger Herr, sei Ehre und Ruhm für alle Zeiten ... Die Zeit des Menschen auf Erden wurde ein für allemal von der Liebe dessen erfaßt, der bis zur Vollendung Liebe erwiesen hat. Das Universum und der Mensch in der Welt streben ständig auf ein Ende zu. Die Liebe allein kennt kein Ende. Sie kennt nur die Fülle. Diese Fülle ist in Gott. Dialektischer Materialismus — auch eine schöpferische Herausforderung Ansprache an die Polnische Bischofskonferenz am 14. Juni Liebe Brüder! 1. Am letzten Tage des Eucharistischen Kongresses in Polen möchte ich mich — mit einem Dank — an die ganze Bischofskonferenz wenden, an den Primas von Polen als Vorsitzenden der Bischofskonferenz, an die Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe. Vor allem danke ich gemeinsam mit euch Christus, der Eucharistie, für diese eucharistischen Tage auf dem Boden des Vaterlandes. Ich danke durch das Herz der Mutter der Kirche und Königin Polens, durch die Mittlerschaft unserer heiligen Patrone. Ich danke allen, die zum Werk des Eucharistischen Kongresses ihr — größeres oder kleineres — „Teil“ beigetragen haben. Möge diese neue Saat der Scholle der Kirche in unserem Vaterland Frucht tragen! 2. In der neuen Residenz, in der ich mich zum ersten Mal befinde, grüße ich herzlich alle Mitglieder der Polnischen Bischofskonferenz. Ich habe ständig im Bewußtsein, daß ich aus diesem Gremium mit den Stimmen des Konklaves — als Metropolit von Krakau — berufen wurde, den römischen Stuhl des heiligen Petrus zu übernehmen. Das geschah schon vor fast neun Jahren, und in 891 REISEN dieser Zeit hat die personale Zusammensetzung der Polnischen Bischofskonferenz sich bedeutend verändert. Wir befehlen Gott alle jene, die von hier hinüber gingen, und gleichzeitig danken wir dem Heiligen Geist, daß er neue Bischöfe für den Dienst an der Kirche im polnischen Land beruft. Seit meiner letzten Reise in das Vaterland im Jahre 1983 sind, um ihren Lohn zu erhalten, zu Christus, dem obersten Hirten und Priester, fünf Diözesanbi-schöfe hinübergegangen — Marian Rechowicz, Stefan Barela, Lech Kaczma-rek, Wilhelm Pluta, Jan Zareba. Mit allen war ich bekanntlich durch Bande der Freundschaft und langjähriger Zusammenarbeit verbunden, und mit Bischof Wilhelm wurde ich am gleichen Tage zur Fülle des Priestertums berufen; zum Herrn gingen auch fünf Weihbischöfe (Wincenty Urban, Waclaw Wycisk, Tadeusz Etter, Stanislaw Sygnet,; Jerzy Modzelewski). Ernannt wurden acht neue Verwalter von Diözesen: fünf Diözesanbischöfe und drei Apostolische Administratoren, außerdem achtzehn neue Weihbischöfe. Gegenwärtig zählt die Polnische Bischofskonferenz 97 Bischöfe, darunter 67 Weih- und zwei Alt-Bischöfe. Sie alle sind berufen zum Dienste am Volke Gottes im polnischen Land. Ich freue mich, daß sich die bescheidende Zahl der Erzbischöfe durch Ernennung des Bischofs von Tarnöw erhöht hat. 3. Dieses polnische Land, unser Vaterland, ist nicht leicht. Man kann sagen, im Laufe seiner tausendjährigen Geschichte hat es nicht aufgehört, ein Land vielfältiger Herausforderung zu sein. Diese Herausforderung brachte ihm in gewissen Perioden Größe und Ruhm, in anderen verband sie sich mit Leid, mehr noch: mit Bedrohung, manchmal mit einer geradezu tödlichen Bedrohung. Bekanntlich tauchte der Name Polen über 125 Jahre lang auf der politischen Landkarte Europas nicht nur nicht auf, sondern man versuchte, das Polentum selbst aus den Herzen und aus der Sprache ihrer Söhne und Töchter zu tilgen.. Geschichtliche Herausforderungen vollziehen sich durch Menschen, Wir wissen das sehr genau. Gleichzeitig glauben wir jedoch, daß sich durch das, was Menschen tun, eine „Herausforderung“ der Vorsehung verwirklicht, die die Welt regiert. Die Heilige Schrift spricht an verschiedenen Stellen zu uns auch davon, wie „Gold im Feuer geprüft wird“. Ähnlich sind auch die „Prüfungen“, durch die Menschen und Völker gehen. Materialistische Anthropologie als Herausforderung für das Christentum 4. Das 20. Jahrhundert wurde in der Geschichte der Kirche auch, vielleicht besonders im polnischen Land, zur Zeit einer neuen Herausforderung. 892 REISEN Nach tausend Jahren mußte das Christentum in Polen diese Herausforderung annehmen, die in der Ideologie des dialektischen Materialismus enthalten ist, wo jegliche Religion als ein den Menschen entfremdender Faktor qualifiziert wird. Wir kennen diese Herausforderung. Ich habe sie hier, im polnischen Land, erfahren. Die Kirche erfahrt sie an unterschiedlichen Orten der Erde. Dies ist nicht die einzige, aber eine sehr tiefgehende Herausforderung. Die Religion soll nach der heutigen materialistischen Anthropologie ein Faktor sein, der dem Menschen die Fülle seines Menschentums raubt. Der Mensch beraube sich selber durch die Religion dieser Fülle, indem er auf das immanent und integral „Menschliche“ zugunsten Gottes verzichte, der — im Lichte der Grundlegungen und Prämissen des materialistischen Systems — nur ein „Geschöpf“ des Menschen sei. Das kann eine destruktive Herausforderung sein. Aber — nach jahrelangen Erfahrungen — kommen wir um die Feststellung nicht herum, daß dies auch eine Herausforderung sein kann, die dazu mobilisiert, Anstrengungen zu unternehmen und nach neuen Lösungen zu suchen, und in diesem Sinne wäre das gewissermaßen eine schöpferische Herausforderung. Davon zeugt in beredter Weise das n. Vatikanische Konzil. Die Kirche hat die Herausforderung aufgenommen. Sie hat in ihr eines der providentiellen „Zeichen der Zeit“ gesehen. Und durch dieses „Zeichen“ gab sie mit neuer Tiefe und Überzeugung Zeugnis von der Wahrheit über Gott, über Christus und den Menschen. Entgegen allen Reduktionismen erkenntnistheoretischer oder systemhafter Natur, entgegen der ganzen materialistischen Dialektik. Der Mensch ist Subjekt und Schöpfer — auch in bezug auf die Ökonomie Wir lesen in Gaudium et spes: „Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis wahrhaft auf... Christus ... macht ... dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung“ (Nr. 22). So ist also der Mensch, das „unbekannte Wesen“, wie sich ein zeitgenössischer Naturwissenschaftler (Alexis Carrel) ausgedrückt hat, auch ein Geheimnis. Und vor allem ist er Person, ist er Subjekt seiner Taten. Subjekt der Moral. Subjekt der Geschichte. Nicht nur: „Widerspiegelung herrschender sozio-ökonomischer Beziehungen“. Nicht nur Epiphänomen der Ökonomie. Auch in bezug auf sie ist er Subjekt und Schöpfer. Es sei denn, er wird seines Subjektcharakters und seiner schöpferischen Initiative auf diesem Gebiete beraubt, die so wichtig ist für das Leben der Menschen, der Gesellschaften und Nationen. 893 REISEN 5. Die Behörden der Volksrepublik Polen äußerten in den letzten Jahren den Vorschlag, formelle diplomatische Beziehungen mit dem Apostolischen Stuhl anzuknüpfen. Der Apostolische Stuhl unterhält bekanntlich solche Beziehungen mit 116 Staaten auf der ganzen Welt, nicht gerechnet die internationalen Organisationen. In vielen Fällen sind das neu entstandene Staaten, z. B. auf dem afrikanischen Kontinent. Viele sind z. B. Moslemstaaten, wo die Christen eine verschwindende Minderheit unter den Bürgern darstellen. Bezeichnend ist die Tatsache, daß manche Staaten, so z. B. die skandinavischen Staaten, vier Jahrhunderte seit Abbruch der Verbindung zu Rom in der Zeit der Reformation, zu Beziehungen zum Apostolischen Stuhl zurückkehren. In jedem betreffenden Land holt der Apostolische Stuhl vor allem die Meinung der örtlichen Bischofskonferenz ein. Da die Polnische Bischofskonferenz sich in der betreffenden Frage in positivem Sinne ausgesprochen hat, müssen wir uns gemeinsam einige Umstände bewußt machen, die in diesem Falle beachtet werden müssen. 1) Die Beziehungen zwischen dem Apostolischen Stuhl und Polen haben eine lange Geschichte. Es geht hier um eine der ältesten Nuntiaturen (wie der verstorbene Kardinal Wyszynski zu sagen pflegte, eine sog. Nuntiatur erster Klasse). 2) Diese Beziehungen haben einen internationalen, aber keinen zwischenstaatlichen Charakter. Subjekt ist hier nicht der Vatikanstaat, sondern der Apostolische Stuhl. Dies entspricht zugleich dem Gesamtbild dieses Dienstes, den der Bischof von Rom hinsichtlich aller Ortskirchen erfüllt. Es geht also auch um die Stärkung des Bandes zur Bischofskonferenz des Landes, mit dem solche Beziehungen geschlossen werden. 3) Im Falle einer solchen Gesellschaft wie Polen, wo die Katholiken eine bewußte Mehrheit der Bürger darstellen, wird durch diese Beziehungen das Band zur Nation noch deutlicher. Die Erfahrungen der vergangenen Jahrhunderte (sogar, wenn dies zeitweilig schmerzhafte Erfahrungen waren) haben dieses Prinzip zutiefst bestätigt. Im Falle eines sog. „katholischen“ Landes hält der Apostolische Stuhl Beziehungen zu dem entsprechenden Staat für etwas Normales und Richtiges. Das Fehlen solcher Beziehungen ist eher etwas Anormales, sogar unter dem Gesichtspunkt der internationalen Position des gegebenen Staates, vor allem aber der gegebenen Nation. Es kann eine besondere Art von „Unrecht“ gegenüber diesem Volk sein. 894 REISEN 6. So liegt also hier vor uns eine ernste Arbeit, die nicht nur zum Ziel hat, den obengenannten Vorschlag zu verwirklichen, sondern auch — und vielleicht mehr noch — ihn vor Nation und Kirche, gewissermaßen vor der ganzen großen internationalen Gemeinschaft, vor allem im Bereich unserer Zivilisationszone, „glaubwürdig zu machen“. Hier muß ich die Polnische Bischofskonferenz zur kollegialen Zusammenarbeit aufrufen und einladen. An dieser verantwortungsvollen Zusammenarbeit müssen wir alle teilnehmen. Der polnische Episkopat ist, wie jeder Bischof und jede Bischofskonferenz auf der Welt, vor allem dazu berufen, das Evangelium zu verkünden — immer wieder das gleiche und doch immer wieder neu. Das Evangelium ist Gottes Wort der Wahrheit über die Erlösung jedes Menschen, über seine radikale Befreiung, wie das die zwei von der Kongregation für die Glaubenslehre in letzter Zeit veröffentlichten Instruktionen in Erinnerung gebracht haben. In diesem Lichte des Evangeliums bekommen auch einzelne Wahrheiten der gesellschaftlich-ethischen Ordnung ihren angemessenen Ausdruck: die Wahrheiten über den Menschen und über seine Rechte, Wahrheiten über das soziale Leben, über die Rechte der Nation. Ein neues Durchdenken verdient alles das, was zu der sogenannten Soziallehre der Kirche gehört, „aktualisiert“ im Kontext unseres Jahrhunderts durch eine Reihe von Enzykliken, insbesondere aber durch das Konzil — die Konstitution Gaudium et spes insonderheit der zweite Teil — die Kapitel über Ehe und Familie, über Kultur, sozio-ökonomisches Leben, über das Leben der politischen Gesellschaft und schließlich über die Notwendigkeit des Friedens und die internationale Gemeinschaft. Aufgrund ihrer im Evangelium gründenden und ihrer Hirten-Mission kann die.Kirche nicht aufhören, Dienerin in solchen Aufgaben zu sein, wie es der Subjektcharakter der Gesellschaft ist, verbunden mit der Wahrung der Rechte der menschlichen Person. Damit verbindet sich eng das Prinzip der Teilnahme an der Bestimmung über die Fragen der eigenen Gesellschaft, auch im politischen Bereich, wobei jegliche Diskriminierungen ausgeschlossen sein müssen. Die Souveränität eines Staates entspricht nur dann den Erfordernissen einer ethischen Ordnung, wenn sie Ausdruck der Souveränität der Nation in ebendiesem Staat ist: wenn die Gesellschaft in ihm authentisch Herr und Schöpfer des Gemeinwohls ist. Alle diese Dinge, die ich hier eher skizziere als bis zum Ende analysiere, dürfen der Kirche nicht aus dem Blickfeld geraten, insbesondere nicht ihren Hirten. So ist es in verschiedenen Ländern der Welt, so ist es zum Beispiel in vielen Ländern Lateinamerikas — in Polen kann es nicht anders sein. Wir 895 REISEN haben im übrigen im Hinblick darauf gute heimische Traditionen und eigene Erfahrungen, auch in dieser letzten Geschichtsetappe. Polnische Bischöfe ,,ad limina apostolorum“ 7. Im Jahre 1987 empfangen der Hl. Stuhl und der Papst einzelne Episkopate Europas im Rahmen der Besuche „ad limina apostolorum“. Ich erwarte auch die polnischen Bischöfe, nicht nur die episcopi diocesiani: die Ordinarien der Diözesen, sondern auch — im Rahmen des Möglichen — die „titulares seu auxiliäres“, so wie das immer häufiger im Geiste der konziliaren Lehre von der Kollegialität üblich wird. Wir werden in detaillierterer Weise als heute in die Probleme eindringen können, die gemeinsamer Gegenstand unserer Berufung und unseres Dienstes sind. Auch unter dem Blickwinkel dieser neuen Erfahrung zu der der Eucharisti-sche Kongreß wurde, der dauerhafte Frucht auf der Flur der polnischen Seelen und im Leben unseres geliebten Vaterlandes bringen möge! Eine warnende Stimme für die ganze Menschheit Ansprache an die jüdische Gemeinde in Polen in Warschau am 14. Juni Ich möchte Ihnen zunächst vor allem danken für diese Begegnung, die in meinem Reiseprogramm ihren Platz gefunden hat. Sie ruft mir so viel in die Erinnerung zurück, so viele Erfahrungen meiner Jugend — und sicherlich nicht nur meiner Jugend allein. Erinnerungen und Erfahrungen, die gut waren, dann furchtbar und schrecklich. Seien sie versichert, liebe Brüder, daß die Polen, die polnische Kirche im Geist tiefer Solidarität mit euch verbunden ist, wenn sie aus der Nähe auf diese schreckliche Realität der Vernichtung — der bedingungslosen Vernichtung — eures Volkes sieht, einer Vernichtung, die mit Vorsatz ausgeführt wurde. Die Bedrohung für euch war auch eine Drohung gegen uns; sie wurde nicht im selben Ausmaß verwirklicht, weil die Zeit dazu nicht ausreichte. Sie waren es, die diese schrecklichen Opfer erlitten haben: man könnte sagen, daß sie es auch erleiden mußten wegen jener, die ebenso zur Ausrottung bestimmt waren. Wir glauben an die reinigende Kraft des Leidens. Je grausamer das Leiden ist, um so größer die Läuterung. Je schmerzlicher die Erfahrungen, um so größer die Hoffnung. 896 REISEN Israel — dieser Name stellt eine Mahnung für die ganze Menschheit dar Heute steht das Volk Israel wohl im Mittelpunkt des Interesses aller Nationen der Welt — vielleicht mehr als jemals zuvor — vor allem wegen seiner schrecklichen Erfahrung; dadurch wurden Sie zu einer lauten, warnenden Stimme für die ganze Menschheit, für alle Nationen, alle Mächte dieser Welt, alle Systeme und jeden Menschen. Mehr als irgendjemand sonst sind Sie es, die zu dieser rettenden Warnung wurden. In diesem Sinne setzen Sie ihre besondere Berufung fort und erweisen sich immer noch als die Erben jener Auserwählung, der Gott treu ist. Dies ist Ihre Sendung in der Welt von heute, vor den Völkern, den Nationen, der ganzen Menschheit, der Kirche. Und in dieser Kirche fühlen alle Völker und Nationen sich mit Ihnen in dieser Sendung verbunden. Mit Sicherheit empfinden Sie die große Bedeutung Ihres Volkes und seiner Leiden, seines Holocausts, wenn Sie eine Warnung für den einzelnen und die Nationen aussprechen wollen; in eurem Namen erhebt der Papst seine Stimme zu dieser Warnung. Der polnische Papst hat eine besondere Beziehung zu all dem, weil er gemeinsam mit euch in gewisser Weise all dies hier in seinem Land erlebt hat. Das Verlangen nach dem ,,Shalom “ wird tief empfunden Dies ist nur ein Gedanke, den ich Ihnen darlegen wollte, dankbar, daß Sie hierher zu dieser Begegnung gekommen sind. Es gab viele Begegnungen mit euren Brüdern in verschiedenen Ländern der Welt. Ich kann nicht den letztjährigen Besuch in der Synagoge von Rom vergessen, den ersten Besuch nach sehr vielen Jahrhunderten. Ich bewerte diese Begegnung in Polen in einer besonderen Weise: sie ist besonders bedeutsam für mich, und ich glaube, daß sie auch in besonderer Weise Frucht tragen wird. Sie hilft mir und der ganzen Kirche, uns noch stärker dessen bewußt zu werden, was uns im Plan des Göttlichen Bundes vereint, wie Ihr Sprecher soeben formuliert hat. Dies ist es, was uns in der Welt von heute verbindet, angesichts der großen Aufgaben, die diese Welt Ihnen und der Kirche im Bereich von Gerechtigkeit und Frieden unter den Nationen stellt — gemäß Ihrem biblischen „Shalom“. Ich danke Ihnen für die Worte im Geist der Heiligen Schrift, im Geist, des Glaubens an denselben Gott, der Ihr und unser Gott ist, der Gott Abrahams. Ich richte meinen Friedensgruß in großem Respekt an die Wenigen Erben der großen jüdischen Gemeinschaft, vielleicht der größten in der Welt, die hier in Polen existierte. Shalom! 897 REISEN Christus ist bei jedem Kranken Vom Rundfunk übertragene Ansprache an die Kranken in der Heilig-Kreuz-Kirche am 14. Juni 1. „... Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seihen einzigen Sohn hingab“ (Joh 3.16). Meine lieben Brüder und Schwestern, die ihr euch an den Rundfunkempfängern im ganzen Heimatland, auf dem Meer und. überall versammelt habt, wohin meine Stimme auf den Wellen des Äthers dringt! Ich begrüße euch von ganzem Herzen an dem Tage, an deni die Kirche der Heiligsten Dreifaltigkeit besondere Ehre erweist — dem Vater, dem Sohne und dem Heiligen Geist: dem Dreieinigen Gott. Ich begrüße euch vom Wege des Eucharistischen Kongresses, den ich gemeinsam mit meinen Landsleuten an verschiedenen Stellen des polnischen Landes besuchen darf. Heute, am letzten Tage meines Aufenthalts im Vaterland, ist dieser Ort Warschau, die Hauptstadt Polens, die Heilig-Kreuz-Kirche. Gleichzeitig ist dieser Ort überall dort, wo ihr euch befindet und mit Hilfe des Rundfunks am Opfer Christi teilnehmt. 2. Ich begrüße deshalb diese besondere eucharistische Gemeinde mit Worten aus dem Brief an die Korinther: „Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen“ (vgl. 2 Kor 13,13). Dies ist ein wunderbarer Gruß. Er eröffnet uns das unergründliche Geheimnis Gottes — der Dreifaltigkeit, die — obwohl sie unaussprechliche Wirklichkeit des göttlichen Lebens bleibt — in der Geschichte der Welt, in der Geschichte des Menschen gegenwärtig und wirksam ist. In ihr „leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17,28). Diese gleiche Wirklichkeit verkünden wir mit den Worten, welche die Kirche so oft wiederholt: „Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geist.“ Gott in sich selbst. Gott in seiner unmittelbaren Gottheit. Gott, der „ war ... und ... ist und !.. kommt“ {Offb 4,8). Denn er ist selber in sich, jenseits jeglichen Raums und jeglicher Zeit über allem, was in dem geschaffenen Universum existiert, unerfaßbar für das menschliche und für jedes geschöpfliche Denken. „Ich bin der ,Ich-bin-da“‘ (vgl. Ex 3,14). Und gleichzeitig ist er der, der kommt. Die ganze Schöpfung verkündet nicht nur seine Existenz, sondern erwartet seine Ankunft. 898 REISEN 3. Wie kommt Gott? Darauf eben gibt Christus selber im Gespräch mit Niko- demus (das heutige Evangelium) die Antwort: Gott kommt, weil er die Liebe ist. Er kommt als Liebe. „... Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab.“ Er kommt also im Sohn — in diesem Sohn, der dem Vater wesensgleich ist, dessen Ruhm die Kirche ständig auf gleicher Ebene mit dem Vater und dem Heiligen Geist verkündet. i Indem Gott im Sohne kommt, bestätigt er diese seine erste Liebe, die in der Schöpfung offenbar wurde: das ist der Gott, der „die Welt ... geliebt hat“. Weil er sie liebte, hat er sie geschaffen. Und zugleich führt Gott diese Liebe, die in der Schöpfung zum Ausdruck kam, zum Gipfel, zum höchsten Gipfel in Jesus Christus. Denn in keinem Werk, das Gott durch seine Allmacht vollbringt, offenbart sich die Liebe so wesenhaft wie darin, daß Gott sich selber gibt. Er gibt sich in dem Sohn: der Vater gibt den Sohn — er gibt sich selber im Sohn. Die Eucharistie ist das Sakrament dieser Gabe. Ein Sakrament — das heißt ein sichtbares Zeichen, durch das dieses Geschenk^ diese Liebe Gottes im Sohn, nicht nur bezeichnet, ausgedrückt, sondern verwirklicht wird. 4. Was verwirklicht sich in der Eucharistie? Es verwirklicht sich die „Sendung des Sohnes“. Die erlösende Sendung des Sohnes. „Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet (wegen der Sünde), sondern damit die Welt durch ihn (vor der Sünde) gerettet wird“ (Joh 3,17). Die Erlösung ist die Frucht der Liebe. Der Gottessohn vollbringt das Werk der Erlösung, indem erzürn Menschen wird, das Evangelium verkündet und — während seines Messiasdienstes auf Erden — allen Gutes tut, insbesondere den Armen und Leidenden. Schließlich vollbringt er dieses erlösende, ihm vom Vater aufgegebene Werk, indem er sich selbst als Erlösungsopfer am Kreuz darbringt. Das Maß dieses Opfers ist unermeßlich. Der Sohn gibt sich selber als Opfer dar, gehorsam bis zum Tode, „damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (/oA 3,16). So ist Maß dieses Opfers die Liebe Gottes des Vaters — und die Gnade (die erlösende Liebe) des Sohnes: unseres Herrn Jesus Christus — und die Austeilung des Heiligen Geistes. Die Eucharistie ist das Sakrament des Opfers und der Kommunion. Alle, die wir an ihr als einem Opfer teilnehmen, die wir sie als Kommunion empfangen, erhalten zugleich Zugang zu dieser „Austeilung“ Gottes im Heiligen Geist, die Christus uns durch sein Leiden verdient hat. „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen“ (Joh 14,18). „Wenn ... der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der 899 REISEN Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen. Und auch ihr sollt Zeugnis ablegen“ (vgl. Joh 15,26-27). 5. Liebe Brüder und Schwestern! In Krankenhausbetten liegend, beschränkt auf die bescheidenen Bedingungen täglichen Lebens, krank, leidend, gebt ihr ein Zeugnis von Christus: dem leidenden, dem gequälten, dem gekreuzigten, dem, der auf Golgota stirbt. Ihr gebt ein Zeugnis vom Sohne, der „sich... hingegeben hat“ (Gal 1,4) für die Sünden der Welt. Und der Heilige Geist gibt dieses Zeugnis gemeinsam mit euch: in euch und durch euch. Dies ist ein besonderes Zeugnis! Der heilige Paulus schreibt, es sei ihm gegeben, „in meinem irdischen Leben das (zu ergänzen), was an den Leiden Christi noch fehlt“ (vgl. Kol1,24); • Jesus ist in jedem Kränken und Leidenden anwesend Die ganze Kirche nimmt dieses Zeugnis an — und ist euch dankbar für dieses Zeugnis. So wie sie auch allen dankbar ist, die euch dienen als Ärzte, als Krankenschwestern, als das ganze Personal des Gesundheitsdienstes. Sie alle finden ihr evangelisches Urbild im Guten Samariter. Und sie alle mögen sich bemühen, diesem Urbild gerecht zu werden. Christusseiber nämlich ist in jedem Kranken und Leidenden anwesend. Er ist es auch, der einmal zu jedem von uns sägen wird: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan .7. Was ihr für einen dieser geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan“ (vgl. Mt 25,40.45). 6. So geht also Christus durch das Leben jedes Menschen,: durch das Leben der Nationen und der Menschheit. Mose bittet im Buch Exodus: „Wenn ich deine Gnade gefunden habe, mein Herr, dann ziehe doch, mein Herr, mit uns“ (vgl. fix 34,9). Er zieht ... Er zieht „mit uns“. Er zieht heute in der feierlichen eucharisti-schen Prozession der Hauptstadt, mit uns, die eine Warschauer Tradition ist, ebenso wie auch in den anderen polnischen Städten. „Macht ihm Platz, der Herr kommt vom Himmel herab.“ Er zieht durch die Straßen, er zieht durch sie im Zeichen der weißen, in der Monstranz getrage-nen Hostien. ... ‘ . Er zieht durch die Herzen, durch die Gewissen. Sind wir wahrhaft das Volk, das geeint ist durch die Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes? Sind wir sein Volk?! Teure Brüder und Schwestern! Ergänzt in eurem Leiden, was dem Volk Gottes im ganzen polnischen Land fehlt! 900 REISEN Ergänzt es! Das ist eure Berufung im gekreuzigten und auferstandenen Christus. Das ist euer Teil — euer besonderer Teil — an der Eucharistie. Dialog und Ausdauer sind weiterhin notwendig Abschiedsänsprache auf dem Flughafen Warschau-Okecie am 14. Juni 1. In den Stunden der Trennung von der Heimat möchte ich alle meine Landsleute, die Töchter und Söhne des gemeinsamen Vaterlandes begrüßen, alle Generationen, angefangen von den Ältesten, die sich dem Ende ihrer, irdischen Wanderung nähern, bis zu den eben erst Geborenen, mehr noch bis zu denen, die sich noch unter dem Herzen der polnischen Mütter befinden, alle, denen ich auf den Wegen des Eucharistischen Kongresses begegnen durfte, und alle anderen, alle, ohnejede Unterschiede und Einschränkungen — ihnen allen danke ich für die Gastfreundschaft. Ich danke der göttlichen Vorsehung, daß es mir vergönnt war, im neunten Jahr meines Dienstes auf dem Stuhl des hl. Petrus noch einmal in meinem Heimatland zu sein. Zusammenarbeit von Regierung und Gesellschaft kann Probleme lösen helfen Ich habe gesehen, daß trotz der Schwierigkeiten dieses Land wächst und sich entwickelt, daß der Mensch in ihm wächst und sich entfaltet, sein Glaube, sein Verantwortungsgefühl und seine Reife. Notwendig ist weiterhin der Dialog, die geduldige Ausdauer, die Weitsicht, der Mut,' wenn es darum geht, neue Probleme anzupacken und zu lösen. Probleme gibt es und wird es immer geben. Schwierige Fragen verlangen die Zusammenarbeit aller, der Staatsmacht und der Gesellschaft. Mit Befriedigung vermerke ich auch, daß in Polen im Laufe der-letzten Jahre zahlreiche Kirchen und andere kirchliche.Bauten errichtet wurden. Wir haben auch viele neue Bauplätze gesehen. Im Augenblick des Abschieds kann man das schwerlich unerwähnt lassen. 2.. Ihnen, Herr Vorsitzender des Staatsrates, danke ich noch'einmal für die Einladung, für Ihre Anwesenheit bei meiner Ankunft, für den Empfang im Königsschloß, für die erneute Anwesenheit und für das Gespräch in der Stunde meines Abschieds. Gleichzeitig bringe ich, Herr Staatsratsvorsitzender, Ihnen gegenüber meinen Dank an alle Ihnen unterstehenden Personen und Behördenorgane zum Ausdruck, die meine Reise ermöglicht und erleichtert haben. Dies betrifft sowohl 901 REISEN die zentralen Staatsbehörden wie auch die Woiwodschafts- und Ortsbehörden an der ganzen Strecke, die ich in diesen Tagen zurücklegen durfte. Meinen Dank richte ich deshalb an Warschau, an Lublin, an Tamöw, an Krakau, an Szczecin (Stettin), Gdynia (Gdingen), Gdansk (Danzig), Tschensto-chau und Lodz — sowie überall dorthin, wohin er in diesem Augenblick des Abschieds dringen soll. Er soll aber zu sehr, sehr vielen Personen dringen, die sich bemühten, nicht nur mir, sondern allen den Papst begleitenden Ankömmlingen aus Rom Entgegenkommen und wahrhaft polnische Gastlichkeit zu erweisen. 3. Ihnen, Herr Kardinal, als Primas von Polen und Vorsitzendem der Bischofskonferenz, sage ich herzlichen Dank dafür, daß die Initiative zum Eucharistischen Landeskongreß ergriffen wurde — nach 57 Jahren, die seit einem ähnlichen Kongreß in Poznan (Posen) im Jahre 1930 verflossen sind. Diesen Dank richte ich an alle meine Brüder im Bischofsamt: an die polnischen Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe, an die ganze Geistlichkeit der Diözesen, an die männlichen und weiblichen Orden, an alle — so zahlreichen — Laienmitarbeiter beim Werk des Kongresses und an die Vertreter des Laiena-postoläts, an alle Gläubigen, die sich an meiner Reisestrecke eingefunden und an den Gottesdiensten des Eucharistischen Kongresses teilgenommen haben. Die liturgische Vorbereitung, die reife Teilnahme, die Sammlung-, der Geist des Gebets, die Gesänge und die prächtige Umrahmung haben alle erbaut. Gott vergelt’s. Ich danke für alles, was für die Vorbereitung des Eucharistischen Kongresses sowie für seine Durchführung getan wurde. Ich danke Gott dafür, daß ich an diesem bedeutsamen Ereignis der Kirche in Polen teilhaben durfte. Die Stelle im Johannesevangelium, die von Christus sagt: „Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ (Joh 13,1),. entspricht — so kann man sagen— den tiefen Bedürfnissen des zeitgenössischen Menschen, insbesondere des Menschen in Polen. Denn der Mensch muß grundlegend sicher sein, daß er geliebt, daß er in der ganzen Wahrheit seines Menschseins bejaht wird. Nur dann ist er bereit, Anforderungen anzunehmen. Dann ist er auch selber bereit, von sich etwas zu verlangen. Dann ist er. sogar zu großen Opfern und Entsagungen bereit, wie unsere Geschichte das mehrfach bewiesen hat.: Der Eucharistische Kongreß schuf ein Klima, in dem der Mensch in Polen, jeder und alle, bejaht und angenommen werden, insbesondere die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen, denen ich begegnen durfte. Es ist nötig,: daß dieses Klima anhält und sich vertieft. 902 REISEN Das Leben in Polen muß menschenwürdiger werden 4. Ich habe einmal gesagt, daß Polen das Vaterland einer schwierigen Herausforderung ist. Diese Herausforderung trägt zum Lauf unserer Geschichte bei. Sie bestimmt den besonderen Platz Polens in der großen Völkerfamilie auf dem europäischen Kontinent sowie auf dem ganzen Erdball. Wenn ich mich an dieser Stelle einer Wendung des II. Vatikanischen Konzils bedienen sollte, dann würde ich sagen, daß unser Vaterland — zusammen mit allen Nationen — darum bemüht sein muß, daß das menschliche Leben in Polen immer menschlicher, immer menschenwürdiger werde. Würdiger eines jeden Menschen, der in diesem Land lebt; und aller in der großen Gemeinschaft der Nation und der Gesellschaft. Dieser Prozeß — und zugleich diese Aufgabe — besitzt vier Hauptrichtlinien und zugleich vier Hauptbedingungen. Noch vor dem Konzil hat Johannes XXIII. sie in der Enzyklika Pacem in terris zusammengestellt, als er von den vier grundlegenden Rechten des Menschen sprach, die einem wahren Frieden auf Erden zugrunde liegen. Es sind das: das Recht auf Wahrheit — das Recht auf Freiheit — das Recht auf Gerechtigkeit — das Recht auf Liebe. Jede von ihnen entspricht zutiefst der Menschennatur und der Würde der menschlichen Person. Jedes von ihnen ist die Bedingung wahren Fortschritts, nicht nur des persönlichen, sondern auch des gesellschaftlichen Fortschritts, und nicht nur des geistigen, sondern auch des materiellen Fortschritts; auch .des ökonomischen Fortschritts, ja, auch des ökonomischen. Die Kirche will — wie wir in der Konstitution Gaudium et spes lesen — „Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person“ (Nr. 76) sein. Das ist ihre eigentliche Aufgabe, ihre Mission. Das bedeutet aber gleichzeitig, daß sie alle Talente, alle Energien des Geistes und des Körpers, die im Menschen sind, zum Wöhle der menschlichen Gemeinschaft in jeder Dimension — in der kulturellen, der sozio-politischen und der ökonomischen Dimension — freilegen will. Und die Kirche freut sich, wenn irgendwo auf der Welt, in irgendeinem Land oder irgendeiner Gesellschaft, Verständnis für die schöpferischen Initiativen eines jeden Menschen offenbar wird, wenn dafür angemessener Raum geschaffen wird. Noch einmal wiederhole ich hier die Worte des für uns unvergeßlichen Papstes Paul VI., die ich schon zweimal während meiner Besuche zitiert habe: „Ein blühendes und glückliches Polen liegt im Interesse des Friedens und einer guten Zusammenarbeit zwischen den Völkern Europas ...“ Das sind zugleich meine Wünsche zum Abschied. 903 REISEN 5. Im Jahr des Herrn 1987 bringe ich meine Freude zum Ausdruck, daß ich — zusammen mit der ganzen Kirche in Polen — am Wege des Eucharistischen Kongresses diese Gewißheit erneuern durfte, daß Christus, die Eucharistie, für uns „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) ist. Gleichzeitig sind in diesem Jahr 20 Jahre seit Erscheinen der Enzyklika Paul VI. über den „Fortschritt der VölkerPopulorumprogressio, vergangen. Meinem ganzen irdischen Vaterland und allen Landsleuten auf der Welt wünsche ich eine angemessene Beteiligung an diesem „Fortschritt der Völker“, den die Kirche so sehr für alle wünscht. Ich wünsche auch, daß die Wege, die zu diesem Fortschritt führen, gesucht und gefunden: werden. Ich danke. 904 REISEN 6. Pastoraireise in die Vereinigten Staaten und nach Kanada (10. bis 21. September) REISEN Radiobotschaft an das amerikanische Volk am 28. August Liebes Volk in den Vereinigten Staaten! Ich grüße euch alle voll Freude und Herzlichkeit: Katholiken, Protestanten und Juden; Glaubende und Nichtglaubende ohne Unterschied. Ich grüße euch alle in der Liebe Gottes, und ich freue mich darauf, wieder bei euch zu sein. Vor acht Jahren machte ich meine erste Pastoraireise in euer Land. Wie lebhaft erinnere ich mich an die Herzlichkeit und Freundlichkeit, mit der ihr mich willkommen hießet! Wie sehr warte ich darauf, in euer bedeutendes Land zurückzukehren! Für meinen zweiten Besuch wurde ein wichtiges Thema vorgeschlagen: Einheit in der Aufgabe des Dienstes. Dies führt uns zur Überlegung, auf welche Weise die Jünger Jesu Christi der Welt durch selbstloses Tun dienen können. Denn — wie uns das II. Vatikanische Konzil erinnert: Die Freuden und Hoffnungen, die Leiden und Ängste der Männer und Frauen unserer Zeit, besonders der Armen oder auf irgendwelche Weise Bedrängten, sind die Freuden und Hoffnungen, Leiden und Ängste aller Jünger des Herrn. Dieses Thema führt uns auch zur Erwägung einer weiteren Realität: das Wachsen in der Einheit, das unter den Jüngern Christi gerade durch den Dienst an den andern zum Ausdruck kommt. Die Identität der Kirche als Glaubens- und Liebesgemeinschaft leuchtet auf im liebevollen Dienst ihrer Mitglieder. Die Einheit der Kirche wird aufgebaut und verstärkt durch ihre geistlichen Ämter und Apostolate. Der Apostel Paulus teilt mit uns dieses Bild, wenn er in dieser Weise von der Gemeinschaft der Jünger des Herrn spricht: „Und er gab den einen das Apostelamt, andere setzte er als Propheten ein, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi. So sollen wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen ... “ {Eph 4,11-13). Mit dieser Einstellung komme ich folglich zu euch in euer geliebtes Land zurück — ein Pilger-Papst, der mit euch diese edlen Dienstleistungen feiern und unsere Einheit im Herrn aufbauen möchte. Möge Gott, unser aller Vater, die Vereinigten Staaten von Amerika jetzt und in Zukunft reichlich segnen. Möge er uns erneut in Wahrheit und Frieden, in Gerechtigkeit, Liebe und im Dienst vereinen. 906 REISEN Ich komme als Freund Amerikas Ansprache bei der Ankunft in Miami (U.S.A.) am 10. September Herr Präsident, liebe Freunde, liebe Amerikaner! 1. Es ist mir eine große Freude, wieder in eurem Land sein zu dürfen, und ich danke euch für die herzliche Begrüßung. Ich bin euch in allem tief verbunden. Meinen besonderen Dank spreche ich dem Präsidenten der Vereinigten Staaten aus, der mich heute durch seine Anwesenheit an diesem Ort beehrte. Ich danke der Bischofskonferenz und allen einzelnen Bischöfen, die mich in ihre Diözesen eingeladen und so viel zur Vorbereitung meines Besuchs getan haben. Meine herzlichen Grüße richten sich an alle Menschen in diesem Land. Ich danke euch, daß ihr mir eure Herzen öffnet und mich mit euren Gebeten unterstützt. Ich versichere euch, daß ihr in meine Gebete miteingeschlossen seid. 2. Bei dieser Gelegenheit wiederhole ich jedem, was ich an jenem denkwürdigen Tag im Jahr 1979 bei meiner Ankunft in Boston sagte: „Ich komme in die Vereinigten Staaten von Amerika als Nachfolger Petri ... Ich möchte einem jeden sagen, daß der Papst euer Freund und ein Diener eures Menschseins ist. An diesem ersten Tag meines Besuches möchte ich meiner Achtung und Liebe für Amerika Ausdruck verleihen, für das Unternehmen, das vor zweihundert Jahren begonnen hat und den Namen Vereinigte Staaten von Amerika1 trägt“ (Rede vom 1. Oktober 1979). Hirte der katholischen Gemeinde der Vereinigten Staaten 3. Heute wie damals komme ich, um die Frohbotschaft Jesu Christi allen zu verkünden, die mir freiwillig zuhören wollen, um erneut von der Liebe Gottes für die Welt zu erzählen, um noch einmal die Botschaft der Menschenwürde mit ihren unveränderlichen Menschenrechten und -pflichten darzulegen. Wie so viele andere vor mir komme ich nach Amerika und in eben diese Stadt Miami als Pilger: als Pilger, der in Gerechtigkeit, Frieden und menschlicher Solidarität die eine menschliche Familie aufbauen möchte. Ich komme hierhin als Hirte: als Hirte der katholischen Kirche, um mit den Katholiken zu sprechen und zu beten. Das Thema „Einheit im Dienen“ (Uni- 907 REISEN ty in the Work of Service), unter dem mein Besuch steht, bietet mir die willkommene Gelegenheit, eine noch engere Gemeinschaft mit ihnen in unserem gemeinsamen Dienst für den Herrn zu bilden. Es ermöglicht mir auch, ihre Hoffnungen und ihre Freude, ihre Ängste und Sorgen noch intensiver mit ihnen zu erleben. Ich komme als Freund: als Freund Amerikas und der Amerikaner, als Freund von Katholiken, Orthodoxen, Protestanten und Juden, von Menschen jeder Religionszugehörigkeit, aller Männer und Frauen guten Willens. Ich komme als Freund der Armen und Kranken und Sterbenden, als Freund derjenigen, die mit den Problemen eines jeden Tages zu kämpfen haben; als Freund derer, die aufsteigen und fallen und stolpern auf dem Weg des Lebens; als Freund derer, die suchen und entdecken, und derer, die die tiefe Bedeutung von „Leben, Freiheit und Suche nach Glück“ noch nicht finden. 4. Und schließlich komme ich, um mit euch das 200-Jahr-Jubiläum jenes großen Dokuments, der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, zu feiern. Ich schließe mich gern eurem Dankgebet dafür an, daß durch die göttliche Vorsehung die Verfassung den Menschen dieser Nation zwei Jahrhunderte hindurch von Nutzen war. Sie hat die Einheit geschaffen, die Gerechtigkeit hergestellt, Ruhe und Frieden gesichert, das Gemeinwohl gefordert und den Segen der Freiheit gewährleistet. Auch bitte ich Gott mit euch darum, daß er euch Amerikaner, die ihr so viel in Freiheit, Wohlstand und menschlicher Bereicherung erreicht habt, anregen möge, weiterhin all dies mit den vielen, vielen Brüdern und Schwestern in änderen Ländern der Welt zu teilen, die noch darauf warten und hoffen, die Lebensqualität von Kindern Gottes zu erreichen. Mit großer Begeisterung freue ich mich darauf, mit euch in den vor uns liegenden Tagen zusammen zu sein. Dabei ist dies mein Gebet für euch alle, liebe Amerikaner: „Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Heil.“ (Num 6,24-26) Gott segne Amerika! \ 908 REISEN Die Einheit hat viele Ausdrucksweisen Ansprache in der St-Marien-Kathedrale in Miami (U.S. A.) am 10. September Lieber Erzbischof McCarthy und liebe Brüder im Bischofsamt, liebe Brüder und Schwestern, liebe Freunde! 1. Es ist für mich eine große Freude, meinen Pastoralbesuch hier in Miami, in dieser St .-Marien-Kathedrale zu beginnen. Diese Kirche verkörpert eine lange Geschichte von Glauben, christlichem Leben in Hingabe und Zeugnis von seiten der zahllosen Priester, der Ordensleute und Laien in dieser Stadt und im Staat Florida. Wenn ich nun zu euch komme, möchte ich euch meine Anerkennung aussprechen für das Jubiläumsjahr der Versöhnung, das ihr in Vorbereitung meines Besuches begangen habt, und für die Erzbischöfliche Synode, die gerade stattfindet. Diese Ereignisse sollen für euch alle aus der Erzdiözese von bleibendem geistlichen Wert sein, damit euer christliches Zeugnis im Alltag und in der Gesellschaft, zu der ihr gehört, immer fruchtbarer werden kann. Ich möchte auch meine Genugtuung darüber zum Ausdruck bringen, daß ihr die Herausforderungen einer schnell wachsenden Kirche angenommen habt. Mit den Jahren habt ihr Hunderttausende von Flüchtlingen verschiedener Sprachen und Kulturen — wegen religiöser oder politischer Unterdrückung auf der Flucht — aufgenommen. Mit ihnen und für sie habt ihr euch abgemüht, eine vereinigte Gemeinschaft in Christus aufzubauen. Ich dränge euch alle — den Klerus, die Ordensleute und die Laien Miamis, zusammen mit eurem Erzbischof und mit mir —, weiter nach Wegen zu suchen, um die kirchliche Einheit in dem einen Leib Christi zu vertiefen. Diese Einheit kommt auf vielerlei Weise zum Ausdruck. Das Evangelium zu verkünden, den Glauben zu bekennen, die Liturgie zu feiern und an den Sakramenten — vor allem an der Heiligen Eucharistie — teilzunehmen, ist Einheit. Als missionarische Kirche hinzugehen und die Welt zu evangelisieren, ist Einheit. Aber gerade unsere Gegenwart hier in diesem Haus Gottes erinnert uns an eine andere Quelle der Einheit. Ich meine das persönliche Gebet eines jeden einzelnen von uns, ob es hier in einem Augenblick der Stille dargebracht wird oder an den vielen Orten, an denen sich unser tägliches Leben entfaltet. „Das geistliche Leben“, mahnt uns das Zweite Vatikanische Konzil, „deckt sich aber nicht schlechthin mit der Teilnahme an der heiligen Liturgie. Der Christ ist zwar berufen, in Gemeinschaft zu beten, doch muß er auch in 909 REISEN sein Kämmerlein gehen und den Vater im Verborgenen anbeten, ja ohne Unterlaß beten, wie der Apostel mahnt“ (Sacrosanctum Concilium, Nr. 12). Das Gebet bringt dem Vater Anliegen der Kinder vor 2. Die meisten Menschen haben immer ein großes Interesse für das Gebet. Wie die Apostel wollen sie wissen, wie sie beten sollen. Die Antwort, die Jesus gibt, kennen wir alle: es ist das „Vaterunser“, in dem er in wenigen einfachen Worten alles Wesentliche des Gebetes offenbart. Der Mittelpunkt sind nicht zuerst wir, sondern der himmlische Vater, dem wir unser Leben in Glauben und Vertrauen überlassen. Unser erstes Interesse muß sein Name sein, sein Königreich, sein Wille. Erst danach bitten wir um unser tägliches Brot, um Vergebung und um die Befreiung von künftigen Versuchungen. Das „Vaterunser“ lehrt uns, daß unsere Beziehung zu Gott ein Verhältnis der Abhängigkeit ist. Wir sind durch Christus seine angenommenen Söhne und Töchter. Alles, was wir sind und was wir haben, kommt von ihm und ist dazu bestimmt, zu ihm zurückzukehren. Das „Vaterunser“ zeigt uns das Gebet auch als Ausdruck unserer Wünsche. Bedrängt von der menschlichen Schwachheit, bitten wir Gott natürlich um viele Dinge. Oft mögen wir zu denken versucht sein, daß er uns nicht hört oder uns nicht antwortet. Aber wie der Heilige Augustinus uns weise erinnert, weiß Gott schon, was wir uns wünschen, bevor wir darum bitten. Er sagt, daß das Gebet zu unserem Wohle ist, weil wir im Gebet unsere Wünsche „trainieren“, um das zu erfassen, was Gott uns geben möchte. Es ist für uns eine Gelegenheit, unser Herz zu erweitern (vgl. Brief an Proba, Ep. 30). Mit anderen Worten, Gott hört und antwortet uns immer — aber aus der Perspektive einer weitaus größeren Liebe und eines weitaus tieferen Wissens, als wir sie haben. Wenn es scheint, daß er unsere Wünsche nicht erfüllt, weil er uns nicht gewährt, was wir erbitten, so sehr dieses auch selbstlos und edel sein mag, dann reinigt er in Wirklichkeit unsere Wünsche um eines höheren Gutes willen, das oft unser Verständnis in diesem Leben übersteigt. Die Herausforderung besteht darin, unser Herz zu erweitern, indem wir seinen Namen heiligen, sein Reich suchen, seinen Willen akzeptieren. So wie Christus im Garten von' Getsemani dürfen auch wir manchmal beten: „Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir!“ Aber genauso müssen wir wie Christus hinzufügen: „Aber nicht, was ich will, sondern was du willst, soll geschehen“ (vgl. Mt 26,39.42; Mk 14,36; Lk 22,42). Der Akt des Betens ist auch dazu bestimmt, uns für Gott und unseren Mitmenschen zu öffnen, nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten. Deshalb verbindet die christliche Spiritualität nach den Worten Jesu (vgl. Mt 6) das 910 REISEN Gebet mit Fasten und Almosengeben. Ein Leben der Selbstverleugnung und Nächstenliebe ist ein Zeichen der Hinwendung zu den Gedanken Gottes, zu seiner Art der Liebe. Indem wir durch Buße Demut üben, öffnen wir uns für Gott. Indem wir aus Nächstenliebe und über die Forderungen der Gerechtigkeit hinaus geben, öffnen wir uns für unseren Nächsten. Der hl. Petrus Chrysologus gibt Zeugnis von dieser Tradition, wenn er sagt: „Gebet, Fasten und Barmherzigkeit... geben sich gegenseitig Leben. Worum das Gebet an eine Tür klopft, erbittet das Fasten erfolgreich und die Barmherzigkeit erhält es. Denn das Fasten ist die Seele des Gebets; und die Barmherzigkeit ist das Leben des Fastens ... Das Fasten keimt nicht, solange es nicht von der Barmherzigkeit bewässert wird“ (.Predigt 43). 3. Liebe Brüder und Schwestern: wir dürfen die Kraft des Gebetes nie unterschätzen, wenn es darum geht, die heilbringende Mission der Kirche zu fördern und Gutes dorthin zu bringen, wo Böses ist. Wie ich vorhin gesagt habe, müssen wir im Gebet vereint sein. Wir beten nicht nur für uns selbsf und die, die wir lieben, sondern auch für die Nöte der Weltkirche und der ganzen Menschheit: für die Missionen und für die Berufung von Priestern und Ordensleuten, für die Bekehrung der Sünder und die Errettung aller, für die Kranken und für die Sterbenden. Als Glieder der Gemeinschaft der Heiligen umfaßt unser Gebet auch die Seele derer im Fegefeuer, die in der liebenden Barmherzigkeit Gottes auch nach dem Tod noch die Reinigung erfahren können, die sie brauchen, um in die Glückseligkeit des Himmels einzugehen. Das Gebet läßt uns auch erkennen, daß unser Kummer und unsere Wünsche manchmal klein sind verglichen mit den Nöten und Leiden so vieler unserer Brüder und Schwestern auf der ganzen Welt. Da ist das geistige Leiden jener, die den Weg ihres Lebens wegen der Sünde oder wegen mangelnden Glaubens an Gott verloren haben. Da ist das materielle Leiden von Millionen von Menschen, denen Nahrungsmittel, Kleidung, Obdach, Medizin und Ausbildung fehlen; jener, die der grundlegendsten Menschenrechte beraubt sind, jener, die wegen Krieg oder Unterdrückung im Exil oder als Flüchtlinge leben. Ich weiß, daß diese Art von Leid in Miami (U.S.A.) nicht fremd ist. Wir müssen handeln, um es zu lindern, aber wir müssen auch beten — nicht nur für jene, die leiden, sondern auch für die, die ihnen dieses Leid zufügen. Liebe Brüder und Schwestern: als Hirt der ganzen Kirche wurde mir die Gnade des Gebetes von Millionen von Gläubigen in der ganzen Welt zuteil; heute möchte ich meine tiefe Dankbarkeit zum Ausdruck bringen für die Gebete, die ihr für mich und meinen Dienst als Nachfolger Petri dargebracht habt. Ich bitte euch, dies auch in Zukunft zu tun. Mit dem hl. Paulus sage ich euch: „Bittet... auch für mich: daß Gott mir das rechte Wort schenkt, wenn es dar- 911 REISEN auf ankommt, mit Freimut das Geheimnis des Evangeliums zu verkünden“ (.Eph 6,19). In diesem Augenblick bete ich besonders für all jene unter euch, die dazu beigetragen haben, den Glauben in dieser Erzdiözese aufzubauen und zu erhalten. Wir sind heute und immer aufgerufen, im Gebet vereint zu bleiben: zur Ehre des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Der Priester ist für die anderen da Ansprache bei einer Begegnung mit Priestern in Miami (U.S.A.) am 10. September Liebe Brüder im Priesteramt! 1. Bei diesem Zusammentreffen heute möchte ich euch mein Herz öffnen und mit euch das Priestertum feiern, an dem wir alle Anteil haben: „Vobis sum Episcopus, vobiscumSacerdos!“ „Ich bin überzeugt, daß wir nicht besser damit beginnen können, als daß wir unsere Gedanken und unsere Herzen auf jenen Hirten richten, den wir alle kennen: den Guten Hirten, den einzigen Hohenpriester, unseren Herrn und Erlöser Jesus Christus. Mein Herz ist erfüllt von Lob und Dank, wenn ich meine Liebe zum Priestertum zum Ausdruck bringe, zu der schönen Berufung, der wunderbaren Berufung, die wir alle teilen,, nicht weil wir ihrer würdig sind, sondern weil Christus uns geliebt hat und liebt und uns dieses besondere Dienstamt anvertraut hat. Und ich danke Gott für euch, meine Brüder im Priesteramt mit den Worten des heiligen Paulus: „Ich danke Gott... bei Tag und Nacht in meinen Gebeten, in denen ich unablässig an dich denke“ (2 Tim 1,3). Ich bin euch auch dankbar, meine Brüder im Priesteramt, für euren Willkommensgruß in brüderlicher Liebe, den ihr persönlich und durch euren Vertreter, Father McNulty, zum Ausdruck gebracht habt. Meine Worte richte ich an alle, die hier anwesend sind, und an alle Priester in den Vereinigten Staaten. Euch allen gilt mein Dank für euren Dienst, für eure Beharrlichkeit, für euren Glauben und eure Liebe, für euer Streben, das Priestertum in Verbundenheit mit dem Volk in Wahrheit zu leben — in der Wahrheit, Diener Christi, des Guten Hirten, zu sein. Trotz großer räumlicher Distanz eine Glaubensgemeinschafi Als Priester tragen wir alle einen „Schatz in zerbrechlichen Gefäßen“ (2 Kor 4,7). Ohne unser eigenes Verdienst und mit allen unseren menschlichen 912 REISEN Schwächen sind wir berufen worden, Gottes Wort zu verkünden, die heiligen Geheimnisse, besonders die Eucharistie, zu feiern, für das Volk Gottes zu sorgen und den Versöhnungsdienst des Herrn weiterzuführen. Auf diese Weise sind wir Diener sowohl des Herrn als auch seines Volkes, sind selbst ständig zur Umkehr aufgerufen und beständig eingeladen, „als neue Menschen zu leben“ (Röm 6,4). Ich bin in die Vereinigten Staaten gekommen, um euch, meine Brüder im Priesteramt, entsprechend dem Willen Christi im Glauben zu stärken (vgl. Lk 22,32) . Ich bin zu euch gekommen, weil ich alle Entfernungen überbrücken möchte, damit wir miteinander und immer wahrhaftiger eine Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe werden können. Ich bestätige euch in den guten Gaben, die ihr empfangen habt, und in der großmütigen Antwort, die ihr dem Herrn und seinem Volk gegeben habt; und ich ermutige euch, mehr und mehr Jesus Christus, dem Ewigen Hohenpriester, dem Guten Hirten, ähnlich zu werden. Der heilige Paulus mahnt uns, wie er Timotheus gemahnt hat, furchtlos im Dienste Christi zu stehen:, ,Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Schäme dich also nicht, dich zu unserem Herrn zu bekennen, ... sondern leide mit mir für das Evangelium; Gott gibt dazu die Kraft“ (2 Tim 1,7-8). Wir wissen, daß die Verkündigung des Evangeliums und die Ausübung unseres Dienstes ganz bestimmt Mühenmit sich bringen. Es wäre falsch, das Priesterleben auf diese einzige Dimension des Leidens zu reduzieren; doch es wäre ebenso falsch, diese Dimension zu übersehen oder uns darüber zu ärgern, wenn wir ihr begegnen. Wir sind nicht bereit von den Umständen des Menschsems, noch können wir j e jener Selbstentäußerung entgehen, für die uns Jesus das Beispiel gegeben hat, der „selbst in Versuchung geführt wurde und gelitten hat“ (Hebr 2,18). 2. Es ist wichtig, daß wir Befriedigung in unserem Dienst finden und daß wir uns klar bewußt sind, welche Art von Befriedigung wir erwarten können. Die physische und emotionale Gesundheit der Priester ist ein wichtiger Faktor ihres umfassenden menschlichen und priesterlichen Wohlbefindens, und es ist notwendig, dafür Sorge zu tragen. Ich finde es lobenswert von euren Bischöfen und auch von euch selbst, diesen Dingen in den vergangenen Jahren besondere Aufmerksamkeit zugewandt zu haben. Und doch besteht die Erfüllung, dieaus unserem Dienst kommt, letztlich nicht in physischem oder psychischem Wohlbefinden; noch kann sie je in materieller Bequemlichkeit und Sicherheit bestehen. Unsere Erfüllung hängt ab von unserer Beziehung zu Christus und von dem Dienst, den wir seinem Leib, der Kirche, leisten. Jeder von uns ist am meisten er selbst, wenn er „für die anderen“ da ist. 913 REISEN 3. Und gerade hier erhebt sich natürlich ein Problem für uns in unserem Dienst. So viel wird von uns von so vielen verschiedenen Menschen verlangt, und oft genug sieht es so aus, als sei unsere Antwort ihren Bedürfnissen nicht gewachsen. Manchmal liegt das an unserer eigenen menschlichen Begrenztheit. Dann können wir versucht sein, einer übermäßigen Selbstkritik nachzugeben und zu vergessen, daß Gott unsere Schwäche genau so leicht wie unsere Stärke dazu gebrauchen kann, seinen Willen zu erfüllen. Es ist euch hoch anzurechnen, meine Brüder, daß ihr euch bemüht, barmherzig und mild und nachsichtig zu sein wie der Gute Hirte, den ihr kennt und nachahmt und liebt und dem ihr eure Treue gelobt habt. Es gibt keinen anderen möglichen Weg. Manchmal jedoch kann das, was im Namen des Mitleids von euch verlangt wird, nicht mit der vollen Wahrheit Gottes übereinstimmen, dessen ewiges Gesetz der Liebe niemals im Widerspruch zu der Tatsache stehen kann, daß er immer „voll Erbarmen“ ist (Eph 2,4). Wahres Erbarmen beachtet auch den Plan Gottes für die Menschheit; und dieser vom Zeichen des Kreuzes geprägte Plan wurde geoffenbart von einem barmherzigen Hohenpriester, der „mitfühlen kann mit unserer Schwäche, ... der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat“ (Hebr 4,15). Wenn auf der anderen Seite das, was als eine Geste des Erbarmens gefordert wird, den Forderungen des Wortes Gottes zuwiderläuft, kann es niemals mitleidend oder wohltuend für unsere Brüder und Schwestern in Not sein. Jesus, der selbst der vollkommene Ausdruck der Barmherzigkeit des Vaters war, war sich auch bewußt, „ein Zeichen des Widerspruchs“ zu sein (Lk 2,34). Der Apostel Johannes erzählt uns, daß an einem bestimmten Punkt im Wirken des Herrn, „sich viele Jünger zurückzogen und nicht mehr mit ihm umherwanderten“ (Joh 6,66). Die Gegenwartsprobleme im Vertrauen auf den Heiligen Geist angehen Heute gibt es in der Tat zahlreiche heikle Fragen, die die Priester in ihrem Alltagsdienst behandeln müssen. Wie ich von vielen Priestern und vielen Bischöfen weiß, gibt es verschiedene Lösungsansätze für diese Fragen. Was von einigen unserer Brüder in der einen Weise gesehen wird, beurteilen andere ganz anders. Ja, wir alle haben Fragen, die sich aus der Ausübung unseres Priestertums ergeben, und diese Fragen fordern von uns, ständig die Erleuchtung und die Weisheit zu suchen, die nur vom Heiligen Geist kommen können. Dabei ist es jedoch für uns wichtig zu begreifen, daß derselbe Heilige Geist, von dem all die verschiedenen und wunderbaren Charismen kommen und der in den Herzen aller Gläubigen wohnt, der Kirche das besondere Charisma des Lehramts verliehen hat, durch das er die gesamte Gemeinschaft zur Fülle der 914 REISEN Wahrheit führt. Durch das Wirken des Heiligen Geistes wird beständig die Verheißung Christi erfüllt: „Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Wir wissen, daß die Kirche durch das Zweite Vatikanische Konzil deutlich und kollegial ihre Lehre zu vielen dieser heiklen Fragen zum Ausdruck gebracht hat und daß ein großer Teil dieser Lehre in der Folgezeit auf den verschiedenen Sitzungen der Bischofssynode bekräftigt worden ist. Diese Lehre der Kirche ist daher von ihrer Natur her bestimmend für das Leben der Kirche und für den gesamten Seelsorgedienst. Die bevorstehende Synode wird nach ausgiebigen Umfragen und eifrigem Gebet andere wichtige Fragen im Leben der Kirche ausführlich beraten und seelsorgliche Stellungnahmen dazu abgeben. Das priesterliche Dienstamt legt schwere Bürden auf Ich bin mir sehr stark bewußt, daß eure Treue zu dem, was Christus für seine Kirche will, und eure seelsorgliche Einfühlsamkeit große Opfer und Großzügigkeit des Geistes fordern. Schon wenige Wochen nach meiner Papstwahl sagte ich zu den Bischöfen der Vereinigten Staaten: „Wie ihr lernte ich als Bischof das Dienstamt der Priester aus erster Hand kennen, die Probleme, die ihr Leben mit sich bringt, ihre großartigen Bemühungen, die Opfer, die mit ihrem Dienst am Gottesvolk verbunden sind. Wie ihr bin ich mir voll bewußt, daß Christus Priester braucht, um sein Erlösungswerk zeitgerecht erfüllen zu können“ (9. November 1978). 4. Wenn wir die Überzeugung aussprechen, daß Christus seine Priester braucht und sie in seinem Erlösungswerk mit sich vereinigen will, müssen wir auch die Konsequenz daraus unterstreichen: den dringenden Bedarf an neuen Berufungen zum Priestertum. Es ist wirklich notwendig für die ganze Kirche, für dieses Anliegen zu arbeiten und zu beten. Wie Father McNulty so treffend feststellte, müssen wir Priester persönlich großmütige junge Männer einla-den, ihr Leben für den Dienst des Herrn hinzugeben; sie müssen echt angezogen werden durch die Freude, die wir in unserem eigenen Leben und Dienst ausstrahlen. Noch ein Faktor muß bei der Beurteilung der Zukunft der Berufungen in Betracht gezogen werden, nämlich die Kraft Christi, des Ostergeheimnisses Christi. Als Kirche Christi sind wir alle aufgerufen, seine Kraft vor der Welt zu bekennen; zu verkünden, daß er kraft seines Todes und seiner Auferstehung in der Lage ist, junge Menschen in dieser Generation wie in der Vergangenheit an sich zu ziehen; zu erklären, daß er stark genug ist, auch heute jungen Männern ein Leben des Selbstopfers, der reinen Liebe und der totalen 915 REISEN Hingabe an das Priestertum anziehend erscheinen zu lassen. Wenn wir diese Wahrheit bekennen, wenn wir mit festem Glauben die Kraft des Herrn der Ernte verkünden, haben wir ein Recht zu erwarten, daß er die Gebete erfüllt, die er selbst uns geboten hat. Die gegenwärtige Stunde fordert ein großes Vertrauen auf ihn, der die Welt überwunden hat. 5. Die authentische Erneuerung der Kirche, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen wurde, war ein großes Geschenk Gottes an sein Volk. Durch das Wirken des Heiligen Geistes ist unermeßlich viel Gutes geschehen. Wir müssen weiterhin beten und arbeiten, damit der Heilige Geist seinen Plan durch uns zur Vollendung bringt. In dieser Hinsicht haben die Priester eine unentbehrliche Rolle im erneuerten Leben der Kirche zu spielen. Tag für Tag wird die Kirche durch die Gnade erneuert, wenn sie das Wort Gottes tiefer und ergründender zu verstehen sucht, wenn sie nach einer echteren Anbetung im Geist und in der Wahrheit strebt und wenn sie die Gaben aller ihrer Glieder anerkennt und entfaltet. Diese Dimensionen der Erneuerung erfordern jene bleibenden Aufgaben der Priester, die deren Amt den einzigartigen Charakter geben, nämlich den Dienst des Wortes und des Sakraments, die Hirtensorge um die Herde Christi. Wahre Erneuerung setzt die klare, getreue und wirksame Verkündigung des Wortes Gottes voraus. Das Zweite Vatikanische Konzil hat aufgezeigt, daß dies die erste Aufgabe des Priesters ist (Presbyterorum Ordinis, Nr. 4). Wer predigt, muß das mit dynamischer Treue der Wiedergabe tun. Das bedeutet, immer dem treu zu bleiben, was in Überlieferung und Heiliger Schrift, wie sie von der lebendigen Seelsorgeautorität der Kirche gelehrt werden, weitergegeben wurde, und jede Anstrengung zu unternehmen, um das Evangelium so wirkungsvoll wie möglich in seiner Anwendung auf neue Lebensumstände zu präsentieren. So oft das Wort wahr verkündet wird, geht Christi Erlösungswerk weiter. Doch was verkündet wird, muß zuerst gelebt werden. Erneuerung in Christi Gnade und Leben hängt in großem Maß. von der Entwicklung des Gebetslebens der Kirche ab. Weil wir Priester den Vorsitz in der Liturgie führen, müssen wir zur Kenntnis und Hochschätzung der Riten der Kirche durch Studium und Gebet gelangen. Wir sind berufen, Zeremonien zu leiten, die sowohl der Disziplin der Kirche entsprechen als auch den kirchlichen Normen entsprechend in legitimer Weise zum Wohle unseres Volkes angepaßt sind. Unverfälschte Erneuerung hängt auch von der Art und Weise ab, wie Priester ihre Hirtenaufgabe für die Herde Christi ausüben, besonders wenn sie die Gläubigen ermutigen, ihre Talente im Apostolat und in verschiedenen Sonderformen des Dienstes zu gebrauchen. Die Verpflichtung der Kirche zu 916 REISEN evangelisieren, das Wort Gottes zu verkünden und die Menschen zur Heiligkeit des Lebens zu rufen, kann nicht aufrechterhalten werden ohne die unermüdlichen Anstrengungen und die selbstlose Unterstützung der Priester. Bei der Einladung an die Menschen, wie Jesus es tat, zur Umkehr — der totalen Umkehr des Evangeliums — ist das Beispiel der Priester von extremer Bedeutung für die Glaubwürdigkeit des Lebens der Kirche. Dies trifft besonders auf unseren eigenen Gebrauch des Bußsakraments zu, durch das wir wiederholt zum Herrn umkehren können. Auf dieser Voraussetzung beruht die volle übernatürliche Wirksamkeit unseres „Dienstes der Versöhnung“ (2 Kor 5,18) und unseres ganzen Priesterlebens. Die Erfahrung der Kirche lehrt uns: „Die Feier der Eucharistie und der Dienst der anderen Sakramente, der pastorale Eifer, die Beziehung zu den Gläubigen, die Verbundenheit mit den Mitbrüdem, die Zusammenarbeit mit dem Bischof, das Gebetsleben, ja die ganze priesterliche Existenz würde unweigerlich schweren Schaden nehmen, wenn der Priester es aus Nachlässigkeit oder anderen Gründen unterließe, regelmäßig und mit echtem Glauben und tiefer Frömmigkeit das Bußsakrament zu empfangen. Wenn ein Priester nicht mehr zur Beichte geht oder nicht gut beichtet, so schlägt sich das sehr schnell in seinem priesterlichen Leben und Wirken nieder, und auch die Gemeinde, deren Hirte er ist, wird dessen bald gewahr“ (Reconciliatio et paenitentia, Nr. 31).' In den Priestern soll das Reich Gottes anschaulich werden Die Leute erwarten von uns, daß wir Männer des Glaubens und des Gebetes sind. Die Leute suchen in uns die Wahrheit Christi und die Lehre seiner Kirche. Sie möchten sehen, wie die Liebe Christi in unserem Leben Gestalt geworden ist. All das erinnert uns an eine sehr grundlegende Wahrheit, daß nämlich der Priester ein „anderer Christus“ ist. In einem gewissen Sinn sind wir Priester Christus für alle, denen wir dienen. Das gilt für alle Aspekte unseres priesterlichen Wirkens. Aber es gilt besonders beim Eucharistischen Opfer — aus dem unsere Identität als Priester entspringt und in dem sie am deutlichsten und wirkungsvollsten zum Ausdruck kommt. Diese Wahrheit hat auch besondere Bedeutung für unseren Dienst als Diener des Sakraments der Versöhnung, durch das wir der Bekehrung und dem Frieden sowie der Ausbreitung des Reiches Gottes auf Erden einen einzigartigen Dienst leisten. An diesem Punkt möchte ich die Worte wiederholen, die ich schon einmal an die Priester der Kirche gerichtet habe: „Ehre gebührt also dieser stillen Schar unserer Mitbrüder, die Tag für Tag durch den Dienst der sakramentalen Buße für die Sache der Versöhnung gewirkt haben und weiterhin wirken“ (Reconciliatio et peanitentia, Nr. 29). 917 REISEN In ihrem Sendungsauftrag gegenüber der Welt wird die Kirche erneuert, wenn sie die Menschheit aufruft, auf das Liebesgebot Gottes zu antworten, und wenn sie die Werte des Evangeliums, soweit sie das öffentliche Leben beeinflussen, hochhält und fördert. Dadurch wird sie zu einer prophetischen Stimme, wo es um Wahrheit und Gerechtigkeit, um Mitleid und Frieden geht. In diesen die Welt betreffenden Aufgaben ist die Führungsrolle des priesterli-chen Dienstes entscheidend gewesen und bleibt es auch weiterhin. Priester, die die Laien ermutigen und unterstützen, helfen diesen, ihren eigenen Auftrag, die Werte des Evangeliums in das öffentliche Leben hineinzutragen, zu erfüllen. So können Priester und Laien in Zusammenarbeit die Gesellschaft selbst zur Verteidigung des Lebens und der Menschenrechte, zum Schutz des Familienlebens, zum Einsatz für mehr soziale Gerechtigkeit und zur Förderung des Friedens herausfordem. 6. Eine der herausragenden Erfahrungen der Priester in den Vereinigten Staaten in den Jahren nach dem Konzil war die Erneuerung ihres spirituellen Lebens. Viele Priester haben diese Erneuerung in Gruppen brüderlichen Beistands, durch spirituelle Führung, Zeiten der Einkehr und andere lobenswerte Bemühungen gesucht. Diese Priester haben ihren Dienst als neu belebt durch die Wiederentdeckung der Bedeutung des persönlichen Gebetes erfahren. Während ihr fortfahrt, Christus sowohl in eurem Gebet als auch in eurem Dienst zu entdecken, werdet ihr tiefer erfahren, daß er, der Gute Hirte, der wahre Mittelpunkt eures Lebens, die eigentliche Bedeutung eures Priestertums ist. Meine Brüder, wenn ich zu euch über das Gebet spreche, erzähle ich euch nichts, was ihr nicht schon wißt, oder dränge euch nicht zu etwas, was ihr nicht schon praktiziert. Das Gebet ist schon seit euren Seminaijahren oder noch früher Teil eures täglichen Lebens gewesen. Aber Beharrlichkeit im Gebet ist, wie ihr wißt, schwierig. Ausgedörrtheit des Geistes, äußerliche Ablenkungen, die verlockende Vernünftelei, daß wir unsere Zeit nutzbringender anwenden könnten — all das ist jedem bekannt, der zu beten versucht. Unweigerlich bedrängen diese Elemente irgendwann das Gebetsleben eines Priesters. Für uns Priester ist das Gebet weder ein Luxus noch eine Option, die man aufgreift oder beiseiteschiebt, wie es gerade passend erscheint. Das Gebet ist wesentlich für das pastorale Leben. Durch das Gebet wächst unser Gespür für das Wirken des Geistes Gottes in der Kirche und in uns selbst. Und wir werden uns der anderen mehr bewußt, werden „aufmerksamer für ihre Nöte, ihr Leben und ihr Schicksal“ {Gründonnerstagsbrief an die Priester, 1987, Nr. 11). Ja, durch das Gebet lernen wir jene tiefer lieben, die Jesus 918 REISEN unserem Dienstamt anvertraut hat. Von besonderer Bedeutung für unser Leben und unseren Dienst ist das große Lobgebet — das Stundengebet — das die Kirche uns auferlegt und das wir in ihrem Namen und im Namen unseres Herrn Jesus Christus beten. Kraft und Mut gewinnen durch Christus und das Vorbild der Heiligen 7. In den letzten Jahren haben mir Priester oft berichtet, daß sie das Bedürfnis nach einer Stützung in ihrem Dienst spüren. Die Anforderungen an den priesterlichen Dienst heute sind wahrhaftig groß und die Ansprüche an unsere Zeit und unsere Energie scheinen jeden Tag zu wachsen. Wie leicht können wir unter solchen Umständen Versuchungen zur Mutlosigkeit nachgeben! Aber, liebe Brüder, in diesen Zeiten ist es wichtiger denn je, daß wir den Rat aus dem Hebräerbrief beachten: „Laßt uns auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens; er hat angesichts der vor ihm liegenden Freude das Kreuz auf sich genommen, ohne auf die Schande zu achten ... Denkt an den, der von den Sündern solchen Widerstand gegen sich erduldet hat; dann werdet ihr nicht ermatten und den Mut nicht verlieren“ (Hebr 12,2-3). Die Ermutigung und die Stütze, die wir aneinander finden, ist ein großes Geschenk der Liebe Gottes — ein Wesenszug des Priestertums Christi. Die Zunahme wechselseitiger Unterstützung unter Brüdern im Priesteramt durch Gebet und Anteilnahme ist ein höchst ermutigendes Zeichen. Dasselbe kann man, auf anderer Ebene, von den Priesterräten sagen, die der Solidarität der Priester untereinander und mit ihren Bischöfen im Sendungsauftrag der Weltkirche verpflichtet sind. Als Priester brauchen wir auch Vorbilder priesterlichen Dienstes, „Künstler“ der Seelsorgearbeit, die uns sowohl inspirieren als auch Fürsprache für uns einlegen — Priester, wie Philipp Neri, Vinzenz von Paul, Jean Vianney, Johannes Don Bosco und Maximilian Kolbe. Und wir können auch das prie-sterliche Leben von Männern betrachten, die wir persönlich kennengelernt haben, beispielhaften Priestern, die uns Anregung geben — weil sie den einzigen priesterlichen Dienst Jesu Christi mit höchster Großzügigkeit und Liebe gelebt haben. Um in unserem Seelsorgsdienst auszuharren, brauchen wir vor allem „das Eine“, von dem Jesus uns sagt, daß es „notwendig“ ist (vgl. Lk 10,42). Wir müssen den Hirten sehr gut kennen. Wir brauchen eine tiefe persönliche Beziehung zu Christus — dem Ursprung und höchsten Vorbild unseres Priestertums — eine Beziehung, die die Vereinigung im Gebet verlangt. Unsere Liebe zu Christus, im Gebet häufig neu entzündet — besonders im Gebet vor dem Allerheiligsten Altarsakrament — gehört zur Grund- 919 REISEN läge unserer Verpflichtung zum Zölibat. Diese Liebe macht es uns als Dienern des Reiches Gottes auch möglich, unser Volk frei und keusch und tief zu lieben. 8. Meine Brüder: Indem wir an dem einzigen Priestertum Christi Anteil haben, teilen wir auch dieselben Freuden und Sorgen. Ich danke euch noch einmal, daß ihr euch Christus und der Kirche geschenkt habt, und ich möchte, daß ihr wißt, daß ich euch in euren Bemühungen, dem Herrn und der Kirche zu dienen, nahe bin. Euch gehören meine Dankbarkeit, meine Gebete, meine Unterstützung und meine Liebe. Abschließend möchte ich die Hoffnung aus-sprechen, daß jeder von uns immer die Freude erfahren werde, von der der Psalmist spricht: „Seht doch, wie gut und schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen“ (Ps 133,1). Liebe Brüder im Priesteramt: Katholische Einheit ist unsere Berufung. Als Priester in Amerika seid ihr aufgerufen, diese katholische Einheit in den Teilkirchen — den Diözesen — zu leben, zu denen ihr gehört. Aber all diese Teilkirchen sind niemals vollkommener sie selbst, sind niemals ihrer Identität mehr treu, als wenn sie voll die Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe mit der Weltkirche leben. Auf dem Gipfel unseres priesterlichen Dienstes steht dieses Geheimnis der kirchlichen Einheit, und ihr seid aufgerufen, es in Opfergeist und Liebe zu leben, verbunden mit Maria, der Mutter Jesu. Der Schütz und die zärtliche menschliche Liebe unserer Allerseligsten Mutter ist eine große Hilfe für uns Priester alle. Ihre Gebete unterstützen uns, ihr Beispiel fordert uns heraus, ihre Nähe tröstet uns. In ihrer Gegenwart erfahren wir die Freude und die Hoffnung, die wir so sehr brauchen. Ist dies nicht der Tag und die Stunde, liebe Brüder im Priesteramt, uns an sie zu wenden, wie wir es am Tag unserer Priesterweihe getan haben müssen, und ihr aufs Neue uns selbst, unser Volk und unseren heiligen Dienst anzuvertrauen? Warum? Zum Ruhme des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Liebe Priester Amerikas, liebe Brüder: „Meine Liebe ist mit euch allen in Christus Jesus“ (1 Kor 16,24). 920 REISEN Freiheit ist eine große Gnade Gottes Ansprache bei der Begegnung mit dem amerikanischen Präsidenten am 10. September 1. Ich danke Ihnen für Ihre freundschaftliche Geste, daß Sie sich persönlich nach Miami bemüht haben, um mich hier zu empfangen. Herzlichen Dank für dieses Zeichen des Entgegenkommens und des Respektes. Als Regierungschef der Vereinigten Staaten von Amerika möchte ich Sie herzlich begrüßen. Bei dieser Gelegenheit bringe ich meine große Wertschätzung für das Verfassungssystem dieser Demokratie zum Ausdruck, die „zu bewahren, zu beschützen, und zu verteidigen“ Ihr Auftrag ist. Indem ich Sie, Herr Präsident, begrüße, begrüße ich noch einmal das ganze amerikanische Volk mit seiner Geschichte, seinen Errungenschaften und seinen großen Möglichkeiten, der Menschheit zu dienen. Gerne zolle ich den Vereinigten Staaten meine Anerkennung für alles, was Sie für die eigene Nation getan haben, für all jene, die Sie in kultureller Kreativität aufgenommen und willkommen geheißen haben in unteilbarer nationaler Einheit gemäß ihrem eigenen Wahlspruch: E pluribus unum. Ich danke Amerika und allen Amerikanern — den früheren Generationen und den heute lebenden — für ihre Großzügigkeit gegenüber Millionen von Mitmenschen in der ganzen Welt, die sich in Not befinden. Aber am heutigen Tag möchte ich die reichen Gaben hervorheben, die Amerika von Gott erhalten und zur Blüte gebracht hat und die wahren Werte des amerikanischen Lebensentwurfs in den vergangenen zwei Jahrhunderten geworden sind. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten gründet in konkreten Prinzipien 2. Für Sie alle ist dies ein besonderer Zeitpunkt in Ihrer Geschichte: Die Zweihundertjahrfeier Ihrer Verfassung. Es ist ein Augenblick, die Bedeutung dieses Dokumentes neu zu erkennen und über wichtige Aspekte des Verfassungssystems nachzudenken, das jenes Dokument hervorgebracht hat. Es ist ein Moment, den ursprünglichen politischen Glauben Amerikas mit seinem Hinweis auf die Souveränität Gottes in Erinnerung zu rufen. Den Ursprung der Vereinigten Staaten zu feiern heißt, jene moralischen und geistigen Prinzipien zu betonen, jene ethischen Anliegen, die die Gründungsväter beeinflußten und Teile der amerikanischen Erfahrung geworden sind. Vor elf Jahren, als Ihr Land ein anderes bedeutendes Dokument feierte, die Unabhängigkeitserklärung,, wandte sich mein Vorgänger Paul VI. in Rom an amerikanische Kongreßabgeordnete. Seine Äußerung gilt auch heute noch: 921 REISEN „Auf Schritt und Tritt“, sagte er, „spricht Ihr 200-Jahr-Jubiläum zu Ihnen von moralischen Prinzipien, religiösen Überzeugungen, unveräußerlichen Rechten, die vom Schöpfer verliehen sind.“Und der Papst fügte hinzu: „Wir hegen sehr die Hoffnung, daß ... die Erinnerung Ihrer 200-Jahr-Feier eine erneute Hinwendung zu jenen gesunden moralischen Prinzipien begründet, die von Ihren Gründungsvätern formuliert wurden und in Ihrer Geschichte für immer bewahrt bleiben“ (Ansprache vom 26. April 1976). 3. Unter den vielen bewunderungswürdigen Werten Ihrer Nation findet sich ein Wert, der in besonderer Weise hervorragt. Es ist die Freiheit: Die Idee der Freiheit ist Teil des eigentlichen Bauplans dieser Nation als einer politischen Gemeinschaft freier Menschen. Freiheit ist eine große Gabe, eine große Gnade Gottes. Vom Beginn an war Freiheit in Amerika darauf gerichtet, eine wohlgeordnete Gesellschaft zu ermöglichen und ein Leben in Frieden zu fordern. Freiheit zielte auf die Fülle menschlichen Lebens, auf die Bewahrung menschlicher Würde und den Schutz aller Menschenrechte. Eine Erfahrung geordneter Freiheit ist wirklich ein kostbarer Teil der Geschichte dieses Landes. Dies ist die Freiheit, die Amerika aufgerufen ist, zu leben, zu schützen und weiterzugeben. Diese Nation ist berufen, sich der Freiheit in einer Weise zu bedienen, daß sie auch dem Anliegen der Freiheit in anderen Nationen und anderen Völkern zugute kommt. Die einzige wahre Freiheit, die einzige Freiheit, die wirklich Befriedigung schenkt, ist die Freiheit zu dem, was wir als Menschen, die von Gott geschaffen wurden, nach seinem Plan tun sollen. Es ist die Freiheit, die Wahrheit dessen zu leben, was wir sind und wer wir sind vor Gott, die Wahrheit unserer Eigenschaft als Kinder Gottes, als Brüder und Schwestern einer einzigen Menschheit. Deshalb schuf Jesus Christus den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit, als er nachdrücklich feststellte, „dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien“ (Joh 8,32). Alle Menschen sind aufgerufen, die befreiende Wahrheit von Gottes Souveränität über den einzelnen und die Nationen zu erkennen. 4. Das Bemühen, das Geschenk der Freiheit zu schützen und zu vollenden muß ebenso die unerbittliche Suche nach Wahrheit einschließen. In einer Ansprache an Amerikaner bei einer anderen Gelegenheit zum Verhältnis von Freiheit und Wahrheit sagte ich: Ich stelle fest, daß „ihr als Volk eine Mitverantwortung tragt für die Erhaltung der Freiheit und deren Läuterung. Wie so viele andere Dinge von großem Wert ist die Freiheit zerbrechlich. Der hl. Petrus erkannte dies, als er die Christen ermahnte, niemals ihre Freiheit zu benutzen ,als Deckmantel für das Böse (7 Petr 2,16). Jede Entstellung der Wahr- 922 REISEN heit oder Verbreitung der Nichts-Wahrheit ist ein Angriff auf die Freiheit; jede Manipulation der öffentlichen Meinung, jeder Mißbrauch von Autorität und Macht oder andererseits allein schon die Vernachlässigung der Wachsamkeit bringt das Erbe eines freien Volkes in Gefahr. Sogar noch wichtiger aber ist, daß jeder Beitrag, sich für die Wahrheit in Nächstenliebe einzusetzen, die Freiheit festigt und den Frieden aufbaut. Wenn wirklich von allen eine gemeinsame Verantwortung übernommen wird, ist eine große neue Kraft am Werk für den Dienst an der Menschheit“ {Ansprache vom 21. Juni 1980). 5. Der Dienst an der Menschheit war immer ein besonderes Element der Berufung Amerikas und ist auch heute noch von Bedeutung. In Übereinstimmung damit äußerte ich mich gegenüber dem Präsidenten der Vereinigten Staaten im Jahre 1979 — und ich möchte dies nun wiederholen — in folgenden Worten: „Festhalten an menschlichen Werten und moralischen Belangen, was stets ein Kennzeichen des amerikanischen Volkes gewesen ist, muß — ganz besonders im gegenwärtigen Kontext der zunehmenden Interdependenz der Völker über die Erde hinweg — innerhalb des Rahmens der Perspektive gesehen werden, daß das Gemeinwohl der Gesellschaft nicht nur die einzelne Nation umfaßt, zu der man gehört, sondern die Bürger der ganzen Welt... Die heute herrschenden Beziehungen zwischen den Völkern und Nationen machen es erforderlich, eine größere internationale Zusammenarbeit auch im wirtschaftlichen Bereich herbeizuführen. Verantwortung Amerikas für die Solidargemeinschaft Welt Je mächtiger eine Nation ist und je größer ihre internationale Verantwortung wird, um so größer muß auch ihr Engagement sein, das Los jener zulverbes-sern, deren Menschenwürde ständig bedroht ist durch Armut und Bedürftigkeit ... Amerika, das in den vergangenen Jahrzehnten Güte und Großzügigkeit bewiesen hat, indem es Nahrungsmittel für die Hungernden in der Welt zur Verfügung stellte, wird — dessen bin ich sicher — in der Lage sein, dieser Großzügigkeit einen ebenso überzeugenden Beitrag zur Errichtung einer Weltordnung zur Seite zu stellen, die die notwendigen Wirtschafts- und Handelsbedingungen schafft für eine gerechtere Beziehung zwischen allen Nationen der Welt im Respekt vor ihrer Würde und ihrer Eigenart“ (Ansprache im Weißen Haus, 6. Oktober 1979). In Verbindung mit diesem Einsatz und Dienst ist Freiheit in der Tat ein großes Geschenk Gottes an diese Nation. Amerika braucht die Freiheit, um sich treu zu sein und seine Mission in der Welt zu erfüllen. In einem schwierigen Augenblick in der Geschichte dieses Landes sprach ein großer Amerikaner, 923 REISEN Abraham Lincoln, von einer besonderen Notwendigkeit zur damaligen Zeit: „Daß für diese Nation unter Gott die Freiheit neu beginnt.“ Die Freiheit muß immer wieder neu verwirklicht werden: Freiheit: ist zu Verantwortung und Großzügigkeit, Freiheit zum herausfordernden Dienst an der Menschheit, die notwendige Freiheit, menschliches Schicksal zur Erfüllung zu bringen, die Freiheit in Wahrhaftigkeit zu leben, sie zu verteidigen gegen alles, was sie entstellt und manipuliert, die Freiheit, das Gesetz Gottes zu beachten — was der höchste Maßstab aller menschlichen Freiheit ist — die Freiheit als Kinder Gottes zu leben, in Glück und Geborgenheit: die Freiheit, Amerika zu sein mit jener demokratischen Verfassung: Eine Nation unter Gott, unteilbar, in Freiheit und Gerechtigkeit für alle. Glaubensunterschiede dürfen keine Feindschaft verursachen Ansprache an die Führungspersönlichkeiten der jüdischen Gemeinden der USA am 11. September Liebe Freunde, Vertreter so vieler jüdischer Organisationen, die Sie sich hier aus allen Teilen der USA zusammengefunden haben, meine lieben jüdischen Brüder und Schwestern! 1. Ich danke Ihnen für ihre freundlichen Begrüßungsworte. Ich freue mich wirklich, mit Ihnen zusammen zu sein, insbesondere in diesen Tagen, in denen die vatikanische Judaica-Sammlung ihre Tournee durch die Vereinigten Staaten beginnt. Das herrliche Material, darunter illuminierte Bibeln und Gebetbücher, zeigt nur einen kleinen Teil des unermeßlichen spirituellen Reichtums jüdischer Tradition vergangener Jahrhunderte bis in die Gegenwart ---eines spirituellen Reichtums, der oft in fruchtbarer Zusammenarbeit.mit christlichen Künstlern genutzt wurde. Es ist angemessen, am Beginn unserer Begegnung unseren Glauben an den Einen Gott hervorzuheben, der Abraham, Isaak und Jakob erwählt und mit ihnen einen Bund ewiger Liebe geschlossen hat, der niemals widerrufen worden ist (vgl. Gen 27,13; Röm 11,29). Er wurde vielmehr bekräftigt durch das Geschenk der Thora (Torah) an Mose und aufgeschlossen von den Propheten für die Hoffnung auf ewige Erlösung und für das weltumspannende Engagement für Gerechtigkeit und Frieden. Das jüdische Volk, die Kirche und alle, 924 REISEN die an den barmherzigen Gott glauben — der in den jüdischen Gebeten als Av Ha-Rakhamim angerafen wird —, können in diesem grundlegenden Bund mit den Patriarchen einen sehr wesentlichen Ansatzpunkt für unseren Dialog und für unser gemeinsames Zeugnis in der Welt finden. Abrahamverheißung und eine inhaltsreiche Geschichte in Einklang bringen Ebenso angemessen ist es, uns an Gottes Verheißung an Abraham zu erinnern und an die spirituelle Brüderlichkeit, die durch sie begründet wurde: „Segnen sollen sich mit deinen Nachkommen alle Völker der Erde, weil du auf meine Stimme gehört hast“ (Gen 22,18). Diese spirituelle Brüderlichkeit, verbunden mit Gehorsam gegenüber Gott, verlangt großen gegenseitigen Respekt in Demut und Vertrauen. Eine objektive Betrachtung unserer Beziehungen in den vergangenen Jahrhunderten muß diese große Forderung in Betracht ziehen. 2. Es ist in der Tat bemerkenswert, daß die Vereinigten Staaten von Menschen gegründet wurden, die oft als religiöse Flüchtlinge an diese Ufer gelangten. Sie erwarteten, gerecht behandelt zu werden und Gastfreundschaft gewährtzu bekommen gemäß dem Wort Gottes, wie wir es im Buch Levitikus lesen: „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott“ {Lev 19,34). Unter diesen Millionen von Einwanderern war eine große Zahl von Katholiken und Juden. Dieselben grundlegenden religiösen Prinzipien der Freiheit und der Gerechtigkeit, der Gleichheit und der moralischen Solidarität, die von der Thora wie vom Evangelium bekräftigt werden, finden ihren Widerhall in den hohen menschlichen Idealen und im Schutz der universalen Rechte, die wir in den Vereinigten Staaten finden. Diese übten ihrerseits einen starken positiven Einfluß auf die Geschichte Europas und anderer Teile der Welt aus. Aber die Wege der Einwanderer in ihrem neuen Land waren nicht immer leicht. Traurig genug, daß Vorurteil und Diskriminierung in der Neuen Welt ebenso erfahren wurden wie in der Alten. Nichtsdestoweniger haben Juden und Christen gemeinsam zum Erfolg des amerikanischen Experiments der religiösen Freiheit beigetragen und haben in diesem einzigartigen Gesellschaftsgefüge der Welt eine kraftvolle Form interreligiösen Dialogs zwischen zwei alten Traditionen geschenkt. Für alle, die in diesem für die Kirche und für das jüdische Volk so wichtigen Dialog engagiert sind, bete ich: Möge Gott Sie segnen und Sie stärken für seinen Dienst! 925 REISEN 3. Zur gleichen Zeit löschen unser gemeinsames Erbe, unsere gemeinsame Aufgabe und Hoffnung unsere unterschiedlichen Identitäten nicht aus. Aufgrund ihres besonderen christlichen Zeugnisses „muß die Kirche der Welt Jesus Christus predigen“ (.Richtlinien, 1974,1). Wir tun dies, indem wir verkünden: „Christus ist unser Friede“ (Eph 2,14). Wie der Apostel Paulus sagte: „Das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat“ (2 Kor 5,18). Doch gleichzeitig erkennen wir die spirituellen Schätze des jüdischen Volkes und sein religiöses Zeugnis für. Gott an und würdigen es. Ein brüderlicher theologischer Dialog wird im Licht des Geheimnisses der Erlösung zu verstehen versuchen, daß Glaubensunterschiede nicht Feindschaft verursachen, sondern auf den Weg der „Versöhnung“ führen sollten, so daß am Ende „Gott herrscht über alles und in allem“ (I Kor 15,28). Ich freue mich, daß auf diesem Gebiet die Nationale Konferenz der katholischen Bischöfe und der Synagogenrat von Amerika Beratungen zwischen jüdischen Führungspersönlichkeiten und Bischöfen aufnehmen, die einen Dialog über Fragen von höchstem Interesse für die beiden Glaubensgemeinschaften vorantreiben sollten. 4. Betrachten wir die Geschichte im Licht der Prinzipien des Glaubens an Gott, müssen wir auch über das katastrophale Ereignis der Shoah, den gnadenlosen und unmenschlichen Versuch, das jüdische Volk in Europa auszurotten, nachdenken. Dieser Versuch forderte Millionen von Opfern — Frauen und Kinder, alte und kranke Menschen eingeschlossen — die nur deswegen ausgerottet wurden, weil sie Juden waren. Wenn sie dieses Geheimnis des Leidens der Kinder Israels und deren Zeugnis der Hoffnung, des Glaubens und der Menschlichkeit unter entmenschlichenden Gewalttätigkeiten betrachtet, erfahrt die Kirche immer tiefer ihre gemeinsame Verbindung mit dem jüdischen Volk und mit dessen Erbe spiritueller Reichtümer aus Vergangenheit und Gegenwart. So ist es auch angebracht, an die starken, unmißverständlichen Bemühungen der Päpste gegen Antisemitismus und Nazismus auf dem Höhepunkt der Judenverfolgung zu erinnern. 1938 erklärte Pius XI., daß „Antisemitismus unzulässig ist“ (6. September 1938). Und er machte den totalen Gegensatz zwischen Christentum und Nazismus deutlich, als er feststellte, daß das Hakenkreuz „ein Feind des Kreuzes Christi“ ist (Weihnachtsansprache 193 8). Und ich bin überzeugt, daß die Geschichte immer deutlicher und überzeugender erweisen wird, wie tief Pius XII. die Tragödie des jüdischen Volkes spürte und wie hart und wirksam er dafür arbeitete, Juden während des Zweiten Weltkriegs zu helfen. 926 REISEN Die Shoah ist eine unerschöpfliche Quelle der Reflexion über den Menschen Im Namen der Menschlichkeit und der christlichen Prinzipien hat die Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten diese Greuel in einer deutlichen Stellungnahme angeklagt: „Seit dem mörderischen Angriff auf Polen, in dem nicht der geringste Anschein von Menschlichkeit zu erkennen war, ist es zu einer vorsätzlichen und systematischen Ausrottung von Menschen dieser Nation gekommen. Dieselbe satanische Technik wird auch auf viele andere Menschen angewandt. Wir sind von einem Gefühl tiefen Abscheus erfüllt gegen die grausame Behandlung der Juden in den eroberten Gebieten und der anderen wehrlosen Menschen, die nicht unserem Glauben angehören“ (14. November 1942). Wir erinnern uns auch vieler anderer, die unter Gefahr für ihr eigenes Leben verfolgten Juden geholfen haben. Sie werden von den Juden mit dem Titel: „Tzaddige ummöt ha-’oläm“ (Gerechte aus den Nationen) geehrt. 5. Die furchtbare Tragödie Ihres Volkes hat viele jüdische Denker veranlaßt, über den Zustand des Menschen nachzudenken, und hat sie zu scharfsichtigen Erkenntnissen geführt. Ihre Sicht des Menschen und die Wurzeln dieser Sicht in den Lehren der Bibel, die in unserem gemeinsamen Erbe hebräischer Schriften auch uns gehört, bieten jüdischen und christlichen Wissenschaftlern eine Menge nützliches Material für Reflexion und Dialog an. Um die Bedeutung der Shoah und der auf sie bezogenen Wurzeln des Antisemitismus tiefer zu erkennen, sollten Zusammenarbeit und gemeinsame Studien von Katholiken und Juden fortgesetzt werden. Solche Studien haben in vielen Konferenzen in Ihrem Land bereits stattgefunden, etwa in den Nationalen Arbeitskreisen über christlich-jüdische Beziehungen. Die religiösen und historischen Folgerungen aus der Shoah für Christen und Juden werden nun formell vom „Internationalen katholisch-jüdischen Verbindungskomitee“ aufgegriffen, das noch dieses Jahr zum ersten Mal in den Vereinigten Staaten Zusammentritt. Und wie bei dem wichtigen und sehr herzlichen Treffen, das ich am 1. September in Castelgandolfo mit jüdischen Führungspersönlichkeiten hatte-, bestätigt wurde, wird ein katholisches Dokument über die Shoah und den Antisemitismus herauskommen, das auf solchen ernsthaften Studien beruht. Ahnlicherweise ist darauf zu hoffen, daß gemeinsame Bildungsprogramme über unsere historischen und religiösen Beziehungen, die in Ihrem Land gut entwickelt sind, den gegenseitigen Respekt wirklich fördern werden. Sie werden die künftigen Generationen über den Holocaust aufklären, so daß ein solcher Horror nie wieder möglich sein wird. Niemals wieder! 927 REISEN Als ich im Juni dieses Jahres in Warschau mit den Führern der jüdischen Gemeinde Polens zusammentraf, habe ich unterstrichen, daß Ihr Volk durch die entsetzliche Erfahrung der Shoah zu einer „lauten, warnenden Stimme für die ganze Menschheit, für alle Nationen, für alle Mächte dieser Welt, für jedes System und jeden einzelnen ... zu einer rettenden Warnung“ geworden ist CBotschaft vom 14. Juni 1987). 6. Es ist auch wünschenswert, daß die Katholiken in jeder Diözese unter der Leitung der Bischöfe die Erklärung des II. Vatikanischen Konzils und die nachfolgenden, vom Heiligen Stuhl herausgegebenen Instruktionen über die korrekte Weise von Predigt und Lehre über Juden und Judentum verwirklichen. Ich weiß, daß von den Katholiken bereits sehr zahlreiche Bemühungen in dieser Richtung unternommen worden sind, und ich möchte all denen meine Dankbarkeit ausdrücken, die so gewissenhaft für dieses Ziel gearbeitet haben. 7. Notwendig für jeden aufrichtigen Dialog ist der Vorsatz jedes Gesprächspartners, den anderen zu gestatten, daß sie sich „im Licht ihrer eigenen religiösen Erfahrung“ definieren (.Richtlinien 1974, Einführung). Getreu dieser Versicherung erkennen die Katholiken unter den Elementen der jüdischen Erfahrung an, daß die Juden eine religiöse Bindung an das Land haben, das seine Wurzeln in der biblischen Überlieferung findet. Nach der tragischen Ausrottung der Shoah hat das jüdische Volk eine neue Epoche seiner Geschichte begonnen. Es hat ein Recht auf ein Heimatland, wie es jede Nation gemäß dem internationalen Recht hat. „Für das jüdische Volk, das im Staat Israel lebt und in jenem Land so kostbare Zeugnisse seiner Geschichte und seines Glaubens bewahrt, müssen wir um die gewünschte Sicherheit und die gerechte Ruhe bitten, die das Vorrecht jedes Volkes und die Voraussetzung für Leben und Fortschritt jeder Gesellschaft sind“ (Redemp-tionis anno, 20. April 1984). Was über das Recht auf ein Heimatland gesagt wurde, gilt auch für das palästinensische Volk, aus dem viele Menschen heimatlos und Flüchtlinge sind. Während alle Betroffenen ehrlich über die Vergangenheit nachdenken müssen — Muslime nicht weniger als Juden und Christen — ist es an der Zeit, endlich jene Lösungen zu ersinnen, die zu einem gerechten, umfassenden und dauerhaften Frieden in diesem Gebiet führen. Dafür bete ich mit großem Emst. 8. Während ich Ihnen abschließend noch einmal für die Herzlichkeit Ihres Grußes an mich danke, erweise ich dem Herrn Preis und Dank für dieses brüderliche Treffen, für das Geschenk des Dialogs zwischen unseren Völkern 928 REISEN und für das neue und tiefere Verständnis unter uns. Unsere lange Beziehung bewegt sich auf ihr drittes Jahrtausend zu, und wir haben in dieser Generation den besonderen Vorzug, Zeugen dieses Prozesses zu sein. Es ist meine aufrichtige Hoffnung, daß wir als Partner im Dialog, als Igemein-sam Glaubende an den Gott, der sich geoffenbart hat, und als Kinder Abrahams danach streben werden, der Menschheit einen gemeinsamen Dienst zu leisten, der in diesen unseren Tagen so notwendig ist. Wir sind aufgerufen, im Dienst zusammenzuarbeiten und uns in gemeinsamer Sache zusammenzuschließen, wo immer ein Bruder oder eine Schwester in irgendeiner Weise vernachlässigt, vergessen, verachtet oder leidend ist; wo immer Menschenrechte gefährdet oder Menschenwürde beleidigt wird; wo immer die Rechte Gottes verletzt oder ignoriert werden. Mit dem Psalmisten.wiederhole ich nun: „Ich will hören, was Gott redet: Frieden verkündet der Herr seinem Volk und seinen Frommen, den Menschen mit redlichem Herzen“ (Ps 85,9). Ihnen allen, liebe Freunde, liebe Brüder und Schwestern, und dem ganzen geliebtenjüdischen Volk Amerikas wünsche ich voll großer Hoffnung den Frieden des Herrn: Schalom! Schalom! Schanah Tovah we-Hatimah Tovah! In der Eucharistie beginnt neues Leben in Gott Predigt bei der Eucharistiefeier im Tamiami-Park (U.S. A.) am 11. September „Die Völker sollen Dir danken, o Gott, danken sollen dir die Völker alle“ (Ps 67,6). Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Der Psalm der heutigen Liturgie drängt alle Menschen und Völker der Erde, Gott Lobpreis zu singen. Im frohlockenden Geist dieser Ermunterung befinde ich mich auf amerikanischem Boden, um zusammen mit euch allen hier in Miami den Ruhm Gottes durch das Opfer Jesu Christi in der Eucharistie zu loben und zu preisen. Auf keine andere Weise läßt sich Gottes Ruhm besser vor Augen führen als durch dieses Sakrament. Kein anderes Gebet stellt eine tiefere Verbindung her zwischen Himmel und Erde, zwischen Geschöpf und Schöpfer, als die Feier des Abendmahles. Es gibt kein anderes Opfer, worin alles Existierende, der Mensch im Besonderen, eine Gabe für den werden kann, der ihn so großzügig mit Gaben überschüttet hat. 929 REISEN Liebe Brüder und Schwestern in Christus, die ihr heute in Südflorida versammelt seid, alle Menschen dieses Landes, du große Nation der Vereinigten Staaten: Rühmt Gott zusammen mit mir, dem Bischof von Rom, demNachfol-ger des heiligen Petrus, der hier in Miami seinen päpstlichen Dienst antritt. „Es segne uns Gott. Alle Welt fürchte und ehre ihn.“ (Ps 67,8). 2. Ich bin hocherfreut, mit euch in Florida, diesem wunderbaren Land der Sonne, zusammenzusein. Ich grüße euch herzlich, meine Brüder und Schwestern im katholischen Glauben; diese Grüße möchte ich aber auch an die unter euch richten, die nicht der Kirche angehören, aber als willkommene Freunde hier sind. Ich erkenne auch die Anwesenheit der vielen ethnischen Gruppen an, einschließlich Kubaner, Haitianer, Nicaraguaner und anderer Gruppen aus Mittelamerika und der Karibik, zusammen mit allen übrigen, die die Kirchengemeinschaft bilden. Ich umarme euch alle in der Liebe Christi. In spanischer Sprache sagte der Papst: Die Kirche in Florida hat eine reiche und wechselvolle Geschichte, deren Anfänge über viereinhalb Jahrhunderte zurückliegen. Ponce de Leon entdeckte dieses Stück Erde am Osterfest des Jahres 1513 und benannte es mit dem spanischen Namen für Ostern, „Pascua Florida“. Der Name eures Staates ruft also das zentrale Geheimnis unseres christlichen Glaubens ins Gedächtnis: Die Auferstehung unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus. Die erste Ansiedlung und die erste christliche Gemeinde in Nordamerika wurden an diesem Ort kurz nach 1560 gegründet, mehr als 50 Jahre, bevor die „Pilgrim Fathers“ bei Plymouth Rock landeten. Die Bewohner Floridas können mit Recht stolz sein auf ihre ruhmvolle Geschichte, ebenso wie auf seine gegenwärtige Dynamik und Expandierung. Heute stellt Miami eine internationale Stadt mit wachsendem Einfluß dar. Diese Stadt ist Eingangstor und Wegkreuzung verschiedener Kulturen und Sprachen, ein Zentrum von Kommunikation, Reise und Handel, eine Brücke zwischen alter und neuer amerikanischer Geschichte. In englischer Sprache sagte der Papst: Dieses Land einer bezaubernden Natur, diese Heimat so vieler verschiedener Völker, dieses Ziel für Touristen und Ruhesitz älterer Bürger, dieses Zentrum der wissenschaftlichen Errungenschaften von Cape Canaveral, dieser Staat Florida war auch ein Land schnellen Wachstums beim Aufbau des Leibes Christi. Ein Zeichen dieses bemerkenswerten Wachstums in jüngerer Zeit ist die Tatsache, daß innerhalb von nur 29 Jahren die katholische Kirche in Flori- 930 REISEN da von einer Diözese auf sieben angewachsen ist. Es ist mir wahrlich eine Freude, inmitten dieser dynamischen Kirche Floridas zu sein, einer Kirche, die in Wort und Tat die Frohbotschaft des Ostergeheimnisses verkündet. In schnellebiger Zeit ein Garant für Wahrheit: der Wegzeiger Gott 3. Wer ist dieser Gott, dessen Herrlichkeit wir durch die Eucharistie verkünden wollen? Er ist der Gott, der uns den Weg zur Rettung zeigt. Deshalb ruft der Psalmist, der alle Völker der Erde zum Lobpreis Gottes bewegen möchte, zur gleichen Zeit: „Damit auf Erden sein Weg erkannt wird/und unter allen Völkern sein Heil“ (Ps 67,3). Unser Gott zeigt uns den Weg. Er ist.kein abstrakter Begriff, sondern der Gott des alten und neuen Bundes, der Gott der Erlösung, der gute Hirte. Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, spricht im heutigen Evangelium zu uns und gebraucht dabei dieses so einfache und doch so bedeutungsvolle und reiche Wort: Hirte! „Ich bin der gute Hirte“, sagt der, „Ich kenne die Meinen, unddieMeinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne“ (Joh 10,14-15). An anderer Stelle im Evangelium sagt uns Christus: „Niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11,27). Der Sohn, Jesus Christus, ist der Hirte, eben weil er uns den Vater offenbart. Er ist der gute Hirte. Und der Vater ist unser Hirte durch den Sohn, durch Christus. Und in seinem Sohn will uns der Vater ewiges Leben erlangen lassen. 4. Mit Worten, die beredt von seiner tiefen Liebe zu uns künden, spricht Jesus weiter zu uns:. „Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe“ (Joh 10,11). Wer ist dieser Gott, dessen Wahrheit wir durch die Eucharistie bekennen wollen? Er ist der Vater, der uns Leben schenkt in Christus, den er nach seinem Bild geschaffen hat. Dieses Leben in Gott bedeutet Rettung. Er ist die Befreiung vom Tod. Es ist die Erlösung von unseren Sünden. Und dieser Gott ist Christus, der Sohn, der eines Wesens ist mit dem Vater und der für uns und unsere Rettung Mensch wurde: Christus, der gute Hirte, der sein eigenes Leben für die Schafe hingegeben hat. Die Eucharistie verkündet diese Wahrheit über Gott. Das Sakrament des Leibes und des Blutes Christi ist uns als erlösendes Opfer für die Sünden der Welt geschenkt. In diesem Sakrament des Todes und der Auferstehung Christi beginnt unser neues Leben in Gott. .Dieser Gott ist Liebe. Der gute Hirte bringt diese Wahrheit über Gott zum Ausdruck. Mehr noch als die Wahrheit spricht er die Wirklichkeit über Gott 931 REISEN als Liebe aus. Die Liebe sucht das Gute. Sie strebt nach Erlösung. Sie ist „langmütig“ und-„gütig“ und sie „hört niemals auf4 (vgl. Kor 13,4-8). Sie wird nicht rasten, bevor sie alle in der großen Hürde genährt, allen Leben geschenkt und alle umarmt hat. Aus diesem Grunde sagt Jesus: „Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muß ich führen, und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten“ (Joh 10,16). 5. Das Bild der Herde und der Schafshürde entnehmen wir dem Text des Johannesevangeliums. Die Lesung aus dem Brief an die Epheser, die wir in der heutigen Liturgie gehört haben, befähigt uns, dieses Bild mit den Augen des Apostels Paulus zu sehen. Für ihn ist die Herde „der Leib“, dessen Haupt Christus ist, der Leib Christi also. In diesem Zusammenhang ist es nicht allzu schwer, die Ähnlichkeit zwischen Haupt und Hirte zu erkennen. Gleichzeitig erfahrt das gesamte Bild eine neue Bedeutung und neuen Ausdruck. Der Hirte führt die Herde an die Ursprünge des Lebens. Als „Haupt ist Christus die Quelle des Lebens für all j ene, aus denen sein Leib besteht. Deshalb sind wir alle, die wir als eine Herde Christus, dem guten Hirten, folgen, zur gleichen Zeit zum „Aufbau des Leibes Christi“ (Eph 4,12) aufgerufen. Dem Brief an die Epheser zufolge hat dieser „Aufbau“ zwei Dimensionen: Eine persönliche Dimension und eine gemeinschaftliche Dimension. Jeder muß jene Vollkommenheit erreichen, die Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellt (vgl. Eph 4,13). Ebenso müssen wir alle „zusammen“ zur Reife gelangen in der Gemeinschaft der Kirche. Als ganzes Volk Gottes schreiten wir der Fülle in Christo entgegen. Christus gibt der Kirche eine große Mannigfaltigkeit an Charismata zu dem Zweck, unsere Gemeinschaft als sein Leib zu vertiefen. Er schenkt der Kirche eine reiche Vielfalt an Berufungen, nicht nur für das Wohlergehen jedes einzelnen, sondern zum Wöhle aller. Wie der heilige Petrus von Jesus sagt: „Er gab den einen das Apostelamt, andere setzte er als Propheten ein, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi. So sollen wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen“ (Eph 4,11-13). 6. Die Kirche in den Vereinigten Staaten, und in besonderer Weise die Kirche in Miami, erlebt dieses Geheimnis der Gleichheit in der Verschiedenheit in sehr realem Sinne. Ihr seid eine Gemeinschaft des Mitgefühls, von der wieder und wieder die Botschaft widerhallt, die in die Freiheitsstatue gemeißelt ist: „Gebt mir eure müden, eure armen, eure bedrängten Massen, die sich nach 932 REISEN der Freiheit sehnen.“ Bürger und Kirche in Südflorida haben immer wieder offene Arme für Einwanderer und Flüchtlinge gehabt. Nicht der Jet-set — die Randgruppen lagen Jesus am Herzen \ Diese Menschen waren Fremde und ihr habt sie willkommen geheißen. Und ihr könnt sicher sein, was immer ihr für sie getan habt, das habt ihr an Christus getan (vgl. Mt 25,31-46). Ich nutze diese Gelegenheit, um euch der besonderen Sorge der Kirche zu versichern für die, welche ihre Heimatländer in Leid und Verzweiflung verlassen. Die häufige Wiederholung dieser Erfahrung ist eine der traurigsten Erscheinungen unseres Jahrhunderts. Doch wurde sie oft begleitet von Hoffnung und Heroismus und neuem Leben. Hier in Miami, das weiß ich, gibt es viele Menschen, die auch im Angesicht der Not dem Evangelium und dem Gesetz Gottes treu blieben. Wie andere, die Christus und der Kirche auch treu blieben, wenn sie unterdrückt wurden, müßt ihr jetzt, da ihr euer Leben in Freiheit lebt, über euren katholischen Glauben wachen und ihn schützen. In einer komplizierten und industrialisierten Gesellschaft erfordert die Treue zur religiösen Praxis große persönliche Anstrengungen. Es bedarf eines reifen Glaubens und einer starken Überzeugung, um das Kreuz jeden Tag auf sich zu nehmen und der Spur Christi zu folgen. In der zweiten Lesung des heutigen Tages hören wir die Aufforderung des heiligen Paulus: „Wir sollen nicht mehr unmündige Kinder sein, ein Spiel der Wellen, hin- und hergetrieben von jedem Widerstreit der Meinungen, dem Betrug der Menschen ausgeliefert, der Verschlagenheit, die uns in die Irre führt. Wir wollen uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt“ (Eph 4,14-15). Wenn ich auf diese großartige Stadt mit ihren vielen Völkern und Kulturen blicke, so bete ich darum, daß ihr euch alle gegenseitig helft mit euren Gaben. Haltet die Verbindung mit euren eigenen Wurzeln aufrecht, mit eurer Kultur und euren Traditionen; gebt euer Erbe an eure Kinder weiter; ebenso stellt alle diese Gaben in den Dienst der ganzen Gemeinschaft. Vor allem, „bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält“ {Eph 4,3). Der Erosion des moralischen Fundaments entgegenwirken 7. Die Arbeit am Aufbau des Leibes Christi ist uns allen in der Kirche anheimgestellt. Mit Sicherheit besteht heute ein wesentliches Bedürfnis nach Evangelisierung. Die aber fordert verschiedene Formen. Es gibt viele Wege, dem Evangelium zu dienen. Trotz wissenschaftlichen und technologischen 933 REISEN Fortschritts, die bestimmt eine Form menschlicher Mitarbeit am schöpferischen Werk Gottes widerspiegeln, ist der Glaube von Ideologien und Lebensstilen, die weder Gott noch das moralische Gesetz gelten lassen, herausgefordert und mit ihnen sogar direkt konfrontiert. Die menschlichen und christlichen Grundwerte werden von Verbrechen, Gewalt und Terrorismus herausgefordert. Ehrlichkeit und Gerechtigkeit werden im Geschäftsleben und im öffentlichen Leben oftmals verletzt. Überall auf der Welt werden riesige Summen Geld für die Rüstung ausgegeben, während Millionen armer Menschen um die Grundbedürfnisse des Lebens ringen. Alkohol- und Drogenmißbrauch fordern ihren schweren Tribut vom Einzelnen und der Gesellschaft. Die kommerzielle Ausbeutung des Sex durch die Pornographie ist eine Beleidigung für die Menschenwürde und gefährdet die Zukunft junger Menschen. Das Familienleben ist starken Spannungen ausgesetzt, Unzucht, Ehebruch, Scheidung und Empfängnisverhütung werden fälschlicherweise von vielen als annehmbar angesehen. Ungeborene werden grausam umgebracht und die Leben der Alteren sind ernstlich bedroht von einer geistigen Haltung, die der Euthanasie alle Türen öffnet. All dem gegenüber dürfen sich gläubige Christen jedoch nicht entmutigen lassen und können sich auch nicht dem Zeitgeist anpassen. Statt dessen sind sie gerufen, den Vorrang Gottes und seines Gesetzes anzuerkennen, der moralischen Werte willen ihre Stimmen zu erheben und gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, der Gesellschaft das Beispiel ihres eigenen rechtschaffenen Verhaltens vor Augen zu führen und den Notleidenden zu helfen. Christen sind gefordert, mit der klaren Überzeugung zu handeln, daß die Gnade stärker ist als die Sünde, weil das Kreuz Christi siegt. Einen wichtigen Teil der Evangelisierungsmission macht die Aufgabe der Versöhnung aus. „Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnüng aufgetragen hat“ (2 Kor 5,18). Aus diesem Grunde bin ich froh, daß ihr in Vorbereitung meines Besuchs in die Vereinigten Staaten besondere Anstrengungen unternommen habt, um die Versöhnung zu fördern — die Versöhnung mit Gott, unter euch selbst und zwischen verschiedenen Rassen und Kulturen. In diesem Zusammenhang erinnere ich euch auch an Christi Versprechen im heutigen Evangelium: Wenn alle wirklich auf seine Stimme hören, „dann wird es nur noch eine Herde geben und einen Hirten“ (Joh 10,16). 8. Im tiefen Bewußtsein der Wahrheit, wie sie uns in dieser Liturgie durch das Wort Gottes offenbart wird, wollen wir noch einmal mit dem Psalmisten aus-rufen: „Gott sei uns gnädig und segne uns/ Er lasse über uns sein Angesicht leuchten“ (Ps 67,2). Wer ist dieser Gott, an den wir unsere Gebete richten? 934 REISEN Wer ist dieser Gott, den unsere Gemeinschaft verkündet und zu dem unsere Herzen sprechen? Hören wir nochmals die Worte des Propheten Zefanja: „Fürchte Dich nicht, Zion/Laß die Hände nicht sinken! Der Herr, Dein Gott; ist in Deiner Mitte/ein Held, der Rettung bringt“ (Ze/3,16-17). Der Allmächtige! Er ist es, den wir anrufen, hier, in diesem Land, das auf so viele Arten die Stärken und Errungenschaften der Menschheit kundtut, des menschlichen Geistes, des Intellekts, des Wissens und der Wissenschaft, der Technologie und des Fortschritts. Wer ist dieser Gott? Laßt uns noch einmal wiederholen: Der Allmächtige! Er allein ist der Allmächtige! Er, der „da ist“ (vgl. Ex 3,14). „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir!“ {Apg 17,28). „Das Alpha und das Omega!“ (Offb 1,8). Er allein ist der Allmächtige! Er allein ist Liebe. Ist in diesem Land, in dieser Kultur des größten Fortschritts und Überflusses, die menschliche Person nicht beizeiten unsicher und verwirrt über die letzte Bedeutung der Existenz — den letzten Sinn des Lebens? Ist nicht die menschliche Person mitunter sehr weit von der Liebe entfernt? Nur die Liebe rettet, und Gott ist Liebe! O Gott der Liebe, o Gott, der rettet, lasse über uns dein Angesicht leuchten! (vgl. Ps 67,2). Amen. Der Glaube an Jesus wird oft auf die Probe gestellt Predigt in der Sankt-Peterskirche in Columbia (U.S.A.) am 11. September „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“ {Mt 16,16). Lieber Bischof Unterkoefler, liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Diese Worte, die im Matthäusevangelium berichtet werden, hat Simon Petrus, der erste Bischof von Rom, gesprochen. Sie sind für jeden bedeutungsvoll, der an Christus glaubt, doch haben sie eine besondere Bedeutung für uns, versammelt hier in dieser Kirche des hl. Petrus in Columbia, die der Nachfolger Petri besuchen darf. Es ist eine große Freude für mich, in die Diözese Charleston zu kommen. Ich danke euch dafür, daß ihr mich mit solcher Wärme und brüderlichen Liebe empfangt. Eure berühmte „südliche Gastfreundschaft“ gibt mir das Gefühl, zu Hause zu sein. 935 REISEN Wie ihr wißt, bin ich nach Columbia gekommen, um am ökumenischen Gespräch mit den nationalen Führern anderer christlicher Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften teilzunehmen und mich mit einer großen Versammlung von Brüdern und Schwestern in einem ökumenischen Bittgottesdienst zu vereinigen. Unser Herr betete darum, daß „ alle eins sein sollen“ (Joh 17,21). Wir alle möchten dazu beitragen, daß sich diese Einheit verwirklicht. 2. „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Diese Worte Petri drücken das Herz unseres Glaubens aus, denn sie offenbaren das Geheimnis Christi, sie offenbaren Christus als den Sohn des lebendigen Gottes, das ewige Wort, das Mensch wurde, geboren aus der Jungfrau Maria. • Petrus war der erste der Apostel, der erste Jünger, der öffentlich seinen Glauben an Jesus, den Messias, erklärte. Die Worte des'Glaubensbekenntnisses Petri waren Worte, die mit wirklicher persönlicher Überzeugung gesprochen wurden; und doch hatten sie ihren letzten.Ursprung nicht in ihm selbst. Und so sagt Jesus zu ihm: „Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel“ {Mt 16,17). Der Glaube an Gott ist ein Geschenk. Er ist keine menschliche Errungenschaft. Nur Gott, der Vater, kann uns zu Jesus ziehen, nur er kann uns die Gnade geben, Jesus zu erkennen, ihn als den ewigen Sohn Gottes anzunehmen und unseren Glauben an ihn zu bekennen. 3. Seit jenem Tag im Gebiet von Cäsarea Philippi änderte sich das Leben Petri ganz und gar. Und nicht nur das seine! Auch den anderen Aposteln, den anderen Jüngern, wurde das Geschenk des Glaubens gewährt, und auch sie wurden Zeugen der Worte und Taten Jesu. Es begann ein ganz neues Zeitalter in der Weltgeschichte und in der Heilsgeschichte. Und so ist es weitergegangen. Die Menschen aller Jahrhunderte und aller Länder haben, wie Petrus, Jesus kennengelernt und ihn als Sohn Gottes — eines Wesens mit dem Vater — angenommen, ihren Glauben an ihn bekannt und das heilige Evangelium zur Grundlage ihres christlichen Lebens gemacht. Die Person Jesu Christi und sein Wort sind für immer der Mittelpunkt des Lebens der Kirche. Die Belastungen sind groß, doch die Verheißung ist stärker 4. Doch die wunderbare Gabe des Glaubens ist nicht vom Kreuz getrennt: Der Glaube an Christus ist nicht frei von Schwierigkeiten. Er ist nicht kostenlos. Unser Glaube an Jesus Christus wird tatsächlich oft auf die Probe gestellt. Petrus hat dies nur zu gut erfahren. Und daher schreibt er: „Jetzt müßt ihr vielleicht kurze Zeit unter mancherlei Prüfungen leiden. Dadurch soll sich 936 REISEN euer Glaube bewähren, und es wird sich zeigen, daß er wertvoller ist als Gold, das im Feuer geprüft wurde und doch vergänglich ist. So wird (eurem Glauben) Lob, Herrlichkeit und Ehre zuteil bei der Offenbarung Jesu Christi“ (/ Petr 1,6-7). Wir erinnern uns auch an den Augenblick, in dem unser göttlicher Meister vom Geheimnis der Eucharistie sprach, als „sich viele Jünger zurückzogen und nicht mehr mit ihm umherwanderten. Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt auch ihr Weggehen? Simon Petrus antwortete ihm: ,Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast die Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes1 “ {Joh 6,66-69). Wenn unser Glaube auf die Probe gestellt wird, wenn wir versucht sind zu zweifeln und uns abzuwenden, so können wir Mut und erneute Hoffnung in den Worten Petri finden: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,66-69). Christus gibt uns die Stärke, unserem Glauben gemäß zu leben und allen Herausforderungen gegen ihn zu begegnen. Von Christus müssen wir lernen, wie wir jene traurigen Spaltungen überwinden, die heute immer noch unter den Christen bestehen. Wir müssen danach eifern, vollkommen eins zu sein im Glauben und in der Liebe. 5. Ich weiß, daß ihr diese ökumenische Überzeugung mit mir teilt. Die Katholiken in South Carolina haben in der Tat lange das Bedürfnis nach ökumenischem Gespräch und ökumenischer Mitarbeit verspürt, zunächst, weil ihr eine deutliche Minderheit seid, weniger als 3 % der Bevölkerung. Außerdem hat die katholische Kirche hier eine lange Tradition ökumenischer Initiative. John England, euer erster Bischof, nahm die Einladungen anderer Christen an, in ihren Kirchen zu predigen und die Lehren unseres Glaubens zu erläutern. Und im Laufe der Jahre habt ihr diesen ökumenischen Glauben niemals verloren. Insbesondere in der letzten Zeit habt ihr euch anderen christlichen Gläubigen angeschlossen, um Gerechtigkeit und Wahrheit zu fördern, um gegenseitiges Verständnis und gegenseitige Mitarbeit anzuregen. Diese Zusammenarbeit ist ganz besonders beachtlich gewesen in bezug auf die Bemühungen, unter den Bürgern eures Staates die Beziehungen zwischen den Rassen zu verbessern; Ich lobe euch in diesem verdienstvollen Streben, das so sehr der Mühe wert und so wichtig ist. Zugleich dürft ihr nie aufhören, nach persönlicher Heiligkeit und Bekehrung des Herzens zu streben. Denn wie das Zweite Vatikanische Konzil sagt, ist „die Bekehrung des Herzens und die Heiligkeit des Lebens in Verbindung mit dem privaten und öffentlichen Gebet für die Einheit der Christen als die Seele der ganzen ökumenischen Bewegung anzusehen“ (Unitatis redintegratio, Nr. 8). 937 REISEN 6. Liebe Freunde in Christus, Vertreter aller Katholiken der Diözese Charleston: Ich danke euch, daß ihr hierhergekommen seid, um mich zu begrüßen. Ich möchte euch allen, die ihr diese, über den gesamten Staat South Carolina verbreitete Ortskirche bildet, meine Achtung ausdrücken. Ihr sollt wissen, daß der Papst all die Bemühungen bewundert, die ihr und eure Vorfahren unternommen habt, um den Glauben an Jesus Christus zu bewahren, in diesem Glauben zu leben und ihn euren Kindern zu übermitteln. Und nun bitte ich euch, die folgenden Worte Petri mit nach Hause zu nehmen — Worte, die so gut ausdrücken, was es heißt, an Christus, den Sohn des lebendigen Gottes zu glauben. Er schrieb: „Ihn habt ihr nicht gesehen, und dennoch liebt ihr ihn; ihr seht ihn auch jetzt nicht; aber ihr glaubt an ihn und jubelt in unsagbarer, von himmlischer Herrlichkeit verklärter Freude, da ihr das Ziel des Glaubens erreichen werdet: euer Heil“ (7 Petr 1,8-9). Liebe Katholiken dieser Diözese von Charleston: vergeht nie, daß euch der Glaube an Jesus Christus Heil und ewiges Leben bringt! Universitäten sind wichtig für den Fortschritt Ansprache in der Universität von South Carolina in Columbia (U.S. A.) am 11. September Lieber Dr. Holderman, liebe Freunde! 1. Vielen Dank für Ihre gedankenreichen Begrüßungsworte und für das herzliche Willkommen, das Sie an mich gerichtet haben. Ich bin sehr dankbar. Seit vielen Monaten habe ich mich auf meinen Besuch in South Carolina gefreut. Es ist eine große Freude für mich, endlich hier zu sein. Gleichzeitig besuche ich diesen Staat, um einer heiligen Pflicht zu genügen. Ist es nicht in der Tat Pflicht eines jeden Nachfolgers Christi, für die Einheit aller Christen zu arbeiten? Etwas anderes zu wünschen, wäre nicht nur ein Ärgernis, sondern ein Verrat — ein Verrat am Herrn, der dafür betete, daß seine Jünger eins sein sollten, und der am Kreuz starb, „um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“ {Joh 11,52). Ich bete dafür, daß die ökumenische Initiative, die wir heute unternehmen, in Gottes Sicht eine Freude sein wird und uns der vollen Einheit des Glaubens und der Liebe in unserem Heiland näherbringen wird. 938 REISEN 2. Es ist eine Freude für mich, zum Campus dieser großen Universität zu kommen. Wie Sie wissen, hatte ich selbst eine lange und glückliche Verbindung mit der Universitätswelt meines Heimatlandes. Ich weiß, wie wichtig Universitäten für den Fortschritt der Forschung und für die Entwicklung des Wissens und der Kultur sind. Ich spreche Ihnen allen meine persönliche Ermutigung aus zu dem Erziehungsprogramm, das Sie hier in Columbia durchführen und zu dem Beitrag, den Sie für die Zukunft der Gesellschaft leisten. Menschliches Wissen in den Dienst der Menschheit zu stellen ist eine große Aufgabe. 3. Ich möchte auch die Studenten der Universität von South Carolina mit einem besonderen Grußwort ermutigen. Vor euch liegt die wundervolle Welt des Wissens und die unermeßliche Herausforderung der Wahrheit. Hier könnt ihr zu einem wesentlich größeren Verständnis eurer selbst und des Universums gelangen. Ihr könnt euch in den Reichtum der von der Vergangenheit überlieferten Literatur vertiefen. Ihr könnt die weiten Felder der Künste und der Wissenschaften erforschen. Ihr könnt euch in der Forschung und der Zukunftsplanung einsetzen. Hier an diesem Mittelpunkt höherer Bildung müßt ihr euch darauf vorbereiten, der Gesellschaft euren eigenen Beitrag zu leisten. Meine besondere Hoffnung für euch ist die, daß ihr stets eine große Liebe zur Wahrheit habt — zur Wahrheit über Gott, zur Wahrheit über den Menschen und zur Wahrheit über die Welt. Ich bete dafür, daß ihr durch die Wahrheit der Menschheit dienen und wirkliche Freiheit erfahren werdet. Nach den Worten Jesu Christi: „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien“ (Joh 8,32). Möge Gott, die Quelle des Lebens und der Wahrheit, euch alle hier an der Universität South Carolina segnen. 939 REISEN Innere Erneuerung, eine Voraussetzung für die Einheit Ansprache bei der Begegnung mit den führenden Persönlichkeiten der Ökumene in Columbia (U.S.A.) am 11. September Liebe Freunde, liebe Brüder und Schwestern! 1. „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel“ (Eph 1,3). Insbesondere danke ich ihm heute dafür, daß er mir die Gelegenheit dieser Begegnung mit Ihnen, den Vertretern der christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in den Vereinigten Staaten gegeben hat. Ich bin überzeugt, daß unsere Begegnung nicht nur wichtig ist wegen der Reflexionen und der christlichen Erfahrung, die wir gemeinsam machen, sondern auch als entschiedenes Zeugnis unsererseits, daß wir uns endgültig jenem Weg verpflichtet wissen, den der Heilige Geist vor uns aufgetan hat: den Weg der Reue über unsere Trennung und des Arbeitens und Be-tens für jene vollkommene Einheit, die der Herr selbst für die Seinen wünscht. Ich danke für Ihre Anwesenheit und für die Darlegung, mit der Sie diese Begegnung eröffnen wollten. In weiterem Sinne möchte ich Ihnen für die ökumenischen Kontakte und für die Zusammenarbeit danken, die Sie hier in den Vereinigten Staaten sowohl mit der nationalen Bischofskonferenz als auch mit den katholischen Diözesen pflegen. Ja, ich bin für all die ernsthafte ökumenische Arbeit dankbar, die in diesem Land geleistet wird. Unterschiedliches Amtsverständnis als Hindernis auf dem Weg zur Einheit 2. Während der letzten Jahrzehnte, insbesondere infolge der vom II. Vatikanischen Konzil ausgegangenen Impulse hat die katholische Kirche dem Begriff „Gemeinschaft“ (koinonia) als einer besonders angemessenen Weise zur Beschreibung der tiefen göttlichen und menschlichen Wirklichkeit der Kirche, des Leibes Christi, der Einheit der Getauften im Vater, im Sohn und im Heiligen Geist, erneute Bedeutung beigemessen. Unsere Gemeinschaft ist in erster Linie die mit dem dreifältigen Gott, verbindet uns jedoch auch zutiefst untereinander. Diese Gemeinschaft hat sich in uns durch das Teilen der Gaben, mit denen Christus seine Kirche ausgestattet hat, vertieft. Einige dieser Gaben sind vorzüglich geistlicher Natur, wie etwa das Leben in der Gnade, Glaube, Hoff- 940 REISEN nung und Liebe und andere innere Gaben des Heiligen Geistes (vgl. TJnitatis redintegratio, Nr. 3). Dazu kommen noch die äußeren Gaben, wie das Wort Gottes in der Heiligen Schrift, die Taufe und die anderen Sakramente ebenso wie die dem kirchlichen Leben dienenden Ämter und Charismen. Obwohl wir noch zu keiner Einigung darüber gelangt sind, wie jede unserer Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften mit jener Fülle des Lebens und der Sendung in Beziehung steht, die aus der Erlösungstat Gottes durch das Kreuz und die Auferstehung Jesu Christi entspringen, ist es keine geringe Errungenschaft der ökumenischen Bewegung, daß wir nach Jahrhunderten gegenseitigen Mißtrauens demütig und ehrlich in den anderen Gemeinschaften die Gegenwart und das fruchtbare Wirken der Gaben Christi anerkennen. Für dieses göttliche Tun im Leben von uns allen bringen wir Gott unseren Dank dar. 3. Ich möchte insbesondere den Hinweis auf die geistliche Sehnsucht unter Christen dieses Landes hervorheben, von der in der einführenden Darlegung die Rede war, eine Sehnsucht, die zum Teil im wachsenden Interesse für das Gebetsleben, für Spiritualität und Okumenismus ihren Ausdruck findet. Mit einem Wort: die Sehnsucht nach einem tieferen Einblick in unsere christliche Identität und somit nach einer Erneuerung unseres kirchlichen Lebens. Diese wichtige Erscheinung findet sich in größerem oder kleinerem Ausmaß in allen kirchlichen Gemeinschaften, nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern überall in der Welt. Das ist gewiß ein Zeichen für das Wirken des Heiligen Geistes im Gottesvolk. Als Führer in unseren verschiedenen Gemeinschaften haben wir die verantwortungsvolle Aufgabe und das Privileg, dazu beizutragen, daß wir diese Gnade nicht vergeblich empfangen (vgl. 2 Kor 6,1). Vom katholischen Standpunkt aus war, was die ökumenischen Beziehungen zu anderen christlichen Gemeinschaften betrifft, von Anfang an die Läuterung und Erneuerung des katholischen Lebens als solchem ein Element von vorrangiger Bedeutung. Im Dekret des II. Vatikanischen Konzils über den Okumenismus heißt es: „Ohne Zweifel müssen die katholischen Gläubigen bei ihrer ökumenischen Aktion um die getrennten Christen besorgt sein, indem sie für sie beten, sich über kirchliche Angelegenheiten mit ihnen austau -schen, den ersten Schritt zu ihnen tun. Aber in erster Linie sollen sie doch ehrlich und eifrig ihr Nachdenken darauf richten, was in der eigenen katholischen Familie zu erneuern und ... zu tun ist“ (Unitatis redintegratio, Nr. 4). Ohne Schwierigkeiten läßt sich feststellen, daß bei uns allen die innere Erneuerung und die Läuterung des kirchlichen Lebens für jeden Fortschritt auf dem Weg zur Einheit wesentlich sind. 941 REISEN Ökumenisches Mühen soll erneuern, nicht Mißstände zementieren. Der Aufruf Christi zur Einheit ist je gleichzeitig ein Aufruf zur Heiligkeit und zu größerer Liebe und auch dazu, unser Zeugnis echter zu gestalten. Nur wenn wir treuere Jünger Christi werden, können wir hoffen, den Weg der Einheit unter der Führung des Heiligen Geistes und mit der Kraft seiner Gnade zu gehen. Nur wenn wir Jesus Christus voll und ganz als den Herrn unseres Lebens betrachten, können wir uns von jeder negativen Meinung über einander befreien. Für uns alle ist es wichtig, uns darüber klar zu sein, in welchem Maß die Bekehrung des Herzens vom Gebet abhängt und wie viel dieses zur Einheit beiträgt. Das II. Vatikanische Konzil hat von einem „geistlichen Ökume-nismus“ gesprochen, der als „die Seele der ganzen ökumenischen Bewegung“ beschrieben und der „Bekehrung des Herzens und der Heiligkeit des Lebens ... in Verbindung mit dem privaten und öffentlichen Gebet für die Einheit der Christen“ (Unitatis redintegratio, Nr. 8) gleichgesetzt wird. 4. Wenn ich, was die ökumenische Aufgabe anbelangt, von der vordringlichen Bedeutung der inneren Erneuerung und des Gebetes spreche, so möchte ich damit keineswegs andere bedeutsame Elemente übersehen, etwa unsere gemeinsamen christlichen Dienste für die Bedürftigen oder die in theologischen Gesprächen durchgeführten gemeinsamen Studien. Was die Dialoge betrifft, so verdienen die bisher erzielten Ergebnisse die größte Beachtung und Dankbarkeit von uns allen. Sie führen zu wachsendem gegenseitigem Verstehen, und zwar auf eine Art, die unsere Beziehungen bereits wesentlich verbessert hat. Auch unsere heutige Begegnung legt dafür Zeugnis ab. Im Glauben reifen durch konstruktiven Gedankenaustausch Darüber hinaus legen diese Dialoge weiterhin die tiefen Wurzeln unseres gemeinsamen Glaubens und auch das Ausmaß frei, in dem dieser Glaube, selbst solange wir getrennt sind, wahrhaftig von unseren Kirchen und kirchlichen Gemeinden geteilt wird. Auf diese Weise hilft uns also ein solcher Austausch, unsere noch verbleibenden Unterschiede in einem besser verständlichen Kontext zu sehen. Es ist Aufgabe des Dialogs, an diese Schwierigkeiten heranzutreten und auf den Augenblick hinzuarbeiten, in dem es den Christen möglich sein wird, gemeinsam den einen Glauben zu bekennen und gemeinsam die eine Eucharistie zu feiern. Auf internationaler Ebene ist die Antwort der katholischen Kirche auf das Dokument „Taufe, Eucharistie, Amt“, die jetzt an die Kommission „Faith and Order“ gesandt wurde, ein Bemühen um einen Beitrag zu diesem Prozeß, der 942 REISEN auf das gemeinsame Bekenntnis des eigenen Glaubens abzielt. Ich bin überzeugt, daß der Herr uns Licht und Kraft schenken wird, damit wir in dieser Richtung zur Verherrlichung seines Namens weiterschreiten können. So unerläßlich auch der Dialog ist, und wenn wir ihm auch den Beginn eines besseren Verhältnisses untereinander verdanken, so liegt doch unser letztes Ziel jenseits von Erklärungen und Berichten ökumenischer Kommissionen. Diese Erklärungen müssen von unseren Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften entsprechend ausgewertet werden, damit sich herausfinden läßt, welches Niveau kirchlicher Gemeinschaft derzeit besteht, so daß sie auch im lebendigen Strom kirchlichen Lebens einen angemessenen Ausdruck finden kann. Wir dürfen uns sehr freuen, daß wir entdeckt haben, in welchem Ausmaß wir bereits vereint sind, und müssen gleichzeitig mit Achtung und in Ruhe jene Faktoren erkennen, die uns noch trennen. 5. Was unsere gemeinsame Dienstleistung und unsere Zusammenarbeit betrifft, so wirft die von Ihnen vorgelegte Erklärung für uns alle bedeutsame Fragen auf. Wie können wir Zusammenarbeiten, um die Gerechtigkeit zu fördern, Mitempfinden zu üben, für den Frieden zu wirken, vor Nichtglaubenden das Evangelium zu bezeugen und unsere „Koinonia“ kundzutun? Diese Fragen fordern uns heraus. Gemeinsam müssen wir uns bemühen, konkrete Wege zu finden, um eine gemeinsame Antwort geben zu können. Mit Recht bezeichnen Sie diese Fragen als „Gesprächspunkt“ für' uns. Als ersten Schritt und Einführung zu unserem Gespräch möchte ich die folgenden kurzen Bemerkungen machen. Erstens, wir sind alle davon überzeugt, daß ein Christ die tiefsten Lehren, die er in seinem Leben aufnehmen kann, am Fuß des Kreuzes emplängt. Wenn unsere Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften miteinander und mit der ganzen Menschheitsfamilie sprechen, müssen wir das vom Fuß des Kreuzes Jesu Christi aus tun, der Quelle der Weisheit und unseres Zeugnisses. Vom Kreuz können wir die Eigenschaften lernen, die für unser ökumenisches Streben nach Einheit erforderlich sind. „Denn aus dem Neuwerden des Geistes (vgl. Eph 4,23), aus der Selbstverleugnung und aus dem freien Strömen der Liebe erwächst und reift das Verlangen nach der Einheit“ (Unitatis redintegratio, Nr. 7). Der Ökumenismus ist keine Frage der Macht und menschlicher Taktik. Er ist ein Dienst an der Wahrheit in Liebe und demütiger Unterwerfung unter Gott. Auf ähnliche Weise ist auch unsere Zusammenarbeit auf den wichtigen, von Ihnen angeführten Gebieten keine Sache ausgewogener Berechnung. Wir arbeiten nicht einfach um der Effizienz willen zusammen oder aus strategischen Gründen oder wegen des Vorteils und Einflusses. Wir arbeiten um Christi 943 REISEN willen zusammen, der uns drängt, in ihm und im Vater eins zu sein, damit die Welt glaubt (vgl. Joh 17,21). 6. Die ökumenische Gemeinschaft hat mich nunmehr zweimal in diesem Land willkommen geheißen. Ich wieder hatte die erfreuliche Gelegenheit, viele von Ihnen in Rom, der Stadt der Apostel und Märtyrer, des Petrus und des Paulus willkommen zu heißen. Ich glaube, daß diese und andere herzliche Begegnungen mit der Gnade Gottes dahin wirken, Barrieren des Mißverstehens, die uns jahrhundertelang gequält haben, abzubauen. Wie oft lesen wir in der Heiligen Schrift von Begegnungen, die Augenblicke der Gnade waren, Begegnungen des Herrn mit seinen Jüngern oder Begegnungen der Jünger mit anderen Menschen, denen sie sein Wort brachten. Ich glaube, daß bei Begegnungen wie dieser, wo zwei oder drei von uns in seinem Namen versammelt sind, Christus in unserer Mitte ist und von jedem von uns ein tieferes Engagement für den Dienst in seinem Namen und daher einen höheren Grad an Einheit unter uns fordert. Mit euch bete ich dafür, daß die christlichen Gemeinschaften der Vereinigten Staaten fortfahren mögen, einander zu begegnen, miteinander zu arbeiten und miteinander zu leben, damit der Vater in der Erfüllung des Gebetes Christi verherrlicht werde: „So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich“ (Joh 17,23). So möge es sein. Die Gesellschaft braucht das Zeugnis der Ehepaare Ansprache beim Ökumenischen Gebetstreffen in Columbia (U.S.A.) am 11. September Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich grüße jeden von Ihnen in unserem Herrn und Erlöser Jesus Christus. Der „Herr über Tote und Lebende“ (Rom 14,9) hat uns in dieser heiligen Versammlung christlichen Volkes zusammengeführt, in einem von Freude erfüllten Treffen verschiedener kirchlicher Gemeinschaften: Orthodoxe, Anglikaner, Methodisten, Baptisten, Lutheraner, Presbyterianer, Mitglieder der Vereinigten Kirche Christi und anderer reformierter Kirchen, Diseiples of 944 REISEN Christ, Mitglieder der Friedenskirchen, Pfingstkirchler, Mitglieder der Polnischen Nationalen Katholischen Kirche und Katholiken. Wir stehen Seite an Seite, um Jesus Christus zu bekennen, „den einen Mittler zwischen Gott und den Menschen“ (.1 Tim 2,5), damit „alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr“ — zur Ehre Gottes des Vaters“ (Phil 2,10-11). Wir sind hierher gekommen, um zu beten, und wir folgen damit dem Beispiel aller Heiligen von Anfang an, ganz besonders der Apostel, die in Erwartung des Heiligen Geistes „einmütig im Gebet verharrten, zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern“ (Apg 1,14). Miteinander erneuern wir unseren Glauben an die ewige Erlösung, die wir durch das Kreuz Jesu Christi empfangen haben (vgl. Hebr 9,12), und bekennen unsere Hoffnung, daß wir, wie Jesus von den Toten auferstand, auch selbst zum ewigen Leben auferstehen werden (vgl. Phil 3,11). In der Tat sind wir durch unsere Taufe im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes mit Christus begraben worden, „so daß, wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, auch wir als neue Menschen leben sollen“ (Rom 6,4).Das neue Leben im Heiligen Geist macht uns zu einem pilgernden Volk, das inmitten der Verfolgungen der Welt und der Tröstungen Gottes vorwärtsstrebt und den Tod des Herrn verkündet, bis er wiederkommt (vgl. 1 Kor 11,26; Lumen gentium, Nr. 8). Brüder und Schwestern, wir sind in vielfältiger Weise in unserem Glauben und unserer Jüngerschaft gespalten. Aber wir sind heute hier zusammen als Söhne und Töchter des einen Vaters, in der Berufung auf den einen Herrn Jesus Christus und in der Liebe, die ein und derselbe Heilige Geist in unsere Herzen eingießt. Laßt uns Gott danken und uns freuen über diese Gemeinschaft! Und wollen wir uns weiterhin der großen Aufgabe verpflichten, zu der Jesus selber uns drängt: Voranzuschreiten auf dem Weg der christlichen Versöhnung und Einheit, „ohne den Wegen der Vorsehung irgendein Hindernis in den Weg zu legen und ohne den künftigen Anregungen des Heiligen Geistes vorzugreifen“ (Unitatis redintegratio, Nr. 24). 2. In diesem Dienst für das christliche Zeugnis haben wir miteinander das Wort Gottes gehört, das uns in der Heiligen Schrift geschenkt wurde. Die Heilige Schrift ist uns allen teuer. Sie ist einer der größten Schätze, die wir miteinander teilen. In der Heiligen Schrift und in den Taten göttlichen Erbarmens, die in ihr berichtet werden, spricht Gott, unser Vater, aus der Überfülle seiner Liebe heraus zu uns und lebt unter uns. Die Bibel ist heilig, weil die Stimme des Heiligen Geistes in ihren von Gott eingegebenen und unwandelbaren Wor- 945 REISEN ten lebt, sich unter uns vernehmen läßt und in der Kirche von Zeitalter zu Zeitalter und von Generation zu Generation widerhallt (vgl. Dei verbum, 21). Die Solidarität Gottes trägt den Familienverbund 3. Heute waren in diesem Stadion Passagen aus der Heiligen Schrift zu hören, die mit der Realität der Familie zu tun hatten. Wir haben die Bitte und das Versprechen der jungen Witwe Rut gehört: „Wohin du gehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe auch ich, da will ich begraben sein“ (Rut 1,16-17). Diese Worte zu hören, heißt von tiefer Bewegung für die Stärke von familiären Bindungen ergriffen zu werden: Sie sind stärker als die Angst vor zu erwartender Mühsal, stärker als die Angst vor dem Exil in einem unbekannten Land, stärker als die Angst vor möglicher Ablehnung. Das Band, das eine Familie zusammenhält, ist nicht nur eine Sache natürlicher Verwandtschaft oder gemeinsam geteilter Lebenserfahrung. Es ist wesentlich ein heiliges und religiöses Band. Ehe und Familie sind heilige Realitäten. Die Heiligkeit der christlichen Ehe besteht in der Tatsache, daß im Plane Gottes der Ehebund zwischen einem Mann und einer Frau zum Abbild und Symbol des Bundes zwischen Gott und seinem Volk wird (vgl. Hos 2,21; Jer 3,6-13; Jes 54,5-10). Er ist das Zeichen der Liebe Christi zu seiner Kirche (vgl. Eph 5,32). Weil Gottes Liebe treu und unwiderruflich ist, darum sind auch alle, die „in Christus“ geheiratet haben, aufgerufen, einander für immer treu zu bleiben. Sagte uns nicht Jesus selbst: „Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (Mt 19,6)? Die Gesellschaft von heute braucht in besonderer Weise das Zeugnis von Ehepaaren, die ihre Einheit bewahren, als ein ausdrucksstarkes, wenn auch manchmal unter Leiden errungenes „Zeichen“ der unerschütterlichen Liebe Gottes unter unseren menschlichen Bedingungen. Tag für Tag sind christliche Ehepaare aufgerufen, ihre Herzen immer mehr dem Heiligen Geist zu öffnen, dessen Kraft nie versiegt und der sie fähig macht, einander zu lieben wie Christus uns geliebt hat. Und wie der heilige Paulus an die Galater schrieb, ist „die Frucht des Geistes Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung“ (Gal 5,22-23). All das zusammengenommen, ist die Lebensregel und das Programm persönlicher Entfaltung für christliche Ehepaare. Und jede christliche Gemeinschaft hat die große Verantwortung, Ehepaare in ihrer Liebe zu stützen. 4. Aus solcher Liebe werden christliche Familien geboren. In ihnen sind Kinder willkommen als großartiges Geschenk der Güte Gottes. Sie werden in 946 REISEN den wesentlichen Werten des menschlichen Lebens erzogen und lernen vor allem, daß „der Wert des Menschen mehr in ihm selbst als in seinein Besitz (liegt)“ — (Gaudium et spes, Nr. 35). Die gesamte Familie bemüht sich darum, Respekt für die Würde jedes einzelnen zu praktizieren und denen in Not einen uneigennützigen Dienst zu leisten (vgl. Familiaris consortio, Nr. 37). Christliche Familien existieren, um eine Gemeinschaft von Personen zu bilden, die miteinander in Liebe verbunden sind. Als solche sind die Kirche und die Familie, jede auf ihre eigene Weise, in der menschlichen Geschichte lebendige Darstellungen der ewigen Liebesgemeinschaft der drei Personen in der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Tatsächlich wird die Familie die Kirche im kleinen, die „Hauskirche“, genannt, eine besondere Ausdrucksform der Kirche, geformt aus der menschlichen Erfahrung der Liebe und des Zusammenlebens (vgl. Familiaris consortio, Nr. 49). Wie die Kirche sollte die Familie ein Ort sein, an dem das Evangelium weitergegeben wird und von dem das Evangelium ausstrahlt auf andere Familien und auf die ganze Gesellschaft. 5. In Amerika und überall in der Welt wird die Familie gegenwärtig bis in ihre Wurzeln erschüttert: Die Konsequenzen für die einzelnen und die Gesellschaft an persönlicher und kollektiver Unbeständigkeit und Unglückseligkeit sind unzählbar. Dennoch ist es ermutigend zu wissen, daß sich trotz dieser außergewöhnlichen Herausforderungen viele Christen für die Verteidigung und Unterstützung des Familienlebens engagieren. In den letzten Jahren, insbesondere bei der Welt-Bischofssynode von 1980, war die katholische Kirche mit einem umfassenden Nachdenken über die Rolle der christlichen Familie in der modernen Welt beschäftigt. Das ist ein Gebiet, auf dem es die größtmögliche Zusammenarbeit aller, die Jesus Christus bekennen, geben muß. Oft genug trennen die Zwänge des modernen Lebens Ehemänner und Ehefrauen voneinander und bedrohen damit ihre auf Lebensdauer angelegte wechselseitige Abhängigkeit in Liebe und Treue. Müssen wir nicht auch besorgt sein über die Einwirkungen kultureller Zwänge auf die Beziehungen zwischen den Generationen, auf die elterliche Autorität und die Weitergabe geheiligter Werte? Unser christliches Gewissen sollte tief betroffen sein über die Art und Weise, in der Sünden gegen die Liebe und gegen das Leben oft als Beispiele für „Fortschritt“ und Emanzipation präsentiert werden. Sind sie aber nicht meistens nur uralte Formen des Egoismus in einem neuen sprachlichen Gewand und in einem neuen kulturellen Gefüge? 947 REISEN Entscheidungen für das Falsche bergen die böse Konsequenz in sich 6. Viele dieser Probleme sind das Ergebnis einer falschen Auffassung von persönlicher Freiheit, die in unserer Kultur wirksam ist — als ob einer nur dann frei sein könnte, wenn er jede objektive Verhaltensnorm zurückweist, die Übernahme von Verantwortung verweigert oder es sogar ablehnt, seinen Instinkten und Leidenschaften Zügel anzulegen! Wahre Freiheit schließt statt-dessen ein, daß wir fähig sind, uns ohne Zwang für das Gute zu entscheiden. Das ist die wahrhaft menschliche Verfahrensweise bei den Entscheidungen — den großen und den kleinen — vor die uns das Leben stellt. Die Tatsache, daß wir uns auch entscheiden können, nicht so zu handeln, wie wir einsehen, daß wir sollten, ist eine notwendige Voraussetzung unserer sittlichen Freiheit. Aber in diesem Fall müssen wir Rechenschaft ablegen über das. Gute, das wir zu tun unterlassen, und das Böse, das wir begangen haben. Der Sinn für diese moralische Verantwortlichkeit muß neu geweckt werden, wenn die Gesellschaft als eine Zivilisation der Gerechtigkeit und der Solidarität überleben soll. Es ist wahr, daß unsere Freiheit geschwächt und in vielfacher Weise eingeschränkt ist, nicht zuletzt als Folge der geheimnisvollen und dramatischen Geschichte der Ur-Rebellion der Menschheit gegen den Willen des Schöpfers, wie auf den ersten Seiten des Buches Genesis aufgezeigt wird. Aber wir bleiben freie und verantwortliche Wesen, die durch Jesus Christus erlöst worden sind, und wir müssen unsere Freiheit dahin erziehen, das Richtige und Gute zu erkennen und zu wählen und das zurückzu weisen, was nicht mit der ursprünglichen Wahrheit über unsere Natur und unsere Bestimmung als Geschöpfe Gottes übereinstimmt. Wahrheit — angefangen von der Wahrheit unserer Erlösung durch das Kreuz und die Auferstehung Jesu Christi — ist die Wurzel und Ordnung unserer Freiheit, die Grundlage und das Maß jeder befreienden Aktion (vgl. Instruktion über christliche Freiheit und Befreiung, Nr. 3). ' Wird es Amerika gelingen, das Ruder rechtzeitig herumzureißerü 7. Es wäre eine große Tragödie für die ganze Menschheitsfamilie, wenn die Vereinigten Staaten, die so stolz sind auf ihr Engagement für die Freiheit, die wahre Bedeutung dieses edlen Wortes aus dem Auge verlieren sollten. Amerika, du kannst nicht auf dem Recht zur freien Entscheidung bestehen, wenn du nicht gleichzeitig die Pflicht betonst, gut zu entscheiden, die Pflicht, die Wahrheit zu wählen! Schon gibt es viel Zusammenbruch und Leid in deiner eigenen Gesellschaft, weil Grundwerte, die wesentlich sind für das Wohl der einzelnen, der Familien und der ganzen Nation, ihres wahren Gehalts entleert 948 REISEN werden. Und dennoch gibt es zur selben Zeit überall in diesem Land ein großes Erwachen; man wird sich der dringenden Notwendigkeit bewußt, die letzte Bedeutung des Lebens und seine fundamentalen Werte wiederzugewinnen. Gewiß müssen wir mittlerweile überzeugt sein, daß wir nur, wenn wir den Vorrang der moralischen Werte anerkennen, die unermeßlichen, von Wissenschaft und materiellem Fortschritt angebotenen Möglichkeiten dazu nutzen können, den wahren Fortschritt der menschlichen Person in Wahrheit, Freiheit und Würde zu erreichen. Unser besonderer Beitrag als Christen ist es, die Weisheit des Wortes Gottes in den Problemen des modernen Lebens zum Thema zu bringen, so daß die moderne Kultur zu einem in tieferer Weise wiederhergestellten Bund mit der göttlichen Weisheit selbst geführt wird (vgl. Fami-liaris consortio, Nr. 8). Wie wir in der Lesung aus dem Evangelium gehört haben, zeigt Jesus auf, daß die oberste Richtschnur unseres Verhaltens und unserer Beziehungen, auch unserer Beziehung zu ihm, immer der Gehorsam gegenüber dem Willen des Schöpfers ist: „Denn wer den Willen; meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter“ (Mt 12,50). 8. Meine Brüder und Schwestern! Laßt uns in dem Maße, in dem Gott uns in der christlichen Einheit zu wachsen gewährt, Zusammenarbeiten, um den Familien Kraft und Unterstützung anzubieten, denn von ihnen hängt das Wohl der Gesellschaft und von ihnen hängen unsere Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ab. Mögen die Familien Amerikas mit einem dankbaren Herzen leben, dem Herrn Dank für seine Wohltaten erweisen, füreinander beten, eine der anderen Last tragen und einander willkommen heißen, wie Christus sie willkommen geheißen hat. Mein Gebet für Sie alle am Ende dieses meines zweiten Besuchstages sind die Worte des Paulus an die Thessaloniker: „Der Gott des Friedens heilige euch ganz ... Die Gnade Jesu Christi, unseres Herrn sei mit euch!“ (1 Thess 5,23; 28). ■ 949 REISEN Dreifaltigkeit — das grundlegende Geheimnis des Glaubens Predigt in der St.-Louis-Kathedrale in New Orleans (U.S.A.) am 12. September „Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!“ (2 Kor 13,14). Lieber Erzbischof Hannan! Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich bin glücklich, von dieser Saint-Louis-Kathedrale im Namen der Heiligsten Dreifaltigkeit die ganze Kirche in New Orleans zu begrüßen — all jene, die ihre Glieder sind, all jene, die Zusammenarbeiten, um ihren Auftrag zu erfüllen. Besonders begrüße ich heute euch alle, liebe Priester und Ordensleute aus Louisiana. Hier in dieser Mutterkirche der Erzdiözese danke und preise ich den lebendigen Gott für euer Leben geweihten Dienstes für Christus und seine Kirche. Dieses Gotteshaus, dieses Haus des Gebetes und Tor des Himmels steht am zentralen Punkt der Stadt New Orleans, und von dieser Stelle aus werden alle Entfernungen gemessen. Hier wohnt Christus in eurer Mitte, gegenwärtig in Wort und Sakrament, und macht diesen Ort zu einer Stätte der Gnade und des Segens für das ganze Volk Gottes. Hier wird Gott, der Vater, im Geist und in der Wahrheit angebetet (vgl. Joh 4,23); und hier ist der Heilige Geist immer in den Herzen der Gläubigen am Werk und bereitet sie auf die Herrlichkeit des himmlischen Jerusalem vor. Und so wie diese Saint-Louis-Kathedrale der Brennpunkt von New Orleans ist, so ist auch Christus die innerste Mitte eures Lebens. Christus ist für euch „der Anfang und das Ende“ (Offb 21,6); er ist für euch „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ {Joh 14,6). So eng seid ihr mit Christus verbunden, daß jeder von euch wie der heilige Paulus sagen kann: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ {Gal 2,20). Und zusammen mit dem heiligen Paulus müßt ihr erklären: „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ {Röm 8,39). Die Kirche in Louisiana schuldet vielen Priestern und Ordensleuten, die sich hier von Anfang an gemüht haben, große Dankbarkeit. Die Tradition heldenhafter Hingabe bei der Verkündigung des Evangeliums Christi mit Wort und 950 REISEN Tat setzt sich heute in eurem Dienst am Volk Gottes fort. Erinnert euch immer daran, daß die übernatürliche Wirksamkeit eures Dienstes in der Kirche an das Zeugnis eures Lebens gebunden ist, das ihr in der Einheit mit Christus lebt. Ihr seid deshalb aufgerufen, euer Leben mehr und mehr der Person und der Botschaft Jesu Christi anzupassen. Und vergeht nie, daß es das klare Ziel allen apostolischen Dienstes ist, alle Menschen zur Gemeinschaft mit der Heiligsten Dreifaltigkeit zu führen. 2. Unser Leben als Christen hat seinen Ursprung und seine Bestimmung im Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit, dem grundlegenden Geheimnis unseres christlichen Glaubens. Der eine Gott, den wir verehren, ist eine Einheit von drei göttlichen Personen, deshalb „beten wir an im Lobpreis des wahren und ewigen Gottes die Sonderheit in den Personen, die Einheit im Wesen und die gleiche Fülle in der Herrlichkeit“ (Präfation von der Heiligsten Dreifaltigkeit). Der Vater und der Sohn und der Heilige Geist bilden eine ewige Gemeinschaft des Lebens und der gegenseitigen Liebe. In der Kirche sind wir bevorrechtet, jetzt und für immer an der Gemeinschaft des Lebens und der Liebe teilzunehmen, die Gottes Geheimnis ist, Einer in Dreien. Trinität — das Wort selbst ist eine dogmatische Lektion Das Zweite Vatikanische Konzil lehrt, daß die Kirche „ihren Ursprung aus der Sendung des Sohnes und der Sendung des Heiligen Geistes herleitet gemäß dem Plan Gottes, des Vaters“ {Ad gentes, Nr. 2). So ziehen wir als Mitglieder der Kirche Nutzen aus der Sendung des Sohnes und der Sendung des Heiligen Geistes, die aus „der ,quellhaften Liebe“, dem Liebeswollen des Vaters“ herrühren (ebd., Nr. 2). „Der Vater ist es, der ,ursprungslose Ursprung“, aus dem der Sohn gezeugt wird und der Heilige Geist durch den Sohn hervorgeht“ {ebd.). Indem er uns das Geheimnis des Vaters offenbart hat, führt der Sohn den Willen des Vaters aus und vollbringt unsere Erlösung. Und die Sendung des Heiligen Geistes beschreibend, sagt das Konzil: „Als das Werk vollendet war, das der Vater dem Sohn auf Erden zu tun aufgetragen hatte (vgl. Joh 17,4), wurde am Pfingsttag der Heilige Geist gesandt, auf daß er die Kirche immerfort heilige und die Gläubigen so durch Christus in einem Geiste Zugang hätten zum Vater (vgl. Eph 2,18)“ {Lumen gentium, Nr. 4). 3. Im Evangelium des hl. Johannes lesen wir: „Niemand hat Gott je gesehen. Der einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“ {Joh 1,18). Obwohl das Alte Testament Elemente enthielt, die uns auf 951 REISEN die Offenbarung Jesu vorbereiteten, deckte es nicht dieses unergründliche Geheimnis Gottes auf: das Geheimnis des Vaters, das ureigenste Leben Gottes, die Gemeinschaft der drei göttlichen Personen. Nur der menschgewordene Sohn Gottes legt für die Wahrheit über die Dreifaltigkeit Zeugnis ab; nur er offenbart sie. Auf die Wahrheit von der göttlichen Sohnschaft Jesu und auf das dreifältige Geheimnis von Vater und Sohn und Heiligem Geist wird hingewiesen im Augenblick der Verkündigung und ebenso bei der Taufe Jesu im Jordan. Überdies spricht Jesus während seines öffentlichen Wirkens über seinen Vater und den Heiligen Geist. Im Johannesevangelium finden wir viele Aussagen Jesu über die vertraute Einheit, die er mit dem Vater teilt. Aber erst in seiner Abschiedsrede im Äbendmahlsaal teilt Jesus endgültig die Wahrheit über den Heiligen Geist mit und über die Beziehung, in der der Heilige Geist zum Vater und zum Sohn steht. Wir können sägen, daß Jesus in seinen Lehren in bezug auf das Leben des einen Gottes in der Dreifaltigkeit göttlicher Personen „Horizonte aufreißt, die der menschlichen Vernunft unerreichbar sind“ (Gaudium et spes, Nr. 24). Als er seine messianische Sendung beendet hatte und vor seiner Himmelfahrt von den Aposteln Abschied nahm, trug Jesus ihnen auf: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,29). So vertraut Jesus ihnen mit diesen letzten Worten die höchste Wahrheit der ungeteilten Einheit der Heiligsten Dreifaltigkeit an. Durch seine Heilstat schenkte Gott dem Menschen wahres Leben 4. Liebe Brüder und Schwestern! Euer Leben des Dienstes, das Christus und seiner Kirche geweiht ist, gibt Zeugnis von der Wirklichkeit der Liebe Gottes zu seinem Volk. Ihr verkündet freudig die gute Nachricht des Glaubens: „Gott ist die Liebe“ (1 Joh 4,8). In dem Gespräch Jesu mit Nikodemus hören wir jene Worte: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab,-.damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Der Vater liebte die Welt so sehr, daß er uns seinen einzigen Sohn sandte, und durch den Sohn sandte er uns den Heiligen Geist. Heute und an jedem Tag feiern wir die Liebe Gottes des Vaters zu jedem von uns — die Liebe, die sich in dem fleischgewordenen Wort und in dem Geschenk des Heiligen Geistes offenbart hat. Überdies verkünden wir, daß Gott seinen Sohn in die Welt gesandt hat, nicht um die Welt zu verurteilen, sondern damit die Welt durch ihn errettet würde. Ja, wir verkünden der Welt Gottes immerwährende Liebe. 952 REISEN Mögen die Gebete der heiligen Jungfrau Maria, Unserer Lieben Frau von der immerwährenden Hilfe und Mutter der Göttlichen Liebe, euch und der ganzen Kirche in New Orleans und in Louisiana helfen, Zeugnis abzulegen für die barmherzige Liebe des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Die Erzieher müssen mit den Eltern Zusammenarbeiten Ansprache an Religionslehrer von Grundschulen und weiterführenden Schulen in New Orleans (U.S.A.) am 12. September Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich danke euch für eure warmherzige Begrüßung, und ich preise unseren Herrn Jesus Christus, der mir diese Gelegenheit gibt, mich mit euch zu treffen, Vertreter der katholischen Grundschulen und weiterführenden Schulen und Leiter der religiösen Erziehung. Mein erstes Wort an euch ist voller Achtung und Ermutigung: ich möchte euch versichern, daß ich die außerordentliche Bedeutung eures Einsatzes in der katholischen Erziehung voll und ganz würdige; Ich lobe eure Sorge und die Lebendigkeit und katholische Identität der Erziehungszentren, in denen ihr im gesamten Gebiet der Vereinigten Staaten arbeitet. Ich ermutige euch, eure besondere Rolle in der Kirche und in der Gesellschaft in einem Geist hochherziger Verantwortlichkeit, kluger Schaffenskraft und des Strebens nach hervorragender Leistung zu erfüllen. 2. Es ist sehr passend, daß wir uns in dieser historischen Stadt, dem Treffpunkt verschiedener reicher Kulturen, treffen können, wo Kapuziner und Ur-sulinen in der ersten Morgenstunde eurer Nation Schulen gründeten.: Ihr trefft gerade die Vorbereitungen für die Feier des 200. Jahrestages der Unterzeichnung der Verfassung der Vereinigten Staaten. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die Gewähr für religiöse Freiheit, die in die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte eingeschrieben ist, dabei geholfen hat, das wunderbare Anwachsen katholischer Erziehung in diesem Land zu ermöglichen. Jahre hindurch ist von den Katholiken in den Vereinigten Staaten vieles unternommen und erreicht worden, so daß ihren Kindern die bestmögliche Erziehung zugänglich gemacht wurde. Vieles ist daran getan worden, Kindern und Erwachsenen den Reichtum unseres katholischen Glaubens zu übermitteln zu Hause, in der Schule und durch religiöse Erziehungsprogramme. Die Anwesenheit der Kirche im Bereich der Erziehung zeigt sich auf ganz erstaunliche 953 REISEN Weise in dem ausgedehnten und dynamischen Netzwerk von Schulen und Erziehungsprogrammen, die sich von der Vorschule bis hin zum Erwachsenenalter erstrecken. Die gesamte kirchliche Gemeinschaft — Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien—, die Kirche in all ihren Bereichen, istaufgerufen, die Bedeutung dieser Aufgabe und Mission immer tiefer zu schätzen und ihr weiterhin volle und begeisterte Unterstützung zu geben. Ein Strukturwandel im Lehrerpersonal hat sich vollzogen 3. Am Anfang und noch lange Zeit später hatten Ordensmänner und -frauen die Hauptverantwortung für die Organisation und den Unterricht in der katholischen Erziehung in diesem Land. Als Pioniere begegneten sie dieser Herausforderung auf ausgezeichnete Weise und tun es weiterhin bis heute. Die Kirche und — dessen bin ich gewiß — die Nation wird ihnen gegenüber stets eine Dankesschuld empfinden. Die Bedeutung der Anwesenheit engagierter Ordensleute und Ordensgemeinschaften im Erziehungsapostolat hat mit der Zeit nicht abgenommen. Es ist mein aufrichtiges Gebet, daß der Herr weiterhin viele junge Leute zum Ordensleben berufen und daß ihr Zeugnis für das Evangelium ein zentrales Element in der katholischen Erziehung bleiben möge. 4. In den letzten Jahren haben Tausende von Laien als Verwalter und Lehrer den Dienst in kirchlichen Schulen und Erziehungsprogrammen übernommen. Indem sie das Vermächtnis des katholischen Glaubens und der erzieherischen Erfahrung übernommen haben und weiterentwickeln, haben sie ihren Platz als vollwertige Partner in der Sendung der Kirche zur Erziehung der ganzen Person und zur Übermittlung der Frohen Botschaft vom Heil in Jesus Christus an die kommenden Generationen junger Amerikaner. Auch dann wenn sie nicht Religion unterrichten, ist ihr Dienst in einer katholischen Schule oder ihr Erziehungsprogramm Teil des unaufhörlichen Eifers der Kirche, uns alle dahin zu führen, daß wir uns „von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir ihn erreicht haben ... Christus ... das Haupt“ (Eph 4,15). Ich bin mir bewußt, daß nicht alle Probleme, die die Organisation, die Finanzierung und die Verwaltung katholischer Schulen in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft betreffen, zur Befriedigung aller gelöst worden sind. Ich hoffe, daß diese Angelegenheiten für alle auf gerechte und ehrliche Weise geklärt werden. Diesbezüglich ist es wichtig, von einem richtigen Standpunkt aus vorzugehen. Für einen katholischen Erzieher sollte die Kirche nicht nur als ein Arbeitgeber betrachtet werden. Die Kirche ist der Leib Christi, trägt die Sendung des Erlösers durch die Geschichte hindurch weiter. Wir haben das Vorrecht, an dieser Mission teilzuha- 954 REISEN ben, zu der wir durch die Gnade Gottes berufen und in der wir gemeinsam eingesetzt sind. Die Erziehungsverantwortung den Eltern nicht entziehen! 5. Erlaubt mir, Brüder und Schwestern, kurz auf etwas einzugehen, das die Kirche ganz besonders angeht. Ich beziehe mich auf die Rechte und Pflichten der Eltern in der Erziehung ihrer Kinder. Das Zweite Vatikanische Konzil hat deutlich die Stellung der Kirche verkündet: „Da die Eltern ihren Kindern das Leben schenkten, haben sie die überaus schwere Verpflichtung zur Kindererziehung. Daher müssen sie als die ersten und bevorzugten Erzieher ihrer Rinder anerkannt werden“ (Gravissimum educationis, Nr. 3). Im Vergleich zur Erziehungsrolle aller anderen ist die ihre vordringlich; sie ist außerdem unersetzbar und unübertragbar. Es wäre falsch, wenn irgend jemand versuchen würde, sich dieser einzigartigen Verantwortlichkeit zu bemächtigen (vgl. Familiaris consortio, Nr. 36). Auch sollten Eltern in keiner Weise dafür bestraft werden, wenn sie für ihre Kinder eine Erziehung wählen, die ihrem Glauben entspricht. Eltern müssen die Sicherheit bieten, daß ihr Heim ein Ort ist, wo geistige und moralische Werte lebendig sind. Mit Recht bestehen sie darauf, daß der Glaube ihrer Kinder geachtet und gefördert wird. Als Erzieher seht ihr eure Rolle richtig, wenn ihr mit den Eltern in ihrer vordringlichen Verantwortlichkeit zusammenarbeitet. Eure Bemühungen, sie in den gesamten Erziehungsprozeß einzubeziehen, sind lobenswert. Dies ist ein Bereich, in dem Pfarrer und andere Priester ganz besondere Unterstützung bieten können. Ihnen möchte ich sagen: bemüht euch darum, religiöse Erziehungsprogramme und, wo. dies möglich ist, Pfarrschulen als einen wichtigen Teil eures Dienstes sicherzustellen. Unterstützt und ermutigt Lehrer, Verwalter und Eltern in ihrer Arbeit. Es gibt wenig, was wichtiger für das gegenwärtige und zukünftige Wohl der Kirche und der Nation wäre, als die Bemühungen, die im Erziehungswerk unternommen werden. 6. Katholische Schulen haben in den Vereinigten Staaten seit jeher den Ruf besonderer akademischer Auszeichnung und des Dienstes an der Gemeinschaft genossen. Sehr oft dienen sie einer großen Zahl armer Kinder und junger Leute und achten auf die Bedürfnisse von Minderheitsgruppen. Ich ermutige euch herzlich, weiterhin den Armen aller Rassen und nationaler Hintergründe, koste es auch große Opfer, eine katholische Erziehung von wirklicher Qualität zukommen zu lassen. Wir können nicht daran zweifeln,. daß dies ein Teil von Gottes Aufruf an die Kirche der Vereinigten Staaten ist. 955 REISEN Es ist eine Verantwortung, die tief in die Geschichte katholischer Erziehung in diesem Land eingeschrieben ist. Als ich bei anderer Gelegenheit zu den Bischöfen der Vereinigten Staaten sprach, machte ich geltend, daß die katholische Schule „in hohem Maße zu der Verbreitung des Wortes Gottes beigetragen und die Gläubigen dazu befähigt hat, ,menschliche Angelegenheiten und Tätigkeiten mit religiösen Werten in einer einzigen lebendigen Synthese miteinander zu verbinden“1 (Sa-pientia Christiana, Nr. 1). In der durch die katholische Schule geformten Gesellschaft hät die Kraft des Evangeliums Denkformen, Urteilsmaßstäbe und Verhaltensnormen entstehen lassen. Wenn wir das gesunde Kriterium „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“ {Mt 7,16.20) anwenden, so muß die katholische Schule als außerordentlich positiv beurteilt werden {Ansprache vom 28. Oktober 1983). An dieser Stelle kann ich nicht umhin, sowohl die finanziellen Opfer amerikanischer Katholiken zu loben als auch die wertvollen Beiträge einzelner Wohltäter, Gründungen, Organisationen und Unternehmungen zur katholischen Erziehung in den Vereinigten Staaten. Die heldenhaften Opfer von Generationen katholischer Eltern im Aufbau und in der Unterstützung von Pfarr- und Diözesanschulen dürfen niemals vergessen werden. Ansteigende Kosten mögen zwar neue Methoden, neue Partnerschaftsformen und Beiträge, neue Verwertung finanzieller Quellen erfordern, doch bin ich sicher, daß alle Beteiligten den Anforderungen katholischer Schulen mit Mut und Hingabe begegnen und nicht am Wert der Opfer zweifeln, die dazu notwendig sind. 7. Doch noch eine andere Herausforderung betrifft alle an der katholischen Erziehung Beteiligten. Es handelt sich um die dringende Forderung, die Ziele katholischer Erziehung klar zu erkennen und in der Erziehung katholischer Grund- und höherer Schulen wie auch in den religiösen Erziehungsprogrammen angemessene Methoden anzuwenden. Es handelt sich um die Forderung nach vollem Verständnis des Erziehungsunternehmens, nach richtiger Einschätzung seines Inhalts und der Übermittlung der vollen Wahrheit, die den Menschen angeht, der nach dem Bild Gottes geschaffen und zum Leben in Christus durch den Heiligen Geist berufen ist. ■ Der Inhalt der einzelnen Lehrgänge in der katholischen Erziehung ist sowohl hinsichtlich des Religiohsimterrichts als auch aller anderen Fächer wichtig, die die gesamte Bildung des Menschen ausmachen und ihn auf sein Lebenswerk und seine ewige Bestimmung vorbereiten. Es ist angebracht, daß Lehrer in der Vorbereitung und beim Unterricht ständig durch hohe berufliche Maßstäbe gefordert werden. Was den Inhalt des Religionsunterrichts angeht, so besteht das wesentliche Kriterium in der Treue zur Lehre der Kirche: 956 REISEN Erzieher haben ebenso das wundervolle Amt, jungen Leuten richtige ethische Einstellungen eindringlich nahezubringen. Dies schließt auch das Verhalten gegenüber den materiellen Dingen und ihrem angemessenen Gebrauch ein. Der ganze Lebensstil der Schüler wird die Einstellungen widerspiegeln, die sich in ihnen während ihrer Jahre der formalen Erziehung gebildet haben. Was diese Aufgabe angeht, so werdet ihr in vielen Dokumenten der Kirche Anleitungen finden. Eure eigenen Bischöfe haben durch die Anwendung der gesamten Lehre der Kirche dabei geholfen, euch den Weg zu bereiten, was ganz besonders aus ihrem Hirtenbrief „Lehren wie Jesus gelehrt hat“ und dem Nationalen Katechetischen Direktorium hervorgeht. Ich möchte auch an die Dokumente des Heiligen Stuhls über „Die katholische Schule“ und „Katholische Laien in den Schulen: Zeugen des Glaubens“ erinnern. Sie weisen daraufhin, daß es die Aufgabe der Schule ist, in den Schülern die intellektuellen, kreativen und ästhetischen Fähigkeiten des einzelnen zu pflegen; in den Schülern die Fähigkeit zu entwickeln, richtigen Gebrauch von ihrem Urteil, ihrem Willen und ihren Affekten zu machen; in ihnen den Sinn für Werte zu fordern; zu richtigen Haltungen und klugem Verhalten zu ermutigen; sie in das kulturelle Erbe einzuführen, das ihnen von .vorausgegangenen Generationen überliefert wurde; sie auf ihr Arbeitsleben vorzubereiten und den freundschaftlichen Austäusch unter Schülern verschiedener Kulturen und. Hintergründe anzuregen, der zu liebevollem gegenseitigen Verständnis führen wird. 8. Das letzte Ziel jeder katholischen Erziehung ist das Heil in Jesus Christus. Katholische Erzieher arbeiten wirksam für das Kommen des Reiches Christi. Diese Arbeit schließt ein, daß klar und in aller Fülle die Heilsbotschaft übermittelt wird, die zur Antwort des Glaubens einlädt. Im Glauben erkennen wir Gott und das Geheimnis seines Willens (vgl. Eph 1,9): Im Glauben lernen wir uns wirklich selbst kennen. Indem wir unseren Glauben weitergeben, vermitteln wir: eine umfassende Sicht der ganzen Wirklichkeit und wecken den Einsatz für die Wahrheit und das Gute. Diese Sicht und dieser Einsatz geben den Lebenswegen ein sinnvolles Aussehen. Indem ihr das Leben eurer Schüler mit der Fülle der Botschaft Christi bereichert, und sie dazu einladet, das Werk Christi, dieKirche, aus ganzem Herzen anzunehmen, fördert ihr ihre gesamte menschliche Entwicklung auf außerordentlich wirksame Weise und helft ihnen, eine Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe aufzubauen. Diese christliche Botschaft ist für jene jungen Leute besonders vordringlich, die aus zerrütteten Elternhäusern kommen, und die oftmals, da sie nur einen Elternteil haben, der sie ermutigen kann, auf die Unterstützung und Leitung ihrer Lehrer in der Schule angewiesen sind. 957 REISEN Die ganze Kirche unterstützt euch und steht euch bei in eurem Apostolat, die Botschaft Christi in das Leben eurer Schüler zu bringen. Die Bischofssynode hai ganz besonders die Bedeutung eurer Aufgabe und die Schwierigkeiten, denen ihr begegnet, erkannt. Deshalb hat sie zu gemeinsamen Bemühungen aufgerufen, einen universellen Katechismus zusammenzustellen. Dieser Plan wird weder dem großen Bedarf an Kreativität bezüglich der Methoden genügen können, noch wird er die ständige Notwendigkeit der Inkulturation des Evangeliums vermindern, doch wird er allen Ortskirchen dabei helfen, den Inhalt der katholischen Lehre in seiner Gesamtheit nutzbringend darzustellen. Ein wichtiger Teil des wirklich ruhmvollen Kapitels katholischer Erziehung ist in der Kirche in Amerika die Übermittlung der Botschaft Christi durch religiöse Erziehungsprogramme gewesen, die für Kinder und junge Leute außerhalb der katholischen Schulen bestimmt waren. Auch deshalb danke ich Gott und erinnere an all jene, die durch die Geschichte hindurch so großzügig an diesem „Werk eures Glaubens, an der Opferbereitschaft eurer Liebe“ (1 Thess 1,3) mitgearbeitet haben. Communio ist nicht nur Lehrinhalt, sondern Lebensmaxime 9. Gemeinschaft liegt jeder katholischen Erziehung am Herzen — nicht nur als ein zu lehrendes Konzept, sondern als eine zu lebende Wirklichkeit. In ihrem tiefsten christlichen Sinn ist die Gemeinschaft ein Teilhaben am Leben der Heiligen Dreifaltigkeit. Eure Schüler werden lernen, den Wert der Gemeinschaft zu verstehen und zu schätzen, wenn sie Liebe, Vertrauen und Ehrlichkeit in euren Schulen und Erziehungsprogrammen erfahren und wenn sie lernen i alle Menschen als von Gott erschaffene Brüder und Schwestern zu behandeln. Helft ihnen, diesen Gemeinschaftssinn durch aktive Beteiligung am Leben der Pfarrei und der Diözese und insbesondere durch den Empfang des Bußsakraments und der Eucharistie zu erfassen. Das Zweite Vatikanische Konzil nennt unter den Zielen jeder christlichen Erziehung ausdrücklich das Erlernen der Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit (vgl. Gravissi-mum educatiohis, Nr. 2). Sinn für Gemeinschaft schließt Offenheit für die weitere Gemeinschaft ein. Heute findet katholische Erziehung in wechselnden Nachbarschaften statt; dies erfordert Achtung der kulturellen Unterschiede, Liebe zu denjenigen, die anderer völkischer Herkunft sind, Dienst an denjenigen, die in Not sind, ohne Diskriminierung. Helft euren Schülern daher, sich als Mitglieder der Weltkirche und der Weltgemeinschaft zu sehen. Helft ihnen, die Verkettung von Gerechtigkeit und Gnade zu verstehen. Fördert in euren Schülern ein Sozialbewußtsein, das sie dazu bewegen wird, den Bedürfnissen ihrer Nachbarn 958 REISEN entgegenzukommen und die Quellen der Ungerechtigkeit in der Gesellschaft klar zu erkennen und zu versuchen, sie zu beseitigen. Keine menschliche Angst und kein Leid sollte die Jünger Jesu Christi gleichgültig lassen. 10. Die Welt braucht mehr als nur soziale Reformer. Sie braucht Heilige. Heiligkeit ist kein Vorrecht einiger weniger; sie ist eine Gabe, die allen angeboten ist. Die Berufung zur Heiligkeit gilt auch euch und euren Schülern. Daran zweifeln hieße, die Absichten Christi falsch zu beurteilen: denn „jeder von uns empfing die Gnade in dem Maß, wie Christus sie ihm geschenkt hat“ (Eph 4,7). Brüder und Schwestern, nehmt euch Jesus Christus, den Lehrer, zum Vorbild für euren Dienst, nehmt ihn zum Führer und als Quelle eurer Kraft. Er selbst hat: uns gesagt: „Ihr sagt zu mir Meister und Herr, und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es“ (Joh 13,13). Er lehrt in Wort und Tat, und seine Lehre kann nicht von seinem Leben und Sein getrennt werden. Im apostolischen Schreiben zur Katechese stellte ich fest: „Das gesamte Leben Christi war ein beständiges Lehren: die Momente seines Schweigens, seine Wunder, seine Taten, sein Beten, seine Liebe zum Menschen, seine Vorliebe für die Kleinen und Armen, die Annahme des letzten Opfers für die Erlösung der Welt am Kreuz und seine Auferstehung ... So ist für die Christen das Kruzifix eines der erhabensten und volkstümlichsten Bilder des lehrenden Christus. (Catechesi tradendae, Nr. 9). 11. Liebe Freunde; Jesus teilt sein Lehramt mit euch. Nur in enger Gemeinschaft mit ihm könnt ihr ihm angemessen entsprechen. Dies ist meine Hoffnung, dies ist mein Gebet: möget ihr ganz und gar offen sein für Christus. Dies wird euch eine immer größere Liebe zu euren Schülern und eine immer stärkere Bindung an eure Berufung als katholischer Erzieher geben. Wenn ihr heute diesem Amt treu bleibt, so wie ihr es in der Vergangenheit gewesen seid, werdet ihr in starkem Maße an der Formung einer friedvollen, gerechten und hoffnungserfüllten Welt der Zukunft mitarbeiten. Ein großes Geschenk bereitet ihr der Kirche, ein. großes Geschenk bereitet ihr eurer Nation. 959 REISEN Das Evangelium gehört allen Menschen Ansprache an Führer der katholischen schwarzen Bevölkerung in New Orleans (U.S.A.) am 12. September Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen“ (Mk 16,15). Mit diesen Worten trug unser Herr Jesus Christus der Kirche auf, seine Botschaft des Lebens an die ganze menschliche Familie zu richten. Als erste antworteten die Apostel auf den Ruf des Heilands und reisten durch die damals bekannte Welt, ließen alle, die hören wollten, teilhaben an dem, was sie gesehen und gehört hatten (vgl. 1 Joh 1,3), und sprachen über das Königreich Gottes und über die Versöhnung in Christus. . Heute, fast 2000 Jahre später, versucht die Kirche immer noch, dem Befehl Christi hochherzig zu folgen. Die Welt, der wir heute dienen müssen, ist viel größer und die Menschen, die sich danach sehnen, das Wort des Lebens zü hören, sind zweifellos zahlreich. Wenn auch die Worte des Herrn wahr bleiben: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter“ (Mt 9,37), freuen wir uns doch darüber, daß der Heilige Geist der Kirche.viele Hände mehr für die Emtearbeit geschenkt hat. In jedem Winkel der Erde gibt es wertvolle Arbeiter, Menschen jeder Kultur, die danach eifern, das Evangelium zu leben und es in Wort und Beispiel zu verkünden. Ich bin ganz besonders glücklich darüber, euch, die schwarze katholische Führerschaft in den Vereinigten Staaten, zu treffen. Als Schwarze und als Katholiken habt ihr das große Anliegen — und ihr müßt es immer haben —, daß all eure schwarzen Brüder und Schwestern in ganz Amerika das heilbringende und erhebende Evangelium Jesu Christi hören und annehmen.- Gern schließe ich mich den Bischöfen eures Landes an, die euch dazu ermutigen, der großen Aufgabe der Evangelisierung eine Vorrangstellung zu geben und Missionare der Liebe und Wahrheit Christi in eurer schwarzen Gesellschaft zu sein. Allen Gliedern der schwarzen Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten sende ich meine Grüße der Achtung und der Hochschätzung. Meine lieben Brüder im Bischofsamt, die ihr mit mir die Bürden und Freuden des Episkopates teilt: ich freue mich, daß sich die Universalität des Evangeliums und die kulturelle Unterschiedlichkeit eurer Nation immer stärker in der Zusammensetzung der amerikanischen Hierarchie widerspiegelt. Wenn ihr auch aufgrund eures apostolischen Amtes allen Gläubigen eurer jeweiligen Diözesen — und in kollegialer Einheit dem ganzen Leib Christi — dient, ist 960 REISEN es doch aus vielen Gründen gut, daß eure eigenen schwarzen Brüder und Schwestern ein besonderes Anrecht auf eure pastorale Liebe und euren pasto-ralen Dienst haben sollten. Vereinigt mit dem Nachfolger Petri im Bischofskollegium seid ihr ein Zeichen der Einheit und Universalität der Kirche und ihrer Mission. Als Bischöfe sind wir mit der Aufgabe betraut, die Frohe Botschaft von der Erlösung ganz und unbeschadet zu bewahren und sie unserem Volk so wirkungsvoll wie: möglich darzustellen, so daß alle in Jesus Christus »den Weg und die Wahrheit und das Leben« (Joh 14,6) erkennen können. Unsere Brüder im Priesteramt, die in der Person Christi und in Gemeinschaft mit uns dienen, vermitteln die Lehre des Glaubens und begehen die heiligen Heilsmysterien. Wie fruchtbar ist es doch für die Mission der Kirche in Amerika, wenn so viele Priester unterschiedlicher Rassen und ethnischer Gruppen gemeinsam das befreiende Evangelium Christi verkünden und auf diese Weise Zeugnis dafür geben, daß es gerechtermaßen allen gehört. 2. Die Kirche in den Vereinigten Staaten zeichnet sich durch ihre große Zahl an Diakonen aus, von denen einige hundert aus der schwarzen Gemeinschaft kommen. Als Boten des Evangeliums und helfende Diener Christi vervollständigt ihr, liebe Brüder, den dreifachen Dienst des Weihepriestertums. In der Kirche seid ihr zum Dienst des Wortes, der Eucharistie und der Liebe berufen. Eure hochherzige Antwort ist ein klarer Hinweis auf die wachsende Reife der schwarzen katholischen Gemeinschaft, einer Reife, die von den schwarzen Bischöfen eures Landes in ihrem Hirtenbrief „Was wir gesehen und gehört haben“ betont wird. Die Schwarzen haben ganz spezifischen Anteil an der Verkündigung Selbst in jenen Tagen — die nunmehr dank der Gnade Gottes lange Zeit zurückliegen —, als euer Volk unter der schrecklichen Last der Sklaverei zu leiden hatte, entschieden sich Mutige in der Gemeinde für die evangelischen Räte und widmeten sich dem Ordensleben. Auf diese Weise gaben sie ein beredtes Zeugnis von der Kraft des Heiligen Geistes und brachten das Werk geistiger Freiheit selbst in Momenten physischer Unterdrückung zustande. Schwarze Ordensleute geben heute der Kirche und der Gesellschaft ein ähnliches Zeugnis, indem sie das Reich Gottes in einer Welt verkünden, die an Konsumismus, an unbekümmerte Genußsucht und unverantwortlichen Individualismus gefesselt ist-geistige Fesseln, die sogar noch zerstörerischer sind als die Ketten physischer Sklaverei. Ich bin der ganzen schwarzen Gemeinschaft nahe in der großen Mission und Verantwortung, mehr und mehr junge Amerikaner ihrer Rasse dazu zu ermu- 961 REISEN tigen, auf die Einladung des Herrn zum Ordensleben und zum Priestertum einzugehen. Ich bitte euch dringend, dem Gebet treu zu sein und alles, was ihr könnt, zu tun, daß diejenigen, die berufen sind, die Unterstützung und den Beistand finden, den sie brauchen, um der Berufung zu entsprechen und daran festzuhalten. 3. Das Evangelisierungswerk der Kirche findet in besonderer Weise durch das Leben der Laien Eingang in die menschliche Gesellschaft. Wie mein Vorgänger Paul VI. heraus stellte, ist das den Laien eigene „Feld ihrer evangeli-sierenden Tätigkeit die weite und schwierige Welt der Politik, des Sozialen und der Wirtschaft, aber auch der Kultur, der Wissenschaften und Künste, des internationalen Lebens und der Massenmedien“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 70). Wenn sie das weite Feld ihrer Aufgaben in der Welt gut erfüllen, geben Laien-Männer und Frauen-auf einzigartige Weise Zeugnis für die allgemeine Berufung zur Heiligkeit. Das Zeugnis ihres treuen Lebens spricht der Welt eine erhebende Botschaft zu. Ich drücke der schwarzen katholischen Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten meine Liebe und Hochachtung aus. Ihre Lebendigkeit ist ein Zeichen der Hoffnung für die Gesellschaft. Ihr setzt euch zusammen aus vielen, die von klein auf katholisch sind, und vielen, die vor kürzerer Zeit den Glauben angenommen haben, und zusammen mit einer wachsenden Gemeinschaft von Immigranten spiegelt ihr die Fähigkeit der Kirche wider, eine Vielfalt von Menschen zusammenzubringen, die in Glauben, Hoffnung und Liebe geeint sind und teilhaben an der Gemeinschaft mit Christus im Heiligen Geist. Ich bitte euch dringend, eure reichen kulturellen Gaben lebendig und rege zu erhalten. Bekennt stets vor der ganzen Kirche und der ganzen Welt stolz eure Liebe zu Gottes Wort! Es ist ein besonderer Segen, den ihr für immer als Teil eures Erbes hochschätzen müßt. Helft uns allen, eingedenk zu bleiben, daß echte Freiheit aus der Annahme der Wahrheit und dem Leben nach dieser Wahrheit kommt. Die volle Wahrheit aber ist nur in Jesus Christus zu finden. Macht uns weiterhin Mut durch euren Wunsch zu vergeben-so wie Jesus vergab-, und durch euer Verlangen, mit allen Menschen dieser Nation, selbst mit denen, die euch ungerechterweise die volle Ausübung eurer Menschenrechte verweigern würden, in Versöhnung zu leben. 4. Ich bin sicher, daß ihr mit mir eine besondere Sorge um die grundlegende menschliche Gemeinschaft, die Familie, teilt. Eure treuen christlichen Familien sind in Hinblick auf den außerordentlichen Druck, der auf die Gesellschaft ausgeübt wird, eine Quelle des Trostes. Heute müßt ihr den Geist des 962 REISEN Familienlebens wiederentdecken, der sich auch angesichts schwerst belastender Mächte nicht zerstören läßt. Dieser Geist läßt sich sicherlich finden, wenn ihr euer geistiges und kulturelles Erbe erforscht. Die Anregung, die ihr von den großen Männern und Frauen eurer Vergangenheit empfangt, wird es dann euren Jugendlichen ermöglichen, den Wert eines starken Familienlebens zu erkennen. Wisset, daß der Papst der schwarzen Gemeinschaft, nun, da sie sich dazu erhebt, ihre volle Würde und ihre hohe Bestimmung zu übernehmen, vereint zur Seite steht. Die Familie ist der erste Ansatzpunkt der Evangelisierung, der Ort, wo die Frohe Botschaft Christi zuerst empfangen und dann auf einfache aber tiefe Weise von Generation zu Generation weitergegeben wird. Gleichzeitig sind die Familien in unserer Zeit wesentlich auf die Kirche angewiesen, die ihre Rechte verteidigt und die Pflichten und Verantwortlichkeiten lehrt, die zur Fülle der Freude und des Lebens führen. Daher bitte ich euch alle, besonders die Priester und Ordensleute, dringend um euren Einsatz für die Förderung der Werte der Familien in den örtlichen Gemeinden. Und ich erinnere diejenigen, die für die Verabschiedung und Verwaltung von Gesetzen und für öffentliche Maßnahmen verantwortlich sind, daran, daß soziale Probleme durch Verordnungen, die die Familie schwächen oder zerstören, niemals gelöst, sondern nur verschlechtert werden. Noch bestehende Rassendiskriminierung gewaltlos überwinden 5. Selbst in dieser wohlhabenden Nation, der von ihren Gründungsvätern die Würde und Gleichheit aller Menschen eingeprägt wurde, leidet die schwarze Gemeinschaft unter einem unverhältnismäßig großen Anteil an wirtschaftlichen Entbehrungen. Eine viel zu große Zahl eurer Jugendlichen erhalten weniger als eine gleiche Möglichkeit zu einer qualitativ guten Erziehung und einer einträglichen Anstellung. Die Kirche muß sich mit ihrem Bemühen weiterhin den Bemühungen anderer anschließen, die daran arbeiten, jegliches Ungleichgewicht und jegliche Unordnung sozialer Natur auszugleichen. In der Tat kann die Kirche im Hinblick auf Ungerechtigkeit, wo auch immer sie klar zutage tritt, niemals schweigen. In den schwersten Stunden eures Kampfes um die Bürgerrechte inmitten von Diskriminierung und Unterdrückung hat Gott selbst eure Schritte auf den Weg des Friedens gelenkt. Vor dem Zeugnis der Geschichte steht die Antwort der Gewaltlosigkeit in der Erinnerung dieser Nation als ein Ehrendenkmal für die schwarze Gemeinschaft der Vereinigten Staaten. Heute, da wir uns an jene erinnern, die in christlicher Haltung die Gewaltlosigkeit als einzig wahre wirksame Annäherung zur Sicherung und Wahrung menschlicher Würde 963 REISEN wählten, können wir nicht umhin, an Dr. Martin Luther King und die ihm von der Vorsehung zugedachte Rolle zu denken, als es darum ging, zu der gerechten menschlichen Verbesserung der Lebensverhältnisse für die schwarzen Amerikaner und daher für die amerikanische Gesellschaft selbst beizutragen. Meine lieben Brüder und Schwestern der schwarzen Gemeinschaft: dies ist die Stunde, Gott für seine befreiende Tat in eurer Geschichte und in eurem Leben dankzusagen. Diese befreiende Tat ist ein Zeichen und Ausdruck für das Paschamysterium Christi, das in jedem Zeitalter dem Volk Gottes wirksam hilft, von der Knechtschaft überzugehen zu ihrer herrlichen Berufung der vollen christlichen Freiheit. Und wenn ihr euer Dankgebet darbringt, dürft ihr nicht versäumen, euch um die Lage eurer Brüder und Schwestern an anderen Orten der ganzen Welt zu sorgen. Die schwarzen Amerikaner müssen ihre eigene besondere Solidarität christlicher Liebe all den Menschen anbieten, die die schwere Last der Unterdrückung tragen, welcher physischen oder moralischen Natur sie auch sei. Von den katholischen Schulen profitierten besonders die schwarzen Bürger 6. Die katholische Kirche hat für das Leben vieler Mitglieder der schwarzen Gemeinschaft in diesem Land einen grundlegenden Beitrag geleistet durch das Geschenk der Erziehung, die sie in katholischen Schulen empfangen haben. Aufgrund des ausgezeichneten Einsatzes von Diözesen und Pfarreien haben sich viele von euch heute hier am Tisch der Einheit und des Glaubens mit uns getroffen, und das ist ein Ergebnis der Evangelisierung, die in diesen Institutionen durchgeführt worden ist. Katholische Schulen nehmen einen besonderen Platz ein im Werk der Verbreitung des Evangeliums Christi. Sie sind eine große Gabe Gottes. Sorgt dafür, daß eure katholischen Schulen weiterhin stark und rege bleiben. Ihre entschiedene katholische Identität und ihr katholisches Zeugnis muß weiterhin auf jeder Ebene die schwarzen Gemeinschaften dieser Nation bereichern. 7. Neben den Schulen sollten auch andere Mittel der Evangelisierung in den Vordergrund gestellt werden. Hierbei verdienen die .sozialen Kommunikationsmittel besondere Aufmerksamkeit. Die Massenmedien sind ebenso eine große Gabe der göttlichen Vorsehung und sollten voll im Dienst des Evangeliums unseres Herrn Jesus Christus ausgenutzt werden. Sie können Millionen schwarzer Menschen unermeßlichen Dienst erweisen-Menschen, die sich danach sehnen, die Frohe Botschaft des Heils zu hören, die sich an ihr eigenes Erbe und ihre Traditionen richtet. Treu ihrer Lehre und Disziplin, achtet und ehrt die Kirche alle Kulturen; sie achtet sie in all ihren Bemühungen um Evangelisierung unter den verschiede- 964 REISEN nen Völkern. Am ersten Pfmgsttag hörten die Anwesenden die Apostel in ihren eigenen Sprachen sprechen (vgl. Apg 2,4). Unter der Leitung des Heiligen Geistes versuchen wir zu allen Zeiten, den Menschen aller Rassen, Sprachen und Kulturen das Evangelium überzeugend und verständlich nahezubringen. Es ist wichtig zu erkennen, daß es keine schwarze Kirche, keine weiße Kirche, keine amerikanische Kirche gibt; doch in der einen Kirche Jesu Christi gibt es und muß es eine Heimat für Schwarze und Weiße, für Amerikaner jeder Kultur und Rasse geben. Ich möchte wiederholen, was ich bei anderer Gelegenheit sagte: „Die Kirche ist... katholisch, weil sie es versteht, die geoffenbarte Wahrheit, die sie in ihrem göttlichen Inhalt unversehrt behütet, in jeder menschlichen Umgebung so vorzulegen, daß es zu einer geistigen Begegnung mit den höchsten Ideen und den berechtigten Erwartungen jedes Menschen und jedes Volkes kommt“ (Slavorum apostoli, Nr. 18). Liebe Brüder und Schwestern: euer schwarzes kulturelles Erbe bereichert die Kirche und macht sie zum Zeugen einer vollkommeneren Universalität. Die Kirche braucht euch wirklich, ebenso wie ihr die Kirche braucht, denn ihr seid ein Teil der Kirche und die Kirche ist ein Teil von euch. So wie ihr weiterhin dieses Erbe in den Dienst der ganzen Kirche zur Verbreitung des Evangeliums stellt, wird der Heilige Geist selbst durch euch sein Werk der Evangelisierung fortsetzen. Mit freudevollem und hoffnungsvollem Herzen.vertraue ich euch und die ganze schwarze Gemeinschaft der liebenden Sorge Mariens, der Mutter unseres Heilands, an. Möge sie, die auf das Wort hörte und daran glaubte, euer Leben und das zukünftiger Generationen schwarzer Katholiken inmitten des einen Volkes Gottes, des einen mystischen Leibes Christi, lenken. Durch ihre Fürsprache sei Gnade mit euch allen, „die Jesus Christus, unseren Herrn, lieben“ (Eph 6,23). Die Jugend muß ihre Sendung klar erkennen Ansprache an die Jugend in New Orleans (U.S.A.) am 12. September Liebe Jugend von New Orleans! Liebe junge Leute von Amerika! 1. Wenn ich höre, was ihr mir durch eure Anwesenheit hier und durch eure Vertreter hier sägt, dann weiß ich, daß ihr euch sehr wohl bewußt seid, eine besondere Sendung in dieser. Welt zu haben, Partner in der Sendung der Kirche zu sein. 965 REISEN Ich weiß ebenfalls, daß ihr im Erfüllen eurer Sendung bereit seid, zu teilen und zu dienen. Dabei seid ihr willens, all dies zusammen und nicht allein zu tun! Darin seid ihr wie Jesus: Er gab und diente und war nie allein. Er sagt uns: „Er, der mich gesandt hat, ist bei mir; er hat mich nicht allein gelassen, weil ich immer das tue, was ihm gelallt“ (Joh 8,29). Ja, liebe junge Leute, auch ich möchte etwas über eure Sendung sagen, den Sinn eures Lebens auf der Erde, die Wahrheit eures Lebens. Es ist äußerst lebenswichtig für euch, daß ihr eure Sendung Mar erkennt, um nicht verwirrt oder getäuscht zu werden. Der hl. Paulus forderte ausdrücMich die Christen seiner Zeit dazu auf und sagte: „Laßt euch durch niemand und auf keine Weise täuschen“ (2 Thess 2,3). Heute.sage ich euch, der Jugend von Amerika, dasselbe: Laßt euch durch niemand irgendwie in bezug auf eure Sendung, auf die Wahrheit und auf eure Ausrichtung täuschen. Laßt euch durch niemand über die Wahrheit eures Lebens täuschen. Aus Lug und Trug führt Jesus heraus z.ur Wahrheit 2. Aber was ist das Gegenteil von Täuschung? Wohin könnt ihr euch wenden, um zufriedenstellende Antworten zu bekommen, die Bestand haben? Das Gegenteil von Täuschung ist Wahrheit-die Person, die die Wahrheit sagt, die Person, die die Wahrheit ist. Ja, das Gegenteil von Täuschung ist Jesus Christus, der uns sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ (Joh 14,6). Jesus Christus ist der Sohn Gottes. Er offenbart Gottes Wahrheit. Aber er ist zugleich Mensch. Er teilt unser Menschsein und kam in diese Welt, um uns über uns selbst zu belehren und uns zu helfen, uns selbst zu erkennen. Ihr jungen Leute seid stolz darauf, in einem freien Land zu leben, und ihr solltet Gott für eure Freiheit danken. Obwohl ihr frei kommen und gehen und tun könnt, was ihr wollt, seid ihr nicht wirMich frei, solange Irrtum und Falschheit, Täuschung und Sünde Macht über euch haben. Nur Jesus Christus kann euch durch seine Wahrheit richtig frei machen. Deshalb sagt er auch: „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien“. Und darum fügt er hinzu: „Wenn euch also der Sohn befreit, dann seid ihr wirMich frei“ {Joh 8,32.36). Liebe junge Leute, die ganze Botschaft Jesu im Evangelium und durch seine Kirche hilft euch zu entdecken, wer ihr wirklich seid, läßt euch alle eure Lebensbereiche Mar erkennen. 3. Jeder von uns ist ein Einzelwesen, eine Person, ein Geschöpf Gottes und GottesMnd, ein besonderer Mensch, den Gott liebt und für den Christus starb. Diese unsere Identität bestimmt die Weise, wie wir leben und handeln und unsere Sendung in der Welt sehen müssen. Wir kommen von Gott, hän- 966 REISEN gen von Gott ab, Gott hat einen Plan für uns-einen Plan für unser Leben für Leib und Seele, für unsere Zukunft. Dieser Plan ist außerordentlich wichtig-so wichtig, daß Gott Mensch wurde, um ihn uns zu erklären. In Gottes Plan sind wir alle Einzelwesen, ja, aber auch Teil einer Gemeinschaft. Das Zweite Vatikanische Konzil hob die Tatsache hervor, daß uns Gott nicht nur als unverbundene Einzelwesen dazu berufen hat, sein Leben zu teilen. Er wollte uns vielmehr als seine Söhne und Töchter zu einem Volk verschmelzen (vgl. Ad gentes, Nr. 2). Dieser Aspekt, nämlich daß wir eine Gemeinschaft sind und Gottes Leben als ein Volk teilen, gehört zu unserer Identität — zu dem, wer und was wir sind und wohin wir gehen. So sehen wir sofort, daß wir als Personen Verantwortung tragen und diese Verantwortung Teil unserer Freiheit ist. Das Vatikanische Konzil ging so weit zu sagen, daß „der Mensch sich vor allem von der Verantwortung für seine Brüder und die Geschichte her versteht“ (Gaudium et spes, Nr. 55). Wenn wir uns als Mitglieder einer Gemeinschaft, als Einzelwesen verstehen, die zusammen als Personen mit Verantwortung für andere das Gottesvolk ausmachen, dann ist das eine große Erkenntnis — eine Erkenntnis, die notwendig ist, damit wir unsere Sendung richtig erfüllen. 4. Als Christen habt ihr diese Erkenntnisse, die Christus heute in euch verstärken möchte. Ehr sprecht über Partnerschaft, über das Teilen, den gemeinsamen Dienst und die Zusammenarbeit. All das ist mit Gottes Plan verbunden, demzufolge wir Brüder und Schwestern in Christus sind — Brüder und Schwestern, die zum Gottesvolk gehören und dazu bestimmt sind, in Gemeinschaft zu leben, an andere zu denken und anderen zu helfen. Liebe junge Leute Amerikas! In der Kirche gibt es viele verschiedene Gaben. In ihr haben viele verschiedene Kulturen und Handlungsweisen Platz. Aber für Selbstsucht ist in der Kirche kein Raum. In der Welt ist auch kein Platz für Selbstsucht, die die Bedeutung des Lebens und der Liebe zerstört und den Menschen zum Untermenschen herabwürdigt. Wenn wir darüber sprechen, wie wichtig es ist, anderen gegenüber offen zu sein, an die Gemeinschaft zu denken, unsere Verantwortung gegenüber allen Brüdern und Schwestern zu erfüllen, dann sprechen wir wirklich über die ganze Welt. Ihr als Jugend habt heute die ganze Welt als Sendung. Was soll das bedeuten? Es bedeutet, daß ihr nie die Abhängigkeit der Menschen voneinander vergessen dürft, wo auch immer sie sind. Wenn Jesus uns sagt, daß wir unseren Nächsten lieben sollen, dann kennt er dabei keine geographischen Grenzen. Was wir heute brauchen, ist Solidarität unter allen jungen Leuten in der Welt-eine Solidarität vor allem mit den Armen und Bedürftigen. Ihr jungen Leute müßt die Gesellschaft durch ein Leben in Gerechtigkeit und brü- 967 REISEN derlicher Liebe ändern. Damit ist nicht nur euer eigenes Land, sondern die ganze Welt gemeint. Dies, liebe junge Leute, ist gewiß eure Sendung. Ihr seid Partner untereinander, Partner mit der. ganzen Kirche und Partner mit Christus. 5. Um aber dieses große Werk zu vollbringen, um in der Lage zu sein, die Welt im Namen Jesu zu verändern, müßt ihr wirklich eurer Identität gemäß leben — gemäß Gottes Plan für euer Leben. Wiederum ist es das Wort Jesu, das euer Leben leitet und euch sagt, was der Plan ist. Ihr erinnert euch daran, wie sehr Jesus auf dem Gebot der Liebe bestand, wie sehr er darauf bestand, nach gewissen Normen zu leben, den sogenannten Seligpreisungen „selig die Sanftmütigen ... selig die Barmherzigen ..., selig, die ein reines Herz haben ... selig, die Frieden stiften“.. Das alles gehört zum Plan. Wenn der hl. Paulus sagt: „Laßt euch von keinem täuschen“, dann heißt das: Glaubt keinem, der in Widerspruch zu Jesus oder seiner Botschaft steht, die euch von der Kirche vermittelt wird. Jesus spricht zu euch jungen Leuten über den Wert der Sanftmut, der Barmherzigkeit und der Demut. Daraufhin werden andere Stimmen in der Welt sofort schreien: „Schwäche! ‘ ‘ Im Evangelium betont Jesus den Wert der Ehrlichkeit, der Aufrichtigkeit, der Gerechtigkeit und Redlichkeit. Aber wenn ihr diese Tugenden praktiziert, wird man euch wahrscheinlich als „naiv“ bezichtigen. Jesus und seine Kirche halten euch Gottes Plan für die menschliche Liebe vor Augen und sagen euch, daß die sexuelle Liebe eine große Gabe Gottes ist, die der Ehe Vorbehalten ist. An diesem Punkt werden die Stimmen der Welt versuchen, euch mit mächtigen Slogans zu täuschen und behaupten, daß ihr unrealistisch, altmodisch, rückständig und sogar reaktionär seid. Aber die Botschaft Jesu ist klar: Reinheit bedeutet wahre Liebe und ist genau das Gegenteil von Selbstsucht und Flucht vor der Wirklichkeit. Ein außengeleiteter Mensch kann sein Glück nicht finden 6. Jesu Botschaft trifft auf alle Lebensbereiche zu. Er offenbart uns die Wahrheit unseres Lebens und alle Aspekte dieser Wahrheit. Jesus sagt uns, daß der Zweck unserer Freiheit ist, „Ja“ zu sagen zu Gottes Plan über unser Leben. Unser „Ja“ ist deshalb so wichtig, weil wir es aus freiem Willen sagen, wir können auch „Nein“ sagen. Jesus lehrt uns, daß wir Gott Rechenschaft able-gen, daß wir auf unser Gewissen hören müssen, daß aber unser Gewissen ausgerichtet sein muß nach dem Lebensplan, den Gott mit uns hat. Was die Beziehung zu den Menschen und zur Welt angeht, lehrt Jesus uns, was wir tun und wie wir leben müssen, um nicht getäuscht zu werden und den Weg der 968 REISEN Wahrheit zu gehen. Heute, liebe Jugend, verkünde ich vor euch noch einmal, was Jesus Christus sagte: der Weg, die Wahrheit und das Leben — euer Weg, eure Wahrheit und euer Leben. All das, was mit der Wahrheit Jesu übereinstimmt, ist Erfüllung, Freude und Frieden, wenn es auch Anstrengung und Disziplin kostet. Was nicht mit seiner Wahrheit in Einklang steht, bedeutet Unordnung und, wenn es absichtlich geschieht, Sünde. Ob absichtlich oder nicht, letzten Endes macht es unglücklich und enttäuscht. 7. Ihr müßt, liebe junge Menschen, mit der Wahrheit Jesu die großen Fragen in eurem Leben und auch die praktischen Probleme bewältigen. Die Welt wird versuchen, euch über viele wichtige Dinge zu täuschen: über euren Glauben, über Vergnügen und materielle Dinge, über die Gefahr der Rauschmittel. Früher oder später werden die falschen Stimmen der Welt versuchen, eure menschlichen Schwächen auszunutzen, indem sie euch vormachen, däs Leben habe für euch überhaupt keinen Sinn. Es wäre der größte Diebstahl, der euer Leben treffen könnte, wenn es ihnen gelänge, euch die Hoffnung zu rauben. Sie werden es versuchen, es wird ihnen aber nicht gelingen, wenn ihr an Jesus und seiner Wahrheit festhaltet. Die Wahrheit Jesu kann all eure Energien wieder voll aufladen. Sie wird euer Leben vereinheitlichen und euer Sendungsbewußtsein stärken. Vielleicht werdet ihr immer noch für den Druck der Welt, die Kräfte des Bösen, die Macht des Teufels anfällig sein. Aber ihr werdet in der Hoffnung unbesiegbar sein: „in Christus, unserer Hoffnung“ (7 Tim 1,1). Liebe Jugend, das Wort Jesu und seine Wahrheit, sein Versprechen, Erfüllung und Leben zu schenken, sind die Antwort der Kirche auf die Kultur des Todes, auf die Angriffe des Zweifels und den Krebs der Verzweiflung. Nur noch zwei praktische Gedanken aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil: Es sagt uns, daß wir keinesfalls denken dürfen, wir hätten Lösungen für alle besonderen Lebensprobleme zur Hand (vgl. Gaudium et spes, Nr. 33). Aber gleichzeitig weiß die Kirche, daß sie das Licht besitzt, in dem die Lösungen für die Menschheitsprobleme erkannt werden können (ebd., Nr. 12). Welches ist das Licht? Was kann es sein? Nur die Wahrheit Jesu Christi! Liebe Jugend! Ich möchte noch etwas zu dem schon Gesagten hinzufügen. Ich möchte kurz zu euch über das Beten sprechen, über die Gemeinschaft mit Gott, eine zwischen uns und Gott bestehende, sehr persönliche Verbundenheit. Im Gebet drücken wir Gott gegenüber unsere Gefühle, Gedanken und Herzensregungen aus. Wir möchten lieben und geliebt werden, verstehen und verstanden werden. Nur Gott liebt uns vollkommen mit beständiger Liebe. Im Gebet öffnen wir Herz und Sinn diesem Gott der Liebe. Das Gebet macht uns 969 REISEN eins mit dem Herrn. Durch das Gebet haben wir tiefer Anteil an Gottes Leben und Liebe. 8. Etwas, was an Jesus am tiefsten beeindruckte, war seine Gewohnheit zu beten. Mitten im aktiven öffentlichen Dienst sehen wir, wie er alleine weggeht, um in der Stille in Gemeinschaft mit seinem Vater im Himmel zu verweilen. Am Sabbat ist er gewohnt, in die Synagoge zu gehen und mit den anderen gemeinsam zu beten. Zusammen mit seinen Jüngern oder alleine betete er zum Vater, den er innig liebte. Das Markusevangelium beschreibt einen Abend in Kafarnaum, an dem Jesus viele Kranke heilte und viele Dämonen austrieb. Nach dieser Beschreibung, wie Christus großzügig für andere sorgt, fügt der hl. Markus hinzu: „In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging an einen einsamen Ort, um zu beten“ (Mk 1,35). Der hl. Lukas erzählt, daß Jesus, bevor er die Zwölf als seine Apostel auswählte, „in diesen Tagen auf einen Berg ging, um zu beten, und er die ganze Nacht im Gebet zu Gott verbrachte“ (Lk 6,12). Tatsächlich scheint es sein Beispiel gewesen zu sein, das in den Jüngern den Wunsch zu beten hervorrief: „Jesus betete einmal an einem Ort, und als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns zu beten“ (Lk 11,1). Bei dieser Gelegenheit lehrte Jesus sie das Gebet, das wir das „Gebet des Herrn“ oder das „Vaterunser“ nennen. Das Gebet bringt Ruhe und Sicherheit in den Lärm des Tages 9. Wenn ihr wirklich Christus nachfolgen wollt, wenn ihr wollt, daß eure Liebe zu ihm wächst und andauert, dann müßt ihr dem Gebet treu sein. Es ist der Schlüssel zu der Vitalität eures Lebens in Christus. Ohne Gebet werden euer Glaube und eure Liebe sterben. Wenn ihr beharrlich seid im täglichen Gebet und der Mitfeier der Sonntagsmesse, dann wird eure Liebe zu Jesus wachsen. Euer Herz wird eine so tiefe Freude und einen Frieden erfahren, wie sie die Welt niemals geben könnte. Viele junge Menschen sagen mir, sie wüßten nicht, wie man betet oder sie fragen sich, ob sie richtig beten. Hier wiederum müssen wir auf Christi Beispiel schauen. Wie betete Jesus selbst? Wir wissen vor allem, daß sein Gebet vom Geist der Freude und des Lobpreises gekennzeichnet ist. „In dieser Stunde rief Jesus, vom Heiligen Geist erfüllt, voll Freude aus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde (Lk 10,21). Überdies vertraute er der Kirche beim letzten Abendmahl die Feier der Eucharistie an, die für alle Zeiten die vollkommenste Weise bleibt, den Vater zu verherrlichen, ihm zu danken und ihn zu loben. 970 REISEN Es gab aber auch Zeiten des Leidens, in denen Jesus in großem Schmerz und Kampf dem Vater sein Herz ausschüttete, um bei ihm Hilfe und Trost zu finden. Zum Beispiel im Garten Getsemani, als der innere Kampf immer härter wurde: „Und er betete in seiner Angst noch inständiger, und sein Schweiß war wie Blut, das auf die Erde tropfte“ (Lk 22,44). „Er betete noch inständiger“ — was für ein Beispiel für uns, wenn wir das Leben schwierig finden, wenn wir eine schmerzliche Entscheidung fällen müssen oder mit einer Versuchung kämpfen. In solchen Zeiten betete Jesus noch inständiger. Wir müssen das gleiche tun! : Wenn es also schwierig ist zu beten, dann ist es besonders wichtig, daß wir nicht aufhören zu beten und die Anstrengung nicht scheuen. Wendet euch in solchen Zeiten an die Bibel und die Liturgie der Kirche! Meditiert über das Leben und die Lehre Jesu, wie sie im Evangelium berichtet sind. Denkt über die Weisheit und den Rat der Apostel und die herausfordernden Botschaften der Propheten nach! Versucht euch die schönen Gebete der Psalmen zu eigen zu machen. Im inspirierten Wort Gottes werdet ihr die geistliche Nahrung finden, die ihr braucht. Vor allem wird eure Seele neu gestärkt, wenn ihr von ganzem Herzen zusammen mit der Gemeinschaft an der Feier der Eucharistie, dem erhabensten Gebet der Kirche, teilnehmt. 10. Erinnert ihr euch an die Geschichte von Jesus und seiner Mutter Maria bei der Hochzeit in Kana? Als während des Festes der Wein ausgeht, sagt Maria zu den Dienern: „Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2,5). Als die Diener dem Rat Marias folgen, belohnt Jesus ihren Glauben und verwandelt Wasser in Wein, einen viel besseren Wein als den vorher servierten. Marias Rat gilt auch heute noch. Denn der wahre Erfolg in unserem Leben besteht darin, den Willen Jesu zu kennen und zu erfüllen, zu tun, was immer Jesus uns sagt. Wenn ihr betet, müßt ihr wissen, daß Gebet nicht nur bedeutet, Gott um etwas zu bitten oder besondere Hilfe zu suchen, obwohl auch Bittgebete echte Weisen des Betens sind. Aber Gebet sollte auch von Danksagung und Lob, von Anbetung und aufmerksamem Hören, vom Bitten um Gottes Verzeihung und Vergebung gekennzeichnet sein. Wenn ihr dem Rat Jesu folgt und ausdauernd zu Gott betet, dann werdet ihr gut beten lernen. Gott selbst wird es euch lehren. Beten lenkt den Blick auf den alles umgreifenden Horizont Gebet kann wirklich euer Leben verändern. Denn es lenkt eure Aufmerksamkeit von euch ab und richtet Herz und Sinn auf den Herrn. Wenn wir nur uns selbst, mit unseren eigenen Grenzen und Sünden sehen, dann werden wir schnell traurig und entmutigt. Wenn wir aber unsere Augen auf den Herrn ge- 971 REISEN richtet haben, dann füllt sich unser Herz mit Hoffnung, unser Geist wird klar im Licht der Wahrheit und wir lernen die Fülle des Evangeliums mit all seinen Verheißungen und seinem Leben kennen. 11. Gebet hilft uns auch, offen zu sein für den Heiligen Geist, den Geist der Wahrheit und Liebe, den Geist, der der Kirche gegeben wurde, damit sie ihre Sendung in der Welt erfüllen konnte. Der Heilige Geist ist es, der uns die Stärke gibt, damit wir dem Bösen widerstehen und Gutes tun.können und beitragen zum Aufbau des Reiches Gottes. Es ist bedeutsam, daß'das Symbol des Heiligen Geistes am Pfingstfest in Feuerzungen bestand. In der Bibel ist Feuer oft das Symbol, um das Wirken Gottes in unserem Leben zu bezeichnen. Denn der Heilige Geist setzt unsere Herzen wirklich in Flammen und füllt sie mit Enthusiasmus für die Werke Gottes. Wenn wir beten, regt der Heilige Geist in uns die Liebe zu Gott und zum Nächsten an. Der Heilige Geist bringt uns Freude und Frieden. Die moderne technologische Welt kann uns viel Vergnügen und Lebenskomfort bieten. Sie kann uns sogar zeitweilig eine Flucht aus der Lebenswirklichkeit ermöglichen. Aber nie kann die Welt uns immerwährende Freude und Frieden geben. Dies sind Gaben, die nur der Heilige Geist geben kann. Und das sind die Gaben, um die ich für euch bitte, damit ihr stark in der Hoffnung und ausdauernd in der Liebe sein mögt. Aber die Bedingung für all dies ist das Gebet, das Kontakt mit Christus und Gemeinschaft mit Gott bedeutet. Liebe Jugend, meine Botschaft an euch ist nicht neu. Ich habe sie schon vorher verkündet und werde es mit Gottes Gnade noch weiter tun. Und so möge, solange die Erinnerung an diesen Besuch besteht, nicht vergessen werden, daß ich, Johannes Paul II. nach Amerika gekommen bin, um euch zu Christus zu rufen und euch zum Gebet auf/.ufbrdern! 972 REISEN Das Recht auf Gerechtigkeit darf nicht übergangen werden Predigt bei der Eucharistiefeier in New Orleans (U.S.A.) am 12. September „Hab Geduld mit mir! Ich werde dir alles zurückzahlen“ (Mt 18,26: vgl. Mt 18,29). Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Zweimal hören wir diese Bitte im Gleichnis des Evangeliums. Das erste Mal stellt sie der Knecht, der seinem Herrn zehntausend Talente schuldete — eine erstaunlich hohe Summe, wenn man an den Geldwert zur Zeit des Neuen Testamentes denkt. Kurz darauf wird die gleiche Bitte von einem anderen Knecht des gleichen Herrn wiederholt. Er ist auch verschuldet, aber nicht bei seinem Herrn, sondern bei einem Mitknecht. Und seine Schuld ist nur ein winziger Teil der Schuld, die seinem Mitknecht erlassen wurde. Der springende Punkt des Gleichnisses liegt in der Tatsache, daß der Knecht mit der größeren Schuld bei seinem Herrn, dem er viel Geld schuldet, Verständnis findet. Das Evangelium sagt uns! „Der Herr ... ließ ihn gehen und schenkte ihm die Schuld“ (Mt 18,27). Der gleiche Knecht wollte aber nichts wissen von der Bitte seines Mitknechtes, der ihm Geld schuldete. Er hatte kein Mitleid mit ihm, sondern „ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld bezahlt habe“ (Mt 18,30). Jesus verwendet für seine Lehre oft Gleichnisse wie dieses; sie sind eine besondere Art der Verkündigung der Frohbotschaft. Sie lassen den Zuhörer leichter die göttliche Wirklichkeit erfassen, die Jesus offenbaren wollte. Beim heutigen Gleichnis spüren wir fast unmittelbar, daß es eine Einleitung ist zu den Worten, die Jesus uns im Gebet zu unserem himmlischen Vater zu verwenden aufträgt: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigem“ (Mt 6,12). Diese Worte aus dem Vaterunser haben auch uns etwas sehr Wichtiges zu sagen. Wenn Gott uns hören soll, wenn wir ihn wie der Knecht bitten —„Habe Geduld mit mir“ >— dann müssen wir ebenso bereit1 sein, auf unseren Nächsten zu hören, wenn er uns bittet: „Gib mir Zeit, und ich werde dir alles zurückzahlen.“ Andernfalls können wir von Gott Strafe statt Nachsicht erwarten. Im Gleichnis wird der Knecht bestraft, weil er, obwohl selber Schuldner, als Gläubiger unnachsichtig mit seinem Mitknecht verfährt. 973 REISEN Christus ist sehr klar: wenn wir unsererseits ohne Mitleid und Erbarmen sind, wenn wir uns nur von „blinder“ Gerechtigkeit leiten lassen, können wir nicht mit der Nachsicht des „Großen Gläubigers“ rechnen, der Gott ist — Gott, vor dem wir alle Schuldner sind. 2. Im Gleichnis finden wir zwei verschiedene Maßstäbe: Gottes Maßstab und den des Menschen. Beim Maßstab Gottes ist die Gerechtigkeit ganz und gar von barmherziger Liebe durchtränkt. Der menschliche.Maßstab dagegen neigt dazu, bei der Gerechtigkeit allein stehenzubleiben — bei erbarmungsloser Gerechtigkeit, die hinsichtlich des Menschen irgendwie „blind“ ist. Tatsächlich läßt sich menschliche Gerechtigkeit oft von Haß und Rache bestimmen, wie die erste Lesung aus dem Buch Jesus Sirach uns mahnt. Dort heißt es, und die Worte des Alten Testamentes sind hart: „Der Mensch verharrt im Zorn gegen den anderen, vom Herrn aber sucht er Heilung zu erlangen? ... Obwohl er nur ein Wesen aus Fleisch ist, verharrt er im Groll, wer wird da seine Sünden vergeben? Denk an das Ende, laß ab von der Feindschaft ... Mit seinesgleichen hat er kein Erbarmen, aber wegen seiner eigenen Sünden bittet er um Gnade? (Sir 28,3.5-7.4). Die Mahnungen im Buch Jesus Sirach und im Evangelium weisen beide in die gleiche Richtung. Der menschliche Maßstab — der Maßstab bloßer Gerechtigkeit — die oft blind ist oder die der Haß blind gemacht hat — muß Gottes Maßstab übernehmen. Sonst wird Gerechtigkeit allein leicht zur Ungerechtigkeit, wie es in dem lateinischen Wort zum Ausdruck kommt: summum ius, summa iniuria. Die strenge Anwendung des Gesetzes kann manchmal höchst ungerecht sein. Wie ich in meiner Enzyklika über das Erbarmen Gottes ausgeführt habe, „muß (die Gerechtigkeit) in allen Bereichen zwischenmenschlicher Beziehung sozusagen eine tiefgreifende,Korrektur“ erfahren: durch die Liebe, welche nach dem Hohenlied der Liebe des heiligen Paulus .langmütig“ und .gütig“ ist oder, anders ausgedrückt, die für das Evangelium und das Christentum so wesentliche Züge des Erbarmens trägt“ (Dives in misericordia, Nr. 13). 3. Erbarmungsvolle Liebe ist auch die Grundlage der Antwort des Herrn auf die Frage des Petrus: „Herr, wie oft muß ich meinem Bruder vergeben, wenn er sich gegen mich versündigt; Siebenmal? Jesus sagte zu ihm: Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal“ (Mt 18,21-22). In der Symbolsprache der Bibel meint das, wir sollen bereit sein, jedem und immer zu vergeben. Gewiß ist dies eins der schwierigsten und radikalsten Gebote des Evangeliums. Aber wieviel Leid und Not, wieviel Nutzlosigkeit, Zerstörung und Gewalttat ließe sich vermeiden, wenn wir bei all unseren mitmenschlichen Beziehungen die Antwort des Herrn an Petrus anwenden würden. 974 REISEN Menschlicher Legalismus wirkt gegenüber Gottes Güte beschämend Barmherzige Liebe ist absolut notwendig, zumal für Menschen, die einander nahestehen: für Männer und Frauen in der Ehe, für Eltern und Kinder und unter Freunden (vgl. Dives in misericordia, Nr. 14). In einer Zeit, in der das Familienleben derart belastet ist wie heute, in der eine hohe Zahl von Ehescheidungen und zerbrochenen Familien eine traurige Tatsache sind, müssen wir uns selber fragen, ob die menschlichen Beziehungen, wie es sein sollte, auf der barmherzigen Liebe und dem Verzeihen gründen, das Gott in Jesus Christus geoffenbart hat. Wir müssen unser eigenes Herz prüfen und sehen, wie bereitwillig wir zum Verzeihen und zum Annehmen von Verzeihung in dieser Welt und in der kommenden sind. Eine so intensive und enge Beziehung wie Ehe und Familie kann nicht überleben ohne dieses „siebenundsiebzigmal“ verzeihen. Wenn Ehepaare einander nicht mit der Zärtlichkeit und dem Feingefühl vergeben können, die aus erbarmender Liebe kommen, dann werden sie unvermeidlich ihr Verhältnis bald nur noch vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus sehen und es gemütsmäßig, geistig und materiell streng in Mein und Dein aufteilen und die wirklichen oder vermeintlichen Ungerechtigkeiten vorrechnen. Dies kann zur Entfremdung und Ehescheidung führen, und oft kommt dazu eine erbitterte Auseinandersetzung über das Eigentum und, was tragischer ist, über die Kinder. Das Schicksal der Kinder allein schon sollte uns klarmachen, daß die Verweigerung der Vergebung nicht der wahren Natur der Ehe entspricht, wie Gott sie gegründet und gewollt hat. Zweifellos werden hier manche entgegnen, die Lehre Christi über die Unauflöslichkeit der Ehe, wie die Kirche sie aufrechthält, kenne kein Mitleid. Doch muß hier gesehen werden, wie unwirksam die Ehescheidung und ihre leichte Zugänglichkeit in der modernen Gesellschaft sind, um so vielen Ehepaaren und ihren Kindern Erbarmen, Verzeihung und Heilung zu schenken. In ihrem gestörten Leben bleibt eine Gebrochenheit und ein Leid, das nicht schwindet. Die Worte des barmherzigen Christus dagegen, der das Herz des Menschen voll versteht, bleiben für immer: „Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ {Mt 19,6). Andererseits meinen barmherzige Liebe und Vergebungsbereitschaft nie, das Recht einer Person auf Gerechtigkeit dürfe übergangen werden. Das darf selbst in der Ehe nicht sein. In der Enzyklika, die ich eben erwähnte, habe ich ausgeführt: „Die richtig verstandene Gerechtigkeit ist sozusagen der Zweck des Verzeihens. An keiner Stelle der Frohen Botschaft bedeutet das Verzeihen, noch seine Quelle, das Erbarmen, ein Kapitulieren vor dem Bösen, dem Ärgernis, vor der erlittenen Schädigung oder Beleidigung. In jedem Fall sind Wiedergutmachung des Bösen und des Ärgernisses, Behebung des Schadens, 975 REISEN Genugtuung für die Beleidigung Bedingungen der Vergebung“ (Dives in mi-sericordia, Nr. 14). Alles Vergeben erfordert reuige Liebe. Dies gilt auch für den größeren Zusammenhang des sozialen, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens innerhalb und zwischen den Nationen und Völkern. Sollen wir nicht lieber auf das hoffen, was Papst Paul VI. als „Kultur der Liebe“ bezeichnet hat, statt auf ein „Auge um Auge und Zahn um Zahn“, eine Haltung, die das Angesicht der Erde verwüstet und die Menschheitsfamilie zerreißt? Wie ich schon sagte, meint diese auf Vergebungsbereitschaft gegründete Liebe, die Jesus dem Petrus nahelegt, nicht, die objektiven Forderungen nach Gerechtigkeit, die Menschen berechtigterweise stellen, wären damit abgeschafft. Doch manchmal sind diese Forderungen sehr komplex. Einen besonders dringenden Fall stellt heute die internationale Schuldenkrise dar. Wie Sie wissen, sind viele Entwicklungsländer gegenüber den industrialisierten Nationen schwer verschuldet und finden es aus verschiedenen Gründen immer schwerer, ihre Schulden zurückzuzahlen. Blinde Gerechtigkeit kann dieses Problem nicht in einer ethischen Weise lösen, die das menschliche Wohl aller Parteien fördert. Barmherzige Liebe ruft nach gegenseitigem Verständnis und der Anerkennung menschlicher Prioritäten und Nöte über die blinde Gerechtigkeit von Finanzmechanismen hinaus. Wir müssen zu Lösungen kommen, die wirklich beides widerspiegeln: Gerechtigkeit und Erbarmen (vgl. Ar the Service of the Human Community: An Ethical Approach tothe International Debt Question, Päpstliche Kommission „Iustitia et Pax“ 1986). . Die Natur des Anliegens der Kirche in diesen Dingen kommt in der pastoralen Botschaft über die amerikanische Wirtschaft zum Ausdruck, die die amerikanischen Bischöfe veröffentlicht haben. Sie sagen „Wir schreiben ... als Erben der biblischen Propheten, die uns mahnen,Recht tun, Güte und Treue lieben, in Ehrfurcht den Weg gehen mit deinem Gott‘ (Mich 6,8)... Wir sprechen als Lehrer der Moral, nicht als Wirtschaftsfachleute. Wir versuchen, die menschlichen und ethischen Dimensionen des Wirtschaftslebens zu erhellen ...“ (Nr. 4,7). Recht tun, ja — aber auch lieben. Dies ist der Kern der Botschaft Christi. Es ist zugleich der einzige Weg, um jene „Kultur der Liebe“ zu erreichen, die für uns selber und die Welt den Frieden sichert. Ein Leben in geschuldeter Existenz verlangt barmherziges Verhalten im zwischenmenschlichen Bereich 4. „Vergib uns ... wie auch wir vergeben.“ Die Eucharistie, die wir feiern, und an der wir teilnehmen, ist mit der tiefsten Wahrheit dieser Worte verburi- 976 REISEN den. Jedesmal, wenn wir an der Eucharistiefeier teilnehmen, müssen wir das Gleichnis des heutigen Evangeliums in die Wirklichkeit des Sakramentes übersetzen, das das „große Geheimnis des Glaubens“ ist. Wenn wir Zusammenkommen, müssen wir uns bewußt sein, wie sehr wir Schuldner Gottes, des Schöpfers und Erlösers sind. Schuldner — zunächst wegen unserer Erschaffung und dann wegen unserer Erlösung. Der Psalmist singt: „Lobe den Herrn, meine Seele, und alles in mir seinen heiligen Namen! Lobe... und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat“ (Ps 103,1-2). Diese Mahnung richtet sich an einen jeden von uns und zugleich an die gesamte Gemeinschaft der Glaubenden. Vergiß nicht ... die Gabe Gottes. Vergiß nicht... daß du seine Güte empfangen hast: in der Schöpfung, daß heißt in deinem Dasein und in all dem, was in dir und um dich herum da ist; in der Erlösung — in der Gnade der Annahme als Söhne und Töchter Gottes in Christus, um den Preis seines Kreuzes. Wenn wir ein Geschenk empfangen, werden wir Schuldner. Tatsächlich sind wir mehr als Schuldner, weil es nicht möglich ist, das uns Geschenkte entsprechend zurückzuzahlen. Und doch müssen wir es versuchen. Wir müssen für ein Geschenk ein anderes geben. Gottes hochherzige Gabe muß durch unsere Gabe erwidert werden. Unsere Gabe aber, die tatsächlich unsere erheblichen Mängel widerspiegelt, muß dennoch der göttlichen Großherzigkeit nachzustreben suchen, dem göttlichen Maßstab des Gebens. In Christus muß unsere Gabe umgeformt werden, um uns mit Gott zu vereinen. Die Eucharistie aber ist das Sakrament einer solchen Umwandlung. Christus selbst macht uns zu „einer immerwährenden Gabe an den Vater“. Wahrlich, hier stehen wir vor einem großen Geheimnis des Glaubens und der Liebe. 5. „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsem Schuldigem.“ Mit diesen Worten aus dem Gebet, das der Sohn Gottes uns gelehrt hat, grüße ich alle, die hier in New Orleans im Geist des Evangeliums versammelt sind — alle jene, die sich zu den Eucharistiefeiern der Ortskirchen in diesem Gebiet versammeln. Ich grüße euch als die stolzen Erben einer reichen und vielgestaltigen Kulturgeschichte, als Menschen, die deshalb die Notwendigkeit der barmherzigen Liebe unter Einzelmenschen und Gruppen zu schätzen wissen. Hier sehen wir nicht nur die Kulturen Frankreichs und anderer europäischer Nationen vertreten, sondern auch Schwarze, Menschen aus dem spanischsprechenden Raum und seit einiger Zeit Vietnamesen. Diese Region ist weiterhin das Heim verschiedener Rassen und Kulturen, die jetzt in einer Nation, den Vereinigten Staaten, geeint sind. 977 REISEN In französischer Sprache sagte der Papst: All diese Rassen und Kulturen haben das Leben eurer Ortskirche bereichert im Rahmen des ausgesprochen französischen Erbes, das Menschen wie Robert Cavelier, Sieur de la Salle, Jean Baptiste Le Moyne und Sieur de Bienville vor Jahrhunderten in dieses Land gebracht haben. Ihr seid auch ein Volk, das nur auf sich selber zu schauen braucht, um die vielen wundervollen Gaben zu sehen, die der mächtige Mississippi-Strom und sein fruchtbares Delta, dazu die Reichtümer des Meeres euch verschafft haben. All das kommt euch zu als Geschenk von Gott. Durch weise Verwaltung und verantwortlichen Gebrauch dieser Schätze könnt ihr in eurer Arbeit Würde finden, wenn ihr euch bemüht, für euch selber und eure Familien zu sorgen. Wirkt in Harmonie untereinander weiter für das Wohl der Gesellschaft, zu der ihr gehört, und haltet euch immer die Worte des Gebetes Christi vor Augen: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigem.“ Moderne Menschen vergessen leicht das Verhältnis, oder vielmehr das Mißverhältnis zwischen dem, was sie empfangen haben und dem, was sie zu geben verpflichtet sind. Der moderne Mensch ist in seinen eigenen Augen derart gewachsen und ist so sicher, daß alles das Werk seines eigenen Genius und seines Fleißes ist, daß er nicht mehr Den sieht, der das Alpha ist und das Omega, der Anfang und das Ende, die erste Quelle alles dessen, was da ist und zugleich das letzte Ziel, Ihn, in dem alles Dasein seinen Sinn findet. In englischer Sprache sagte der Papst: Der moderne Mensch vergißt leicht, daß er ein großes Geschenk erhalten hat. Und doch steht an der Wurzel alles dessen, was er ist, und was die Welt ist, ein Geschenk — das frei gewährte Geschenk der Liebe. Verliert der Mensch dieses Bewußtsein, so vergißt er auch seine Schuld und die Tatsache, daß er ein Schuldner ist. Er verliert sein Sündenbewußtsein. Viele Menschen, zumal solche, die in einer Gesellschaft des Überflusses und des Vergnügens aufgehen, leben heute so, als gäbe es keine Sünde, und als existiere Gott nicht. Aus diesem Grund müssen wir besonders aufmerksam auf den Römerbrief hören: „Keiner von uns lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber: Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder sterben, wir gehören dem Herrn. Denn Christus ist gestorben und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende“ (Rom 14,7-9). Wir müssen sorgfältig auf diese Worte des heiligen Paulus hören und sie gut behalten. „Herr, habe Geduld mit mir, ich werde dir alles bezahlen.“ „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig ... Sie freut sich nicht über das Unrecht, son- 978 REISEN dem freut sich an der Wahrheit ... Die Liebe hört niemals auf“ (1 Kor 13,4,6,8)- Ja, die Liebe ist das Größte. Amen. Katholische Universitäten müssen ihre Idendität bewahren Ansprache an katholische Hochschullehrer in New Orleans (U.S.A.) am 12. September Liebe Freunde! Liebe Führungskräfte der katholischen höheren Bildung! 1. Am Ende dieses Tages, der einer von Gebet begleiteten Feier der katholischen Bildung in den Vereinigten Staaten gilt, grüße ich euch und alle jene, die ihr vertretet, mit Hochachtung und Verbundenheit in unserem Herrn Jesus Christus. Ich danke dem Verband katholischer Kollegien und Universitäten für die Organisation dieser Begegnung. Mein Dank gilt Dr. Norman Francis und der Xavier Universität für die Gastfreundschaft in diesem Institut, das auf so vielfache Weise der höheren katholischen Bildung dient. „Ich will den Herrn allezeit preisen; immer sei sein Lob in meinem Mund. Verherrlicht mit mir den Herrn, laßt uns gemeinsam seinen Namen rühmen“ (Ps 34,2.4). Ja, laßt uns gemeinsam Gott danken für die vielen guten Dinge, die Er, der Vater der Weisheit, durch katholische Kollegien und Universitäten vollbracht hat. Laßt uns dabei dankbar sein für die besonderen Stärken eurer Schulen — für ihre katholische Identität, ihren Dienst an der Wahrheit und ihre Mithilfe, die Präsenz der Kirche im Bereich der Kultur und Wissenschaft spürbar zu machen. Laßt uns vor allem dankbar sein für die Männer und Frauen, die dieser Sendung verpflichtet waren und sind, in früheren Zeiten und heute. Sie haben die katholische höhere Bildung zu der bedeutsamen Wirklichkeit gemacht, die sie tatsächlich darstellt, und sie tun es weiterhin. 2. Die Vereinigten Staaten stehen einzig da mit ihrem Netz von über 235 Kollegien und Universitäten, die sich als katholisch bezeichnen. Die Zahl und Verschiedenheit eurer Institute hat keine Parallele. Sie üben ihren Einfluß nicht nur innerhalb der Vereinigten Staaten aus, sondern auch in der universalen Kirche, und sie tragen Verantwortung für ihr Wohlergehen. 979 REISEN In zwei Jahren werdet ihr das 200. Jahresgedächtnis der Gründung der Georgetown Universität durch John Carroll begehen, der ersten katholischen Universität in den Vereinigten Staaten. Nach Georgetown wurden unter Führung von Ordenskongregationen und weitblickenden Bischöfen, dazu mit der hochherzigen Unterstützung des katholischen Volkes weitere Kollegien und Universitäten in verschiedenen Teilen dieses weiten Landes eingerichtet. Zwei Jahrhunderte lang haben diese Institute viel zum Aufstieg einer katholischen Laienschaft beigetragen, die heute intensiv und extensiv in Industrie und Regierung, den Berufen, Künsten und allen Formen öffentlicher ünd privater Initiative tätig sind — in all den Aktivitäten, die die charakteristische Dynamik und Vitalität dieses Landes ausmachen. Unter sich wandelnden Verhältnissen sind die katholischen Universitäten und Kollegien aufgefordert, sich einen lebendigen Sinn für ihre katholische Identität zu bewahren und ihre besondere Verantwortung gegenüber Kirche und Gesellschaft wahrzunehmen. Gerade dadurch leisten sie ihren unterscheidenden Beitrag für das umfassendere Gebiet der höheren Bildung. Die katholische Identität eurer Institute ist eine komplexe und lebenswichtige Sache. Sie hängt vom ausdrücklichen Bekenntnis zum Katholizismus von seiten der Universität als Institution ab, aber ebenso auch von der persönlichen Überzeugung und dem Sendungsbewußtsein ihrer Professoren und Verwalter. 3. Bei meinem Pastoralbesuch in diesem Land im Jahre 1979 sprach ich von den verschiedenen Elementen, die zur Aufgabe der höheren Bildung beitragen. Es scheint nützlich, erneut die Wichtigkeit der Forschung über Fragen zu betonen, die für Kirche und Gesellschaft lebenswichtig sind, eine Forschung, „die einen entsprechenden Sinn für Geschichte entwickelt. Ebenso muß sie darauf bedacht sein, die volle Bedeutung der in Christus neu geschaffenen menschlichen Person aufzuzeigen“. Damit sei die Notwendigkeit der Heranbildung von Männern und Frauen mit außergewöhnlichem Wissen herausgestellt, die „aufgrund einer persönlichen Synthese zwischen Glaube und Kultur lahig und bereit sind, Aufgaben im Dienst ihrer Gemeinschaft und der Gesellschaft im allgemeinen zu übernehmen und ihren Glauben vor der Welt bezeugen“. Endlich muß ein solches Institut eine lebendige Glaubensgemeinschaft aufbauen, in der „ernsthaftes Engagement für wissenschaftliche Forschung und Studium Hand in Hand mit einer tiefen Verpflichtung zum wahren christlichen Leben gehen“ (Ansprache an die Katholische Universität von Washington, D. C., 7. Oktober 1979, Nr. 3). 980 REISEN Glaube sucht Verstehen — Wurzel der Universitätskultur 4. Um den Wert eures Erbes voll zu ermessen, müssen wir an die Ursprünge des katholischen Universitätslebens erinnern. Die Universität begann, wie wir wissen, in enger Verbindung mit der Kirche. Das war kein Zufall, denn Glaube und Liebe zum Lernen hängen eng zusammen. Für die Väter der Kirche sowie die Denker und Akademiker des Mittelalters war das Suchen nach der Wahrheit mit dem Suchen nach Gott verbunden. Nach der katholischen Lehre, wie sie auch im I. Vatikanischen Konzil ausgesprochen wurde, ist der Geist nicht nur fähig, nach der Wahrheit zu suchen, sondern sie ebenfalls, wenn auch unvollkommen, zu erfassen. Religiöser Glaube ruft von selber nach intellektueller Durchdringung; und die Überzeugung, daß es keinen Widerspruch zwischen Glaube und Vernunft geben kann, ist ein unterscheidender Punkt der katholischen humanistischen Überlieferung, wie es sie in der Vergangenheit gab und heute noch gibt. Katholische höhere Bildung ist aufgerufen, mit der Gnade Gottes eine außerordentliche „Mitarbeit an der Wahrheit“ zu leisten (3 Joh 8). Die katholische Universität steht im Dienst der Wahrheit wie jede Universität. In ihrer Forschung und Lehre geht sie jedoch vom Weltbild und der Perspektive des Glaubens aus und wird dadurch in besonderer Weise bereichert. Von diesem Gesichtspunkt aus sieht man, daß ein inneres Verhältnis besteht zwischen der katholischen Universität und dem Lehramt der Kirche. Die Bischöfe der Kirche als Lehrer und Diener des Glaubens sollten nicht als von außen her wirkend angesehen werden, sondern als Teilhaber am Leben der katholischen Universität in ihrer besonderen Rolle als Vorkämpferin in der Begegnung zwischen Glaube und Wissenschaft sowie zwischen geoffenbarter Wahrheit und Kultur. Die moderne Kultur zeigt zahlreiche Spannungen und Widersprüche. Wir leben in einer Zeit großer technologischer Errungenschaften, doch auch großer menschlicher Ängste. Allzu oft ist heute die Sicht der Wirklichkeit beim einzelnen fragmentarisch, und manchmal wird Erfahrung durch Kräfte vermittelt, über die die Menschen keine Kontrolle haben; manchmal nehmen sie diese Kräfte nicht einmal wahr. Damit wächst die Versuchung, moralische Grundsätze zu relativieren und dem Werden gegenüber der Wahrheit den Vorzug zu geben. Dies hat schwerwiegende Auswirkungen ebenso für das moralische wie für das intellektuelle Leben des einzelnen und der Gesellschaft. Die katholische Universität muß daher alle diese Themen aus der Sicht des Glaubens beleuchten und ihr reiches Erbe dabei einbringen. 981 REISEN 5. Die moderne Kultur ist durch einen Pluralismus von Haltungen, Gesichtspunkten und Auffassungen gekennzeichnet. Eine solche Situation erfordert mit Recht gegenseitiges Verständnis; das heißt, die Gesellschaft und Gruppen in ihr müssen jene respektieren, die eine andere eigene Ansicht vertreten. Pluralismus ist aber kein Selbstzweck; er ist auf die Fülle der Wahrheit hingeordnet. Im akademischen Kontext rechtfertigt die Achtung für die Personen, die der Pluralismus mit Recht anzielt, nicht die Auffassung, auf letzte Fragen über das menschliche Leben und Schicksal gäbe es keine endgültigen Antworten, oder alle Glaubensauffassungen hätten den gleichen Wert, solange nur keine als absolut wahr und normgebend hingestellt wird. Auf solche Weise dient man nicht der Wahrheit. Natürlich bleibt wahr, daß die Kultur einer jeden Zeit gewisse Zweideutigkeiten enthält, die die inneren Spannungen des menschlichen Herzens widerspiegeln und sein Ringen zwischen Gut und Böse. Daher muß das Evangelium in seiner ständigen Begegnung mit der Kultur immer die Errungenschaften und Auffassungen der Zeit in Frage stellen (vgl. Röm 12,2). Da nun in unseren Tagen die Auswirkungen dieser Zweideutigkeit oft für die Gemeinschaft sehr zerstörerisch und für die menschliche Würde unerträglich sind, wird es um so wichtiger, daß das Evangelium die Kultur reinigt, erhebt und auf den Dienst am echt Menschlichen ausrichtet. Das Überleben der Menschheit hängt davon ab. Hier aber habt ihr als Führungskräfte der katholischen Bildung in den Vereinigten Staaten einen äußerst wichtigen Beitrag zu leisten. Es besteht heute ein in wachsendem Maße evidentes Bedürfnis nach philosophischer Reflexion der Wahrheit über die menschliche Person. Wir brauchen einen metaphysischen Zugang als Gegengift zum intellektuellen und moralischen Relativismus. Doch noch mehr brauchen wir die Treue zum Wort Gottes, um sicherzustellen, daß der menschliche Fortschritt die gesamte geoffen-barte Wahrheit über den ewigen Akt der Liebe berücksichtigt, in dem das Universum und zumal die menschliche Person ihren letzten Sinn finden. Je mehr man versucht, das Geheimnis der menschlichen Person zu enträtseln, desto mehr wird man offen für das Geheimnis der Transzendenz. Je tiefer man in das göttliche Geheimnis eindringt, desto mehr entdeckt man die wahre Größe und Würde menschlicher Wesen. Theologie nicht im Elfenbeinturm, sondern für die Gläubigen 6. In euren Instituten, die der bevorzugte Ort für die Bewegung zwischen Glaube und Kultur sind, spielt die theologische Wissenschaft eine besondere Rolle und verdient einen hervorragenden Platz im Studienplan, wie auch bei der Zuweisung von Mitteln für die Forschung. Doch Theologie, wie die Kir- 982 REISEN che sie versteht, ist weit mehr als eine akademische Disziplin. Ihre Gehalte sind die Gehalte der der Kirche anvertrauten göttlichen Offenbarung. Das tiefere Verstehen des Geheimnisses Christi, jenes Verstehen, um das theologische Reflexion sich bemüht, ist letztlich eine Gabe des Heiligen Geistes zum gemeinsamen Wohl der ganzen Kirche. Theologie ist in Wahrheit ein Bemühen um das immer klarere Verständnis des Glaubenserbes, wie es vom Lehramt der Kirche bewahrt, weitergegeben und verdeutlicht wird. Theologische Unterweisung aber dient der Glaubensgemeinschaft, indem sie neuen Generationen hilft, die Wahrheit über Gott, die so wichtig für die grundlegenden Anliegen der modernen Welt ist, zu verstehen und in ihr Leben einzubauen. Der forschende Theologe hat seine Erkenntnisse dem Lehramt vorzulegen 7. Theologie steht im Dienst der ganzen kirchlichen Gemeinschaft. Die theologische Arbeit erfordert das Zusammenwirken der verschiedenen Mitglieder der Glaubensgemeinschaft. Die Bischöfe haben in Einheit mit dem Papst die Aufgabe, die Botschaft Christi authentisch zu lehren; als Hirten sind sie auch aufgerufen, die Einheit des Glaubens und des christlichen Lebens des ganzen Volkes Gottes zu erhalten. Dafür brauchen sie die Hilfe katholischer Theologen, die der Kirche einen unschätzbaren Dienst leisten. Doch die Theologen brauchen auch das von Christus den Bischöfen, und an erster Stelle dem Bischof von Rom anvertraute Charisma. Sollen die Früchte ihrer Arbeit den Lebensstrom der kirchlichen Gemeinschaft bereichern, müssen sie sich letztlich vom Lehramt prüfen und bestätigen lassen. Der kirchliche Kontext der katholischen Theologie gibt dieser daher einen besonderen Charakter und Wert, auch wenn Theologie sich im akademischen Rahmen vollzieht. Hier sollten die Worte des heiligen Paulus über die geistlichen Gaben für uns alle eine Quelle von Licht und Harmonie bedeuten: „Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allen. Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt“ (1 Kor 12,4-7). Bei den verschiedenen Ämtern und Funktionen in der Kirche handelt es sich nicht um Macht oder Herrschaft, die aufgeteilt wird, sondern vielmehr um den gleichen Dienst am Leibe Christi, der nach der Berufung eines jeden miteinander geteilt wird. Es ist eine Frage der Einheit beim Werk des Dienens. In diesem Geist möchte ich das bescheidene, hochherzige und geduldige Schaffen der theologischen Forschung und Ausbildung herzlich befürworten, wie es an euren Universitäten und Kollegien in Übereinstimmung mit der Sendung der Kirche geschieht, die rettende Weisheit Gottes zu verkünden und zu lehren (vgl. 1 Kor 1,21). 983 REISEN Der mit Fragen konfrontierte Student will spirituell begleitet sein 8. Meine eigene Erfahrung an der Universität drängt mich, etwas anderes an einem katholischen Kolleg und einer Universität sehr wichtiges zu erwähnen, nämlich die religiöse und moralische Erziehung der Studenten und ihre seelsorgliche Betreuung. Ich bin überzeugt, daß auch ihr diesen besonderen Dienst sehr ernst nehmt und ihn zu euren dringendsten und am meisten befriedigenden Verantwortlichkeiten zählt. Wo immer in der Welt man Kollegs- oder Universitätsstudenten trifft, hört man ihre Fragen und spürt ihre Sorgen. Eure Studenten haben manche Fragen über den Glauben, die religiöse Praxis und die Heiligkeit des Lebens im Herzen. Jeder kommt an die Hochschule mit dem Hintergrund seiner Familie, seiner persönlichen Geschichte und einer erworbenen Kultur. Sie alle möchten von einer christlichen Erziehungsgemeinschaft angenommen, geliebt und unterstützt werden, die Freundschaft und echt geistlichen Einsatz zeigt. Es ist euer Privileg, euren Studenten in Glaube und Liebe zu dienen; ihnen zu helfen, ihre Freundschaft mit Christus zu vertiefen; ihnen die Gelegenheiten zum Beten und zu liturgischen Feiern zu verschaffen, eingeschlossen die Möglichkeit, das Verzeihen und die Liebe Jesu Christi in den Sakramenten der Buße und der Eucharistie zu erfahren. Ihr seid als katholische Erzieher fähig, eure Studenten eine mächtige Gemeinschaftserfahrung machen zu lassen und sie zu ernsthaftem Mitmachen bei sozialen Aufgaben anzuleiten, die ihren Horizont erweitern, ihrem Lebensstil neue Chancen geben und ihnen echt menschliche Erfüllung bieten. Universitätsstudenten sind z. B. in der glänzenden Lage, sich die Einladung des Evangeliums zu Herzen zu nehmen, aus sich herauszugehen, die Ichbezogenheit abzulehnen und sich auf die Nöte anderer zu konzentrieren. Studenten, die die Chance einer höheren Bildung haben, können leicht die Bedeutung verstehen, die das Gleichnis Christi vom reichen Mann und von Lazarus (vgl. Lk 16,19 ff.) heute hat, mit all seinen Auswirkungen auf die ganze Menschheit. Was hier auf dem Spiel steht, ist nicht nur die Aufrichtigkeit des einzelnen menschlichen Herzens, sondern auch die gesamte soziale Ordnung, insofern sie die Bereiche der Wirtschaft, der Politik sowie die Rechte und Beziehungen des Menschen berührt. Hier, an den katholischen Universitätszentren dieser Nation, wo der Antrieb des Evangeliums lebendig ist, müssen Pläne entworfen werden für die Reform von Haltungen und Strukturen, die die ganze Dynamik des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt beeinflussen, wie sie Ost und West, Nord und Süd in gleicher Weise angeht. Es genügt nicht, den Benachteiligten dieser Welt Freiheit, Wahrheit und Brot nur brockenweise anzubieten. Das Evangelium 984 REISEN verlangt viel mehr. Das Gleichnis von dem reichen und dem armen Mann wendet sich an das Gewissen der Menschheit und heute besonders an das Gewissen Amerikas. Doch dieses Gewissen bildet sich oft in den Sälen der Akademie, in Nächten des Studiums und Stunden des Gebets, um am Ende zu der ganzen prophetischen Botschaft des Evangeliums vorzudringen und sie anzunehmen. Der zweite Petrusbrief sagt uns: „Haltet eure Aufmerksamkeit fest darauf gerichtet, denn es ist ein Licht, das an einem finsteren Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in eurem Herzen“ (2 Petr 1,19). 9. Liebe Brüder und Schwestern! Als Führungskräfte in der katholischen Universitäts- und Kollegbildung habt ihr eine Tradition des Dienstes und des akademischen Hochstandes geerbt, die das Gesamtergebnis der Bemühungen zahlreicher Menschen ist, die für die katholische Bildung in diesem Land sehr hart gearbeitet und sehr viele Opfer gebracht haben. Nun eröffnet sich vor euch der weite Horizont des dritten Jahrhunderts der verfassungsmäßigen Existenz eurer Nation sowie das dritte Jahrhundert katholischer Institute für höhere Bildung im Dienst der Bevölkerung dieses Landes. Die Aufgaben, die vor euch liegen, sind ebenso ein Test wie es jene eurer Vorväter waren, die das Netz von Instituten aufgebaut haben, an deren Spitze ihr jetzt steht. Zweifellos besteht die größte Aufgabe darin, und so wird es bleiben, den katholischen Charakter eurer Kollegien und Universitäten zu bewahren und zu verstärken als institutioneile Verpflichtung auf das Wort Gottes, wie es von der katholischen Kirche verkündet wird. Diese Verpflichtung ist sowohl ein Ausdruck geistiger Konsequenz als auch ein besonderer Beitrag zum kulturellen Dialog, wie er für das amerikanische Leben kennzeichnend ist. Da ihr die Präsenz der Kirche in der Welt der modernen Kultur lichtvoller machen wollt, hört erneut das Gebet Christi zu seinem Vater für seine Jünger: „Heilige sie in der Wahrheit— Dein Wort ist Wahrheit“ (Joh 17,17). Möge der Heilige Geist, der Ratgeber und Geist der Wahrheit, der die Kirche Christi von Anfang an belebt und erleuchtet hat, euch großes Vertrauen auf das Wort des Vaters schenken und euch beistehen in dem Dienst, den ihr der Wahrheit leistet durch die höhere katholische Bildung in den Vereinigten Staaten von Amerika. 985 REISEN Die Eucharistie erneuert das Leben Homilie bei der Eucharistiefeier in San Antonio (U.S.A.) am 13. September „Lobe den Herrn, meine Seele, und alles in mir seinen heiligen Namen!“ Liebe Brüder und Schwestern, Liebe Freunde, Bürger von San Antonio und des Staates Texas! 1. Es bedeutet für mich eine unermeßliche Freude, an diesem Sonntagmorgen bei euch weilen und Gottes Segen auf diesen ausgedehnten Staat und auf die ganze Kirche in diesem Gebiet herabrufen zu dürfen. Der folgende Absatz ist im Original Spanisch: Texas! Der Name erinnert unmittelbar an die reiche Geschichte und die kulturelle Entwicklung dieses Teils der Vereinigten Staaten. Wenn ich in dieser wunderbaren Umgebung die Stadt San Antonio überschaue, muß ich unbedingt ehrfürchtig das Andenken des Franziskanerpaters Massanet in Erinnerung rufen, der am Fest des hl. Antonius von Padua am 13. Juni 1691 an den Ufern des San-Antonio-Flusses für die Mitglieder einer frühen spanischen Expedition und für eine Gruppe von ortsansässigen Indianern die heilige Messe feierte. Seitdem sind Menschen sehr verschiedenen Ursprungs hergekommen, so daß eure heutige Gesellschaft eine Gesellschaft aus vielen Kulturen ist, die nach voller Harmonie und Zusammenarbeit aller strebt. Ich spreche meine herzliche Dankbarkeit den Vertretern des Staates Texas und der Stadt San Antonio aus, die in dieser Stunde des Gebetes anwesend sein wollten. Ich grüße ferner die Mitglieder der verschiedenen christlichen Gemeinschaften, die mit uns vereint den Namen unseres Herrn Jesus Christus preisen. Ein besonderes Wort des Dankes gilt Erzbischof Flores sowie den Bischöfen, Priestern, Diakonen, Ordensleuten und allen katholischen Gläubigen von Texas. Der Friede Christi sei mit euch allen! 2. Heute ist Sonntag: der Tag des Herrn. Heute ist gleichsam der „siebente Tag“, von dem das Buch Genesis sagt: „Gott ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk vollbracht hatte“ (Gen 2,3). Wir sind an diesem Tag aufgerufen, tiefer über das Geheimnis der Schöpfung nachzudenken und damit über unser eigenes Leben. Wir sind aufgerufen, zu ruhen in Gott, dem Schöpfer des Universums. Es ist unsere Pflicht, ihn zu prei- 986 REISEN sen: „Meine Seele, lobe den Herrn... danke dem Herrn und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat“ (Ps 103,1-2). Diese Aufgabe geht jedes menschliche Wesen an, denn nur die menschliche Person, die nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen ist, kann ein Lob- und Danklied auf den Schöpfer anstim-men. Die Erde mit all ihren Geschöpfen und das ganze Universum rufen den Menschen an, ihre Stimme zu sein. Nur die menschliche Person ist fähig, aus der Tiefe ihres Seins heraus diesen Hymnus des Lobes aufsteigen zu lassen, der ohne Worte von der ganzen Schöpfung angestimmt wird: „Lobe den Herrn, meine Seele, und alles in mir seinen heiligen Namen“ (Ps 103,1). 3. Welches ist die Botschaft der Liturgie des heutigen Tages? An uns, die wir hier in San Antonio, im Staat Texas versammelt sind und am eucharistischen Opfer unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus teilnehmen, richtet der heilige Paulus die Worte: „Keiner von uns lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber: Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder sterben, wir gehören dem Herrn“ (Rom 4,7-8). Der leibliche Tod ist ein notwendiger Übergang Diese Worte sind konzentriert, doch erfüllt von einer bewegenden Botschaft. Wir leben und wir sterben. Wir leben in dieser materiellen Welt, die uns umgibt, begrenzt durch die Horizonte unseres Weilens auf der Erde in der Zeit. Wir leben in dieser Welt mit der unweigerlichen Aussicht auf den Tod, und zwar von unserer Empfängnis und Geburt an. Und doch müssen wir über den materiellen Aspekt unseres irdischen Daseins hinausblicken. Gewiß ist der leibliche Tod ein für uns alle notwendiger Übergang; doch es bleibt auch wahr, daß das, was von allem Anfang an in sich das Bild und Gleichnis Gottes trägt, nicht vollständig zum verderblichen Teil des Universums zurückkehren kann. Dies ist eine fundamentale Wahrheit und Überzeugung unseres christlichen Glaubens. Mit den Worten des heiligen Paulus: „Wenn wir leben, so sind wir dem Herrn dafür verantwortlich, und wenn wir sterben, so sterben wir als seine Diener. Wir leben für den Herrn, und auch unser Tod ist Leben im Herrn“ (vgl. Rom 14,8). Heute an diesem Sonntag möchte ich alle, die meine Worte hören, auffordem, unser unsterbliches Geschick nicht zu vergessen: das Leben nach dem Tod, das ewige Glück des Himmels oder auch die schreckliche Möglichkeit der ewigen Strafe, der ewigen Trennung von Gott, die in der christlichen Überlieferung als Hölle bezeichnet wird (vgl. Mt 25,41; 22,13; 25,30). Es kann kein echt christliches Leben geben ohne Offenheit für diese transzendente Dimension unseres Lebens. „Ob wir leben oder sterben, wir gehören dem Herrn“ (Röm 14,8). 987 REISEN 4. Die Eucharistie, die wir ständig feiern, bekräftigt unser Leben und Sterben im Herrn. „Durch sein Sterben hat er unseren Tod vernichtet, in seiner Auferstehung das Leben neu geschaffen“. Tatsächlich schreibt der heilige Paulus: „Wir sind des Herrn. Denn Christus ist gestorben und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende“ (Röm 14,8-9). Ja, Christus ist der Herr! Das Paschamysterium hat unsere menschliche Existenz umgewandelt, so daß sie nicht mehr unter der Herrschaft des Todes steht. In Jesus Christus, unserem Erlöser, „leben wir für den Herrn“ und „sterben wir für den Herrn“. Durch ihn und mit ihm und in ihm gehören wir Gott im Leben und im Sterben. Wir existieren nicht nur für den Tod, sondern für Gott. Aus diesem Grund spricht die Kirche an diesem Tag, „den der Herr gemacht hat“ (Ps 119,24), in der ganzen Welt aus der Tiefe des Paschamysteriums Christi heraus ihr Loblied: „Lobe denHerm, meine Seele; alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen. Danke ihm ... und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat“ (Ps 103, 1-2). Vergiß es nie! Die heutige Lesung aus dem Matthäusevangelium bietet uns das Beispiel eines Mannes, der es vergessen hatte (vgl. Mt 18,21-35). Er hatte die Gunsterweise seines Herrn vergessen und sich deswegen seinem Mitmenschen gegenüber grausam und herzlos gezeigt. Auf diese Weise führt uns die Liturgie in die Erfahrung der Sünde ein wie sie sich seit Anfang der Geschichte des Menschen zusammen mit der Erfahrung des Todes entwickelt hat. Wir sterben dem physischen Leibe nach, wenn alle Lebensenergien verbraucht sind. Wir sterben durch die Sünde, wenn die Liebe in uns stirbt. Außerhalb der Liebe gibt es kein Leben. Wenn jemand sich der Liebe widersetzt und ohne Liebe lebt, faßt der Tod Wurzel in seiner Seele und wächst. Aus diesem Grund ruft Christus aus: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben!“ (Joh 13,34). Der Ruf nach Liebe ist der Ruf nach Leben, der Ruf nach dem Sieg der Seele über Sünde und Tod. Die Quelle dieses Sieges aber ist das Kreuz Jesu Christi: sein Tod und seine Auferstehung. 5. Erneut wird unser Leben in der Eucharistiefeier durch Christi eigenen radikalen Sieg über die Sünde — die Sünde, welche der Tod der Seele ist und letztlich auch der Grund für den leiblichen Tod — erfaßt. „Denn Christus ist gestorben und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende“ (Röm 14,9) — um denen wieder Leben zu schenken, die in der Sünde oder wegen der Sünde tot sind. Daher beginnt die Eucharistiefeier mit dem Bußritus, wir bekennen unsere Sünden, um durch das Kreuz Christi Vergebung zu erlangen und damit Anteil an seiner Auferstehung von den Toten. Doch wenn uns unser Gewissen einer Todsünde anklagt, kann unsere Teilnahme an der Messe nur dann voll frucht- 988 REISEN bar sein, wenn wir vorher im Bußsakrament die Lossprechung empfangen haben. Der Dienst der Versöhnung ist ein grundlegender Teil in Leben und Sendung der Kirche. Ohne irgendeinen der vielen Wege zu übersehen, wie Christi Sieg über die Sünde im Leben der Kirche und der Welt Wirklichkeit wird, lege ich Wert darauf zu betonen, daß vor allem im Sakrament der Vergebung und der Versöhnung die Kraft des Erlöserblutes Christi in unserem persönlichen Leben wirksam wird. 6. In verschiedenen Teilen der Welt wird das Bußsakrament sehr vernachlässigt. Das hängt manchmal mit einer Verdunkelung des religiösen und moralischen Bewußtseins zusammen, einem Verlust des Sinns für die Sünde oder einem Mangel an entsprechender Unterweisung über die Wichtigkeit dieses Sakramentes im Leben der. Kirche Christi. Manchmal kommt es zu dieser Mißachtung, weil wir unseren Mangel an Liebe und Gerechtigkeit nicht ernst nehmen und ebensowenig Gottes entsprechendes Angebot seiner versöhnenden Gnade. Zuweilen liegt auch ein Zögern oder eine Ablehnung vor, als reifer Mensch und verantwortlich die Folgen der obj ektiven Glaubenswahrheiten auf sich zu nehmen. Aus diesen Gründen wird es erneut notwendig zu betonen: „Was das Wesen des Sakramentes betrifft, so war sich die Kirche stets und ohne Schwanken dessen sicher bewußt, daß die Vergebung nach dem Willen Christi jedem einzelnen in der sakramentalen Lossprechung durch den Spender des Bußsakramentes zuteil wird“ (Reconciliatio etpaenitentia, Nr. 30). Erneut bitte ich all meine Brüder im Bischofsamt und die Priester, die Verwaltung dieses Sakramentes zu einem erstrangigen Aspekt ihres Dienstes für das Volk Gottes zu machen. Es kann keinen Ersatz geben für die Gnadenmittel, die Christus selber in unsere Hände gelegt hat. Das II. Vatikanische Konzil hatte nie im Sinn, das Sakrament der Buße solle weniger praktiziert werden; was das Konzil dagegen ausdrücklich forderte, war, die Gläubigen sollten die sakramentalen Zeichen leichter verstehen können und die Sakramente eifriger und häufiger empfangen (vgl. Sacrosanctum Concilium, Nr. 59). Und gerade weil die Sünde das Gewissen des einzelnen belastet, verstehen wir, warum die Lossprechung von Sünden einzeln und nicht kollektiv erfolgen soll — ausgenommen außergewöhnliche Umstände, die von der Kirche als solche anerkannt sind. Ich bitte auch euch, liebe katholische Brüder und Schwestern, die Beichte nicht nur als Versuch einer psychologischen Befreiung anzusehen — wie berechtigt auch dies sein mag — sondern als Sakrament und liturgischen Akt. Beichten ist ein Akt der Ehrenhaftigkeit und des Mutes; dazu ein Akt, in dem wir uns über alle Sünde hinaus der Barmherzigkeit eines liebenden und verzeihenden 989 REISEN Gottes anvertrauen. Es ist der Akt des verlorenen Sohnes, der zu seinem Vater zurückkehrt und von ihm mit dem Kuß des Friedens willkommen geheißen wird. Es ist daher leicht zu verstehen, warum „jeder Beichtstuhl ein privilegierter und gesegneter Ort (ist), von dem her nach der Behebung der Spaltungen neu und makellos ein versöhnter Mensch, eine versöhnte Welt entstehen“ (Reconciliatio etpaenitentia, Nr. 31, V; vgl. III). An alle jungen Menschen der Kirche richte ich die besondere Einladung, Christi Vergebung und seine Kraft im Bußsakrament zu empfangen. Es ist ein Zeichen von Größe, wenn man sagen kann: Ich habe etwas falsch gemacht; ich habe gesündigt, Vater; ich habe dich, meinen Gott, beleidigt; es tut mir leid; ich bitte um Verzeihung; ich will es erneut versuchen, weil ich mich auf deine Kraft verlasse und an deine Liebe glaube. Und ich weiß, daß die Kraft des Paschamysteriums deines Sohnes — der Tod und die Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus — größer sind als meine Schwäche und alle Sünden der Welt. Ich will kommen und meine Sünden bekennen und geheilt werden, und ich will in deiner Liebe leben! Gottes Barmherzigkeit verpflichtet uns zu gegenseitiger Versöhnung 7. In Jesus Christus hat die Welt in Wahrheit das Geheimnis der Vergebung, der Barmherzigkeit und der Versöhnung erfahren, die von Gottes Wort heute verkündet werden. Zugleich verpflichtet die unerschöpfliche Barmherigkeit Gottes uns gegenüber auch uns, untereinander versöhnt zu sein. Dies stellt an die Kirche in Texas und im Südwesten der Vereinigten Staaten praktische Forderungen. Es bedeutet, Hoffnung und Liebe dorthin zu bringen, wo Spaltung und Entfremdung anzutreffen sind. Eure Geschichte kennt die Begegnung von Kulturen, der Einheimischen mit denen der Einwanderer, und das führte manchmal zu Spannungen und Konflikten, die aber immer auch in Versöhnung und Harmonie mündeten. In dieses Land kamen Menschen verschiedener Rassen und Sprachen, Farben und Bräuche, um hier eine Heimat zu finden. Zusammen mit der einheimischen Bevölkerung dieser Gebiete leben hier die Nachkommen jener, die aus fast allen Ländern Europas gekommen sind: von Spanien und Frankreich, Deutschland und Belgien, Italien, Ungarn und Tschechoslowakei, Irland, England und Schottland. Sie kamen auch aus meinem Heimatland Polen — und es waren Texas und Panna Maria, wohin die ersten polnischen Einwanderer in die Vereinigten Staaten gingen. Hier gibt es die Nachkommen jener, die in Ketten von Afrika herkamen; andere Einwanderer vom Libanon, von den Philippinen und Vietnam, dazu aus jedem lateinamerikanischen Land, zumals aus Mexico. 990 REISEN Dieses Land ist ein Kreuzungspunkt an der Grenze zweier großer Nationen, und es erfahrt sowohl die Bereicherung wie auch die Verwicklungen, die sich aus diesen Umständen ergeben. Ihr seid damit ein Symbol und eine Art von Laboratorium, in dem Amerikas Stehen zu seinen grundlegenden moralischen Grundsätzen und menschlichen Werten getestet wird. Diese Grundsätze und Werte werden nun von Amerika bekräftigt, da es die 200-Jahr-Feier seiner Verfassung begeht und erneut über Gerechtigkeit und Freiheit sowie über die Bejahung der Verschiedenheit innerhalb der grundlegenden Einheit spricht — eine Einheit, die von einer gemeinsamen Sicht der Würde einer jeden menschlichen Person und der gemeinsamen Verantwortung für das Wohlergehen aller, zumal der Notleidenden und Verfolgten herkommt. 8. Vor diesem Hintergrund kann man von einem Phänomen sprechen, das hier und anderswo begegnet — dem Zug der Menschen nordwärts, nicht nur aus Mexiko, sondern auch aus anderen südlichen Nachbarländern der Vereinigten Staaten. Auch hier ist noch viel Versöhnungsarbeit zu leisten. Unter euch gibt es Menschen mit großem Mut und großer Hochherzigkeit, die viel für ihre leidenden Brüder und Schwestern, die aus dem Süden herkamen, getan haben. Sie haben Mitleid zu zeigen versucht angesichts komplexer menschlicher, sozialer und politischer Verhältnisse. Hier rufen die geistigen und materiellen Bedürfnisse von Menschen weiter mit Tausenden von Stimmen zur Kirche, und die ganze Kirche muß darauf antworten durch die Verkündigung von Gottes Wort und selbstlose Dienstbereitschaft. Hier bietet sich ebenfalls weiter Raum für weitere und wachsende Zusammenarbeit zwischen Mitgliedern der verschiedenen christlichen Gemeinschaften. In spanischer Sprache sagte der Papst: Bei all dem steht die Gemeinschaft der Einwanderer spanischer Sprache selber vor der größten Aufgabe. Euch Menschen spanischsprechender Vorfahren, die ihr so zahlreich und so lange in diesem Land anwesend und so wohl für eine Antwort vorbereitet seid, gelten die Worte Christi, die ihr euch zu Herzen nehmen sollt: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebet einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34). Und Jesus verdeutlicht, daß diese Liebe das ganze Spektrum menschlicher Nöte umfaßt, von den kleinsten bis zu den größten: „Wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt... er wird gewiß nicht um seinen Lohn kommen“ {Mt 10,42). Die Gemeinschaft der Spanischsprechenden muß auch auf ihre eigenen Bedürfnisse selber antworten und hochherzige und wirksame Solidarität untereinander beweisen. Ich ermuntere 991 REISEN euch dringend, an eurem christlichen Glauben und an euren Überlieferungen festzuhalten, zumal bei der Verteidigung der Familie. Und ich bete, daß der Herr viele weitere Berufungen zum Priester- und Ordensstand unter euren Jugendlichen wecken möge. Da ihr so viel von Gott empfangen habt, sollt ihr auch den Ruf zur Erneuerung eures christlichen Lebens und zur Treue im Glauben eurer Väter hören. Möge eure Antwort im Geist Mariens, der Jungfrau Mutter erfolgen, die die Kirche „mütterlich und teilnahmsvoll anwesend (erblickt) bei den vielfältigen und schwierigen Problemen, die heute das Leben der einzelnen, der Familien und der Völker begleiten;.sie sieht in ihr die Helferin des christlichen Volkes beim unaufhörlichen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, damit es nicht ,falle“, oder, wenn gefallen, wieder ,aufstehe“ (Redemptoris Mater, Nr. 52). In englischer Sprache sagte der Papst: 9. Die heutige Liturgie hilft uns, tief über Leben und Tod nachzudenken, über den Sieg des Lebens über den Tod. Auf dieser Erde, in der sichtbarsten Welt der Schöpfung, existiert der Mensch „für den Tod“; und doch ist er in Christus zur Gemeinschaft mit Gott berufen, mit dem lebendigen Gott, der „Leben schenkt“. Er ist zu dieser Gemeinschaft gerade durch den Tod Christi berufen — durch den Tod, der „Leben schenkt“. Über die ganze Erde hin nehmen heute zahllose Menschen, Menschen aus vielen Ländern und Kontinenten, Menschen verschiedener Sprachen und Rassen sakramental am Tod Christi teil. Wir hier in Texas brechen heute gemeinsam mit ihnen zur Erfüllung des Paschamysteriums im Leben auf. Wir unternehmen diesen Weg im Bewußtsein unserer Sündigkeit, im Bewußtsein unserer Sterblichkeit. Doch wir sind unterwegs in der Hoffnung, in Vereinigung mit dem Opfer Christi, in eucharistischer Gemeinschaft mit ihm und in Liebe zueinander. Wir leben für den Herrn! Wir sterben für den Herrn! Wir gehören dem Herrn! Kommt, Herr Jesus! (vgl. Ojfb 22,20). Amen. 992 REISEN Mit Liebe auf Gottes Liebe antworten Angelusansprache nach der Eucharistiefeier in San Antonio (U.S.A:) am 13. September 1. Am Ende dieser Eucharistiefeier lade ich euch ein, mit mir den Angelus zu beten. Immer wenn wir uns im Gebet an die Gottesmutter Maria wenden, werden wir daran erinnert, daß sie „voll der Gnade“ ist. So grüßte sie der Engel Gabriel bei der Verkündigung: „Sei gegrüßt, duBegnadete, der Herr ist mit Dir“ (Lk 1,28). Und tatsächlich sind diese Worte des Engels wahr. Von allen Menschen, die Gott geschaffen hat, war allein sie immer ohne Sünde. Vom ersten Augenblick ihres Daseins an war sie in Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Maria antwortete auf dieses große Geschenk Gottes mit Offenheit und Hochherzigkeit: „Mir geschehe“, sagte sie, „wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). 2. Wie Maria wurde auch uns das Geschenk der Gnade Gottes gemacht, auch wenn wir nicht ihre Fülle empfangen haben. Wie Maria sind wir aufgerufen zu antworten, offen zu sein für Gottes Wort, hochherzig ja zu Gott zu sagen. Das bedeutet für uns, Gottes Willen zu tun, gemäß seiner Gebote zu leben, unserem Nächsten zu dienen, die Sünde zu meiden. Mit anderen Worten: Wir müssen mit Maria mit Liebe auf Gottes Liebe antworten. Wenden wir uns an Maria, die wir unter vielen Namen verehren, heute hier in San Antonio aber unter ihrem besonderen Namen „Unsere Liebe Frau von Guadalupe“. In den Armen und Leidenden Christus erkennen Ansprache an Vertreter der christlichen Caritas in San Antonio (U.S.A.) am 13. September Liebe Brüder und Schwestern:! Ich danke euch für eure Darstellung des weitgespannten Netzes christlicher Liebe und menschlicher Solidarität, in dem ihr engagiert seid. Möge der Herr euch in eurem Eifer erhalten. „Erbarmen, Frieden und Liebe seien mit euch in Fülle“ (Jud 1). 993 REISEN 1. Katholische Caritas ist ein Titel, der wundervoll den hochherzigen Einsatz der Katholiken in den Vereinigten Staaten für menschliche Solidarität und christliche Liebe bezeichnet. Daher bereitet es mir große Freude, unter euch weilen zu dürfen, den Mitgliedern der katholischen Caritasverbände in den USA, eurer angeschlossenen Verbände und Schwesterorganisationen im sozialen Dienst. Durch euer Bemühen helft ihr mit, das liebevolle Mitleid unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus mit den menschlichen Nöten präsent zu machen. Jesus Christus wurde arm geboren, er lebte arm und starb arm. Er liebte die Armen. In seinem Reich bekommen die Armen einen besonderen Platz. Die Kirche kann nicht irgendwie gleichgültig bleiben. Sie muß sich immer mehr ihrer grundlegenden Pflicht bewußt sein, in ihrem Leben und Tun die Liebe aufleuchten zu lassen, die Gott zu seinen Geschöpfen hegt. Es geht hier um das Geheimnis der Liebe Gottes, wie es der erste Johannesbrief erklärt: „Wir wollen lieben, weil er uns zuerst geliebt hat“ (7 Joh 4,19). Aller Dienst findet seine erste Begründung in Gott. 2. Ihr führt eine Überlieferung weiter und lebt nach einer Lehre, die in der Heiligen Schrift grundgelegt ist, von der Kirche verkündet wird und für jedes Zeitalter Bedeutung hat. Dienst an den Notleidenden baut nicht nur soziale Harmonie auf; er offenbart Gott, unseren Vater, den Retter der Unterdrückten. Im Alten Testament war es Gottes Liebe zu seinem Volk, die eine besondere Sorge für den Fremden, die Witwe und den Waisen befahl. Wie Gott sein Volk behandelt hatte, so sollten sie andere behandeln. Das Jubeljahr und das Sabbatjahr stellten das wirtschaftliche Gleichgewicht wieder her: Sklaven wurden freigelassen, Land ging in den Besitz des ursprünglichen Eigentümers zurück, und Schulden wurden getilgt (vgl. Ex 21 ff.; Lev 25). So wurde der Gerechtigkeit zugleich mit dem Erbarmen Genüge getan. Die Propheten lenkten verschiedentlich die Aufmerksamkeit auf die inneren Haltungen des Herzens, die das Üben von Gerechtigkeit und Dienstbereitschaft beleben mußten: „Gott sieht nicht auf das, worauf der Mensch sieht. Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz“ (1 Sam 16,7). Mit den Armen und Schutzlosen setzt sich Jesus gleich Im Neuen Testament wird das Geheimnis der Liebe Gottes weiter geoffen-bart: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingegeben hat“ {Joh 3,16). Durch das Herz Jesu erschien die Fülle der unermeßlichen Barmherzigkeit Gottes in der Welt. In bewunderndem Staunen über die Menschwerdung des Sohnes Gottes ruft Maria aus, daß durch dieses Kind die 994 REISEN Niedrigen erhöht; die Hungrigen mit Gütern erfüllt und alle mit Gottes Erbarmen beschenkt werden (vgl. Lk 1,46-55). Als Jahre später Jesus seinen Dienst ankündigt, faßt er sein Lebensprogramm in den Worten des Jesaja zusammen: „Den Armen eine gute Nachricht bringen; den Gefangenen die Entlassung und den Blinden das Augenlicht verkünden, die Zerschlagenen in Freiheit setzen und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufen“ (Lk 4,18-19). Jesus identifiziert sich selbst mit den Armen und Schutzlosen: was wir für sie tun, das tun wir für ihn, und was wir nicht für sie tun, das gilt als ein ihm verweigerter Dienst (vgl. Mt 25,31-46). Die großen Unterschiede im Wohlstand zwischen Nationen, Klassen und Personen, machen das Gleichnis des Evangeliums vom reichen Mann und dem armen Lazarus wieder aktuell, mitsamt den bitteren Folgen, von denen das Evangelium spricht: „Mein Kind, denk daran, daß du schon zu Lebzeiten deinen Anteil am Guten erhalten hast, Lazarus aber nur Schlechtes. Jetzt wird er dafür getröstet, aber du mußt leiden“ (Lk 16,25). Diese Warnung gilt heute noch ebenso wie vor 2000 Jahren. 3. Von Anfang an hat sich die Kirche bemüht, diese Lehre in ihrem Dienst durchzuführen. Ich brauche hier nicht die äußerst reiche Geschichte des christlichen Dienstes aufzeigen. Die Kirche hat immer versucht, dem Fremden, der Witwe und dem Waisen eine Antwort zu geben; sie hat zahllose Schulen, Hospitäler, Heime und Stätten für Kinderbetreuung und Unterbringung gegründet. In unserer Zeit aber hat das Zweite Vatikanische Konzil erneut kräftig die Berufung der Kirche betont, in Treue zu ihrem Herrn alle jene zu lieben, die irgendwie bedrängt sind: in den Armen und Leidenden das Bild ihres armen und leidenden Gründers zu erkennen; alles, was sie kann, zu tun, um ihre Nöte zu erleichtern im Bestreben, Christus selber in ihnen zu dienen (vgl. Lumen gentium, Nr. 8). Zwanzig Jahre nach dem Konzil ist sich die Gemeinschaft der Christen mehr denn je bewußt, daß die Armen, die Hungrigen, die Unterdrückten, die Kranken und die Behinderten in besonderer Weise Anteil am Kreuz Christi haben und daher den Dienst der Kirche brauchen. Werke der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit und des Mitleids sind grundlegend für die Geschichte der Kirche in den Vereinigten Staaten. Beide amerikanische Frauen, die in die Zahl der Heiligen eingereiht wurden, Frances Xavier Cabrihi und Elizabeth Ann Seton, erhielten diese Ehre hauptsächlich wegen ihres Wirkens für ihre ärmeren Brüder und Schwestern. Die Initiativen katholischer Caritas in den Vereinigten Staaten gehen bis in die Zeit vor der Erklärung der Unabhängigkeit zurück. Zahllose Institutionen und Strukturen wurden aufgebaut, um den Waisen, den Einwanderern, den völkischen Gruppen und allen Menschen in Not zu helfen — Menschen jeder Rasse und aller Glaubensbekenntnisse. Zahlreiche Amerikaner jeder Herkunft haben den mit- 995 REISEN leidsvollen Dienst an ihren Mitmenschen zum einzigen Anliegen und Inhalt ihres Lebens gemacht. Zumal ganze Generationen von weiblichen und männlichen Ordensleuten haben sich aufgerieben im selbstlosen Dienst im Zeichen der Liebe. . 4. Die Kirche hat immer eine bevorzugte Liebe zu den Armen verkündet. Vielleicht ist die Sprache neu, die Wirklichkeit gewiß nicht. Die Kirche hat sich auch nicht mit einer engen Sicht von Armut und den Armen begnügt. Gewiß besteht Armut oft in materieller Not, es gibt sie aber auch als geistige Verarmung, als Fehlen menschlicher Freiheiten und als Ergebnis irgendwelcher Verletzung menschlicher Rechte und menschlicher Würde. Es gibt eine ganz besondere und bedauernswerte Form der Armut: die Armut der Selbstsucht, die Armut jener, die besitzen, aber nicht teilen wollen; jener, die durch Geben reich sein könnten, es aber vorziehen, arm zu sein, indem sie alles festhalten, was sie besitzen. Auch diese Menschen brauchen Hilfe. Die christliche Sicht betont, daß Menschen zu bewerten sind nach dem, was sie sind, und nicht nach dem, was sie haben. Wenn sie die Armen liebt und allen Notleidenden dient, versucht die Kirche vor allem, ihre menschliche Würde zu achten und zu heilen. Das Ziel christlicher Solidarität und Dienstbereitschaft besteht in der Verteidigung und Förderung der Würde und der grundlegenden Menschenrechte einer jeden Person. Die Kirche bezeugt, „daß diese Würde nicht zerstört werden kann, wie auch immer die Situation des Elends, der Mißachtung, der Ablehnung und der Ohnmacht sein mag, in die ein Mensch geraten ist. Sie zeigt sich mit denjenigen solidarisch, die nichts zählen für eine Gesellschaft, von der sie geistig und manchmal sogar körperlich ausgestoßen sind. Insbesondere wendet sich die Kirche in mütterlicher Liebe den Kindern zu, die aufgrund menschlicher Bosheit niemals das Licht der Welt erblicken, wie auch den alten Menschen, die einsam und verlassen sind. Die Option, die den Armen den Vorzug gibt, ist weit davon entfernt, ein Zeichen von Partikularismus und Sektarismus zu sein; sie offenbart vielmehr, wie universal Sein und Sendung der Kirche sind“ {Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung,Nr. 68). Die Kirche muß auch die geistigen Bedürfnisse der Menschen befriedigen Zu den „Armen im Geiste“ hegt die Kirche eine ganz besondere Liebe. Sie hat das von Christus übernommen, der sie „selig“ genannt hat {Mt 5,3). Einerseits weiß die Kirche aus den Worten Christi, daß es trotz aller menschlichen Bemühungen immer Arme unter uns geben wird (vgl. Mt 26,11). Andererseits weiß und verkündet sie bei all ihrem Bemühen, den Armen aufzuhelfen, wie zweideutig Besitz bleibt. In der Tat, wo das Streben nach 996 REISEN Wohlstand als höchstes Gut gilt, werden die Menschen zu Gefangenen ihrer Herzenshärte und der Verschlossenheit ihres Geistes (vgl. Populorum pro-gressio, Nr. 19). Auch aus diesem Grund muß die Kirche gerade bei ihrem Dienst für die Armen und der Linderung ihrer Leiden zugleich fortfahren, ihre höheren, nämlich geistigen Bedürfnisse zu verkündigen und ihnen zu dienen. 5. Der Dienst an den Notleidenden muß die Form direkter Hilfe annehmen, um ihre Sorgen zu lindern und ihre Last von ihnen zu nehmen; doch er muß sie gleichzeitig zur Würde der Selbständigkeit hinführen. Hier möchte ich die unermeßliche Dankbarkeit der Kirche gegenüber zahlreichen Amerikanern aussprechen, die tatkräftig dabei sind, ihren Mitmenschen zu helfen in all den verschiedenen Formen, die Hilfe und Entwicklung in der Welt von heute annehmen kann. Und ich danke feierlich dem amerikanischen Volk für die hochherzige Weise, in der es dem Aufruf zu finanzieller Hilfe für die vielen glänzenden Hilfsprogramme nachkommt, die in seinem Namen durchgeführt werden. Was die vielen Programme angeht, die von der katholischen Kirche durchgeführt werden, möchte ich alle dafür Verantwortlichen einladen, sicherzustellen, daß sie immer, und zwar auch sichtbar, mit den katholischen Grundsätzen der Wahrheit und Gerechtigkeit übereinstimmen. Linderung der Not durch Organisationen und Institutionen von seiten der Kirche oder Gesellschaft ist äußerst nötig, doch sie genügt nicht in sich selber. Hier möchte ich ein Anliegen wiederholen, das ich in meinem Apostolischen Brief über das menschliche Leiden erwähnt habe: „Institutionen sind sehr wichtig und unentbehrlich; doch keine Institution vermag von sich aus das menschliche Herz, das menschliche Mitleid, die menschliche Liebe, die menschliche Initiative zu ersetzen, wenn es darum geht, dem Leiden des anderen zu begegnen. Dies gilt für die körperlichen Leiden, aber noch mehr, wenn es sich um die vielfältigen moralischen Leiden handelt; vor allem, wenn die Seele leidet“ (Salvifici doloris, Nr. 29). Ferner ist es wichtig, bei dem notwendigen Organisatorischen und Institutionellen der Abhilfe Menschen nicht zu bloßen Einheiten oder Kategorien der politischen oder sozialen Planung und Aktion zu degradieren. Ein solches Vorgehen führt nämlich zu neuen und anderen ungerechten Formen der Anonymität und Entfremdung. Den Gegensatz „Arm — Reich“ auflieben 6. Zum Dienst für die Armen gehört es auch, seine Stimme für sie zu erheben, bemüht, Strukturen zu reformieren, die ihre Unterdrückung verursachen 997 REISEN oder verewigen. Als aktive Katholiken, die den zahlreichen konkreten Nöten der Menschen abhelfen möchten, seid ihr dennoch aufgerufen, über eine weitere Dimension eines weltweiten Problems nachzudenken: das Verhältnis zwischen reichen und armen Gesellschaftsaussichten, reichen und armen Nationen. Eure Einsichten müssen sich, vom Gebet unterstützt, mit denen vieler anderer Menschen verbinden, um zu sehen, was so bald wie möglich getan werden kann, um die sozialen Strukturen der ganzen Gesellschaft in dieser Hinsicht zu reinigen. Letztlich müssen wir uns freilich klar sein, daß es soziale Ungerechtigkeiten und ungerechte soziale Strukturen nur gibt, weil einzelne und Gruppen von einzelnen sie bewußt aufrechterhalten oder dulden. Diese persönlichen Entscheidungen, die durch die Strukturen wirksam werden, erzeugen und verbreiten Situationen der Armut, der Unterdrückung und des Elends. Daher muß eine Überwindung der „sozialen Sünde“ und die Reform der Sozialordnung beginnen mit der Bekehrung unserer Herzen. Die amerikanischen Bischöfe haben dazu gesagt: „Das Evangelium teilt jedem Christen die Berufung zu, Gott und den Nächsten zu lieben, so daß diese Liebe im Leben der Gesellschaft Frucht bringt. Diese Berufung besteht vor allem in einem Wandel des Herzens: einer Bekehrung, die sich im Lob Gottes äußert und in konkreten Taten der Gerechtigkeit und Dienstbereitschaft“ (Wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle: Katholische Soziallehre und die Wirtschaft der USA, 327). Vielen Menschen mögen Barmherzigkeit und Bekehrung als armselige Werkzeuge zur Lösung sozialer Probleme erscheinen. Manche sind versucht, Ideologien zu bejahen, die Gewalt anwenden, um ihre Programme durchzuführen und ihre Sicht durchzusetzen. Solche Mittel führen manchmal zu scheinbarem Erfolg. Doch sind diese Erfolge nicht real. Zwang und Manipulierung haben nichts zu tun mit echter menschlicher Entwicklung und der Verteidigung der Menschenwürde. Die katholische Soziallehre ist völlig anders, nicht nur was die Ziele, sondern auch, was die anzuwendenden Mittel angeht. Will der Christ menschliche Übel in Ordnung bringen, muß er notwendig die Wirklichkeit der Schöpfung und der Erlösung berücksichtigen. Das bedeutet: jeden Menschen als einmaliges Kind Gottes behandeln, als Bruder oder Schwester Jesu Christi. Der Weg der menschlichen Solidarität ist der Weg des Dienstes; echter Dienst aber meint selbstlose Liebe, die für die Nöte aller offen ist, ohne Unterscheidung der Personen und mit dem ausdrücklichen Vorsatz, den Sinn jeder Person für ihre gottgegebene Würde zu stärken. 7. Solidarität und Dienstbereitschaft sind vor allem eine Pflicht der christlichen Liebe, die die ganze Gemeinschaft einbeziehen muß. Wenn wir versucht 998 REISEN sind, uns selber wegen unserer Leistungen zu beglückwünschen, sollten wir nüchtern die Worte Jesu beachten: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan“ (Lk 17,10). Bedrückt uns der Umfang dieser Liebespflicht angesichts der grenzenlosen Nöte der Armen in Amerika und der ganzen Welt, sind wir enttäuscht von der Langsamkeit und den Rückschlägen bei der Reform von Strukturen und bei unserer eigenen Bekehrung, laßt uns nicht mutlos werden und nicht bei dem stehenbleiben, was bereits erreicht wurde. Die Liebe kann auch große Hindernisse überwinden, und Gottes Liebe kann die Welt gänzlich umwandeln. Wenn die Kirche versucht, christliche Solidarität in hochherzigem Dienst sichtbar zu machen, so wünscht sie auch, die Aufmerksamkeit auf die Wichtigkeit von Gottesdienst und Gebet und deren Verhältnis zur Dienstbereitschaft zu lenken. Wenn sie auf das Beispiel Christi schaut, kann die Kirche nie vergessen, daß alles Wirken Christi von Gebet begleitet war. Im Gebet entwickelt und bewertet die Kirche daher ihr soziales Bewußtsein und entdeckt immer neu ihre Berufung, den Notleidenden in dieser Welt zu dienen, wie Jesus es tat. In einer Ansprache an amerikanische Bischöfe bei ihrem letzten Besuch „ad limina“ habe ich von der spezifisch christlichen und kirchlichen Dimension alles sozialen und karitativen Wirkens gesprochen: „Nur eine anbetende und betende Kirche ist imstande, sich hinreichend empfänglich zu zeigen für die Nöte der Kranken, der Leidenden, der Einsamen — besonders in den Stadtzentren — und der Armen überall. Die Kirche als .Gemeinschaft des Dienstes4 muß zuerst die Last, die von so vielen einzelnen Menschen und Familien getragen wird, spüren und sich dann bemühen, diese Lasten erleichtern zu helfen. Die Jüngerschaft, die die Kirche im Gebet entdeckt, drückt sich in tiefem Interesse für die Brüder Christi in der heutigen Welt und ihre vielfachen Nöte und Bedürfnisse aus. Ihre Sorge, die sich in verschiedener Weise äußert, umfaßt — unter anderem — die Bereiche Wohnung, Erziehung, Gesundheitsfürsorge, Arbeitslosigkeit, Rechtswesen, die besonderen Bedürfnisse alter und behinderter Menschen. Im Gebet wird die Kirche in ihrer Solidarität mit den Schwachen bestärkt, die unterdrückt werden, mit den Ungeschützten, die Manipulationen ausgesetzt sind, mit den Kindern, die ausgebeutet werden, und mit jedem Menschen der in irgendeiner Weise benachteiligt ist“ (Ansprache am 3. Dezember 1983, Nr. 6). 8. Katholische Caritas und verwandte Organistionen existieren wesentlich, um christliche Liebe zu verbreiten. Zumal durch karitative Tätigkeiten auf Pfarrebene vereint sich die ganze Kirche in den Vereinigten Staaten in den Aufgaben der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit und der Liebe. Wir haben 999 REISEN heute gesehen, wie Mitglieder katholischer Caritasverbände und aller ihrer Nachbarverbände Gott sich selbst — ihre Hände, Füße und Herzen — dargeboten haben, damit dieses Werk in unserer Welt geschehen kann. Für euren langen und ausdauernden Dienst — kreativ und mutig, Unterschiede in Rasse und Religion nicht in Betracht ziehend — werdet ihr gewiß das Wort der Dankbarkeit Jesu hören: „Das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Haltet zusammen, schafft Wandel und dient! Tut ihr das im Namen Jesu Christi, so erfüllt ihr den Geist katholischer Caritasverbände und den Geist aller, die für diese Sache arbeiten, weil ihr darin Ihm nachfolgt, der „nicht kam, bedient zu werden, sondern zu dienen“ (Mk 10,45). Wenn ihr für eine Gesellschaft arbeitet, die die Würde jeder menschlichen Person fordert, dient ihr nicht nur den Armen, sondern ihr greift die Gründungsabsicht dieser Nation wieder auf, die unter Gott stehen will! Möge Gott euch überreich alles vergelten! Ein klares Verständnis von der Berufung haben Ansprache an Seminaristen und Ordensleute, die in der Ausbildung stehen, in San Antonio (U.S.X.) am 13. September „Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden“ (Ex 3,5). 1. Diese Worte Gottes bezeichnen den Beginn eines neuen Lebensweges für Mose. Der Ort, wo er stand, war heiliger Boden, weil er sich in der ehrfurchtgebietenden Gegenwart Gottes befand. Und auf diesem heiligen Boden hörte er eine Stimme, die ihn zu einer besonderen Sendung des Dienstes für das Volk Gottes berief. Von diesem Augenblick an wandelte sich das Leben des Mose radikal. Von nun an stellte er dieses Leben in den Dienst des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs. Sein Leben gehörte nicht mehr ihm selber. Er sollte das auserwählte Volk aus der Sklaverei Ägyptens in die Freiheit des Verheißenen Landes führen. Als er Gott auf heiligem Boden begegnete, dort mit ihm sprach und seine Aufforderung zum Dienst hörte, kam Mose zu einem neuen Selbstverständnis und trat in eine tiefere Beziehung zu Gott und zu seinem Volk ein. Die Sendung des Mose begann im Zeichen von Gottes Heiligkeit. Liebe Brüder und Schwestern im Herrn! Es ist für mich eine tiefe Freude, heute bei euch weilen zu dürfen in dieser historischen Kathedrale von San Fernando, der ältesten Kathedrale in den Vereinigten Staaten. Mit großer Dank- 1000 REISEN barkeit gegen Gott begegne ich euch, die ihr euch für den Dienst des Herrn als Priester und Ordensleute vorbereitet; euch, die ihr in einzigartiger und bemerkenswerter Weise wie Mose die Stimme Gottes gehört habt, die euch auf den „heiligen Boden“ einer besonderen Berufung in der Kirche rief. Ihr standet in der ehrfurchtgebietenden Gegenwart des Herrn und hörtet ihn, wie er euch beim Namen nannte. Und im Hören auf seine Stimme, die ihr betend unterscheiden konntet, habt ihr voll Freude eure Ausbildung für das Priestertum oder den Ordensstand begonnen. 2. Menschlich gesprochen, beginnt eine Berufung in der Kirche mit einer Entdeckung, mit dem Finden der kostbaren Perle. Ihr habt Jesus entdeckt: seine Person, seine Botschaft, seinen Ruf. Im Evangelium, das wir heute gehört haben, wird uns der Ruf Christi an seine ersten Jünger zum Nachdenken vorgelegt. Das erste, was Andreas nach der Begegnung mit Jesus tat, war, seinen Bruder Simon aufzusuchen und ihm zu sagen: „Wir haben den Messias gefunden!“ Dann denkt Philippus in ähnlicher Weise an Natanael und sagt zu ihm: „Wir haben den gefunden, über den Mose im Gesetz und auch die Propheten geschrieben haben: Jesus aus Nazaret, den Sohn Josefs“ (vgl. Joh 1,35-51). Der Dialog mit Jesus reicht über bloße Worte hinaus Auf die anfängliche Entdeckung folgt ein Dialog im Gebet, ein Dialog zwischen Jesus und dem Berufenen, ein Dialog, der über Worte hinausreicht und sich in der Liebe ausdrückt. Fragen sind ein wichtiger Teü des Dialogs. Im Bericht des Evangeliums über die Berufung der Jünger z. B. heißt es: „Jesus wandte sich um, und als er sah, daß sie ihm folgten, fragte er sie: Was wollt ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi — das heißt übersetzt: Meister — wo wohnst du? Er antwortete: Kommt und seht!“ {Joh 1,38-39). Was als eine Entdeckung Jesu beginnt, wird zu einem größeren Verstehen und Engagement durch einen von Gebet getragenen Prozeß von Fragen und Unterscheiden. In diesem Prozeß werden unsere Motive gereinigt. Wir werden mit scharfen Fragen konfrontiert wie: „Was wollt ihr?“ Und wir stellen auch unsererseits wie Natanael Fragen an Jesus: „Woher kennst du mich?“ {Joh 1,48). Erst wenn wir aufrichtig und ehrlich im Schweigen des Herzens nachgedacht haben, kommen wir zu der Überzeugung, daß der Herr uns wirklich ruft. Und doch ist auch dann der Prozeß des Unterscheidens noch nicht vorüber. Jesus sagt uns wie dem Natanael: „Du wirst noch Größeres sehen“ {Joh 1,50). Das ganze Leben hindurch, auch wenn wir die heilige Bindung für immer übernommen und den aktiven Dienst für den Herrn begonnen haben, brau- 1001 REISEN chen wir den Dialog im Gebet, der unsere Kenntnis unseres Herrn Jesus Christus und unsere Liebe zu ihm ständig vertieft. Liebe Studenten für das Priestertum und Kandidaten für das Ordensleben! Ihr steht in einer langen Reihe von Menschen, die sich selber gänzlich für die Sache des Reiches Gottes hingegeben, das Opfer unseres Herrn geteilt haben und in seinen österlichen Sieg eingetreten sind. Generationen hindurch sind zahlreiche Priester und Ordensleute, die der Kirche von Texas gedient haben, mit Einwanderern oder als Missionare aus anderen Ländern gekommen. Ich möchte meine Dankbarkeit Gott gegenüber aussprechen für den Beitrag, den sie für den Aufbau der Kirche hier geleistet haben. Zugleich preise ich den Herrn der Ernte für euch alle und für die wachsende Zahl einheimischer Berufe, und ich bete inständig, daß dieses Wachstum anhält. Wie alle eure Vorgänger, so werdet auch ihr Prüfungen durchmachen müssen. Eure Treue ist nur dann gesichert, wenn ihr die Kraft des Herrn anruft, nur wenn ihr euch auf Christi Gnade verlaßt. Doch wenn Christus der Mittelpunkt eures Lebens ist, jener, für den ihr lebt und sterbt, dann wird euer hochherziger Dienst für eure Brüder und Schwestern keine Grenzen kennen. Ihr werdet die lieben, die schwierig zu lieben sind, und ihr werdet die Welt mit dem Evangelium Jesu Christi bereichern. 3. Nun möchte ich zu den Seminaristen sprechen. Liebe Brüder in Christus, wenn ihr euch auf die Priesterweihe vorbereitet, ist es wichtig für euch, ein klares Verständnis von der Berufüng zu haben, zu der ihr euch gerufen fühlt, damit ihr das Versprechen lebenslanger Treue in reifer Weise ablegen und treu halten könnt. Euer Leben im Priestertum wird euch eng mit der heiligen Eucharistie verbinden; ihr werdet Diener der Geheimnisse Gottes sein; von euch erwartet man, daß ihr predigt und lehrt im Namen der Kirche. Die Priester leben fiir die Eucharistie Die Eucharistie ist der Hauptgrund für das geweihte Priestertum. In meinem Brief zum Gründonnerstag 1980 habe ich ausgeführt: „Durch unsere Weihe sind wir Priester in einer einzigartigen und ungewöhnlichen Weise mit der Eucharistie verbunden. In gewisser Weise kommen wir von ihr her und existieren für sie“ (Nr. 2). Nichts, was wir als Priester tun, ist so wichtig wie dies. Die Feier der Eucharistie ist die Weise, wie wir am besten unseren Brüdern und Schwestern in der Welt dienen, weil sie die Quelle und das Zentrum der Dynamik ihres christlichen Lebens ist. Wie wichtig wird es damit für unser eigenes Glück und für einen fruchtbaren Dienst, daß wir eine tiefe Liebe zur heiligen Eucharistie pflegen. In euren Se- 1002 REISEN minartagen soll euch das gründliche theologische Studium der Natur des eu-charistischen Geheimnisses und eine genaue Kenntnis der liturgischen Normen gut vorbereiten, damit ihr die volle, bewußte und aktive Teilnahme der Gemeinde an der Liturgie fördern könnt. Der künftige Priester ist zum Nachdenken aufgerufen, und er soll mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil überzeugt sein: „Mit der Eucharistie stehen die übrigen Sakramente im Zusammenhang; auf die Eucharistie sind sie hingeordnet; das gilt auch für die anderen kirchlichen Dienste und für die Apostolatswerke. Die Heiligste Eucharistie enthält ja das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle, Christus selbst“ {Presbyterorum ordinis, Nr. 5). Die Predigt des Evangeliums ist im Priestertum von höchster Wichtigkeit. Und da, wie der heilige Paulus sagt, „der Glaube in der Botschaft, die Botschaft aber im Wort Christi (gründet)“ (Röm 10,17), muß die Seminarausbildung ein tiefes Verständnis des Wortes Gottes, wie es von der Kirche gelebt und verkündet wird, anstreben. Denkt immer an die Worte des Propheten Je-remia: „Kamen Worte von dir, so verschlang ich sie; dein Wort war mir Glück und Herzensfreude, denn dein Name ist über mir ausgerufen, Herr“ (Jer 15,16). Soll eure Predigt im Leben derer, denen ihr dient, Frucht bringen, so müßt ihr in eurem Geist und Herzen eine wirklich innere Anhänglichkeit an das Lehramt der Kirche pflegen. Das Konzil hat uns ja daran erinnert: „Niemals sollen sie (die Priester) ihre eigenen Gedanken vortragen, sondern immer Gottes Wort lehren und alle eindringlich zur Umkehr und zur Heiligung bewegen“ {Presbyterorum ordinis, Nr. 4). Der Priester muß die wirklichen Lebensverhältnisse der Menschen kennen, denen er dient, und er muß unter ihnen leben als echter Bruder in Christus. Man darf ihn nie von der Gemeinde trennen. Doch liegt ein echter: Sinn in dem, was er gleich dem Apostel Paulus nach den eigenen Worten der Schrift ist: „ausgesondert, um das Evangelium Gottes zu verkünden“ {Röm 1,1). In seiner priesterlichen Identität ist er mit einem besonderen Dienst beauftragt — einem einzigartigen Dienst — nämlich dem am Leibe Christi. Aus diesem Grund hat das Zweite Vatikanische Konzil gesagt: „Die Priester des Neuen Testamentes werden zwar aufgrund ihrer Berufung und Weihe innerhalb der Gemeinde des Gottesvolkes in bestimmter Hinsicht abgesondert, aber nicht um von dieser, auch nicht von irgendeinem Menschen, getrennt zu werden, sondern zur gänzlichen Weihe an das Werk, zu dem sie Gott erwählt hat. Sie könnten nicht Christi Diener sein, wenn sie nicht Zeugen und Ausspender eines anderen als des irdischen Lebens wären“ {Presbyterorum ordinis, Nr. 3). 1003 REISEN Der Priester muß ein ,,Mensch für andere“ werden Jeder von euch ist aufgerufen, in Freiheit um der Sache Jesu und seines Reiches willen ein zölibatäres Leben zu wählen, um ein „Mensch für andere“ zu werden. Wenn dieses Leben sich nach der hochherzigen göttlichen und menschlichen Liebe Jesu zu seinem Vater und zu jedem Mann , Frau und Kind formt, dann wird euer Zölibat eine Steigerung eures Lebens bedeuten, eine größere Nähe zum Volk Gottes und den Eifer, euch selber ohne Rückhalt einzusetzen. Wenn ihr mit dem Priestertum den Zölibat übernehmt, macht ihr euch zu einer tieferen und universaleren Liebe bereit. Vor allem meint der Zölibat die Hingabe eurer selbst an Gott. Er soll in Christus und der Kirche die Antwort sein auf die Gaben der Schöpfung und der Erlösung. In ihm könnt ihr sehr tief auf der Ebene menschlicher Freiheit und Hochherzigkeit, an Tod und Auferstehung Christi Anteil gewinnen. Menschlich gesprochen ist dieses Opfer, angesichts unserer menschlichen Schwäche, schwer: ohne Gebet ist es unmöglich. Es erfordert auch Zucht und Anstrengung und beharrliche Liebe von eurer Seite. Doch in eurer Gabe des Zölibates an Christus und seine Kirche wird sogar die Welt den Sinn der Gnade des Herrn und die Macht seines Paschamysteriums erkennen. Dieser Sieg muß immer in eurer Freude sichtbar sein. Das Konzil betont den wesentlichen Unterschied zwischen dem geweihten Priestertum und dem Priestertum aller Getauften, und es schrieb eine Priesterausbildung in den Seminaren vor, die von anderen Formen der Ausbildung verschieden ist (vgl. Lumen gentium, Nr. 10; Optatam totius, Nr. 4). Kernpunkt dieses wesentlichen Unterschieds ist die Wahrheit, daß Jesus den Zwölf die Vollmacht zur Verkündigung des Evangeliums anvertraut hat, die Feier der Eucharistie, die Vergebung der Sünden und die pastorale Betreuung der Gemeinde. Diese Vollmacht wird für eine wirklich spezifische Aufgabe gegeben und durch die Priesterweihe den Nachfolgern der Apostel und ihren Mitarbeitern im geweihten Priestertum übertragen. Sie wird für einen besonderen Dienst des Dienens gegeben, der in Nachahmung des Menschensohnes geleistet werden soll, der kam, um zu dienen. So ist der Dienst des geweihten Priesters für Leben und Entfaltung der Kirche wesentlich; ein wesentlicher Dienst für die übrige Kirche. Es ist klar, daß jene, die sich für diesen besonderen Dienst vorbereiten, besondere Bedürfnisse haben und Forderungen erfüllen müssen, die von denen der übrigen Gemeinschaft verschieden sind. Alle Mitglieder der Kirche sind aufgefordert, aufgrund ihrer Taufe und Firmung die Sendung der Kirche mitzutragen. Priester vermögen dann am besten anderen im Dienst am Evangelium zu helfen und sie dazu zu ermuntern, wenn sie selber ihrem priesterlichen Dienst in der Kirche treu sind. „Ob die 1004 REISEN Priester sich dem Gebet und der Anbetung hingeben, ob sie das Wort verkünden, das eucharistische Opfer darbringen und die übrigen Sakramente verwalten oder den Menschen auf andere Weise dienen, immer fördern sie die Ehre Gottes und das Wachstum des göttlichen Lebens im Menschen“ (Presbyter-orum ordinis, Nr. 2). 4. Und nun wende ich mich an euch, meine Brüder und Schwestern in der Vorbereitung auf das Ordensleben. Auch ihr habt eine große und besondere Gabe göttlicher Liebe empfangen. Zu jedem von euch hat Jesus wie zu den ersten Jüngern gesagt: „Komm und sieh“ {Joh 1,39). Christus hat keinerlei Zwang oder Gewalt ausgeübt, euch vielmehr eingeladen, ebenso schlicht wie persönlich, zu kommen und in seinem Hause zu wohnen, in seiner Gegenwart zu weilen und mit ihm seinen Vater zu preisen in der Einheit des Heiligen Geistes. Der Ordensberuf ist eine Gabe, frei gegeben und frei empfangen. Er ist ein tiefer Ausdruck der Liebe Gottes zu euch, und er erfordert von eurer Seite wiederum eine gänzliche Liebe zu Christus. So will das ganze Leben einer Ordensperson das Band der Liebe stärken, das zuerst im Sakrament der Taufe geknüpft wurde. Ihr sollt dies in der Ordensweihe tun durch die Profeß der evangelischen Räte der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams (vgl. Can. 573,1-2). Während eurer Jahre der Vorbereitung liegt der Kirche daran, daß ihr eine Ausbildung erhaltet, die euch ausrüstet für das Leben eurer Ordensweihe in Treue und Freude; eine Ausbildung, die ebenso tief menschlich wie christlich ist, eine Ausbildung, die euch hilft, immer hochherziger die radikalen Forderungen des Evangeliums zu übernehmen und öffentlich dafür Zeugnis zu geben. Euer ganzes Leben soll eine zuversichtliche und überzeugende Bestätigung dessen sein, daß Jesus „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ ist (Joh 14,6). . Was ihr an erster Stelle und vor allem entwickeln müßt, ist die Haltung und Praxis des Gebetes, denn was ihr seid, bleibt weit wichtiger als alles, was ihr leistet oder tut. Dazu hat das Zweite Vatikanische Konzil gesagt, die Ordensleute sollten „zuerst und einzig Gott suchen“ und „die Kontemplation ... mit apostolischer Liebe verbinden“ (Perfectae caritatis, Nr. 5) Das ist keine leichte Aufgabe, denn das Gebet hat zahlreiche Dimensionen und Formen. Es ist ebenso persönlich wie gemeinschaftlich, liturgisch wie privat. Es vertieft unsere Vereinigung mit Gott und regt unsere apostolische Liebe an. Ein Klima des Schweigens wird daher ebenso notwendig sein wie ein persönlicher einfacher und opferbereiter Lebensstil. 1005 REISEN Die Eucharistiefeier als Quelle und Gipfel des Priesterlebens Das liturgische Leben der Gemeinschaft beeinflußt in hohem Maße das persönliche Gebet aller Mitglieder. Die Eucharistiefeier wird immer die Quelle und der Gipfel eures Lebens in Christus sein, ist sie doch das Sakrament, durch das der Gottesdienst eures ganzen Daseins in Vereinigung mit Christus Gott dargebracht wird (vgl. Can. 607 § 1). Die Eucharistiefeier ist der Punkt, an dem die Hingabe eurer Keuschheit, eurer Armut und eures Gehorsams mit dem Opfer Christi vereint wird. In eurer Ordensweihe erinnert euch das Sakrament der Buße ständig an den Ruf Jesu zur Bekehrung und zu einem neuen Leben. Gerade weil ihr durch eure Ordensprofeß berufen seid, von der Heiligkeit Gottes Zeugnis zu geben, müßt ihr dem Volk Gottes helfen, den Sinn für die Sünde nicht zu verlieren. Wollt ihr in der Nachfolge Christi in der Vollkommenheit der Liebe als echt dastehen, so müßt ihr als erste die Sünde in euren Herzen anerkennen, sie bereuen und Gottes Gnade und Barmherzigkeit verherrlichen. Bekehrung bleibt ein lebenslanger Prozeß, und er erfordert reuige Liebe. Das Sakrament der Buße ist das Sakrament, in dem unsere Schwäche auf Gottes Heiligkeit und das Erbarmen Christi trifft. Auf tausend Wegen ruft euch dann die Kirche zum Dienst innerhalb ihrer Sendung für das Reich Gottes. Sie braucht eure Talente, eure Verfügbarkeit, zu kommen und zu gehen, je nach den Nöten der Stunde. Oft sind das die Nöte der Armen. Sie braucht eure Mitarbeit bei den Anliegen von Gerechtigkeit und Frieden. Sie braucht euren Einsatz und alles, was ihr leisten könnt für das Evangelium. Doch vor allem braucht die Kirche das, was ihr seid; sie braucht euch: gottgeweihte Männer und Frauen, die in Vereinigung mit Christus leben, in Vereinigung mit seiner Kirche, und die nach vollkommener Liebe streben. Warum? Wegen zur Heiligkeit Gottes! Liebe Brüder und Schwestern: Was ihr leistet, ist wichtig, doch was ihr seid ist noch wichtiger — noch wichtiger für die Welt, noch wichtiger für die Kirche und noch wichtiger für Christus. In Maria, der Mutter Christi und der Kirche, werdet ihr die Identität eures eigenen Lebens verstehen. Sie zeigte in ihrem ganzen Leben den Sinn der evangelischen Räte, auf den eure Ordensweihe hingerichtet ist. Ihr Wort an den Engel: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort“ (Lk 1,38), zeigt die gehorsame Ganzhingabe, die unsere Weihe an Gott erfordert und eure Gelübde zum Ausdruck bringt. 5. Natürlich ist die Berufung zur Heiligkeit eine allgemeine Berufung. Alle Glieder der Kirche ohne Ausnahme sind von Gott aufgefordert, in der persönlichen Heiligkeit zu wachsen und die Sendung der Kirche zu ihrer eigenen zu 1006 REISEN machen. Ein gesteigertes Bewußtsein von dieser Wahrheit zählt zu den Früchten des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das Konzil hat zugleich ein deutlicheres Bewußtsein von der Rolle der Laien beim Aufbau des Reiches geweckt, auch von ihrer engeren Zusammenarbeit mit dem Klerus und den Ordensleuten. Als Personen, die sich auf das Priestertum und das Ordensleben vorbereiten, habt ihr das Privileg, zum Erkunden noch wirksamerer Formen der Zusammenarbeit in der Zukunft mitzuhelfen. Noch wichtiger wird eure Möglichkeit sein, die Laien zur Erfüllung ihrer eigenen besonderen Sendung zu ermuntern in Situationen und an Orten, wo die Kirche nur durch sie das Salz der Erde sein kann. Das Konzil spricht sehr klar von ihrer besonderen Sendung. Unter anderem betont es: „Sache der Laien ist es, kraft der ihnen eigenen Berufung in der Verwaltung und gottgemäßen Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen. Sie leben in der Welt, das heißt in all den einzelnen irdischen Aufgaben und Werken und den normalen Verhältnissen des Familien- und Gesellschaftslebens, aus denen ihre Existenz gleichsam zusammengewoben ist“ (Lumen gentium, Nr. 31). Diese Tätigkeit der Laien stellt einen besonderen Beitrag für den Leib Christi dar. Euer Charisma ist ein anderes, eine andere Gabe, die darum auch anders zu leben ist, so daß bei aller Verschiedenheit doch die wirkliche Einheit im Werk des Dienstes erreicht wird. 6. Bei dieser Gelegenheit möchte ich meinen besonderen Dank und meine Ermunterung jenen unter euch aussprechen, die für die Ausbildung der Kandidaten für das Priestertum und das Ordensleben verantwortlich sind. Seid gewiß, daß all euer Mühen, Arbeiten und Opfern von der Kirche und: von mir persönlich hochgeschätzt wird. Eure Aufgabe bleibt für die Zukunft der Kirche lebenswichtig, und eurem Beitrag für das Leben des Volkes Gottes ist Dauer beschieden. Gewiß bleibt entscheidend, daß ihr selber in der gesunden Lehre, in seelsorglicher Erfahrung und Heiligkeit des Lebens fest begründet seid. Sehr wichtig ist eure Glaubenshaltung und zumal euer persönliches Beispiel einer kindlichen Liebe zur Kirche, dazu eure loyale Anhänglichkeit an das authentische kirchliche Lehramt (vgl. Lumen gentium, Nr. 25). Der heilige Paulus sagt uns: „Christus hat die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben, um sie ... heilig zu machen“ (Eph 5,25-26). Ich bete darum, daß euer eigenes Leben immer von dieser opferbereiten Liebe getragen wird. Hinzufügen möchte ich ein Wort tiefer Wertschätzung für all jene Eltern, die ihre Kinder in der Nachfolge Christi unterstützen und ermuntern. Die betende Hilfe, Verständnis und Liebe, die ihr ihnen schenkt, sind von unermeßlichem Wert. 1007 REISEN 7. Hier möchte ich mich nun an die Kirche der .Vereinigten Staaten um Berufe zum Priestertum und zum Ordensstand wenden. Die Pflicht zur Förderung solcher Berufungen obliegt der ganzen Gemeinschaft der Christen, und gewiß haben die Familien üblicherweise den größten Beitrag geleistet. Wir müssen uns aber auch immer des Einflusses bewußt sein, den eifrige Priester und Ordensleute durch das Beispiel ihres hochherzigen Dienstes, durch das Zeugnis ihrer Liebe, ihrer Güte und ihrer Freude auf diese Berufungen ausüben können. Der Schlüssel für Berufungen bleibt vor allem das beharrliche Gebet, wie Jesus selbst es empfohlen hat: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“ (Mt 9,37-38). Liebe Brüder und Schwestern, ihr habt Jesus, den Herrn, kennengelernt. Ihr habt seine Stimme gehört, seine Liebe entdeckt und auf seinen Ruf geantwortet. Möge nun er, der Herr Jesus, der dieses gute Werk begonnen hat, es auch vollenden zur Ehre seines Vaters und in der Kraft seines Geistes. Denkt immer daran: „Der Ort, wo Ihr steht, ist heiliger Boden“ (Ex 3,5). Und möge die selige Jungfrau Maria euch durch ihr Gebet und durch das Beispiel ihrer Liebe helfen. Der Glaube kann nicht einfach erfunden werden Ansprache auf dem Platz Unserer Lieben Frau von Guadalupe in San Antonio (U.S.A.) am 13. September Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Dies ist eine Stunde großer Freude für mich. Ich habe mich auf diese Begegnung mit euch, den Mitgliedern der spanischsprechenden Gemeinschaft von San Antonio gefreut, die ihr hier als Vertreter all eurer Brüder und Schwestern in den Vereinigten Staaten versammelt seid. Ihr seid hier auch als Pfarr-gemeinde, und so gelten meine Worte durch euch den Pfarrgemeinschaften in den ganzen Vereinigten Staaten. Ich grüße jeden von euch liebevoll in unserem Herrn und Erlöser Jesus Christus. Es freut mich besonders, zu euch in der schönen spanischen Sprache sprechen zu können und auf diesem Platz, der seinen Namen zu Ehren Unserer Lieben Frau von Guadalupe trägt. Unsere Zusammenkunft hier, während des Marianischen Jahres, ist eine lebhafte Erinnerung an die besondere Stellung, die die Mutter des Erlösers im Geheimnis Christi und der Kirche einnimmt. Dazu zeigt sie, wie teuer unsere himmlische Mutter euch Menschen 1008 REISEN spanischer Kultur immer gewesen ist, und wie wichtig sie auch heute noch in eurem Glaubens- und Frömmigkeitsleben ist. Marianische Heiligtümer und Wallfahrtsorte bilden eine Art von „Geographie“ des Glaubens, wo wir der Mutter Gottes zu begegnen suchen, um Kräftigung für unser christliches Leben zu finden (vgl. Redemptoris Mater, Nr. 28). Die Volksfrömmigkeit zur seligen Jungfrau Maria gründet in einer gesunden Lehre, und echte religiöse Erfahrung bleibt für das Leben aller Nachfolger Christi passend und wichtig. 2. Das spanische Erbe von San Antonio und dem ganzen Südwesten hat für die Kirche große Bedeutung. Spanisch war die Sprache der ersten Missionare dieses Kontinents, und zwar in dieser Gegend. Die Missionen hier in San Antonio und im ganzen Südwesten sind sichtbare Zeichen der vielen Jahre der Evangelisierung und des Dienstes durch die ersten Missionare. Ihre Predigt vom Heil in Jesus Christus wurde durch ihr eigenes unbescholtenes Leben und die geistigen und leiblichen Werke der Barmherzigkeit und Liebe, die sie vollbrachten, als echt erwiesen. Ihrem Beispiel folgend haben Tausende von eifrigen Priestern, Ordensleuten und Laien am Aufbau der Kirche hier mitgewirkt. Heute aber liegt es bei euch, in Treue zum Evangelium Jesu Christi euer Leben auf den Felsen eures christlichen Glaubens zu bauen. Heute ist es eure Aufgabe, einander und alle jene zu evangelisieren, deren Glaube schwach geworden ist, oder die sich noch nicht persönlich dem Herrn geschenkt haben. Möget ihr nicht weniger eifrig in der Evangelisierung und im christlichen Dienen sein, als eure Vorfahren es waren! 3. Heute möchte ich zu euch über eure Pfarrei sprechen, den Ort und die Gemeinschaft, wo ihr euer christliches Leben nährt und ausdrückt. Ich möchte von der Pfarrei als Familie der Familien sprechen, denn das Pfarrleben ist vor allem mit den Stärken, Schwächen und Bedürfnissen der Familien, die sie bilden, verbunden. Es gibt natürlich viele Dinge, die man über das Pfarrleben sagen könnte; ich kann heute nur einige Aspekte heraussteilen. Nützlicherweise beginnen wir mit einem wohlbekannten Abschnitt aus dem Neuen Testament, der uns hilft, im Auge zu behalten, warum die Mitglieder einer katholischen Pfarrei im Namen Jesu Zusammenkommen. In der Apostelgeschichte lesen wir von den ersten Christen: „Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2,42). Unterweisung im Glauben der Apostel, Aufbau einer lebendigen Gemeinde, die Eucharistie und die anderen Sakramente, und das Gebetsleben, das sind wesentliche Dinge im Leben einer jeden Pfarrei. 1009 REISEN 4. Erstens die Unterweisung oder Katechese: Jeder muß im Glauben unterwiesen werden. Der heilige Paulus faßt dies wie folgt zusammen: „Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden. Wie sollen sie.nun den an-rufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie hören, wenn niemand verkündigt?“ (Rom 10,13-14). In einer Pfarrei wird der Glaube auf vielfache Weise verkündet und weitergegeben, durch die Liturgie, besonders die Eucharistiefeier mit den entprechenden Homilien; durch religiöse Unterweisung in Schulen und kate-chetischen Programmen; durch religiöse Erwachsenenbildung; durch Gebetsgruppen und Verbände für pastorale Tätigkeit; endlich durch die katholische Presse. In bezug auf die Übermittlung des Glaubens möchte ich zwei Dinge betonen. Die Katechese hat einen objektiven Inhalt. Wir können den Glauben nicht einfach erfinden. Wir müssen ihn in und von der universalen Glaubensgemeinschaft empfangen, von der Kirche, der Christus selbst ein Lehramt unter der Führung des Geistes der Wahrheit anvertraut hat. Jeder Katechist muß die Worte Jesu aufrichtig und ehrfürchtig auf sich selber anwenden können: „Meine Lehre stammt nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat“ (Joh 7,16; vgl. Catechesi tradendae, Nr. 6). Ebenso hat jede getaufte Person, eben weil sie getauft wurde, das Recht, die authentische Lehre der Kirche über die lehrmäßigen und moralischen Aspekte des christlichen Lebens zu empfangen (vgl. Can. Nr. 222; Catechesi tradendae, Nr. 14). Der zweite Punkt, den ich bezüglich der Glaubensunterweisung betonen möchte, lautet: Die Familienkatechese geht allen anderen Formen der Katechese voran, begleitet und bereichert sie (vgl. Catechesi tradendae, Nr. 68). Das bedeutet, daß die Pfarrei beim Blick auf ihr katechetisches Programm ihren Familien besondere Aufmerksamkeit schenken sollte. Vor allem aber bedeutet es, daß die Familie selbst der erste und der geeignetste Platz für die Übermittlung der Glaubenswahrheiten, für die Praxis der christlichen Tugenden und der wesentlichen Werte des menschlichen Lebens ist. 5. Der zweite Aspekt des Pfarrlebens, der im Text aus der Apostelgeschichte genannt wird, ist die Aufgabe der Pfarrei, eine lebendige Gemeinschaft aufzubauen. Ich sagte schon, daß jede Pfarrei eine Familie von Familien ist. Die Lebenskraft einer Pfarrei hängt in hohem Maße von der geistlichen Kraft, Verpflichtung und Verbundenheit ihrer Familien ab, ist doch die Familie die Grundeinheit der Gesellschaft und der Kirche. Sie ist „Hauskirche“. Familien sind jene lebendigen Zellen, die sich begegnen, um das eigentliche Wesen des Pfarrlebens zu bilden. Einige sind gesund und erfüllt von Liebe zu Gott, die durch den Heiligen Geist, der uns gegeben wurde, in unsere Herzen ausgegos- 1010 REISEN sen worden ist (vgl. Rom 5,5). In anderen zeigt sich wenig Energie für das Leben des Geistes. Wieder andere sind völlig zusammengebrochen. Die Priester und ihre Mitarbeiter in einer Pfarrei müssen versuchen, allen Familien in ihren Bedürfnissen nach pastoraler Betreuung sehr nahe zu sein und ihnen alle Hilfe und geistige Nahrung zu bieten, die sie brauchen. Die pastorale Betreuung der Familien bildet ein ausgedehntes und kompliziertes Feld kirchlichen Dienstes, aber sie ist höchst dringlich und wichtig. Jede Pfarrei muß sich hier voll einsetzen, besonders angesichts so vieler Zusammenbrüche und Bedrohungen des Familienlebens in der Gesellschaft. Ich appelliere an alle Priester — die Pfarrer, Kapläne und alle Betroffenen — an die ständigen Diakone, Ordensleute und führende Laien, alles Mögliche zu tun, um in vereintem Wirken der Familie möglichst wirksam zu dienen. Dazu gehört die Verkündigung der ganzen Wahrheit über Ehe und Familienleben: des Ausschließlichkeitscharakters der ehelichen Liebe, der Unauflöslichkeit der Ehe, der unverkürzten Lehre der Kirche über die Weitergabe des Lebens und der gebührenden Achtung vor dem menschlichen Leben vom Augenblick seiner Empfängnis an bis zum natürlichen Tod, der Rechte und Pflichten der Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder, vor allem ihrer religiösen und moralischen Formung, eine geziemende Sexualerziehung eingeschlossen. Eltern und Familienmitglieder müssen ferner in ihrem Lebenskampf durch die heiligen Wahrheiten des Glaubens Hilfe und Stütze empfangen. Die Kirche muß die Familien mit den geistlichen Mitteln ausrüsten, um ihrer erhabenen Berufung treu zu bleiben und in der besonderen Heiligkeit zu wachsen, zu der Christus sie beruft. 6. Ebenso wie die Pfarrei für die Familie verantwortlich ist, muß sich die Familie ihrer Pflichten gegenüber der Pfarrei, die die größere Familie ist, bewußt sein. Heute müssen katholische Ehepaare und Familien besonders an den Dienst denken, den sie anderen Ehepaaren und Familien zu leisten verpflichtet sind, vor allem denen, die Probleme haben. Dieses Apostolat von Ehepaar zu Ehepaar sowie von Familie zu Familie kann in vielfacher Weise ausgeübt werden: durch Gebet, gutes Beispiel, formelle oder informelle Unterweisung und Beratung und materielle Unterstützung vielfacher Art (vgl. Familiaris consortio, Nr. 71). Ich rufe euch, katholische Familien in den Vereinigten Staaten, auf: seid echte Familien — geeint, versöhnt und voller Liebe; und seid echt katholische Familien, Gemeinschaften des Gebetes, die den katholischen Glauben in Offenheit für die Nöte anderer leben und in voller Beteiligung am Leben der Pfarrei und der Kirche im weiteren Sinn. 7. Ein weiterer grundlegender Aspekt des Pfarrlebens ist die würdige Feier der Sakramente, eingeschlossen das Ehesakrament. Dieses Sakrament bildet 1011 REISEN die feste Grundlage der ganzen christlichen Gemeinschaft. Ohne sie würde Christi Plan für die menschliche Liebe nicht erfüllt, und sein Plan für die Familie würde nicht befolgt. Gerade weil Christus die Ehe als Sakrament eingesetzt hat und wollte, daß sie ein Zeichen seiner eigenen dauernden und treuen Liebe zur Kirche ist, muß die Pfarrei den Gläubigen erklären, warum alle Ehen auf Probe, rein zivile Trauungen, freie Verbindungen und Ehescheidungen nicht dem Plan Christi entsprechen. Das sakramentale Leben der Kirche konzentriert sich vor allem in der Eucharistie, die die Einheit der Gemeinschaft der Christen feiert und herbeiführt, die Einheit mit Gott und die Einheit untereinander. In der heiligen Messe wird das Kreuzesopfer die Jahrhunderte hindurch bis zur Wiederkunft Christi verewigt, und wir erhalten Leib und Blut des Herrn als geistliche Speise. Die Pfarrgemeinschaft hat keine erhabenere Aufgabe oder Ehre, als sich wie die ersten Jünger Christi zum „Brotbrechen“ zu versammeln (Apg 2,42). Ich wiederhole nun besonders für alle Pfarreien die Aufforderung, die bereits an die ganze Kirche gerichtet wurde, nämlich die öffentliche und private Verehrung der heiligen Eucharistie auch außerhalb der Messe zu pflegen und zu fördern (vgl. Inaestimabile donum, Nr. 20 ff.). Denn nach den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils enthält „die Heiligste Eucharistie das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle, Christus selbst“ {Presbyterorum Ordinis, Nr. 5). Das sakramentale Leben einer Pfarrei umfaßt auch die anderen Sakramente, die die bedeutsamen Momente im Leben der einzelnen und der Familien sowie der ganzen Pfarrgemeinschaft auszeichnen. Ich möchte besonders das Sakrament der Buße erwähnen und die wesentliche Notwendigkeit für Katholiken, ihre Sünden regelmäßig zu bekennen. In den letzten Jahren haben viele diese wundervolle Gabe, durch die wir Christi Verzeihen unserer Sünden erlangen, immer mehr außer acht gelassen. Die Stellung des Bußsakramentes in einer Pfarrei und einer Ortskirche ist immer ein guter Indikator für die echte Reife des Glaubens der Priester und des Volkes. Katholische Familien müssen ihren Mitgliedern eine tiefe Liebe zu dieser schönen Möglichkeit nahebringen, uns mit unserem himmlischen Vater, mit der Kirche und mit unserem Nächsten zu versöhnen. Mehr durch ihr Beispiel als durch Worte sollten Eltern ihre Kinder ermuntern, regelmäßig zur heiligen Beichte zu gehen. Die Pfarreien müssen die Familien dazu ermuntern; sie müssen ihnen auch durch eine entsprechende Katechese helfen. Selbstverständlich sollten die Priester als Diener der Gnade Gottes in diesem Sakrament sicherstellen, daß das Sakrament in einer autorisierten Form leicht zugänglich ist. 8. Schließlich erwähne ich noch kurz das Gebetsleben, wie es sich in der Gemeinschaft der Christen zeigt. Auf diesem Gebiet wird die gegenseitige Ein- 1012 REISEN flußnahme zwischen Familien und Pfarrei besonders klarund tief. Gebet beginnt daheim. Jene Gebete, die uns im Leben helfen, sind oft die, die wir als Kinder daheim gelernt haben. Das Gebet daheim dient aber auch zur Einführung der Kinder in das liturgische Gebet der ganzen Kirche, und es hilft allen, das Gebet der Kirche auf die Ereignisse des Tages und besondere Augenblicke im Familienalltag anzuwenden (vgl. Familiaris consortio, Nr. 61). Jedem, der das Pfarrleben mitträgt, sollte es ein Anliegen sein, mit allen verfügbaren Mitteln das Familiengebet zu ermuntern und zu unterstützen; und die Familien sollten sich selbst um ihr Familiengebet bemühen und darum, es in das Gebetsleben der größeren Gemeinschaft der Kirche einzufügen. Gern nehme ich zur Kenntnis, daß die Zahl der hispanischen Priester und der männlichen und weiblichen Ordensleute wächst. Doch wir brauchen noch viele mehr. Hispanische Jugend: Ruft Christus euch? Hispanische Familien: Seid ihr bereit, eure Söhne und Töchter für den Dienst der Kirche herzugeben? Bittet ihr den Herrn der Ernte, er möge Arbeiter in seine Ernte senden? Christus braucht hispanische Arbeiter für die große Ernte aus eurer Gemeinschaft und der ganzen Kirche. 9. Schließlich möchte ich alle Familien und Pfarreien ermuntern, nicht auf sich selbst zu schauen und dabei stehenzubleiben. Jesus gebietet uns, unserem Nächsten zu dienen und für jene in Not da zu sein. Ich bitte euch besonders, euch um eure Brüder und Schwestern im Glauben zu kümmern, die sich aus Gleichgültigkeit haben wegtreiben lassen oder die irgendwie verletzt sind. Euch alle, die ihr über die Kirche verunsichert seid oder zweifelt, ob ihr wohl willkommen seid, zur Familie der Familien heimzukehren, lade ich ein, zu eurer Pfarrei heimzukehren. Ihr gehört dorthin! Dies ist eure Familie in der Kirche, und die Kirche ist die Hausgemeinschaft Gottes, in der es keine Fremden oder Menschen ohne Bürgerrecht gibt (vgl. Eph 2,19). Wir sind vor einer Pfarrei versammelt, die Unserer Lieben Frau von Guadalupe geweiht ist, der Mutter Jesu, der Mutter der Kirche, der Mutter beider Amerikas und besonders der Mutter Mexikos. Als Jesus am Kreuze starb, vertraute er seine Mutter seinem Lieblingsjünger Johannes an. Das Evangelium erzählt uns, daß der Jünger sie von dieser Stunde an in sein Haus aufnahm (vgl. Joh 19,27). Wie könnt ihr also besser dieses Marianische Jahr feiern, als wenn ihr Maria, die Mutter des Erlösers, in eure Häuser aufnehmt! Dies bedeutet, ihren Glauben und ihre Jüngerschaft nachzuahmen; es bedeutet, sie in euren Familiengebeten gegenwärtig zu halten, vor allem beim Familienrosenkranz; es bedeutet, daß ihr euch ihr zuwendet und ihre Fürsprache um die Gnade der Bekehrung und Erneuerung erbittet; und daß ihr euch und eure Familien ihrer mütterlichen Sorge anvertraut. 1013 REISEN Möge Gott jeden von euch segnen. Möge er jede Familie und Pfarrei segnen. Möge die selige Jungfrau von Guadalupe die hispanische Bevölkerung des Landes lieben und beschützen. Es lebe die Jungfrau von Guadalupe! Traditionen bewahren Botschaft an die Bevölkerung von New Mexiko (U.S. A.) vom 14. September Liebes Volk von New Mexiko! 1. Da es nicht möglich gewesen ist, New Mexiko in diesen Pastoralbesuch in den Vereinigten Staaten einzuschließen, bin ich glücklich über diese Gelegenheit, euch alle herzlich zu grüßen. Dieser Gruß gilt allen Menschen jedweder kulturellen und religiösen Herkunft, besonders aber den eingeborenen Amerikanern. Die alten, heute noch stehenden indianischen Wohnstätten sind ein beredtes Zeugnis für den großen Reichtum eures einzigartigen Erbes. Bewahrt diese euch überlieferten wertvollen Traditionen und schöpft daraus immer wieder Kraft. Ein besonderer Gruß gilt meinen Brüdern und Schwestern im katholischen Glauben, die in New Mexiko leben. Die erste Glaubensverkündigung in diesem Gebiet geht zurück bis in die Zeit der ersten aus Mexiko kommenden spanischen Missionare. Der große Einfluß des Evangeliums auf eure Geschichte und Kultur wird in den Namen eurer Städte ersichtlich, wie Las Cruces, Santa Rosa und Socorro. Sogar eure Berge in ihrer farbenreichen Pracht tragen Namen, die an Christus und die Heiligen erinnern, wie Sangre de Cristo, San Andreas und San Mateo. Da erscheint es auch als passend, daß die Hauptstadt eures Staates und der erzbischöfliche Sitz den Namen Santa Fe, der heilige Glaube, tragen, denn der katholische Glaube hat wirklich die Geschichte und Kultur New Mexikos stark beeinflußt. 2. Meine Empfindungen gegenüber euch lassen sich mit den Worten des hl. Paülus wiedergeben, der sagte: „Wir danken Gott für euch alle, sooft wir in unseren Gebeten an euch denken; unablässig erinnern wir uns vor Gott, unserem Vater, an das Werk eures Glaubens, an die Opferbereitschaft eurer Liebe und an die Standhaftigkeit eurer Hoffnung auf Jesus Christus, unseren Herrn“ (1 Thess 1,2-3). Unsere Identität als Christen wurzelt in der Gabe des Glaubens. Wir haben Christus kennengelernt und glauben an ihn. Wir sind davon überzeugt, daß er der „Weg“, die Wahrheit und das Leben“ ist (Joh 14,6). So schätzen wir dieses 1014 REISEN Geschenk des Glaubens hoch und wissen genau, daß es behütet und entwickelt, gestärkt und mit anderen geteilt werden muß. Wir müssen unseren Glauben in Liebe leben und ihn in allen Bereichen unseres täglichen Lebens praktizieren. Dieses kostbare Geschenk ist ausschlaggebend dafür, wie wir unsere Zukunft sehen. Je tiefer unsere Liebe zu Christus ist, desto mehr Vertrauen müssen wir in Gottes vorsorgliche Vorsehung für uns, unsere Lieben und die Zukunft der Welt setzen. Im Brief an die Hebräer heißt es „Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht“ (Hebr 11,1). Liebe Brüder und Schwestern im Herrn, laßt uns deshalb „alle Last und die Fesseln der Sünde abwerfen. Laßt uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der uns aufgetragen ist, und dabei auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens“ {Hebr 12,1-2). Der Herr stärke euch alle und erfülle euch mit Liebe und Freude! Gott segne New Mexiko! Entwicklung muß zum Wohl des Menschen beitragen Grußwort von der St. Mary’s Basilika in Phoenix (U.S.A.) am 14. September Liebe Freunde! 1. Mit brüderlicher Hochachtung richte ich an euch alle, die Bewohner von Phoenix und dem amerikanischen Südwesten, meine Grüße und wünsche euch Freude und Frieden. Ihr habt mich mit offenen Armen willkommengeheißen, und ich danke euch für eure äußerst herzliche Gastfreundschaft. In spanischer Sprache sagte der Papst: In besonderer Weise möchte ich heute unsere spanischsprechenden Brüder und Schwestern grüßen. Eure Gastfreundschaft ist eine Erinnerung an die große Kraft, Vitalität und Hochherzigkeit, die eure Gemeinschaft in die Vereinigten Staaten mitgebracht hat, und ich fordere euch auf, euch noch enger eurer Kirche anzuschließen und sie mit dem Bekenntnis und der gewissenhaften Ausübung eures Glaubens — dem Glauben von Pionieren, Missionaren und Märtyrern — zu bereichern. Lang lebe Unsere Liebe Frau von Guadalupe! 1015 REISEN In englischer Sprache sagte der Papst: 2. Durch eine glückliche Fügung der Vorsehung fallt mein Besuch in Arizona mit dem 75. Jahrestag der Eigenstaatlichkeit von Arizona zusammen. Bei dieser glücklichen. Gelegenheit entbiete ich euch allen meine besten Grüße und Glückwünsche. Wie der ganze amerikanische Südwesten, so steht Arizona vor erstaunlich großen Herausforderungen. Man sagt mir, das Motto eures Staates sei „Ditat Deus“ (Gott macht reich). Und in der Tat findet ihr rund um euch zahlreiche Beweise für diesen Reichtum: in der Majestät und Schönheit eurer Landschaft und zumal in der Verschiedenheit und Begabung eurer Menschen. Euer Staat und die ständig wachsende Zahl seiner Bürger sind von Gott großzügig gesegnet und bereichert worden. Besonders in den vergangenen vierzig Jahren habt ihr bemerkenswerte Fortschritte gemacht und euch gut entwickelt. Das aber bringt auch wachsende Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten mit sich. 3. Mein Besuch in Arizona fällt mit einem weiteren Gedächtnisjahr zusammen. Vor zwanzig Jahren hat Paul VI. seine wichtige Enzyklika Populorum progressio veröffentlicht, ein Dokument mit tiefer Einsicht über das Thema einer echten menschlichen Entwicklung im Licht des Evangeliums Jesu Christi. Obwohl zwei Jahrzehnte seit dem ersten Erscheinen der Enzyklika verflossen sind, bleibt ihre Botschaft heute wie damals herausfordernd und prophetisch. Ein fundamentaler Grundsatz, den Papst Paul herausstellte, besagt, daß eine wirklich echte Entwicklung zum Wohl der ganzen Person beitragen muß (vgl. Populorum progressio, Nr. 14). So darf Entwicklung niemals auf wirtschaftliche Expansion oder auf Werte rein zeitlicher Ordnung ausgerichtet sein. Letztlich steht das Wohlergehen von Personen auf dem Spiel in allen geistigen und physischen Dimensionen ihres Menschseins; eingeschlossen die moralischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Aspekte. Bemühungen im Dienst der Entwicklung müssen daher vom Bemühen um einen transzendenten Humanismus begleitet sein, der sich auf Gott hin orien: tiert. Das Motto eures Staates Arizona zeigt treffend den Grund dafür auf: Gott macht reich. Ja, Gott allein ist die Quelle alles Guten. Gott allein ist der Schöpfer aller Dinge. Der heilige Apostel Paulus hat einmal gesagt: „Gott gibt allen das Leben, den Atem und alles ... In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17,25-28). Soll sie echt sein, muß Entwicklung auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen hinzielen und zugleich einen transzendenten Humanismus fördern, der die Oberhoheit Gottes anerkennt. 1016 REISEN 4. Seiner Natur nach reicht echt menschlicher Fortschritt über sich hinaus und kann nicht auf sich selber beschränkt werden. Er muß immer mehr Menschen in seinen Einfluß einbeziehen. Jeglicher Fortschritt, der nur die Besserstellung einer kleinen Elite sichert, auf Kosten der größeren Menschheitsfamilie, wäre irrig und verfälscht. Es wäre eine Verfehlung gegenüber den Forderungen der Gerechtigkeit und eine Beleidigung der Würde eines jeden menschlichen Wesens. In dieser Hinsicht sind die folgenden Worte Papst Paul VI. immer noch wahr: „Für Nationen und einzelne ist Geiz die klarste Form moralischer Unterentwicklung“ (Populorumprogressio, Nr: 19) . Und deswegen betonte er die Notwendigkeit eines Geistes menschlicher Solidarität, der alle Entwicklungsbe-mühungen begleiten muß. Die Versuchung zum Geiz ist gewiß nicht auf eine bestimmte Nation oder eine Gruppe von Menschen beschränkt. Sie ist tatsächlich ein Teil und ein Stück unseres gemeinsamen Menschseins, das ständiger Bekehrung bedarf. Und doch, trifft diese Versuchung nicht mächtiger jene, die einen größeren Anteil an den materiellen Gütern dieser Erde erhalten haben? Das Zweite Vatikanische Konzil der katholischen Kirche stellt unzweideutig fest: „Es ist eine schwere Verpflichtung der hochentwickelten Länder, den aufstrebenden Völkern bei der Erfüllung der genannten (Entwicklungs)-Auf-gaben zu helfen“ {Gaudium et spes, Nr. 86). Diese Worte gelten besonders für die Menschen von Arizona und der ganzen Vereinigten Staaten, die Gott so reich gesegnet hat. Indem ihr dankbar auf den hohen Lebensstandard schaut, dessen sich viele von euch erfreuen, wenigstens verglichen mit dem Rest der Welt, möge euer Herz sich auch den weniger Wohlhabenden zu wenden. Mögen eure Herzen und Hände offen sein für die Armen — in eürer eigenen Gesellschaft und in den Entwicklungsländern der Welt. So wie Gott euch reich macht, so könnt ihr Werkzeuge der Bereicherung für andere werden. 5. Die Christen unter uns gewinnen Anregung für diese Aufgabe aus den Worten und dem Beispiel unseres Herrn Jesus Christus. Obwohl er Gott ist, erniedrigte er sich selber, nahm unsere Menschheit an und wurde uns in allem gleich außer der Sünde (vgl. Phil 2,5-11; Hebr 4,15). So knüpfte er ein Band unverbrüchlicher Solidarität mit jedem menschlichen Wesen. In ihm ist unser Menschsein geheiligt und für immer mit Gott verbunden. In spanischer Sprache sagte der Papst: In seinem öffentlichen Leben sehen wir, wie Jesus kam, um zu dienen, und nicht, um bedient zu werden. Eines der Zeichen seiner Sendung war seine 1017 REISEN Predigt des Evangeliums für die Armen (vgl. Mt 11,2-5), und er zeigte im täglichen Leben eine besondere Vorliebe für die Armen und Leidenden. Wir sind daher überzeugt, daß — folgen wir der Lehre und dem Beispiel unseres geliebten Herrn — wir uns enger untereinander geeint finden, verbunden vor allem mit den Notleidenden, und jene transzendente Dimension des Lebens erfahren werden, die nur in Vereinigung mit Gott erreicht werden kann. In englischer Sprache sagte der Papst: Liebe Freunde! Ich habe mit euch heute über die Entwicklung gesprochen, weil ich wie Papst Paul VI. in unserem hoch technisierten Zeitalter überzeugt bin: „Der neue Name für Frieden heißt Entwicklung“ (vgl. Populorum pro-gressio, Nr. 87). Wollen wir daher die Ruhe der Ordnung in unserer Welt fördern, so müssen wir uns nach Kräften einsetzen für jene echte Entwicklung, die zum Wohl jeder Person und überall in allen Dimensionen des menschlichen Lebens beiträgt. Aus diesem Grand appelliere ich an Amerika für menschliche Solidarität über dieses ganze Land hin und weit über seine Grenzen hinaus. Dies ist der Gipfel wahren Fortschritts; dies der Maßstab wahrer Größe; dies die Vorbedingung für echten und dauerhaften Frieden für Amerika und die Welt! Gott segne Arizona! Gott segne euch alle! Ditat Deus! Krankheit — Grundproblem der menschlichen Existenz Begegnung mit Vertretern der katholischen Gesundheitsfürsorge in Phoenix (U.S.A.) am 14. September Liebe Brüder und Schwestern, Führungskräfte der katholischen Gesundheitsfürsorge! 1. In der Freude und im Frieden unseres Herrn lesus Christus grüße ich euch und danke euch für euer herzliches Willkommen, Diese Begegnung bietet uns Gelegenheit, Gott die Ehre zu geben und ihm für eins der ausgedehntesten und grundlegenden Werke der katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten zu danken — für all das, was mit dem Namen „Katholische Gesundheitsfürsorge“ gemeint ist. Es freut mich, daß ich euch, den Vertretern so vieler Organisationen der Gesundheitsfürsorge dieses Landes die Hochachtung, Unterstützung und Solidarität der ganzen Kirche aussprechen kann. In euch führt Jesus Christus seinen Heilungsdienst weiter, heilt „im Volk alle Krankheiten und Leiden“ (Mt 4,23). 1018 REISEN Dies macht die hohe Würde aus, zu der ihr und eure Kollegen und Kolleginnen berufen seid. Hier liegt eure Berufung, eure Verpflichtung und der Weg eures besonderen Zeugnisses für die Gegenwart des Reiches Gottes in der Welt. Euer Gesundheitsdienst, von weiblichen und männlichen Ordensgemeinschaften ins Leben gerufen und entwickelt, stellt eine der lebenswichtigsten Apostolatsformen der kirchlichen Gemeinschaft dar und zugleich einen der bedeutsamsten Dienste, die die katholische Kirche der Gesellschaft im Namen Jesu Christi anbietet. Mir wurde gesagt, daß sich die Mitgliedschaft im katholischen Gesundheitsverband auf 620 Hospitäler und 300 Langzeitpfle-ge-Einrichtungen erstreckt; daß die Betten in katholischen Hospitälern 11 % der Gesamtzahl im Land ausmachen; daß katholische Institutionen etwa 17 % der Gesundheitsbetreuung im ganzen Land tragen, und daß sie im vergangenen Jahr fast 46 Millionen Menschen behandelt haben. Ich bin Sr. Mary Ei-leen Wilhelm und eurem Präsidenten Mr. Curley dankbar, daß sie uns dieses unermeßliche Netz christlicher Dienstleistungen erläutert haben. 2. Wegen eurer hingebungsvollen Sorge für die Kranken und Armen, die Alten und Sterbenden, wißt ihr aus eurer eigenen täglichen Erfahrung, wie sehr Krankheit und Leiden Grundprobleme der menschlichen Existenz sind. Als die Kranken Jesus während seines irdischen Lebens zuströmten, erkannten sie in ihm einen Freund, dessen tief mitleidendes und liebevolles Herz auf ihre Nöte eine Antwort gab. Vielen gab er die physische und geistige Gesundheit zurück. Er wirkte aber auch prophetische Zeichen seiner eigenen Identität und für das kommende Reich Gottes, und sie verursachten im Geheilten sehr oft ein neues geistiges Erwachen. Die Kraft, die von Jesus ausging und Menschen seiner Zeit heilte (vgl. Lk 6,19), hat in der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche nichts von ihrer Wirksamkeit verloren. Diese Kraft bleibt im Leben und Gebet der Kirche eine Quelle der Heilung und der Versöhnung. Immer aktiv, bestätigt diese Kraft die Identität der heutigen Kirche, gibt ihrer Verkündigung des Reiches Gottes den Stempel der Echtheit und steht da als ein Zeichen des Sieges über das Böse. Bei aller katholischen Gesundheitsfürsorge bleibt das unmittelbare Ziel die Sorge für Leib und Geist des Menschen, vor allem in Krankheit und Alter. Christus lehrte den Christen durch sein Beispiel, „durch das Leiden Gutes zu wirken und dem Gutes zu tun, der leidet“ (Salvifici doloris, Nr. 30). Dieser letzte Aspekt beansprucht natürlich den Großteil der Energie und Aufmerksamkeit im Gesundheitsdienst. Heute dehnt die katholische Gesundheitsfürsorge in den Vereinigten Staaten die Sendung der Kirche in jedem Staat der USA aus, in größeren und kleineren Städten, in ländlichen Gebieten, in Bereichen akademischer Institute, auf fernen Außenposten und in der Nachbar- 1019 REISEN schaft der Innenstädte. Wenn ihr an all diesen Orten Gesundheitsbetreuung anbietet, vor allem den Armen und Verlassenen, den Notleidenden und Neuankömmlingen, dann durchdringt euer Apostolat das ganze Gefüge der amerikanischen Gesellschaft und formt es um. Und zuweilen müßt ihr euch auch selbst wie jene, denen ihr dient, in demütiger und liebevoller Ergebenheit der Erfahrung der Krankheit beugen oder andere Formen des Schmerzes und des Leidens auf euch nehmen. 3. Alle Sorge für Kranke und Leidende ist ein Teil des Lebens und der Sendung der Kirche. Die Kirche hat sich immer als von Christus mit der Sorge für die Armen und Schwachen, die Schutzlosen, die Leidenden und Trauernden beauftragt angesehen. Das bedeutet: wenn ihr das Leiden lindert und zu heilen sucht, gebt ihr zugleich Zeugnis von der christlichen Sicht des Leidens, vom Sinn des Lebens und des Todes, wie es euer christlicher Glaube lehrt. In der komplizierten Welt moderner Gesundheitsbetreuung in der industrialisierten Gesellschaft muß dieses Zeugnis auf verschiedene Weise gegeben werden. An erster Stelle erfordert es ständiges Bemühen, den Zugang aller zur Gesundheitsbetreuung sicherzustellen. Ich weiß, daß ihr diese Frage bereits im Bericht eurer Sondergruppe für die Gesundheitsbetreuung der Armen gestellt habt. Wenn ihr versucht, alle Patienten unabhängig von ihrer sozialen und wirtschaftlichen Stellung gleich zu behandeln, verkündet ihr euren Mitbürgern und der Welt die bevorzugte Liebe Christi für die Vernachlässigten und Machtlosen. Diese besondere Herausforderung ist eine Auswirkung eurer christlichen Hingabe und Überzeugung, und es erfordert großen Mut von seiten katholischer Körperschaften und Institute, die auf dem Gebiet der Gesundheitsbetreuung arbeiten. Es spricht sehr für euren Eifer und euer wirksames Eingreifen, wenn es euch trotz erheblicher Kosten zu vermeiden gelingt, daß beim menschlichen und christlichen Dienst der wirtschaftliche Faktor ausschlaggebend wird. ■ Ähnlich besitzen die Liebe, mit der katholischen Gesundheitsfürsorge ausgeübt wird und ihr fachkundiger Rang den Wert eines Zeichens, das das christliche Menschenbild bezeugt. Die unveräußerliche Würde jedes Menschen ist natürlich grundlegend für jede katholische Gesundheitsfürsorge. Alle, die hilfesuchend zu euch kommen, sind der Achtung und Liebe wert, weil alle nach dem Abbild Gottes geschaffen sind. Alle wurden von Christus erlöst und tragen in ihren Leiden sein Kreuz. So paßt es gut, daß unsere Begegnung am Fest Kreuzerhöhung, stattfindet. Christus nahm alles menschliche Leiden auf sich und wandelte es durch das Paschamysterium seines Leidens, seines Todes und seiner Auferstehüng radikal um. Der Triumph des Kreuzes schenkt dem menschlichen Leiden eine neue Dimension, einen erlöserischen Wert (vgl. 1020 REISEN Salvifici doloris, Nr. 24). Es ist euer Vorrecht für diese tiefe Wahrheit in so vielfacher Weise ständig Zeugnis zu geben. Die strukturellen Wandlungen, die in der katholischen Gesundheitsfürsorge in den letzten Jahren erfolgt sind, haben die Herausforderung vergrößert, die katholische Identität der Institutionen und die geistliche Qualität der angebotenen Dienste zu erhalten und zu verstärken. In der Vergangenheit hat die Gegenwart weiblicher und männlicher Ordensleute in Hospitälern und Genesungsheimen diese für die katholischen Zentren der Gesundheitsfürsorge so charakteristische geistliche Dimension sichergestellt und sie tut es noch heute. Die verminderte Zahl von Ordensleuten und neue Formen des Eigentumsrechtes und der Verwaltung sollten nicht zu einem Verlust geistlicher Atmosphäre oder zu einem Verlust des Sinns für die Berufung zur Krankenbetreuung führen. Dies ist ein Gebiet, auf dem die katholischen Laien auf allen Ebenen der Gesundheitsfürsorge eine Gelegenheit haben, die Tiefe ihres Glaubens zu erweisen und in der Sendung der Kirche zur Evangelisierung und zum Dienen ihre eigene besondere Rolle zu spielen. Die Kirche hat einen Auftrag flir Leib und Seele des Menschen 4. Wie gesagt, muß katholische Gesundheitsfürsorge immer innerhalb der Heilssendung der Kirche erfolgen. Diese Sendung hat sie von ihrem göttlichen Stifter empfangen, und sie hat sie mit Hilfe des Heiligen Geistes, der sie in die volle Wahrheit einführt, die Zeiten hindurch erfüllt (vgl. Joh 16,13; Lumen gentium, Nr. 4). Euer Dienst muß daher die Sendung der Kirche als Lehrerin der moralischen Wahrheit widerspiegeln, vor allem in Hinsicht auf die neuen Fronten der wissenschaftlichen Forschung und der technologischen Entwicklung. Auch hier steht ihr vor großen Herausforderungen und Gelegenheiten. In den letzten Jahren hat die Kirche mehrfach Themen im Zusammenhang mit dem Fortschritt der biomedizinischen Technik behandelt. Sie tut das nicht, um den wissenschaftlichen Fortschritt zu verhindern oder um jene scharf zu verurteilen, die die Grenzen des menschlichen Wissens und Könnens ausdehnen wollen, sondern um die moralischen Wahrheiten zu bekräftigen, die die Anwendung dieses Wissens und Könnens leiten müssen. Letztlich besteht das Anliegen der kirchlichen Lehre auf diesem Gebiet im Schutz der angeborenen Würde und der fundamentalen Rechte des Menschen. Hier muß die Kirche die Notwendigkeit betonen, das Leben und die Integrität des menschlichen Embryos und Fötus zu schützen. 1021 REISEN 5. Die menschliche Person ist eine einzigartige Zusammenstellung — eine Einheit von Geist und Materie, von Seele und Leib, nach dem Bild Gottes gestaltet und zum ewigen Leben bestimmt. Jedes menschliche Leben ist heilig, weil jeder Mensch heilig ist. Im Licht dieser grundlegenden Wahrheit verkündet und verteidigt die Kirche immerfort die Würde des menschlichen Lebens vom Augenblick seiner Empfängnis an bis zum Augenblick des natürlichen Todes. Im Licht dieser grundlegenden Wahrheit sehen wir auch das große Übel der Abtreibung und der Euthanasie. Noch vor kurzem hat die Kongregation für die Glaubenslehre in ihrer Instruktion über die Achtung vor dem beginnenden Leben und die Würde der Fortpflanzung erneut einige lebenswichtige, den Menschen betreffende Fragen behandelt. Erneut hat sie die Heiligkeit des unschuldigen menschlichen Lebens vom Augenblick der Empfängnis an betont. Erneut hat sie den heiligen und unverletzlichen Charakter der Übertragung menschlichen Lebens durch den Zeugungsakt innerhalb der Ehe bekräftigt. Sie hat erklärt, daß neue Techniken neue Wege der Zeugung eröffnen mögen, doch „was technisch möglich ist, ist nicht auch deshalb schon moralisch annehmbar“ (Einleitung, Nr. 4). Stellt man neues menschliches Wissen in den Dienst des integralen Wohlbefindens des Menschen, so wird dadurch echter wissenschaftlicher Fortschritt nicht behindert, sondern befreit. Die Kirche ermuntert alle echten Fortschritte des Wissens, sie besteht aber auch auf der Heiligkeit des menschlichen Lebens in jedem Entwicklungsstadium und unter allen Umständen. Die Sache, der sie dient, ist die Sache des menschlichen Lebens und der menschlichen Würde. 6. In der Ausübung eurer beruflichen Tätigkeiten habt ihr eine herrliche Gelegenheit, durch euer ständiges Zeugnis für die moralische Wahrheit zur Bildung der moralischen Einstellung der Gesellschaft beizutragen. Da ihr in Erfüllung eurer christlichen Verantwortung euer Bestes gebt, seid ihr euch auch des wichtigen Beitrages bewußt, den ihr für den Aufbau einer auf Wahrheit und Gerechtigkeit gegründeten Gesellschaft leisten müßt. Euer Dienst an den Kranken befähigt euch, der Welt mit großer Glaubwürdigkeit die Forderungen und Werte des Evangeliums Jesu Christi zu verkünden sowie die Hoffnung und die Erneuerung des Herzens zu fordern. Hier ist euer Bemühen um die katholische Identität eurer Arbeit und eurer Einrichtungen nicht nur zeitgemäß und empfehlenswert; es ist für den Erfolg eurer kirchlichen Sendung notwendig.Ihr müßt euch und eure Arbeit immer als Teil des Lebens und der Sendung der Kirche sehen, denn ihr seid in der Tat ein ganz besonderer Teil des Volkes Gottes. Ihr und eure Einrichtungen tragen eine ganz bestimmte Verantwortung für die Gemeinschaft der Kirche, ebenso wie diese Gemeinschaft 1022 REISEN euch gegenüber Verantwortung trägt. Auf jeder Ebene — der nationalen, staatlichen und örtlichen — bleiben enge und harmonische Bande zwischen euch und den Bischöfen wichtig, die „an Gottes Stelle der Herde (vorstehen), deren Hirten sie sind, als Lehrer in der Unterweisung, als Priester im heiligen Kult, als Diener in der Leitung“ (Lumen gentium, Nr. 20). Sie möchten euch ihrerseits in eurem Zeugnis und Dienst unterstützen. 7. Ich bin heute hergekommen, um euch in eurer herrlichen Arbeit zu ermuntern und euch in eurem lebenswichtigen Apostolat zu bestärken. Liebe Brüder und Schwestern: zu eurer Hingabe beim Beheben der gesundheitlichen Nöte aller Menschen, besonders der Armen, gratuliere ich euch von Herzen. Ihr verkörpert das Vermächtnis jener bahnbrechenden Ordensfrauen und -män-ner, die durch den Aufbau eines weitgespannten Netzes von Kliniken, Hospitälern und Heilstätten selbstlos den Erfordernissen des Gesundheitswesens eines jungen und sich rasch ausdehnenden Landes begegnet sind. Heute steht ihr vor neuen Herausforderungen und Nöten. Eine davon ist die gegenwärtige Krise unermeßlichen Ausmaßes, die durch AIDS und die damit verbundenen Probleme (ARC) hervorgerufen wird. Neben eurem berufsmäßigen Beitrag und eurem menschlichen Empfinden für alle von dieser Krankheit Betroffenen, seid ihr aufgerufen, die Liebe und das Mitleid Christi und seiner Kirche sichtbar zu machen. Wenn ihr mutig eure moralische Verpflichtung und eure soziale Verantwortung zur Hilfe der Leidenden wahrnehmt, lebt ihr einzeln und kollektiv das Gleichnis vom Guten Samariter (vgl. Lk 10,30-32). Der Gute Samariter im Gleichnis zeigte Mitleid mit dem schwerverletzten Mann. Indem er ihn zur Herberge mitnahm und seine eigenen materiellen Mittel opferte, gab er wirklich etwas von sich selbst. Dieses Tun wurde als allumfassendes Symbol menschlicher Fürsorge eines der wesentlichen Elemente der moralischen Kultur und Zivilisation. Wie schön spricht der Herr vom Samariter! Er „hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde“ {Lk 10,36). Nächster sein bedeutet Liebe, Solidarität und Dienstbereitschaft zeigen, dagegen Selbstsucht, Diskriminierung und Nachlässigkeit ausschließen. Die Botschaft des Gleichnisses vom Guten Samariter spiegelt eine Wirklichkeit wider, die mit dem heutigen Fest Kreuzerhöhung verbunden ist: „Die Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Retters, (ist) erschienen ... damit wir durch seine Gnade gerecht gemacht werden und das ewige Leben erben, das wir erhoffen“ {Tit 3,4-7). In der sich wandelnden Welt der Gesundheitsfürsorge ist es eure Aufgabe, daß diese „Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Retters“, Herz und Seele der katholischen Gesundheitsdienste bleiben. 1023 REISEN Durch Gebet und mit Gottes Hilfe bleibt eurer Aufgabe treu, bietet jenen fachkundige Hilfe und selbstlose persönliche Fürsorge an, die eure Dienste nötig haben. Ich bete, daß eure Tätigkeit und euer ganzes Leben alle Menschen Amerikas anregt und ihnen hilft zusammenzuarbeiten, damit diese Gesellschaft ein Ort voller und absoluter Achtung vor der Würde einer jeden Person wird, vom Augenblick ihrer Empfängnis an bis zu ihrem natürlichen Tod. Und möge Gott, in dem „wir leben, uns bewegen und sind“ {Apg 17,28), euch mit seiner Gnade stärken. Gott segne euch und eure Familien und euren Beitrag für Amerika! ■ Die Kirche hat den Auftrag der Apostel geerbt Besuch in der Kathedrale Sankt Simon und Judas in Phoenix (US. A.) am 14. September Lieber Bischof O’Brian! Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Es ist für mich eine Freude, zur St.-Simon- und Judas-Kathedrale zu kommen und bei euch zu sein, die ihr die Ortskirche in Phoenix bildet. Dieses Haus des Gebetes und der Verehrung, diese Mutterkirche der Diözese, ist nach zwei der zwölf Apostel benannt, zwei Männer mutigen Glaubens, die von unserem auferstandenen Retter persönlich den Auftrag erhalten haben, das Evangelium bis an die Enden der Erde zu verkünden. Jesus sagte zu ihnen und zu den übrigen der Zwölf: „Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ {Mt 28, 19-20). Simon und Judas gingen mit ganzem Herzen auf diese Aufforderung ein und bemühten sich den Rest ihres Lebens darum, daß allen Menschen „der freie und sichere Weg zur vollen Teilhabe am Christusgeheimnis eröffnet“ würde {Ad gentes, Nr. 5). Die Kirche hat, da sie auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut ist (vgl. Eph 2,20), den gleichen Auftrag geerbt, den Jesus zuerst den Zwölf anvertraute. Die Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch, „da sie selbst ihren Ursprung aus der Sendung des Sohnes und der Sendung des Heiligen Geistes herleitet gemäß dem Plan Gottes des Vaters“ {Ad gentes, Nr. 2). Sie hat die Ehre und das Vorrecht und auch die Pflicht, die Gute Nachricht der Erlösung allen Nationen, jedem Menschen zu bringen. Wie die Bischöfe der Ver- 1024 REISEN einigten Staaten im letzten November in ihrer pastoralen Stellungnahme zur Weltmission sagten: „Wir sind in dem Maße dem Wesen der Kirche ergeben, wie wir ihre missionarische Tätigkeit lieben und aufrichtig unterstützen.“ (7b the Ends ofthe Earth, Nr. 2). 2. Die Kirche in Phoenix ist wie jede andere örtliche Kirche eine Frucht der Evangelisierung. Das Evangelium wurde zuerst vor dreihundert Jahren von dem berühmten Jesuitenmissionar Pater Eusebio Kino nach Arizona gebracht, der auch als der „Apostel von Sonora und Arizona“ bekannt ist. Mit großen persönlichen Opfern arbeitete Pater Kino daran, überall in dieser Gegend Missionen aufzubauen, damit die Gute Nachricht über unseren Herrn Jesus Christus bei den hier lebenden Menschen Fuß fassen könnte. ■ Und das Evangelium faßte Fuß, und zahlreiche andere Missionare kamen nach Pater Kino, um die Bemühungen um die Evangelisierung fortzusetzen. Der eifrigste unter ihnen war vielleicht der Franziskaner Francisco Garces. Mit besonderer Liebe zu den Indianern versuchte er, ihnen das Evangelium in einer ihrer Kultur angepaßten Weise vorzustellen; gleichzeitig bestärkte er sie darin, untereinander in Eintracht und Frieden zu leben. So vollkommen war sein Leben nach dem unseres Herrn ausgerichtet, daß er seine Arbeit hier beendete, indem er sein Blut für das Evangelium vergoß. Die missionarischen Bemühungen wurden über die Jahre hin fortgesetzt, und die Kirche etablierte sich fest in Arizona. Die reiche Frucht dieser Evangelisierung ist heute in der schnell wachsenden Diözese Phoenix und in den sich ausbreitenden Diözesen in der Umgebung sichtbar. Das Evangelium hat hier wirklich Fuß gefaßt und Frucht in Fülle hervorgebracht. 3. Und dennoch ist die Arbeit der Evangelisierung nicht beendet. Auf der Erde wird sie niemals zu Ende kommen. In der Tat bleibt so viel zu tun. Laßt uns nicht die Worte des Zweiten Vatikanischen Konzils vergessen, „der missionarischen Tätigkeit als der wichtigsten und heiligsten Aufgabe der Kirche besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden (Adgentes, Nr. 29). Die Pflicht, diese Arbeit weiterzuführen, bleibt der ganzen Kirche und jedem Mitglied der Kirche. Die Kirche braucht am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts viel mehr Missionare mit der Begeisterung Pater Kinos und Pater Garces, Menschen mit heldenhaftem Glauben wie den Heiligen Isaac Jogues, den Heiligen John Neumann und den Heiligen Frances Cabrini, Menschen, die bereit sind, ihre Heimat zu verlassen, um die Botschaft der Erlösung zu Menschen anderer Länder zu bringen, vor allem zu jenen, die nie das Wort Gottes gehört haben. Wer wird diesen Mangel ausfüllen? Immer noch haben zwei Drittel der Weltbevölkerung das Evangelium nicht gehört. Wer wird Gottes Ruf zur Mission 1025 REISEN am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts folgen? Jesus sagt: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig“ {Mt 10,37). Wir müssen seiner würdig sein. Nicht jeder wird aufgefordert, sein Zuhause und die geliebten Menschen für diese Aufgabe zu verlassen, aber alle sind aufgefordert, ihre Last zu tragen, ihren Teil zu tun. Wie die amerikanischen Bischöfe so gut gesagt haben: „Der große Auftrag Jesu an die ersten Jünger richtet sich nun an uns ... Dieser Auftrag für die Menschen aller Nationen muß uns alle persönlich angehen, in unseren Pfarrgemeinden und auf den diözesanen und weltweiten Ebenen der Kirche“ (To the Ends ofthe Earth, Nr. 3). Die Missionare in fremden Ländern haben unsere Unterstützung durch das Gebet und unsere materielle Hilfe verdient. Die amerikanischen Katholiken waren in der Vergangenheit besonders großzügig: diese Hochherzigkeit und dieses Interesse zeigt eure aufrichtige missionarische Einstellung. Der Brauch von Partnerschaften zwischen amerikanischen Pfarrgemeinden oder Bistümern und denen in Afrika und Asien hat viel Nutzen gebracht. Mit Dankbarkeit lobe ich euch, und im Namen der Weltkirche bitte ich euch, mit eurer Hilfe und euren Gebeten fortzufahren. Große Hilfe wurde den Missionsstationen von den Missionswerken wie der „Society for the Propagation of Faith“ und der „Association for the Holy Childhood“ zuteil. Genausowenig dürfen wir jemals die hochherzige missionarische Arbeit vergessen, die jahrzehntelang von religiösen Instituten und Missionsgesellschaften ausgeführt wurde oder auch von den großmütigen Fidei Donum — Priestern und Laienmissionaren. Die Belohnung jener, die alles geopfert haben, um das Evangelium zu verbreiten, wird im Himmel groß sein. 4. Liebe Brüder und Schwestern: der Hebräerbrief sagt uns, daß Gott der Vater es für angemessen hielt, daß er Christus, unseren Führer im Heilswerk, „durch Leiden vollendete“ {Hebr 2,10). Ähnlich führte er die Apostel Simon und Judas durch Leiden und Märtyrertum zur Vollendung in der Ewigkeit. Zu jeder Zeit vollendet Gott seine Auserwählten durch Leiden und bringt sie so zur Fülle des Lebens und der. Glückseligkeit, indem er ihnen auf Erden einen Teil des Kreuzes Christi gibt. Es ist leicht zu verstehen, daß Gottes Plan für uns den Weg des Heiligen Kreuzes geht; denn so war es für Jesus und seine Apostel. Brüder und Schwestern: seid nie überrascht, euch unter dem Schatten des Kreuzes zu finden. Das christliche Leben hat seine ganze Bedeutung in der Liebe, aber Liebe existiert für uns nicht ohne Mühe, Disziplin und Opfer in jeder Lage unseres Lebens. Wir sind in dem Maße bereit zu geben, wie wir lieben, und wenn die Liebe 1026 REISEN vollkommen ist, ist das Opfer vollendet. Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, und der Sohn hat uns so sehr geliebt, daß er sein Leben für unsere Erlösung hingab. An diesem Tag, an dem alle Katholiken auf der Welt den Triumph des Kreuzes feiern, lädt die Kirche uns ein, wieder einmal die Bedeutung unserer christlichen Jüngerschaft zu betrachten, die Opfer zu verstehen, die sie beinhaltet, und unsere ganze Hoffnung in unseren gekreuzigten und auferstandenen Retter zu legen. O triumphierendes Kreuz Christi, begeistere uns dafür, das Werk der Evangelisierung fortzusetzen! O glorreiches Kreuz Christi, stärke uns dafür, das Evangelium der Erlösung zu verkünden und zu leben! O siegreiches Kreuz Christi, unsere einzige Hoffnung, führe uns in die Freude und den Frieden der Auferstehung und des ewigen Lebens! Amen. Alle gehören einer Familie an Ansprache an die Ureinwohner Amerikas in Phoenix (U.S.A.) am 14. September 1. Ich habe mich sehr auf diesen Besuch bei euch, den Ureinwohnern dieses weiten Landes, gefreut und möchte euch sagen, wie es mich froh stimmt, unter euch einen eurer zur Bischofsweihe erhobenen Söhne, Bischof Pelotte, vorzufinden. Ich begrüße euch voller Liebe und Achtung. Ich danke euch für eure Einladung und dafür, mit mir einige Aspekte eurer reichhaltigen und alten Kultur teilen zu wollen. Ich habe mir eure Sorgen und Erwartungen angehört. Während der Rede eurer Repräsentanten ließ ich in meinem Geist die Geschichte eurer Stämme und Völker vorbeiziehen. Ich sah in euch die edlen Nachkommen zahlloser Generationen von Bewohnern dieses Landes, deren Lebensanschauung von großer Achtung für die natürlichen Ressourcen von Land und Fluß, Wald, Ebene und Wüste geprägt war. Hier pflegten eure Vorfahren ihre Bräuche und Traditionen, ihre Geschichte und ihren Lebensstil und versuchten, sie an die kommenden Generationen weiterzugeben. Hier verehrten sie den Schöpfer und dankten ihm für seine Gaben. Im Kontakt mit den Naturkräften lernten sie den Wert des Gebetes, des Schweigens, des Fastens, der Geduld und des Mutes — angesichts von Schmerz und Enttäuschung. 1027 REISEN 2. Das frühzeitige Zusammenprallen eurer überlieferten Kultur mit dem eu- ropäischen Lebensstil war ein solch bedeutungsvolles Ereignis und brachte eine solche Änderung mit sich, daß sie selbst heute noch euer gesamtes Leben tief beeinflußt. Dieser Zusammenstoß war für euer Volk hart und schmerzlich. Die kulturelle Unterdrückung, die Ungerechtigkeiten, die Zerrissenheit in eurem Leben und in eurer althergebrachten Gesellschaft muß zur Kenntnis genommen werden. _ Gleichzeitig aber muß — der Objektivität wegen — die Geschichte die äußerst positiven Aspekte aufzeigen, die eurem Volk durch diese Begegnung mit der europäischen Kultur zuteil wurden. Einer der positiven Aspekte, die ich ins Gedächtnis zurückrufen möchte, ist die Arbeit der vielen Missionäre, die tatkräftig die Rechte der Ureinwohner dieses Landes verteidigten. Sie gründeten in diesem südwestlichen Teil der Vereinigten Staaten Missionen. Sie arbeiteten mit für eine Verbesserung der Lebensbedingungen und gründeten Erziehungseinrichtungen, wofür sie eure Sprache lernen mußten. In erster Linie verkündeten sie die Frohbotschaft der Rettung durch unseren Herrn Jesus Christus — ein wesentlicher Teil dieser Lehre ist, daß alle Männer und Frauen als Kinder Gottes gleichwertig sind und als solche mit Respekt und Liebe behandelt werden müssen. Diese Lehre Jesu Christi ist heute und für alle Zeiten der größte Stolz und Besitz eures Volkes. 3. Ein Priester, der besondere Erwähnung unter den Missionaren verdient, ist der geliebte Fray Junipero Serra, der durch Süd- und Nordkalifornien zog. Er hatte häufig Meinungsverschiedenheiten mit den Zivilbehörden: der Behandlung der Indianer wegen. Im Jahre 1773 überreichte er dem Vizekönig von Mexiko City eine „Representation“, die manchmal „Gesetzesvorlage der Rechte“ für die Indianer genannt wird. Schon seit langem war die Kirche davon überzeugt, dieselben vor Ausbeutung schützen zu müssen. Im Jahre 1537 verkündete mein Vorgänger Paul III. bereits die Würde und Rechte der Ureinwohner Amerikas. Er bestand darauf, daß sie ihrer Freiheit und ihres Eigentumsrechts nicht beraubt werden dürften. (Pastorale Officium, 29. Mai 1537) . In Spanien wurde der Dominikaner Francisco de Vitoria der treue Verteidiger der Rechte der Indianer. Erlegte die Grundlage, auf der das internationale Gesetz für die Menschenrechte erstand. . . Unglücklicherweise lebten nicht alle Mitglieder der Kirche im Einklang mit ihrer christlichen Verantwortlichkeit. Doch wir wollen nicht allzulange bei den Irrtümem und dem Unrecht verweilen, da wir uns jetzt für die Überwindung der Nachwirkungen einsetzen. Seien wir auch all jenen dankbar, die in dieses Land kamen — treu Jesu Lehre, Zeugen seines neuen Gebotes der Liebe. Diese Männer und Frauen teilten mit großzügigem Herzen und Sinn ihr 1028 REISEN Wissen und ihre aus der eigenen Kultur übernommenen Kenntnisse ebenso wie ihr kostbarstes Erbe: ihren Glauben. Wir sind jetzt aufgerufen, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, und wir müssen — als Brüder und Schwestern in Christus — miteinander unseren Beitrag leisten für die Wiederversöhnung und Heilung. Aus früheren Fehlem lernen und echte Brüderlichkeit pflegen 4. Es ist Zeit, an die Gegenwart und Zukunft zu denken. In der heutigen Zeit erkennen die Menschen immer mehr, daß wir alle einer Familie angehören, dazu bestimmt, Seite an Seite zu gehen und zu arbeiten: in gegenseitigem Respekt, Verstehen, Vertrauen und Liebe. Innerhalb dieser Familie behält jedes Volk seine eigene Identität, bringt sie zum Ausdruck und bereichert die anderen: mit seiner Kultur, Tradition, seinem Brauchtum, seinen Erzählungen, durch Gesang, Tanz, Kunst und Kenntnisse^ Von Anfang an schenkte der Schöpfer seine Gaben allen Völkern. Es ist offenkundig, daß Klischees, Vorurteile, Fanatismus und Rassenhaß die menschliche Würde erniedrigen, die vom Schöpfer stammt und in Mannigfaltigkeit und Verschiedenartigkeit zum Ausdruck kommt. Ich ermutige euch, Ureinwohner der verschiedensten Stämme und Völker im Osten, Süden, Westen und Norden, eure Kultur, eure Sprache, eure Werte und Bräuche zu bewahren und zu erhalten. Sie waren euch in der Vergangenheit zum Nutzen und werden ein solides Fundament für die Zukunft sein. Eure Gebräuche, die verschiedene Epochen aus eurem Leben aufzeigen, eure Liebe zur Sippe, eure Achtung für die Würde und den Wert eines jeden Menschen — vom ungeborenen bis zum betagten —, die Mühe, die ihr euch gebt, das Land zu versorgen: all dies ist nicht nur euch selbst, sondern der ganzen Menschheit zum Nutzen. Eure Fähigkeiten können sogar noch mehr in der christlichen Lebensanschauung zur Geltung kommen. Das Evangelium Jesu Christi lebt in jedem Volk. Es bereichert, erhebt und läutert jede Kultur. Wir alle zusammen sind das Volk Gottes, der Leib Christi, die Kirche. Wir sollten alle dankbar sein für die wachsende Einheit, Gegenwart, die Meinungsäußerungen und Führerschaft der katholischen Ureinwohner Amerikas in der Kirche von heute. Jesus spricht vom Wort Gottes als dem Samen, der auf gutes Erdreich fallt und reiche Frucht hervorbringt (vgl. Mt 13,4 f.) Der Samen ist schon seit langem in die Herzen vieler unter euch eingepflanzt worden. Und er hat bereits Früchte hervorgebracht, die ihre umwandelnde Kraft klar aufzeigen: Früchte der Heiligkeit. Kateri Tekakwitha ist unter den Ureinwohnern Nordamerikas die bekannteste Zeugin christlicher Heiligkeit. Vor sieben Jahren durfte ich sie seligsprechen und sie der ganzen Kirche und der ganzen Welt als hervorra- 1029 REISEN gendes Beispiel christlichen Lebens hinstellen. Selbst als sie sich ganz Jesus Christus weihte — bis zur völligen Hingabe in einem Gelübde ewiger Jungfräulichkeit —, blieb sie immer, was sie war, eine echte Tochter ihres Volkes. Als solche folgte sie ihrem Stamm auf die Jagd und betete weiterhin in der Umgebung, die ihr am besten entsprach — vor einem rohen, selbstgeschnitzten Kreuz im Wald. Das Evangelium Jesu Christi — das große Geschenk der Liebe Gottes — steht nie im Widerspruch zu dem, was im Leben jeden Stammes oder jeden Volkes edel und rein ist, da alles Gute sein Geschenk ist. Das Evangelium vollendet die kulturellen Grundlagen. 5. Ich möchte gerne wiederholen, was ich bei der Begegnung mit Eingeborenen am Heiligtum in Sainte Anne de Beaupre während meines Besuches in Kanada im Jahre 1984 erwähnte: „Eure Begegnung mit dem Evangelium hat nicht nur euch bereichert, sondern sie hat die Kirche bereichert. Wir wissen wohl, daß das nicht ohne Schwierigkeiten und mitunter nicht ohne grobe Ungeschicklichkeiten vor sich gegangen ist. Doch heute macht ihr die Erfahrung, daß das Evangelium das, was das Beste in euch ist, nicht zerstört. Im Gegenteil, es befruchtet sozusagen von innen her die geistigen Vorzüge und Anlagen, die euren Kulturen eigen sind“ (O.R. dt., Nr. 38, 21. 9. 1984). Die Erklärung der amerikanischen Bischöfe über die Eingeborenen in Amerika bestätigt zu Recht, daß unser katholischer Glaube „innerhalb jeder Kultur, Nation, Rasse (gedeihen kann) und sich dennoch von keinem versklaven läßt“ (Erklärung vom 4. Mai 1977). Ich möchte die Ortskirchen dringend auffordern, wirklich „katholisch“ zu sein, indem sie sich den Eingeborenen zu wenden und ihnen Achtung und Wertschätzung für ihre Kultur und ihre wertvollen Traditionen entgegenbringen. Aus ihren Reihen ging ein Bischof hervor, zahlreiche Priester, viele Dia-kone, männliche und weibliche Ordensleute und führende Laien. Allen unter euch, die aktiv in kirchlichen Ämtern eingesetzt sind, möchte ich meine Dankbarkeit und Unterstützung zu erkennen geben. In unserer Kirche aber herrscht zur Zeit ein besonderer Mangel. Deshalb wende ich mich mit meiner Bitte direkt an euch, ganz besonders an euch, junge Eingeborene von Amerika, herauszufinden, ob Jesus euch zum Priestertum oder religiösen Leben berufen hat. Horcht auf ihn und folgt ihm nach! Er wird euch nie im Stich lassen! Er wird euch innerhalb der Kirche führen, damit ihr eurem eigenen Volk und den anderen auf die bestmögliche Art und Weise dient — mit Liebe und apostolischer Großzügigkeit. Gleichzeitig rufe ich eure katholischen Eingeborenen-Kommunitäten auf, dahinzuarbeiten, ihren Glauben und ihre Fähigkeiten miteinander zu teilen und 1030 REISEN zugunsten des ganzen Volkes zusammenzuarbeiten. Es muß vieles unternommen werden, um die gemeinsamen Probleme der Arbeitslosigkeit, des unzulänglichen Gesundheitswesens, des Alkoholismus und der Abhängigkeit von chemischen Präparaten zu lösen. Ihr habt jahrhundertelang sehr viel gelitten, und eure Schwierigkeiten sind noch nicht zu Ende. Setzt euren Weg zu wahrem menschlichen Fortschritt und zur Wiederversöhnung innerhalb eurer Stämme und Nationen fort! 6. Jesus sagte einmal: „Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten; ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Für die Eingeborenen in Amerika ist sicherlich die Zeit gekommen, ein neues Leben in Jesus Christus zu haben — das neue Leben der Gotteskinder mit all seinen Folgen: Ein Leben in Gerechtigkeit und menschlicher Würde! Ein Leben voll Stolz auf ihre eigenen wertvollen Traditionen; ein Leben in brüderlicher Solidarität untereinander und mit all ihren Brüdern und Schwestern in Amerika! Ein reichhaltigeres Leben in Liebe und Gnade, das zur Fülle des ewigen Lebens im Himmel führt! An alle Gewissen muß appelliert werden. Es gilt, wahre Ungerechtigkeiten aufzuzeigen und voreingenommene Stellungnahmen zu ändern. Doch die größte Herausforderung güt euch selbst, Ureinwohner von Amerika! Ihr müßt ständig wachsen in der Achtung vor eurer unveräußerlichen menschlichen Würde und vor den Gaben der Schöpfung und Erlösung, da diese auf euer Leben und das Leben eures Volkes Einfluß haben. Ihr müßt unaufhörlich eure geistigen und sittlichen Ziele anstreben. Ihr müßt in eure eigene Zukunft Vertrauen haben. Als katholische Eingeborene Amerikas seid ihr aufgerufen, Werkzeuge der heilenden Macht der Liebe zu sein, Werkzeuge seines Friedens. Möge die Kirche in eurer Mitte — eure eigene Gemeinschaft im Glauben und in freundschaftlicher Verbundenheit — in der Tat Zeugnis ablegen von dem neuen Leben, das vom Kreuz und der Auferstehung unseres Herrn und Retters Jesu Christi kommt. 1031 REISEN In der Erhöhung Christi fand die Heilsgeschichte ihr Sinnziel ' : , Predigt bei der- Eucharistiefeier in der Staatlichen Universität von Arizona in Phoenix (U.S.A.) am 14. September „So muß der Menschensohn erhöht werden“ {Joh 3,14) Liebe Brüder und Schwestern! 1. An diesem Tag, an dem ich mit Freude die Eucharistie mit euch hier in Phoenix feiere, sollen unsere ersten Gedanken dem siegreichen Kreuz unseres Erlösers gelten, dem Menschensohn, der erhöht wurde! Laßt uns Christus, unseren gekreuzigten und auferstandenen Herrn, anbeten und lobpreisen. Ihm und dem Vater und dem Heiligen Geist seien j etzt und für immerdar Ruhm und Danksagung! Wie schön ist es, unsere Stimmen im Lobpreis Gottes an diesem Siegesfest des Kreuzes zusammenklingen zu lassen! Wie passend ist es, dieses Fest hier zu feiern, in der Stadt Phoenix, die den Namen eines alten Symbols trägt, das in der christlichen Kunst oft dargestellt wurde, um die Bedeutung des siegreichen Kreuzes zu zeigen. Der Phoenix war ein Vogel, von dem die Legende sagte, nach dem Tode erhebe er sich wieder aus der eigenen Asche, So wurde er zu einem Symbol für Christus, der nach seinem Tod am Kreuz im Siege über Sünde und Tod auferstand. Wir können zu Recht sagen, daß die Kirche in Phoenix durch die göttliche Vorsehung in besonderer Weise dazu berufen wurde, das Geheimnis vom Sieg des Kreuzes zu.leben. Gewiß war das Kreuz Christi von Anfang an kennzeichnend für die fortschreitende Evangelisierung in diesem Gebiet: seit dem Tag vor dreihundert Jahren, als P. Eusebio Kino als erster das Evangelium nach Arizona brachte. Die Frohbotschaft der Erlösung hat hier in Phoenix, in Tuc-son und im ganzen Gebiet reiche Frucht getragen. Das Kreuz ist wirklich der Lebensbaum. Das Motiv der Erhöhung — schon im Alten Testament 2. „So muß der Menschensohn erhöht werden“ (Joh 3,14). Wenn die Kirche heute das Fest vom Triumph des Kreuzes feiert, bezieht sie sich gerade auf diese Worte Christi. Über die besonderen geschichtlichen Umstände hinaus, die zur Einführung dieses Festes in den liturgischen Kalender beitrugen, bleiben diese Worte bestehen, die Christus in jenem nächtlichen Gespräch an Nikodemus richtete: „So muß der Menschensohn erhöht werden!“ 1032 REISEN Nikodemus war, wie wir wissen, ein Mann, der Gottes Wort liebte und es mit großer Aufmerksamkeit studierte. Getrieben von seinem Hunger nach der Wahrheit und seinem Eifer, zu verstehen, kam Nikodemus in der Nacht zu Jesus, um auf seine Fragen und Zweifel Antworten zu bekommen. Zu ihm, Nikodemus, spricht Jesus diese Worte, die immer noch geheimnisvoll wiederklingen: „So muß der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm das ewige Leben hat“ (Joh 3,14-15). Nikodemus hat damals nicht wissen können, daß diese Worte in gewisser Weise das. ganze Ostergeheimnis umfassen, das die messianische Sendung Jesu von Nazaret krönen würde. Wenn Jesus von „erhöht werden“ sprach, dann dachte er an das Kreuz auf dem Kalvarienberg: erhöht werden am Kreuz, erhöhtwerden durch das Kreuz. Nikodemus kann das damals noch nicht gewußt haben. So bezieht sich Christus auf ein Geschehnis aus dem alten Testament, das wir kennen, nämlich die Geschichte von Mose, der die Schlange in der Wüste aufhängte. 3. Es war ein außerordentlicher Vorfall, der sich während Israels Wanderung aus Ägypten zum Land der Verheißung ereignete. Diese vierzig Jahre dauernde Wanderung war voller Prüfungen: das Volk stellte Gott mit seiner- Untreue und seinem Vertrauensmangel „auf die Probe“, danach wiederum kamen viele Prüfungen vom Herrn, um Israels Glauben zu läutern und zu vertiefen. Beim Berg Hör kam es zu einer besonderen Prüfung, nämlich jener der Giftschlangen. Diese Schlangen „bissen die Israeliten und viele starben“ (Num 21,6). Mose machte also auf Geheiß des Herrn „eine Schlange aus Kupfer und hängte sie an einer Fahnenstange auf. Wenn nun jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte; blieb er am Leben“ (Num 21,9). Man mag sich fragen: Warum diese Prüfung? Der Herr hatte Israel als sein Volk erkoren; er hatte dieses Volk auserwählt, um es allmählich in seinen Heilsplan einzuweihen. 4. Jesus von Nazaret erklärt den Heilsplan des Bundesgottes. Die Kupferschlange in der Wüste war die symbolische Darstellung des Gekreuzigten. Wenn jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte, die Mose an einer Fahnenstange aufgehängt hatte, blieb er am Leben. Er blieb am Leben, nicht weil er auf die Schlange geblickt hatte, sondern weil er an Gottes Macht und seine erlösende Liebe gelaubt hatte. So werden, wenn der Menschensohn am Kreuz von Kalvaria hängen wird, „alle, die an ihn glauben, in ihm ewiges Leben haben“ (vgl. Joh 3,15). Es besteht eine tiefgründige Analogie zwischen diesem Abbild und dieser Wirklichkeit, zwischen diesem Zeichen der Erlösung und dieser Wirklichkeit 1033 REISEN der Erlösung im Kreuz Christi. Sie wird noch eindrucksvoller, wenn wir daran denken, daß die Rettung vor dem körperlichen Tod, den das Schlangengift in der Wüste verursachte, durch eine Schlange kam. Erlösung vom geistigen Tod — dem Tod, der die Sünde ist und durch den Menschen verursacht wurde —, diese Erlösung kommt von einem Menschen, dem Menschensohn nämlich, der am Kreuz „erhöht“ wurde. In dem nächtlichen Gespräch hilft Jesus von Nazaret dem Nikodemus den wahren Sinn der Pläne Gottes erkennen. Während Jesus spricht, liegt die Erfüllung dieser göttlichen Pläne noch in der Zukunft, aber an diesem Punkt ist die Zukunft nicht mehr weit entfernt. Nikodemus selbst wird ein Zeuge dieser Erfüllung sein. Er wird ein Zeuge der Osterereignisse in Jerusalem sein. Er wird ein Zeuge sein für das Kreuz, an dem der Eine, der in dieser Nacht zu ihm spricht, der Menschensohn, erhöht wird. 5. Jesus geht noch weiter. Das Gespräch wird noch vertieft: Warum das Kreuz? Warum muß der Menschensohn am Holz des Kreuzes erhöht werden? Weil „Gott die Welt so sehr geliebt hat, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.“ {Joh 3,16). Ja, das ewige Leben. Das ist die Erlösung, die Jesus meint: ewiges Leben in Gott. Jesus setzt noch hinzu: „Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird“ {Joh 3,17). Viele dachten, der Messias würde an erster Stelle ein streng strafender Richter sein, der „die Spreu vom Weizen trennen würde“ (vgl. Mt 3,12). Wenn er in einem bestimmten Augenblick — am Ende der Welt — als Richter kommen muß, so kommt er jetzt, in der „Fülle der Zeit“ (vgl. Gal 4,4), um selbst durch die Sünden der Welt und deshalb wegen der Sünden der Welt gerichtet zu werden. So wird der am Kreuz erhöhte Christus zum Erlöser der Menschheit, zum Erlöser der Welt. Jesus von Nazaret bereitet Nikodemus, den eifrigen Studenten der Schriften, darauf vor, daß er zur rechten Zeit das erlösende Geheimnis, das im Kreuz Christi enthalten ist, versteht. Wir wissen, daß Nikodemus, noch nicht in dieser Nacht, aber zur gegebenen Zeit, es wirklich verstand. Vor die Erhöhung setzte Gott die tiefste Erniedrigung 6. Was bedeutet nun dieses „erhöht werden“? In der zweiten Lesung der heutigen Liturgie aus dem Brief des hl. Paulus an die Philipper bedeutet „erhöht werden“ zuerst „erniedrigt werden“. Der Apostel schreibt über Christus: „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäu-ßerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“ {Phil 2,6-7). 1034 REISEN Der Gottesmensch! Gott wird Mensch. Gott nimmt unser Menschsein an: dies ist die erste Dimension des ,, Erniedrigtwerdens‘ ‘, und es ist gleichzeitig ein „Erhöhtwerden“. Gott wird erniedrigt, damit der Mensch erhöht werden kann. Warum? Weil „Gott die Welt so sehr liebte“. Weil er Liebe ist! Der Apostel schreibt weiter: „Sein (Christi) Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,7-8). Dies ist die zweite und endgültige Dimension des Erniedrigtwerdens. Es ist die Dimension der Entäußerung, die in stärkster Form die Wahrheit jener Worte bestätigt: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab.“ Gott gab. Diese Entäußerung selbst ist die Gabe, die größte Gabe des Vaters. Sie übertrifft alle anderen Gaben. Sie ist die Quelle jeder Gabe. In dieser völligen Erniedrigung, dieser Entäußerung, liegt der Anfang und die Quelle jedes „Erhöhtwerdens“, die Quelle des Erhöhtwerdens der Menschheit. 7. Das Kreuz wurde auf Golgota „erhöht“. Jesus wurde ans Kreuz geschlagen und deshalb mit ihm erhöht. In den Augen der Menschen war das die größte Erniedrigung und Schande. Aber in den Augen Gottes war es anders. Es war anders in den ewigen Plänen Gottes. Der Apostel schreibt weiter: „Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: ,Jesus Christus ist der Herr1 zur Ehre Gottes, des Vaters“ (Phil 2,9-11). Christus der Herr! Das wird in der Auferstehung bestätigt, aber es ist schon in der Kreuzigung, in ihr selbst, enthalten. Gekreuzigt zu werden bedeutet, menschlich gesprochen, entehrt und gedemütigt werden. Aus Gottes Sicht bedeutet es hingegen, erhöht werden. Christus ist der Herr, er wird Herr aller Dinge und Menschen in dieser Erhöhung durch das Kreuz. So schauen wir mit den Augen des Glaubens auf das Kreuz, belehrt durch das Wort Gottes, geleitet durch die Macht Gottes. Das also ist das Geheimnis vom Triumph des Kreuzes. 8. Dieses Geheimnis berührt uns in besonderer Weise und mit besonderer Macht, wenn die Kirche das Sakrament der Krankensalbung feiert, wie heute abend. Durch dieses Sakrament und all ihre Pastoraldienste sorgt die Kirche weiterhin für die Kranken und die Sterbenden, so wie es Jesus in seinem Dienst auf Erden tat. Durch das Handauflegen des Priesters, die Salbung mit Öl und die Gebete werden unsere Brüder und Schwestern mit der Gnade des Heiligen Geistes gestärkt. Sie werden in die Lage versetzt, mutig ihre Leiden 1035 REISEN zu tragen und so das Kreuz anzunehmen und Christus mit stärkerem Glauben und festerer Hoffnung nachzufolgen. Diese heilige Salbung verhindert weder den körperlichen Tod, noch verspricht sie eine wunderbare Heilung des menschlichen Leibes. Sie bringt aber besondere Gnade und Trost für die Sterbenden und bereitet sie darauf vor, unserem liebevollen Erlöser in lebendigem Glauben, in Liebe und fester Hoffnung auf das ewige Leben zu begegnen. Die Salbung bringt auch denen Trost und Stärkung, die nicht im Sterben liegen, die aber unter schwerer Krankheit oder hohem Alter leiden. Die Kirche möchte diese Menschen an Leib und Seele heilen und sie betet, der ganze Mensch möge durch die Macht des Heiligen Geistes erneuert werden. Jedesmal, wenn die Kirche dieses Sakrament feiert, verkündet sie ihren Glauben an den Sieg des Kreuzes. Es ist, als ob sie die Worte des hl. Paulus wiederhole: „Denn ich bin gewiß: weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Rom 8,38-39). Von den allerersten Tagen an bis heute war Phoenix eine Stadt, in die die Leute kamen, um Gesundheit, Heilung und Erleichterung von Leiden zu suchen und einen neuen Anfang zu machen. Die Kirche heißt heute wie in der Vergangenheit diese Menschen willkommen und bietet ihnen Liebe und Verständnis. Sie ist den Kranken und Älteren dankbar für die besondere Sendung, die sie im Reich unseres Erlösers erfüllen. Eure Gastfreundlichkeit, die ich selbst kennenlernen durfte, ist Inbegriff des wunderschönen spanischen Sprichworts „mi casa, su casa“ (mein Haus, sein Haus). Ich bete, daß ihr immer dieser Tradition der christlichen Gemeinschaft treu bleibt und weiterhin so großzügige Dienste leistet. Durch diese Treue zu eurem christlichen Erbe, durch das Sakrament der Krankensalbung und die Feier der heiligen Eucharistie drückt ihr eure tiefe Überzeugung aus, daß Leiden und Tod nicht das letzte Wort im Leben haben. Das letzte Wort ist das Wort, das Fleisch wurde, der gekreuzigte und auferstandene Christus. Der Antwortpsalm der heutigen Liturgie fordert uns auf: „Mein Volk, vernimm meine Weisung! Wendet euer Ohr zu den Worten meines Mundes! Ich öffne meinen Mund zu einem Spruch; ich will die Geheimnisse der Vorzeit verkünden“ (Ps 77/78, 1-2). Genauso offenbarte Christus dem Nikodemus, uns und allen Menschen das Geheimnis der Erlösung. Auch die Worte, die im gleichen Psalm folgen, beziehen sich auf uns: „Doch sie täuschten ihn mit falschen Worten, und ihre Zunge belog ihn. Ihr Herz hielt nicht fest zu ihm, sie hielten seinem Bund nicht die Treue“ (Ps 11H8, 36-37). Trotz allem: „Wenn erdreinschlug, fragten sie nach Gott, kehrten um 1036 REISEN und suchten ihn. Sie dachten daran, daß Gott ihr Fels ist, Gott, der Höchste, ihr Erlöser“ (Ps 77/78, 34-35). Und so ist Gott weiterhin, von Generation zu Generation, unter uns als unser Fels und unser Erlöser. Dies ist das Geheimnis vom Sieg des Kreuzes, Fels unserer Erlösung. Laßt uns unseren Blick auf das Kreuz richten! Laßt uns von ihm her wiedergeboren werden! Laßt uns zu Gott zurückkehren! Möge die Erniedrigung Christi, seine Entäußerung durch das Kreuz, noch einmal dazu dienen, die Menschheit zu Gott zu erheben. Sursum corda! Erhebt eure Herzen! Amen. Christusverkündigung kann Kampfund Kreuz bedeuten Besuch in der Kathedrale St. Vibiana in Los Angeles (U.S. A.) am 15. September Lieber Erzbischof Mahony, lieber Kardinal Manning, Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich grüße euch heute im Namen Jesu Christi. Durch seine Liebe und Gnade sind wir heute in dieser Kirche zusammengekommen, um unserem himmlischen Vater Lob und Dank zu sagen. Gnade und Friede sei mit euch — den Priestern, den Ordensleuten und den Laien dieser Stadt, die zu Ehren Unserer Lieben Frau von den Engeln ihren Namen erhielt. Möge sie euch weiterhin beistehen in euren Gebeten zu Gott, jetzt und für immer, zusammen mit den Engeln, mit der heiligen Vibiana, der Patronin dieser Kathedrale, und mit allen Heiligen. Ich möchte meine Stimme mit dem Chor vereinigen, der Gott im Namen Jesu in so vielen verschiedenen Sprachen preist und der aus Menschen verschiedener Rassen und ethnischer Herkunft in dieser großen Metropole besteht. Über allem ist es sein Name, der uns in einer Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zusammenschließt. Es ist der Name Jesu, der alle Spaltung überwindet und jeglichen Gegensatz in der Menschheitsfamilie heilt. Als Nachfolger des Petrus komme ich heute zu euch im Namen Jesu. Es kann nicht anders sein, denn jeder treue Diener des Evangeliums predigt nicht sich selbst oder irgendeine Botschaft menschlichen Ursprungs,, sondern er verkündet Jesus Christus als unseren Herrn (vgl. 2 Kor 4,5). Gegen alle Ängste, Zweifel und Kämpfe der einzelnen und der Nationen versucht die Kirche, die 1037 REISEN heilende Macht jenes Namens anzuwenden, der dem gehört, der allein das Wort Gottes ist (vgl. Offb 19,13). 2. In einer Welt voller gegensätzlicher Ideologien und so vieler falscher und leerer Versprechungen bringt der Name Jesu Chrisi Erlösung und Leben. Das hebräische Wort „Jesus“ heißt ja „Erlöser“, wie der Engel Josef im Traum verkündete: „Du wirst ihn Jesus nennen, denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen“ {Mt 1,21). Am Beginn der Mission der Kirche verkündete der heilige Petrus, daß „in keinem anderen das Heil zu finden ist. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ {Apg 4,12). Dieser Name ist eine Quelle des Lebens für die, die glauben (vgl. Joh 20,31); er befreit uns vom Bösen und zeigt uns die einzige Wahrheit, die uns frei machen kann (vgl. Joh 8,32). Der Name Jesus ist darum ein Schrei nach Befreiung für die ganze Menschheit. Er hat die Macht, die Kranken zu trösten und zu heilen (vgl. Apg 3,6; Jak 5,14-15), Dämonen auszutreiben (vgl. Mk 16,17; Lk 10,17; Apg 16,18) und Wunder jeder Art zu wirken (vgl. Mt 7,22; Apg 4,30). Noch wichtiger ist es, daß im Namen Jesu und durch seine Macht unsere Sünden vergeben werden (vgl. 1 Joh 2,12). Der Name Jesu ist das Herzstück der christlichen Anbetung hier in dieser Kathedrale wie in jeder anderen Kirche dieser Welt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ {Mt 18,20). Der Name Jesu ist das Herzstück jedes christlichen Gebets: „Der Vater wird euch alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet“ {Joh 15,16). Er ist eine Motivation zur Nächstenliebe, denn — wie Jesus selber erklärte — „wer euch auch nur einen Becher Wasser zu trinken gibt, weil ihr zu Christus gehört — amen, ich sage euch: er wird nicht um seinen Lohn kom-men“{Mk 9,41). Er löst das Geschenk des Heiligen Geistes aus, „den Beistand, den der Vater in meinem Namen senden wird“ {Joh 14,26). 3. Meine lieben Brüder und Schwestern, wir werden Christen genannt, daher ist der Name Jesu Christi auch unser Name. Schon in der Taufe erhalten wir einen christlichen Namen, der unsere Gemeinschaft mit Christus und allen Heiligen symbolisiert. Unsere Identifizierung mit ihm spiegelt sich in der Lebensregel wider, die der heilige Paulus im Brief an die Kolosser darlegt: „Alles, was ihr in Worten und Werken tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn. Durch ihn dankt Gott, dem Vater!“ {Kol 3,17). Wir sind aber nicht nur verpflichtet, im Namen Jesu zu danken, sondern in ihm auch zu reden und zu handeln, auch wenn wir dabei riskieren, „um des Namens willen“ schlecht behandelt, verfolgt oder gehaßt zu werden, wie Jesus vorhergesagt hat {Apg 5,41; vgl. Mk 13,13; Lk 21,12). 1038 REISEN Als Bürger der Vereinigten Staaten müßt ihr Gott danken für die Religionsfreiheit, die ihr unter eurer Verfassung nun schon im 200. Jahr genießt. Jedoch die Freiheit, eurem christlichen Glauben folgen zu können, bedeutet nicht automatisch, daß es leicht ist, im Namen Jesu, des Herrn „zu sprechen und zu handeln“ mit einem Gewissen, das nach dem vom Lehramt der Kirche authentisch ausgelegten Wort Gottes geformt ist (vgl. Dei verbum, Nr. 9 f.). In einer säkularisierten Welt im Namen Jesu zu sprechen und zu handeln, kann euch Opposition einbringen oder der Lächerlichkeit preisgeben. Oft bedeutet es, von der Mehrheitsmeinung abzuweichen. Schon im Neuen Testament finden wir überall Ermutigungen zur Beharrlichkeit bei dieser Prüfung unseres Glaubens. In seinem ersten Brief sagt uns der heilige Petrus: „Wenn einer leidet, weil er Christ ist, dann soll er sich nicht schämen, sondern Gott verherrlichen, indem er sich zu diesem Namen bekennt“ (1 Petr 4,16). Und Jesus selber sagt: „In der Welt seid ihr in Bedrängnis, aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt“ (Joh 16,33). Ist diese Botschaft nicht äußerst wichtig für die Jugend, die sich bemüht, ein verantwortungsbewußtes moralisches Leben zu führen, und das gegen den Strom einer Volkskultur und einen Leistungsdruck, der gegenüber christlicher Sittlichkeit gleichgültig, wenn nicht sogar feindselig eingestellt ist? Und für ihre Eltern, die sich täglich sowohl in ihrer privaten wie in ihrer öffentlichen Lebensführung mit Zwängen auseinandersetzen müssen? Und für die Priester und die Ordensleute, die es manchmal schwer finden mögen, die volle Wahrheit der kirchlichen Lehre auszusprechen, weil sie ein „hartes Wort“ ist, das viele gar nicht gern akzeptieren wollen? Liebe Brüder und Schwestern, der Name Jesu ist das Wort Gottes und ist wie dieses ein „zweischneidiges Schwert“ (vgl. Hehr 4,12). Er ist ein Name, der Erlösung und Leben bedeutet; er ist ein Name, der Kampf und Kreuz bedeutet, ganz wie für ihn selbst. Aber er ist auch der Name, in dem wir die Kraft finden, die Wahrheit des Evangeliums zu verkünden und zu leben — nicht mit Arroganz, sondern mit vertrauensvoller Freude; nicht in Selbstgerechtigkeit, sondern in demütiger Reue vor Gott; niemals in Feindseligkeit, sondern immer in Liebe. Liebes Volk dieser großen Erzdiözese Los Angeles mit ihren vielen Problemen, ihren enormen Herausforderungen und ihren unermeßlichen Möglichkeiten für das Gute: Der Name Jesu ist euer Leben und eure Erlösung. Er ist euer Stolz und eure Freude und der Stolz und die Freude eurer Familien und Pfarreien. In diesem Namen findet ihr Kraft für eure Schwächen und Energie für ein tägliches christliches Leben. In eurem Kampf gegen das Böse und den Bösen und in eurem Streben nach Heiligkeit ist der Name Jesu die Quelle eurer Hoffnung, denn im Namen Jesu seid ihr unbesiegbar! 1039 REISEN Ruft also weiterhin, liebe Katholiken von Los Angeles, diesen heiligen Namen Jesu in euren Freuden und Leiden an. Lehrt weiterhin diesen Namen euren Kindern, damit sie ihn ihrerseits ihren Kindern weitergeben können, bis unser Herr Jesus selbst in Herrlichkeit kommt, zu richten die Lebenden und die Toten! Die Menschen brauchen Hoffnung und Vertrauen zum Leben Jugend-Fernsehkonferenz aus dem Universal Amphitheatre in Los Angeles (U.S.A-) am 15. September Liebe junge Freunde! 1. Ich glaube, ihr wißt schon, ohne daß ich es sage, wie froh ich bin, heute bei euch zu sein. Überall auf meinen Weltreisen achte ich darauf, mit jungen Leuten zusammenzutreffen. Vor ein paar Tagen war ich mit ihnen in New Orleans zusammen und heute freue ich mich, bei euch zu sein. Von meinen ersten Tagen als junger Priester an habe ich viele Stunden in Gesprächen mit Studenten in den Universitäten oder auf Wanderungen an den Seen oder im Gebirge und im Hügelland verbracht. Ich habe auch viele Abende damit verbracht, mit jungen Männern und Frauen wie euch zu singen. Auch jetzt noch, da ich Papst bin, kommen in den Sommermonaten verschiedene Gruppen junger Menschen für einen Abend nach Castel Gandolfo, und wir singen und sprechen dann miteinander. Wie ihr wahrscheinlich wißt, sage ich oft, daß ihr, die Jugendlichen, der Welt Hoffnung bringt. Die Zukunft der Welt leuchtet in euren Augen. Auch jetzt helft ihr, die Zukunft der Gesellschaft zu formen. Da ich schon immer große Hoffnungen auf die Jugend gesetzt habe, möchte ich heute genau über dieses Thema zu euch sprechen: über die Hoffnung. 2. Wir können nicht ohne Hoffnung leben. Wir müssen einen Zweck im Leben haben, müssen unserer Existenz einen Sinn geben. Wir müssen nach etwas streben. Ohne Hoffnung fangen wir an zu sterben. Warum geschieht es manchmal, daß eine scheinbar gesunde, in den Augen der Welt erfolgreiche Person zu viele Schlaftabletten nimmt und Selbstmord begeht? Warum erkennen wir andererseits in einer ernstlich behinderten Person einen so großen Lebenshunger? Liegt das nicht an der Hoffnung? Der eine hat 1040 REISEN alle Hoffnung verloren; im anderen ist die Hoffnung lebendig und überschäumend. Klar also, daß die Hoffnung nicht von Talenten und Begabungen kommt, nicht von körperlicher Gesundheit und Erfolg! Sie kommt von etwas anderem. Genauer gesagt, kommt die Hoffnung von jemand anderem, von jemandem, der über uns steht. Die Hoffnung kommt von Gott, aus unserem Glauben an Gott. Menschen der Hoffnung sind jene, die daran glauben, daß Gott sie zu einem Zweck erschaffen hat und daß er für ihre Bedürfnisse sorgen wird. Sie glauben, daß Gott sie als treuer Vater liebt. Erinnert ihr euch an die Ermahnung, die Jesus seinen Jüngern gab, als sie ängstlich vor der Zukunft schienen? Er sagte: „Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, daß ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, daß ihr etwas anzuziehen habt. Das Leben ist wichtiger als die Nahrung und der Leib wichtiger als die Kleidung. Seht die Raben: Sie säen nicht und ernten nicht, sie haben keinen Speicher und keine Scheune; denn Gott ernährt sie. Wieviel mehr seid ihr wert als die Vögel!“ (Lk 12,22-24). Ja, Gott kennt alle eure Bedürfnisse. Er ist das Fundament unserer Hoffnung. 3. Aber was ist mit den Menschen, die nicht an Gott glauben? Das ist in der Tat ein ernstes Problem, eines der größten Probleme unserer Zeit — der Atheismus, die Tatsache, daß viele unserer Zeitgenossen keinen Glauben an Gott haben. Als ich letztes Jahr Australien besuchte, sagte ich zu einer Gruppe von Kindern: „Das Schwerste am Papst-sein ist es, wenn man sieht, daß so viele Menschen die Liebe Jesu nicht annehmen, daß sie nicht wissen, wer er eigentlich ist und wie sehr er sie liebt... (Jesus) zwingt niemanden, seine Liebe anzunehmen. Er bietet sie allen an und läßt ihnen die Freiheit, ja oder nein zu sagen. Es erfüllt mich mit Freude, wenn ich sehe, wie viele Menschen unseren Herrn kennen und lieben, wie viele ja zu ihm sagen. Aber es macht mich traurig, daß einige Leute nein zu ihm sagen“ (29. Nov. 1986). Ohne Glauben an Gott kann es keine Hoffnung geben, keine dauerhafte, echte Hoffnung. Aufzuhören an Gott zu glauben bedeutet einen Weg einzuschlagen, der nur in Leere: und Verzweiflung führen kann. Hilfe in Not und Verzweiflung Wer aber das Geschenk des Glaubens besitzt, lebt vertrauensvoll gegenüber den Dingen, die da kommen sollen. Sie schauen in die Zukunft mit Erwartung und Freude, sogar trotz Leid und Schmerz. Und die Zukunft, die sie letztlich erwarten, ist das immerwährende Leben mit dem Herrn. Diese Art der Hoffnung zeichnete das Leben des heiligen Paulus aus, der einmal schrieb: „Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; 1041 REISEN wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht; wir werden gehetzt und sind doch nicht verlassen; wir werden niedergestreckt und doch nicht vernichtet. ... Darum werden wir nicht müde, wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert“ (2 Kor 4,8-9,16). Nur Gott kann dem Leben Bedeutung geben, Gott, der sich jedem von uns genähert hat durch „Christus Jesus, unsere Hoffnung“ (1 Tim 1,1). Im Neuen Testament gibt es zwei Briefe, die dem heiligen Petrus zugeschrieben werden. Im ersten davon sagt er: „Haltet in eurem Herzen Christus, den Herrn, heilig! Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,15). Liebe junge Freunde, ich bete darum, daß euer Glaube an Christus immer lebendig und stark sei. Auf diese Weise werdet ihr immer bereit sein, den anderen den Grund eurer Hoffnung zu nennen; ihr werdet Boten der Hoffnung für die Welt sein. 4. Ich werde oft gefragt, besonders von jungen Leuten, warum ich Priester geworden bin. Möglicherweise wollen einige von euch dieselbe Frage stellen. Laßt mich versuchen, kurz zu antworten. Ich muß zu allererst sagen, daß es unmöglich ist, diese Entscheidung restlos zu erklären. Denn sie bleibt ein Geheimnis, auch für mich selbst. Wie kann jemand die Wege Gottes erklären? Dennoch weiß ich, daß ich an einem bestimmten Punkt meines Lebens davon überzeugt war, daß Christus das zu mir sagte, was er Tausenden vor mit gesagt hat: „Komm, folge mir!“. Ich hatte das klare Gefühl, daß das, was ich in meinem Herzen hörte, keine menschliche Stimme und auch keine Idee von mir selber war. Christus rief mich, ich sollte ihm als Priester dienen. Und ihr könnt vielleicht erkennen, daß ich Gott zutiefst dankbar für meine Berufung zum Priestertum bin. Nichts bedeutet mir mehr oder gibt mir größere Freude, als Tag für Tag die Messe zu feiern und dem Volk Gottes in der Kirche zu dienen. Das ist vom Tag meiner Priesterweihe an immer wahr gewesen. Auch daß ich Papst geworden bin, hat daran nichts geändert. Ich vertraue euch dies an und möchte damit jeden von euch einladen, aufmerksam auf die Stimme Gottes in eurem Herzen zu hören. Jeder Mensch ist zur Gemeinschaft mit Gott berufen. Dafür hat uns Gott geschaffen, daß wir ihn kennen und lieben und ihm dienen und dadurch das Geheimnis der immerwährenden Freude finden. In der Vergangenheit war die Kirche in den Vereinigten Staaten reich an Berufungen zum Priestertum und zum Ordensleben. Das könnte besonders wahr auch heute sein. Gleichzeitig braucht die Kirche das Zeugnis für das Evangelium von seiten heiligmäßiger Laien im Ehestand oder als Alleinstehende. Seid gewiß, daß der Herr jeden von euch beim Namen kennt und in einem 1042 REISEN Dialog der Liebe und der Erlösung zu eurem Herzen sprechen möchte. Gott spricht weiterhin zu den jungen Leuten an den Ufern des Mississippi und an den Hängen der Rocky Mountains. Gott spricht weiterhin in den Städten der Westküste Amerikas und quer durch das Land der welligen Hügel und Prärien. Gott spricht weiterhin zu jedem Menschen. Liebe junge Menschen Amerikas, hört auf seine Stimme. Seid nicht ängstlich. Öffnet Christus eure Herzen. Die tiefste Freude, die es im Leben gibt, ist die Freude, die von Gott kommt und in Jesus Christus, dem Sohn Gottes, zu finden ist. Er ist die Hoffnung der Welt. Jesus Christus ist eure Hoffnung und die meine! Werte und Normen für Medien Ansprache an die Medienschaffenden in Los Angeles (U.S.A.) am 15. September Sehr geehrte Damen und Herren aus der Welt der Medien! Liebe Freunde! 1. Es freut mich, hier mit Ihnen zusammenzusein. Ich möchte in der Lage sein, jeden von Ihnen persönlich zu begrüßen, um jedem einzelnen meine Achtung auszudrücken. Da dies nicht möglich ist, möchte ich meine ehrliche Wertschätzung zum Ausdruck bringen für alle Kategorien der Medien, die Sie vertreten —die Filmindustrie, die Musik- und Recorderindustrie, den Rundfunk und das elektronische Nachrichtenwesen, das Fernsehen und alle jene, die die Welt durch das geschriebene Wort informieren — und für die verschiedenen Funktionen, die Sie als Arbeiter, Verfasser, Herausgeber, als Manager und als ausführende Organe ausüben. Ich grüße Sie im ganzen Umfang Ihrer Aktivitäten, von den besonders sichtbaren bis zu denen, die verborgen bleiben. Mein Besuch in Los Angeles und auch in den Vereinigten Staaten würde unvollständig erscheinen ohne dieses Treffen, da Sie einen der wichtigsten amerikanischen Einflußbereiche in der heutigen Welt repräsentieren. Sie tun dies auf jedem Gebiet der sozialen Kommunikation und tragen dadurch zu einer Massen-Völkskultur bei. Die Menschheit wird stark von dem beeinflußt, was Sie tun. Ihre Tätigkeiten wirken auf die Kommunikation selbst ein: wenn Sie Informationen liefern, die öffentliche Meinung beeinflussen und Unterhaltung anbieten. Die Konsequenzen dieser Tätigkeiten sind zahlreich und vielfältig. Sie helfen Ihren Mitbürgern, die Muße zu genießen, die Kunst zu schät- 1043 REISEN zen und aus der Kultur Nutzen zu ziehen. Sie liefern oft die Geschichten, die sie erzählen, und die Lieder, die sie singen. Sie überbringen ihnen die Nachrichten von zeitnahen Ereignissen, geben ihnen eine Vision der Menschlichkeit und Gründe zur Hoffnung. Sie haben in der Tat einen starken Einfluß auf die Gesellschaft. Hunderte von Millionen Menschen sehen Ihre Filme und Fernsehprogramme, hören auf Ihre Stimme, singen Ihre Lieder und übernehmen Ihre Meinung. Es ist eine Tatsache, daß Ihre geringsten Entscheidungen eine weltweite Wirkung haben können. Die Macht der Massenmedien — ein zweischneidiges Schwert 2. Ihre Arbeit kann eine Macht sein, die sehr viel Gutes oder sehr viel Schlechtes bewirken kann. Sie kennen selbst die Gefahren ebenso wie die wunderbaren Gelegenheiten, die Ihnen offenstehen. Kommunikationsprodukte können Arbeiten von großer Schönheit sein, die das hervorkehren, was schön und erhaben ist für das Menschengeschlecht und die fordern, was gerecht, fair und wahr ist. Andererseits kann die Kommunikation sich an das wenden und es fördern, was im Menschen verfälscht ist: entmenschlichter Sex durch Pornographie oder durch eine lässige Einstellung dem Geschlecht und dem menschlichen Leben gegenüber; Gier durch Materialismus und Konsumismus oder unverantwortlichen Individualismus; Zorn und Rachgier durch Gewalt oder Selbstgerechtigkeit. Alle Medien der Volkskultur, die Sie vertreten, können aufbauen oder zerstören, hinaufheben oder hinunterwerfen. Sie haben unsägliche Möglichkeiten für das Gute, unheilvolle Möglichkeiten für die Zerstörung. Es ist der Unterschied zwischen Tod und Leben — dem Tod oder Leben des Geistes. Und es ist eine Frage der Wahl. Die Aufforderung des Mose an das Volk Israel ist auf uns alle heute anwendbar: „Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch... Wähle also das Leben...“ (Dtn 30,19). 3. In der Konstitution der Vereinigten Staaten ist etwas, das von großem Interesse für alle von uns ist. Der gleiche Zusatzartikel, der die Rede- und die Pressefreiheit garantiert, garantiert auch die Religionsfreiheit. Das Band zwischen der Kunst des menschlichen Ausdrucks und der Ausübung der Religion ist stark. Soziale Kommunikation ist in der Tat ein wichtiger erster Schritt bei der Vereinigung der Menschen in gegenseitiger Liebe, und dieser erste Schritt ist auch ein Schritt zu Gott, „denn Gott ist die Liebe“ (1 Joh 4,8). Religiöse Praxis fördert die Kommunikation mit Gott. Aber sie. begünstigt auch menschliche Kommunikation, da menschliche Kommunikation ein Teil jener Beziehung der Liebe zum Nächsten ist, wie sie sowohl das Alte wie das Neue Testament fordert. 1044 REISEN Es ist leicht einsehbar, warum die Kirche erkannt und gelehrt hat, daß die Menschen ein Recht auf Kommunikation haben. Fest verbunden mit diesem Recht ist das Recht auf Information, das im II. Vatikanischen Konzil mit folgenden Worten behandelt, wird: „Zweifellos ist bei der heutigen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und der immer engeren Verbindung ihrer Mitglieder die Information wertvoll, ja unumgänglich notwendig ... Es gibt also in der menschlichen Gesellschaft ein Recht auf Information über alle Tatsachen, die den Menschen, als einzelnen oder als Mitgliedern der Gesellschaft, je nach ihrer besonderen Situation zu wissen zukommt“ (Inter mirifica, Nr. 5). Die Kirche erkennt also die Notwendigkeit von Rede- und Pressefreiheit an, ebenso wie es Ihre Konstitution tut. Aber sie geht noch weiter. Rechte ziehen Pflichten nach sich. Die korrekte Ausübung des Informationsrechts fordert, daß der Inhalt dessen, was mitgeteilt wird, wahr und — innerhalb der Grenzen, welche das Recht und die Nächstenliebe setzen — vollständig; ist (vgl. ebd.). Ihr Beruf hält Sie an, über diese Verpflichtung zur Wahrheit und ihre Vollständigkeit nachzudenken. Das beinhaltet auch die Verpflichtung, jede Manipulation der Wahrheit zu vermeiden. Eine solche Manipulation findet in der Tat statt, wenn bestimmte Dinge vorsätzlich schweigend übergangen werden, um andere in unangemessener Weise zu betonen. Manipulation liegt auch dort vor, wo die Information geändert oder zurückgehalten wird, so daß die Gesellschaft weniger fähig ist, der Täuschung einer vorgegebenen Ideologie zu widerstehen. Die Verpflichtung zur Wahrheit und ihrer Vollständigkeit betrifft nicht nur die Berichterstattung, sondern Ihre ganze Arbeit. Wahrheit und Vollständigkeit sollten den Inhalt des künstlerischen Ausdrucks und der Unterhaltung charakterisieren. Sie finden eine echte Aufgabe in Ihrer Arbeit, wenn Sie Ihre Rolle als Mitarbeiter der Wahrheit — Mitarbeiter der Wahrheit im Dienst der Gerechtigkeit, der Fairneß und Liebe ausüben. 4. Ihre Industrie spricht nicht nur zu Menschen und über Menschen; sie macht Kommunikation unter ihnen möglich. Daraus sieht man, wie Ihre Tätigkeit über den Bereich von Rechten und Pflichten hinausgeht und Ihnen unschätzbare Privilegien überträgt. Gerade bevor ich an diesem Nachmittag hierher gekommen bin, traf ich durch Satellitenverbindung mit jungen Leuten in verschiedenen Städten zusammen. Für mich ist das nur ein Beispiel, wie sehr Ihre Industrie helfen kann, die Kommunikation zu begünstigen und die Menschen in brüderlicher Liebe zu vereinigen. Es steht in Ihrer Macht, die Technologie zu benützen, um das zu fördern, was tief menschlich ist und es auf die Friedensarbeit auszurichten. Sie haben wunderbare Geräte, die den 1045 REISEN anderen fehlen. Sie müssen eingesetzt werden, um dem Kommunikationsrecht der Menschen zu dienen. In der heutigen modernen Welt besteht immer die Gefahr, daß die Kommunikation ausschließlich in eine Richtung geht und der Zuhörerschaft die Gelegenheit genommen wird, am Kommunikationsprozeß teilzunehmen. Sollte Ihnen das passieren, so wären Sie nicht länger Kommunikatoren im vollen menschlichen Sinn. Die Menschen selbst, das allgemeine Publikum, das Sie versorgen, soll nicht von der Gelegenheit zu einem öffentlichen Dialog ausgeschlossen sein. Um einen solchen Dialog zu fördern, müssen Sie als Kommunikatoren ebenso gut zuhören wie sprechen. Sie sollen Kommunikation mit den Menschen suchen und nicht nur zu ihnen sprechen. Das bringt mit sich, daß man die Bedürfnisse der Menschen kennenlernt, daß man sich ihrer Anstrengungen bewußt wird und alle Formen der Kommunikation anbietet mit dem Einfühlungsvermögen, das die menschliche Würde erfordert — Ihre eigene Menschenwürde und die Ihrer Hörer. Das trifft vor allem für alle audiovisuellen Programme zu. Der Mensch soll Person, nicht manipulierte Kreatur sein 5. An der Basis der Menschenrechte steht die Würde der Person, die als Abbild Gottes (Gen 1,27) erschaffen wurde. Das Anerkennen dieser menschlichen Würde ist auch ein Teil Ihrer zivilen Tradition in den Vereinigten Staaten und ist ausgedrückt in der Unabhängigkeitserklärung Ihrer Nation: alle Menschen sind gleich geschaffen in ihrer Menschenwürde und sind von ihrem Schöpfer mit den unveräußerlichen Rechten auf Leben und Freiheit sowie dem Streben nach Glück ausgestattet. Auch alle anderen Rechte sind in der Menschenwürde verankert; dazu gehört auch das Recht, eine Privatsphäre beizubehalten und nicht in der Intimität der eigenen Familie ausgebeutet zu werden. Die fundamentale Würde der Person wird noch stärker von der Kirche vertreten. Die Kirche erhebt überall ihre Stimme für die Menschen und erklärt die Würde jedes Menschen — jedes Mannes, jeder Frau, jedes Kindes. Niemand ist ausgeschlossen, denn alle tragen das Bild Gottes in sich. Körperliche und geistige Behinderungen, geistige Schwächen und menschliche Verirrungen können die Würde des Menschen nicht auslöschen. Sie werden verstehen, warum die Kirche diesem Grundprinzip, das sich auf der ersten Seite der Bibel findet, so große Bedeutung zumißt; später wird es die Basis der Lehre Jesu Christi werden, wenn er sagt: „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen“ {Mt 7,12). 1046 REISEN Insbesondere muß die soziale Kommunikation die Menschenwürde unterstützen, denn die Welt ist ständig versucht, darauf zu vergessen. Sie sind aufgefordert sowohl in den Nachrichten als auch im Drama, sowohl im Lied wie in der Erzählung, das zu respektieren, was menschlich ist und anzuerkennen, was gut ist. Menschen dürfen nie verachtet werden aufgrund von Beschränkungen, von Fehlem und Unordnungen, ja nicht einmal von Sünden. Als vor 20 Jahren mein Vorgänger Papst Paul VI. zu einer Versammlung, ähnlich wie dieser hier, sprach, sagte er zu dieser kreativen Gemeinschaft in Rom: „Es ist eine Tatsache, daß dann, wenn ihr als Schriftsteller und Künstler fähig seid, im Zustand des Menschen, mag er noch so gering oder traurig sein, einen Funken Güte zu offenbaren, im gleichen Augenblick ein Schimmer von Schönheit euer ganzes Werk durchleuchtet. Wir verlangen nicht, daß ihr die Rolle der Moralisten spielt, aber wir schenken eurer geheimnisvollen Macht Vertrauen, daß ihr die herrlichen Lichtregionen öffnet, die hinter dem Geheimnis des menschlichen Lebens liegen“ {Ansprache vom 6. Mai 1967). Wenn Sie genau das tun — die herrlichen Lichtregionen öffnen, die hinter dem Geheimnis des menschlichen Lebens liegen — so müssen Sie sich selbst fragen, ob das, was Sie mitteilen, vereinbar ist mit dem vollen Maß der Menschenwürde. Wie erscheinen die Schwächsten und Schutzlosesten der Gesellschaft in Ihren Worten und Bildern: die am stärksten Behinderten, die ganz Alten, die Ausländer und Ausweislosen, die nicht Anziehenden und Einsamen, die Kranken und Schwachen? Wen stellten Sie dar als einen, der menschlichen Wert hat — oder ihn nicht hat? 6. Ganz gewiß, Ihr Beruf erlegt Ihnen ein großes Maß an Verantwortlichkeit auf — Verantwortlichkeit vor Gott, vor der Gemeinschaft und vor dem Zeugnis der Geschichte. Manchmal aber sieht es so aus, als sei alles Ihren Händen überlassen. Gerade, weil Ihre Verantwortung so groß ist und Ihre Verantwortlichkeit der Gemeinschaft gegenüber nicht leicht juristisch festzulegen, deshalb verläßt sich die Gesellschaft so sehr auf Ihren guten Willen. In einem gewissen Sinn ist die Welt Ihnen ausgeliefert. Irrtümer in der Beurteilung, Fehler in der Wertung der Richtigkeit und Gerechtigkeit der Mitteilung und falsche Kriterien in der Kunst können das Gewissen und die Würde des Menschen verletzen und beleidigen. Sie können in geheiligte, fundamentale Rechte eingreifen. Das Vertrauen, das die Gemeinschaft in Sie setzt, ehrt Sie tief und fordert Sie mächtig heraus. 7. Ich möchte Sie noch in etwas anderem ermutigen: Respektieren Sie auch Ihre eigene Würde. Alles, was ich über die Würde der Menschen gesagt habe, geht Sie an. REISEN Tägliche Sorgen bedrücken Sie auf eine andere: Weise als in anderen Berufen. Ihre Industrie reflektiert das schnelle Tempo der Neuigkeiten und des wechselnden Geschmacks. Sie hat es mit großen Geldsummen zu tun, die ihre eigenen Probleme mit sich bringen. Sie setzt Sie einem extremen Erfolgsdruck aus, ohne Ihnen zu sagen, was „Erfolg“ in Wirklichkeit ist. Da Sie dauernd mit Eindrücken arbeiten, kann die Versuchung bei Ihnen aufkommen, sie für Realität zu halten. Wenn Sie versuchen, die Träume von Millionen zu befriedigen, können Sie sich leicht in einer Welt der Phantasie verlieren. Deshalb müssen Sie die Integrität in Übereinstimmung mit Ihrer eigenen Menschenwürde pflegen. Sie selbst sind wichtiger als der Erfolg, wertvoller als jedes Budget. Lassen Sie sich nicht blindlings von Ihrer Arbeit treiben, denn wenn die Arbeit Sie versklavt, werden Sie bald Ihre Kunst versklaven. Was Sie sind und was Sie tun, ist zu wichtig, um das geschehen zu lassen. Sehen Sie zu, daß nicht das Geld Ihre einzige Sorge wird, denn auch das Geld ist fähig, Kunst und Seelen zu versklaven. In Ihrem Leben muß auch Raum für die Familie und die Muße sein. Sie brauchen Zeit, um zu rasten und wiederhergestellt zu werden, denn nur in der Ruhe können Sie den Frieden Gottes aufnehmen. Sie sind aufgerufen zu dem, was vornehm und erhaben ist im menschlichen Leben und Sie müssen die höchsten Ausdrücke des menschlichen Geistes studieren. Sie haben eine große Aufgabe, wenn Sie die Kultur dieser Nation und anderer Nationen gestalten. Ihnen ist ein wichtiger Teil des großen Erbes der menschlichen Rasse anvertraut. In der Erfüllung Ihrer Aufgabe müssen Sie immer vor Augen haben, wie Ihre Tätigkeiten sich auf die Weltgemeinschaft auswirken, wie sie der Sache der Weltsolidarität dienen. 8. Die Kirche wünscht, daß Sie wissen: sie steht an Ihrer Seite. Seit langem ist sie Schützerin und Verteidigerin der Kunst. Sie hat die Medien gefördert und war unter den ersten beim Gebrauch der neuen Technologie. Das erste Buch für die Druckerpresse von Johann Gutenberg, dem Erfinder der Buchdruckerkunst, war das inspirierte Wort Gottes, die Bibel. Radio Vatikan wurde unter der Leitung des Erfinders des Rundfunks, Guglielmo Marconi, eingerichtet; Heute ist die Kirche ebenfalls bereit, Ihnen mit ihrem Ansporn zur Seite zu stehen und Sie in allen wertvollen Zielsetzungen zu unterstützen. Sie bietet Ihnen die Herausforderung und ihr Lob an. Ich bete darum, daß Ihnen diese Hilfe willkommen ist und daß Sie nie Angst haben, sie anzunehmen. Meine Damen und Herren aus der Medienwelt. Ich habe Ihnen in großen Umrissen die Wahl des Guten im Rahmen Ihres Berufes vor Augen gestellt. Ich bitte Sie, sich für das Allgemeinwohl zu entscheiden, das heißt, die Würde jedes Menschen zu ehren. 1048 REISEN Ich bin überzeugt, daß wir bis zu einem gewissen Punkt eine gemeinsame Hoffnung teilen können; sie gründet im Wunschbild von einer Menschheit, die durch Kommunikation vereint ist. Ich bin außerdem sicher, daß alle von Ihnen, ob Christen oder nicht, mir erlauben werden an die große Faszination zu erinnern, die das Geheimnis des mitteilenden Wortes umgibt. Für die Christen ist das mitteilende Wort die Erklärung aller Realität, wie wir bei Johannes lesen: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott“ (Joh 1,1). Für alle aus der jüdisch-christlichen Tradition ist die Vornehmheit der Kommunikation an die Weisheit Gottes gebunden und kommt in seiner liebenden Offenbarung zum Ausdruck. Das Buch Deuteronomium zeichnet die Worte Gottes an das Volk Israel auf: „Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen“ (Dtn 6,5-6). Meine Damen und Herren: Als Kommunikatoren des Menschenwortes sind Sie die Ordner und Verwalter einer ungeheuren geistigen Kraft, die zum Erbe der Menschheit gehört und dazu bestimmt ist, die ganze menschliche Gemeinschaft zu bereichern. Die Herausforderung, die sich vor Ihnen auftut, benötigt ganz sicher Großzügigkeit, Dienstbereitschaft und Liebe. Ich bin überzeugt, daß Sie sich bemühen, ihr gerecht zu werden. Während Sie das tun, bete ich darum, daß Sie in Ihrem Leben eine tiefe Befriedigung und Freude erfahren. Möge der Friede Gottes in Ihrem Herzen wohnen. Maria ist Maß der Menschlichkeit Predigt bei der Eucharistiefeier im Los-Angeles-Coliseum (U.S.A.) am 15. September „Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen“ (Lk 2,35). Liebe Brüder und Schwestern der Erzdiözese Los Angeles und der Diözesen Orange, San Diego, San Bernardino und Fresno! 1. Die Meditation der Kirche konzentriert sich heute auf die Leiden Marias, der Mutter, die unter dem Kreuz ihres Sohnes steht. So vervollständigt sich das geistige Fest des Kreuzessiegs. Jesus hatte gesagt: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ {Joh 12,32). Diese: Worte erfüllten sich, als er am Kreuz „erhöht“ wurde. Die Kirche, die immer in diesem Geheimnis lebt, fühlt die Leiden der Mutter auf Golgota zutiefst. Die Todesnot des Sohnes, der in seiner schrecklichen Qual seinem Vater die ganze 1049 REISEN Welt anvertraut — diese Todesnot verbindet sich mit der Agonie im Herzen der Mutter dort auf dem Kalvarienberg. Das Evangelium erinnert uns heute daran, daß, als Jesus erst 40 Tage alt war, Simeon diese Agonie im Herzen der Mutter vorausgesehen hatte, als er sagte: „Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen“ (Lk 2,35). Das ganze Geheimnis des Gehorsams gegenüber dem Vater ist von der Todesnot des Sohnes umgeben: „Er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8), wie es in der gestrigen Liturgie verkündet wurde. Und heute lesen wir im Brief an die Hebräer: „Als er auf Erden lebte, hat er (Christus) mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht , der ihn aus dem Tod retten konnte“ (Hebr 5,7). Diese Worte beziehen sich vor allem auf die Todesnot im Garten von Getsemani, als Christus betete: „Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber“ (Mt 26,39-42). Der Autor des Briefes an die Hebräer fügt sofort hinzu, daß Christus „seiner Ehrfurcht wegen erhört wurde“ (Hebr 5,7). Ja, er wurde erhört. Er hatte gesagt: „Aber nicht, wie ich will, sondern wie du willst“ (Mt 26,39). Und so geschah es. Die Todesqual Christi war und ist noch das Geheimnis seines Gehorsams dem Vater gegenüber. In Getsemani. Auf Kalvaria. „Obwohl er der Sohn war“, so heißt es weiter im Text, „hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt“ (Hebr 5,8). Das umschließt den Gehorsam Christi bis in den Tod — das vollkommene Opfer der Erlösung. „Zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden“ (Hebr 5,9). 2. Wenn wir Unsere Liebe Frau, die Mutter der Schmerzen, in diesem Marianischen Jahr feiern, wollen wir uns an die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Gegenwart Marias, der Mutter Gottes, im Geheimnis Christi und der Kirche erinnern. Besonders sei der folgenden Worte gedacht: „So ging auch die selige Jungfrau den Pilgerweg des Glaubens. Ihre Vereinigung mit dem Sohn hielt sie in Treue bis zum Kreuz, wo sie nicht ohne göttliche Absicht stand“ (Lumen gentium, Nr. 58). Marias Pilgerweg im Glauben! Genau am Fuß des Kreuzes fand dieser Pilgerweg des Glaubens, der mit der Verkündigung begann, seinen Höhepunkt, seinen Gipfel. Dort ist er mit der Todesqual des mütterlichen Herzens Marias verbunden. Maria „(litt) heftig mit ihrem Eingeborenen und (verband) sich mit seinem Opfer in mütterlichem Geist, indem sie der Darbringung des Schlachtopfers, das sie geboren hatte, liebevoll zustimmte“ (Lumen gentium, Nr. 58). Gleichzeitig stellt die Todesnot ihres mütterlichen Herzens auch die Erfüllung der Worte Simeons dar: „Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen“ (Lk 2,35). Diese prophetischen Worte drücken sicher den 1050 REISEN „göttlichen Plan“ aus, nach dem es bestimmt ist, daß Maria am Fuß des Kreuzes steht. Die beredte Schlichtheit des Stabat mater ergreift das menschliche Empfinden 3. Die heutige Liturgie verwendet den alten poetischen Text der Sequenz, die mit den lateinischen Worten Stabat mater beginnt: Christi Mutter stand mit Schmerzen/ bei dem Kreuz und weint von Herzen,/ als ihr lieber Sohn da hing./ Durch die Seele voller Trauer, schneidend unter Todesschauer/ jetzt das Schwert des Leidens ging. Drücke deines Sohnes Wunden,/ wie du selber sie empfunden,/ heilge Mutter, in mein Herz./ Daß ich weiß, was ich verschuldet,/ was dein Sohn für mich erduldet, gib mir teil an deinem Schmerz. Der Autor dieser Sequenz versuchte in menschlich höchst beredter Weise das Mitleiden der Mutter am Fuße des Kreuzes darzustellen. Er wurde durch die Worte der Heiligen Schrift über die Schmerzen Marias dazu angeregt, Worte, die, so kurz und knapp sie sind, doch tief zu Herzen gehen. Es ist angemessen, daß auch Marias Loblied, das Magnificat, in unserer Feier Platz findet: „Meine Seele preist die Größe des Herrn ... denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut ... denn der Mächtige hat Großes an mir getan ... das er unseren Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig“ (Lk 1,46-55). Können wir nicht annehmen, daß diese Worte, die die innige, jubelnde Freude im Herzen der jungen Mutter widerspiegeln, selbst am Fuße des Kreuzes noch wahr klingen? Daß sie immer noch ihr Herz offenbaren, jetzt, da sie mit ihrem Sohn den Todeskampf teilt? Menschlich gesprochen, erscheint uns das unmöglich. Aber in der Fülle der göttlichen Wahrheit finden die Worte des Magnificat im Lichte des Ostergeheimnisses Christi — vom Kreuz bis zur Auferstehung — ihren endgültigen Sinn. In eben diesem Ostergeheimnis finden die „großen Dinge“, die Gott, der Mächtige, für Maria getan hat, ihre vollkommene Erfüllung — nicht nur für Maria, sondern für uns alle und die ganze Menschheit. Genau am Fuß des Kreuzes erfüllt sich die Verheißung, die Gott einst Abraham und seinen Nachkommen gab, dem Volk des Alten Bundes. Am Fuß des Kreuzes strömt die Fülle des Erbarmens, das der Menschheit von Geschlecht zu Geschlecht erwiesen wird von ihm, dessen Name heilig ist. Ja, am Fuß des Kreuzes erreicht „die Niedrigkeit seiner Magd“, auf die „Gott geschaut hat“ (vgl. Lk 1,48) — ihr volles Maß zusammen mit der völligen Erniedrigung des Gottessohnes. Am gleichen Ort beginnt aber auch die „Seligpreisung“ Marias durch „alle Geschlechter“. Dort, am Fuß des 1051 REISEN Kreuzes, ist — um die Beschreibung des Propheten Jesaja in der ersten Lesung zu gebrauchen — die Jungfrau von Nazaret voll „gekleidet in Gewänder des Heils“ (vgl. Jes 61,10): sie, die schon der Erzengel bei der Verkündigung als „Begnadete“ gegrüßt hatte (Lfc 1,28), sie, die in der vollkommensten Weise erlöst wurde, sie, die im Hinblick auf die Verdienste ihres Sohnes unbefleckt empfangen wurde um den Preis des Kreuzes kraft des Ostergeheimnisses Christi. 4. Liebe Brüder und Schwestern von Los Angeles und Südkalifornien! Es ist eine Freude für mich, diese Liturgie heute mit euch zu feiern. Kalifornien war und ist ein Symbol der Hoffnung und Verheißung für Millionen Menschen, die auch heute noch kommen, um für sich und ihre Familien eine neue Bleibe zu finden. Heute hat das Volk von Kalifornien einen großen Einfluß auf die Kultur der Vereinigten Staaten, die ihrerseits so tiefgreifend die übrige Welt beeinflußt. Euer Staat ist auch führend in Forschung und Technologie, die die Lebensqualität der Menschen verbessern und die Schranken abbauen sollen, die menschliche Freiheit und Fortschritt behindern. ■ Ich weiß, daß trotz all des Segens, dessen ihr euch in diesem schönen und blühenden Staat erfreut, die Anrufung Marias als der Mutter der Schmerzen immer noch ein Echo in eurem Herzen findet. Alle von uns haben ja in irgendeiner Weise Sorge und Leid im Leben erfahren. Kein noch so großer wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und sozialer Fortschritt kann uns vor der Verwundbarkeit durch Sünde und Tod schützen. Im Gegenteil, der Fortschritt schafft neue Möglichkeiten zum Bösen wie zum Guten. Die Technologie z. B. kann unsere Möglichkeiten erweitern, uns aber nicht lehren, richtig zu handeln. Die Auswahl, die wir haben, wird größer, aber wir selbst müssen zwischen Gut und Böse unterscheiden. Körperliche und gefühlsmäßige Leiden sind neben moralischem Leiden Teil jedes menschlichen Lebens. Die Botschaft des Evangeliums ist gewiß kein Feind menschlichen Fortschritts oder der Förderung unseres zeitlichen Wohlergehens, aber das Ostergeheimnis erlaubt es uns auch nicht, vor menschlichen Sorgen und Leiden zu flüchten. 5. Es ist die Botschaft vom gekreuzigten Sohn und seiner Mutter am Fuße des Kreuzes, daß die Geheimnisse des Leidens, der Liebe und der Erlösung untrennbar miteinander verbunden sind. In Verbitterung und Entfremdung von Gott und unseren Mitmenschen werden wir nie die Antwort auf die Frage finden: „Warum müssen wir leiden?“ Kalvaria lehrt uns, daß wir nur durch den Gehorsam, der im Brief an die Hebräer erwähnt wird, eine Antwort 1052 REISEN finden. Es ist kein Gehorsam einem grausamen oder ungerechten Gott unserer eigenen Vorstellung gegenüber, sondern Gehorsam gegenüber dem Gott, der die „Welt so sehr liebte, daß er seinen einzigen Sohn hingab“ (Joh 3,16), Jesus betete: „Aber nicht, wie ich will, sondern wie du willst... dein Wille geschehe (Mt 26,39.42). Und Maria begann ihren Pilgerweg des Glaubens mit den Worten: „Ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Ein scheinbares Paradoxon der königliche Weg des Kreuzes Wenn wir das Leiden von Sohn und Mutter im Licht der Schrift betrachten, können wir ihren Gehorsam nicht mit Fatalismus oder Passivität gleichsetzen. Das Evangelium ist nämlich die Verneinung der Passivität angesichts des Leidens (Salvifici doloris, Nr. 30). Wir sehen vielmehr eine Tat liebender Selbsthingabe Christi für die Erlösung der Welt und von seiten Marias von Anfang an aktive Teilnahme an der Erlösungssendung ihres Sohnes. Wenn wir uns bemüht haben, Leiden zu lindem oder zu überwinden, wenn wir wie Christus gebetet haben, daß „der Kelch an uns vorübergehen möge“ (vgl. Mt 26,39), und das Leiden dennoch bleibt, dann müssen wir den „königlichen Weg“ des Kreuzes gehen. Wie ich schon erwähnt habe, ist Christi Antwort auf unsere Frage: „Warum?“ vor allem ein Ruf, eine Berufung. Christus gibt.uns keine abstrakte Antwort, er sagt: „Folge mir nach!“ Er gibt uns die Möglichkeit, durch Leiden an seinem eigenen Heilswerk für die Welt teilzunehmen. Und wenn wir unser Kreuz aufnehmen, dann wird uns die erlösende Bedeutung des Leidens offenbar. Dann finden wir in unserem Leiden den inneren Frieden und sogar geistige Freude (vgl. Salvifici doloris, Nr. 26). Der Brief an die Hebräer spricht auch davon, daß man durch Leiden vollkommen wird (vgl. Hebr 5,8-10). Dem ist so, weil die läuternden Flammen der Prüfungen und Sorgen die Macht haben, uns von innen her umzugestalten, indem sie unsere Liebe freisetzen, uns Mitleid mit anderen lehren, und uns so Christus näher bringen. Nächst ihrem Sohn ist Maria das vollkommenste Beispiel dafür. Weil sie die Mutter der Schmerzen ist, ist sie Mutter eines jeden von uns, unser aller Mutter. Das geistige Schwert, das ihr Herz durchbohrt, bringt einen Strom des Mitleids für alle Leidenden zum Fließen. 6. Meine lieben Brüder und Schwestern! Während wir dieses Marianische Jahr in Vorbereitung auf das 3. Jahrtausend der Christenheit feiern, laßt uns die Mutter Gottes auf ihrem Glaubensweg begleiten. Lernen wir von ihr die Tugend des Mitleids, von ihr, deren Herz am Fuß des Kreuzes vom Schwert durchbohrt wurde. Es ist die Tugend, die den barmherzigen Samariter dazu 1053 REISEN veranlaßte, neben dem Opfer auf der Straße anzuhalten und nicht weiterzugehen oder auf die andere Straßenseite überzuwechseln. Ganz gleich, ob es sich um unseren Nachbarn oder um weit entfernt lebende Völker und Nationen handelt, wir müssen für alle Leidenden der barmherzige Samariter sein. Wir müssen für die Bedürftigen der barmherzige „Nächste“ sein, nicht nur dann, wenn es unserem Gefühl entspricht oder wenn es uns paßt, sondern auch, wenn es viel von uns verlangt und uns ungelegen kommt (vgl. Salvifici dolo-ris, Nr. 28-30). Barmherzigkeit ist eine Tugend, auf die wir nicht verzichten können in einer Welt, in der das menschliche Leiden so vieler unserer Brüder und Schwestern unnötigerweise durch Unterdrückung, Entbehrung und Unterentwicklung — durch Armut, Hunger und Krankheit — verstärkt wird. Mitleid ist auch vonnöten angesichts der geistigen Leere und Ziellosigkeit, unter der Menschen mitten in Wohlstand und Komfort in Industriestaaten wie dem eurigen leiden. Mitleid ist eine Tugend, die jenen, die sie ausüben, Heilung bringt, nicht nur in diesem Leben, sondern in Ewigkeit: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden“ (Mt 5,7). 7. Durch den Glauben Marias laßt uns also unseren Blick auf das Geheimnis Christi richten. Das Geheimnis des Menschensohns, das in die irdische Geschichte der Menschheit eingeschrieben wurde, ist gleichzeitig die endgültige Darstellung Gottes in der Geschichte. Simeon sagte: „Dieser ist dazu bestimmt, daß in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird“ (Lk 2,34). Wie tief sind diese Worte! Wie tief reichen diese Worte in die Geschichte der Menschheit! In die Geschichte von uns allen: Christus ist dazu bestimmt, daß viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden! Christus ist ein Zeichen des Widerspruchs! Stimmt das nicht auch heute? In unserer Zeit? In unserer Generation? Neben Christus steht Maria. Zu ihr spricht Simeon: „... dadurch sollen die Gedanken vieler Menschen offenbar werden. Dir selbst wird aber ein Schwert durch die Seele dringen“ (Lk 2,35). Heute bitten wir um die Demut des Herzens und ein klares Gewissen: vor Gott durch Christus. Ja, wir bitten darum, daß die Gedanken unserer Herzen offenbar werden. Wir bitten, daß unser Gewissen rein sei vor Gott durch das Kreuz Christi im Herzen Marias. Amen. 1054 REISEN Gegenseitiger Respekt führt zum Dialog Ansprache an führende Persönlichkeiten der Weltreligionen in Los Angeles (U.S.A.) am 16. September Liebe Brüder und Schwestern, Vertreter und führende Persönlichkeiten der Weltreligionen! Liebe Freunde! 1. Es ist eine große Freude für mich, Ihnen, den lokalen Repräsentanten der großen Weltreligionen, bei meinem Pastoralbesuch zu begegnen. Ich möchte besonders der japanischen Gemeinschaft von Los Angeles für ihre freundliche Gastfreundschaft in diesem Zentrum danken, das ebenso ein Symbol für die kulturelle Vielfalt in den Vereinigten Staaten wie für den Dialog und den Austausch im Dienst für das allgemeine Wohl ist. Es ist mir bekannt, daß die japanische Gemeinschaft in dieser Gegend von Los Angeles ein Jahrhundert lang anwesend war. Möge Gott Sie weiterhin mit jeder guten Gabe segnen jetzt und in der Zukunft. Ich möchte meine freundlichen Grüße auf alle religiösen Führungskräfte ausdehnen und auf alle Menschen guten Willens, die uns heute mit ihrer Gegenwart ehren. Es gibt grundsätzliche menschliche Gemeinsamkeiten Ich bin der Überzeugung, daß wir von jeder Gelegenheit, einander Liebe und Achtung zu erweisen, Gebrauch machen müssen, so wie es im Sinne von No-stra aetate ist, der Konzilserklärung, die, wie das Thema unserer Begegnung bestätigt, noch 22 Jahre nach ihrer Promulgation unter den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils lebendig ist. Diese Erklärung über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen spricht von dem, was „den Menschen gemeinsam ist und sie zur Gemeinschaft untereinander führt“ (Nostra aetate, Nr. 1). Das wird weiterhin die Basis für unsere Anstrengungen bleiben, um eine fruchtbare Beziehung zwischen allen großen Religionen der Welt zu entwickeln. 2. Wie ich schon zu einem früheren Zeitpunkt in diesem Jahr festgestellt habe, bleibt die katholische Kirche der Verkündigung des Evangeliums Christi fest verpflichtet und auch dem Dialog mit anderen Religionen: Verkündigung des Evangeliums, denn, so stellt Nostra aetate fest: „Unablässig verkündet sie und muß sie verkündigen Christus, der ist, der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,16), in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens fin- 1055 REISEN den, in dem Gott alles mit sich versöhnt hat (2 Kor 5,18-19)“ (Nostra aetate, Nr. 2); Dialog und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen wegen der geistlichen uhd sittlichen Güter, die wir teilen (vgl. ebd.). Dieser Dialog ist „ein Komplex menschlicher Tätigkeiten, die sieh alle auf die Achtung und Wertschätzung von Menschen verschiedener Religionen gründen. Er beinhaltet das tägliche Zusammenleben in Frieden und gegenseitiger Hilfe, wobei jeder Zeugnis ablegt für die Werte, die er durch die Erfahrung des Glaubens kennengelemt hat. Er bedeutet die Bereitschaft zur Kooperation mit den anderen für die Besserung der Menschheit und eine Verpflichtung, miteinander nach dem wahren Frieden zu suchen. Er bedeutet Treffen von Theologen und arideren Religionsspezialisten, die mit ihresgleichen aus anderen Religionen Bereiche von Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten zu erforschen suchen. Wo es die Umstände erlauben, bedeutet es das Teilen von geistlichen Erfahrungen und Einsichten. Dieses Teilen kann die Form des Zusammenkommens als Brüder und Schwestern haben, um zu Gott zu beteri, in Formen, die die Einzigartigkeit jeder religiösen Tradition sicherstellen.“ (Ansprache an die Mitglieder und das Personal des Sekretariats für die Nichtchristen, 28. 4. 1987). Während meines ganzen Pontifikats war es meine ständige Sorge, diese doppelte Aufgabe der Verkündigung und des Dialogs zu erfüllen. Bei meinen Pa-storalbesuchen auf der ganzen Welt habe ich versucht, die Katholiken im Glauben zu ermutigen und zu stärken und ebenso die anderen Christen. Zugleich war es mir eine Freude, Führer aller Religionen zu treffen, in der Hoffnung, damit ein größeres Verständnis zwischen den Religionen und Zusammenarbeit zum Wohl der Menschheitsfamilie zu erreichen. Ich war sehr froh und zufrieden, daß der Welttag des Gebetes in Assisi im letzten Oktober mit solcher Offenheit und so gutem Willen angenommen wurde, nicht nur von den verschiedenen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, sondern auch von den anderen Religionen der Welt. Ebenso war ich erfreut darüber, daß ein weiterer Weltgebetstag in Japan, auf dem Mount Hiei, darauf folgte. 3. Was ich in Assisi gesagt habe, trifft auch auf unser heutiges Treffen zu: „Die Tatsache, daß wir hierher gekommen sind, beinhaltet nicht die Absicht, unter uns selbst einen religiösen Konsens zu suchen oder über unsere religiösen Überzeugungen zu verhandeln. Es bedeutet weder, daß die Religionen auf der Ebene einer gemeinsamen Verpflichtung gegenüber einem irdischen Projekt, das sie alle übersteigen würde, miteinander versöhnt werden könnten. Noch ist es eine Konzession an einen Relativismus in religiösen Glaubensfragen, weil jedes menschliche Wesen ehrlich seinem rechtschaffenen Gewissen folgen muß mit der Absicht, die Wahrheit zu suchen und ihr zu gehorchen. 1056 REISEN Unsere Begegnung bezeugt nur — und das ist ihre wirkliche Bedeutung für die Menschen unserer Zeit —, daß die Menschheit in dem großen Kampf für den Frieden, gerade in ihrer Verschiedenheit, aus ihren tiefsten und lebendigsten Quellen schöpfen muß, von wo ihr Gewissen geformt wird und auf dem das sittliche Handeln der Menschen gründet“ {Botschaft an die Teilnehmer des Weltgebetstages für den Frieden, Assisi, 27. Oktober 1986). In diesem Sinn möchte ich durch Sie jede Ihrer großen Gemeinschaften grüßen, bevor ich noch etwas über die Sorge um den Frieden, die wir alle teilen, sagen werde. Zur buddhistischen Gemeinschaft, die sowohl zahlreiche asiatische als auch amerikanische Traditionen widerspiegelt: Ich möchte mit Hochachtung Ihre Lebensweise anerkennen, die sich auf Mitleid und liebende Güte stützt und auf ein Verlangen nach Frieden, Glück und Harmonie aller Lebewesen. Mögen alle von uns Zeugnis geben für das Mitleid und die liebende Güte, zur Förderung des wahren Guten in der Menschheit. Zur islamischen Gemeinschaft: Ich teile Ihren Glauben, daß die Menschheit ihr Dasein dem einen barmherzigen Gott verdankt, der Himmel und Erde erschaffen hat. In einer Welt, in der Gott abgewiesen wird, oder in der man ihm nicht gehorcht, in einer Welt, die so viel Leiden kennt und die die Barmherzigkeit Gottes so sehr braucht, laßt uns gemeinsam danach streben, mutige Überbringer der Hoffnung zu sein. Zur hinduistischen Gemeinschaft: Ich achte Ihr Streben nach innerem Frieden und nach dem Frieden der Welt, der sich nicht auf rein mechanistische oder materialistische politische Erwägungen stützt, sondern auf die eigene Läuterung, auf Selbstlosigkeit, Liebe und Sympathie für alle. Möge das Herz aller Menschen mit solcher Liebe und solchem Verständnis durchtränkt werden! Zur jüdischen Gemeinschaft: Ich wiederhole die Überzeugung des Zweiten Vatikanischen Konzils, daß die Kirche „auch nicht vergessen (kann), daß sie durch jenes Volk, mit dem Gott aus unsagbarem Erbarmen den Alten Bund geschlossen hat, die Offenbarung des Alten Testamentes empfing und genährt wird von der Wurzel des guten Ölbaums, in den die Heiden als wilde Schößlinge eingepfropft sind“ (vgl. Rom 11,17-24, Nostra aetate, Nr. 4). Mit Ihnen stelle ich mich gegen jede Form von Antisemitismus. Mögen wir auf den Tag hinarbeiten, an dem alle Völker und Nationen sich der Sicherheit, der Harmonie und des Friedens freuen können. 4. Liebe Brüder und Schwestern dieser Religionen und jeder anderen Religion: So viele Menschen machen in dieser Zeit die Erfahrung innerer Leere, sogar inmitten materiellen Reichtums, weil sie die großen Fragen des Lebens übersehen: „Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens? Was 1057 REISEN ist das Gute, was die Sünde? Woher kommt das Leid, und welchen Sinn hat es? Was ist der Weg zum wahren Glück? Was ist der Tod, das Gericht und die Vergeltung nach dem Tode? Und schließlich: Was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?“ (Nostra aetate, Nr. 1). Diese tief geistlichen Fragen,, die in gewisser Weise von allen Religionen geteilt werden, führen uns zusammen in einer gemeinsamen Sorge um das irdische Wohl des Menschen — besonders in der Sorge um den Weltfrieden. So sagte ich in Assisi: „Mit den Weltreligionen teilen wir eine gemeinsame Achtung des Gewissens und den Gehorsam ihm gegenüber, was uns alle lehrt, die Wahrheit zu suchen, die einzelnen und die Völker zu lieben und ihnen zu dienen und deshalb unter den einzelnen Menschen und unter den Nationen Frieden zu stiften“ {Botschaft zum Abschluß des Weltgebetstages für den Frieden, Assisi, 27. Oktober 1986). Ein dauerhafter Friede verlangt nach einer tiefgehenden Sensibilität des Gewissens Im Sinn j ener freundlichen Worte, mit denen Sie mich früher Anwalt des Friedens genannt haben, wollen wir fortfahren, den Frieden für die Menschheitsfamilie zu suchen: durch das Gebet, da der Friede unsere menschlichen Anstrengungen übersteigt; durch Buße, da wir nicht immer „Friedensstifter“ gewesen sind; durch prophetisches Zeugnis, da alte Trennungen und soziale Übel beseitigt werden müssen; durch konstante Initiativen für die Rechte der einzelnen und der Nationen und für Gerechtigkeit überall. Das zerbrechliche Geschenk des Friedens wird nur Bestand haben, wenn sich alle gemeinsam anstrengen und sich auseinandersetzen mit der „krassen Ungerechtigkeit nicht nur im Besitz der Güter, sondern mehr noch in deren Gebrauch“ (Popu-lorum progressio, Nr. 9). Diesbezüglich haben Verantwortliche auf Weltebene und internationale Körperschaften ihre besondere Rolle zu spielen. Aber auch weltweite Sensibilität ist nötig, besonders unter den jungen Leuten. Ich glaube, daß das Gebet des heiligen Franz von Assisi, der in aller Welt als Mann des Friedens anerkannt ist, das Gewissen von uns allen berührt. Dieses Gebet drückt am besten meine Gefühle bei diesem Treffen mit euch heute aus: O Gott, mach1 mich zu einem Werkzeug deines Friedens;/ wo Haß ist, laß mich Liebe säen,/ Wo Unrecht: Verzeihen;/ wo Zweifel: Glauben;/ wo Verzweiflung: Hoffnung;/ Wo Dunkel herrscht, laß mich Licht bringen, und wo Traurigkeit: Freude. 1058 REISEN O göttlicher Meister, gib, daß ich nicht so sehr suche, getröstet zu werden, sondern zu trösten; nicht so sehr, verstanden zu werden, sondern zu verstehen; nicht so sehr, geliebt zu werden, sondern zu lieben. Denn im Geben empfangen wir; im Verzeihen wird uns verziehen, und im Sterben werden wir zum ewigen Leben geboren. Die Kirche ist eine Gemeinschaft des Glaubens Ansprache an die Bischöfe der USA in Los Angeles (U.S.A.) am 16. September Liebe Brüder in unserem Herrn Jesus Christus! 1. Bevor ich im Zusammenhang mit unserem brüderlichen Gedankenaustausch zu antworten beginne, möchte ich euch meine tiefe Dankbarkeit aussprechen: Dankbarkeit für eure zahlreichen Einladungen, diesen pastoralen Besuch zu machen, Dankbarkeit für eure heutige Präsenz hier und Dankbarkeit für die umfangreichen Vorbereitungen, die dieser Besuch gefordert hat. Doch über all dies hinaus danke ich euch vor allem für eure tägliche Mühe und eure Partnerschaft mit mir in der Sache des Evangeliums. Mit einem Wort, ich danke euch für „das Werk eures Glaubens, die Opferbereitschaft eurer Liebe und für die Standhaftigkeit eurer Hoffnung auf Jesus Christus, unseren Herrn“ (i Thess 1,3). Kardinal Bernardin hat uns eine Einführung in die äußerst wichtige Wirklichkeit der „communio“ gegeben, den besten Rahmen für unsere Unterhaltung. Als Bischöfe können wir nie müde werden beim betenden Nachdenken über dieses Thema. Denn, wie die außerordentliche Tagung der Bischofssynode im Jahre 1985 erklärt hat, ist „die Communio-Ekklesiologie die zentrale und grundlegende Idee der Konzilsdokumente“ {Schlußdokument, C, 1) . Daraus folgt, daß wir immer wieder zu diesen gleichen Dokumenten zurückkehren müssen, um mit ihrer tiefen theologischen Sicht der Kirche vertraut zu werden, die der Heilige Geist uns vorgelegt hat, und die die Grundlage aller pastoralen Dienste auf dem Pilgerweg der Kirche die Geschichte der Menschen hindurch bleibt. Das Programm unseres kollegialen Dienstes kann kein anderes sein, als in den Strom des kirchlichen Lebens den ganzen Reichtum des Selbstverständnisses der Kirche einfließen zu lassen, wie er der Gemeinschaft des Glaubens bei der Feier des Zweiten Vatikanischen Konzils durch den heiligen Geist geschenkt wurde. Die Erneuerung des katholischen Lebens, zu der das Konzil aufgeru- 1059 REISEN fen hat, darf nicht an erster Stelle an den äußeren Strukturen gemessen werden, sondern an einem tieferen Verständnis und einer wirksamen Einpflanzung der eigentlichen Sicht ihrer wahren Natur und Sendung, die das Konzil der Kirche am Ende des zweiten Jahrtausends der christlichen Ära geschenkt hat. Diese Erneuerung hängt nämlich davon ab, wie die grundlegenden Erkenntnisse des Konzils wirklich in jeder Einzelkirche und in der universalen Kirche aufgenommen werden. Im Zentrum des Selbstverständnisses der Kirche steht der Gedanke der Com-munio, an erster Stelle ein durch die Gnade gewirktes Anteilhaben am Leben des Vaters, das uns durch Christus und im Heiligen Geist mitgeteilt wurde. „In ihm (Christus) hat Gott uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott in Liebe“ (Eph 1,4). Diese Communio hat ihren Ursprung in einem göttlichen Ruf, in dem ewigen Ratschluß, der uns dazu bestimmt hat, dem Bild des Sohnes gleichförmig zu werden (vgl. Röm 8,28-30). Verwirklicht wird sie durch die sakramentale Vereinigung mit Christus und durch organische Teilhabe an allem, was die göttliche und menschliche Wirklichkeit der Kirche, des Leibes Christi ausmacht, der die Jahrhunderte umspannt und in die Welt gesandt ist, um alle Völker ohne Unterschied zu umfassen. Bischöfe, Klerus, Ordensleute und Laien bilden das Volk Gottes 2. Es ist offenkundig, daß in den Jahrzehnten seit dem Konzil diese vertikale Dimension der kirchlichen Gemeinschaft von vielen weniger tief erfahren wurde, die dagegen einen lebhaften Sinn für ihre horizontale Dimension haben. Doch wenn nicht die ganze Gemeinschaft der Christen sich lebhaft der wunderbaren und gänzlich unverdient geschenkten Ausgießung „der Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Retters“, bewußt ist, der uns gerettet hat, „nicht.weil wir Werke vollbracht hätten, die uns gerecht machen können, sondern aufgrund seines Erbarmens“, so würde die ganze Ordnung des Lebens der Kirche und die Ausbildung ihrer Sendung des Dienstes an der Menschheitsfamilie radikal geschwächt und nie das vom Konzil angezielte Niveau erreichen. Der Leib der Kirche ist in dem Maße gesund, in dem Christi Gnade, ausgegossen durch den Heiligen Geist, von den Gliedern angenommen wird. Unsere pastoralen Bemühungen aber sind letztlich dann fruchtbar, wenn das Volk Gottes — wir Bischöfe mit dem Klerus, den Ordensleuten und Laien — uns zu Christus führen lassen, in Glaube, Hoffnung und Liebe wachsen und echte Zeugen von Gottes Liebe werden in einer Welt, die der Umgestaltung bedarf. Kardinal Bemardin hat sehr gut ausgeführt, daß gerade, weil es nur einen Glauben, einen Herrn und eine Taufe gibt, es auch nur eine Loyalität zum 1060 REISEN Wort Gottes geben kann, wie es ständig in der Kirche verkündet wird und dem Bischofskollegium mit dem Römischen Papst als sichtbarem Haupt und dauernder Quelle der Einheit anvertraut ist. Das Wort Gottes als Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt (vgl. Röm 1,16; Dei verbum, Nr. 17), offenbart sich voll im Paschamysterium von Tod und Auferstehung Jesu Christi. Dieses Paschamysterium schenkt uns transzendentes und ewiges Heil: „Er ist für uns gestorben, damit wir alle vereint mit ihm leben“ (2 Thess 5,10). Es ist daher die Aufgabe der Kirche, wenn sie auf jede mögliche Weise versucht, ihren Dienst für die Menschheitsfamilie in allem, was diese braucht, auszuweiten, Christi Aufruf zur Bekehrung zu predigen und die Erlösung in seinem Blut zu verkündigen. 3. Die vertikale Dimension der kirchlichen Communio ist von tiefer Bedeutung für das Verständnis der Beziehung zwischen den Einzelkirchen und der universalen Kirche. Vermeiden muß man eine bloß soziologische Sicht dieses Verhältnisses. „In ihnen und aus ihnen besteht die eine und einzige katholische Kirche“ (Lumen gentium, Nr. 23), doch darf diese universale Kirche nicht als Summe der Einzelkirchen oder als Föderation von Teilkirchen aufgefaßt werden. Bei der Eucharistiefeier treten diese Grundsätze klar zutage, denn wie das Konzilsdokument über die Liturgie ausführt, wird die Kirche auf eine vorzügliche Weise dann sichtbar, „wenn das ganze heilige Gottesvolk voll und tätig an denselben liturgischen Feiern, besonders an derselben Eucharistiefeier, teilnimmt: in der Einheit des Gebetes und an dem einen Altar und unter dem Vorsitz des Bischofs, der umgeben ist von seinem Presbyterium und den Dienern des Altars“ (Sacrosanctum Concilium, Nr. 41). Wo immer sich eine Gemeinschaft um den Altar unter dem Vorsitz eines Bischofs versammelt, dort ist Christus gegenwärtig und um Christi Willen die eine, heilige katholische und apostolische Kirche versammelt (vgl. Lumen gentium, Nr. 26). Die katholische Kirche selber lebt in jeder Einzelkirche, die aber wahrhaft vollständig nur sein kann durch wirksame Gemeinschaft im Glauben, in den Sakramenten und in der Einheit mit dem ganzen Leib Christi. Im vergangenen November habe ich in meinem Brief zu eurer Tagung in Washington diesen Aspekt der Communio etwas weiter ausgeführt. Ich schrieb damals: „Das wahre Geheimnis der Kirche nötigt uns zu der Erkenntnis, daß die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche in jeder Teilkirche überall in der Welt gegenwärtig ist. Und seitdem der Nachfolger Petri als Hirte und Stellvertreter Christi für die Gesamtkirche bestellt wurde (vgl. Lumen gentium, Nr. 22), sind alle Teilkirchen — eben weil sie katholisch sind, eben weil sie in sich 1061 REISEN selbst das Geheimnis der Universalkirche verkörpern — aufgerufen, in Gemeinschaft mit ihm zu leben. Unsere Beziehung als kirchliche Gemeinschaft — collegialitas effectiva et af-fectiva — läßt sich eben in diesem Geheimnis der Kirche erkennen. Eben weil ihr Bischöfe von Teilkirchen seid, in denen die Fülle der Universalkirche vorhanden ist, seid ihr und müßt ihr immer in voller Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri stehen. Euer Amt als Stellvertreter und Gesandte Christi für eure Teilkirchen (.Lumen gentium, Nr. 27) anerkennen heißt, das Amt des Stuhles Petri um so klarer zu verstehen, welcher der gesamten Liebesgemein-schaft vorsteht, die rechtmäßigen Verschiedenheiten schützt und zugleich darüber wacht, daß die Besonderheiten der Einheit nicht nur nicht schaden, sondern ihr vielmehr dienen (.Lumen gentium, Nr. 13). (Brief vom 4. November 1986). Der Nachfolger Petri sucht das Klima brüderlicher Kollegialität 4. Auch in dieser Perspektive dürfen wir den Dienst des Nachfolgers Petri nicht nur als globalen Dienst sehen, der jede Teilkirche wie von außen erreicht, wie es der Fall war; er gehört vielmehr bereits zum Wesen jeder Teilkirche als inneres Element. Eben wegen dieses Verhältnisses kirchlicher Gemeinschaft ist unsere collegialitas effectiva et affectiva etwas derart Innerliches in der Struktur des Lebens der Kirche, und ihre Ausübung verlangt von jedem einzelnen von uns vollständige Einheit im Geist und Herz mit dem Willen Christi im Hinblick auf unsere verschiedenen Rollen im Bischofskollegium. Das Konzil hat sich nicht nur Mühe gegeben, diese Rollen zu formulieren, sondern auch die Ausübung der Autorität in der Kirche in die richtige Perspektive zu stellen, eben in die der Communio. In dieser Hinsicht war das Konzil ebenfalls nach den Worten der Außerordentlichen Synode „ein rechtmäßiger und gültiger Ausdruck und eine Interpretation des Glaubensschatzes (depositum fidei) ..., der in der Heiligen Schrift und in der lebendigen Tradition der Kirche enthalten ist“ (Schlußdokument, 1,2). Wie ich euch weiter im letzten Jahr schrieb, habe ich mich bemüht, meine Aufgabe als Nachfolger des Petrus in einem Geist brüderlicher Solidarität mit euch zu erfüllen. Ich möchte einzig allen Bischöfen der Welt zu Diensten sein und — in Gehorsam meiner besonderen Verantwortung für den Dienst an der Einheit und Universalität der Kirche — sie in ihrem eigenen kollegialen Dienst bestärken. Bei dieser Aufgabe hat mich immer eure brüderliche Unterstützung kräftig ermuntert und eure Partnerschaft im Dienst am Evangelium, wofür ich euch erneut meine tiefe Dankbarkeit ausspreche. Für die Kirche bleibt es sehr wichtig, daß wir weiter in der vollen Kraft der Communio der 1062 REISEN Kirche gemeinsam Jesus Christus und sein Evangelium verkünden. Auf diese Weise leben wir selber im Vollmaß als Nachfolger der Apostel das Geheimnis kirchlicher Gemeinschaft. Zugleich befähigen wir durch unseren Dienst die Gläubigen, tiefer in das Leben der Kirche, die Gemeinschaft mit der heiligsten Dreifaltigkeit einzutreten. Nicht nur die Rosinen aus dem ,,Kuchen“picken! 5. Erzbischof Quinn sprach von der Kirche als einer Gemeinschaft, die der moralischen Lehre unseres Herrn Jesus Christus treu sein möchte. Die Verkündigung eines Gesamt von moralischer Lehre ist in der Tat ein untrennbarer Teil der Sendung der Kirche in der Welt. So hat die Kirche von Anfang an unter Führung des Heiligen Geistes versucht, Gottes Offenbarung in Christus auf all die verschiedenen Aspekte unseres Lebens in dieser Welt anzuwenden, denn sie wußte, daß wir „ein Leben führen (sollen), das des Herrn würdig ist und in allem sein Gefallen findet“ (Kol 1,10). Es wird gelegentlich berichtet, daß eine große Zahl von Katholiken heute in einer Anzahl von Fragen, zumal zur Sexual- und Ehemoral, zu Ehescheidung und Wiederverheiratung nicht der Lehre der Kirche folgen. Von einigen wird berichtet, sie nähmen die klare Stellungnahme der Kirche zur Abtreibung nicht an. Es wurde auch bei manchen Katholiken eine Tendenz festgestellt, bei ihrem Ja zur Moral der Kirche eine Auswahl zu treffen. Manchmal wird die Meinung vertreten, eine Abweichung vom Lehramt sei völlig vereinbar damit, ein „guter Katholik“ zu sein, und bedeute kein Hindernis für den Empfang der Sakramente. Dies ist ein schwerwiegender Irrtum, der das Lehramt der Bischöfe in den Vereinigten Staaten und anderswo herausfordert. Ich möchte euch in der Liebe Christi ermuntern, in eurem pastoralen Dienst diese Situation mutig anzugehen, indem ihr euch auf die Kraft von Gottes Wahrheit stützt, um Zustimmung zu gewinnen, und euch auf die Gnade des Heiligen Geistes verlaßt, der sowohl denen gegeben ist, die die Botschaft verkünden, als auch denen, an die sie sich richtet. Wir müssen uns auch ständig daran erinnern, daß die Lehre der Kirche Christi wie Christus selbst ein „Zeichen des Widerspruchs“ ist, daß es nie leicht war, die Lehre des Evangeliums in ihrer Gesamtheit anzunehmen, und es wird nie leicht sein. Die Kirche ist darum bemüht, ihre Lehre in Dingen des Glaubens und der Moral so klar und verständlich wie möglich zu machen und sie mit all der Anziehungskraft der göttlichen Wahrheit vorzutragen. Und doch gehört es innerlich zur christlichen Botschaft, die jeder Generation weitergegeben wird, daß das Evangelium herausfordert. Erzbischof Quinn hat auf einen Grundsatz mit äußerst wichtigen Folgen für jeden Bereich des Lebens der 1063 REISEN Kirche aufmerksam gemacht: „die Offenbarung Gottes schlechthin findet sich im Kreuz Christi, das Gottes Torheit weiser als menschliche Weisheit macht. In einer bestimmten Zeit scheint oft menschliche Weisheit das letzte Wort zu haben. Doch das Kreuz bietet eine Perspektive, die die Urteile radikal ändern.“ Ja, liebe Brüder, gerade indem das Kreuz Barmherzigkeit, Mitleid und Liebe zeigt, wandelt es radikal die Urteile. 6. Es sei noch auf andere allgemeine Punkte hingewiesen. Zunächst ist die Kirche eine Gemeinschaft des Glaubens. Den Glauben anzunehmen bedeutet, dem Wort Gottes zustimmen, wie es vom authentischen Lehramt der Kirche vorgetragen wird. Diese Zustimmung bildet die Grundhaltung des Glaubenden und umfaßt sowohl einen Akt des Willens wie einen Akt des Verstandes. Es währe völlig fehl am Platz, diesen Akt der Religion in Haltungen umzuändem, die man aus der weltlichen Kultur übernommen hat. In der Gemeinschaft der Kirche vollzieht sich theologische Diskussion innerhalb des vom Glauben abgesteckten Rahmens. Eine von der Lehre der Kirche abweichende Meinung bleibt, was sie ist, eine Abweichung; als solche aber darf sie nicht auf gleicher Ebene vorgetragen oder angenommen werden wie die authentische Lehre der Kirche. Ferner müssen wir als Bischöfe besonders aufmerksam unsere Rolle als authentische Lehrer des Glaubens wahmehmen, wenn von der Lehre der Kirche abweichende Meinungen als Grundlage für die seelsorgliche Praxis vorgetragen werden. Ich möchte euch ermuntern bei eurem weiteren Einsatz für einen fruchtbaren Dialog mit den Theologen über die legitime Freiheit der Forschung, wie sie ihr Recht ist. Ihr ermutigt sie mit Recht aufrichtig bei ihrer schwierigen Aufgabe und versichert sie, wie sehr die Kirche ihre hingebungsvolle und konstruktive Arbeit braucht und wie tief sie diese schätzt. Sie ihrerseits werden anerkennen, daß der Titel eines katholischen Theologen eine Berufung und Verantwortung zum Dienst für die Glaubensgemeinschaft bedeutet und der Autorität der Hirten der Kirche unterliegt. Im besonderen wird euer Dialog versuchen, die Unannehmbarkeit des Widerspruchs und des Protests als Politik und Methode im Bereich der Lehre der Kirche aufzuzeigen. Zwei Pfeiler christlichen Lebens Der Geist und das Herz 7. Erzbischof Quinn hat als euer Sprecher zum Ausdruck gebracht, daß der Ernst der Herausforderung für euren Dienst als Lehrer ständig bekannt ist. Er sprach von der doppelten Aufgabe einer Bekehrung des Geistes und der Bekehrung des Herzens. Der Weg zum Herzen führt sehr oft über den Geist, und 1064 REISEN in der Kirche braucht es heute weit und breit ein neues Bemühen der Evangelisierung und Katechese, die sich an den Geist richtet. Ich habe an anderer Stelle das Verhältnis zwischen Evangelium und Kultur erwähnt. Hier möchte ich die Wichtigkeit der Bildung des Geistes auf allen Ebenen des katholischen Lebens unterstreichen. Katholische Kinder und Jugendliche müssen eine tatsächliche Gelegenheit geboten bekommen, die Wahrhaftigkeit des Glaubens kennenzulernen, und zwar so, daß sie fähig werden, ihre katholische Identität auch als Lehre und Denken zu formulieren . Auf diesem Gebiet kann die katholische Presse einen ausgezeichneten Beitrag leisten, indem sie das allgemeine Niveau des katholischen Denkens und der katholischen Kultur hebt. Die Seminare besonders sind dafür verantwortlich, sicherzustellen, daß die künftigen Priester ein hohes Niveau intellektueller Vorbereitung und Sachkunde erwerben. Weiterbildende Programme für Priester, Ordensleute und Laien spielen ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Anregung zu einer notwendigen und ernsthaften intellektuellen Beschäftigung mit der Fülle von Fragen, die dem Glauben in unserer zeitgenössischen Welt gestellt werden. Ein ernster Aspekt bei diesem Apostolat des Geistes betrifft die Pflicht und das Recht der Bischöfe zu wirksamer Präsenz an katholischen Kollegien, Universitäten und Instimten für höhere Studien, um deren katholischen Charakter zu erhalten und zu fördern, zumal was die Übermittlung der katholischen Lehre angeht. Diese Aufgabe erfordert von seiten der Bischöfe persönliche Aufmerksamkeit, da es sich um eine spezifische Verantwortung handelt, die sich aus ihrem Lehramt ergibt. Dazu gehören häufige Kontakte mit dem Lehr- und Verwaltungspersonal und Aufrufe zur Einführung ernsthafter Programme für die pastorale Betreuung der Studenten und anderer innerhalb der akademischen Gemeinschaft. Viel ist bereits geschehen, und ich benutze diese Gelegenheit, euch zu ermuntern, nach Wegen zu einer Verstärkung dieser Apostolatsformen zu suchen. Einer der größten Dienste, die wir Bischöfe der Kirche leisten können, ist die Festigung der heutigen und der künftigen Generationen von Katholiken in einem gesunden und vollständigen Verständnis ihres Glaubens. Die Gemeinschaft der Kirche wird dadurch wunderbar gestärkt hinsichtlich aller Aspekte des moralischen Lebens der Christen und im Hinblick auf Dienen. Der notwendige intellektuelle Zugang freilich muß innerlich mit Glauben und Gebet verbunden sein. Unsere Gläubigen müssen sich ihrer Abhängigkeit von der Gnade Christi bewußt sein sowie der entscheidenden Notwendigkeit, sich immer mehr ihrem Wirken zu öffnen. Jesus selber möchte, daß wir alle von seinen Worten überzeugt sind: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh 15,5). 1065 REISEN 8. Die im kommenden Monat in Rom stattfindende Synode wird zweifellos ausführlicher die zahlreichen wichtigen Punkte behandeln, die Erzbischof Weakland in seinem Bericht zur Rolle der Laien vorgetragen hat. Diese Bemerkungen betreffen, wie meine eigenen, vor allem die katholischen Laien in den USA. Es wurde festgestellt, „die Kirche in den Vereinigten Staaten kann sich der größten Zahl gebildeter Laien in der ganzen Welt rühmen“. Diese Feststellung hat viele Implikationen. Die Lage, die sie beschreibt, bietet Grund zu demütiger Freude und Dankbarkeit, weil sie eine große Leistung darstellt: das ständige Bildungsbemühen der Kirche in diesem Land durch viele Jahrzehnte hindurch. Zugleich verspricht die Bildung der Gläubigen viel für die kommenden Jahre. Denn wir „dürfen ja annehmen, sie werden weiter eine hervorragende Rolle in Gesellschaft und Kultur der USA für die Zukunft spielen“. An erster Stelle kann die Kirche durch ihre Laienschaft großen Einfluß auf die amerikanische Kultur ausüben. Diese Kultur ist eine Schöpfung des Menschen. Sie entstand durch Austausch von Erkenntnissen und durch Kommunikation. Sie wurde entfaltet durch den Austausch unter den Menschen einer bestimmten Gesellschaft. Kultur hat nun zwar eine gewisse dynamische Dauer, doch sie ändert und entwickelt sich als Lebensweise ständig. So steht die amerikanische Kultur von heute in Zusammenhang mit eurer Kultur von vor 50 Jahren. Und doch hat sie sich gewandelt und wurde großenteils beeinflußt durch Haltung und Denkrichtungen. Doch wie entwickelt sich die amerikanische Kultur heute? Wird diese Entwicklung vom Evangelium beeinflußt? Zeigt sie deutlich christliche Prägung? Sind eure Musik, Poesie und Kunst, euer Theater, eure Malerei und Bildhauerkunst und die Literatur, die ihr produziert — sind all diese Dinge, die die Seele einer Nation widerspiegeln, vom Geist Christi für die Vervollkommnung der Menschen beeinflußt? Ich bin mir klar, daß diese Fragen schwer zu beantworten sind angesichts der Vielgestaltigkeit und Verschiedenheit eurer Kultur. Doch sie sind bedeutsam bei jedem Nachdenken über die Rolle der katholischen Laien, „der größten Zahl von gebildeten Gläubigen in der Welt“. Und es sind vor allem die Laien, selber vom Evangelium inspiriert, die den erhebenden und reinigenden Einfluß des Evangeliums in die Welt der Kultur hineintragen müssen in die ganze Sphäre des Denkens und künstlerischer Kreativität zu den verschiedenen Berufen und Arbeitsplätzen, in das Familienleben und in die Gesellschaft im allgemeinen. Wir müssen als Bischöfe mit der Aufgabe, die Laien zu führen und zur Erfüllung ihrer Sendung in der Welt zu ermuntern, sie weiter unterstützen bei ihrem Bemühen, einen spezifischen Beitrag für die Entfaltung und Entwicklung der Kultur und ihren Einfluß auf die Gesellschaft zu leisten. 1066 REISEN Die Laien sollen von den pastoralen Führern immer mehr in den Heilsdialog einbezogen werden 9. Was diese Frage angeht und im Hinblick auf solche Bereiche wie Politik, Wirtschaft, Massenmedien und internationales Leben ist unser Dienst an erster Stelle priesterlicher Dienst: der Dienst der Predigt und Lehre des Wortes Gottes in Treue zur Wahrheit, wobei wir die Laien immer mehr in den Heilsdialog einbeziehen. Wir sind beauftragt, unsere Gläubigen zur Heiligkeit zu führen, zumal durch die Gnade der heiligen Eucharistie und das ganze sakramentale Leben. Der Dienst unserer pastoralen Führung, den wir in persönlichem Gebet und durch Buße reinigen, darf keinen irgendwie autoritären Stil aufweisen, wir müssen vielmehr dabei zuhören und ermuntern, herausfordern und gelegentlich korrigieren. Gewiß ist keine Rede davon, die Welt der Technik zu verurteilen, wir regen die Laien vielmehr an, sie von innen her umzugestalten, so daß sie die Prägung des Evangeliums erhält. 10. Wir dienen unseren Laien am besten, wenn wir alles tun, um für sie und in Zusammenarbeit mit ihnen ein umfassendes und solides Katecheseprogramm auszuarbeiten, das „den anfänglichen Glauben reifen (läßt) und den wahren Jünger Christi durch eine vertiefte und systematische Kenntnis der Person und Botschaft unseres Herrn Jesus Christus weiterbildet“ (Catechesi tradendae, Nr. 19). Ein solches Programm wird ihnen ferner helfen bei der Entwicklung einer Haltung der Unterscheidung zwischen dem Geist der Welt und dem Geist Gottes, zwischen echter Kultur und dem, was die menschliche Würde erniedrigt. Es kann ihnen eine solide Grundlage für das Wachstum in der Erkenntnis und Liebe Jesu Christi durch ständige Bekehrung und persönliches Übernehmen der Forderungen des Evangeliums bieten. Standhaftigkeit ist gefordert gegenüber vielen zerstörerischen Kräften 11. Wenn ich von den Laien spreche, empfinde ich den besonderen Wunsch, euch in allem zu unterstützen, was ihr für das Familienleben tut. Erzbischof Weakland hat als besonderes pastorales Problem „die große Zahl der Ehescheidungen und zerbrochenen Familien“ genannt. Ich weiß: Wir empfinden alle eine große Traurigkeit und tiefes seelsorgliches Mitleid mit all jenen, deren Leben in solcher Weise betroffen ist. Ihr werdet euch an eure Ad-limina-Besuche vor vier Jahren erinnern, als ich ausführlicher das Thema Ehe besprochen habe. Ohne all das zu wiederholen, was ich bei dieser Gelegenheit gesagt habe, möchte ich euch ermuntern zur Weiterführung eurer vielen eifrigen und großherzigen Bemühungen zur pa- 1067 REISEN storalen Betreuung der Familie. Ich fordere euch zugleich dringend auf, nie das Vertrauen und den Mut zu verlieren angesichts all der Trends gegen die Stabilität der Ehe, die Würde der menschlichen Liebe und seine Weitergabe. Mit der uns als Hirten gewährten Gnade müssen wir uns mühen, so wirksam wie möglich die vollständige Lehre der Kirche darzulegen, einschließlich der dogmatischen Botschaft, wie sie in Humanae vitae und in Familiaris consor-tio enthalten ist. Die treue Darlegung der inneren Beziehung zwischen der vereinigenden und zeugenden Dimension des ehelichen Aktes macht natürlich nur einen Teil unserer pastoralen Verantwortung aus. In ihrer pastoralen Sorge für die Eheleute führte Familiaris consörtio aus, daß „die kirchliche Gemeinschaft zur gegenwärtigen Zeit die Aufgabe übernehmen (muß), Überzeugungen zu wecken und denen konkrete Hilfen anzubieten, die ihre Vater- und Mutterschaft in einer wirklich verantwortlichen Weise leben wollen ... Das bedeutet einen umfassenderen, entschlosseneren und systematischeren Einsatz dafür, daß die natürlichen Methoden der Geburtenregelung bekannt, geschätzt und angewandt werden“ (Nr. 35). Bei Gelegenheit der letzten Ad-limina-Besuche habe ich festgestellt: „Diejenigen Ehepaare, die sich für die natürliche Methode entscheiden, erkennen den tiefen anthropologischen wie moralischen Unterschied zwischen künstlicher Empfängnisverhütung und natürlicher Familienplanung. Sie können freilich auf Schwierigkeiten stoßen; ja, sie machen nicht selten eine Art von Bekehrung, von geistiger Wandlung durch, wenn sie mit dem Gebrauch der natürlichen Methode vertraut werden, und sie bedürfen sachkundiger Anleitung, Ermutigung und pastoraler Beratung und Unterstützung. Wir müssen sehr viel Einfühlungsvermögen aufbringen für ihr inneres Ringen und die Not, die sie durchmachen. Wir müssen sie dazu ermutigen, ihre Bemühungen hochherzig, voll Vertrauen und Hoffnung fortzuführen. Als Bischöfe haben wir das Charisma und die pastorale Verantwortung, unserem Volk den einzigartigen Einfluß bewußt zu machen, den die Gnade des Ehesakramentes auf jeden Aspekt des ehelichen Lebens, einschließlich der Sexualität hat (vgl. Familiaris consortio, Nr. 33). Die Lehre der Kirche Christi ist nicht nur Licht und Kraft für das Volk Gottes, sie erhebt auch ihre Herzen in Fröhlichkeit und Hoffnung. Eure Bischofskonferenz hat ein eigenes Programm festgelegt, um die Bemühungen in den verschiedenen Diözesen auszuweiten und zu koordinieren. Doch der Erfolg einer solchen Bemühung erfordert das ständige pastorale Interesse und die Unterstützung jedes Bischofs in seiner Diözese, und ich bin euch zutiefst dankbar für alles, was ihr in diesem wichtigen Apostolat leistet“ (Ansprache vom 24. September 1983). 1068 REISEN 12. Meine tiefe Dankbarkeit für euch bezieht sich auf viele weitere Gebiete, auf denen ihr mit großherziger Hingabe für die Laien und mit ihnen gearbeitet habt. Dazu gehören eure ständigen Bemühungen, den Frieden zu fördern, für Gerechtigkeit einzutreten und die Missionen zu unterstützen. Beim Schutz des menschlichen Lebens habt ihr euch außergewöhnlich eifrig und beharrlich eingesetzt. Bereits bei den Ad-limina-Besuchen von 1978 lenkte Paul VI. die Aufmerksamkeit auf diese eure Tätigkeit und versicherte euch der Wertschätzung des Heiligen Stuhles. Wegen ihrer außergewöhnlichen Wichtigkeit möchte ich etwas ausführlicher seine euch kräftig unterstützenden Worte zitieren und sie zu meinen eigenen machen: „Im Namen Jesu Christi danken wir euch für euren Dienst am Leben. Wir wissen, daß ihr euch nachdrücklich für die Erfüllung der Worte des Guten Hirten eingesetzt habt: ... damit sie das Leben haben und es in Fülle haben (Joh 10,10). Unter eurer Führung haben sich unzählige Katholiken — Priester, Diakone, Ordensleute und Laien — an den zahlreichen Initiativen zur Verteidigung, Rettung und Entfaltung menschlichen Lebens beteiligt. Mit dem Licht des Glaubens, dem Ansporn der Liebe und dem Bewußtsein eurer Hirtensorge habt ihr euch allem aktiv widersetzt, was menschliches Leben verletzt, schwächt oder entwürdigt. Eure Hirtenliebe hat auf vielerlei Weise konsequenten Ausdruck gefunden, wobei es immer um die Frage des Lebens, um den Schutz des Lebens in seinen vielfältigen Aspekten ging. Ihr habt euch praktisch bemüht, die Heiligkeit menschlichen Lebens in allen seinen Aspekten zu verkünden. Die Praxis der Abtreibung erschüttert das Gefiige der Zivilisation In diesem Zusammenhang galten eure Bemühungen ebenso dem Kampf gegen Hunger und der Beseitigung menschenunwürdiger Lebensbedingungen wie der Förderung von Maßnahmen zugunsten Armer, Alter und Minderheiten. Ihr habt für die Verbesserung der sozialen Ordnung als solcher gearbeitet. Gleichzeitig habt ihr, wie wir wissen, eurem Volk das Ziel, zu dem Gott es berufen hat, vor Augen gehalten: das ewige Leben in Christus Jesus (vgl. Phil 3,14). Bei eurem vielfältigen Einsatz im Dienst des Lebens gibt es etwas, das besonders in dieser geschichtlichen Stunde unser ausdrückliches Lob und unsere nachhaltige Unterstützung verdient: wir meinen den fortgesetzten Kampf gegen das, was das Zweite Vatikanische Konzil das „verabscheuungswürdige Verbrechen“ der Abtreibung nennt (Gaudium et spes, Nr. 51). Die Mißachtung, daß menschliches Leben im Mutterschoß heilig ist, erschüttert und 1069 REISEN schwächt in der Tat das Gesamtgefüge der Zivilisation; es bereitet eine Gesinnung, ja eine öffentliche Haltung vor, die schließlich zur Annahme anderer gegen die Grundrechte des einzelnen gerichteten Praktiken führen kann. Eine solche Mentalität kann sich zum Beispiel in betonter Gleichgültigkeit für alle sozialen Bedürfnisse zeigen; sie kann vollkommene Ablehnung der Alten bis zur Befürwortung der Euthanasie auslösen; sie kann den Weg zu Formen genetischer Steuerung ebnen, die gegen das Leben gerichtet und deren Gefahren der breiten Öffentlichkeit noch keineswegs hinreichend bekannt sind. Deshalb ist es ermutigend, den großen Dienst zu sehen, den ihr der Menschheit leistet, wenn ihr eurem Volk unablässig den Wert menschlichen Lebens vor Augen führt. Wir vertrauen darauf, daß ihr — unter Berufung auf die Worte des Guten Hirten, die Ansporn für eure Tätigkeit sind — weiterhin euer Hirtenamt in diesem Sinne ausübt und damit die gesamte kirchliche Gemeinschaft in der ihr eigenen Berufung zum Dienste am Leben unterstützt. Eine Quelle weltweiter Anerkennung ist auch die Tatsache, daß in eurem Land so viele aufrechte Männer und Frauen verschiedener religiöser Überzeugungen sich in einer tiefen Achtung für die Gesetze des Schöpfers und Herrn des Lebens verbunden fühlen und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln sich darum bemühen, im Angesicht der Geschichte ganz entschieden das menschliche Leben zu verteidigen“ (Ansprache vom 26. Mai 1978). Neun Jahre sind vergangen, seit diese Worte gesprochen wurden, und doch sind sie heute noch bedeutsam — bedeutsam in ihrer prophetischen Sicht, bedeutsam in den Nöten, die sie ansprechen, bedeutsam in der Verteidigung des Lebens. 13. In seiner Enzyklika Pacem in terris stellte Papst Johannes XXIII. die Frage nach der größeren Wertschätzung der Frau im Zusammenhang mit den Kennzeichen der jetzigen Zeit, „den Zeichen der Zeit“. Er machte klar, daß die vorliegende Frage die menschliche Würde betrifft. Dies ist in der Tat das Anliegen aller Bemühungen der Kirche zugunsten der Frauen: ihre Menschenwürde zu fördern. Die Kirche verkündet die persönliche Würde der Frauen als Frauen — eine Würde, die der des Mannes gleich ist. Diese Würde muß in ihrem Seincharakter anerkannt werden, noch bevor man irgendeine der besonderen und hervorragenden Aufgaben betrachtet, die Frauen als Gattinnen, Mütter oder gottgeweihte Frauen erfüllen. Es gehören noch viele weitere Aspekte zur Frage der gleichen Würde und Verantwortung der Frauen, die zweifellos auf der kommenden Bischofssynode gebührend behandelt werden. Allen Überlegungen liegen zwei feste Prinzipien zugrunde: die gleiche menschliche Würde der Frauen und ihre wahrhaft frauliche Ausprägung ihres Menschseins. Auf der Grundlage dieser beiden 1070 REISEN Prinzipien hat Familiaris consortio bereits viel von der Haltung der Kirche den Frauen gegenüber herausgestellt, die „die hohe Achtung Jesus gegenüber den Frauen, die er in seine Gefolgschaft und seine Freundschaft berief4 widerspiegelt (Nr. 22). Wie ich festgestellt habe und wie Erzbischof Weakland herausgestellt hat, sind Frauen nicht zum Priestertum berufen. Obwohl die Lehre der Kirche zu diesem Punkt recht klar ist, ändert sie in keiner Weise die Tatsache, daß Frauen wirklich ein wesentlicher Teil sind im Plan des Evangeliums, die Frohbotschaft und das Reich Gottes zu verbreiten. Die Kirche aber ist unwiderruflich auf diese Wahrheit bedacht. Mitarbeit der Laien kann das Priestertum nicht ersetzen 14. Mein Interesse an der Frage der Berufungen ist euch allen wohlbekannt. Bei meinen Gesprächen mit Bischöfen aus aller Welt kehrt dies Thema immer wieder. Es ist zugleich eines der Themen, über die ich häufig bei meinen Begegnungen mit Jugendlichen spreche. Hier liegt ein entscheidender Faktor für die Zukunft der Kirche auf dem Weg ins dritte Jahrtausend. Daher bin ich hoch erfreut darüber, daß ihr dieses Thema als eins der heute besonders wichtigen herausgestellt habt. Erzbischof Pilarczyk hat uns einen „Überblick über die Wirklichkeit der Dienste der Kirche in diesem Land“ geboten und Aspekte erwähnt, die uns als Bischöfe sehr trösten, aber auch andere, die uns seelsorglich Sorge machen. Er erwähnte, es wäre wichtig, „von einigen der sehr positiven Auswirkungen von Berufungen zum Laien-, Ordens- und Priesterstand in Amerika“ zu sprechen. Er lenkte dabei die Aufmerksamkeit mit Recht darauf, wie der Heilige Geist in eurer Mitte wirkt, worauf wir tatsächlich immer achten und wofür wir dankbar sein müssen. Lumen gentium erinnert uns daran: „Der Geist führt die Kirche in alle Wahrheit ein (vgl. Joh 16,13), eint sie in Gemeinschaft und Dienstleistungen, bereitet und lenkt sie durch die verschiedenen hierarchischen und charismatischen Gaben ... Durch die Kraft des Evangeliums läßt er die Kirche allezeit sich verjüngen, erneut sie immerfort und geleitet sie zur vollkommenen Vereinigung mit ihrem Bräutigam“ (Nr. 4). Es ist in der Tat ermutigend festzustellen, wie Laien sich in ständig wachsendem Maß am Leben der Kirche beteiligen, und wie dies zu „einer Vertiefung und Verschiedenheit der Dienste, größer als je zuvor“ geführt hat, Gewiß ist die aktivere Beteiligung der Laien an der Sendung der Kirche ein beredtes Zeugnis für die Fruchtbarkeit des Zweiten Vatikanischen Konzils, wofür wir alle dankbar sind. Und ich bin zuversichtlich, daß die kommende Bischofssynode dieser Beteiligung frischen Auftrieb und solide Wegweisung zu weite- 1071 REISEN rem Wachstum und zu weiterer Festigung geben wird. Es ist für unsere Gläubigen wichtig, klar zu sehen, daß der Dienst des geweihten Priesters und die Beteiligung der Laien an der Sendung der Kirche einander keineswegs widerstreiten. Im Gegenteil, sie ergänzen einander. Wie der priesterliche Dienst kein Ziel in sich selbst und aus sich selbst ist, sondern die verschiedenen Charismen innerhalb der Kirche wecken und einigen soll, so ersetzt auch die Beteiligung der Laien nicht das Priestertum, sondern unterstützt und fördert es und schenkt ihm Raum für seinen besonderen Dienst. Gebet und aktives Engagement für geistliche Berufe Hier möchte ich einige Bemerkungen über die Berufung zum Priestertum und zum Ordensleben machen. Die unzureichende Zahl der Seminaristen und Kandidaten für das Ordensleben macht uns in der Tat alle als Hirten besorgt, denn wir wissen, daß ihr öffentliches Zeugnis für das Evangelium und ihre besonderen Aufgaben in der Kirche unersetzlich sind. In vielen Teilen der Welt erfährt die Kirche, wie Erzbischof Pilarczyk beobachtete daß „die Gesellschaft in wachsendem Maß weltlich wird und damit in wachsendem Maß für den christlichen Glauben wenig aufnahmebereit“. Zumal für junge Menschen wird es heute schwierig, die großen Opfer zu bringen, die mit Gottes Ruf verbunden sind. Und doch bleibt es weiter möglich für sie durch die Gnade und mit Unterstützung der Gemeinschaft. Gerade in dieser Lage aber sind wir aufgerufen, für die Hoffnung der Kirche Zeugnis zu geben. Bei unserer pastoralen Sendung müssen wir off eine Lage bewerten und unsere Aktionsrichtung bestimmen. Wir müssen das mit Klugheit und pastoralem Realismus tun. Zugleich wissen wir, daß heute wie immer „Untergangspropheten“ auftreten. Wir müssen ihnen in ihrem Pessimismus widerstehen und uns weiter bemühen, Berufungen zum Priester- und Ordensstand zu fördern. Das Gebet um Berufe bleibt der vorzügliche Weg zum Erfolg, weil Jesus selbst uns das Gebot hinterlassen hat: „Bittet den Herrn der Ernte, Arbeiter in seine Ernte auszusenden“ {Mt 9,38) . Ich bitte euch daher, das Gebet um Berufe bei allen Menschen zu ermuntern, zumal bei den Priestern und Ordensleuten selber, doch auch in den Familien, wo gewöhnlich die ersten Samenkörner für Berufe gepflanzt werden, ferner in Schulen und Programmen für religiöse Erziehung. Die Gebete der Älteren und Kranken haben ebenfalls eine Wirkung, die wir nicht vergessen dürfen. Über das Gebet hinaus müssen Jugendliche eingeladen werden. Es war Andreas, der seinen Bruder Petrus zum Herrn brachte. Es war Philippus, der Nathanael herbeiführte. Und wieviele von uns sowie von unseren Priestern und Ordensleuten hörten den Ruf des Herrn durch die Einladung von jemand 1072 REISEN anders? Eure eigene Präsenz unter der Jugend ist ein Segen und eine gute Gelegenheit, ihnen diese Einladung auszusprechen und junge Menschen selber aufzufordem, um Berufe zu beten. Gerade am letzten Donnerstag sprach ich in Miami über Berufungen zum Priestertum und stellte die Grundlage unserer Hoffnung heraus: „Bei der Bewertung der Zukunft der Berufungen muß ein weiterer Faktor bedacht werden, nämlich die Kraft des Paschamysteriums Christi. Als Kirche Christi sind wir berufen, diese Kraft vor der Welt zu bekennen und zu verkünden, daß sie in der Lage ist, kraft des Todes und der Auferstehung Christi, junge Menschen zu ihm hinzuziehen, in dieser Generation ebenso wie in der Vergangenheit; daß er stark genug ist, auch heute noch junge Menschen zu einem Leben der Selbstaufopferung, reiner Liebe und gänzlicher Hingabe an das Priestertum zu veranlassen. Wenn wir diese Wahrheit bekennen, wenn wir gläubig die Macht des Herrn der Ernte verkünden, haben wir auch ein Recht auf die Erwartung, daß er die Gebete, die er selber befohlen hat, erhören wird. Die heutige Stunde ruft nach großem Vertrauen auf ihn, der die Welt überwunden hat“. 15. Ich möchte euch für alles danken, was ihr zur Sicherstellung einer gediegenen Ausbildung zum Priestertum in den Vereinigten Staaten tut. Die apostolischen Visitationen der Seminare wurden mit eurer hochherzigen Zusammenarbeit durchgeführt. Ich bin auch dankbar für die Briefe, die manche von euch mir geschickt haben, um eure Wertschätzung für diese Initiative auszusprechen und mir mitzuteilen, wie viele positive Wirkungen sie gehabt hat. Zugleich kann euer pastorales Interesse und persönliches Mittun bei der Seminarausbildung niemals enden, dafür handelt es sich um eine zu zentrale und zu wichtige Aufgabe und Priorität im Leben der Kirche. Die Kirche von morgen geht durch die Seminare von heute. Im Verlauf der Zeit werden andere die pastorale Verantwortung von uns übernehmen. Doch im Augenblick tragen wir die Verantwortung, und sie ist schwer. Die eifrige Erfüllung solcher Verantwortung ist ein großer Akt der Liebe zu unserer Herde. Insbesondere bitte ich euch, darüber zu wachen, daß die dogmatische und die moralische Lehre der Kirche den Seminaristen getreu und klar vorgelegt und von ihnen voll angenommen und verstanden wird. Am Eröffnungstag des Zweiten Vatikanischen Konzils, dem 11. Oktober 1962, sagte Johannes XXIII. seinen Brüder-Bischöfen: „Das größte Anliegen des Ökumenischen Konzils ist dies: daß der heilige Schatz der christlichen Lehre wirksamer bewahrt und gelehrt wird“. Was Papst Johannes vom Konzil erwartete, ist zugleich das Hauptanliegen der Priesterausbildung. Wir müssen sicherstellen, daß unsere künftigen Priester eine solide Vorstellung vom Ganzen des katholischen Glau- 1073 REISEN bens haben; und dann müssen wir sie vorbereiten, daß sie ihn ihrerseits anderen in verständlicher und seelsorglich gesunder Weise vorlegen. Die Bedeutung der Ordensleute tritt stärker in den Vordergrund 16. Ich kann diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne erneut meine Dankbarkeit für euer großes Interesse am Ordensleben auszusprechen. Mit Freude stelle ich fest, daß Erzbischof Pilarczyk gesagt hat: „Wir beobachten ein wachsendes Verständnis und eine höhere Wertschätzung des Ordenslebens auf seiten der Bischöfe und Priester, großenteils dank der päpstlichen Kommission“, die 1983 eingesetzt wurde. Als ich die Kommission zum Studium des Problems der Berufung aufforderte, tat ich dies, „um ein neues Wachstum und einen frischen Vorwärtsdrang auf diesem höchst wichtigen Gebiet des Lebens der Kirche zu ermuntern“. Die Antwort, die ihr alle auf diese Bitte gegeben habt, ist höchst befriedigend, und ich weiß, ihr werdet dieses wichtige Bemühen weiter fortführen. Das Ordensleben ist ein kostbares Geschenk des Herrn, und wir müssen die Ordensleute weiter der Liebe und Hochschätzung der Kirche versichern. Das Bußsakrament gilt es in seinem Bestand zu wahren 17. Es gäbe zahlreiche andere Themen, liebe Brüder im Bischofsamt, die uns in den Sinn kommen, wenn wir gemeinsam in dieser außerordentlichen Stunde kirchlicher Communio überlegen. Alle gehen uns in unserer Aufgabe als Hirten an und fordern unsere apostolische Liebe und unseren Eifer heraus. Wegen ihrer Wichtigkeit im Leben der Kirche sprach ich zu den Priestern in Miami über die Beichte und unser eigenes Bedürfnis, dieses Sakrament regelmäßig zu empfangen. Ich sprach auch meine Dankbarkeit aus für ihre hochherzige Dienstbereitschaft, um die Beichte den Gläubigen zugänglich zu machen. In diesem Punkt möchte ich euch als Bischöfe bitten, alles zu tun, um sicherzustellen, daß die wichtigen Normen der universalen Kirche zur Verwendung der Generalabsolution im Geist des Glaubens verstanden und eingehalten werden. Ich möchte dazu die Bitte stellen, das nachsynodale Apostolische Schreiben Reconciliatio etpaenitentia weiter betend zu überdenken. 18. Ermuntern möchte ich euch ferner in eurer pastoralen Sorge für homosexuelle Personen. Dazu gehört eine klare Darlegung der Lehre der Kirche, die ihrer Natur nach unpopulär ist. Dennoch bestätigt eure eigene seelsorgliche Erfahrung die Tatsache, daß die Wahrheit, wie schwierig ihre Annahme sein mag, Gnade mit sich bringt und oft zu einer tiefinnerlichen Bekehrung führt. Egal, welche Probleme einzelne Christen haben und egal, in welchem Grad 1074 REISEN sie auf die Gnade antworten, sie verdienen immer die Liebe der Kirche und die Wahrheit Christi. Alle homosexuellen Personen und andere, die nach der Erfüllung des Keuschheitsgebotes des Evangeliums streben, verdienen besondere Ermunterung und Achtung. Die Tugend der Keuschheit für die Erziehung wiederentdecken. 19. Von Zeit zu Zeit macht die Frage der Sexualerziehung, zumal was in der Schule zu verwendende Programme angeht, katholische Eltern besorgt. Die hier maßgebenden Grundsätze sind klar und genau in Familiaris consortio dargelegt. Erster Grundsatz ist die notwendige Anerkennung, daß Sexualerziehung ein Grundrecht und eine Grundpflicht der Eltern selbst ist. Sie brauchen freilich Hilfe, um immer wirksamer diese Aufgabe erfüllen zu können. Andere Erziehungsinstitute spielen eine wichtige Rolle, doch immer subsidiär und in gebührender Weise den Rechten der Eltern untergeordnet. Viele Eltern werden sich zweifellos durch ihre Erwähnung im Hirtenbrief der Bischöfe von Kalifornien ermuntert fühlen, „Ein Aufruf zum Mitleid“ zu einem absolut wesentlichen Aspekt dieser ganzen Frage: „Die Zurückgewinnung der Tugend der Keuschheit — schreiben sie — dürfte eine der dringendsten Notwendigkeiten unserer zeitgenössischen Gesellschaft sein.“ Wir können nicht daran zweifeln, daß die katholische Kirche in den Vereinigten Staaten wie anderswo zu großen Anstrengungen aufgerufen ist, den Eltern bei der Unterweisung ihrer Kinder im erhabenen Wert der selbstvergessenen Liebe zu helfen; junge Menschen brauchen kräftige Unterstützung, um diesen grundlegenden Aspekt ihrer menschlichen und christlichen Berufung leben zu können. Die Kirche Gottes will auf vielen Gebieten geführt werden 20. Zu euren zahlreichen pastoralen Verpflichtungen gehört auch die notwendige Sorge für die geistliche Betreuung des Militärs und dessen Hilfskräfte. Ihr erfüllt sie durch das Ordinariat für das Militär. Doch fordert das Funktionieren dieser weit ausgedehnten Erzdiözese die brüderliche und aufgeschlossene Zusammenarbeit aller Bischöfe, wenn sie Priestern gestatten und sie dazu ermuntern, sich diesem wertvollen Dienst zu widmen. Die Kirche ist allen Kaplänen dankbar, die dem Volk Gottes in dieser besonderen Situation mit ihren besonderen Erfordernissen dienen. 1075 REISEN 21. Ich möchte euch hier meine Ermunterung aussprechen, wenn ihr versucht, die Kirche Gottes auf vielen Gebieten zu fuhren: wenn ihr eure Gläubigen anleitet, ihre Sendung innerhalb der Vereinigten Staaten und weit über deren Grenzen hinaus zu erfüllen. Alles, was ihr Hilfreiches für eure Gläubigen tut, daß sie über sich selbst hinaus auf den notleidenden Christus blicken, ist ein bedeutsamer kirchlicher und apostolischer Dienst. Mein abschließendes Wort gilt eurer pastoralen Identität als Bischöfe Jesu Christi und seiner Kirche. Wegen dieser Identität sind wir zur Heiligkeit und zu täglicher Bekehrung aüfgerufen. Als ich vor acht Jahren in Chicago zu euch sprach, sagte ich: „Die Heiligkeit aufgrund persönlicher Bekehrung ist in der Tat die Vorbedingung für unseren fruchtbaren Dienst als Bischöfe der Kirche. Unsere Vereinigung mit Christus entscheidet die Glaubwürdigkeit unseres Zeugnisses für das Evangelium und die übernatürliche Wirksamkeit unseres Tuns“ (Ansprache vom 5. Oktober 1979). Möge Gott uns allen diese große Gnade der Vereinigung mit Jesus schenken und uns gestatten, sie gemeinsam in Kraft und Freude zu leben in der Gemeinschaft der Kirche Gottes. Gott und Mensch lieben lernen Begegnung mit Kindern der Immaculate Conception School in Los Angeles (U.S.A.) am 16. September Liebe Schüler der Immaculate Conception School! Es ist für mich eine wahre Freude, heute eure Schule zu besuchen, zusammen mit eurem Erzbischof und Mrs. Reagan, der Frau des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Wenn ich vom Besuch eurer Schule spreche, meine ich damit, daß ich euch besuche. 1. Ich bin der Meinung, daß eure Schule — wie auch die anderen Pfarrschu-len in Amerika — sehr wichtig ist für eure Zukunft und für die Zukunft der Kirche und eures Landes. In dieser Schule lernt ihr nicht nur lesen, schreiben und rechnen, sondern auch — was am wichtigsten ist — Religion. Ihr lernt von Gott und Gottes Sohn, Jesus Christus, und von der Liebe Gottes. Ihr lernt, daß Gott euch geschaffen hat, damit ihr ihn in diesem Leben liebt und ihm dient und mit ihm für immer im nächsten Leben glücklich seid. Ihr lernt, wie sehr Gott euch liebt und wie sehr er wünscht, daß ihr diese Liebe mit anderen teilt, so wie Jesus es euch gelehrt hat. 1076 REISEN Ihr lernt Gott zu lieben, sein Ebenbild zu sehen und ihn in euren Eltern, Lehrern, Mitschülern und in allen Kindern Gottes zu lieben. Ihr lernt euer Land lieben und alle Menschen darin, gleichgültig, wer sie sind. Und ihr lernt die Menschen außerhalb der Vereinigten Staaten lieben, diejenigen anderer Länder — sowohl die in der Nähe als auch die weit entfernten. Ihr lernt, wie wichtig es ist, Gottes Geboten zu folgen, um wirklich glücklich zu sein. Ihr lernt, wie wichtig es deshalb ist, wahrhaftig, ehrlich, freundlich und rücksichtsvoll zu sein und das Schwindeln, Raufen und Lügen zu vermeiden. Ihr lernt zu unterscheiden zwischen guten und schlechten Einflüssen und wie wichtig es ist, solche Dinge — wie den Gebrauch von Drogen — zu vermeiden, weil sie euch und die anderen verletzen und Gott beleidigen. Manchmal können sie sogar euer Leben und das Leben der anderen zerstören. Ihr habt gesehen, daß das in eurer Umgebung passiert. 2. Kurz gesagt: in dieser Schule lernt ihr so zu leben, wie es Gott gefallt, und das wird euch, euren Familien und eurer Gemeinschaft Glück und Frieden bringen. Ihr lernt Fertigkeiten, die euch helfen, vollkommenere Personen und bewußtere Bürger zu werden und euch auf die Zukunft vorzubereiten. Ihr lernt moralisch gut zu sein und eine bessere Gesellschaft aufzubauen. Etwas vom Wichtigsten, das ihr hier lernen könnt, ist zu beten: zu Gott zu sprechen, auszudrücken, was in eurem Herzen vorgeht, eure Abhängigkeit von ihm zu zeigen, ihm zu danken für das Geschenk des Lebens, für eure Familien und für alles, was ihr von ihm empfangen habt. Ihr lernt hier auch, wie man als eine Gemeinschaft betet, in der hl. Messe, zusammen mit Christus und miteinander. 3. Viele, viele Jahre lang hatten katholische Schulen — wie die Immaculate Conception School — einen wichtigen Anteil an der Erziehung in den Vereinigten Staaten von Amerika. Sie haben wahrhaftig mitgeholfen, diese Nation zu formen. Katholische Schulen haben die ersten Amerikaner herangebildet, die eingeborenen Amerikaner; sie haben die schwarzen und die weißen Amerikaner und die Kinder der Einwanderer jeder Rasse und Nation unterrichtet — und sogar viele anderer religiöser Bekenntnisse. Katholische Schulen fahren nicht nur fort, eine Vision vom Sinn des Lebens zu geben, sondern sind auch Richtungsweiser für die Gelegenheiten, die das Leben bietet. Studenten der Immaculate Conception School: Ihr könnt stolz sein auf eure Schule! Bemüht euch darum, daß eure Schule immer stolz auf euch sein kann. Eure Eltern, eure Pfarrgemeinde und eure Erzdiözese haben große Anstrengungen gemacht, euch diese katholische Erziehung zu ermöglichen. Laßt sie nicht im Stich! 1077 REISEN 4. Am Schluß, liebe Jungen und Mädchen, bitte ich euch um einen Gefallen: Denkt oft über diese Worte Jesu nach: „Alles, was ihr von den anderen erwartet, das tut auch ihnen! “ (Mt 7,12). Die Worte, die im Leben wichtig sind, heißen nicht „ich“, sondern „die anderen“, nicht „bekommen“, sondern „geben“ und „dienen“ — geben und dienen wie es Jesus tat, mit Liebe und Hingabe. Gott möge euch segnen und auch eure Lehrer, Familien und alle, die arbeiten und Opfer bringen, um aus dieser Schule und jeder katholischen Schule eine Stätte zu machen, die die Schüler vorbereitet, ein gutes christliches Leben zu führen und mit Gott für immer im Himmel glücklich zu sein. Liebe ist stärker als Furcht Predigt beim Morgengebet mit den Bischöfen in Los Angeles (U.S.A) am 16. September „Sorgt als Hirten für die euch anvertraute Herde Gottes, nicht aus Zwang, sondern freiwillig, wie Gott es will; auch nicht aus Gewinnsucht, sondern aus Neigung“ (1 Petr 5,2). Liebe Brüder in unserem Herrn Jesus Christus! 1. Ein sehr gefüllter Tag liegt vor uns, ein Tag, den der Herr gemacht hat. Es ist gut, daß wir ihn beginnen, indem wir unsere Stimmen im Lobpreis des lebendigen Gottes vereinen. Am heutigen Festtag der Heiligen Cornelius und Cyprian haben wir das Wort des Petrus gehört, der sich an seine „Mit-Älte-sten“ wendet und sie mahnt, in der Sorge für das Volk Gottes hochherzig und „Vorbilder für die Herde“, die Kirche, zu sein (i Petr 5,3). Diese Worte des Petrus sind sehr zutreffend für uns, die wir miteinander diesen Tag beginnen. Petrus bezeichnet sich als „ein Zeuge der Leiden Christi“, der „auch an der Herrlichkeit teilhaben soll, die sich offenbaren wird“ (1 Petr 5,1). Petrus hat keinen Zweifel über das Zeugnis, das zu geben er berufen ist. Er ist ein Zeuge der Leiden Christi. Vielleicht dachte er an einen früheren Augenblick in seinem Leben, nämlich an den während der Passion, als er, um seine eigene Sicherheit fürchtend, geleugnet hatte, je seinen Meister gekannt zu haben. Wie weit ist Petrus nun von diesem Tag des Leids und der Verzweiflung entfernt! Denn Liebe ist mächtiger als Furcht, und der Herr ist barmherzig und verzeiht. Der gleiche Petrus, der seinen Meister verleugnete, gibt jetzt in Wort und Tat mutig Zeugnis für den gekreuzigten und auferstandenen Christus. 1078 REISEN 2. Auch heute ist unsere Aufgabe als Bischöfe in der Kirche auf die Person Jesu Christi ausgerichtet. Wir sind Zeugen für sein Kreuz und seine Auferstehung. Jeder von uns wurde vom Heiligen Geist dazu gesalbt, für unser Volk ein lebendiges Zeichen Jesu Christi zu sein: — ein lebendiges Zeichen des betenden Christus, der sich während seines öffentlichen Dienstes Zeit nahm, um allein mit dem Vater im Gebet zu verweilen; — ein lebendiges Zeichen des Erlösers, der in seinem Erbarmen die Kranken heilte, den Sündern verzieh und die Leidtragenden tröstete; — ein lebendiges Zeichen der Liebe unseres Heilands, eurer Liebe, die stärker ist als Sünde und Tod; — ein lebendiges Zeichen der Treue des Herrn, und darum wie Christus ein Zeichen des Widerspruchs. Jeder von uns soll mitten unter unseren Priestern und unter uns selbst als Bischöfen ein Zeichen der brüderlichen Liebe Jesu sein. Und für unser Volk sind wir berufen, Zeichen des Guten Hirten zu sein, der kam, um zu dienen und nicht, um bedient zu werden. „Seid Vorbilder für die Herde“, sagt Petrus zu uns. Und wir werden das genau in dem Maß sein, als unser Leben in der Person Jesu Christi seine Mitte hat. „Er aber, der durch die Macht, die in uns wirkt, unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder uns ausdenken können, er werde verherrlicht durch die Kirche und durch Christus Jesus in allen Generationen, für ewige Zeiten. Amen“ (Eph 3,20-21). Hilf den Armen und Unterdrückten Weihegebet an die Muttergottes in Los Angeles (U.S.A.) am 16. September 1. Ich möchte jetzt meine Gedanken noch einmal zu der Frau des Glaubens und der ganzen Heilsgeschichte wenden: zu Maria, der Mutter Jesu und Mutter seiner Kirche, zu Maria der Patronin der Vereinigten Staaten unter dem Titel ihrer Unbefleckten Empfängnis. Ich vertraue dir, jungfräuliche Mutter Gottes, alle Gläubigen dieses Landes an. Ich gebe sie in deine Hände nicht nur als einzelne Männer und Frauen im Adel ihrer Person, sondern als christliche Gemeinschaft, die vereint das Leben Deines göttlichen Sohnes lebt. Ich vertraue dir meine Brüder, die Bischöfe an in ihrer großen Mission des Hirtendienstes an Gottes Volk, in Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri. Ich vertraue dir alle Priester an, die hochherzig im Namen des Guten Hirten ihren Dienst ausüben; all die Diakone, die Zeugnis für das Dienen Christi ab-legen; alle Ordensfrauen und Ordensmänner, die durch ihr Leben die Heilig- 1079 REISEN keit Gottes verkünden; alle Laien, die kraft ihrer Taufe und Firmung daran arbeiten, alle zeitlichen Dinge nach dem Plan Gottes auszurichten.. Ich vertraue dir das ganze heilige Gottesvolk, das pilgernde Gottesvolk an, das dazu berufen ist, seiner christlichen Würde eingedenk zu sein, berufen zur Bekehrung, berufen zum ewigen Leben. Insbesondere vertraue ich dir die Familien Amerikas an, in ihrem Streben nach Heiligkeit, in ihrem Kampf gegen die Sünde, in ihrer Berufung, lebendige Zellen im Leib Christi zu sein. Ich bitte dich, segne alle Ehemänner und Ehefrauen, alle Väter und Mütter, und stärke sie in ihrer hohen Berufung zur menschlichen Liebe und zum Offensein für das Leben. Ich vertraue dir die Rinder dieser Generation an und bitte dich, bewahre sie in Unschuld, beschütze sie vor jedem Schaden und Mißbrauch und laß sie in einer Welt des Friedens, der Gerechtigkeit und der brüderlichen Liebe groß werden. Ich vertraue dir alle Frauen der Kirche an, ihre echte menschliche Förderung in der Welt und ihre immer vollere Teilnahme am Leben der Kirche gemäß dem Plan Gottes. Mögen sie in dir, Maria, und in deiner Freiheit — die du seit jenem Augenblick hattest, in welchem dir durch deine Unbefleckte Empfängnis die höchste Befreiung zuteil wurde —, das Geheimnis erkennen, ihr Frausein in Erfüllung, Fortschritt und Liebe zu leben. Deinem Schutz empfehle ich die jungen Menschen, die die Zukunft der Vereinigten Staaten bilden. Ich bete, daß sie in deinem Sohn Jesus Christus den Sinn des Lebens begreifen und ein tiefes Verständnis für ihre Berufung zum Dienst an ihren Mitmenschen gewinnen; daß sie die tiefe Erfüllung zuchtvoller Liebe entdecken und die Freude und Stärke, die aus der christlichen Hoffnung kommt. Ich empfehle deiner besonderen Liebe die älteren Menschen mit all ihren Leiden und Freuden, und mit ihrem noch nicht beendeten Auftrag des Dienstes in deiner Kirche. Ich bitte dich, die Sterbenden zu trösten und ihnen beizustehen, und in der gesamten Gemeinschaft den Sinn für die Bedeutung des menschlichen Lebens in jedem Alter, selbst wenn es schwach und wehrlos ist, zu erneuern. Ich bitte dich, den Menschen, die allein sind in ihren besonderen Bedürfnissen und in ihrem besonderen Auftrag, beizustehen. Gib ihnen die Kraft, nach den Seligpreisungen der Bergpredigt zu leben, und mit Freude und Mut zu dienen. 2. Ich vertraue dir alle die an, die im großen Kampf des christlichen Lebens stehen, all jene, die trotz menschlicher Schwächen und wiederholtem Versagen sich bemühen, nach dem Wort Gottes zu leben; all jene, die hinsichtlich der Wahrheit im Unklaren und versucht sind, Böses gut und Dunkel Licht 1080 REISEN zu nennen; all jene, die sich nach Wahrheit sehnen und nach Hoffnung trachten. Ich bitte dich, dich noch einmal als Mutter zu zeigen, mit jener tiefen menschlichen Besorgnis, die du in Kana in Galiläa gezeigt hast. Hilf allen, die von den Problemen des Lebens niedergedrückt sind. Tröste die Leidenden. Richte die Traurigen, die Mutlosen, die innerlich Gequälten auf, hilf denen, die keine Familie und keine Freunde haben. Stehe den Armen und Notleidenden bei und denen, die unter Diskriminierung oder anderen Formen der Ungerechtigkeit leiden. Komm den Arbeitslosen zu Hilfe. Heile die Kranken. Hilf den Behinderten, daß sie ein Leben führen können, wie es ihrer Würde als Kinder Gottes zukommt. Rüttle unser aller Gewissen auf, damit wir auf die Bedürfnisse der anderen mit Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Liebe antworten. 3. Durch deine Fürsprache bitte ich, daß den Sündern Vergebung und Versöhnung zuteil wird und daß die ganze Kirche in Amerika dem Ruf Christi zur Bekehrung und Heiligkeit des Lebens immer mehr Aufmerksamkeit schenkt. Ich bete, daß alle, die in Christus deinem Sohn, getauft sind, darin bestärkt werden, sich gemäß seinem Willen für das große Anliegen der christlichen Einheit einzusetzen. Ich bitte um dein Gebet, auf daß die Bürger Zusammenarbeiten, um das Böse durch das Gute zu besiegen, daß sie der Gewalt widerstehen, den Krieg und seine Waffen zurückweisen, den Hunger sättigen, den Haß überwinden und jeglicher Form von Ungerechtigkeiten, seien es persönliche, soziale, nationale oder internationale, Abhilfe schaffen. Ich bitte Dich, das katholische Volk im Glauben und in der Liebe zu stärken und im Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes sowie in der Treue zu den Sakramenten. Jungfräuliche Mutter Gottes, Unsere Liebe Frau von den Engeln, ich vertraue dir die gesamte Kirche Amerikas an. Hilf ihr, sich durch Opfer und Dienst auszuzeichnen. Läutere ihre Liebe, erneuere ihr Leben und bekehre sie unaufhörlich zum Evangelium deines Sohnes. Führe ihre Kinder mit all ihren christlichen und nichtchristlichen Brüdern zum ewigen Leben, zur Ehre deines Sohnes, Jesus Christus, der lebt und regiert mit dem Vater in der Einheit des Heiligen Geistes in Ewigkeit. 1081 REISEN Die Kirche ist aus dem Wort des Heils erwachsen Predigt bei der Messe im Dodger Stadion in Los Angeles (U.S.A.) am 16. September „Der Herr hat sein Heil bekannt gemacht... vor den Augen der Völker“ (.Ps 97/98,2). Liebe Brüder im Bischofsamt, liebe Brüder und Schwestern in Christus, Volk Gottes in dieser Stadt Unserer Lieben Frau von den Engeln, ehemals: El Pueblo de Nuestra Senora de los Angeles, Bürger dieses Staates Kalifornien! 1. Heute kehren wir aus dieser Stadt Los Angeles an der Küste des Pazifischen Ozeans, in der alle Bischöfe der Vereinigten Staaten versammelt sind, zurück in den Abendmahlssaal in Jerusalem. Wir hören die Worte aus dem Gebet, das Christus dort gesprochen hat. Von seinen Aposteln umgeben, betet Christus für die Kirche aller Zeiten und aller Orte. Er sagt zum Vater: „Ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch'ihr Wort an mich glauben“ (Joh 17,20). Christus, der eine, ewige Priester des neuen und nie endenden Bundes, betet für uns, für uns alle, die hier versammelt sind, für jeden hier in Los Angeles an der Westküste der Vereinigten Staaten von Amerika, für jeden in der Welt. Ja, jeder von uns ist in dieses Hohepriesterliche Gebet des Erlösers eingeschlossen. 2. Jesus sagt zum Vater: „Ich bete auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben“ (Joh 17,20). Es ist die Kirche aller Zeiten, für die er betet. Wie viele Generationen von Jüngern haben diese Worte Christi schon gehört! Wie viele Bischöfe, Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen und wie viele Eltern und Lehrer haben im Lauf der Jahrhunderte dieses Wort des Heils weitergegeben! An wie vielen Orten der Welt, unter wie vielen Völkern und Nationen hat sich dieses Geheimnis der Erlösung weiter entfaltet und Frucht getragen! Es ist das Wort des Heils, aus dem die Kirche erwachsen ist und weiterwächst. Das gilt für die Gesamtkirche und für jede Ortskirche. Es gilt für die Kirche in Los Angeles, die heute den Besuch des Bischofs von Rom, des Nachfolgers Petri, empfangt. 1769 brachten P. Junipero Serra und seine Franziskanergefahrten das Wort Gottes nach Kalifornien. Alles, was ihnen vertraut und lieb war, ließen sie zurück und entschlossen sich aus freien Stücken, hierherzukommen und die Frohe Botschaft von unserem Herrn Jesus Christus zu predigen. Dieses erste 1082 REISEN Bemühen um die Evangelisierung wies sehr rasch beeindruckende Ergebnisse auf, als Tausende von einheimischen Amerikanern das Evangelium annah-men und getauft wurden. Bald wurde eine ganze Reihe von Missionen dem Camino Real entlang gegründet. Jede trug den Namen eines Heiligen oder eines christlichen Glaubensgeheimnisses: San Diego, San Bernardino, San Gabriel, San Buenaventura, Santa Barbara, San Fernando und viele andere. Während der Jahre dieser ersten Missionstätigkeit begannen Einwanderer, sich in Kalifornien niederzulassen. Sie kamen meist aus Mexiko und Spanien, hatten selbst schon das Evangelium empfangen und brachten daher den katholischen und apostolischen Glauben als Teil ihres Erbes mit. Damals wußten sie kaum, daß sie nach Gottes Vorsehung ein Modell grundlegten, das den Charakter Kaliforniens auf die Zukunft hin bestimmen würde. Später ist Kalifornien ein Hafen für Einwanderer geworden, eine neue Heimat für Flüchtlinge und Auswanderer, ein Land, in dem Menschen aus jedem Kontinent zusammengekommen sind und eine Gemeinschaft bilden, die ihrer völkischen Herkunft nach sehr vielgestaltig ist. Viele von ihnen brachten, wie ihre ersten Vorfahren, nicht nur die ihnen eigenen kulturellen Überlieferungen, sondern auch den christlichen Glauben mit. Folglich ist die Kirche in Kalifornien und besonders die Kirche in Los Angeles wirklich im Vollsinn katholisch, da sie Völker und Kulturen von weit gestreuter und reicher Vielfalt in sich schließt. Ein Leib Christi mit vielen internationalen Gliedern Heute ist Christus in der Kirche von Los Angeles Angelsachse und Spanier, Christus ist Chinese und Schwarzer, Christus ist Vietnamese und Ire, Christus ist Koreaner und Italiener, Christus ist Japaner und Filipino, Christus ist einheimischer Amerikaner, Kroate, Samoaner und Angehöriger vieler anderer ethnischer Gruppen. In dieser Ortskirche lebt der eine auferstandene Christus, der eine Herr und Erlöser in jedem Menschen, der das Wort Gottes angenommen hat und im rettenden Wasser der Taufe rein wurde. Und die Kirche mit all ihren verschiedenen Gliedern bleibt der eine Leib Christi, sie bekennt den gleichen Glauben und ist geeint in Hoffnung und in Liebe. 3. Worum betet Jesus im Abendmahlssaal am Abend vor seinem Leiden und Sterben? „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast“ (Joh 17,21). „Eins in uns“ — das Geheimnis des unerforschlichen göttlichen Seins, das Geheimnis des inneren Lebens Gottes: die göttliche Einheit und Dreieinheit zugleich. Es ist das göttliche „Wir“ des Vaters und des Sohnes 1083 REISEN und des Heiligen Geistes. Und wenn auch nicht erreichbar in ihrer absoluten Fülle, so ist diese ganz vollkommene Einheit doch das wirkliche Modell für die Kirche. Nach der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils „erscheint die Kirche als ,das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk4 “ {Lumen gentium, Nr. 4). Um die so geartete Einheit der Kirche aller Zeiten betet Christus im Abendmahlssaal: „... sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich“ {Joh 17,22-23). Das ist die Einheit der Gemeinschaft der Kirche, die aus der Gemeinschaft der drei Personen in der Heiligsten Dreifaltigkeit stammt. 4. Menschen aller Zeiten und Orte sind zu dieser Gemeinschaft berufen. Diese Offenbarungswahrheit wird uns in der heutigen Liturgiefeier zunächst unter dem Bild der heiligen Stadt Jerusalem vorgestellt, in der Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja, der schreibt: „Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz. Blick auf und schau umher: Sie alle versammeln sich und kommen zu dir. Deine Söhne kommen von fern, deine Töchter trägt man auf den Armen herbei“ (Jes 60,3-4). Jesaja sprach diese Worte in Jerusalem, als er das große Licht vorausschaute, das auf die Stadt herabsteigen würde: Dieses Licht ist Christus. Der imponierende Aufbruch der Völker aus aller Welt zu Christus hin beginnt als Folge des Evangeliums . Vom Heiligen Geist angeregt und in der Kraft des Kreuzes und der Auferstehung Christi kommt diese Bewegung der Völker in einer neuen Einheit der Menschheit zu ihrem Höhepunkt. So heißt es weiter im Wort Jesu: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alles zu mir ziehen“ {Joh 12,32). Das Zweite Vatikanische Konzil hob diese Dimension der Einheit der Kirche besonders hervor in der Lehre über das Volk Gottes. „Dieses Volk (muß) eines und ein einziges bleiben und sich über die ganze Welt und durch alle Zeiten hin ausbreiten. So soll sich das Ziel des Willens Gottes erfüllen“ {Lumen gentium, Nr. 13). Die Einheit in Christus jeden Tag neu anstreben 5. Dieses Volk ist aber gleichzeitig der Leib Christi. Der Leib ist ein weiteres Bild — und in gewissem Sinn eine andere Dimension — derselben Wahrheit von der Einheit, die wir alle unter dem Wirken des Heiligen Geistes in Christus bilden. Dementsprechend fordert uns der hl. Paulus auf: „Bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammen- 1084 REISEN hält. Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist“ {Eph 4,3-6). So wird die Einheit verwirklicht, um die Christus im Abendmahlssaal gebetet hat. Sie kommt nicht von uns, sondern von Gott: vom Vater, durch den Sohn, im Heiligen Geist. 6. Diese Einheit löscht die Verschiedenartigkeit in keiner Weise aus. Im Gegenteil, sie bringt sie zur Entfaltung. Es gibt beständig „Einheit in der Vielfalt“. Durch das Wirken des einen Herrn, durch den einen Glauben und die eine Taufe führt diese Vielfalt — die Verschiedenartigkeit der einzelnen Menschen — zur Einheit, einer Einheit, die, ähnlich der Einheit Gottes in der Dreifaltigkeit, Gemeinschaft ist. Die Einheit des Leibes Christi gibt Leben; zugleich begünstigt und entfaltet sie die Verschiedenheit, die Verschiedenheit aller und eines jeden. Es ist dies die Wahrheit, die wir im Brief an die Epheser finden, in dem Paulus schreibt: „Jeder von uns empfing die Gnade in dem Maß, wie Christus sie ihm geschenkt hat... Und er gab den einen das Apostelamt, andere setzte er als Propheten ein, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi“ (Eph 4,7.11-12). So ist also der Heilige Geist die Quelle sowohl der Einheit als auch der Vielgestaltigkeit, weil der Geist die verschiedenen Gaben verleiht, die verschiedenen Berufungen und Dienste, die es in der Kirche, dem Leib Christi, gibt, der gleichzeitig das Volk Gottes ist. 7. Die Heiligen, die wir heute in der Liturgie ehren, Cornelius und Cyprian, erinnern uns an ein konkretes Beispiel der Einheit in der Vielfalt: die Einheit der Universalkirche, in deren Dienst der Nachfolger Petri steht, und die Vielfalt der Teilkirchen, die, von den Ortsbischöfen geführt, zum Aufbau des ganzen Leibes Christi beitragen. Der hl. Papst Cornelius wurde in der Mitte des dritten Jahrhunderts, einer Zeit der Religionsverfolgung von außen und schmerzlicher Zwistigkeiten im Innern, zum Hirten der Gesamtkirche berufen. Seine Anstrengungen, die Gemeinschaft der Kirche zu stärken, wurden kräftig unterstützt durch die überzeugende Rednergabe des Bischofs von Karthago, Cyprian, der, während er für seine eigene Herde sorgte, zugleich auch die Einheit in ganz Nordafrika förderte. Diese beiden Männer, ihren Erfahrungen und ihrem Temperament nach verschieden, waren verbunden in gemeinsamer Liebe zur Kirche und im Eifer für die Einheit des Glaubens. Wie angemessen ist es also, daß wir gerade an dem Tag, an dem der gegenwärtige Nachfolger Petri sich mit den Bischöfen der Vereinigten Staaten trifft, ihr Fest begehen! 1085 REISEN Das Fest konzentriert unsere Aufmerksamkeit auf eine grundlegende Wahrheit, nämlich darauf, daß die Einheit der Glieder der Kirche tief beeinflußt wird durch die Einheit der Bischöfe untereinander und durch ihre Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri. Das Zweite Vatikanische Konzil hat es so ausgedrückt: „Der Bischof von Rom ist als Nachfolger Petri das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen. Die Einzelbischöfe hinwiederum sind sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit in ihren Teilkirchen, die nach dem Bild der Gesamtkirche gestaltet sind. In ihnen und aus ihnen besteht die eine und einzige katholische Kirche“ {Lumen gentium, Nr. 23). Die Kirche wird in vielgestaltigen Weisen konkret 8. Die konkreten Methoden der Kirche bei der Evangelisierung und ihre Bemühungen zur Förderung von Frieden und Gerechtigkeit werden in weitem Umfang von der Tatsache bestimmt, daß die Kirche eine einzige, aber zugleich auch vielgestaltig ist. Die Frohe Botschaft Jesu muß in der Sprache verkündigt werden, die die einzelnen Völker verstehen, in künstlerischen Symbolen, die ihrem eigenen Erleben entsprechend sinnvoll sind, in einer Art und Weise, die so weit wie möglich ihrem Verlangen und ihren Bedürfnissen, der Art ihrer Lebensanschauung und der Weise, wie sie sich an Gott wenden, entsprechen. Zugleich darf, wenn das Evangelium übersetzt und die Lehre der Kirche weitergegeben wird, kein Verrat an der wesentlichen Wahrheit geübt werden. Die völkische Universalität der Kirche verlangt eine große Feinfühligkeit für echte Formen, in denen die Kulturen sich äußern, und einen wirklichen Sinn für das, was der Prozeß der Inkulturation erfordert. In dieser Hinsicht hat Paul VI. sehr genau die Aufgabe umschrieben, die erfüllt werden muß: „Die Frage ist zweifellos schwierig. Die Predigt des Evangeliums verliert viel von ihrer Kraft und Wirksamkeit, wenn sie das konkrete Volk, an das sie sich wendet, nicht berücksichtigt und nicht seine Sprache, seine Zeichen und Symbole verwendet, nicht auf seine besonderen Fragen antwortet und sein konkretes Leben nicht einbezieht. Aber andererseits kann die Verkündigung auch ihre Seele verlieren und innerlich leer werden, wenn man unter dem Vorwand, sie zu übersetzen, sie aushöhlt oder verfälscht; wenn man, um eine universale Wirklichkeit an Ortsverhältnisse anzupassen, diese Wirklichkeit selber opfert und die Einheit zerstört, ohne die es keine Universalität mehr gibt“ {Evangelii nuntiandi, Nr. 63). 1086 REISEN „Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen“ Eng angeschlossen an die Verkündigungstätigkeit der Kirche ist ihr Wirken für Gerechtigkeit und Frieden, und auch dies wird grundlegend bestimmt von ihrer Hirtensorge für einzelne Menschengruppen, besonders für Flüchtlinge, Einwanderer und Arme. Über zweihundert Jahre lang hat die Kirche die Wellen von neuen Einwanderern, die an eure Küsten trafen, freudig begrüßt. So viele neu Ankommende erführen, wenn sie den Boden dieser jungen Nation betraten, zuerst die Liebe und das Mitgefühl der Kirche. Während die ständige pastorale Sorge für die Immigranten in den ersten Jahrzehnten hauptsächlich die Ostküste betraf, hat sich die Pastoral nun auf eigentlich jede größere Stadt im Land ausgeweitet. Los Angeles, wo wir heute abend die Vielfalt der Völker eures Landes feiern, ist jetzt zum neuen größeren Einzugsort für die letzten Einwandererströme geworden. Ich empfehle euch, meine Brüder im Bischofsamt, und allen euren engen Mitarbeitern die aktive Zusammenarbeit zur Hilfe für die einige Millionen zählenden, nicht registrierten Einwanderer, damit sie legale Landesbürger werden. Diese Hirtensorge für die Immigranten in unserer Zeit ist ein Widerschein der Liebe Christi in den Evangelien und der legitimen Arbeit der Kirche, die dem Anruf des Herrn Folge leistet: „Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen“ {Mt 25,35). Die Maßstäbe der Konsumgesellschaft sind ungeeignet 9. Die Kirche sieht sich in ihrem Bemühen um die Verkündigung des Wortes Gottes einer besonders schwierigen Aufgabe in all jenen Kulturen gegenüber, in denen die Gläubigen beständig von Konsumdenken und Genußstreben herausgefordert werden, wo Nützlichkeit, Produktivität und Hedonismus verherrlicht werden, während Gott und sein Gesetz in Vergessenheit geraten sind. In solchen Situationen, in denen Ideen und Verhalten in direktem Widerspruch zur Wahrheit über Gott und über die Menschheit selbst stehen, muß das Zeugnis der Kirche unpopulär sein. Sie muß hinsichtlich des Wortes Gottes einen klaren Standpunkt einnehmen und mit großem Vertrauen auf den Heiligen Geist die Botschaft des Evangeliums unverkürzt verkündigen. Bei diesem, wie bei all ihrem anderen Bemühen, zeigt sich die Kirche als Sakrament des Heils für das ganze Menschengeschlecht, als das Volk, das von Gott erwählt ist, Kanal des Friedens und der Versöhnung in einer von Zwietracht und Sünde zerrissenen Welt zu sein. Wenn auch die Einheit der Kirche nicht ihr eigenes Werk ist, sondern ein kostbares Geschenk des Herrn, so hat sie doch nichtsdestoweniger die ernste Verantwortung, ein Werkzeug zur Erhaltung und Wiederherstellung der Einheit 1087 REISEN in der Menschheitsfamilie zu sein. Sie erfüllt diese Aufgabe, indem sie der Wahrheit treu bleibt und dem Teufel, dem „Vater der Lüge“, direkt widersteht. Sie tut es durch ihre Bemühungen, Vorurteile und Unverständnis zu beseitigen und Verstehen und Vertrauen zu stärken. Auch dadurch, daß sie sich m Redlichkeit zum Kanal für die Gnade und Liebe Christi macht, fördert sie die Einheit. „Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein“ 10. Heute feiern wir gerade mit dem Gebet um die Einheit, das Christus im Abendmahlssaal sprach, die eucharistische Liturgie hier, am Rand des Pazifik, in der Stadt, die ihren Namen von den Engeln ableitet. Und mit dem Psalmisten sagen wir: „Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er hat Wundertaten vollbracht“ (Ps 97/98,1). Ja, Gott hat so wunderbare Taten vollbracht, die sein Heilswirken in unserer Welt bestätigen, er, der „Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist“ (Eph 4,6). „Der Herr hat sein Heil bekannt gemacht und sein gerechtes Wirken enthüllt“ (Ps 97/98,2). So ist Gott, der Gott unseres Glaubens, der Vater unseres Glaubens, der Vater unseres Herrn Jesus Christus. Die Engel im Himmel sehen „das Angesicht Gottes“ in der seligen Schau der Herrlichkeit. Wir alle, Menschen dieses Planeten, wandern im Glauben dieser gleichen Schau entgegen. Und wir wandern voll Hoffnung aus eben diesem Gebet Christi im Abendmahlssaal. Sagte Christus nicht zum Vater: „Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir“ (Joh 17,22-23)? „Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben.“ Wir sind in Christus zum Anteil an der Herrlichkeit berufen, die zur seligen Schau Gottes gehört. Wahrhaftig, „alle Enden der Erde sahen das Heil unseres Gottes“. Darum: „Singt dem Herrn ein neues Lied!“ (Ps 97/98,3.1). Amen. 1088 REISEN Wohlstand darf uns nicht selbstherrlich machen Homilie bei der Eucharistiefeier in Monterey (Laguna Seca) (U.S.A.) am 17. September „Nimm dich in acht und vergiß den Herrn, deinen Gott, nicht“ (Dtn 8,11). Liebe Brüder und Schwestern der Halbinsel Monterey, Brüder und Schwestern von Kalifornien und anderen Gebieten der Vereinigten Staaten! 1. Ursprünglich wurden diese Worte von Mose an das israelitische Volk gerichtet, als er vor dem Eintritt ins verheißene Land stand — ein Land mit Wasserströmen, Brunnen und Quellen, die in den Hügeln und Tälern entsprangen, ein Land, das im Überfluß jede Art von Nahrung und Speise hervorbrachte, ein Land, wo es dem Volk an nichts fehlte (vgl. Dtn 8,7-9). Heute richten sich diese Worte an das Volk Gottes hier in Monterey, im Staate Kalifornien, vor dem Hintergrund der ungewöhnlichen Schönheit von Land und Meer, von schneebedeckten Bergen und tiefen Seen, Eichenwäldchen und Wäldern mit Föhren und Kiefern und mächtigen Rothölzem — eines der reichsten und fruchtbarsten Gebiete der Erde. Ja, heute gelten diese Worte uns allen, die wir hier versammelt sind: „Nimm dich in acht, und vergiß den Herrn, deinen Gott, nicht.“ Selbstzufriedener Reichtum macht gottvergessen 2. Diese vor Tausenden von Jahren gesprochenen Worte haben auch heute noch ihren besonderen Sinn und ihre Bedeutung. Mose, der große Lehrer seines Volkes, machte sich Sorge darum, es möchte beim künftigen Wohlergehen Gott verlassen —jenen Gott, der es aus dem Land der Sklaverei herausgeführt, durch die Wüste mit ihrem ausgedörrten Boden geleitet und es auf dem Weg mit Manna gespeist hatte (vgl. Dtn 8,15-16). Mose kannte die Neigung der menschlichen Herzen, zu Gott zu rufen in Zeiten der Not, doch leicht „seine Gebote, Rechtsvorschriften und Gesetze zu mißachten“ (vgl. Dtn 8,11) in Zeiten des Wohlergehens und des Wohlstands. Er wußte, daß man Gott leicht vergißt. Sind wir nicht in unseren Tagen Zeugen der Tatsache, daß oft in reichen Gesellschaften, wo es Überfluß an materiellem Wohlstand gibt, Permissivität und moralischer Relativismus leichtes Gehör finden? Wo aber die moralische Ordnung unterminiert ist, wird Gott vergessen und Fragen nach letzter Verantwortung beiseite geschoben. In solchen Situationen durchdringt ein handgreiflicher Atheismus das private und das öffentliche Leben. 1089 REISEN Seit der Ursünde war der Mensch geneigt, sich selbst an Gottes Statt zu sehen. Er denkt oft, wie Mose warnend sagte: „Ich habe mir diesen Reichtum aus eigener Kraft und mit eigener Hand erworben“ (Dtn 8,17). Er handelt, als ob der Eine, der die Quelle allen Lebens und alles Guten ist, einfach nicht da wäre. Er mißachtet eine fundamentale Wahrheit über sich selber: die Tatsache, daß er ein Geschöpf ist; daß er geschaffen wurde und alles seinem Schöpfer verdankt, der zugleich sein Erlöser ist. In diesen letzten Jahren des 20. Jahrhunderts und am Vorabend des dritten Jahrtausends der christlichen Ära ist ein Teil der Menschheitsfamilie — der wirtschaftlich und technisch am meisten entwickelte Teil — besonders versucht, wie vielleicht niemals zuvor, das alte Modell aller Sünden nachzuahmen — die ursprüngliche Auflehnung, die in den Worten zum Ausdruck kommt: „Ich will nicht dienen.“ Heute liegt die Versuchung darin, zu versuchen, eine Welt für sich selber aufzubauen und den Schöpfer sowie seinen Plan und seine liebevolle Vorsehung zu vergessen. Doch früher oder später müssen wir uns damit auseinandersetzen, daß Gott vergessen und den Tod Gottes vortäuschen den Tod des Menschen und aller Zivilisation zu fordern bedeutet. Aufs Spiel gesetzt wird die Existenz von einzelnen, von Gemeinschaften und der ganzen Gesellschaft. 3. Die heutigen Lesungen aus dem Neuen Testament stehen im Gegensatz zu einer solchen Einstellung. Sie sprechen von Gottes Gegenwart, die das menschliche Herz und die gesamte Schöpfungswirklichkeit durchdringt. Jesus lehrt, daß das Reich Gottes gleich einer wachsenden Saat ist, die ein Mann in den Boden sät (vgl. Mk 4,26-29). Gewiß ist menschliche Aktivität wesentlich. „Der Mensch schläft und steht täglich wieder auf ...“ Er pflanzt, und „sobald die Frucht reif ist, legt er die Sichel an“. Auch die reichen Täler Kaliforniens würden ohne das Können und Mühen des Menschen nichts hervorbringen. Doch das Wort Gottes sagt, daß „die Erde von selbst ihre Frucht (bringt), zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre“ (Mk 4,28). Das soll heißen: das Wachstum des Weizens und sein Reifen, das weithin von der Fruchtbarkeit des Bodens abhängt, stammt aus der Natur und Lebenskraft der Schöpfung selber. Und daher gibt es eine andere Quelle des Wachstums: der Eine, der über der Natur und dem Menschen steht, der die Erde bebaut. In einem gewissen Sinn „verbirgt“ sich der Schöpfer in seinem lebenspendenden Wirken in der Natur, und die menschliche Person ist aufgerufen, mit Hilfe von Verstand und Glauben die Gegenwart Gottes und sein Wirken in der ganzen Schöpfung zu entdecken und zu enthüllen, ,,damit auf Erden sein Weg erkannt wird und unter allen Völkern sein Heil“ (Ps 67,3). 1090 REISEN Während das Gleichnis von der Saat das Wachstum des Reiches Gottes in der Welt beschreibt, sprechen die Worte des hl. Paulus in der zweiten Lesung davon, wie Gottes großzügiges Schenken dem menschlichen Herzen „gute Werke“ entlocken möchte: „Gott kann seine Gnaden unter euch verviellaltigen ... um der guten Werke willen.“ Alles menschliche Wirken muß in Werke der Gerechtigkeit, des Friedens und der Liebe münden. Alles menschliche Wirken — einbegriffen in unmittelbarer Weise die edle Arbeit der Landwirtschaft, bei der viele von euch engagiert sind — muß geschehen als Dienst am Menschen und zur Verherrlichung Gottes. : Arbeit ist ein Wert und soll das Leben menschlicher machen 4. Das Land ist Gottes Gabe. Von Anbeginn hat Gott es dem ganzen Menschengeschlecht als Mittel zum.Lebensunterhalt all jener anvertraut, .die er nach seinem eigenen Bild und Gleichnis erschafft. Wir müssen das Land verwenden, um jedes Menschenwesen in seinem Leben und in seiner Würde zu erhalten. Vor dem Hintergrund der unermeßlichen Schönheit dieses:Gebietes und der Fruchtbarkeit seines Bodens wollen wir daher gemeinsam unseren Dank für diese Gabe aussprechen mit den Worten des Antwortpsalms: „Das Land gab seinen Ertrag. Es segne uns Gott, unser Gott“ (Ps 67,7). Wie wir im Buch Genesis lesen, gewinnen die Menschen ihr Brot im Schweiß ihres Angesichts (Gen 3,17). Wir mühen uns viele Stunden lang und werden dabei müde. Und doch ist Arbeit gut für uns, weil der Mensch „durch die Arbeit nicht nur die Natur umwandelt und seinen Bedürfnissen anpaßt, sondern auch sich selbst als Mensch verwirklicht, ja gewissermaßen ,mehr Mensch1 wird“ (Laborem exercens, Nr. 9). Der Wert der Arbeit endet aber nicht beim einzelnen. Ihre volle Bedeutung kann nur in bezug auch zu Familie und Gesellschaft verstanden werden. Arbeit unterhält die Familie und gibt ihr Festigkeit, und innerhalb der Familie lernen ferner die Kinder den menschlichen und positiven Wert von Arbeit und Verantwortung zuerst kennen. In jeder Gemeinschaft und in der Nation als ganzer besitzt die Arbeit eine fundamentale soziale Bedeutung. Sie kann überdies entweder Menschen in Solidarität bei einer gemeinsamen Aufgabe verbinden oder sie durch übertriebenen Wettbewerb, Ausbeutung und soziale Konflikte entzweien. Arbeit bildet den Schlüssel zur ganzen sozialen Frage, wenn diese Frage so verstanden wird, daß Arbeit das Leben menschlicher machen soll (vgl. Laborem exercens, Nr. 3). 5. Die landwirtschaftliche Arbeit zeigt all diese Grundsätze praktisch auf — das Potential der Arbeit zur Erfüllung der menschlichen Person, die „Fami- 1091 REISEN lien“-Dimension der Arbeit und die soziale Solidarität. Landwirtschaftliche Arbeit ist — wie Papst Johannes XXIII. sie beschrieben hat — eine Berufung, eine gottgegebene Sendung, eine edle Aufgabe und ein Beitrag zur Zivilisation (vgl.Mater et magistra, Nr. 149). Gott hat die Vereinigten Staaten mit einigen der reichsten Ackerflächen der Welt gesegnet. Die Produktivität der amerikanischen Landwirtschaft ist eine bedeutsame Geschichte des Erfolges, natürlich auch eine Geschichte harter und ermüdender Arbeit, von Mut und Unternehmungsgeist, und sie braucht das Zusammenwirken vieler Leute: Landwirte, Arbeiter, Vermarkter, Verteiler und am Ende Verbraucher. Ich weiß auch, daß in letzter Zeit Tausende von amerikanischen Landwirten in Armut und Schulden geraten sind. Viele haben ihre Häuser und ihre Lebensweise verloren. Eure Bischöfe und die ganze Kirche in eurem Land sind darüber tief betroffen, und sie hören die Stimmen so mancher Landwirte und Landarbeiter, die ihre Besorgnis über die Kosten und das Risiko der Landwirtschaft, die schwierigen Arbeitsbedingungen und die Notwendigkeit einer gerechten Entlohnung und würdigen Unterbringung äußern, dazu die Frage fairer Preise für ihre Erzeugnisse. In immer weiteren Kreisen vernimmt man die Stimme der Armen, die in einem Land der Fülle sehr darüber verwündert sind, daß sie trotzdem die Qual des Hungers erfahren müssen. Verantwortung läßt über das eigene Arbeitsfeld hinausblicken 6. Alle'sind sich darüber einig, daß die Lage der Landwirte in den Vereinigten Staaten und in anderen Teilen der Welt sehr komplex ist und einfache Lösungen nicht zur Hand sind. Die Kirche kann ihrerseits keine besonderen technischen Lösungen anbieten; sie legt aber eine Soziallehre auf der Grundlage des Primats der menschlichen Person bei allen wirtschaftlichen und sozialen Tätigkeiten vor. Auf jeder Ebene des landwirtschaftlichen Prozesses muß das Zentralthema die Würde, die Rechte und das Wohlergehen der Menschen sein. In den Augen Gottes ist niemand bei diesem Vorgang — Landwirt, Arbeiter, Packer, Verschiffer, Einzelhändler oder Verbraucher — größer als der andere. Und was soll man von unserer Verantwortung für die künftigen Generationen sagen? Die Erde wird nicht weiter ihre Ernte anbieten, wenn wir sie nicht getreulich verwalten. Wir können nicht behaupten, wir liebten das Land und dann Schritte unternehmen, die es für den Gebrauch künftiger Generationen zerstören. Ich ermahne euch dringend, aufgeschlossen zu sein für viele Fragen, die das Land und die ganze Umwelt betreffen, und in vereintem Bemühen die beste Lösung für die drängenden Probleme zu finden. 1092 REISEN 200 Jahre amerikanische Verfassung verpflichten zu sozialem Verhalten 7. Jeder von uns ist aufgerufen, seine jeweiligen Pflichten vor Gott und vor der Gesellschaft zu erfüllen. Da es in der Natur der Kirche liegt, ihre Aufmerksamkeit nachhaltig auf jene zu konzentrieren, die am wenigsten fähig sind, ihre eigenen berechtigten Interessen zu verteidigen, appelliere ich an die Landeigentümer, die Landwirte und andere in Machtstellungen, die gerechten Ansprüche ihrer Brüder und Schwestern, die das Land bearbeiten, zu achten. Zu diesen Ansprüchen gehören das Recht der Beteiligung an Entscheidungen über ihre Dienste, das Recht auch zu freien Zusammenschlüssen im Hinblick auf soziale, kulturelle und wirtschaftliche Fortschritte {Laborem exercens, Nr. 21). Ich appelliere ebenfalls an alle Arbeiter, ihre eigenen Verpflichtungen gegenüber der Gerechtigkeit zu beachten und alles zu tun, um der Menschheit einen wertvollen Dienst zu leisten. Neue Gesetze haben es in eurem Land für viele Menschen, zumal für wandernde Landarbeiter, möglich gemacht, Bürger zu werden, statt Fremde unter euch zu bleiben. Viele dieser Menschen sind hier demselben Wunschbild gefolgt, das eure Vorfahren gehegt haben, als sie zuerst herkamen. Ich bitte euch, diese neuen Bürger in eurer Gesellschaft willkommen zu heißen und die Menschenwürde jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes zu achten. Zweihundert Jahre, nachdem die Verfassung die Vereinigten Staaten als ein Land großer Möglichkeiten und der Freiheit bekräftigt hat, darf man mit Recht hoffen, daß es zu einem allgemeinen und neuen Eintreten für jene Politik kommt, die notwendig ist, um die Bewahrung und Förderung von Unvoreingenommenheit und Gerechtigkeit innerhalb der Grenzen des Landes sicherzustellen. Dies ist eine immer aktuelle Aufgabe für das geschichtliche Schicksal Amerikas. Heute ist es für Amerika auch wichtig, über sich selber hinauszublicken und jenseits aller eigenen Nöte die immer größeren Schwierigkeiten der ärmeren Nationen der Welt zu sehen. Wenn örtliche Gemeinschaften darangehen, immer wirksamer für die integrale menschliche Förderung ihrer eigenen Mitglieder zu arbeiten, so dürfen sie nicht ihre Brüder und Schwestern anderswo vergessen. Wir müssen uns in acht nehmen, den Herrn nicht zu vergessen, aber auch jene nicht, die er liebt. Tourismus kann Quelle des Guten oder des Bösen sein 8. Die verborgenen Eigenschaften des Schöpfers scheinen auf in der Schönheit seiner Schöpfung. Die Schönheit der Halbinsel Monterey zieht eine große Zahl von Besuchern an, und viele von euch sind deswegen im Fremdenverkehr beschäftigt. Ich begrüße und ermuntere euch, eure besondere Arbeit als 1093 REISEN eine Form des Dienstes an und der Solidarität mit euren Mitmenschen anzusehen. Arbeit ist, wie wir gesehen haben, ein wesentlicher Aspekt unseres menschlichen Daseins, doch das gilt ebenso von der notwendigen Ruhe und Erholung, bei der wir unsere Kräfte erneuern und unseren Geist für die Lebensaufgaben stärken. Im Tourismus sind zahlreiche erhebliche Werte enthalten: Entspannung, die Erweiterung der eigenen Kultur und die Möglichkeit, die Freizeit für geistige Beschäftigungen zu nutzen. Diese schließen Gebet, Kontemplation und Wallfahrten ein, die immer einen Teil des katholischen Erbes gebildet haben; dazu gehört ferner die Förderung menschlicher Beziehungen innerhalb der Familie und unter Freunden. Wie andere menschliche Tätigkeiten kann auch der Tourismus eine Quelle des Guten oder Bösen sein, ein Ort der Gnade oder der Sünde. Ich lade euch alle, die ihr mit dem Tourismus verbunden seid, ein, die Würde eurer Arbeit zu währen und immer bereit zu sein, von eurem christlichen Glauben freudig Zeugnis zu geben. Das Brot des Lebens mit allen Menschen teilen 9. Liebe Brüder und Schwestern: in der Eucharistiefeier werden die Früchte unserer Arbeit und alles Edle unter den menschlichen Dingen eine Opfergabe von größtem Wert, in Vereinigung mit dem Opfer Jesu Christi, unseres Herrn und Heilandes. Wenn wir durch unsere Arbeit sowie Taten der Gerechtigkeit und Liebe alles fördern, was menschlich echt ist, bringen wir zum Altar des Herrn jene Elemente, die in Christus verwandelt werden. „Gepriesen bist du, Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns das Brot die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit. Wir bringen dieses Brot vor dein Angesicht, damit es uns das Brot des Lebens werde.“ Ich bitte euch, mit mir vereint die allerheiligste Dreifaltigkeit zu preisen für die Fülle des Lebens und alles Guten, mit der ihr beschenkt worden seid: „Das Land gab seinen Ertrag. Es segne uns Gott, unser Gott“ (Ps 67,7). Doch möge euer Überfluß euch nie den Herrn vergessen oder aufhören lassen, ihn als die Quelle eures Friedens und eures Wohlergehens anzuerkennen. Euer Gebet für euch selber und für alle eure Brüder und Schwestern muß allezeit ein Echo des Psalms sein: „Gott sei uns gnädig und segne uns. Er lasse über uns sein Angesicht leuchten“ (Ps 67,2). Möge der Herr in den kommenden Jahren sein Antlitz über diesem Land, über der Kirche in Monterey und in ganz Amerika scheinen lassen: Vom einen Ende des Meeres bis zum anderen. Amen. 1094 REISEN Immer vorwärts, niemals zurück Besuch in der Basilika der Karmeliter in Monterey (U.S. A.) am 17. September Lieber Bischof Shubsda! Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich komme heute als Pilger in diese St.-Carlos-Mission, die so stark den heldenhaften Geist und die heldenhaften Taten von Pater Junipero Serra heraufbeschwört und die seine sterblichen Überreste beherbergt. Dieser heitere und schöne Ort ist wahrhaftig das historische und geistige Herz Kaliforniens. Alle Missionen von El Camino Real zeugen von den Herausforderungen und dem Heldentum einer früheren Zeit, jedoch nicht einer vergessenen oder für das heutige Kalifornien und die. heutige Kirche bedeutungslosen Zeit. Diese Gebäude und die Männer, die sie schufen, vor allem ihr geistiger Vater, Junipero Serra, erinnern an ein Zeitalter der Entdeckung und der Erforschung. Die Missionen sind das Ergebnis einer bewußten moralischen Entscheidung, die von gläubigen Menschen mit Respekt vor der Zukunft des Landes und vor den einheimischen Menschen in einer Situation getroffen wurde, die viele menschliche Möglichkeiten — sowohl gute als auch schlechte — bot. Es war eine in der Liebe zu Gott und zum Nächsten verwurzelte Entscheidung. Das Evangelium Jesu Christi in der Morgenröte eines neuen Zeitalters zu verkünden, war eine Entscheidung, die für beide Teile — für die europäischen Siedler und die eingeborenen Amerikaner — äußerst wichtig war. 2. Sehr oft schickt Gott in kritischen Augenblicken menschlicher Angelegenheiten Männer und Frauen, .die er mit Aufgaben von entscheidender Bedeutung für die künftige Entwicklung sowohl der Gesellschaft als auch der Kirche beauftragt. Obwohl sich ihre Geschichte unter den normalen Umständen des täglichen Lebens entfaltet, werden sie in der Perspektive der Geschichte größer als dieses Leben. Wir freuen uns um so mehr, wenn ihre Leistung mit einer heiligen Lebensführung verbunden ist, die man wirklich heldenhaft nennen kann. So ist es bei Junipero Serra, der in der göttlichen Vorsehung dazu bestimmt war, der Apostel Kaliforniens zu sein und bleibenden Einfluß auf das geistliche Erbe dieses Landes und dieser Menschen, gleich welcher Religion, zu haben. Dieses apostolische Bewußtsein wird in den ihm zugeschrie-benen Worten eingefangen: „In Kalifornien lebe ich, und hier hoffe ich — so Gott will — zu sterben.“ Durch das Ostergeheimnis Christi ist dieser Tod Sa- 1095 REISEN men im Boden dieses Staates geworden, der weiterhin „teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach“ Frucht hervorbringt {Mt 13,8). Pater Serra war überzeugt von der Sendung der Kirche, die ihr von Christus selbst übertragen wurde, nämlich die Welt zu evangelisieren, alle Welt zu seinen Jüngern zu machen und sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes zu taufen (vgl. Mt 28,19). Wie er seinen Auftrag erfüllte, entspricht auf gewissenhafte Weise der Auffassung, die die Kirche heute von der Evangelisierung hat: „... die Kirche evangelisiert, wenn sie sich darum bemüht, allein durch die göttliche Kraft der Botschaft, die sie verkündet, zugleich das persönliche und kollektive Bewußtsein der Menschen, die Tätigkeit, in der sie sich engagieren, ihr konkretes Leben und jeweiliges Milieu umzuwandeln“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 18). Er brachte nicht nur das Evangelium zu den eingeborenen Amerikanern, sondern wurde als einer, der das Evangelium lebte, auch ihr Verteidiger und Vorkämpfer. Im Alter von sechzig Jahren reiste er von Carmel nach Mexiko City, um mit dem Vizekönig in ihrem Namen einzuschreiten — eine Reise, die ihn zweimal an den Rand des Todes brachte — und trug seine jetzt berühmte „Re-presentaciön“ vor, deren „verfassungsmäßig garantierte Grundrechte“ die Verbesserung jeder Phase missionarischer Tätigkeit in Kalifornien zum Ziel hatte, vor allem das geistige und körperliche Wohl der eingeborenen Amerikaner. 3. Pater Serra und seine Mitbrüder teilten die überall im Neuen Testament zu findende Auffassung, daß das Evangelium eine Angelegenheit des Lebens und des Heiles ist. Sie glaubten, daß sie, indem sie Jesus Christus den Menschen schenkten, etwas unendlich Wertvolles, Wichtiges und Würdiges taten. Welche andere Erklärung kann es für die Nöte geben, die sie freiwillig und froh ertrugen, wie der heilige Paulus und alle anderen großen Missionare vor ihnen: beschwerliche und gelahrliche Reisen, Krankheit und Absonderung, asketisches Leben, mühsame Arbeit und auch, wie der heilige Paulus, jene „Sorge um alle Gemeinden“ (2 Kor 11,18), die vor allem Junipero Serra als „Presidente“ der kalifornischen Missionen angesichts jedes Wechselfalls, jeder Enttäuschung und jedes Widerstandes erfuhr. Liebe Brüder und Schwestern: wie Pater Serra und seine Mitbrüder sind auch wir aufgerufen, Verkünder des Evangeliums zu sein, aktiv den Auftrag der Kirche zu teilen, Jünger in allen Völkern zu gewinnen. Die Art, mit der wir diesen Auftrag erfüllen, wird von ihrer verschieden sein. Aber ihr Leben spricht zu uns wegen ihres sicheren Vertrauens, daß das Evangelium wahr ist, und wegen ihres begeisterten Glaubens an den Wert, jene heilbringende Wahrheit anderen mit großen persönlichen Opfern zu bringen. Sehr zu beneiden 1096 REISEN sind diejenigen, die ihr Leben für etwas Größeres als sie selbst im liebenden Dienst an anderen hingeben können. Diese Geradlinigkeit ist nicht für große Missionare an exotischen Orten reserviert. Sie muß im Herzen jedes priesterlichen Dienstes und des evangelischen Bekenntnisses aller Ordensleute bestehen. Sie ist der Schlüssel zu ihrem persönlichen Verständnis von Wohlsein, Glück und Erfüllung in dem:, was sie sind und was sie tun. Diese Geradlinigkeit ist auch für das christliche Zeugnis eines katholischen Laien wesentlich. Der Liebesbund zwischen zwei verheirateten Menschen und das erfolgreiche Teilen des Glaubens mit Kindern erfordern die Anstrengung eines ganzen Lebens. Wenn Ehepaare aufhören, an ihre Ehe als ein Sakrament vor Gott zu glauben oder die Religion als etwas Geringfügigeres zu betrachten als die Ursache des Heils, dann ist das christliche Zeugnis, das sie der Welt vielleicht gegeben haben, verloren. Diejenigen, die unverheiratet sind, müssen auch standhaft ihre Pflichten im Leben erfüllen, wenn sie der Welt, in der sie leben, Christus bringen wollen. „Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt“ (Phil 4,13). Diese Worte des großen Missionars, des heiligen Paulus, erinnern uns daran, daß unsere Kraft nicht aus uns kommt. Selbst in den Märtyrern und Heiligen wirkt Gott; er bringt „in der menschlichen Schwachheit... (seine) göttliche Kraft zur Vollendung“ (Präfation von den Märtyrern). Es ist die Kraft, die Pater Serras Motto erfüllt: „Immer vorwärts, niemals zurück.“ Es ist die Kraft, die man an diesem Ort des Gebetes fühlt, der so voll ist von seiner Gegenwart. Es ist die Kraft, die aus uns allen, liebe Brüder und Schwestern, Missionare Jesu Christi machen kann, Zeugen seiner Botschaft, Befolger seines Wortes. Gottes Liebe hat viele Gesichter Ansprache beim Besuch der Mission-Dolores-Basilika in San Francisco (U.S.A.) am 17. September Lieber Erzbischof Quinn! Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Herzlichen Dank für euer freundliches Willkommen in San Francisco. Es ist eine Freude, hier mit euch allen zusammen zu sein. Am Beginn meines Pa-storalbesuches eurer historischen Stadt, weite ich meinen brüderlichen Gruß auf alle Bürger dieser Metropole aus. In der Liebe Christi grüße ich meine 1097 REISEN Brüder und Schwestern von. der katholischen Gemeinschaft. Besonders begrüße ich die Gelegenheit, bei euch zu sein, die ihr jetzt in dieser der Schmerzhaften Muttergottes geweihten Basilika anwesend seid. Die Gnade und der Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus sei mit euch allen. San Francisco! Durch den Namen und die Geschichte bist du mit dem Geist des hl. Franziskus von Assisi verbunden. Und so denke ich bei meinem Pasto-ralbesuch in eurer Stadt an alles, was der hl. Franziskus bedeutet, nicht nur euch, sondern den Menschen überall auf der Welt. Da ist etwas Besonderes mit diesem Mann, der vor mehr als achthundert Jahren in einer kleinen italienischen Stadt geboren wurde, das noch in unseren Tagen Menschen von weitaus verschiedenen Kulturen und Religionen anregt. Der hl. Franziskus war ein Mann des Friedens und der Freundlichkeit, ein Dichter und ein Liebhaber der Schönheit. Er war ein Mann der Armut und Einfachheit, ein Mann in Harmonie mit den Vögeln und Tieren, der an der ganzen Schöpfung Gottes seine Freude hatte. Vor allem war Franziskus ein Mann des Gebetes, dessen ganzes Leben von der Liebe Christi geformt war. Und er wollte auf die Art und Weise leben, die am deutlichsten von der immerwährenden Liebe Gottes sprach. Wenn ich also heute nach San Francisco komme, komme ich im Geist dieses Heiligen, dessen ganzes Leben die Güte und die Gnade Gottes verkündet. 2. Demgemäß möchte ich heute zu euch von der alles umfassenden Liebe Gottes sprechen. Der hl. Johannes sagt: „Nicht darin besteht die Liebe, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat“ (1 Joh 4,10). Der größte Beweis der Liebe Gottes zeigt sich in der Tatsache, daß er uns in unserer Menschennatur liebt, mit unseren Schwächen und unseren Bedürfnissen. Nichts anderes kann das Geheimnis des Kreuzes erklären. Der Apostel Paulus schrieb einmal: „Das Wort ist glaubwürdig und wert, daß man es beherzigt: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten. Von ihnen bin ich der erste. Aber ich habe Erbarmen gefunden, damit Christus Jesus an mir als erstem seine ganze Langmut beweisen konnte, zum Vorbild für alle, die in Zukunft an ihn glauben, um das ewige Leben zu erlangen“ (1 Tim 1,15-16). Die Liebe Christi ist mächtiger als Sünde und Tod. Der hl. Paulus erklärte, daß Christus kam, um die Sünden zu vergeben und daß seine Liebe größer ist als jede Sünde, stärker als alle meine eigenen Sünden oder als die von irgendjemand anderem. Das ist der Glaube der Kirche. Das ist die gute Nachricht von Gottes Liebe, die die Kirche durch die Geschichte hindurch verkündet 1098 REISEN und die ich euch heute verkünde: Gott liebt euch mit einer immerwährenden Liebe. Er liebt euch in Christus Jesus, seinem Sohn. 3. Gottes Liebe hat viele Gesichter. Besonders liebt Gott uns als Vater. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn drückt diese Wahrheit besonders lebhaft aus. Erinnert euch an den Augenblick im Gleichnis, als der Sohn zu Sinnen kam, beschloß, nach Hause zurückzukehren und zum Haus seines Vaters aufbrach. „Der Vater'sah ihn schon von weitem kommen, und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küßte ihn“ (Lk 15,20). Das ist die väterliche Liebe Gottes, eine Liebe, die immer bereit ist zu vergeben, bestrebt, uns wieder willkommen zu heißen. Gottes Liebe zu uns als Vater ist eine starke und treue Liebe; eine Liebe, die voller Gnade ist; eine Liebe, die uns auf die Gnade der Umkehr hoffen läßt, wenn wir gesündigt haben. Wie ich in meiner Enzyklika über das göttliche Erbarmen gesagt habe: „Das Gleichnis vom verlorenen Sohn bringt auf einfache, aber tiefe Weise die Wirklichkeit der Bekehrung zum Ausdruck. Sie ist das konkreteste Zeugnis für das Wirken der Liebe und die Gegenwart des Erbarmens in der Welt der Menschen ... das Erbarmen zeigt sich wahrhaft und eigentlich, wenn es wieder aufwertet, fördert und aus allen Formen des Übels in der Welt und im Menschen das Gute zieht“ (Dives in misericordia, Nr. 6). Es ist die Wirklichkeit der Liebe Gottes zu uns als unser Vater, die erklärt, warum Jesus uns gesagt hat, im Gebet Gott als „Abba, Vater“ anzusprechen (vgl. Lk 11,2; Mt 6,9). 4. Es ist auch wahr zu sagen, daß Gott uns als unsere Mutter liebt. In dieser Hinsicht fragt Gott uns durch den Propheten Jesaja: „Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht“ (Jes 49,15). Gottes Liebe ist zärtlich und barmherzig, geduldig und voller Verständnis. Die Liebe Gottes wurde in den Schriften tatsächlich als mitleidige Liebe einer Mutter dargestellt und in der lebendigen Erinnerung als solche erfahren. Jesus selbst drückt eine mitleidende Liebe aus, als er über Jerusalem weint und sagt: „Jerusalem, Jerusalem ;.. Wie oft wollte ich deine Kinder um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt“ {Lk 13,34). 5. Liebe Freunde in Christus: die Liebe Gottes ist so groß, daß sie über die Grenzen der menschlichen Sprache hinausgeht, über die Fassungskraft künstlerischen Ausdrucks, über menschliches Verstehen. Und doch ist sie konkret in Jesus Christus, Gottes Sohn, verkörpert und in seinem Leib, der Kirche. Noch einmal wiederhole ich heute abend, hier in dieser Mission-Dolores-Ba- 1099 REISEN silika, für euch alle die zeitlose Verkündigung des Evangeliums: Gott liebt euch! Gott liebt euch alle ohne Unterschied, ohne Grenze. Er liebt die unter euch, die älter sind, die die Last der Jahre spüren. Er liebt die unter euch, die an Aids leiden und an einem Aids-Syndrom. Er liebt die Verwandten und Freunde der Kranken und die, die für sie sorgen. Er liebt uns alle mit einer bedingungslosen und immerwährenden Liebe. Im Geist des hl. Franziskus dränge ich euch nun alle, euer Herz für die Liebe Gottes zu öffnen, mit euren Gebeten und den Taten eures Lebens zu antworten. Werft eure Zweifel und Ängste von euch und laßt die Barmherzigkeit Gottes euch an sein Herz ziehen. Öffnet die Türen eurer Herzen für Gott, der reich ist an Erbarmen. „Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es“ (1 Joh 3,1). Ja, das sind wir heute und immer: Kinder eines liebenden Gottes! Prophetische Zeichen setzen Ansprache an die Ordensleute in San Francisco (U.S.A.) am 17. September Liebe Schwestern und Brüder in Christus, liebe Ordensleute der Vereinigten Staaten! 1. In ihrer tiefsten geistlichen Bedeutung ist die Vesper, die wir zusammen beten, die Stimme der Braut, gerichtet an ihren Bräutigam (vgl. Sacrosanctum Concilium, Nr. 84). Sie ist ebenso die Stimme des Bräutigams, „das Gebet, das Christus vereint mit seinem Leib an seinen Vater richtet“ (ebd.) . Mit ein und derselben Stimme preisen die Braut und der Bräutigam den Vater in der Einheit des Heiligen Geistes. , In diesem liturgischen Loblied geben wir „dem eigentlichen Wesen der wahren Kirche“ Ausdruck, „der es eigen ist, zugleich göttlich und menschlich zu sein, sichtbar und mit unsichtbaren Gütern ausgestattet, voll Eifer der Tätigkeit hingegeben und doch frei für die Beschauung, in der Welt zugegen und doch unterwegs“ {ebd., Nr. 2). Es ist gerade die Anwesenheit Gottes im menschlichen Leben und in den menschlichen Angelegenheiten, die ihr durch euer gottgeweihtes Ordensleben und die Praxis der evangelischen Räte verkündet. Es ist die Realität der Liebe Gottes in der Welt, für die ihr durch die verschiedenen Formen von Diensten der Liebe am Gottesvolk Zeugnis ablegt. 1100 REISEN 2. Liebe Ordensschwestern, Ordensgeistliche und Ordensbrüder, für mich ist dieses einer der bedeutendsten Augenblicke meines Besuches. Hier mit euch allen, den Ordensfrauen und Ordensmännern der Vereinigten Staaten, und in geistiger Anwesenheit aller Mitglieder eurer Kongregationen, die entweder in diesem oder in anderen Ländern ihren Dienst leisten, sage ich Gott von Herzen Dank für jeden einzelnen von euch. „Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig“ (Lk 1,49). Ich grüße jeden von euch in Liebe und Dankbarkeit. Ich danke euch für den warmherzigen Empfang, den ihr mir bereitet habt, und danke Sr. Helen Garvey und P. Stephen Tutas, die mir eine Darstellung eures Gott geweihten Lebens gegeben haben. Ich freue mich über eure tiefe Liebe zur Kirche und euren selbstlosen Dienst am Gottesvolk. Alle Orte, die ich in diesem weiten Land besucht habe, sind gekennzeichnet von der sorgfältigen Arbeit und den immensen geistigen Energien der Ordensleute aus kontemplativen und aktiven Gemeinschaften in der Kirche. Das weitverbreitete katholische Erziehungs und Gesundheits- wesen, das hochentwickelte Netzwerk sozialer Dienste in der Kirche — nichts derartiges würde heute existieren, wenn nicht dank eurer edelmütigen Hingabe und der Bereitschaft derer, die euch vorangegangen sind. Die geistliche Energie so vieler katholischer Menschen bezeugt die Anstrengung von Generationen von Ordensleuten in diesem Land. Die Geschichte der Kirche in diesem Land ist zum großen Teil eure Geschichte des Dienstes am Gottesvolk. Wenn wir an eure glorreiche Vergangenheit erinnern', so laßt uns hoffen, daß eure Zukunft nicht weniger forderlich sein wird für die Kirche in den Vereinigten Staaten und nicht weniger ein prophetisches Zeugnis des Gottesreiches für jede neue Generation von Amerikanern. i 3. Ein einzigartiges Ereignis von außerordentlicher Bedeutung, das die Kirche in jedem Aspekt ihres Lebens und ihrer Sendung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beeinflußt hat, war das Zweite Vatikanische Konzil. Das Konzil rief die gesamte Kirche zur Umkehr auf, zur „Neuheit des Lebens“, zur Erneuerung — zu einer Erneuerung, die wesentlich in einer immer größeren Treue zu Jesus Christus, ihrem göttlichen Gründer, besteht. Als „Männer und Frauen, die die Entäußerung des Erlösers nachdrücklicher befolgen und deutlicher erweisen“ (Lumen gentium, Nr. 42), ist es nur natürlich, daß die Ordensleute den Ruf zur Erneuerung in einer Weise empfunden haben, die bis an die Wurzeln ging. Tausende von Ordensleuten in den Vereinigten Staaten haben hochherzig auf diesen Ruf geantwortet und wissen sich ihm auch weiterhin zutiefst verpflichtet. Die Ergebnisse, die guten Früchte dieser Antwort zeigen sich deutlich in der Kirche: Wir sehen eine vom Evangelium inspirierte Spiritualität, die zu einer Vertiefung des persönlichen und des liturgischen 1101 REISEN Gebets geführt hat; ein klares Verständnis von der Kirche als einer Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe, in der die jedem Mitglied anvertraute Gnade und Verantwortlichkeit respektiert und ermutigt wird; eine neue Würdigung des Vermächtnisses eurer Gründer und Gründerinnen, so daß das spezielle Charisma jeder Kongregation klarer hervortritt; ein schärferes Bewußtsein von den dringenden Bedürfnissen der heutigen Welt, in der die Ordensleute in enger Verbundenheit mit den Bischöfen und in enger Zusammenarbeit mit der gesamten Kirche das Werk des Guten Hirten, des barmherzigen Samariters und des eifrigen Lehrers fortzuführen suchen. Es wäre unrealistisch, wenn man meinen wollte, solch ein tiefer und umfassender Prozeß der Erneuerung könne sich ohne Risiken und Irrtümer vollziehen, ohne übermäßige Ungeduld bei einigen und angebrachte Befürchtungen bei anderen. Was auch immer für Spannungen und Polarisationen, veranlaßt durch den Wandel, aufgetreten sind, was auch immer für Fehler in der Vergangenheit gemacht wurden, ich bin sicher, ihr alle seid überzeugt, daß die Zeit da ist, aufs neue im Geist der Liebe und Versöhnung einander entgegenzukommen, sowohl innerhalb als auch zwischen euren Kongregationen. Während der letzten zwei Jahrzehnte wurden auch tiefgehende Einsichten in Sinn und Wert des Ordenslebens gewonnen. Viele dieser Einsichten, die aus Gebetserfahrung und Buße hervorgegarigen sind und durch das Lehrcharisma der Kirche als echt bestätigt wurden, haben bedeutend zum kirchlichen Leben beigetragen. Sie haben das Zeugnis für die bleibende Identität des gottgeweihten Lebens und seiner Sendung im Leben der Kirche erbracht. Zugleich haben sie für die Ordensleute die Notwendigkeit erwiesen, ihre Tätigkeiten den Bedürfnissen der Menschen unserer Zeit anzupassen. Die evangelischen Räte sind göttliche Gnadengaben 4. Fundamental für die Lehre des Konzils über das Ordensleben ist die Betonung der kirchlichen Natur der Berufung zur Beobachtung der evangelischen Räte; Das gottgeweihte Leben „gehört unerschütterlich zum Leben und zur Heiligkeit der Kirche“ {Lumen gentium, Nr. 44). „Die evangelischen Räte sind ... eine göttliche Gabe, welche die Kirche von ihrem Herrn empfangen hat und in seiner Gnade immer bewahrt“ (ebd., Nr. 43). Gerade in diesem kirchlichen Zusammenhang bat ich 1983 die Bischöfe der Vereinigten Staaten um den pa-storalen Dienst, diejeningen unter euch, deren Institute im Apostolat arbeiten, besonders zu ermutigen und zu unterstützen, damit ihr eure kirchliche Berufung voll lebt. Ich möchte nun den Bischöfen und euch allen für eure sehr gute Zusammenarbeit in diesem wichtigen Bemühen danken. Besonders danke ich der Päpstlichen Kommission unter dem Vorsitz von Erzbischof John Quinn; 1102 REISEN Eure andauernde Teilnahme an der Sendung der Kirche auf Diözesan- und Gemeindeebene ist von unschätzbarem Wert für das Wohl der Ortskirchen. Eure Verbundenheit mit den lokalen Bischöfen und eure Zusammenarbeit mit dem Pastoraldienst des Diözesanklerus trägt zum kräftigen und wirksamen Wachstum unter den Gläubigen bei. Eure kreativen Initiativen zugunsten der Armen und aller Randpersonen und -gruppen, deren Bedürfnisse sonst nicht beachtet würden, müssen besonders gewürdigt werden. Eure Verkündigungsund Missionsarbeit hier und in anderen Teilen der Welt ist eine der größten Stärken der Kirche in den Vereinigten Staaten. Neben eurem traditionellen Apostolat — das heute genauso wichtig ist wie je, und das in seiner vollen Bedeutung zu schätzen ich euch ermutige — engagiert ihr euch auf beinahe jedem Gebiet zur Verteidigung der Menschenrechte und zur Bildung einer gerechteren und ausgewogeneren Gesellschaft. Dies ist der Bericht über eine selbstlose Antwort auf das Evangelium Jesu Christi. Ja, der ganzen Kirche der Vereinigten Staaten kommt die Hingabe der amerikanischen Ordensleute an ihren kirchlichen Auftrag zugute. 5. Gleichzeitig seid ihr besorgt über einige Schwächen, die die Struktur eurer Institute betreffen. Die Abnahme der Berufungen und das zunehmende Durchschnittsalter ihrer Mitglieder sind ernste Herausforderungen für jedes einzelne eurer Institute und die Realität des Ordenslebens insgesamt. Doch das sind keine neuen Erscheinungen in der langen Erfahrung der Kirche. Die Geschichte lehrt uns, daß — auf für gewöhnlich nicht vorauszusagende Weisen — die radikale „Neuheit“ der Botschaft des Evangeliums immer in der Lage ist, nachfolgende Generationen zu inspirieren, das zu tun, was ihr getan habt: um des Gottesreiches willen auf alles zu verzichten, um in den Besitz der kostbaren Perle zu gelangen (vgl. Mt 13,44-45). In dieser Stunde seid ihr zu neuem Mut und Vertrauen aufgerufen. Ihr mit Freude erfülltes Zeugnis für die Gott geweihte Liebe — in Keuschheit, Armut und Gehorsam — wird für junge Leute die größte menschliche Anziehungskraft für das Ordensleben der Zukunft sein. Wenn sie spüren, daß es in euch und euren Gemeinschaften echte Erneuerung gibt, werden sie kommen und sehen wollen. Die Einladung kommt von Christus selber, aber sie werden sie von euch hören wollen. Euer eigener Beitrag zu Berufung wird in Treue, Buße und Gebet bestehen und im Vertrauen auf die Kraft des Ostergeheimnisses Christi, das alles neu macht. Nach der besten Überlieferung der christlichen Liebe werdet ihr wissen, wie ihr eure spezielle Wertschätzung den alten und kranken Mitgliedern eurer Gemeinschaften zeigen könnt, deren Beitrag durch Gebet, Buße, Leiden und vertrauende Liebe von ungeheurem Wert für euer Apostolat ist. Mögen sie 1103 REISEN immer Trost erfahren in dem Wissen, daß sie in ihren Ordensfamilien respektiert und geliebt werden. 6. Eure Berufung ist ihrer Natur hach eine radikale Antwort auf den Ruf, den Jesus in ihrer Taufweihe an alle Gläubigen gerichtet hat: „Euch muß es zuerst um sein Reich und seine Gerechtigkeit gehen“ (Mt 6,33). Eure Antwort habt ihr durch eure Gelübde gegeben, in Gemeinschaft nach den evangelischen Räten leben zu wollen. Durch Keuschheit, Armut und Gehorsam lebt ihr in der Erwartung des endzeitlichen Reiches, in dem „die Menschen nicht mehr heiraten“ (Mt 22,30). Und schon jetzt ist dort, „wo euer Schatz ist, auch euer Herz“ (vgl. Mt 6,21). Durch eure Ordensprofeß wurde das, was der Heilige Geist schon bei der Taufe in euch gewirkt hat, machtvoll neu ausgerichtet auf die Vollkommenheit der Liebe. Durch das Leben der Gelübde sterbt ihr beständig mit Christus, um mit ihm zu neuem Leben aufzustehen (vgl. Röm 6,8). In Treue zu eurem Gelübde der Keuschheit könnt ihr mit der Liebe Christi lieben und erfahrt die tiefe Verbindung mit seiner Liebe, die euch Kraft gibt, euren Nächsten zu lieben. Wenn ihr den Weg der Armut geht, findet ihr euch wahrhaft offen für Gott und in einer Linie mit den Armen und Leidenden, in denen ihr das Abbild des armen und leidenden Christus seht (vgl. Mt 25,31 ff.). Und durch den Gehorsam seid ihr zutiefst mit Jesus verbunden in dem Verlangen, immer den Willen des Vaters zu erfüllen. Dürch einen solchen Gehorsam wird in euch das Vollmaß christlicher Freiheit erschlossen, das euch befähigt, dem Gottesvolk in Selbstlosigkeit und unerschöpflicher Hingabe zu dienen. Die Katholiken, ja die große Mehrheit eurer Mitbürger, haben höchsten Respekt vor eurem gottgeweihten Leben und schauen auf euch, um den „Beweis“ der transzendenten christlichen Hoffnung, die in euch ist (vgl. 1 Petr 3,15) zu finden. 7. Der Jünger ist aber nicht über dem Meister. Es ist ganz richtig, daß ihr — so war es immer das Verständnis der Kirche, wenn ihr den Gesetzen des Königreichs Christi folgt; im wesentlichen heißt das: dem neuen Gebot der Liebe und den neuen, in den Seligpreisungen verkündeten Werten — in Konflikt kommt mit „der Weisheit dieser Welt“ (vgl. 1 Kor 2,6). In einer besonders persönlichen und mutigen Art und Weise waren und sind die Ordensleute immer in vorderster Linie dieses nie endenden Kampfes. Heutzutage erfordert der Zusammenstoß der Heilsbotschaft des Evangeliums mit den Kräften, die unsere menschliche Kultur gestalten, eine gründliche, von Gebet getragene Unterscheidung dessen, was im jeweiligen Augenblick der Wille Christi für seine Kirche ist. In dieser Hinsicht bleibt das Zweite Vatikanische Konzil ein unentbehrlicher Bezugspunkt und das führende Licht. 1104 REISEN Diese Unterscheidung ist das Werk der gesamten Kirche. Keine Person oder Gruppe von Menschen kann den Anspruch erheben, ausreichende Einsichten zu haben und das Monopol dafür zu besitzen. Alle Glieder der Kirche müssen sich, dem Dienstauftrag entsprechend, den sie empfangen haben,:demütig dem Heiligen Geist anpassen, der die Kirche in die Fülle der Wahrheit führt (vgl. Joh 16,13; Lumen gentium, Nr. 4) und in ihr die Früchte seines Wirkens hervorbringt, die der hl. Paulus aufzählt: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte und Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung“ {Gal 5,22-23). Und da der Heilige Geist der Kirche das besondere pastorale Charisma des Lehramtes erteilt hat, wissen wir, daß die Treue zum Lehramt eine unumgängliche Bedingung für das richtige Verstehen der „Zeichen der Zeit“ ist, und daher eine Bedingung für die übernatürliche Fruchtbarkeit aller Dienste in der Kirche. Ihr habt wirklich eine wichtige Rolle im Dialog der Kirche im komplexen und vielgestaltigen kulturellen Umfeld in den Vereinigten Staaten. Das erste Gesetz dieses Dialogs ist die Treue zu Christus und seiner Kirche. In diesem grundlegenden Akt des Glaubens und Vertrauens zeigt ihr der Welt die Basis eurer besonderen Position innerhalb der Gemeinschaft des Volkes Gottes. Genauso ist für den Dialog ein wahres Verständnis der Werte erforderlich, die mit der historischen Erfahrung Amerikas verbunden sind. Gleichzeitig müssen die christlichen Begriffe des Allgemeinwohls, der Tugend und des Gewissens, der Freiheit und Gerechtigkeit unterschieden werden von dem, was manchmal unzutreffend als Ausdruck dieser Wirklichkeiten dargestellt wird. Als Ordensleute habt ihr ein besonders feines Empfinden für das, was dieser Dialog mit der Welt, in der zu leben und zu arbeiten ihr berufen seid, mit sich bringt. Als Männer und Frauen, die Gott geweiht sind, habt ihr eine besondere Verantwortung, ein Zeichen, ein echtes prophetisches Zeichen zu sein, das zur Kirche und zur Welt spricht, — nicht leichthin in Worten der Verurteilung, sondern im demütigen Erweisen der Kraft des Wortes Gottes, das heilt und erhebt, eint und in Liebe bindet. Auf die Ordensleute schauen die Menschen besonders In diesem bedeutsamen Augenblick der Geschichte der Menschheitsfamilie ist es für die Kirche wichtig, die volle Wahrheit über Gott — Vater, Sohn und Heiliger Geist — zu verkünden sowie die volle Wahrheit über unser menschliches Dasein und unsere Bestimmung, wie sie in Christus offenbart und durch die Lehre der Kirche authentisch überliefert ist. Die Gläubigen haben das Recht, die wahre Lehre der Kirche in ihrer Reinheit und Vollständigkeit, mit all ihren Anforderungen und in ihrer ganzen Kraft zu erhalten. Wenn die Men- 1105 REISEN sehen nach einem sicheren Bezugspunkt für ihre Werte und ethischen Entscheidungen Ausschau halten, schauen sie auf die besonderen Zeugen der Heiligkeit und Gerechtigkeit der Kirche — auf euch, die Ordensleute. Sie erwarten und wünschen, durch das Beispiel eurer Annahme des Wortes Gottes überzeugt zu werden. 8. Liebe Schwestern und Brüder, das Leben, was wir jetzt leben, ist nicht unser eigenes: Jesus lebt in uns. Wir leben noch unser menschliches Leben, aber es ist ein Leben im Glauben an Gottes Sohn, der uns geliebt und sich für uns hingegeben hat (vgl. Gal 2,20). In diesen Worten faßt der hl. Paulus das Herzstück unserer christlichen Erfahrung zusammen, und mehr noch, das Herzstück des Ordenslebens. Der Wert und die Fruchtbarkeit des Ordenslebens hängt von der Verbundenheit mit Jesus Christus ab. Einheit mit Christus erfordert ein echtes inneres Gebetsleben, ein Leben der Nähe zu ihm. Es befähigt euch zugleich, vor der Welt wirkliche Zeugen für die heilende und befreiende Macht des Ostermysteriums zu sein. Das heißt, daß ihr vor allem in eurem eigenen Leben und in euren eigenen Gemeinschaften das Ostermysterium durch die Eucharistie und das Bußsakrament feiern und erfahren müßt. Auf diese Weise werden eure Werte der Liebe und Gerechtigkeit, des Erbarmens und des Mitleids wahre Zeichen der Anwesenheit Christi in der Welt. 9. Die Herausforderungen, mit denen ihr gestern konfrontiert wart, werdet ihr auch morgen wieder vor euch haben. Die tausend Aufgaben, die jetzt euren Mut und eure Energie verlangen, werden schwerlich nächste Woche, nächsten Monat, nächstes Jahr verschwinden. Was ist denn die Bedeutung unseres Treffens? Welches „Wort des Herrn“ ist an uns hier gerichtet? Als derjenige, dem zur Zeit der Platz des Fischers aus Galiläa zugeteilt ist oder der für diese flüchtige Stunde im Leben der Kirche den Stuhl Petri einnimmt, erlaubt mir, daß ich mir das Wort der Lesung aus unserem Abendgebet zu eigen mache: „Seid Vorbilder für die Herde“ (1 Petr 5,3) — Vorbilder des Glaubens und der Liebe, der Hoffnung und der Freude, des Gehorsams, des Opfers und des demütigen Dienstes. Und „wenn der oberste Hirte erscheint, werdet ihr den nie verwelkenden Kranz der Herrlichkeit empfangen“ (i Petr 5,4). Den kontemplativen Ordensleuten der Vereinigten Staaten, deren Leben mit Christus in Gott verborgen ist, möchte ich meinen tiefen Dank aussprechen und daran erinnern, daß wir hier „keine Stadt haben, die bestehen bleibt“ (Hebr 13,14), und daß das ganze Leben im Herzen des lebendigen Gottes gelebt werden muß. Möge der ganzen Kirche in diesem Land der Vorrang und die Wirksamkeit der geistigen lebendigen Werte, die ihr repräsentiert, bewußt 1106 REISEN sein. Das Zweite Vatikanische Konzil wollte euch „die Zier der Kirche“ nennen (Perfectae caritatis ", Nr. 7). Brüder und Schwestern, Ordensmänner und Ordensfrauen der Vereinigten Staaten, euer Land braucht das Zeugnis eurer tiefen Spiritualität und euren Einsatz für die lebensspendende Kraft des Evangeliums. Amerika hat es nötig, die ganze Kraft der Liebe in eurem Herzen zu sehen, die sich ausdrückt im Eifer für die Evangelisierung. Die ganze Welt hat es nötig, in euch „die Güte und Liebe Gottes, unseres Retters“ (Tit 3,4), zu entdecken. Geht darum voran, im Geheimnis des Sterbens und der Auferstehung Jesu. Geht voran in Glauben, Hoffnung und Liebe, verzehrt euch in der Sendung der Kirche zur Verkündigung des Evangeliums und zum Dienst. Seid immer ein Vorbild für die Herde. Und wißt, daß, „wenn der oberste Hirte erscheint, ihr den nie verwelkenden Kranz der Herrlichkeit empfangen werdet“ (1 Petr 5,4). Mögt ihr in diesem Marianischen Gnadenjahr Freude und Kraft in immer größerer Andacht zu Maria, der jungfräulichen Mutter des Erlösers, finden. Möge sie als Vorbild und Beschützerin allen Ordenslebens (vgl. Can. 663,4) jeden von euch zu vollkommener Einheit mit ihrem Sohn, unserem Herrn Jesus Christus, führen und zu einer immer engeren Zusammenarbeit in seinem Erlösungsauftrag. Und möge das Beispiel der Jüngerschaft Marias euch alle in Hochherzigkeit und Liebe bestärken. Christ sein heißt Christus annehmen Predigt bei der Eucharistiefeier in San Francisco (U.S. A.) am 18. September „Geht ... und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ {Mt 28,19). „In Antiochien nannte man die Jünger zum erstenmal Christen {Apg 11,26). Liebe Mitchristen, liebe Brüder und Schwestern! 1. Heute hören wir hier an der Westküste Amerikas, in San Francisco, erneut die Worte, mit denen Jesus die Apostel nach seiner Auferstehung in die Welt aussendet. Er überträgt ihnen eine Sendung. Er sendet sie aus, so wie er selber vom Vater gesandt wurde. Diese Worte Christi stehen am Ende seiner irdischen messianischen Sendung. In seinem Kreuz und seiner Auferstehung finden wir die Grundlage für seine „Autorität im Himmel und auf Erden“ {Mt 28,18). Es ist die Autorität des Erlösers, der durch sein Blut am Kreuz die Nationen losgekauft hat. Er hat in ih- 1107 REISEN nen den Beginn einer neuen Schöpfung, eines neuen Lebens im Heiligen Geist gesetzt; er hat in ihnen die Saat des Reiches Gottes ausgestreut. Kraft dieser Autorität sagt Christus bei seinem Scheiden von der Erde und seinem Hingehen zum Vater seinen Aposteln: „Geht... und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiß: Ich bin bei euch alle-Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,19-20). 2. Die Apostelgeschichte schildert den Beginn dieser Mission. Der Ausgangspunktwar das Obergemach in Jerusalem. Von Jerusalem aus führten die Reisen der Apostel und ihrer ersten Mitarbeiter zunächst in die Nachbarländer und zu den Menschen, die dort lebten: In der heutigen zweiten Lesung hören wir, daß das Zeugnis vom gekreuzigten und auferstandenen Christus Phönizien, Cypern und Antiochien erreicht (vgl. Apg 11,19). Dies geschah auch als Folge der Zerstreuung, die mit dem Tod des Diakons Stephanus und der Verfolgung der Jünger Jesu begann. Wir wissen, daß bei der Steinigung des Stephanus Saulus von Tarsus als Verfolger anwesend war. Doch später stellt ihn die Apostelgeschichte nach seiner Bekehrung auf dem Weg nach Damaskus als Paulus vor. Mit Barnabas wirkte er ein ganzes Jahr in Antiochien, und sie „unterrichteten eine große Zahl von Menschen“. So kam es, daß man gerade „in Antiochien die Jünger zum erstenmal Christen nannte“ (Apg 11,26). Mit der Taufe haben wir Christus wie ein Kleid angezogen 3. Was bedeutet es, ein Christ zu sein? Es bedeutet die Annahme des Zeugnisses der Apostel über den gekreuzigten und auferstandenen Christus. Es bedeutet tatsächlich, Christus selber annehmen, der in der Kraft des Heiligen Geistes wirkt. Diese Annahme findet ihren Ausdruck in der Taufe, dem Sakrament, in dem wir aus dem Wasser und dem Heiligen Geist (vgl. Joh 3,5) neu geboren werden. In diesem Sakrament kommt Christus, um sich geistlich mit uns zu vereinigen. Wie der hl. Paulus lehrt, sind wir auf Christi Tod getauft. Zusammen mit ihm sterben wir der Sünde, um mit ihm aufzuerstehen — den Tod durch die Sünde auszutauschen mit dem Leben in Gott, einem Leben der heiligmachenden Gnade, einem neuen Leben! Christen sind ferner jene, die getauft sind. Wir sind also jene, zu denen Christus mit der heilbringenden Kraft seines Paschamysteriums gekommen ist, jene, deren Leben völlig von dieser heilbringenden Macht gestaltet wurde. Tatsächlich schenkt uns die Taufe ein unzerstörbares Zeichen — Taufcharakter 1108 REISEN genannt —, mit dem wir unser ganzes irdisches Leben hindurch und darüber hinaus markiert sind. Dieses Zeichen bleibt uns, wenn wir sterben und wenn wir uns im Gericht vor Gott befinden. Selbst wenn unser Leben in der Praxis kein christliches Leben ist, bleibt dieses unzerstörbare sakramentale Zeichen uns für alle Ewigkeit eingeprägt. Die Lesungen der heutigen Liturgie erlauben uns, die Frage: Was bedeutet es, ein Christ zu sein? noch umfassender zu beantworten. Im Buch des Propheten Jesaja lesen wir vom „Berg mit dem Haus des Herrn“ (Jes 2,2), der alle Hügel überragt. Der Prophet sagt: „Zu ihm strömen alle Völker. Viele Nationen machen sich auf den Weg; sie sagen: Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion kommt die Weisung des Herrn, aus Jerusalem sein Wort“ (Jes 2,2-3). Ja, das Wort des Herrn kommt aus Jerusalem. Dies Wort ist das Wort des Evangeliums, das Wort von Kreuz und Auferstehung, und Christus hat seine Apostel beauftragt, mit diesem Wort zu allen Nationen zu gehen — es zu verkünden und zu taufen. Durch die Taufe kommt Christus zu jeder Person mit der Kraft seines Paschamysteriums. Christus durch die Taufe annehmen, neues Leben im Heiligen Geist empfangen, das bedeutet, ein Christ zu werden. Auf diese Weise sind die Jahrhunderte hindurch einzelne und ganze Nationen Christen geworden. Ein Christ sein bedeutet, zum Berg hinaufziehen, wohin Christus uns führt; den Tempel des lebendigen Gottes betreten, der in uns und mitten unter uns durch den Heiligen Geist erbaut ist. Ein Christ sein bedeutet, fortfahren im Christ-Werden, von Christus die Wege des Herrn lernen, um fähig zu sein, „auf seinen Pfaden zu gehen“ (Jes 2,3). Ein Christ sein bedeutet, es jeden Tag zu werden, indem wir geistlich zu Christus emporsteigen und ihm nachfol-gen. Erinnern wir uns daran: Als Christus jene berief, die seine Jünger werden sollten, sagte er zu ihnen: „Folget mir nach.“ 4. „In Antiochia nannte man die Jünger zum erstenmal Christen.“ Und vor über 200 Jahren wurden Menschen im Gebiet von San Francisco zum erstenmal Christen genannt. Seit der Ankunft der ersten Siedler und den missionarischen Bemühungen von P. Palou und seinen Gefährten hat es in San Francisco immer Christen gegeben Menschen aus den verschiedensten Kulturräu-men, die an Gottes Wort geglaubt haben, getauft wurden und den Fußstapfen des Herrn folgten. Hier steht eine Stadt, die auf Hoffnungen gebaut ist: auf den Hoffnungen der Franziskanermissionare von P. Serra, die zur Predigt der Frohbotschaft herkamen; den Hoffnungen der Pioniere, die hier ihr Glück zu machen gedachten; den Hoffnungen der Menschen, die hier Frieden finden wollten; den 1109 REISEN Hoffnungen jener, die heute noch kommen, um Zuflucht zu finden vor Gewalt, Verfolgung oder bitterer Armut. Hier steht die Stadt, in der vor etwa 40 Jahren die Staatsmänner zusammentrafen, um die Organisation der Vereinten Nationen zu gründen, die UNO, als Ausdruck unserer gemeinsamen Hoffnungen auf eine Welt ohne Krieg, die sich für Gerechtigkeit einsetzt und von fairen Gesetzen regiert wird. 5. Doch diese Stadt wurde auch in harter Arbeit ünd Mühe aufgebaut. Hier entwickelte sich die Kirche von der kleinen Mission Dolores bis zur Errichtung der Erzdiözese von San Francisco im Jahre 1853. Mit Anstrengung und Entschlossenheit gelang es der Stadt und der Kirche, sich von den verheerenden Auswirkungen des schweren Erdbebens und des schrecklichen Feuers im Frühling 1906 zu erholen. Ja, es ist sehr mühsam, sich von der anfänglichen Begeisterung zu etwas durchzuringen, was wirklich von Dauer ist! „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei“, sagt uns der hl. Paulus, „doch am größten unter ihnen ist die Liebe“ (1 Kor 13,13). Gerade diese Tugenden — Glaube, Hoffnung und Liebe — haben das ganze Wirken der Kirche in San Francisco in der Vergangenheit geleitet und getragen, und sie werden ihr auch für die Zukunft guten Halt bieten. 6. „In Antiochia nannte man die Jünger zum erstenmal Christen.“ Hier in San Francisco müssen die Nachfolger Jesu unbedingt in jeder Stadt und an jedem Ort ihre Gemeinschaft mit Christus vertiefen, so daß sie nicht nur Christen dem Namen nach sind. Das wichtigste Mittel, das die Kirche für diese Aufgabe stets eingesetzt hat, ist eine systematische Katechese. Als Jesus seine Jünger aussandte, trug er ihnen auf, zu taufen und zu lehren. Die Taufe allein genügt nicht. Der anfängliche Glaube und das neue Leben im Heiligen Geist, das wir in der Taufe empfangen haben, muß zu seiner Fülle kommen. Christi Nachfolger müssen nach der ersten Erfahrung des Geheimnisses Christi das Verständnis dafür bei sich ausweiten. Sie müssen Jesus und das Reich, das er verkündet hat, besser kennenlernen; sie müssen Gottes Verheißungen in den Heiligen Schriften entdecken sowie die Vorschriften und Gebote des Evangeliums sich zu eigen machen. In der Apostelgeschichte sagt man uns, daß die Mitglieder der christlichen Urgemeinde in Jerusalem „an der Lehre der Apostel (festhielten) und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2,42). Hier haben wir ein Modell der Kirche vor uns, das uns als Ziel aller Katechese dienen kann. Denn die Kirche braucht beständig die Nahrung des Wortes Gottes, das uns von den Aposteln zukommt, und sie braucht die Feier der Eucharistie, um dem regelmäßigen Gebet treu zu bleiben und im Alltagsleben der Gemeinschaft von Christus Zeugnis zu geben. 1110 REISEN Christliches Leben erfordert fundiertes Lehren Die geschichtliche Erfahrung hat die Wichtigkeit eines sorgfältig programmierten Studiums des ganzen Geheimnisses des Christentums erwiesen. „Lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (vgl. Mt 28,20). Es gibt keinen Ersatz für eine systematische Vorlage alles Wesentlichen in unserem katholischen Glauben, eine Darlegung, die die Grundlage für ein gesundes Urteil über die Probleme des Lebens und der Gesellschaft legt und die die Menschen vorbereiten kann, für ihren Glauben ebenso demütig wie mutig einzutreten. In meinem Apostolischen Schreiben über die Katechese habe ich ausgeführt: „Feste und wohlbedachte Überzeugungen führen zu mutigem und klarem Handeln ... Die echte Katechese ist immer eine geordnete und systematische Einführung in die Offenbarung, die Gott von sich selber dem Menschen in Jesus Christus geschenkt hat, eine Offenbarung, die im tiefen Bewußtsein der Kirche und in der Heiligen Schrift bewahrt und fortwährend durch eine lebendige und aktive ,traditio‘ von einer Generation zur anderen weitergegeben wird“ (Catechesi tradendae, Nr. 22). 7. Was will die Katechese? Was bedeutet es, nicht nur Christen zu heißen, sondern es wirklich zu sein? Es bedeutet, sich mit Christus zu identifizieren, nicht nur bei der heiligen Messe am Sonntag — die außerordentlich wichtig bleibt —, sondern auch in allen anderen Tätigkeiten unseres Lebens. Was unsere Beziehung zu ihm betrifft, hat Jesus selbst gesagt: „Denkt an däs Wort, das ich euch gesagt habe: Der Sklave ist nicht größer als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen; wenn sie an meinem Wort festgehalten haben, werden sie auch an eurem Wort festhalten“ (Joh 15,20). Sich mit Christus identifizieren bedeutet, daß wir nach Gottes Wort leben müssen. Der Herr hat seinen ersten Jüngern gesagt: „Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe“ (Joh 15,10). Aus diesem Grund hört die Kirche nicht auf, die ganze Botschaft des Evangeliums zu verkünden, sei es gelegen oder sei es ungelegen, angenehm oder unangenehm. Und die Kirche denkt immer an ihre große Aufgabe, die Menschen zur Bekehrung von Geist und Herz aufzurufen, wie Jesus es tat. Die ersten Worte, die er im Evangelium verkündete, lauten: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe! Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15). 8. Jene, die die Gnade der Bekehrung annehmen und nach Gottes Wort leben, erfahren, daß sie mit Gottes Gnade den Geist und das Herz Christi annehmen. Sie werden in wachsendem Maße mit Christus identifiziert, der eimZeichen 1111 REISEN des Widerspruchs ist. Simeon war es, der als erster erzählte, der neugeborene Sohn Mariens würde für sein eigenes Volk zum Zeichen des Widerspruchs werden. Er sagte der Jungfrau-Mutter: „Dieser ist dazu bestimmt, daß in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird“ (Lk 2,34). Und so geschah es. Jesus traf mit der Botschaft, die er predigte, auf Widerstand, auch mit der alle umfassenden Liebe, die er jedermann anbot. Fast vom Beginn seines öffentlichen Lebens an war er tatsächlich „ein Zeichen, dem man widersprach“. Simeons Worte gelten für jede Generation. Christus bleibt auch heute ein Zeichen des Widerspruchs — ein Zeichen des Widerspruchs in seinem Leib, der Kirche. Daher darf es uns nicht überraschen, wenn wir bei unserem Bemühen, der Lehre Christi treu zu sein, auf Kritik, Spott oder Ablehnung stoßen. „Wenn die Welt euch haßt“, sagte der Herr den Zwölf, „dann wißt, daß sie mich schon vor euch gehaßt hat. Wenn ihr von der Welt stammen würdet, würde die Welt euch als ihr Eigentum lieben. Aber weil ihr nicht von der Welt stammt, sondern weil ich euch aus der Welt erwählt habe, darum haßt euch die Welt“ (.loh 15,18-19). Diese Worte unseres liebevollen Heilands gelten für uns nicht nur als einzelne, sondern auch als Gemeinschaft. Tatsächlich hat das Zeugnis der Gemeinschaft der Christen größere Wirkung als das eines einzelnen. Wie wichtig ist demnach das Zeugnis einer jeden Gemeinschaft von Christen für das Evangelium, zumal das der Familie — der wichtigsten von allen. Angesichts zahlreicher allgemeiner Übel wird die christliche Familie, die tatsächlich die Wahrheit des Evangeliums mit Liebe lebt, mit größter Sicherheit ein Zeichen des Widerspruchs, aber zugleich eine Quelle großer Hoffnung für jene, die sich gut verhalten wollen. Auch Pfarreien und Diözesen und alle anderen Gemeinschaften von Christen, die „nicht der Welt zugehören“, stoßen auf Widerspruch, gerade weil sie Christus treu sind. Das Geheimnis des Kreuzes Christi erneuert sich in jeder Generation von Christen. Die christliche Vision vom Frieden läßt die Menschen hoffen 9. Als Jesus die Apostel in die ganze Welt aussandte, trug er ihnen auf: „Geht zu allen Völkern“ (vgl. Mt 28,19-20). Das Evangelium, und verbunden mit ihm die Heilskraft der Erlösung Christi, wird jedem einzelnen und jeder Nation angeboten. Sie richtet sich auch an ganze Nationen und Völker. In diesem Sinn sieht der Prophet Jesaja die Völker, die zum Berg des Hauses Gottes hinaufsteigen und bitten, über seine Wege belehrt zu werden, um auf seinen Pfaden zu wandeln (vgl. Jes 2,2-3). Auch wir bitten darum, daß wir die Wege des lebendigen Gottes, des Schöpfers und Erlösers, wandeln, des 1112 REISEN einen Gottes, der in unerforschlicher Einheit lebt als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Jesaja schildert seine Vision weiter und sagt: „Er spricht Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht. Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert Volk gegen Volk, und übt sich nicht mehr für den Krieg“ (Jes 2,4). Wie sehr sehnen wir uns danach, die Zukunft der Menschen im Licht dieser prophetischen Worte zu sehen! Wie sehr sehnen wir uns nach einer Welt, in der Gerechtigkeit und Frieden vorherrschen! Kann die Kirche, die aus einer solchen Prophezeiung den Ursprung nahm — die Kirche des Evangeliums — jemals aufhören, die Botschaft des Friedens auf Erden zu verkünden? Kann sie je davon ablassen, für den wahren Fortschritt der Völker zu arbeiten? Kann sie je aufhören, sich für die wahre Würde jeder menschlichen Person einzusetzen? Christsein bedeutet auch, diese Botschaft unermüdlich in jeder Generation zu verkünden, in unserer Generation, am Ende des zweiten Jahrtausends und an der Schwelle des dritten! „Ihr vom Haus Jakob, kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn“ (Jes 2,5). Amen. Laien prägen das Antlitz der Kirche in der Welt Ansprache beim Treffen mit katholischen Laien in San Francisco (U.S.A.) am 18. September „Er aber, der durch die Macht, die in uns wirkt, unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder uns ausdenken können, er werde verherrlicht durch die Kirche und durch Jesus Christus in allen Generationen...“ (Eph 3,20-21). Liebe Brüder und Schwestern, liebe katholische Laien in Amerika! 1. Ich bin euch für diesen freundlichen Empfang sehr dankbar und freue mich, an diesem Morgen bei euch zu sein und den Vater „in der Kirche und in Jesus Christus“ durch das Wirken des Heiligen Geistes zu preisen. Ich möchte euch ebenso für die informativen Darstellungen danken, die im Namen der katholischen Laien der Vereinigten Staaten gegeben wurden. 1113 REISEN Doxa und Pieroma — Verherrlichung und Fülle des Geistes Der Brief des hl. Paulus an die Epheser hat für das Leben eines jeden von uns eine tiefe Bedeutung. Der Text beschreibt in ergreifender Weise unsere Beziehung zu Gott, wie er sich uns im Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit offenbart. Der hl. Paulus erinnert uns an zwei grundlegende Wahrheiten: nämlich erstens, daß unsere Berufung letzten Endes darin besteht, den Gott, der uns erschaffen und erlöst hat, zu verherrlichen; und zweitens, daß es unser höchstes und immerwährendes Gut ist, „von der ganzen Fülle Gottes erfüllt“ zu werden — um in alle Ewigkeit an der liebenden Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes teilzunehmen. Gottes Herrlichkeit und unser Wohl haben im Königreich des Himmels ihre Vollendung. Der Apostel Paulus erinnert uns auch daran, daß das Heil als freies Geschenk der göttlichen Liebe in Christus uns nicht auf rein individueller Grundlage gegeben wird. Es kommt durch die Kirche und in der Kirche zu uns. Durch unsere Gemeinschaft mit Christus und miteinander auf Erden bekommen wir einen Vorgeschmack von jener vollkommenen Gemeinschaft, die dem Himmel Vorbehalten ist. Unsere Gemeinschaft hat also die Bedeutung eines Zeichens oder Sakramentes, das andere Menschen zu Christus ziehen soll, so daß alle gerettet werden. Das Geschenk der Erlösung, die ihren Ursprung im Vater hat und vom Sohn vollbracht wurde, wird in unserem persönlichen Leben und im Leben der ganzen Welt durch den Heiligen Geist zur Entfaltung gebracht. So sprechen wir von den Gaben des Geistes, die in der Kirche wirksam sind, Gaben für den hierarchisch gegliederten Hirtendienst und Gaben, die den Laien gegeben werden, damit sie das Evangelium leben und ihren speziellen Beitrag zur Sendung der Kirche leisten. Das Konzil sagt uns: „Wenn also in der Kirche nicht alle denselben Weg gehen, so sind doch alle zur Heiligkeit berufen und haben den gleichen Glauben erlangt in Gottes Gerechtigkeit (vgl. 2 Petr 1,1). Wenn auch einige nach Gottes Willen als Lehrer, Ausspender der Geheimnisse und Hirten für die anderen bestellt sind, so waltet doch unter allen eine wahre Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi“ {Lumen gentium, Nr. 32). Bei einer großen Vielfalt von Gnadengaben und Werken geben die Kinder Gottes Zeugnis von dieser wunderbaren Einheit, die das Werk eines und desselben Geistes ist. 2. Liebe Brüder und Schwestern, im Zusammenhang mit diesen Glaubensgeheimnissen möchte ich mit euch über eure Rolle als Laien in der Kirche von heute nachdenken. Das Grundlegendste in eurem Leben ist, daß euch durch eure Taufe und eure Firmung von unserem Herrn Jesus Christus selbst der 1114 REISEN Auftrag gegeben wurde, teilzuhaben an der Heilssendung der Kirche (vgl. Lumen gentium, Nr. 33). Von den Laien sprechen bedeutet von Hunderten von Millionen Menschen jeder Rasse, jeder Nation und aller Berufe sprechen, die, wie ihr selbst, jeden Tag mit Gottes Hilfe versuchen, ein gutes christliches Leben zu führen. Von den Laien sprechen heißt, von den vielen von euch sprechen, die aus ihrer Pfarrei die Stärke und die Inspiration empfangen, ihre Berufung in der Welt zu leben. Es bedeutet ebenfalls, von denjenigen sprechen, die sich nationalen und internationalen kirchlichen Vereinigungen und Bewegungen angeschlossen haben, die euch in eurer Berufung und eurer Sendung unterstützen. Eure Kämpfe und Versuchungen mögen euren unterschiedlichen Situationen entsprechend verschieden sein, aber ihr alle haltet gemeinsam an der grundlegenden Zuversicht fest, Christus treu zu sein und seine Botschaft in die Praxis umzusetzen. Ihr alle teilt grundlegend das gleiche Vertrauen, daß ihr selber ein anständiges Leben führt, und erhofft dasselbe für eure Kinder in noch größerem Maß. Ihr alle müßt arbeiten und euch plagen und habt an den Leiden und Enttäuschungen menschlichen Lebens zu tragen, aber als Gläubige seid ihr mit Glauben, Hoffnung und Liebe ausgestattet. Und oft erreicht eure Liebe heroische Dimensionen innerhalb eurer Familien oder unter euren Nachbarn und Mitarbeitern. In dem Ausmaß, wie eure Möglichkeiten und Pflichten im Leben es zulassen, seid ihr aufgerufen, die Tätigkeiten der Kirche zu unterstützen und aktiv daran teilzunehmen. Ihr müßt als Laien in der Welt des Alltags Zeugnis für das Reich Gottes able-gen; durch euch wird die Sendung der Kirche durch die Kraft des Heiligen Geistes erfüllt. Wie das Konzil lehrte, ist es die besondere Aufgabe der Laien, „in der Verwaltung und gottgemäßen Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen“ (Lumen gentium, Nr. 31). Ihr seid berufen, in der Welt zu leben, euch in weltlichen Aufgaben und Berufen zu engagieren und in diesen normalen Verhältnissen des Familienlebens und des sozialen Lebens zu leben, aus denen euer Dasein gewoben ist. Ihr seid von Gott selbst berufen, die euch eigenen Aufgaben im Geist des Evangeliums zu erfüllen und von innen her, nach Art des Sauerteigs, für die Heiligung der Welt zu arbeiten. Auf diese Art könnt ihr vor allem durch das Zeugnis eures Lebens anderen Christus nahebringen. Es ist eure Sache als Laien, alle zeitlichen Angelegenheiten auf das Lob des Schöpfers und Erlösers hinzuordnen (vgl. ebd.). Die zeitliche Ordnung, von der das Konzil spricht, ist weltumfassend. Sie schließt das soziale, kulturelle, intellektuelle, politische und wirtschaftliche Leben ein, an dem ihr alle teilnehmt. Als engagierte Laien, Männer und Frauen, die in dieser zeitlichen Ordnung tätig sind, seid ihr von Christus berufen, die Welt zu heiligen und zu verändern. Dies gilt für jede Arbeit, wie herausragend oder wie bescheiden sie auch sei, geht aber besonders dringend diejenigen an, die 1115 REISEN durch, die Umstände und besonderen Talente in Führungspositionen oder einflußreiche Stellungen gekommen sind: Männer und Frauen im öffentlichen Dienst, in der Erziehung, im Geschäftsleben, in Wissenschaft, sozialer Kommunikation und Kunst; Als katholische Laien habt ihr dem Leben eures Landes einen wichtigen moralischen und kulturellen Dienstbeitrag.zu leisten. „Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel zurückgefordert werden“ (Lk 12,48). Diese Worte Christi beziehen sich nicht nur auf das Teilen materieller Güter oder in Dienst-Stellen persönlicher Talente, sondern auch auf das Anteilgeben am eigenen Glauben. Ein wichtiges Anliegen ist das Gelingen der Familie 3, Von höchster Bedeutung ist in der Sendung der Kirche die Rolle, die die Laien in der christlichen Familie erfüllen. Diese Rolle ist vor allem ein Dienst der Liebe und ein Dienst des Lebens. Die Liebe von Mann und Frau, welche im Sakrament der Ehe gesegnet und besiegelt wird, ist die erste Weise, in der die Ehepaare ihre Sendung erfüllen. Sie erfüllen ihren Dienst, indem sie sich selbst treu sind, indem sie ihrer Berufung zum Eheleben treu sind. Diese Liebe, die alle Mitglieder der Familie umfaßt, hat das Ziel, eine Gemeinschaft von Menschen zu bilden, die mit Herz und Seele eins sind, eine untrennbare Gemeinschaft, in der die gegenseitige Liebe der Ehegatten ein Zeichen der Liebe Christi zur Kirche ist. Der Dienst am Leben ruht auf der Tatsache, daß Mann und Frau mit Gott Zusammenarbeiten, wenn sie das Geschenk des Lebens in der Zeugung von Kindern weitergeben. In dieser heiligsten Verantwortung ist der Dienst am Leben zutiefst mit dem Dienst der Liebe im ehelichen Akt verbunden, der immer offen dafür sein muß, neues Leben zu bringen. In seiner Enzyklika Humanae vi-tae erläutert Papst Paul VI. die Frage des Lebengebens. Mann und Frau sind „vielmehr verpflichtet, ihr Verhalten auf den göttlichen Schöpfungsplan auszurichten, der einerseits im Wesen der Ehe selbst und ihrer Akte zum Ausdruck kommt, den andererseits die beständige Lehre der Kirche kundtut“ (Nr. 10). Während „Liebe und Leben deshalb den Wesenskern der Heilssendung der christlichen Familie in der Kirche und für die Kirche bilden“ (Familiaris con-sortio, Nr. 50), tritt die Familie auch als ein Ort der Erziehung auf, teilweise zu Hause, wo die Familie die ursprüngliche und die Hauptrolle in der Kindererziehung ausübt. Die Familie ist auch eine evangelisierende Gemeinschaft, in der das Evangelium empfangen und in die Praxis umgesetzt wird, in der das Gebet gelernt und gemeinsam gepflegt wird, in der alle Mitglieder durch Wort und Tat und ihre Liebe zueinander Zeugnis für die Frohe Botschaft der Erlö- 1116 REISEN sung ablegen. Zugleich müssen wir die schwierige Situation vieler Menschen hinsichtlich des Familienlebens erkennen. Viele haben Bürden verschiedener Art zu tragen. Es gibt Familien, die nur einen Erziehungsberechtigten haben, und andere, die keine natürliche Familie darstellen. Es gibt die älteren und die verwitweten Menschen. Und es gibt die getrennt lebenden und geschiedenen Katholiken, die in ihrer Einsamkeit und ihrem Schmerz darum kämpfen, ihre Treue zu halten und ihre Verantwortlichkeiten mit hochherziger Liebe zu meistern. Sie alle nehmen tief an der Sendung der Kirche durch Glauben, Hoffnung und Liebe teil und durch ihre vielen Anstrengungen, dem Willen Gottes treu zu sein. Die Kirche versichert sie nicht nur ihres Gebets und geistlicher Nahrung, sondern auch ihrer Liebe, ihrer Hirtensorge und praktischen Hilfe. Die Kirche liebt die wiederverheirateten Geschiedenen Obgleich die Kirche in Treue zu Christus und seiner Lehre über die christliche Ehe erneut ihre Praxis bestätigt, Geschiedene, die außerhalb der Kirche wiedergeheiratet haben, nicht zur eucharistischen Kommunion zuzulassen, versichert sie doch auch diese Katholiken ihrer tiefen Liebe: Sie betet für sie und ermutigt sie, im Gebet beharrlich zu sein, das Wort Gottes anzuhören und dem eucharistischen Opfer beizuwohnen, in der Hoffnung, daß sie „die aufrichtige Bereitschaft zu einem Leben haben, das nicht mehr im Widerspruch zur Unauflöslichkeit der Ehe steht“ (Familiaris consortio, Nr. 84). Die Kirche bleibt zugleich auch ihre Mutter, und sie sind ein Teil ihres Lebens. 4. Ich möchte den tiefempfundenen Dank der Kirche für all das aussprechen, was Frauen Jahrhunderte hindurch zum Leben der Kirche und der;Gesellschaft beigetragen haben. Wenn von der Rolle der Frauen die Rede ist, muß natürlich besonders der Beitrag erwähnt werden, den sie in Partnerschaft mit ihren Ehemännern dadurch leisten, daß sie Leben empfangen und gebären und ihre Kinder erziehen. „Andererseits verlangt die wirkliche Förderung der Frau auch, daß der Wert ihrer mütterlichen und familiären Aufgabe im Vergleich mit allen öffentlichen Aufgaben und allen anderen Berufen klare Anerkennung finde“ (ebd., Nr. 23). Die Kirche ist jedoch überzeugt, daß in ihrem Leben alle besonderen Gaben der Frauen in zunehmendem Maß gebraucht werden, und hofft aus diesem Grund auf deren vollere Teilnahme an ihren Tätigkeiten. Gerade wegen ihrer gleichen Würde und Verantwortung muß der Zutritt der Frauen zu öffentlichen Funktionen sichergestellt werden. Ungeachtet der Rolle, die sie ausüben, verkündet die Kirche die Würde der Frauen als Frauen — eine Würde, die der Würde der Männer gleich und als solche im Schöpfungsbericht des Wortes Gottes offenbart ist. 1117 REISEN 5. Die Erneuerung der Kirche seit dem Konzil war und ist auch eine Gelegenheit für eine wachsende Teilnahme der Laien auf allen Gebieten des kirchlh chen Lebens. Mehr und mehr Menschen verbinden sich mit ihren Seelsorgern in Zusammenarbeit und Beratung zum Wohl ihrer Diözese und ihrer Pfarrei. Eine wachsende Zahl von Männern und Frauen widmen ihre berufliche Tüchtigkeit auf der Ebene einer Vollzeitbeschäftigung dem Bemühen der Kirche auf dem Sektor der Erziehung, der sozialen Dienstleistungen und auf anderen Gebieten oder üben administrative Verantwortungen aus. Andere wiederum bauen den Leib Christi auf durch direkte Zusammenarbeit mit dem kirchlichen Pastoraldienst, besonders dadurch, daß sie die Liebe Christi zu denen in der Gemeinde bringen, die in besonderer Bedürftigkeit sind. Ich freue mich mit euch über dieses große Aufblühen von Gaben im Dienst der Sendung der Kirche. Gleichzeitig müssen wir in Theorie und Praxis festhalten, daß diese positiven Entwicklungen immer in der gesunden katholischen Ekklesiologie verwurzelt bleiben müssen, die das Konzil gelehrt hat. Andernfalls gehen wir das Risiko ein, die Laien zu „klerikalisieren“ oder den Klerus zu „laisieren“ und so den Klerus und auch den Laienstand um das zu berauben, was ihren eigentlichen Sinn und ihre gegenseitige Ergänzung ausmacht. Beide sind unerläßlich für die „Vollkommenheit der Liebe“, die das gemeinsame Ziel aller Gläubigen ist. Wir müssen daher in diesen Lebensständeri eine Unterschiedlichkeit anerkennen und respektieren, die den Leib Christi in Einheit aufbaut. Die Tradition des Hausgebets wieder beleben 6. Als Laien könnt ihr diese große Mission nur indem Maß echt und wirksam erfüllen, als ihr an eurem Glauben festhaltet in Gemeinschaft mit dem Leib Christi. Ihr müßt darum in der Überzeugung leben, daß es keinen Zwiespalt zwischen eurem Glauben und eurem Leben geben darf und daß ihr getrennt von Christus nichts tun könnt (vgl. Job 15,5) . Da die Einheit mit Gott in Christus das Ziel allen christlichen Lebens ist, werden die Laien zum Gebet aufgefordert; zum persönlichen Gebet, zum Familiengebet und zum liturgischen Gebet. Generationen von gottverbundenen Laien haben große Kraft und Freude darin gefunden, die selige Jungfrau Maria, besonders durch den Rosenkranz, und die Heiligen anzurufen. Im einzelnen müssen sich die Laien bewußt sein, daß sie ein Volk sind, däs zur Feier des Gottesdienstes berufen ist. In der Vergangenheit hatte ich Gelegenheit, diesen Aspekt des Lebens der Laien in den Vereinigten Staaten zu betonen: „Alles Bemühen der Laien, ihr weltliches Tätigkeitsfeld Gott zu weihen, findet im Eucharistischen Opfer Anregung und eine herrliche Bestä- 1118 REISEN tigung. Zeitlich stellt die Teilnahme an der Eucharistie nur einen kleinen Teil von der Woche der Laien dar; aber die ganze Wirkmächtigkeit ihres Lebens und alle christliche Erneuerung hängt davon ab: hier liegt der Ursprung und die unverzichtbare Quelle des echten christlichen Geistes! (Ansprache beim Ad-limina-Besuch, 9. Juli 1983). Säkularismus und Relativismus sind Prüflingen Gottes 7. Jedes Zeitalter stellt das Volk Gottes auf seinem Pilgerweg vor neue Herausforderungen und Versuchungen; da ist das unsrige keine Ausnahme! Wir sehen heute eine wachsende Säkularisation, die versucht, Gott und die religiöse Wahrheit von den menschlichen Angelegenheiten auszuschließen. Wir stehen einem trügerischen Relativismus gegenüber, der die absolute Wahrheit Christi und die Glaubenswahrheiten untergräbt und die Gläubigen dazu versucht, diese Wahrheiten lediglich als eine Reihe von Anschauungen oder Meinungen neben anderen anzusehen. Wir sind mit einem materialistischen Konsumzwang konfrontiert, der oberflächlich anziehende, aber nichtige Versprechungen macht und materiellen Komfort um den Preis einer inneren Leere verschafft. Wir stehen vor einem verführerischen Hedonismus, der eine ganze Serie von Genüssen anbietet, die nie das menschliche Herz befriedigen können. Alle diese Dinge können unser Empfinden für das Gute und das Böse beeinflussen, gerade in dem Augenblick, in dem der soziale und der wissenschaftliche Fortschritt eine starke ethische Orientierung brauchen. Wenn die Menschen durch diese und andere Täuschungen einmal dem christlichen Glauben entfremdet sind, verschreiben sie sich oft flüchtigen fixen Ideen oder grotesken Anschauungen, die entweder oberflächlich oder fanatisch sind. Wir alle haben gesehen, wie diese Haltungen einen tiefen Einfluß auf die Art und Weise haben, wie Menschen denken und handeln. Gerade in dieser Gesellschaft sind Männer und Frauen wie ihr, die gesamten katholischen Laien, aufgerufen, nach den Seligpreisungen der Bergpredigt zu leben, Sauerteig, Salz und Licht für die Welt zu werden und manchmal ein „Zeichen des Widerspruchs“, das diese Welt herausfordert und sie dem Geist Christi gemäß umgestaltet. Keiner ist dazu berufen, andern religiöse Überzeugungen aufzudrängen, sondern das überzeugende Beispiel eines Lebens in Gerechtigkeit und Dienstbereitschaft im Glanz der Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu geben. In moralischen Sachverhalten von grundlegender Bedeutung ist es aber manchmal nötig, öffentlich das Gewissen der Gesellschaft herauszufordern. Durch ihre Sittenlehre sucht die Kirche zum Wohl aller Menschen jene menschlichen Grundwerte zu verteidigen, die das Gute aufrechterhalten, das 1119 REISEN die Menschheit um seiner selbst willen sucht, jene Grundwerte, die die fundamentalsten Menschenrechte und das geistige Streben jeder Person schützen. Die größte Herausforderung an das Gewissen der Gesellschaft kommt aus eurer Treue zu eurer eigenen christlichen Berufung. Es ist an euch, katholische Laien, unaufhörlich das Evangelium in die Gesellschaft, die amerikanische Gesellschaft, zu inkarnieren. Ihr kämpft in vorderster Front, wo es darum geht, echte christliche Werte von dem Angriff der Säkularisierung zu schützen. Ihr leistet durch euer Leben eüren großen Beitrag zur Evangelisierung eurer eigenen Gesellschaft. Christi Botschaft muß in euch leben, sie muß lebendig sein in der Art, wie ihr lebt, und in der Art, wie ihr euch zu leben weigert. Zugleich müßt ihr, da eure Nation in der Welt eine Rolle spielt, die weit über ihre Grenzen hinausgeht, euch der Auswirkung eures christlichen Lebens auf andere bewußt sein. Euer Leben muß den Wohlgeruch des Evangeliums Christi in der Welt verbreiten. Der hl. Paulus stellte eine große Herausforderung an die Christen seiner Zeit, und ich möchte diese heute für alle Laien in Amerika wiederholen: „Vor allem: Lebt als Gemeinde so, wie es dem Evangelium Christi entspricht. Ob ich komme und euch sehe oder ob ich fern bin, ich möchte hören, daß ihr in dem einen Geist feststeht, einmütig für den Glauben an das Evangelium kämpft und euch in keinem Fall von euren Gegnern einschüchtern laßt...“ (Phil 1,27-28). 8. Liebe Brüder und Schwestern, Repräsentanten von Millionen Gläubigen und engagierten katholischen Laien in den Vereinigten Staaten, ich kann meine Überlegungen nicht abschließen, ohne die heilige Jungfrau Maria zu erwähnen, die in unvergleichlicher Weise die Sendung der Kirche offenbar macht. Sie zeigt uns mehr als jedes andere Geschöpf, daß die Vollkommenheit der Liebe das einzige Ziel ist, worauf es ankommt, der einzige Maßstab der Heiligkeit und der Weg zur vollkommenen Gemeinschaft mit dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Ihr Lebensstand war der eines Laien, und sie ist gleichzeitig Mutter Gottes, die Mutter der Kirche und unsere Mutter nach der Ordnung der Gnade. Das Konzil schloß die Dogmatische Konstitution über die Kirche mit einer Unterweisung über die selige Jungfrau ab. Dadurch drückte das Konzil die Gefühle der Liebe und Verehrung aus, die die Kirche von altersher für Maria hegte. Laßt uns, besonders während dieses Marianischen Jahres, das gleiche Empfinden uns zu eigen machen und Maria bitten, sich für uns bei ihrem Sohn zu verwenden zur Ehre der heiligsten und ungeteilten Dreifaltigkeit (vgl. Lumen gentium, Nr. 69). 1120 REISEN Bekehrung läßt die Welt menschlicher werden Besuch in der Kathedrale vom heiligsten Sakrament in Detroit (U.S. A.) am 18. September Gelobt sei Jesus Christus! Lieber Erzbischof Szoka, Lieber Kardinal Dearden, Meine Brüder und Schwestern! 1. Ich habe mich auf diese glückliche Stunde gefreut, da ich in dieser Kathedrale, der Mutterkirche der Erzdiözese Detroit, die Gelegenheit haben würde, meine Liebe in Christus zu euch allen auszusprechen. Es ziemt sich in der Tat, daß wir uns hier an diesem Ort des Gottesdienstes begrüßen, in dieser dem heiligsten Sakrament geweihten Kirche, da vor allem die Eucharistiefeier unsere Einheit mit Christus und untereinander zum Ausdruck bringt und entstehen läßt (vgl. Lumen gentium, Nr. 3.11). Der heilige Paulus schreibt: „Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot!“ (7 Kor 10,17). In Übereinstimmung mit dem ganzen Leben und der Überlieferung der Kirche eint die Eucharistiefeier das Volk Gottes mit seinem Bischof in der Einheit der Kirche (vgl. hl. Ignatius von Antiochien, Ad Phil.). Dieses gegenseitige Verhältnis feiern wir heute: die tiefe Wirklichkeit der Eucharistie, der Ortskirche und des Bischofs in der Einheit der universalen Kirche. 2. Das Zweite Vatikanische Konzil spricht von der Kirche als Geheimnis, einem Geheimnis der Gemeinschaft. Dies meint, daß die Kirche mehr ist als bloße Gemeinschaft oder Tradition mit gemeinsamen Glaubensüberzeugungen und Gewohnheiten, mehr als eine Organisation mit moralischem Einfluß. Die Bildersprache der Schrift verwendend spricht das Konzil auch von der Kirche als Herde, als Ackerfeld und als Bauwerk. Die Kirche ist Christi Leib, seine Braut und unsere Mutter (vgl. Lumen gentium, Nr. 6-7). Wir glauben, daß unsere Gemeinschaft mit Christus und untereinander durch die Ausgießung des Heiligen Geistes entsteht. Wir glauben auch, daß der Heilige Geist sie fruchtbar macht. Das Konzil sagt, daß der Heilige Geist es ist, der der Kirche „hierarchische und charismatische Gaben“ schenkt. {Lumen gentium, Nr. 4) und durch besondere Gnaden alle Gläubigen tauglich und bereit macht, „für die Erneuerung und den vollen Aufbau der Kirche verschiedene Werke und Dienste zu übernehmen“ {ebd., Nr. 12). Durch Christus als Werkzeug der Erlösung bestimmt, ist das Volk Gottes „eine Gemeinschaft des 1121 REISEN Lebens, der Liebe und der Wahrheit“ und „die unzerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heiles für das ganze Menschengeschlecht“. Auf diese Weise werden die Gläubigen zum Licht der Welt und zum Salz der Erde (vgl. Mt 5,13-14; Lumen gentium, Nr. 9). Liebe Brüder und Schwestern, welch herrliche Gelegenheit bietet eure Stadt mit ihren Vororten und ländlichen Gebieten für den Auftrag, der euch aufgrund der Taufe eigen ist: den Leib Christi durch die Gaben, die ihr empfangen habt, in Einheit aufzubauen (vgl. Eph 4). Eure Sendung entfaltet sich mitten unter den sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Kräften, die das Leben der großen Metropole Detroit prägen — Kräfte, die auch grundlegend wichtige Fragen für die Zukunft der Menschen stellen. Durch persönliche Bekehrung und Heiligkeit sowie durch euer tägliches Zeugnis für das Evangelium entsprechend eurem Lebensstand baut jeder von euch den Leib Christi auf und trägt damit zur weiteren Humanisierung der Menschheitsfamilie bei, ohne das kommende Reich aus den Augen zu verlieren, das nicht von dieser Welt ist und nach dem wir verlangen. Das Konzil sagt uns ferner, daß der Heilige Geist die Kirche immerfort erneuert „und sie zur vollkommenen Vereinigung mit ihrem Bräutigam (geleitet). Denn der Geist und die Braut sagen zum Herrn Jesus: Komm“ (vgl. Öffb 22,17; Lumen gentium, Nr. 4). In dieses Jahr fallt der 15. Gedenktag der Ernennung dieses Gebäudes zu eurer Kathedrale. Sie war Zeugin der großen Ereignisse und häufiger der großen liturgischen Feiern, die euer katholisches Leben kennzeichnen, wie auch des täglichen Gottesdienstes einer Pfarrgemeinschaft. Ich bin sehr glücklich darüber, daß sie heute abend so voll ist, voll von Gottes Herrlichkeit, voll von Gottes Lob. Innerhalb der Gemeinschaft, die wir bilden, komme ich zu euch als der Nachfolger des heiligen Petrus und daher, wie das Konzil bekräftigt, als der Vikar Christi und als Hirt der ganzen Kirche, der die Herde Christi weidet. Dies deswegen, weil der Herr im heiligen Petrus eine bleibende und sichtbare Quelle und Grundlage unserer Einheit im Glauben und in der Gemeinschaft gestiftet hat (vgl. Lumen gentium, Nr. 18.22). Und doch braucht man nur im Evangelium die Stellen über den heiligen Petrus nachzulesen, um zu erkennen, daß dieses sein Amt ein großes Geschenk göttlicher Gnade ist, und nicht das Ergebnis menschlicher Verdienste. Gerade in einem Augenblick, der die menschliche Schwäche des heiligen Petrus offenbar macht, nämlich in dem Augenblick, als Jesus voraussagt, Petrus werde ihn dreimal verleugnen, fügt Jesus auch hinzu: „Ich habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder“ (Lk 22,31-34). Und so komme ich heute, liebe Brüder und 1122 REISEN Schwestern, im Vertrauen auf die Hilfe Gottes und mit dem Wunsch, euch zu stärken, da wir gemeinsam unsere Pilgerreise des Glaubens in unsere himmlische Heimat fortsetzen. Die Gemeinschaft der Heiligen, zu der wir gehören, umfaßt alle jene, die uns im Glauben auf diesem Pilgerweg vorausgegangen sind. Besonders Maria, die jungfräuliche Mutter Gottes, begleitet uns auf unserem Weg. Euch alle — den Klerus, die Ordensleute und die Laien Detroits — empfehle ich ihr, der geistlichen Mutter der Menschheit und Fürsprecherin der Gnade (vgl. Re-demptoris Mater, Nr. 35.46). Möge sie für euch alle „ein Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes“ sein und „Vorbild des Glaubens, der Liebe und der vollkommenen Einheit mit Christus“ (.Lumen gentium, Nr. 63.68). Ihm, Jesus Christus, sei mit dem Vater und dem Heiligen Geist Ehre in Ewigkeit. Amen. Solidarisch mit dem Vaterland verbunden sein Begegnung mit den Auslandspolen in Amerika in Detroit-Hamtramck (U.S.A.) am 19. September „Ihr werdet meine Zeugen sein ... bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8). Geliebte Landsleute auf amerikanischem Boden! 1. Jetzt hat Gott mich auf dem langen Wege meiner päpstlichen Pilgerreise zur Kirche, die in Amerika ist, nach Detroit geführt, dem — nach Chicago — zweiten Zentrum von Menschen polnischer Abstammung. Und so bin ich hier in dem mir wohlbekannten Hamtramck. Gleich zu Beginn möchte ich euch zwei Dinge sagen: erstens (um einen Ausdruck des hl. Paulus zu gebrauchen) „Ich sehnte mich danach, euch zu sehen“. Ich wollte sehr gern in diesem wichtigen Augenblick mit euch Zusammentreffen, um die Sorge der Kirche und meine persönliche, apostolische Sorge um euch zu unterstreichen und um den natürlichen Bindungen öffentlichen Ausdruck zu geben, den Bindungen des Blutes, der Abstammung, des Glaubens, der Kultur, bis zu einem gewissen Grade auch den Bindungen der Sprache; Ausdruck zu geben auch der Liebe zur gemeinsamen Mutter des Vaterlandes, eures Vaterlandes oder des Vaterlandes eurer Väter oder Großväter. 1123 REISEN Und gleichzeitig möchte ich sagen, daß ich diese heutige Begegnung mit euch, die notwendigerweise in Ort und Zeit begrenzt ist, auf die ganzen Vereinigten Staaten ausweiten möchte, gewissermaßen auf ganz Amerika, und daß ich sie als eine Begegnung mit dem ganzen amerikanischen Auslandspo-lentum ansehe, mit jeder Amerikanerin und jedem Amerikaner, die ihre Abstammung von dem alten Land an der Weichsel ableiten, sowie mit jedem Polen, dem in diesem Land zu leben gegeben ist. Ich will also sowohl denen begegnen, die seit Generationen hier tiefe Wurzeln geschlagen haben, wie auch denen, die noch ganz erfüllt sind von der heimischen Landschaft und sicher nicht ohne Schwierigkeiten nach einem Punkt des Heimischwerdens suchen. Und wenn ich diese Worte sage, so bin ich mir bewußt, daß ich vor dem größten Teil des polnischen Exils jenseits der Grenzen des Vaterlandes stehe, das einen großen Teil der Kirche in den Vereinigten Staaten (Statistik der Katholischen Universität Lublin) darstellt. Und noch heute gibt es hier über 800 sogenannte polnische Pfarreien. „Ihr werdet meine Zeugen sein ... bis an die Grenzen der Erde“. Wie sollte man also Gott nicht danken für diese Begegnung und für dieses gemeinsame Gebet, wie nicht jenen danken, die sie möglich gemacht und vorbereitet haben — den amerikanischen Behörden und den Stellen der Auslandspolen, den Bischöfen, den Priestern, den Schwestern, den Laien und den Organisationen. Ich grüße also und begrüße aufs herzlichste zusammen mit dem Gastgeber dieser Begegnung, mit Erzbischof Edmund Szoka, euch alle, die ihr hier anwesend seid, sowie alle Gäste, die uns mit ihrer Anwesenheit beehren. Ich begrüße aufs herzlichste alle diejenigen, die sich mit uns im Geiste verbinden. Ein Wort herzlichen Grußes richte ich an die Adresse aller hier anwesenden Brüder und Schwestern aus den slawischen Nationen, insbesondere aber aus der stammverwandten ukrainischen Gemeinde, die bei dieser Begegnung zahlreich vertreten ist. In ukrainischer Sprache sagte der Papst: In besonderer Weise grüße ich herzlich die ganze ukrainische Gemeinde in Detroit. Ihr seid meinem Herzen nahe. Wenn ihr feierlich das Millennium des Christentums in der Kiewer Rus und der Ukraine begeht, dann segne ich aus der Tiefe meines slawischen Herzens alle Söhne und Töchter des heiligen Wo-lodymyr des Großen und der heiligen Ölha und ebenso die Gläubigen der Kirche in der Ukraine und in der Emigration. 1124 REISEN Gemeinsamer Glaube und polnisches Bewußtsein machten einig In polnischer Sprache sagte der Papst: 2. So wollen wir uns also heute in besonderer Weise mit den Söhnen und Töchtern derselben Nation vereinigen, die auf diesem Kontinent leben, mit allen, die am geschichtlichen Erbe des gleichen Vaterlandes und der gleichen Kirche teilhaben oder teilhaben sollten. Auf diese Weise begegnen wir dem Vaterland und der ganzen Nation, ihrem geschichtlichen Erbe, ihrem „Gestern“ und „Heute“, und wir begegnen gleichzeitig dem ganzen Erbe des Aus-landspolentums in diesem weiträumigen und reichen Land, das so viele Menschen aus allen Kontinenten, Nationen, Rassen und Sprachen angezogen hat und anzieht; eines Landes, das zum Vaterland für eure Väter wurde und euer Vaterland ist. Wenn wir aber auf die Vergangenheit Bezug nehmen, wenn wir unser „Heute“ betrachten, so tun wird dies vor allem mit dem Gedanken um die Zukunft und mit der Sorge um sie. Denn, wie es jemand ausgedrückt hat: „Eine Nation, die sich von ihren Traditionen abschneiden läßt, begibt sich auf das Niveau eines Stammes“ (A. Slonimski). Erinnern wir kurz an diese ersten Polen, die gemäß der Chronik im Jahre 1608 nach Nordamerika kamen und sich in Jamestown (Virginia) ansiedelten und später an jene, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Grundstock zum Auslandspolentum in Michigan legten. Die größte Auswanderungswelle fiel bekanntlich auf das Ende des vergangenen Jahrhunderts und den Anfang unseres Jahrhunderts. Dies war eine Emigration aus wirtschaftlichen Gründen. Das waren jene unternehmensfreudigen, fleißigen und wertvollen Menschen, denen das Brot in der Heimat fehlte. Sie kamen aus einem durch die Teilungen zerrissenen Polen, und sie waren als Ankömmlinge unterschiedlich qualifiziert. Meistens verfügten sie über keine Ausbildung. Sie brachten aus der Heimat keine materiellen Reichtümer mit, aber sie besaßen zwei große Werte: die angeborene Liebe zum Glauben und zum Polentum. Im übrigen kamen viele von ihnen mit dem Gedanken, wieder in die Heimat zurückzukehren. Sie nahmen nicht an, daß ihre Nachkommenschaft dauerhaft in dem neuen Land Wurzeln schlagen und fruchtbar an seiner Gestaltung zum Übergang vom zweiten zum dritten Jahrtausend nach Christus teilhaben werden. Bekannt und beschrieben worden sind ihre Tränen, ihre Leiden, Schwierigkeiten, Demütigungen, ihre Irrfahrten und ihr Heimweh. Und dennoch haben sie alles das geschaffen, was bis heute Stolz und Errungenschaft der Auslandspolen in Nordamerika ist und bleiben wird. 1125 REISEN Vor allem schufen sie ein ganzes Pfarreinetz mit monumentalen Kirchen, mit Schulen, Krankenhäusern, Fürsorgeheimen, mit organisatorischen Strukturen, mit eigener Presse und Verlagen. Wir wollen hier Pater Leopold Moczy-gemba und seine etwa 100 Pfarreimitglieder erwähnen, die an Heiligabend des Jahres 1854 die erste Pfarrei gründeten und zu dem Ort Unserer Lieben Frau Maria in Texas den Grundstock legten; auch jene, die im Jahre 1872 die erste polnische Pfarrei in Detroit unter dem Patronat des heiligen Albert gründeten. Mit großer Rührung begebe ich mich in einer geistigen Pilgerschaft zu diesen beiden Städten. Darüber hinaus die große Zahl von Priester- und Ordensberufen, die Tausende von weiblichen Ordensberufen, sowohl zu polnischen Kongregationen wie auch zu anderen. Die neuen polnischen weiblichen Kongregationen. Alles das hat bewirkt, daß der Beitrag dieser Emigration zur Entwicklung des religiösen Lebens und der kirchlichen Strukturen unersetzlich war und zu einem gewaltigen Reichtum der Kirche auf amerikanischem Boden wurde. Dieser Geist wurde vertieft und entwickelt durch zahlreiche katholische Organisationen, sowohl durch die ältesten, die über 100 Jahre alt sind, wie auch durch spätere. Es ist nicht möglich, sie hier aufzuführen, aber ich habe sie während meiner früheren Besuche in den Vereinigten Staaten schon als Erzbischof von Krakau kennengelernt, und außerdem schreiben sie mir bei verschiedenen Gelegenheiten Briefe nach Rom. Diese treue Hingabe an die Kirche verband sich aufs engste mit der Liebe zum Vaterland und zu allem, was mit ihm verbunden war. Erinnern wir nur an die Freiwilligen der Haller-Armee während des Ersten Weltkrieges, an die Fonds zugunsten der Unabhängigkeitsaktivitäten vor dem Jahre 1918, insbesondere für den Unterhalt des Polnischen Komitees in Paris, an die gewaltigen Opfer und Anleihen für Polen, das nach Wiedererlangung der Unabhängigkeit aus Zerstörung und Ruinen erstanden war. Vergessen wir auch nicht, daß diese Generation von Emigranten durch ihre schwere, opferwillige Arbeit auch bessere Daseinsbedingungen für ihre Kinder und Enkel garantiert hat. Ein besonderes Blatt in der Geschichte des Auslandspolentums schreibt das Cyrill-Method-Seminar, das in Detroit gegründet und später nach Orchard Lake verlegt wurde und kürzlich den 100. Jahrestag seines Bestehens feierte. Es erwuchs aus authentischer Liebe zur Kirche und aus Anhänglichkeit zum Polentum. Um es in der Sprache des Konzils zu sagen, es bemühte sich, die Zeichen der Zeit zu erkennen und den Bedürfnissen des Auslandspolentums entgegenzukommen. Es wuchs sich aus zu einem ganzen. Ensemble wissenschaftlicher und pädagogischer Anstalten. Aus ihnen gingen über 3000 Priester für die Tätigkeit unter den Auslandspolen und etwa 15000 Führungspersönlichkeiten des Auslandspolentums hervor. Es verbreitet polnische Kultur, 1126 REISEN darunter auch die Liturgie in polnischer Sprache, und trägt dazu bei, in großen Scharen von Amerikanern das Bewußtsein ihrer polnischen Abstammung aufrechtzuerhalten. Die Vertreter von Orchard Lake sind hier. Ihnen gegenüber statte ich den Dank ab für das Geschaffene, und ich wünsche dieser Institution ständige Treue und neue Sensibilität für die Bedürfnisse der Kirche von heute und für das Auslandspolentum der Gegenwart. Und dann kamen neue Ereignisse, es kamen die Prüfungen der Geschichte und neue Wellen der Emigration. Der Zweite Weltkrieg und die damit verbundenen Ereignisse bewirkten, daß mehrere Hunderttausende Polen in die Vereinigten Staaten kamen. Dies war eine andere Emigration, mit einem höheren Bildungsniveau, mit einem anderen nationalen und politischen Bewußtsein, das tief empfundene Solidarität mit dem Vaterland und mit der Nation bewahrte. Worte der Anerkennung gebühren dem Kongreß der amerikanischen Auslandspolen für seine allseitige Tätigkeit zugunsten der Nation, aber auch der Katholischen Liga, die der Kirche in Polen nach dem Kriege eine immense Hilfe geleistet hat und noch immer leistet. Dafür bringe ich die Dankbarkeit der Kirche in Polen und meine eigene Dankbarkeit zum Ausdruck. Das letzte große Werk der Auslandspolen in der Welt, vor allem aber der amerikanischen Auslandspolen und der Freunde aus Amerika, ist die Stiftung im Vatikan und die mit ihr verbundenen Institutionen: Das „Haus des Pilgers“, das „Zentrum für christliche polnische Kultur“ und das „Zentrum für Dokumentation“ in Rom. Ich weiß, daß weiterhin Anstrengungen unternommen werden, zum Beispiel entstehen Freundschaftsgesellschaften der Fonds und der Stiftungen, mit dem Ziel, diesen Institutionen die Möglichkeit zu gewährleisten, tätig zu sein und sich zu entwickeln. Vergelt‘s euch Gott. Und so gelangen wir wie in einem Zeitraffer zu unseren Tagen und Aufgaben, die heute vor dem Auslandspolentum und vor der Kirche stehen. Die Wurzeln der Heimat greifen in die Neue Welt Die letzte Emigrationswelle wird, wie jede vorhergehende, heute für die Zeitgenossen zu einem „Zeichen der Zeit“ und gleichzeitig zu einer Herausforderung. Sie zwingt zur Reflexion und zum Handeln. Jede Emigration brachte einen neuen Reichtum und schuf neue Probleme. Es gab und gibt Fälle schädlicher Teilungen, ja sogar der Spaltung, die es dem Auslandspolentum in den Vereinigten Staaten nicht erlaubt haben, voll und ganz die Rolle zu spielen, zu der es fähig war und fähig ist - sowohl auf religiösem, geistigem wie auch sozial-politischem Gebiete. 1127 REISEN In englischer Sprache sagte der Papst: 3. Und so bleibt, immer lebendig und sehr wirklich, ein Prozeß einer zweifachen Eingliederung. Es ist die Eingliederung im Sinne von einer Zunahme an Bewußtsein und Reife in Polen selbst und die Eingliederung in das Land, das nun euer Zuhause ist. Liebe Brüder und Schwestern: je mehr ihr euch eurer Identität, eurer Spiritualität, eurer Geschichte und der christlichen Kultur bewußt seid, aus der eure Vorfahren und Eltern wuchsen und aus der auch ihr gewachsen seid, desto mehr werdet ihr eurem Land dienen können, desto fähiger werdet ihr sein, zu dem Gemeinwohl der Vereinigten Staaten beizutragen. Gerade aus Sorge um das Gemeinwohl hat dieses Land angesichts einer anderswo unbekannten Vielfalt von Völkern und Kulturen die Eingliederung auf unterschiedliche Weisen gesucht. Zu den Theorien gehören der Nativismus, die „Schmelztiegeltheorie“ und andere, die sich als unfähig erwiesen haben, Ergebnisse hervorzubringen. Heute spricht man vom völkischen Prinzip, von „Wurzeln“, da aus diesen Wurzeln die volle Persönlichkeit des einzelnen, die Gemeinschaft und die Nation erstehen. Die Kirche möchte bei einer solchen persönlichen und gesellschaftlichen Eingliederung mithelfen. Ich habe darüber bei zahlreichen Gelegenheiten gesprochen, und viele Dokumente der Kirche sprechen dieses Thema an. Sie müssen gelesen und in die Tat umgesetzt Werden. Heute möchte ich noch einmal die Worte des Dichters wiederholen: „Es gibt in einer Nation so viele Kräfte“, und ich möchte mit ihm beten: „Laß uns die Kraft spüren“ (S. Wyspianki, „Befreiung“). Unsere Kraft kommt aus dem Glauben, äus Gott selbst und aus unserem tausendjährigen Erbe, in dem so lebhaft das Ostergeheimnis Christi widerhallt: sein Leiden und seine Auferstehüng. Dieser Reichtum ist schon offenbar geworden und wird weiterhin offenbar in der Liebe zu Idealen, zur Wahrheit, zur Freiheit - „unserer und eurer“, in der Liebe zum Frieden und im Respekt vor der Würde der einzelnen und der Nationen. In unserem eigenen Leben hat es Augenblicke gegeben, in denen diese Werte mit besonderem Glanz vor der Welt strahlten. Wer von uns, und nicht nur von uns, kann die Seligsprechung und dann die Heiligsprechung jenes Sohnes polnischen Bodens und geistigen Sohnes des hl. Franziskus vergessen, des bescheidenen Priesters, des hl. Maximilian Maria Kolbe, der inmitten der Grausamkeiten und Unmenschlichkeit des Konzentrationslagers einmal mehr vor der gesamten zeitgenössischen Menschheit jene Liebe zeigte, die bis zum Ende geht. 1128 REISEN Diese Werte, dieser Reichtum, dieses Erbe wurden auch während meiner drei Pilgerreisen ins Heimatland vollständiger offenbar und erhielten ein neues Licht. Ich verweile nur bei den Heiligen und Seligen, weil sie am vollständigsten das ausdrücken, was teilweise in jedem einzelnen von uns und in uns allen zusammen vorhanden ist. Gleichzeitig sind sie die vollkommensten Vorbilder auf unserem Pilgerweg zu unserer endgültigen Bestimmung in Christus. Da ist der selige Bruder Albert Chmielowski , ein Patriot und Künstler, der angesichts der polnischen Armut und den Bedürftigen gegenüber voller Güte sein wollte; der selige Raphael Kalinowski, die selige Ursula Ledochowska, die selige Caroline Koska, ein einfaches Landmädchen, das sein Leben bei der Verteidigung seiner Würde hingab; schließlich, der letzte in der zeitlichen Reihenfolge, der selige Michael Koza, Bischof und Märtyrer von Dachau. Aber dieses Erbe wurde als Zeugnis der polnischen Seele in den zurückliegenden Jahren auch auf andere Weise offenbar, als die tausendjährige christliche Nation ihre eigene Würde und die ihr zustehenden Rechte forderte. Unter anderem sprach ich hierüber an der polnischen Küste, und viel von dem, was ich sagte, bezieht sich auf die ganze Welt, einschließlich der Vereinigten Staaten. Dort am Baltischen Meer wurde „das Wort ,Solidamosc“ (Solidarität) in einer Weise ausgesprochen, die gleichzeitig seinen ewigen Inhalt bestätigt... Im Namen der Zukunft des Menschen und der Menschheit mußte man dieses Wort,Solidarität“ aussprechen. Heute fließt es in einer breiten Woge über die Welt, die begreift, daß wir nicht nach dem Prinzip des ,alle gegen alle“, sondern nur nach dem Prinzip des ,alle mit allen“ leben können ... Solidarität muß den Vorrang haben gegenüber dem Kampf. Dann kann die Menschheit überdauern. Und dann kann jede Nation in der großen Menschheitsfamilie überdauern ... Solidarität bedeutet, daß man in der menschlichen Vielfalt, zum Beispiel einer Nation, in Einheit existiert, in Achtung aller Unterschiede, aller Besonderheiten, die es zwischen Menschen gibt. Und so besteht eine Einheit in der Vielfalt, in der Pluralität. Das alles steckt in dem Begriff Solidarität“ (Ansprache in Gdingen am 11. Juni 1987, in: O. R. dt., Nr. 28/87). 4. Mit gerechtfertigtem Stolz und Dankbarkeit können wir uns den Urhebern unserer Kultur zuwenden: den Schriftstellern, Dichtem, Künstlern, Politikern, religiösen und geistigen Führern, allen, die auch in diesem Land neue Wege zum menschlichen Geist gewiesen haben: Tadeusz Kosciuszko, Kazimierz Pulaski, Wlodzimierz Krzyzanowski, Ignacy Paderewski, Helena Modrzejewska, Artur Rubinstein und die bereits erwähnten Pater Leopold Moczygemba, Pater Josef Dabrowski, Gründer des polnischen Seminars, Pater Theodore Gieryk und Jan Barzyns, Pater Witold Bu- 1129 REISEN haczewski und so viele andere, nicht zu vergessen die heute noch lebenden Initiatoren und Führer. Aber wie an sie, so denken wir auch an die unbekannte Menge von Familienvätern und -müttern, die, indem sie ein echt christliches Leben und in Treue zu Gott und zu ihren menschlichen Idealen lebten, von der Kraft ihres Temperamentes und ihrem Sinn für den Glauben geführt, diese erhabenen Ideen zu Werten formen konnten, die das Alltagsleben bilden und bestimmen. In ihrem täglichen Leben haben sie jene Werte gelebt, die sich durch die Jahrhunderte entwickelt haben, und sie haben es geschafft, sie in ihren Familien jeder neuen Generation weiterzugeben. Wie viele Priester gibt es heute, die bezeugen, daß sie ihre priesterliche Berufung an erster Stelle ihren frommen Müttern verdanken. Emigrationswellen sind immer ein Grund zum Nachdenken Vielleicht ist die bedrohteste Einrichtung der heutigen Welt gerade die Familie. Deshalb will die Kirche „alle jene Menschen belehren und bestärken, die die ursprüngliche Würde der Ehe und ihren hohen und heiligen Wert zu schützen und zu fordern suchen“ {Gaudium et spes, Nr. 47). Die grundlegende Aufgabe der Familie ist, dem Leben zu dienen, „in der Zeugung das Gottesbild von Mensch zu Mensch weiterzugeben“ {Familiaris consortio, Nr. 28). Treue zur Familie erstreckt sich auch auf die Erziehung. Das Zweite Vatikanische Konzil lehrt: „Da Eltern ihren Kindern das Leben schenkten, haben sie die überaus schwere Verpflichtung zur Kindererziehung. Daher müssen sie als die ersten und bevorzugten Erzieher ihrer Kinder anerkannt werden“ {Gravissimum educationis, Nr. 3). In polnischer Sprache sagte der Papst: 5. An euch wende ich mich jetzt, Diener Christi und Verwalter der göttlichen Geheimnisse (vgl. 1 Kor 4,1), an euch Priester und Seelsorger unter den Auslandspolen. Über das Priestertum habe ich während dieser Reise durch die Vereinigten Staaten ausführlich gesprochen. Euch möchte ich im Zusammenhang dieser Begegnung für all das Gute danken, das durch euren Dienst den amerikanischen Auslandspolen zuteil wird. Denkt daran, daß das Auslands-polentum für Polen wichtig ist, so wie die Polen wichtig für die Auslandspolen sind. Von eurem Bewußtseinsstand, von eurer Einstellung zu unserem gemeinsamen christlichen Erbe wird in großem Maße die Bindung eurer Gläubigen an die Nation abhängen, deren Söhne und Töchter sie ja doch sind — die Bindung des Glaubens, der Kultur, die Bindung der Muttersprache. 1130 REISEN Dieses Erbe zu achten und aufrechtzuerhalten, muß ein Grundprinzip eurer Seelsorge darstellen. Wie tröstlich ist es doch, daß in der Jugend auf der ganzen Welt das Interesse für die eigene Vergangenheit im Wachsen begriffen ist. Sie entdecken sich selber, indem sie nach den Grundlagen ihrer eigenen Identität suchen, nach deren Quellen und Wurzeln, nach diesen ersten Schichten, aus denen diese Identität erwächst. Ich weiß, daß dieser Prozeß in großem Maße unsere auslandspolnische Jugend umfaßt, daß sie immer williger die Geschichte ihrer Väter kennenlernen will, die Sprache der Heimat und ihren ganzen Reichtum. „I am proud to be American“ — sagen sie gern. Aber nicht weniger stolz sind sie auf ihre Abstammung, insbesondere wenn sie sie besser kennenlemen, denn dann empfinden sie keinerlei Komplexe. Helft ihnen bei diesem Prozeß des Sich-Ken-nenlemens und Sich-Befreiens. Kommt auch den geistigen Bedürfnissen der neuesten Emigration entgegen. Verliert nicht den Mut. Verschließt euch nicht in einem Elfenbeinturm der Vorurteile, der Routine, des pastoralen Minimalismus, des leichten Weges. Schmälert nichts, reduziert nichts, schließt nichts von dem weg, was dem wahren Wohl der Gläubigen dient, was ihr übernatürliches Band mit dem Erlöser festigt und der wahren Entwicklung des Geistes dient. 6. Teure Brüder und Schwestern! „Ihr werdet meine Zeugen sein ... bis an die Grenzen der Erde.“ Diese Verkündigung, diesen Appell richtete Christus an die Apostel kurz vor seiner Himmelfahrt. Und zuvor hatte er zu ihnen gesagt: „... ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird“ (Apg 1,8). Ihr werdet Zeugen sein, wenn ihr die Kraft des Geistes empfangt. Wir sind Zeugen Christi in der Kraft des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist ist das hauptsächliche Prinzip, die Quelle, das Fundament christlichen Lebens in der neuen Epoche der Erlösungsgeschichte, in der Epoche der Kirche, in der Epoche der Sendung, in der Epoche des Zeugnisgebens. Möge seine Kraft eure Herzen, euren Geist und Willen erfüllen, damit ihr treu von Christus Zeugnis ablegen könnt: Durch euer Zeugnis, durch das Zeugnis der Väter, durch das Zeugnis des tausendjährigen christlichen Erbes dieses Landes, das ein Recht darauf hat und euch auch seine Söhne und Töchter nennen möchte. Dieses Erbe ist in besonderer Weise durch die Gegenwart der jungfräulichen Gottesmutter gekennzeichnet, der von Gott gebenedeiten Maria: Jener, die das helle Tschenstochau verteidigt und im Spitzen Tor aufleuchtet! : Zu ihr ruft unser Dichterprophet: „Trage meine heimwehkranke Seele dorthin“ (Adam Mickiewicz, „Pan Tadeusz“)■ Eure Seele ist nicht heimweh- 1131 REISEN krank, denn ihr seid auch Söhne und Töchter dieser Erde und Bürger dieses Landes. Möge Maria jedoch eure Seelen zu dem tragen, was gut ist, was schön und groß ist, zu dem, um dessen willen es sich zu leben lohnt. Darum bitten wir sie heute besonders. Darum bitten wir sie im gegenwärtigen Marianischen Jahr! Jetzt möchte ich alle hier Anwesenden segnen, eure Familien und eure Angehörigen, eure Kinder und Jugendlichen, die kranken Menschen, die alten und einsamen. Ich segne die Priester und Diakone, die männlichen und weiblichen Ordensfamilien, die Alumnen in den geschichtlichen Seminaren, die Pfarreien, die Welten der Arbeit und der Erholung. Ich segne das ganze Aus-landspolentum in Nordamerika. Diakone — ein sichtbares Zeichen des Heiligen Geistes Ansprache an Diakone und ihre Frauen in Detroit (U.S. A.) am 19. September Liebe Brüder im Dienst unseres Herrn! Liebe Frauen und Mitarbeiter dieser Männer, die zu ständigen Diakonen geweiht sind! 1. Ich begrüße euch in der Liebe unseres Herrn Jesus Christus, in dem, wie der hl. Paulus uns sagt, Gott uns erwählt, erlöst und als seine Kinder angenommen hat (vgl. Eph 1,3 ff.). Zusammen mit dem hl. Paulus und mit euch heute lobpreise ich unseren himmlischen Vater für diese wunderbaren Gaben der Gnade. Es ist eine besondere Freude für mich, euch zu treffen, denn ihr stellt ein großes sichtbares Zeichen dar für das Wirken des Heiligen Geistes nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das die Wiederherstellung des ständigen Diakonats in der Kiche anregte. Die Weisheit dieser Einrichtung wird in eurer heute so zahlreichen Anwesenheit und in der Fruchtbarkeit eures Dienstes offensichtlich. Mit der ganzen Kirche danke ich Gott für die Berufung, die ihr erhalten habt und für eure großzügige Antwort darauf. Für die meisten von euch; die verheiratet sind, ist diese Antwort durch die Liebe, Hilfe und Mitarbeit eurer Frauen möglich geworden. Es ist eine große Ermutigung zu wissen, daß in den Vereinigten Staaten während der letzten 20 Jahre fast 8000 ständige Diakone für den Dienst am Evangelium geweiht worden sind. Heute möchte ich mit euch vor allem die Berufung zum Dienst feiern. Über die Diakone sagte das Vatikanische Konzil: „Mit sakramentaler Gnade gestärkt, dienen sie dem Volke Gottes in der Diakonie der Liturgie, des Wortes 1132 REISEN und der Liebestätigkeit {Lumen gentium, Nr. 29). Diese Beschreibung weiter überdenkend, stimmte mein Vorgänger Paul VI. mit dem Konzil überein, daß der Ständige Diakonat wieder eingerichtet werden sollte als eine treibende Kraft für den Dienst (diakonia) der Kirche an den örtlichen christlichen Gemeinden und als Zeichen oder Sakrament Christi, des Herrn selbst, der kam, nicht um bedient zu werden, sondern um zu dienen.“ {Adpascendum, 15. August 1972, Einleitung). Diese Worte erinnern an die alte Tradition der Kirche, wie sie von den frühen Vätern wie Ignatius von Antiochien ausgedrückt wurde, der sagte, daß die Diakone „Diener der Mysterien lesu Christi... Diener der Kirche Gottes“ sind {Ad Trallianos, 11,3). Ihr, meine lieben Brüder, gehört zum Leben der Kirche, das auf heilige Diakone, wie Laurentius, und vor ihm Stephanus — nach der Apostelgeschichte „voll Geist und Wahrheit“ — und dessen Gelahrten, zurückgeht (Apg 6,3). Das ist das Herz des Diakonats, zu dem ihr berufen wurdet: Diener der Geheimnisse Christi zu sein und gleichzeitig Diener für eure Brüder und Schwestern. Daß diese zwei Dimensionen untrennbar zu einer Wirklichkeit verbunden sind, zeigt die Wichtigkeit des Amtes, zu dem ihr geweiht seid. 2. Wie sollen wir die Geheimnisse Christi verstehen, deren Diener ihr seid? Der hl.Paulus gibt uns eine tiefgründige Beschreibung in der Lesung, die wir eben hörten. Das zentrale Geheimnis ist dies: der herrliche Plan Gottes, des Vaters, alle Dinge im Himmel und auf Erden in Christus, seinem geliebten Sohn, zu vereinen. Dazu sind alle Getauften vorherbestimmt, erwählt, erlöst und mit dem Heiligen Geist besiegelt. Dieser Plan Gottes steht im Mittelpunkt unseres Lebens und des Lebens der Welt. Aber wenn nun Dienst an diesem Heilsplan die Sendung aller Getauften ist, was ist dann das Besondere an eurem Dienst als Diakone? Das Zweite Vatikanische Konzil erklärt hierzu, daß eine sakramentale Gnade, verliehen durch die Handauflegung, euch dazu be-lahigt, euren Dienst am Wort, am Altar und in der Liebestätigkeit besonders wirksam zu verrichten (vgl. Ad gentes, Nr. 16). Der Dienst des Diakons ist der sakramentale Dienst der Kirche. Euer Amt ist nicht eines von vielen, sondern es soll wirklich, wie Paul VI. es beschreibt, eine Treibkraft für die diakonia der Kirche sein. Durch eure Ordination seid ihr Christus gleichgestaltet in seiner Dienstaufgabe. Und ihr sollt lebendige Zeichen für das Dienen seiner Kirche sein. Dienst am Wort, am Altar und an der Barmherzigkeit 3. Wenn wir an die zutiefst spirituelle Natur dieser diakonia denken, können wir die Wechselbeziehung der drei Dienstbereiche, die traditionell mit dem 1133 REISEN Diakonat in Verbindung gebracht werden, nämlich den Dienst des Wortes, den Dienst des Altars und den Dienst der Barmherzigkeit besser verstehen. Je nach den Umständen kann das eine oder andere in der Arbeit eines Diakons besonders hervortreten, aber diese drei Ämter sind untrennbar zur Einheit verbunden im Dienst des Erlösungsplans Gottes. Das ist so, weil es nicht anders sein kann, als daß uns das Wort Gottes zum eucharistischen Gottesdienst an den Altar führt; und dieser Gottesdienst wiederum führt uns auf einen neuen Lebensweg, der sich in Werken der Barmherzigkeit ausdrückt. Diese Liebestätigkeit ist sowohl Liebe zu Gott wie Liebe zum Nächsten. „Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht. Wer Gott liebt, soll auch seinen Bruder lieben“ {1 Joh 4,20-21). Gleichermaßen können barmherzige Werke, die nicht im Wort Gottes und im Gottesdienst verwurzelt sind, keine bleibenden Früchte tragen. „Denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“, sagt Jesus {Joh 15,5). Der Dienst der Barmherzigkeit ist auf jeder Seite des Evangeliums zu finden; es verlangt eine ständige und radikale Bekehrung des Herzens. Wir finden ein überzeugendes Beispiel dafür im Matthäusevangelium in der eben vorgelesenen Stelle. Es wird uns gesagt: „Leistet dem Unrecht keinen Widerstand.“ Es wird uns aufgetragen: „Liebet eure Feinde und betet für eure Verfolger.“ All dies ist ein wesentlicher Teil des Dienstes der Liebe. 4. In der heutigen Welt fehlt es gewiß nicht an Gelegenheiten für die Ausübung eines solchen Amtes, ob es sich nun um einfache Werke der Barmherzigkeit oder ein wirklich heldenhaftes Zeugnis für die radikalen Forderungen des Evangeliums handelt. Um uns herum leben viele unserer Brüder und Schwestern in spiritueller oder materieller Armut oder in beidem. Wie viele Völker der Welt werden durch Ungerechtigkeit unterdrückt — die grundsätzlichen Menschenrechte werden ihnen verweigert. Andere sind bedrückt und leiden, weil sie den Glauben an Gott verloren haben oder versucht sind, die Hoffnung aufzugeben. Angesichts der Verhältnisse, in denen die Menschen leben, gibt es mir besonders große Zufriedenheit, zu hören, daß es so viele ständige Diakone in den Vereinigten Staaten im direkten Dienst für die Bedürftigen gibt, für die Kranken, die Mißbrauchten und Geschlagenen, die Jungen und Alten, die Sterbenden und Trauernden, die Tauben, Blinden und Behinderten, diejenigen, die in ihrer Ehe viel erlitten haben, die Heimatlosen, die Opfer des Drogenmißbrauchs, für Gefangene, Flüchtlinge, Nicht-Seßhafte, Arme auf dem Land, Opfer von Rassen- und ethnischer Diskriminierung und viele andere. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ {Mt 25,40). 1134 REISEN Gleichzeitig erinnert das 2. Vatikanische Konzil uns daran, daß der Dienst der Liebe im Dienste des Erlösungsplans Gottes uns auch dazu verpflichtet, einen positiven Einfluß auf die Veränderung der Welt, in der wir leben, auszuüben, d. h. Sauerteig, Seele der menschlichen Gesellschaft zu sein, so daß die Gesellschaft von Christus erneuert werden und in die Gottesfamilie verwandelt werden kann (vgl. Gaudium et spes, Nr. 40 ff.). Die „zeitliche Ordnung“ umfaßt Ehe und Familie, die Welt der Kultur, das wirtschaftliche und soziale Leben, das Geschäfts- und Berufsleben, politische Institutionen, die Solidarität der Völker und Fragen der Gerechtigkeit und des Friedens (vgl. Apostolicam actuositatem, Nr. 7; Gaudium et spes, Nr. 46 ff.). Dies ist selten eine leichte Aufgabe. Die Wahrheit über uns selbst und die Welt, offenbart im Evangelium, entspricht nicht immer dem, was die Welt hören will. Die Wahrheit des Evangeliums widerspricht oft dem gängigen Denken, wie wir es heute so klar sehen im Hinblick auf Übel wie Rassismus, Geburtenverhütung, Abtreibung und Euthanasie, um nur einige zu nennen. 5. Aktiv in der Gesellschaft zu wirken, das gehört zu der in der Taufe!erhaltenen Sendung jedes Christen in Übereinstimmung mit seiner Stellung im Leben, aber der Ständige Diakon muß ein besonderes Zeugnis ablegen. Die sakramentale Gnade seiner Ordination soll ihn stärken und seine Bemühungen fruchtbar machen, auch wenn sein weltlicher Beruf ihm Zugang zu weltlichen Bereichen verschafft, wie er normalerweise für andere Mitglieder des Klerus nicht passend ist. Gleichzeitig gibt die Tatsache, daß er ein ordinierter Amtsinhaber der Kirche ist, seinen Bemühungen in den Augen derjenigen, mit denen er lebt und arbeitet, eine besondere Dimension. Genauso wichtig ist der Beitrag, den ein verheirateter Diakon für die Umgestaltung des Familienlebens leistet. Er und seine Frau, die eine Lebensgemeinschaft führen, sind berufen, einander zu helfen und zu dienen (vgl. Gaudium et spes, Nr. 48). Ihre Partnerschaft und Einheit im Sakrament der Ehe ist so innig, daß die Kirche richtigerweise die Einwilligung der Ehefrau verlangt, bevor ihr Mann als Ständiger Diakon ordiniert werden kann (Can. 1031,2). Wie es in den jetzigen Richtlinien für den Ständigen Diakonat in den Vereinigten Staaten heißt, stellen die Pflege und Vertiefung der gegenseitigen opferbereiten Liebe zwischen Mann und Frau vielleicht die wesentlichste Beteiligung der Frau des Diakons am öffentlichen Amt ihres Mannes in der Kirche dar (Richtlinien, NCCB, S. 110). Gerade heute ist das kein geringer Dienst. Die Ehefrau des Diakons ist auch gefordert Insbesondere müssen der Diakon und seine Frau ein lebendiges Beispiel der Treue und der Unauflöslichkeit der christlichen Ehe sein vor einer Welt, die 1135 REISEN solche Zeichen bitter nötig hat. Dadurch, daß sie die Anforderungen des ehelichen und täglichen Lebens im Geist des Glaubens annehmen, stärken sie das Familienleben nicht nur in der Gemeinschaft der Kirche, sondern in der ganzen Gesellschaft. Sie zeigen auch, wie die Verpflichtungen von Familie, Arbeit und Amt in dem Dienst der Sendung der Kirche aufeinander abgestimmt werden können. Diakone und ihre Frauen und Kinder können für andere, die für die Förderung des Familienlebens arbeiten, eine große Ermutigung darstellen. Auch eine andere „Familie“ muß hier erwähnt werden, nämlich die Pfarrei, der normale Rahmen, in dem die große Mehrheit der Diakone das Mandat ihrer Ordination, „dem Bischof und seinen Priestern zu helfen“, erfüllen. Die Pfarrei sorgt für einen kirchlichen Rahmen für euer Amt und erinnert euch daran, daß ihr in euren Bemühungen nicht alleine seid, sondern in Gemeinschaft mit dem Bischof, seinen Priestern und all denen, die irgendwie am öffentlichen Amt der Kirche teilhaben. Ständige Diakone haben die Verpflichtung, das Amt des Priesters zu achten und gewissenhaft und großzügig mit ihm und dem Personal der Pfarrei zusammenzuarbeiten. Der Diakon hat andererseits das Recht darauf, von allen akzeptiert und anerkannt zu werden als das, was er ist: ein geweihter Diener des Wortes, des Altars und der Liebestätigkeit. 6. Was erwartet man von euch angesichts der Würde und Bedeutung des ständigen Diakonats? Als Christen dürft ihr euch nicht schämen, von den Eigenschaften eines Dieners zu sprechen, da alle Gläubigen und insbesondere die Diakone, deren Ordinationsritus sie als „Diener aller“ beschreibt, danach streben müssen. Ein Diakon muß für seine Treue, seine Rechtschaffenheit und seinen Gehorsam bekannt sein, und so ist es diese Treue zu Christus, die moralische Integrität und der Gehorsam gegenüber dem Bischof, was euer Leben kennzeichnen muß, wie es im Ordinationsritus klar heißt (vgl. auch Ad pascendum, Einleitung). In diesem Ritus drückt die.Kirche auch ihre Hoffnungen und Erwartungen euch gegenüber aus, wenn sie betet: „Herr, laß sie sich in allen Tugenden auszeichnen: ... in der Liebe ... der Sorge für andere ... in zurückhaltender Autorität... Selbstdisziplin und Heiligkeit des Lebens. Möge ihr Verhalten beispielhaft, deinen Geboten entsprechen und dein Volk dazu führen, ihre Lauterkeit im Leben nachzuahmen. Mögen sie in Christus stark und standhaft bleiben und vor der Welt das Zeugnis eines reinen Gewissens ablegen. Mögen sie ... deinem Sohn nachfolgen, der nicht kam, um bedient zu werden, sondern um zu dienen.“ Liebe Brüder! Dieses Gebet verpflichtet euch zu lebenslanger geistlicher Weiterbildung, so daß ihr im Dienst wachst und an ihm festhaltet zur Erbauung 1136 REISEN des Gottesvolkes. Ihr Frauen der ständigen Diakone seid enge Mitarbeiter in ihrem Amt und genauso wie sie herausgefordert, mit ihnen in der Kenntnis und Liebe Jesu Christi zu wachsen. Das bedeutet natürlich Wachsen im Gebet, im persönlichen Gebet, im Familiengebet und im liturgischen Gebet. Da die Diakone Diener des Wortes sind, fordert euch das Zweite Vatikanische Konzil auf zu ständiger Lesung und eifrigem Studium der Heiligen Schrift, damit ihr nicht — wenn ihr Prediger seid — leer werdet, weil ihr nicht mehr das Wort in eurem eigenen Herzen hört (vgl. Dei verbum, Nr. 25). In eurem Leben als Diakone seid ihr berufen, das Wort Gottes zu hören, zu hüten und zu erfüllen, damit ihr es richtig verkündigen könnt. Dem Gottesvolk zu predigen, ist eine Ehre, die ernsthafte Vorbereitung und eine wirkliche Verpflichtung zur Heiligkeit des Lebens mit sich bringt. Als Diener des Altares müßt ihr tief vom Geist der Liturgie erfüllt und vor allem überzeugt davon sein, daß „die Liturgie der Höhepunkt (ist), dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt“. (,Sacrosanctum Concilium, Nr. 10). Ihr seid berufen, euer Amt mit der Würde und Ehrfurcht auszuüben, wie es die Liturgie erfordert, von der das Konzil so ausdrucksvoll sagt, daß sie vor allem Anbetung der göttlichen Majestät ist“ (iebd., Nr. 33). Ich danke mit euch zusammen all denen, die sich eurer Ausbildung vor und nach eurer Ordination in spirituellen, theologischen und liturgischen Kursen widmen. Dienen läßt Gottes Güte in der Welt aufscheinen 7. „Singt dem Herrn ein neues Lied. Laßt euer Lied von hohen Bergen erklingen.“ Singt zu ihm als Diener, aber singt auch als Freunde Christi, der euch alles gesagt hat, was er von seinem Vater hörte. Nicht ihr habt ihn erwählt, sondern er hat euch erwählt und dazu bestimmt, daß ihr euch aufmacht und Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt. Dies tut ihr, indem ihr einander liebt (vgl. Joh 15,15 ff.). Nach den Maßstäben dieser Welt wird Dienen gering eingeschätzt, aber in der Weisheit und Vorsehung Gottes ist es das Geheimnis, durch das Christus die Welt erlöst, und ihr seid die Diener dieses Geheimnisses und Boten dieses Evangeliums. Ihr könnt sicher sein, daß der Herr eines Tages zu jedem von euch sagen wird. „Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener ... komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!“ {Mt 25,21). Liebe Brüder und Schwestern! Als einer, der danach strebt, „Diener der Diener Gottes“ zu sein, kann ich mich nicht von euch verabschieden, ohne daß wir uns noch gemeinsam Maria zu wenden, die auch weiterhin sagt: „Ich bin die Magd des Herrn“ (Lk 1,38). Im Beispiel ihres Dienens sehen wir das voll- 1137 REISEN kommene Vorbild für unsere eigene Berufung zur Jüngerschaft unseres Herrn Jesus Christus und zum Dienst für seine Kirche. Den Kosmos Gottes bewahren Ansprache über weltweiten sozialen Fortschritt und menschliche Entwicklung in Detroit (U.S.A.) am 19. September Liebe Freunde! 1. Ich bin glücklich, fast am Ende meines zweiten Pastoralbesuchs in den Vereinigten Staaten in dieser bekannten Industriestadt Detroit zu einer so großen Anzahl von Menschen sprechen zu können. Ich begrüße euch alle sehr herzlich: führende Persönlichkeiten christlicher Konfessionen und anderer Religionen, führende Politiker der Bundes-, Länder- und Stadtregierungen; Menschen verschiedener Rassen und ethnischer Herkunft, katholische, christliche und nichtchristliche Brüder und Schwestern; Männer und Frauen guten Willens! Ich habe das Empfinden, daß ich dem Herrn, unserem Gott, für diese wunderbare Gelegenheit danken muß. Detroit ist ein Ort, wo Arbeit — das Vorrecht, die Pflicht und die Berufung des Menschen (vgl. Laborem exercens, Nr, 9) — ein wirklich bezeichnendes Charakteristikum städtischen Lebens ist. Es ist wirklich eine Arbeiterstadt, und sehr viele von hier — Männer und Frauen, Jüngere und Altere, Einwanderer und einheimische Amerikaner — verdienen ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien in und um Detroit herum, mit der Arbeit ihrer Hände, ihres Verstandes, wirklich ihrer ganzen Person. Und viele von euch leiden an den Problemen, die nicht selten für die Arbeitssituation in einem Industriegebiet charakteristisch sind. Deshalb möchte ich ein Thema behandeln, das mir, wie ihr wohl wißt, sehr am Herzen liegt. Dieses Thema heißt sozialer Fortschritt und die menschliche Entwicklung im Hinblick auf die Forderungen der Gerechtigkeit und auf die Errichtung einer dauernden Friedensordnung in den Vereinigten Staaten und der ganzen Welt. Sicherlich, liebe Freunde, aus Detroit und der ganzen Gegend, denke ich vor allem an euch, wenn ich solch ein Thema behandele — ihr, die ihr als Abbild Gottes geschaffen worden seid, die ihr durch das Blut des Erlösers losgekauft worden seid, die ihr Kinder Gottes und Brüder und Schwestern Christi seid, die ihr aus all diesen Gründen eine unvergleichbare Würde besitzt. Aber wenn ich euch anschaue, die ihr auf der Hart Plaza versammelt seid, sehe ich 1138 REISEN über euch hinaus alle Menschen dieses Landes und die Völker der ganzen Welt. Ich sehe alle Männer und Frauen, die wie ihr jeden Tag von neuem mit der Verpflichtung und der Herausforderung konfrontiert werden, mit ihrer eigenen Arbeit für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie zu sorgen. Arbeit meint jede Tätigkeit, ob manuell oder intellektuell, gleich welcher Art und unter welchen Umständen, mit der ein Mensch sein tägliches Brot verdient und zur Wissenschaft und zum Fortschritt, zur Zivilisation und zur Kultur beiträgt (vgl. Laborem exercens, Nr. 1). Menschliche Arbeit ist eine so grundlegende Dimension der menschlichen Existenz, daß man nicht darüber sprechen kann, ohne alle ihre Aspekte zu berühren. Gottes Plan weiterführen wird des Menschen Heil 2. Sozialer Fortschritt und menschliche Entwicklung sind die Sorge aller. Besondere Sorge bereiten sie der Kirche. Von Anfang an hat die Kirche sich bemüht, den ganzen Reichtum und die Botschaft, die Jesus Christus mit Worten und mit Taten verkündet hat, zu ermessen. Von dem Vater gesandt, um unser Menschsein anzunehmen und uns allen Rettung zu bringen, hat der Herr Jesus uns den Schlüssel zum Verständnis unseres Menschseins gegeben. Er lehrte uns über unsere Herkunft und unsere Bestimmung, die in Gott sind. Er lehrte uns den erhabenen Wert menschlichen Lebens und höchste Würde des Menschen, der als Abbild Gottes geschaffen wurde (vgl. Gen 1,27). Er lehrte uns; daß das menschliche Leben seine Erfüllung darin findet, Gott zu erkennen und zu lieben und unseren Nächsten im Maß der Liebe Gottes zu uns zu lieben. Er forderte uns auf, ihm nachzufolgen, seine Jünger zu werden. Er rief uns, in unseren Herzen belehrt zu werden, indem wir in das Geheimnis seines Leidens, seines Todes und seiner Auferstehung eindringen. Er offenbarte, daß wir bei der Vollendung der Schöpfung Gottes Mitarbeiter sind. Und er macht uns nun zu einem erwählten Volk, einer Gemeinschaft des Glaubens: mit einer Verpflichtung gegenüber seinem Reich. In der Treue zu Christus hat sich die Kirche bemüht, seine Botschaft durch die wechselnden Umstände im Lauf der Jahrhunderte hindurch auf alle: Bereiche des Lebens einwirken zu lassen, indem sie aus dem Erbe des Evangeliums „Neues und Altes“ hervorgeholt hat {Mt 13,52). Neue Herausforderungen, die das Leben jedes Menschen persönlich und das der Gesellschaft als ganzes betrafen, haben sich auf Schritt und Tritt auf dem Weg, den die Menschheit durch die Geschichte macht, gezeigt. Wenn das Volk Gottes versuchte, die Herausforderung anzunehmen, hat es sich immer der Botschaft Jesu zugewandt, um die Prinzipien und Werte zu entdecken, die Lösungen in Übereinstimmung mit der Würde und der Bestimmung des Menschen sichern wür- 1139 REISEN den. Durch ihre Geschichte hindurch hat die Kirche auf die Worte der Schrift gehört und versucht, sie inmitten verschiedener politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umstände in die Tat umzusetzen. Dies war eine wirklich gemeinschaftliche Bemühung. Einzelne Christen haben darum gerungen, der Anregung des Evangeliums in ihrem täglichen Leben treu zu sein; Forschungsstellen haben ihre Spezialstudien beigetragen; Gruppen und Vereinigungen haben Fragen von besonderem Interesse angesprochen; Gemeinschaften haben praktische Initiativen entwickelt; einzelne Bischöfe und Bischofskonferenzen haben Weisungen erteilt; das Lehramt der Kirche hat Erklärungen abgegeben und Dokumente herausgegeben. In einer ständigen gegenseitigen Einflußnahme hat die Kirche also eine Tradition des Denkens und praktische Richtlinien entwickelt, die man die Soziallehre der Kirche nennt. Diese Soziallehre fand in der letzten Zeit in Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils und in Schreiben der Päpste ihren Ausdruck, die systematisch die schnellen Veränderungen in der heutigen Gesellschaft betrafen. Auch heute sprechen die verschiedenen Gruppen des Volkes Gottes — entsprechend ihrer jeweiligen Berufung — weiterhin die gesellschaftlichen Probleme in ihren unterschiedlichen geschichtlichen und kulturellen Umfeldern an. 3. Heute, liebe Freunde, am letzten Tag meines zweiten ausgedehnten Besuchs in den Vereinigten Staaten von Amerika, möchte ich euch dringend bitten, euer persönliches Engagement bei der nie endenden Suche nach Gerechtigkeit und Frieden weiterzuführen. Geführt und angeleitet vom Lehramt der Kirche — das ist das Lehramt des Papstes und der Bischöfe in Gemeinschaft mit ihm — ist jeder von euch gerufen, einen Beitrag zu leisten. Jeder von euch muß als Werkzeug dienen, um eine Gesellschaftsordnung zu fördern, die die Würde des Menschen achtet und dem Gemeinwohl dient. Jeder von euch hat einen unersetzlichen Beitrag zur Sicherung einer Gesellschaftsordnung in Gerechtigkeit und Frieden zu leisten. In eurem Land hat heutzutage die Teilnahme an verschiedenen Ebenen des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Lebens das Bewußtsein für die einzigartige Würde jedes Menschen vertieft und gleichzeitig euer Verantwortungsgefühl euch und anderen gegenüber sehr verstärkt. Als Christen findet ihr in eurem Glauben einen tiefen Beweggrund für eure gesellschaftliche Verantwortung und euer Engagement. Laßt diese Stunde nicht verstreichen, ohne eure Verpflichtung zur Betätigung für soziale Gerechtigkeit und Frieden zu erneuern. Wendet euch hin zum Evangelium Jesu Christi, um eurem Entschluß, Werkzeuge des Gemeinwohls zu werden, Kraft zu geben! Lernt aus dem Evangelium, daß euch die Gerechtigkeit und der Friede Gottes anvertraut wurde. Wir sind nicht nur die 1140 REISEN Erbauer der Gerechtigkeit, wie sie den Maßstäben dieser Welt entspricht, sondern wir sind die Überbringer des Lebens Gottes, der selbst Gerechtigkeit und Frieden ist! Laßt eure Bemühungen, Gerechtigkeit und Frieden in allen Bereichen eures Lebens zu erreichen, ein Ausdruck der Liebe Gottes sein! In einer ähnlichen Umgebung wie dieser habe ich vor ungefähr acht Jahren im New Yorker Yankee-Stadion die Herausforderung des Evangeliums verkündet, die in dem Gleichnis von dem reichen Mann und Lazarus enthalten ist. Ihr kennt alle diese wunderbare Lektion gesellschaftlicher Verantwortung, die Jesus uns hinterlassen hat. Weil ich euren Glauben und eure Aufgeschlossenheit gegenüber Herausforderungen kenne, frage ich euch nun: Was habt ihr mit dem Gleichnis getan? Wie oft in den letzten acht Jahren habt ihr euch diesem Gleichnis zugewandt, um Anleitung für euer christliches Leben zu finden? Oder habt ihr es zur Seite gelegt und gedacht, daß es für euch oder die Situation in eurem Land nicht mehr von Bedeutung wäre? Nicht alle Entwicklungen dienen auch dem Fortschritt 4. In jeder modernen Gesellschaft, gleich wie fortgeschritten, wird es immer Situationen geben, manche alt und manche neu, die euren christlichen Sinn für Gerechtigkeit zur Tat rufen. Unser Herr hat gesagt: „Die Armen habt ihr immer bei euch“ {Mt 26,11). Ihr müßt deshalb die Armen in eurer Mitte entdecken. Es gibt Armut unter euch, wenn Alte und Schwache vernachlässigt werden und ihr Lebensstandard ständig sinkt. Es gibt Armut, wenn Krankheit der Familie den Ernährer wegnimmt. Es gibt materielle Not und Leiden in den Gebieten und gesellschaftlichen Gruppen, wo die Arbeitslosigkeit endemisch zu werden droht. In der Zukunft wird es die Armut jener geben, die nicht in den Genuß einer grundlegenden Ausbildung kommen. Einige moderne technologische Entwicklungen beinhalten die Möglichkeit neuer Not und Ungerechtigkeit und müssen deshalb Teil unserer Sorge sein. Die Einführung von Automaten, die rasche Entwicklung in der Kommunikation, die notwendige Anpassung industrieller Anlagen, die Notwendigkeit, neue Managementtechniken einzuführen — das sind nur einige der Faktoren, die, wenn sie nicht sorgfältig analysiert und auf ihren gesellschaftlichen Schaden hin überprüft werden, für viele übermäßige Not herbeiführen können, sei es vorübergehend oder auf Dauer. Dieses sind nur einige Gebiete, auf denen unsere gesellschaftliche Verantwortung herausgefordert ist. Andere schließen die Situation der Ehe und des Familienlebens ein und die Faktoren, die die ihnen zugrundeliegenden Werte bedrohen; der Respekt vor der Heiligkeit ungeborenen menschlichen Lebens, die Lage neu angekommener Einwanderer, offene und versteckte Erschei- 1141 REISEN nungsformen von Diskriminierung, die auf „ihrer Rasse, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer Kultur, ihres Geschlechts oder ihrer Religion“ beruhen (Octogesima adveniens, Nr, 16). Jede Gesellschaft wird im Maße der Sensibilität ihres sozialen Gewissens entdecken, wo es noch Fälle von Ungerechtigkeit oder Bedrohung des Friedens gibt oder wo sie potentiell gegenwärtig sind. Aber gerade der Versuch, einige der Herausforderungen im nationalen Bereich zu betrachten, bringt uns zu einer anderen wichtigen Überlegung, die den Fortschritt und die menschliche Entwicklung betrifft. Ich beziehe mich auf die internationale Dimension. 5. Ohne damit irgendwie anzudeuten, daß inländische und nationale Probleme nicht mehr vorhanden sind — und das sind sie ganz bestimmt —, wird es immer offensichtlicher, daß solche örtlichen oder nationalen Probleme und ihre Lösungen grundlegend mit grenzenübergreifenden Realitäten verbunden sind. Nicht nur haben Entscheidungen, die von einem Staat getroffen werden, Wirkungen in anderen Weltregionen, vielmehr kann die Lösung für viele nationale Probleme nicht länger anders als auf einer internationalen und sogar weltweiten Ebene gefunden werden. Alle größeren Probleme, die das Leben des Menschen in der Gesellschaft betreffen, sind Weltprobleme geworden. Jede Entscheidung, die auf politischem, wirtschaftlichem oder gesellschaftlichem Gebiet angestrebt wird, muß im Zusammenhang ihrer weltweiten Rückwirkungen betrachtet werden. Was nun die Überlegung über sozialen Fortschritt und menschliche Entwicklung sehr tiefgehend betrifft, ist die Tatsache der weltweiten gegenseitigen Abhängigkeit. Schon vor zwanzig Jahren, 1967, schrieb Papst Paul VI. ganz am Anfang seiner Enzyklika „Über die Entwicklung der Völker“ (Populorumprogressio): „Heute ist — darüber müssen sich alle klar sein — die soziale Frage weltweit geworden“ (Nr. 3). In den folgenden Jahren wurde dieser Satz Pauls VI. durch eine Reihe von Ereignissen bestätigt. In der politischen Szene gab es plötzlich den Fall, daß Völker nach jahrhundertelanger Fremdherrschaft und Abhängigkeit immer eindringlicher ihren rechtmäßigen Platz unter den Nationen und bei internationalen Entscheidungen forderten. Eine internationale wirtschaftliche Krise machte die Tatsache deutlich, daß es eine zunehmend voneinander abhängige Wirtschaft gibt. Die fortwährende Existenz von Millionen von Menschen, die an Hunger und Unterernährung leiden, und die wachsende Erkenntnis, daß die natürlichen Ressourcen begrenzt sind, machen deutlich, daß die Menschheit ein einziges Ganzes bildet. Luft- und Wasserverschmutzung bedrohen immer mehr däs empfindliche Gleichgewicht der Biosphäre, von der gegenwärtige und zukünftige Generationen abhängen, 1142 REISEN und lassen uns erkennen, daß wir alle eine gemeinsame ökologische Umwelt teilen. Die sofortige Kommunikation hat Finanzwesen und Handel in weltweiter Abhängigkeit verbunden. Die ärmeren Nationen der Welt neigen dazu, diese gegenseitige Abhängigkeit als fortdauerndes Modell wirtschaftlicher Beherrschung durch die stärker entwickelten Länder anzusehen, während die letzteren die gegenseitige Abhängigkeit manchmal als Eröffnung neuer Möglichkeiten für Handel und Export sehen. Die gegenseitige Abhängigkeit macht es eindeutig erforderlich, daß die Beziehungen zwischen Staaten in diesem Zusammenhang gesehen werden und daß die soziale Frage eine angemessene Ethik braucht. Niemand kann mehr sagen: „Laß andere sich um den Rest der Welt kümmern!“ Die Welt ist jeder von uns. 6. Als ich am 15. Juni 1982 zu den Teilnehmern der 68. Sitzung der Internationalen Arbeitsorganisation sprach, konnte ich feststellen: „Es gibt ein Gemeinwohl, das sich nicht mehr auf einen mehr oder weniger zufriedenstellenden Kompromiß zwischen besonderen Ansprüchen beschränken läßt. Neue sittliche Entscheidungen drängen sich auf; es muß ein neues Weltgewissen gebildet werden; jeder muß, ohne deshalb die Zugehörigkeit und Verwurzelung in seiner Familie, seinem Volk und seiner Nation noch die Verpflichtungen, die sich daraus ergeben, zu leugnen, sich als Glied dieser großen Familie, der Weltgemeinschaft sehen ... Das heißt, daß das weltweite Gemeinwohl der Welt eine neue Solidarität ohne Grenzen erfordert“ (vgl. 10). Die kirchliche Soziallehre sieht diese Solidarität als eine Folge unseres Glaubens. Es ist in der internationalen Wirklichkeit die Haltung derer, die das Gebot des Herrn beachten: „Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe“ (Joh 15,12). Es ist die Konsequenz unseres Glaubens an das Geheimnis der Schöpfung, daß Gott jeden Menschen nach seinem Abbild geschaffen hat. Jeder Mensch ist mit der gleichen fundamentalen und unveräußerlichen Würde ausgestattet. Jeder einzelne ist aufgerufen, diese grundlegende Gleichheit in der Einheit der menschlichen Familie anzuerkennen. Jeder ist eingeladen, die gemeinsame Bestimmung jedes anderen in Gott zu respektieren. Jeder ist gebeten anzuerkennen, daß die Güter der Erde von Gott allen zum Nutzen aller gegeben werden. Wer Christus nachfolgt, verpflichtet sich zu Solidarität Für den Jünger Christi ist die Solidarität eine moralische Pflicht, die von der geistigen Verbindung aller Menschen herrührt, die einen gemeinsamen Ursprung, eine gemeinsame Würde und eine gemeinsame Bestimmung teilen. 1143 REISEN Dadurch, daß Gott uns schuf, in Gesellschaft zu leben, in einem engen Netz von Beziehungen untereinander, und uns durch die Erlösung dazu berief, das Leben des Erlösers nicht nur als einzelne, sondern als Glieder eines pilgernden Volkes zu teilen, hat.Gott selbst unsere grundlegende gegenseitige Abhängigkeit geschaffen und uns zur Solidarität mit allen aufgerufen. Seine Lehre ist in einer unvergleichlichen wirkungsvollen Weise in dem Gleichnis vom Barmherzigen Samariter ausgedrückt, der sich des Mannes annahm, der halb tot am Rand der Straße von Jerusalem nach Jericho liegengelassen wurde. Wir alle reisen auf dieser Straße und sind versucht, auf der anderen Straßenseite vorüberzugehen. Sich auf den Samariter beziehend, der von Mitleid bewegt war, sagte Jesus seinen Zuhörern: „Geh und handle genauso“ (vgl. Lk 10,37). 7. Da ich zu euch über den sozialen Fortschritt und die menschliche Entwicklung spreche, fühle ich mich wegen der objektiven Notwendigkeit, eine weltweite Solidarität zu fördern, veranlaßt, die internationale Dimension zu betonen. Es gibt noch einen anderen Grund, warum ich mir heute des weiteren internationalen Schauplatzes besonders bewußt bin. Ihr wißt genau, daß der Bischof von Rom und der Heilige Stuhl internationale Aktivitäten genau verfolgen und deshalb ein besonderes Interesse für die Arbeit der Vereinten Nationen in New \ork haben. Ich hätte sehr gerne noch einmal ihren Sitz besucht, wie ich es 1979 getan habe und Papst Paul VI. 1965. Ich bedaure, dieses Mal nicht die freundliche Einladung annehmen zu können, die der Generalsekretär der Vereinten Nationen mir zu einem neuen Besuch ausgesprochen hat. Das Interesse der katholischen Kirche für diese internationale Organisation steht in Verbindung mit der Bedeutung der Fragen, die sie behandelt, und mit den Motiven, aus denen sie gegründet wurde. Für die Errichtung und Erhaltung einer gerechten und dauerhaften Friedensordnung zu arbeiten, ist ein Ziel, das Unterstützung und Mitarbeit verdient hat. In der Tat wurde die Organisation der Vereinten Nationen vor allem deshalb geschaffen — in dem hellen Tageslicht, das der lange, sich hinziehenden Nacht des Zweiten Weltkrieges folgte. Ich bete, daß sie trotz ihrer unvermeidlichen Unzulänglichkeiten immer wirksamer ihre einzigartige Rolle des Dienstes an der Welt ausfüllen kann — ein Dienst, den die Welt wirklich braucht. Gerechtigkeit erst nach Anerkennung der Grundrechte Die Vereinten Nationen behandeln Abrüstung und Rüstungskontrolle, die Kontrolle nuklearer Waffen in erster Linie, aber auch biologischer, chemischer und konventioneller Waffen. Ihre geduldige, gewissenhafte und manchmal sogar enttäuschende Arbeit an dieser Frage von größter Bedeutung für die 1144 REISEN Welt und alle ihre Menschen ist als Ansporn und Unterstützung der zweiseitigen Verhandlungen über Rüstungsreduzierung zwischen den Supermächten anerkannt und geschätzt. Diese Frage muß wirklich mit zuverlässiger Verbindlichkeit, höchster Klarheit und einem klaren Sinn für den Wert menschlichen Lebens und die Unversehrtheit der Schöpfung angegangen werden. Die Vereinten Nationen sind auch mit vielen anderen Bedingungen für wahren Frieden befaßt. Es ist hier angebracht, über einige von ihnen im Hinblick auf die internationale Dimension der sozialen Frage nachzudenken. Zuerst möchte ich die Sorge um die Menschenrechte herausgreifen. Ich bin sicher, ihr erinnert euch, daß die Vereinten Nationen vor mehr als vierzig Jahren die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aufgestellt haben. Die Grundidee dieses wichtigen Dokuments war die Erkenntnis, daß der Weg zu einer friedvollen und gerechten Welt notwendigerweise über den Respekt vor jedem Menschen führen muß, über die Definition und Anerkennung der menschlichen Grundrechte und über den Respekt vor den unveräußerlichen Rechten von einzelnen und von Völkergemeinschaften. Der Annahme der Allgemeinen Erklärung folgten im Laufe der Jahre viele Erklärungen und Konventionen über äußerst wichtige Aspekte der Menschenrechte, zugunsten von Frauen, Kindern, Behinderten, Gleichheit der Rassen und vor allem die zwei internationalen Pakte über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und über die staatsbürgerlichen und politischen Rechte, zusammen mit einem Zusatzprotokoll. 1981 hat die Generalversammlung auch eine feierliche Erklärung gegen j ede Form von religiöser Intoleranz angenommen. Den Vereinten Nationen muß in besonderer Weise zugute gehalten werden, daß sie die Kommission für Menschenrechte als Überwachungsorgan eingesetzt hat, um sorgfältig die positiven und die negativen Entwicklungen auf diesem Gebiet verfolgen zu können. Die Verpflichtung der Vereinten Nationen für die Menschenrechte geht Hand in Hand mit dem Einsatz für den Frieden. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die Mißachtung oder mangelnde Achtung der Menschenrechte, Unterdrückung der Schwachen, Diskriminierung wegen Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft, Rasse oder Religion Konflikte schaffen und den Frieden gefährden. Hier gilt wieder, daß das, was Menschen an irgendeinem Ort betrifft, alle Menschen überall angeht. Mit den verschiedenen Sondereinrichtungen und Programmen entfalten die Vereinten Nationen ihren pflichtgemäßen Einsatz für eine gerechtere Gesellschaft in der Welt. Diese Arbeit und Verpflichtung beinhalten den Kampf gegen Krankheit und Analphabetentum, Maßnahmen zugunsten von Frauen, den Schutz der Rechte von Kindern und Behinderten, die Entwicklung eines internationalen Rechts, die friedliche Nutzung der Atomenergie, den Schutz und die Erhaltung berühmter Monumente, die zum kulturellen Erbe der 1145 REISEN Menschheit gehören, die Verteidigung der Umwelt, den Kampf gegen Hunger, Unterernährung und Unterentwicklung und die Verteidigung der Obdachlosen. Kleine Fortschritte sind auch ein positives Zeichen 8. Die Existenz und die Tätigkeiten der Vereinten Nationen, ihre Leistungen und ihr Versagen, unterstreichen auf dramatische Weise die Notwendigkeit, die Autorität internationaler Institutionen im Dienst des weltweiten Gemeinwohls zu stärken. Es ist schon ein Zeichen großen Fortschritts, daß die Bedeutung weltweiter gesellschaftlicher Fragen und die Notwendigkeit wirksamer Maßnahmen für den Frieden allgemeiner anerkannt werden. Es ist auch ein Zeichen der Hoffnung, daß eine internationale Organisation, die von der großen Mehrheit der Staaten gebildet wird, mit den begrenzten Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen und ungeachtet interner und äußerer Schwierigkeiten versucht, das Bewußtsein für weltweite Probleme und ihre angemessenen Lösungen zu vertiefen. Es ist auch eine wunderbare Herausforderung für alle Völker und Nationen der Welt — jetzt, wo wir uns jeden Tag unserer gegenseitigen Abhängigkeit mehr bewußt werden — von den drängenden Forderungen einer neuen Solidarität aufgerufen zu werden, die keine Grenzen kennt. Jetzt, da wir uns der Schwelle des dritten christlichen Jahrtausends nähern, erhalten wir zum ersten Mal in der menschlichen Geschichte die einzigartige Chance, einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau einer wahren Weltgemeinschaft zu leisten. Das Bewußtsein, daß wir in einem gemeinsamen Schicksal verbunden sind, wird stärker; die Bemühungen von Männern und Frauen guten Willens, jenes Ziel zu erreichen, verstärken sich in einer Vielfalt von Tätigkeiten — politischen wie wirtschaftlichen, kulturellen wie sozialen. Menschen in allen Lebenssituationen und Ländern und genauso die Regierungen sind im Namen unseres gemeinsamen Menschseins, im Namen der Rechte jedes Menschen und im Namen der Rechte jeder Nation herausgefordert. Um hier Erfolg zu haben und die richtige Antwort auf die vielen Anforderungen zu geben, die die de facto bestehende gegenseitige Abhängigkeit der Staaten an den Sinn aller für Solidarität stellt, müssen wir ein gerechtes Gleichgewicht schaffen zwischen den Zwängen, die auf die Nationen von der gegenseitigen Abhängigkeit ausgehen, und dem Aufruf zur wirklichen Solidarität, der an alle Nationen gerichtet wird. Im Leben der Nation werden der soziale Fortschritt und die menschliche Entwicklung von dem Respekt vor den Rechten des Menschen gesichert. 1146 REISEN Gerade das Dasein des Menschen in Würde und seine rechtmäßige Teilnahme am Leben der Gemeinschaft werden von dem tiefen Respekt geschützt, den jeder vor der Würde und den Rechten jedes Mitmenschen hat. Genauso muß der Respekt vor den Rechten der Völker und Nationen das Bestehen jeder Nation in Freiheit schützen und so ihre gerechte und wirksame Teilhabe an allen Aspekten des internationalen Lebens ermöglichen. Ohne diese Voraussetzung würde es unmöglich sein, über Solidarität zu sprechen. Um einer weltumfassenden Solidarität fähig zu sein, müssen die Nationen zunächst die Menschenrechte ihrer Bürger achten und dann von ihren Staatsvölkern als der Ausdruck ihrer Souveränität anerkannt werden; zweitens müssen die Nationen die vollen Rechte der anderen Nationen achten und wissen, daß auch ihre Rechte als Nation nicht geleugnet werden. 9. Liebe Freunde, Amerika ist ein sehr mächtiges Land. Der Umfang und der Wert eurer Leistungen sind phantastisch. Kraft eurer einzigartigen Position als Bürger dieser Nation seid ihr vor eine Wahl gestellt, und ihr müßt wählen. Ihr könnt euch entscheiden, euch abzukapseln, die Früchte eurer eigenen Art von Fortschritt zu genießen und den Rest der Welt zu vergessen. Oder, da ihr euch immer mehr eurer Veranlagung und eurer Fähigkeit zu dienen bewußt werdet, könnt ihr wählen, im Einklang mit der Verantwortung zu leben, die eure eigene Geschichte und die eure Fähigkeiten euch auferlegen. Wenn ihr diesen letzten Weg wählt, erkennt ihr die gegenseitige Abhängigkeit an und entscheidet euch für die Solidarität. Dies, liebe Freunde, ist wirklich eine menschliche Berufung, eine christliche Berufung, und für euch als Amerikaner ist es eine ehrenvolle nationale Berufung. 10. Indem ich die Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit eines immer stärkeren sozialen Bewußtseins in unserer Zeit lenke, möchte ich die Aufmerksamkeit auch auf die Notwendigkeit des Gebetes lenken. Das Gebet ist die tiefste Anregung und Antriebskraft allen sozialen Bewußtseins. Als ich 1983 zu den amerikanischen Bischöfen sprach, stellte ich fest: „Es ist wirklich im Gebet, daß ein soziales Bewußtsein genährt und gleichzeitig bewertet wird. Es ist im Gebet, daß der Bischof zusammen mit seinem Volk über die Notwendigkeiten und Anforderungen des christlichen Dienstes nachdenkt ... Durch das Gebet erkennt die Kirche den ganzen Sinn der Worte Christi: „Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid; wenn ihr einander liebt“ (Joh 13,35). Es ist im Gebet, daß die Kirche die vielen Bedeutungen der Tatsache versteht, daß Gerechtigkeit und Barmherzigkeit „das Wichtigste im Gesetz“ sind {Mt 23,23). Durch das Gebet findet das Bemühen um Gerechtigkeit seinen angemessenen Beweggrund und seine Ermutigung und entdeckt 1147 REISEN und erhält wirklich wirksame Mittel“ (Ad-limina-Ansp rache am 3. Dezember 1983). Der Geist ist Voraussetzung zur Veränderung der Welt Schließlich wiederhole ich vor euch Katholiken aus Detroit und dieser ganzen Gegend die Worte, mit denen Paul VI. seine Botschaft an die „Call-to-Ac-tion“-Konferenz, die vor elf Jahren gerade in Detroit gehalten wurde, beendete: „In der Tradition der Kirche ist jeder Aufruf zur Tat zunächst ein Aufruf zum Gebet. Und so seid ihr zum Gebet gerufen, und vor allem zu einer größeren Teilhabe am eucharistischen Opfer Christi... In der Eucharistie findet ihr den wahren christlichen Geist, der euch befähigen wird hinauszugehen und in Christi Namen zu handeln.“ Und für euch alle, liebe Freunde, Menschen jeder Religion, Rasse und ethnischer Gruppe, erbitte ich Gottes Hilfe, damit ihr euch der umfassenden gegenseitigen Abhängigkeit immer bewußter und für die menschliche Solidarität immer empfänglicher werdet. Die Arbeit ist für den Menschen Predigt bei der Eucharistiefeier in Detroit (U.S.A.) am 19. September „Lebt so, wie es dem Evangelium Christi entspricht“ (Phil 1,27). Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Der Apostel Paulus richtet diesen Aufruf an die Christen von Philippi. Und heute wiederholt die Liturgie der Kirche diesen Appell an alle, die an Christus glauben. Da mein Besuch in eurem Lande zu Ende geht, ist es mir an diesem Abend eine besondere Freude, mit euch, Glieder der Kirche von Detroit, Besucher aus anderen Gebieten in Michigan, aus dem nahen Kanada und anderen Gegenden, über diese Worte nachzudenken. Seit den bescheidenen Anfängen der Gründung Detroits im Jahre 1701 ist die Verkündigung des Wortes Gottes in dieser Region ungebrochen vorangeschritten, trotz harter Zeiten und Rückschläge, und sie hat eine Reife erreicht und eine Fruchtbarkeit, wie sie sich die frühen Missionare nicht vorgestellt hatten. Viele Jahre trennen uns von der ersten Eucharistiefeier der Priester, die Cadillac, den Gründer Detroits, begleitet haben, und doch wissen wir, daß unsere Gemeinschaft im Leib und Blut Christi uns diesen Abend auch mit ihnen und mit allen, die uns im Glauben vorangegangen sind, verbindet. 1148 REISEN Mit euch danke ich Gott für den Mut, die Hingabe und die Beharrlichkeit von vielen Priestern, Ordensleuten und Laien, die während all dieser Jahre so hart gearbeitet haben, zunächst, um ihren Glauben mit den eingeborenen Amerikanern dieses Gebietes zu teilen, und dann, um den Glauben zu bewahren und auszubreiten unter denen, die von fast jeder Rasse und Nation sich hier niederließen. Ich danke auch mit euch für den unerschrockenen katholischen Glauben so vieler eurer Eltern und Großeltern, die nach Michigan gekommen sind, um Freiheit zu finden und ein besseres Leben für sich selbst und besonders für euch, eure Kinder und Kindeskinder aufzubauen. Wie immer der Weg gewesen sein mag, auf dem ihr das Geschenk eures katholischen Glaubens empfangen habt, ist er doch in gewisser Hinsicht denen zuzuschreiben, die euch vorausgegangen sind. Ihre Stimmen verbinden sich mit der des hl. Paulus, wenn er uns sagt: „Lebt als Gemeinde so, wie es dem Evangelium Christi entspricht.“ 2. Wir lesen diese Ermahnung heute abend im Licht des Gleichnisses des Evangeliums von den Arbeitern, die vom Gutsbesitzer in seinen Weinberg geschickt werden, nachdem er mit ihnen über den Tageslohn übereingekommen ist. Unser Herr lehrte oft in Gleichnissen wie diesem. Indem er Bilder aus dem täglichen Leben benutzte, führte er seine Zuhörer zu Einsichten über das Königreich oder die Herrschaft Gottes. Durch den Gebrauch von Gleichnissen konnte er ihren Geist und ihre Herzen von dem, was man sehen kann, erheben zu dem, was unsichtbar ist. Wenn wir uns daran erinnern, daß die Dinge dieser Welt bereits den Stempel von Gottes Königreich tragen, ist es nicht überraschend, daß die Bilderwelt der Gleichnisse so gut zur Botschaft des Evangeliums paßt. Einerseits ist der Weinberg, von dem Jesus spricht, eine irdische Realität, genau wie die Arbeit, die in ihm getan wird. Andererseits ist der Weinberg ein Bild für das Reich Gottes. Dieses Reich wird in den Evangelien als „Weinberg des Herrn“ beschrieben. Das Werk des Menschen als Bringschuld gegenüber Gott und dem Nächsten 3. Laßt uns einen Moment über die erste dieser Realitäten nachdenken, den irdischen Weinberg, als einen Ort der Arbeit, als einen Ort, wo ihr und ich unser tägliches Brot verdienen müssen. So sagte ich in der Enzyklika Laborem exercens: „Der Mensch muß arbeiten, einmal weil es ihm der Schöpfer aufgetragen hat, dann wegen seiner Menschennatur, für deren Erhaltung und Entwicklung die Arbeit erforderlich ist. Der Mensch schuldet die Arbeit auch seinen Mitmenschen, insbesondere seiner Familie, aber auch der Gesell- 1149 REISEN schaft, der er angehört, der Nation, deren Sohn oder Tochter er ist, der ganzen Menschheitsfamilie, deren Glied er ist: Erbe der Arbeit von Generationen und zugleich Mitgestalter der Zukunft derer, die im Ablauf der Geschichte nach ihm kommen werden“ (Nr. 16). Demgemäß betrachtet es die Kirche als ihre Aufgabe, die Aufmerksamkeit auf die Würde und die Rechte der Arbeiter zu konzentrieren, Verletzungen dieser Würde und dieser Rechte zu verurteilen und echtem menschlichen Fortschritt die Richtung zu weisen (vgl. La-borem exercens, Nr. 1). Das Ziel der Kirche ist es, die Menschheitsfamilie immer mehr in das Licht des Wortes Christi und durch seine Macht emporzuheben. Im Mittelpunkt der kirchlichen Lehre steht die Überzeugung, daß Menschen wichtiger sind als Dinge; daß die Arbeit für den Menschen gemacht ist und daß er nicht auf ein reines Produktionsinstrument reduziert werden darf; daß der Mensch nach dem bewertet werden muß, was er oder sie ist und nicht danach, was er oder sie besitzt (vgl. Laborem exercens, Nr. 6,12; Gaudium et spes, Nr. 35). Diese letzte Wahrheit erinnert uns besonders daran, daß die einzige Gabe, die wir Gott anbieten können und die seiner wahrhaft würdig ist, das Geschenk unserer selbst ist, wie die Botschaft des Gleichnisses im heutigen Evangelium uns erkennen läßt. 4. Diese Botschaft hat, wie ich sagte, mit einer geistigen Wirklichkeit zu tun, dem Königreich Gottes, auf das Jesus den Geist und die Herzen seiner Hörer hinlenken will. Er beginnt das heutige Gleichnis mit den Worten: „Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen sein Haus verließ, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben“ (Mt 20,1). Daß unser Herr über mehr spricht als nur über menschliche Arbeit und Löhne, sollte aus dem Handeln des Eigentümers und dem daraus entstehenden Konflikt mit den Arbeitern klar geworden sein. Der Gutsbesitzer weigert sich nicht, sich an die Lohnabsprache zu halten. Der Streit entsteht, weil er allen den gleichen Lohn gibt, ob der Arbeiter nun den ganzen Tag oder nur einen Teil des Tages gearbeitet hat. Jeder erhält die Summe, mit der er einverstanden war. So ist der Gutsbesitzer denen gegenüber großmütig, die zu spät gekommen waren, zur Entrüstung derer, die den ganzen Tag gearbeitet haben. Ihnen erscheint diese Großzügigkeit als Ungerechtigkeit. Und welche Antwort gibt der Gutsherr? „Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht machen, was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich (zu den anderen) gütig bin?“ (Mt 20,15). In diesem Gleichnis finden wir einen jener scheinbaren Widersprüche, jener Paradoxa, wie sie im Evangelium auftauchen. Es ergibt sich aus der Tatsache, daß das Gleichnis zwei verschiedene Ebenen beschreibt. Die eine ist die Ebene, auf der Gerechtigkeit an Dingen gemessen wird. Die andere Ebene gehört 1150 REISEN zum Reich Gottes, in dem die Art des Messens nicht die bloße Verteilung von Dingen ist, sondern das Geben eines Geschenkes, und, letztendlich, das größte von allen Geschenken: die Gabe seiner selbst. 5. Der Gutsbesitzer bezahlt die Arbeiter gemäß dem Wert ihrer Arbeit, und das entspricht einem Denar. Aber im Königreich Gottes ist Gott selbst die Bezahlung, der Lohn. Das ist es, was Jesus zu lehren versucht. Wo es um das Heil im Gottesreich geht, handelt es sich nicht um eine bloße Frage des Lohns, sondern der unverdienten Güte Gottes, der sich selbst als das größte Geschenk jedem mitteilt, der am göttlichen Leben durch die heiligmachende Gnade teilhat. Solch eine Vergütung oder Belohnung kann nicht mit materiellen Begriffen gemessen werden. Wenn jemand sich selbst schenkt, auch in menschlichen Beziehungen, kann dieses Geschenk nicht mengenmäßig gemessen werden. Die Gabe ist eine einzige und ungeteilte, weil die Person, die sich schenkt, einzig und ungeteilt ist. Wie können wir solch ein Geschenk empfangen? Die Antwort steht beim hl. Paulus. Seine Worte im Philipperbrief sind faszinierend: „Darauf warte und hoffe ich, daß ich in keiner Hinsicht beschämt werde, daß vielmehr Christus in aller Öffentlichkeit — wie immer — so auch jetzt — durch meinen Leib verherrlicht wird, ob ich lebe oder sterbe. Denn für mich ist Christus das Leben, und Sterben Gewinn“ (Phil 1,20 f.). Mit diesen Worten des heiligen Paulus befinden wir uns im Herzen jenes Maßstabes, der zum himmlischen Königreich gehört. Wenn wir ein Geschenk erhalten, müssen wir mit einem Geschenk antworten. Dem Geschenk Gottes in Jesus Christus, seinem Kreuz und seiner Auferstehung, können wir nur so wie Paulus antworten, mit dem Geschenk unserer selbst. Alles, was Paulus ist, ist enthalten im Geschenk seiner selbst: beides, sein Leben und sein Tod. Das Geschenk eines menschlichen Lebens kann nicht bloß bewertet werden in Begriffen der Anzahl von Stunden, die er in einem irdischen Weinberg verbracht hat. Der hl. Paulus und jeder, der ist wie er, weiß, daß man niemals an den Wert des Geschenkes heranreicht, das Gott uns mit sich selbst macht. Das einzige Maß, das sich anwenden läßt, ist das Maß der Liebe. Und das Maß der Liebe ist, wie der hl. Bernhard sagt, ohne Maß zu lieben (De Deligendo Deo 1,1). Das macht es dem Letzten möglich, der Erste zu sein und dem Ersten, der Letzte (vgl. Mt 20,16). 1151 REISEN Liebe, nicht meß- und wägbar, hat grenzenlose Möglichkeiten 6. Es gibt eine andere Begebenheit im Lukas-Evangelium, bei der Jesus zu einem der Pharisäer, der Anstoß am Verhalten einer bekannten Sünderin nimmt, sagt: „Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie (mir) so viel Liebe gezeigt hat“ (Lk 7,47). Wir. tun gut daran, über die Liebe im Herzen dieser Frau nachzudenken, die die Füße des Herrn mit ihren Tränen gewaschen und mit ihrem Haar abgetrocknet hat. Wir können uns den bitteren Kummer vorstellen, der sie zu einem derartig außergewöhnlichen Verhalten gebracht hat. Aber indem sie sich selbst demütig Gott hingab, entdeckte sie das viel größere und unverdiente Geschenk, von dem wir gesprochen haben, nämlich, daß Gott sich ihr selbst schenkte. Durch diesen Austausch von Geschenken fand die Frau sich selbst wieder, und jetzt war sie geheilt und wiederhergestellt. „Deine Sünden sind dir vergeben“, sagte Jesus zu ihr, „geh in Frieden!“ (Lk 7,48). Auch für uns, die wir Sünder sind, ist es viel zu einfach, unsere Liebe zu vergeuden, sie in falscher Weise zu gebrauchen. Und wie der Pharisäer, verstehen wir nicht so leicht die Macht der Liebe zu verwandeln. Nur in Leben, Tod und Auferstehung Christi erkennen wir, daß die Liebe das Maß aller Dinge im Reich Gottes ist, weil Gott die Liebe ist (i Joh 4,8). Völlig können wir die Liebe in diesem Leben nur durch Glaube und Büßfertigkeit erfahren. 7. „Lebt als Gemeinde so, wie es dem Evangelium Christi entspricht.“ Als Christen leben und arbeiten wir in dieser Welt, die durch den Weinberg symbolisiert wird, aber gleichzeitig sind wir dazu aufgerufen, im Weinberg des Herrn zu arbeiten. Wir leben dieses sichtbare irdische Leben und gleichzeitig das Leben des Königreiches Gottes, das die endgültige Bestimmung und Berufung jedes Menschen ist. Wie also müssen wir leben im Hinblick auf diese beiden Wirklichkeiten? Im Credo des Volkes Gottes, das mein Vorgänger, Papst Paul VI. gesprochen hat; finden wir eine Antwort auf diese Frage — eine Antwort, die den Glauben der Kirche im Lichte des Zweiten Vatikanischen Konzils wiedergibt, besonders in der Pastoralkonstitution für die Kirche in der modernen Welt: „Wir bekennen, daß Gottes Reich nicht von dieser Welt ist... und daß das ihm eigene Wachstum nicht mit dem Fortschritt der Zivilisation, der Wissenschaft und Technik gleichgesetzt werden darf, sondern darin besteht, immer tiefer den unergründlichen Reichtum Christi zu erkennen, immer zuversichtlicher auf die ewigen Güter zu hoffen, mit immer brennenderem Herzen der Liebe Gottes zu antworten ... Doch ist es dieselbe Liebe, die die Kirche bewegt, sich stets um das wahre zeitliche Wohl der Menschen zu sorgen. Unablässig erinnert sie einerseits ihre Kinder daran, daß ihnen hier auf Erden keine bleibende 1152 REISEN Wohnung beschieden ist, andererseits drängt sie sie dazu, daß jeder entsprechend seiner Berufung und seinen Möglichkeiten, zum Wohl seiner irdischen Heimat beiträgt... und seinen Brüdern, vor allem den Armen und Unglücklichen, hilft. Die stete Sorge der Kirche ... für die Not der Menschen, für ihre Freuden und Hoffnungen, für ihre Arbeiten und Mühen, ist nichts anderes als die große Sehnsucht, ihnen nahe zu sein, um sie zu erleuchten mit dem Lichte Christi und sie alle in ihm, ihrem alleinigen Heiland, zu vereinigen“ (Credo des Gottesvolkes, 30. Juni 1968). Liebe Brüder und Schwestern! Diese Worte sagen uns, was damit gemeint ist, zu leben gemäß dem Evangelium Christi, dem Evangelium, das wir gehört und geglaubt haben, und nach dem zu leben wir jeden Tag aufgefordert sind. In der heutigen Eucharistiefeier bringen wir unsere Arbeit, unsere Tätigkeiten, unser ganzes Leben dem Vater dar, durch seinen Sohn, Jesus Christus. Wir rufen Gott an, diese Gabe unserer selbst anzunehmen. 8. „Gerecht ist der Herr in allem, was er tut, voll Huld in all seinen Werken. Der Herr ist allen, die ihn anrufen, nahe, allen, die zu ihm aufrichtig rufen“ (ft 144/145, 17-18). In der ersten Lesung spricht der Prophet Jesaja im Namen des Herrn, der im Gleichnis dargestellt wird vom Gutsbesitzer. Der Herr sagt: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege ... So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege“ (Jes 55,8-9). Und daher, meine Brüder und Schwestern, „lebt so, wie es dem Evangelium Christi entspricht“, d. h. meßt die Dinge dieser Welt mit dem Maßstab des Königreiches Gottes. Nicht umgekehrt! Nicht umgekehrt! „Sucht den Herrn, solange er sich finden läßt, ruft ihn an, solange er nahe ist“ {Jes 55,6). Er ist nahe! Der Herr ist nah! Das Königreich Gottes ist in uns! Amen. 1153 REISEN Amerika — schütze das Leben Abschiedswort vor der Abreise aus Detroit (U.S.A.) am 19. September Herr Vizepräsident, Liebe Freunde, liebes Volk von Amerika! 1. Wieder einmal hat Gott mir die Freude geschenkt, einen Pastoralbesuch in eurem Land, den Vereinigten Staaten von Amerika, machen zu dürfen. Ich bin erfüllt von Dankbarkeit ihm und euch gegenüber. Ich danke dem Vizepräsidenten für seine Gegenwart hier, und ich danke euch allen aus ganzem Herzen für die Freundlichkeit und warme Gastfreundschaft, die ich überall erfahren habe. Doch kann ich nicht scheiden, ohne auch all jenen meinen Dank auszusprechen, die so hart gearbeitet haben, um diesen Besuch möglich zu machen. Besonders danke ich meinen Brüdern im Bischofsamt und allen ihren Mitarbeitern, die durch viele Monate hindurch alle Einzelheiten der letzten zehn Tage geplant und organisiert haben. Meine Dankbarkeit gilt auch all denen, die für die Sicherheit gesorgt und eine ausgezeichnete öffentliche Ordnung gewährleistet haben. Ich danke allen, die gearbeitet haben, um aus diesem Besuch vor allem einen Anlaß zu fruchtbarer Evangelisierung und einer von Gebet getragenen Feier unserer Einheit in Glaube und Liebe zu machen. Sehr dankbar bin ich den Menschen anderer Kirchen und Glaubensauffassungen und allen Amerikanern guten Willens, die mich persönlich oder durch die Medien bei meiner Reise von Stadt zu Stadt begleitet haben. Ein besonderes Wort des Dankes gilt den Männern und Frauen der Medien für ihr ständiges und gewissenhaftes Bemühen, meine Botschaft dem Volk zu vermitteln, und deren Unterstützung, Millionen von Menschen erreichen zu können, mit denen ich sonst keinen Kontakt bekommen hätte. Ich bin besonders all jenen gegenüber dankbar, die mich durch ihre Gebete unterstützt haben, zumal die Alten und Kranken, die dem Herzen Jesu Christi so teuer sind. Bei meinem Abschied danke ich Gott auch für das, was Er in eurer Mitte vollbringt. Mit den Worten des hl. Paulus kann auch ich beteuern, „daß er, der bei euch das gute Werk begonnen hat, es auch vollenden wird bis zum Tag Christi Jesu“ {Phil 1,6-7). So vertraue ich auch darauf, daß sich Amerika immer mehr seiner Verantwortung für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bewußt wird. Als eine Nation, die so viel empfangen hat, ist es zur ununterbrochenen Hochherzigkeit und Dienstbereitschaft anderen gegenüber aufgerufen. 1154 REISEN 2. Bei meinem Scheiden nehme ich lebhafte Erinnerungen an eine dynamische Nation mit, an ein warmherziges und aufnahmebereites Volk und eine Kirche, die überreich gesegnet ist mit einer reichen Mischung von kulturellen Überlieferungen. Ich scheide mit Bewunderung für den ökumenischen Geist, der kräftig durch dieses Land weht, für die echte Begeisterung eurer Jugendlichen und die hoffnungsvollen Erwartungen eurer zuletzt eingetroffenen Einwanderer. Ich trage das unvergeßliche Andenken an ein Land mit mir, das Gott von Anfang an bis heute reich gesegnet hat. Amerika ist schön! So singt ihr in einem eurer patriotischen Lieder. Ja, Amerika, du bist in der Tat schön und in so vielfacher Weise gesegnet: 1 In der Majestät der Gebirge und der Fruchtbarkeit der Ebenen, im Guten und im Opferbringen — verborgen in euren zahlreichen Städten und wachsenden Vorstädten, in eurer großen Erfindungsgabe und in eurer Aufgeschlossenheit dem Fortschritt gegenüber, in der Kraft, die ihr für den Dienst an anderen einsetzt und in dem Wohlstand, den ihr mit anderen teilt, in dem, was ihr euren Landsleuten bietet, und in dem, was ihr für andere jenseits eurer Grenzen tut, im Wie eures Dienstes und des Hütens der Flamme der Hoffnung in vielen Herzen, in eurem Streben nach hervorragenden Leistungen und in eurem Wunsch, alles Falsche zu berichtigen. Ja, Amerika, dies alles gehört zu dir. Deine größte Schönheit und dein reichster Segen liegt aber in der menschlichen Person: in jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind, in jedem Einwanderer, in jedem im Land selber geborenen Kind, Sohn oder Tochter. 3. Aus diesem Grund, Amerika, zeigt sich deine tiefste Identität und dein wahrster Charakter als Nation in deiner Einstellung gegenüber der menschlichen Person. Der entscheidende Test deiner Größe ist die Art, wie du jedes menschliche Wesen behandelst, zumal die Schwächsten und Schutzlosesten. Die bedeutendsten Überlieferungen deines Landes setzen Achtung vor jenen voraus, die sich nicht selber verteidigen können. Wenn du gleiche Gerechtigkeit für alle willst, wahre Freiheit und dauernden Frieden, dann, Amerika, schütze das Leben! All die großen Dinge, die du heute besitzest, haben nur in dem Maße Wert, wie du das Recht auf Leben garantierst und die menschliche Person schützest, indem du: Die Armen speisest und Flüchtlinge willkommen heißest; das soziale Geflecht dieses Landes stärkst; den echten Fortschritt der Frau förderst; die Rechte der Minderheiten sicherst; nach Abrüstung strebst, aber die berechtigte Verteidigung sicherstellst. 1155 REISEN AU dies kann nur Erfolg haben, wenn die Achtung vor dem Leben und sein gesetzlicher Schutz gesichert sind für jedes menschliche Wesen, von seiner Empfängnis an bis zu seinem natürlichen Tod. Jede menschliche Person — gleichgültig, wie verwundbar oder hilflos sie sein mag, wie jung oder wie alt sie ist, ganz gleich, wie gesund, behindert oder krank sie vor uns steht, wie nützlich oder produktiv sie für die Gesellschaft sein kann — ist ein Wesen von unschätzbarem Wert, geschaffen nach dem Bild und Gleichnis Gottes. Die Würde Amerikas, sein Seinsgrund, die Bedingung für sein Überleben, ja der letzte Test für seine Größe bestehen darin: jede menschliche Person zu achten, zumal die Schwächsten und Schutzlosesten wie etwa die Ungeborenen. Mit diesen Gefühlen der Liebe und der Hoffnung für Amerika verabschiede ich mich nun mit den Worten, die ich schon früher einmal gebraucht habe: „Mein letztes Gebet heute ist daher dieses: Gott segne Amerika, so daß es in wachsendem Maße werden — und wahrhaft sein — und lange bleiben kann — ,Eine Nation, unter Gott, unteilbar. Mit Freiheit und Gerechtigkeit'für alle“1 (7. Oktober 1979). Gott segne euch alle! Gott segne Amerika! Die Kirche verteidigt die Würde des Menschen Ansprache an die Einheimischen in Fort Simpson (Kanada) am 20. September „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (Rom 1,7). Liebe eingeborenen Brüder und Schwestern! 1. Zunächst möchte ich euch sagen, wie glücklich ich bin, bei euch, den Eingeborenen von Kanada, weilen zu dürfen, in diesem schönen Land von De-nendeh. Ich bin erst von jenseits des Ozeansgekommen, und jetzt komme ich von den Vereinigten Staaten her, um bei euch zu sein. Und ich weiß, daß auch viele von euch weither gekommen sind — aus der eisigen Arktis, aus den Prärien und Wäldern, aus allen Teilen dieses ausgedehnten und schönen Landes Kanada .Vor drei Jahren konnte ich meinen Besuch bei euch nicht zu Ende führen, und so freute ich mich auf den Tag, an dem ich zurückkehren und das nachholen konnte. Heute ist es soweit. Ich komme jetzt wie damals als der Nachfolger des Apostels Petrus, den der Herr zur Sorge für seine Kirche auserwählt hat als „immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der 1156 REISEN Glaubenseinheit und der Gemeinschaft“ {Lumen gentium, Nr. 18). Es ist meine Aufgabe, im Liebesbund den Vorsitz zu führen und berechtigte Verschiedenheit zu schützen, um gleichzeitig darauf zu achten, daß die Vielfalt die Einheit nicht hindert, sondern vielmehr ihr forderlich ist (vgl. ebd.'i Nr. 13). Um die Worte des hl. Paulus anzuwenden, bin ich „Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, auserwählt, das Evangelium Gottes zu verkünden“ (Rom 1,1). Wie der hl. Paulus möchte ich euch und der ganzen Kirche in Kanada verkünden: „Ich schäme mich des Evangeliums nicht: Es ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt“ (Rom 1,16). 2. Ich komme ferner zu euch wie so manche Missionare vor mir, die den Namen Jesu unter der eingeborenen Bevölkerung von Kanada — den Indianern, den Inuit und den Metis — verkündet und gelernt haben, euch sowie die geistigen und kulturellen Schätze eurer Lebensweise zu lieben. Sie haben Hochachtung für euer Erbe, eure Sprachen und eure Gewohnheiten gezeigt (vgl. Ad gentes, Nr. 26). Wie ich bei Gelegenheit meines vorhergehenden Besuches erwähnte, verdankt ihr „das wunderbare Wiederaufleben eurer Kultur und eurer Tradition, das ihr heute erlebt, in großem Maß der Pionierarbeit und der dauernden Arbeit der Missionare“ (Ansprache in Yellow Knife“, September 1984, Nr. 2). Inder Tat bleiben die Missionare „eure besten Freunde, weil sie ihr Leben dem Dienst an euch widmen, weil sie das Wort Gottes verkünden“ (ebd.). Ich komme ebenfalls als Freund zu euch. 3. Einen solch konstruktiven Dienst erwartet Jesus von seinen Jüngern. Es war auch immer die Absicht der Kirche, wenn sie an jedem Ort und in der Geschichte eines jeden Volkes präsent werden wollte. Als der Glaube zum erstenmal den eingeborenen Bewohnern dieses Landes gepredigt wurde, „wurden die würdigen Traditionen der Indianerstämme von der Botschaft des Evangeliums bereichert. (Eure Vorväter) wußten instinktiv, daß das Evangelium, weit davon entfernt, ihre echten Werte und Bräuche zu zerstören, die Kraft hatte, das kulturelle Erbe, das ihnen zugefallen war, zu reinigen und zu erheben ... So ist das Christentum nicht nur wichtig für die indianischen Völker, sondern Christus ist selbst in den Gliedern seines Leibes Indianer“ (Ansprache in Shrine Field, Huronia, Ontario, 15. September 1984, Nr. 5). In diesem Geist der Hochachtung und missionarischer Dienstbereitschaft wiederhole ich, was ich bei Gelegenheit meines vorherigen Besuches gesagt habe, daß mein Kommen zu euch nämlich auf eure Vergangenheit zurückblickt, um eure Würde zu verkünden und mich für euer Geschick einzusetzen. Heute wiederhole ich diese Worte an euch und an alle Völker der Ureinwohner Kanadas und der ganzen Welt. Die Kirche tritt für die gleiche Würde aller 1157 REISEN Menschen ein und verteidigt ihr Recht auf Beibehaltung ihrer kulturellen Eigenart mit ihren besonderen Traditionen und Bräuchen. 4. Ich bin mir bewußt, daß die größeren Organisationen der Eingeborenen — die Versammlung der Ersten Nationen, die Tapirisat der Inuit von Kanada, der Nationalrat der Metis und der Eingeborenenrat von Kanada — auf hoher Ebene Gespräche mit dem Premierminister und Präsidenten geführt haben über Wege zum Schutz und zur Ausdehnung der Rechte der Eingeborenen von Kanada in der Verfassung dieses großen Landes. Ich bete mit euch, daß eine neue Gesprächsrunde Fortschritte bringt und mit Gottes Führung und Hilfe ein Weg zü einer gerechten Übereinkunft als Krönung aller bisherigen Bemühungen gefunden wird. Diese Bemühungen wurden ihrerseits von den katholischen Bischöfen Kanadas und den Führern der größeren christlichen. Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften unterstützt. Gemeinsam haben sie zu einem „Neuen Bund“ aufgerufen, um eure Grundrechte als Urbevölkerung zü sichern. Heute bete ich, daß der Heilige Geist euch allen hilft, einen gerechten Weg zu finden, so daß Kanada ein Vorbild für die Welt sein kann, wenn es darum geht, die Würde der Eingeborenen aufrechtzuerhalten. Laßt mich daran erinnern, daß zu Anfang der Präsenz der Kirche in der Neuen Welt mein Vorgänger Paul HL im fahre 1537 die Rechte der eingeborenen Bevölkerung jener Zeit verkündet hat. Erbetonte ihre Würde, verteidigte ihre Freiheit und stellte fest, daß sie nicht versklavt oder ihrer Güter und ihres Eigentums beraubt werden dürfte. Dies war immer die Einstellung der Kirche (vgl. Pastorale officium, 29. Mai 1537; Derizinger/Schönmetzer 1495). Meine Anwesenheit heute unter euch bedeutet meine Bekräftigung und neue Betonung dieser Lehre. Solidarische Hilfe, die Lebensmöglichkeiten der Eingeborenen zu mehren 5. Zwischen der Lehre des Evangeliums Jesu Christi und der menschlichen Entwicklung bestehen enge Verbindungen. In seiner berühmten Enzyklika über die Entwicklung der Völker, überdachte Papst Paul VI. diese Wirklichkeit vor dem Hintergrund der tiefen Sehnsüchte von Völkern in der ganzen Welt nach Freiheit und Entwicklung. Nach seinen Worten besteht das Grundverlangen der Völker überall darin: „mehr handeln, mehr erkennen, mehr besitzen, um mehr zu sein“ (Populorum progressio, Nr. 6). Ist das nicht auch der tiefste Wunsch der Indianer, der Metis und Inuit in Kanada? Mehr zu sein. Dies ist eure Bestimmung und zugleich die Aufgabe, die vor euch liegt. Und heute bin ich hergekommen, um euch zu versichern, daß die Kirche auf eurer 1158 REISEN Seite steht und bestrebt ist, eure Entwicklung als Eingeborene zu fördern. Ihr Missionspersonal und ihre Einrichtungen versuchen, mit euch für dieses Anliegen zu wirken. Mehr haben kann den Blick auf das Wesentliche verstellen 6. Zugleich appelliert die Kirche gemäß den Weisungen Christi und belehrt durch die Geschichte an alle Entwicklungsvölker überall, die Vorstellung vom menschlichen Fortschritt nicht auf das Suchen nach materiellem Wohlergehen, auf Kosten des religiösen und geistigen Wachstums, zu beschränken. Weise schreibt Paul VI.: „Die Entfaltung des einzelnen und der Gemeinschaft wäre in Frage gestellt, wenn die wahre Hierarchie der Werte abgebaut würde. Das Streben nach dem Notwendigen ist rechtens, und die Arbeit, es zu beschaffen, ist Pflicht... Doch mehr haben ist weder für die Völker noch für den einzelnen das letzte Ziel“ (ebd., Nr. 18-19). Es gibt andere Werte, die für das Leben und die Gesellschaft wesentlich sind. Jedes Volk besitzt eine Kultur, die es von den Vorfahren übernommen hat. Dazu gehören Institutionen, die ihre Lebensweise hervorgerufen hat, mit ihrem künsterlischen, kulturellen und religiösen Ausdruck. Die in diesen Wirklichkeiten enthaltenen echten Werte dürfen nicht materiellen Überlegungen geopfert werden. „Ein Volk, das dazu bereit wäre, verlöre das Beste seiner selbst, es gäbe, um zu leben, den Grund seines Lebens hin“ (Populorumprogressio, Nr. 40). Was Christus vom einzelnen sagt, gilt auch für die Völker: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber seine Seele verliert?“ (Mt 16,26). Was würde aus dem Leben der Indianer, der Inuit und der Metis werden, wenn sie aufhörten, die Werte des menschlichen Geistes zu pflegen, die sie über Generationen hinweg hochgehalten haben? Wenn sie die Erde und ihre Güter nicht länger als ihnen vom Schöpfer anvertraute Gabe sähen? Wenn die Bande des Familienlebens geschwächt werden und Unbeständigkeit ihre Gesellschaftsgruppen untergräbt? Wenn sie fremde Denkweisen übernehmen, in denen die Menschen bewertet werden nach dem, was sie haben, und nicht nach dem, was sie sind? Die Seele der einheimischen Bevölkerung von Kanada hungert nach dem Geist Gottes, weil sie hungert nach Gerechtigkeit, Frieden, Liebe, Güte, Tapferkeit, Verantwortung und menschlicher Würde (vgl. Redemptor Hominis, Nr. 18). Heute ist wahrlich eine entscheidende Zeit in eurer Geschichte. Es ist wichtig, daß ihr geistig stark und hellsichtig seid beim Aufbau der Zukunft eurer Stämme und Nationen. Seid gewiß, daß die Kirche an eurer Seite geht. 1159 REISEN 7. Durch mein Kommen zu euch wollte ich eure Würde als Eingeborene betonen. In herzlicher Sorge um eure Zukunft lade ich euch ein, euer Vertrauen auf Gott zu erneuern, der die Geschicke aller Völker lenkt. Der ewige Vater hat seinen Sohn gesandt, um uns das Geheimnis unseres Lebens in dieser Welt zu offenbaren und das Geheimnis unseres Pilgerweges zum kommenden ewigen Leben hin. Im Ostergeheimnis von Tod und Auferstehung Jesu Christi sind wir mit Gott und untereinander versöhnt worden. Jesus Christus ist unser Friede (vgl. Eph 2,14). Möge „der Gott Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater der Herrlichkeit euch“ — den Eingeborenen von Kanada — „den Geist der Weisheit und Offenbarung (geben), damit ihr ihn erkennt. Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid“ {Eph 1,17-18). In der Liebe unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus segne ich jeden einzelnen von euch und bete um den Frieden und das Glück eurer Familien, eurer Gruppen und Nationen. Gott sei mit euch allen! Gottes Reich — ein Reich der Gerechtigkeit Predigt in Fort Simpson (Kanada) am 20. September „Sucht den Herrn, solange er sich finden läßt, ruft ihn an, solange er nahe ist“ (Jes 55,6). Liebe Brüder und Schwestern! 1. Lange haben wir auf diese Stunde gewartet. Fast genau drei Jahre ist es her, seit mein Besuch in Denendeh durch die Wetterverhältnisse verhindert wurde. So hat uns Gott schließlich heute zusammengeführt und uns die Gnade geschenkt, die Eucharistiefeier des 25. Sonntags im Jahreskreis zu begehen. In französischer Sprache sagte der Papst: Ich begrüße meine Brüder im Bischofsamt, zumal Bischof Croteau von dieser Diözese Mackenzie-Fort Smith, die Priester, Ordensleute und Laien. Ich bin dankbar für die Präsenz Ihrer Exzellenz, der Generalgouverneur in, und der Vertreter des öffentlichen Lebens in Kanada. Besonders freut es mich, die Angehörigen der Stämme und Nationen treffen zu können, die Nachkommen der ersten Einwohner dieses Landes sind, und die wiederholt die Hoffnung ausgesprochen haben, ich möchte doch kommen, und die nun bei diesem festlichen 1160 REISEN Anlaß in großer Zahl versammelt sind. Ich spreche dem Verband der Ersten Nationen der Inuit Tapirisat von Kanada, dem Nationalrat der Metis und dem Eingeborenenrat von Kanada meine Wertschätzung aus für ihre Zusammenarbeit bei der Vorbereitung dieses Besuches. Ich grüße euch alle in der Liebe unseres Herrn Jesus Christus. Erneut verkündige ich eure Würde als Menschen und Christen, und ich unterstütze euch bei dem Bestreben, eure zeitliche und ewige Bestimmung zu erreichen. In englischer Sprache sagte der Papst: 2. „Sucht den Herrn, solange er sich finden läßt, ruft ihn an, solange er nahe ist“ (Jes 55,6). Diese Worte aus der ersten Lesung sind eine dringende Einladung, eure Gedanken auf den Vater zu richten, von dem alle guten Gaben her-kommen, er möge weiter euer Schicksal als Eingeborene auf den Weg des Friedens lenken, versöhnt mit allen anderen, und euch wirksame Solidarität von Seiten der Kirche und der Gesellschaft für die Erreichung eurer legitimen Rechte erfahren lassen. Unzählige Generationen lang habt ihr, die Eingeborenen, in einem Verhältnis des Vertrauens zum Schöpfer gelebt, habt erkannt, daß die Schönheit und der Reichtum des Landes von seiner gütigen Hand stammen und suchtet, sie weise zu gebrauchen und zu erhalten. Heute ringt ihr darum, eure Überlieferungen zu bewahren und eure Rechte als Eingeborene abzusichem. Angesichts dieser Verhältnisse gewinnt die heutige Liturgie eine tiefe Bedeutung. 3. Der Prophet Jesaja spricht zu einem Volk, das die Leiden der Verbannung erfährt und nach einer Neugeburt ausschaut, zumal einer Erneuerung des Geistes durch die Wiedergeburt ihrer Kultur und ihrer Überlieferungen. Er versucht, sie zu trösten und sie bei ihrem Bemühen zu stärken, indem er sie daran erinnert, daß der Herr ihnen nicht fern ist (vgl. Jes 55,6-9). Doch wo finden wir ihn? Wie können wir in Gottes Gegenwart leben? Der Prophet nennt drei Schritte, um die Präsenz Gottes in unserer persönlichen und gemeinschaftlichen Erfahrung zu entdecken. Er sagt zunächst: „Ruft ihn an.“ Ja, wir finden den Herrn im Gebet. Wenn ihr vertrauensvoll zu ihm ruft, werdet ihr entdecken, daß er nahe ist. Doch das Gebet muß aus einem reinen Herzen kommen. Daher ruft der Prophet zur Bekehrung auf: „Kehrt um zum Herrn ... zu unserem Gott, denn er ist groß im Verzeihen“ (Jes 55,7). Ferner werden wir aufgefordert, unser Leben umzuformen, indem wir lernen, auf den Wegen des Herrn zu gehen: „So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken (Jes 55,9). Der Bund 1161 REISEN zwischen Gott und seinem Volk wird ständig erneuert, wenn es sein erbar-mungsvolles Verzeihen anruft und seine Gebote hält. Gott ist unser Gott, und wir sind mehr und mehr sein Volk. Die Liebe Gottes verteilt nicht nach Marktgesetzen 4. Im Evangelium spricht Jesus vom Eigentümer eines Besitztums, der zu verschiedenen Stunden ausgeht, um Arbeiter für sein Land anzuwerben (vgl. Mt 20,1-16). Das Gleichnis schildert die unbegrenzte Großzügigkeit Gottes, der sich darum sorgt, die Bedürfnisse aller Menschen zu befriedigen. Der Landeigentümer hat Mitleid mit den Armen — in diesem Fall den Arbeitslosen — und deswegen zahlt er den Arbeitern nicht nur einen Lohn nach den Gesetzen des Marktes, sondern nach den wirklichen Bedürfnissen eines jeden. Leben in Gottes Reich gründet sich auf einen echten Sinn für Solidarität, für Teilen und Gemeinschaft. Sein Reich ist das Reich der Gerechtigkeit, des Friedens und der Liebe. Unsere Aufgabe bleibt es, eine Gesellschaft aufzubauen, in der diese Werte des Evangeliums auf jede konkrete Situation und jedes Beziehungsverhältnis angewandt werden. 5. Heute bildet dieses Gleichnis vom Arbeiten in Gottes Weinberg eine wirkliche Aufforderung für die eingeborenen Nationen und Gemeinschaften. Als Eingeborene steht ihr vor einer sehr großen Aufgabe, nämlich die religiösen, kulturellen und sozialen Werte zu fördern, die eure menschliche Würde hoch-halten und euer zukünftiges Wohlergehen sichern. Euer Sinn fürs Teilen, euer Verständnis für die in der Familie verwurzelte menschliche Gemeinschaft, die hoch eingeschätzten Beziehungen zwischen euren älteren und jüngeren Leuten, eure geistliche Sicht der Schöpfung, die zu verantwortlicher Sorge und zum Schutz der Umwelt aufruft — all diese überlieferten Aspekte eurer Lebensweise müssen bewahrt und gepflegt werden. Dieses Bemühen um euer eigenes Leben als Eingeborene schließt in keiner Weise eure Offenheit für die größere Gemeinschaft aus. An der Zeit sind Versöhnung und ein neues Verhältnis gegenseitiger Hochachtung und Zusammenarbeit, um wirklich gerechte Lösungen für ungelöste Probleme zu errei-chen. 6. Vor allem bete ich, mein Besuch möchte eine Zeit des Trostes und der Ermunterung für die Gemeinschaften von Katholiken unter euch sein. Die Pionierarbeit der Missionare, denen die Kirche erneut ihre tiefe und bleibende Dankbarkeit ausspricht, hat unter euch lebendige Gemeinschaften des Glaubens und des christlichen Lebens entstehen lassen. Eure Aufgabe ist es, im 1162 REISEN Leben der Kirche aktiver zu werden. Ich verstehe, daß Bischof Croteau und die übrigen Bischöfe des Nordens nach Wegen suchen, um die örtlichen Kirchen mit neuem Leben zu erfüllen, so daß ihr immer wirksamere Zeugen für Gottes Reich der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens, des Verzeihens und der menschlichen Solidarität werdet. Meine lieben Freunde, Indianer, Inuit und Metis, ich rufe euch alle auf, zumal die Jugendlichen, verantwortliche Aufgaben zu übernehmen und eure Talente zum Aufbau der Kirche unter euren Volksgruppen einzusetzen. Ich bitte alle Älteren, Führer und Eltern, Berufungen zum Priester- und Ordensstand zu ermuntern und zu unterstützen. Auf diese Weise wird die Kirche immer mehr in euren eigenen Kulturen daheim sein sowie eure überlieferten Werte und Kulturen evangelisieren und kräftigen. 7. Liebe Brüder und Schwestern, ich bin heute hergekommen, um vor euch Jesus Christus zu verkünden und euch zu sagen, daß er euer Freund und euer Heiland ist. In seinem Namen und in der Liebe des Guten Hirten wiederhole ich die Worte aus der zweiten Lesung: „Lebt so, wie es dem Evangelium Christi entspricht“ (Phil 1,27). Tut ihr das, so wird Christus in all eurem Tun verherrlicht (vgl. Phil 1,20), und sein Friede wird in euren Herzen herrschen. Wir werden gleich unser Taufversprechen erneuern. Dies ist ein feierlicher Augenblick. Wenn wir die Sünde und das Böse verwerfen und unser Vertrauen auf die Kraft der Heilsgeheimnisse Christi erneuern, bekräftigen wir in der Tat unseren Bund mit Gott. Er ist unser Gott, und wir sind sein Volk. Wenn wir uns dann weiter auf Gottes Wege einlassen, möge uns die geistliche Freude Mariens, der Mutter des Erlösers und unserer Mutter im Glauben, erfüllen. Mögen ihre Worte auch die tiefsten Empfindungen unserer Herzen aussprechen: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter ... Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig“ (Lk 1,46-47.49). Amen. 1163 III. Ansprachen, Predigten, Botschaften und Rundschreiben BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Entwicklung und Solidarität: zwei Schlüssel zum Frieden Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages am 1. Januar 1. Ein Aufruf an alle ... Mein Vorgänger Papst Paul VI. hat alle Menschen guten Willens dazu aufgerufen, am ersten Tag eines jeden bürgerlichen Jahres einen Weltfriedenstag zu begehen, als Hoffnung und Versprechen zugleich, daß „Frieden die Entwicklung der Zukunft bestimmen werde“ (AAS 59, 1967, S. 1098). Zwanzig Jahre danach erneuere ich diesen Aufruf, indem ich mich an jedes Mitglied der Menschheitsfamilie wende. Ich lade euch ein, zusammen mit mir über den Frieden nachzudenken und den Frieden zu feiern. Inmitten von Schwierigkeiten — wie wir sie heute kennen — den Frieden zu feiern, bedeutet, unser Vertrauen auf die Menschheit zu bekunden. Aufgrund dieses Vertrauens richte ich meinen Aufruf an jedermann, in der Zuversicht, daß wir gemeinsam lernen können, den Frieden als eine universale Sehnsucht aller Völker der Welt zu feiern. Wir alle, die wir diese Sehnsucht teilen, können so eins werden in unseren Gedanken und Bemühungen, den Frieden zu einem Ziel zu machen, das von allen für alle erreicht werden kann. Das Thema, das ich für die Botschaft dieses Jahres gewählt habe, ist von dieser tiefen Wahrheit über die Menschheit angeregt worden: Wir sind eine einzige Menschheitsfamilie. Allein durch unsere Geburt in diese Welt hinein haben wir mit jedem anderen Menschenwesen zusammen ein gemeinsames Erbe und dieselbe Abstammung. Diese Gemeinsamkeit entfaltet sich in allem Reichtum und aller Vielfalt der Menschenfamilie: in verschiedenen Rassen, Kulturen, Sprachen und geschichtlichen Wegen. Und wir sind aufgerufen, die elementare Solidarität der Menschheitsfamilie als die grundlegende Bedingung für unser Zusammenleben auf dieser Erde anzuerkennen. Das Jahr 1987 bedeutet auch den 20. Jahrestag der Veröffentlichung von Popu-lorum progressio. Diese berühmte Enzyklika Pauls VI. war ein feierlicher Aufruf zur Zusammenarbeit für eine umfassende Entwicklung der Völker (Vgl.Populorumprogressio, Nr. 5). Der Satz Pauls VI.: „Entwicklung ist der neue Name für Frieden“ (ebd., Nr. 76 u. 87) stellt ein Schlüsselwort dar für unsere Suche nach dem Frieden. Kann wahrer Frieden bestehen, wenn Männer, Frauen und Kinder nicht in voller menschlicher Würde leben können? Kann es einen dauerhaften Frieden in einer Welt geben, die von sozialen, wirtschaflichen und politischen Verhältnissen beherrscht wird, die eine 1167 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gruppe oder Nation zum Schaden einer anderen begünstigen?. Kann echter Frieden errichtet werden ohne eine wirksame Anerkennung jener wundervollen Wahrheit, daß wir alle gleich sind an Würde, gleich, weil geformt nach dem Bild Gottes, der unser Vater ist? 2. ... zum Nachdenken über Solidarität... Diese Botschaft zum 20. Weltfriedenstag ist eng mit der Botschaft verbunden, die ich im letzten Jahr über das Thema „Nord-Süd, Ost-West: ein einziger Friede“ an die Welt gerichtet habe. In jener Botschaft sagte ich: „Die Forderung, die Einheit der Menschheitsfamilie ernstzunehmen, wirkt sich sehr konkret auf unser Leben und unseren Einsatz für den Frieden aus. Das bedeutet vor allem, daß wir ... uns einer neuen Solidarität verpflichten, der Solidarität mit der ganzen Menschheitsfamilie... eine neue Beziehung... soziale Solidarität mit allen“ (Nr. 4). Die soziale Solidarität der Menschheitsfamilie anzuerkennen, bringt die Verpflichtung mit sich, auf dem aufzubauen, was uns miteinander verbindet . Das bedeutet, die gleiche Würde aller Menschen mit bestimmten grundlegenden und unveräußerlichen Menschenrechten wirksam und ausnahmslos zu fordern. Das berührt alle Bereiche unseres individuellen Lebens ebenso wie unser Leben in der Familie, in der Volksgemeinschaft, zu der wir gehören, und in der Welt. Sobald wir wirklich begreifen, daß wir Brüder und Schwestern in einer gemeinsamem Menschheit sind, dann können wir unsere Einstellungen zum Leben im Licht der Solidarität formen, die uns eint. Das gilt in besonderer Weise für alles, was mit jenem grundlegenden und universalen Projekt zu tun hat: dem Frieden. Im Leben von uns allen hat es Augenblicke und Ereignisse gegeben, die uns in bewußter Anerkennung der einen Menschheit miteinander verbunden haben. Seitdem . wir zum erstenmal Bilder der Erde vom Weltraum her sehen konnten, ist es zu einem deutlichen Wandel im Verständnis unseres Planeten in seiner unermeßlichen Schönheit und Gefährdung zugleich gekommen. Mit Hilfe der Ergebnisse der Weltraumforschung wurde uns deutlich, daß der Ausdruck „gemeinsames Erbe der gesamten Menschheit“ von da nn einen neuen Sinn bekommen hat. Je mehr wir unsere künstlerischen und kulturellen Reichtümer miteinander teilen, umso mehr entdecken wir unser gemeinsames Menschsein. Vor allem junge Menschen haben ihren Sinn für Einheit durch regionale und weltweite sportliche oder ähnliche Unternehmungen vertieft und dadurch ihre brüderlichen und schwesterlichen Bindungen gestärkt. 1168 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3. ... wie sie bereits verwirklicht wird ... Wie oft haben wir in den letzten Jahren zugleich die Gelegenheit gehabt, als Brüder und Schwestern die Hand auszustrecken, um Menschen zu helfen, die von Naturkatastrophen getroffen waren oder unter Krieg und Hunger litten. Wir sind Zeugen eines wachsenden gemeinsamen Verlangens — über politische, geographische oder ideologische Grenzen hinweg —, den benachteiligten Mitgliedern der Menschheitsfamilie zur Hilfe zu kommen. Das so tragische und noch immer fortdauernde Leiden unserer Brüder und Schwestern in den Gegenden Afrikas südlich der Sahara führt bereits weltweit zu Formen und Projekten dieser Solidarität unter den Menschen. Von den zwei Gründen, die mich im Jahre 1986 bewegten, den Internationalen Friedenspreis „Papst Johannes XXIII.“ an das thailändische Katholische Büro für Katastrophenhilfe und Flüchtlinge (COERR) zu verleihen, war der erste dieser, daß dadurch die Aufmerksamkeit der Welt auf die ständige Not jener, die sich gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen, gelenkt werden konnte; und der zweite Grund war, den Geist der Zusammenarbeit hervorzuheben, den soviele Gruppen — katholische und auch andere — bei ihrer Antwort auf die Bedürfnisse dieser hartgeprüften heimatlosen Menschen bewiesen haben. Ja, Geist und Herz des Menschen können mit großer Hilfsbereitschaft auf die Leiden anderer antworten, und sie tun es auch bereits. In dieser Antwort können wir eine wachsende Verwirklichung sozialer Solidarität entdecken, die in Wort und Tat bezeugt, daß wir eins sind, daß wir diese Einheit anerkennen müssen und daß diese ein wesentliches Element für das Gemeinwohl der einzelnen und der Völker darsteilt. Diese Beispiele zeigen, daß wir in vielfältiger Weise Zusammenarbeiten können und es auch bereits tun und daß wir durch solches Zusammenwirken das Gemeinwohl fördern können. Wir müssen jedoch noch mehr tun. Wir müssen eine positive Grundeinstellung zur Menschheit und zu den Beziehungen einnehmen, die uns mit jeder Person und jeder Gruppe in der Welt verbinden. Hierbei können wir dann allmählich erkennen, wie die Verpflichtung zur Solidarität mit der ganzen Menschheitsfamilie ein Schlüssel zum Frieden ist. Projekte, die das Wohl der Menschheit oder den guten Willen unter den Völkern fördern, sind bereits ein Schritt zur Verwirklichung von Solidarität. Das Band von Sympathie und Liebe, das uns dazu bewegt, den Leidenden zu helfen, macht auf andere Weise unsere Einheit offenbar. Aber die zugrundeliegende Herausforderung an uns alle besteht darin, eine Haltung von sozialer Solidarität mit der ganzen Menschheitsfamilie zu erlangen und allen sozialen und politischen Situationen mit einer solchen Haltung zu begegnen. 1169 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN So haben zum Beispiel die Vereinten Nationen das Jahr 1987 zum Internationalen Jahr des Schutzes für die Heimatlosen erklärt. Auf diese Weisen lenken sie die Aufmerksamkeit auf einen Bereich großer Sorge und fordern eine Haltung der Solidarität — menschlich, politisch und wirtschaftlich — mit Millionen von Familien, denen die wesentliche Umgebung für ein angemessenes Familienleben fehlt. 4. ... und wie sie behindert wird Leider gibt es auch zahlreiche Beispiele für Hindernisse auf dem Weg zur Solidarität, für politsche und ideologische Einstellungen, die den Aufbau von Solidarität tatsächlich behindern. Solche Einstellungen oder politischen Programme übersehen oder leugnen die grundlegende Gleichheit und Würde der menschlichen Person. Dabei denke ich insbesondere an: — eine Fremdenfeindlichkeit, die Nationen in sich selbst abkapselt oder Regierungen dazu bringt, diskriminierende Gesetze gegen Menschen in ihren Ländern zu erlassen; — das Schließen der Grenzen in einer willkürlichen und ungerechtfertigten Weise, so daß Menschen effektiv die Möglichkeit genommen wird, an einen anderen Ort zu ziehen und ihr Los zu verbessern, sich mit ihren Angehörigen zu vereinen oder einfach ihre Familie zu besuchen oder sich mit Verständnis und Sorge um andere zu kümmern; — Ideologien, die Haß oder Mißtrauen predigen, Systeme, die künstliche Barrieren errichten. Rassenhaß, religiöse Intolleranz, Klassenschranken sind nur allzu gegenwärtig in vielen Gesellschaften, und das in offener wie auch in versteckter Weise. Wenn führende Politiker solche Aufspaltungen zu staatsinternen Systemen oder politischen Strategien im Verhältnis zu anderen Nationen machen, dann stoßen solche Vorurteile an den Kern menschlicher Würde. Sie werden zu einer mächtigen Quelle von Gegenmaßnahmen, welche Spaltung, Feindschaft, Unterdrückung und Kriegsstimmung noch verstärken. Ein weiteres Übel, das in diesem vergangenen Jahr den Menschen soviel Leid und Zerstörung gebracht hat, ist der Terrorismus. Zu all diesem bietet wirkliche Solidarität ein Gegenmittel . Wenn nämlich das wesentliche Merkmal der Solidarität in der grundlegenden Gleichheit aller Männer und Frauen zu finden ist, dann ist jegliche Politik, die der elementaren Würde und den Menschenrechten jeder Person oder Gruppe von Personen widerspricht, eine Politik, die zu verwerfen ist. Dagegen sind politische Initiativen und Programme zu fordern, die offene und aufrichtige Beziehungen zwischen den Völkern hersteilen, gerechte Bündnisse in die Wege leiten und Menschen in ehrlicher Zusammenarbeit vereinen. Solche Maßnahmen über- 1170 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sehen nicht die wirklichen sprachlichen, rassischen, religiösen, sozialen oder kulturellen Unterscheide zwischen den Völkern; noch leugnen sie die großen Schwierigkeiten bei der Überwindung langfristiger Spaltungen und Ungerechtigkeiten. Aber sie geben den Elementen, die verbinden, den Vorrang, wie klein auch immer sie erscheinen mögen. Dieser Geist der Solidarität ist offen für den Dialog. Er findet seine Wurzeln in der Wahrheit, und er bedarf selber der Wahrheit, um sich zu entfalten. Es ist ein Geist, der eher aufzubauen als zu zerstören, eher zu vereinen als zu entzweien sucht. Da Solidarität in ihrer Tendenz universal ist, kann sie viele Formen annehmen. Regionale Abkommen, um das Gemeinwohl zu fördern und bilaterale Verhandlungen zu ermutigen, können dazu dienen, Spannungen abzubauen. Der Austausch von Technologie oder Informationen, um Katastrophen abzuwenden oder die Lebensqualität von Menschen in einem bestimmten Gebiet zu verbessern, wird zur Solidarität beitragen und weitere Maßnahmen auf einer umfassenderen Ebene erleichtern. 5. Überlegungen zur Entwicklung ... Vielleicht bedarf es in keinem anderen Sekor menschlicher Bemühungen mehr der sozialen Solidarität als im Bereich der Entwicklung. Vieles von dem, was Paul VI. vor zwanzig Jahren in seiner Enzyklika, der wir hier gedenken, gesagt hat, trifft besonders heute zu. Er sah mit großer Klarheit, daß die soziale Frage weltweit geworden ist (vgl. Populorumprogressio, Nr. 3). Er war unter den ersten, die die Aufmerksamkeit auf die Tatsache gelenkt haben, daß wirtschaftlicher Fortschritt in sich selbst ungenügend ist; es bedarf zugleich des sozialen Fortschritts (vgl. ebd., Nr. 35). Vor allem hat er betont, daß die Entwicklung ganzheitlich sein muß, das heißt die Entwicklung einer jeden Person und der ganzen Person (vgl. ebd., Nr. 14-21). Dies war für ihn vollkommener Humanismus: die umfassende Entwicklung der Person in all ihren Dimensionen und offen für das Absolute, das „dem menschlichen Leben den wahren Sinn gibt“ {ebd.). Solch ein Humanismus ist das gemeinsame Ziel, das für jeden angestrebt werden soll. „Es kann keinen Fortschritt auf die vollkommene Entfaltung des Menschen hin geben“, so sagte er, „ohne dib gleichzeitige Entwicklung der ganzen Menschheit im Geist der Solidarität“ {ebd., Nr. 43). Jetzt, zwanzig Jahre später, möchte ich dieser Lehre Pauls VI. meine Hochachtung bezeugen. Unter den veränderten Umständen von heute sind diese tiefen Einsichten, besonders hinsichtlich der Bedeutung solidarischer Gesinnung für die Entwicklung, immer noch gültig und werfen ein helles Licht auf neue Herausforderungen. 1171 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 6. ... und zu ihren Anwendungen heute Wenn wir über die Verpflichtung zur Solidarität auf dem Gebiet der Entwicklung nachdenken, dann ist die erste und grundlegende Wahrheit diejenige, daß Entwicklung eine Frage ist, die es mit Menschen zu tun hat. Menschen sind das Subjekt echter Entwicklung, und Menschen sind auch das Ziel echter Entwicklung. Die ganzheitliche Entwicklung der Menschen ist Ziel und Maß aller Entwicklungsprojekte. Daß alle Menschen im Mittelpunkt der Entwicklung steheri, ist eine Folgerung aus der Einheit der Menschheitsfamilie; und das ist so, unabhängig von allen technischen oder wissenschaftlichen Entdeckungen, die es in Zukunft noch geben mag. Menschen müssen das Zentrum von allem sein, was getan wird, um die Lebensbedingungen zu verbessern. Menschen müssen in jedem echten Entwicklungsprozeß aktiv handelnde und nicht nur passiv empfangende sein. Ein weiteres Prinzip für eine Entwicklung im Geist der Solidarität ist die Notwendigkeit, solche Werte zu fördern, die den einzelnen und der Gesellschaft von wirklichem Nutzen sind. Es ist nicht genug, sich der Notleidenden anzunehmen und ihnen beizustehen. Wir müssen ihnen helfen, die Werte zu entdecken, die sie befähigen, ein neues Leben aufzubauen und in Würde und Gerechtigkeit ihren rechtmäßigen Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Alle Menschen haben das Recht, nach dem, was gut und wahr ist, zu streben und es auch zu erlangen. Alle haben das Recht, jene Dinge zu wählen, die ihr Lebensniveau anheben; und das Leben in der Gesellschaft ist dabei keineswegs moralisch neutral. Soziale Entscheidungen haben Konsequenzen, die das wahre Wohl der Person in der Gesellschaft entweder fordern oder vermindern. Im Bereich der Entwicklung, besonders der Entwicklungshilfe, sind Programme angeboten worden, die den Anspruch erheben, „wertfrei“ zu sein, in Wirklichkeit aber Gegenwerte zum Leben darstellen. Wenn man Regierungsprogramme oder Hilfsmaßnahmen betrachtet, die Gemeinschaften oder Länder indirekt zwingen, antikonzeptionelle Programme und Abtreibungspläne als Preis für wirtschaftliches Wachstum hinzunehmen, dann muß deutlich und mit Nachdruck gesagt werden, daß solche Angebote die Solidarität der Menschheitsfamilie verletzen, weil sie die Werte menschlicher Würde und Freiheit leugnen. Was von der persönlichen Entfaltung durch die Wahl von Werten gilt, die das Leben vervollkommenen, das gilt auch von der Entwicklung der Gesellschaft. Was immer wahre Freiheit verhindert, richtet sich gegen die Entwicklung der Gesellschaft und der sozialen Einrichtungen. Ausbeutung, Drohungen, gewaltsame Unterdrückung, Verweigerung von Entwicklungsmöglichkeiten durch einen Gesellschaftssektor gegenüber einem anderen 1172 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sind unannehmbar und widersprechen dem wahren Begriff menschlicher Solidarität. Solche Maßnahmen mögen innerhalb einer Gesellschaft und zwischen Nationen eine Zeitlang leider erfolgreich erscheinen. Je länger jedoch solche Bedingungen bestehen, um so wahrscheinlicher werden sie zu Ursachen von weiterer Unterdrückung und wachsender Gewalttätigkeit. Der Same der Zersetzung ist schon in der institutionalisierten Ungerechtigkeit ausgesät. Irgendeinem Bereich einer bestimmten Gesellschaft oder irgendeiner Nation die Mittel für eine erfolgreiche Entwicklung zu verweigern, kann nur zu Unsicherheit und sozialer Unruhe führen. Es erzeugt Haß und Spaltung und zerstört die Hoffnung auf Frieden. Die Solidarität, die eine ganzheitliche Entwicklung fördert, besteht in allem, was den legitimen Frieden jeder Person und die berechtigte Sicherheit jeder Nation schützt und verteidigt. Ohne diesen Frieden und diese Sicherheit fehlen die eigentlichen Bedingungen für die Entwicklung. Nicht nur einzelne Menschen, sondern auch Nationen müssen imstande sein, sich an den Entscheidungen zu beteiligen, die sie selbst betreffen. Die Freiheit, die Nationen haben müssen, um ihr Wachstum und ihre Entwicklung als gleichwertige Partner in der Völkerfamilie sicherzustellen, hängt von ihrer gegenseitigen Achtung ab. Das Streben nach wirtschaftlicher, militärischer oder politischer Überlegenheit auf Kosten der Rechte anderer Nationen setzt alle Projekte für echte Entwicklung oder für wahren Frieden aufs Spiel. 7. Solidarität und Entwicklung: zwei Schlüssel zum Frieden Aus diesen Gründen habe ich vorgeschlagen, daß wir in diesem Jahr Solidarität und Entwicklung als Schlüssel zum Frieden bedenken. Jede dieser Wirklichkeiten hat ihre eigene besondere Bedeutung. Beide sind erforderlich für die Ziele, die wir anstreben. Solidarität ist von Natur aus ethisch, weil sie die Bejahung von Werten für die Menschheit als solche einschließt. Darum ist ihre Bedeutung für das menschliche Leben auf diesem Planeten und für die internationalen Beziehungen ebenfalls von ethischer Qualität: Unsere gemeinsamen menschlichen Bande fordern, daß wir in Harmonie Zusammenleben und das fördern, was füreinander gut ist. Diese ethische Bedeutung ist der Grund, warum Solidarität ein wesentlicher Schlüssel zum Frieden ist. Im selben Licht erhält auch Entwicklung ihre volle Bedeutung. Es geht bei ihr nicht mehr länger nur darum, gewisse Situationen oder wirtschaftliche Verhältnisse zu verbessern. Entwicklung wird letztlich zu einer Frage des Friedens; denn sie hilft zu erreichen, was für die anderen und für die menschliche Gemeinschaft insgesamt gut ist. 1173 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Im Zusammenhang echter Solidarität besteht keine Gefahr der Ausbeutung oder des Mißbrauchs von Entwicklungsprogrammen zum Nutzen von nur wenigen. Vielmehr wird Entwicklung so zu einem Prozeß, der verschiedene Mitglieder der gleichen menschlichen Familie einbezieht und sie alle bereichert. Wie Solidarität uns die ethische Grundlage für unser Handeln gibt, so wird Entwicklung zu einem Angebot, das der Bruder seinem Mitbruder macht, so daß beide voller leben können in aller Verschiedenheit und Komplementarität, die die Wertzeichen menschlicher Zivilisation darstellen. Aus dieser Dynamik erwächst die harmonische „Ruhe der Ordnung“, die wahrer Friede ist. Inder Tat, Solidarität und Entwicklung sind zwei Schlüssel zum Frieden. 8. Einige moderne Probleme ... Viele der Probleme, denen sich die Welt am Beginn das Jahres 1987 gegenübersieht, sind tatsächlich vielschichtig und erscheinen beinahe unlösbar. Dennoch , wenn wir an die Einheit der menschlichen Familie glauben, wenn wir betonen, daß Frieden möglich ist, können unsere gemeinsamen Überlegungen über Solidarität und Entwicklung als Schlüssel zum Frieden viel Licht auf diese schwierigen Fragen werfen. Gewiß könnte das anhaltende Problem der Auslandsschulden vieler Entwicklungsländer mit neuen Augen betrachtet werden, wenn alle Beteiligten diese ethischen Überlegungen gewissenhaft in die vorzunehmende Abwägung und die vorzuschlagenden Lösungen einbeziehen würden. Viele Aspekte dieser Frage — Protektionismus, Rohstoffpreise, Prioritäten bei den Geldanlagen, Einhaltung der übernommenen Verpflichtungen wie auch die Berücksichtigung der inneren Lage der Schuldnerländer — würden davon Nutzen haben, wenn man in Solidarität jene Lösungen sucht, die eine stabile Entwicklung fördern. Im Bezug auf Wissenschaft und Technik zeigen sich neue und gewaltige Unterschiede zwischen den technologisch Besitzenden und den Habenichtsen. Solche Ungleichheiten fördern nicht den Frieden und die harmonische Entwicklung, sondern verstärken vielmehr schon bestehende ungleiche Verhältnisse. Wenn Menschen das Subjekt der Entwicklung sind und das Ziel, auf das sie ausgerichtet ist, wird ein offeneres Teilen anwendbarer technologischer Errungenschaften mit technologisch weniger entwickelten Ländern zu einem ethischen Imperativ der Solidarität; ebenso auch die Weigerung, solche Länder zum Versuchsgebiet für zweifelhafte Experimente oder zu einem Abladeplatz für fragwürdige Produkte zu machen. Internationale Behörden und verschiedene Staaten unternehmen in diesen Bereichen bemerkenswerte Anstrengungen. Solche Anstrengungen sind ein wichtiger Beitrag für den Frieden. 1174 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Jüngste Beiträge über die wechselseitige Beziehung zwischen Abrüstung und Entwicklung — zwei der bedrängendsten Probleme, die die Welt heute herausfordern — weisen auf die Tatsache hin, daß die gegenwärtigen Ost-West-Span-nungen und das Nord-Süd-Gelalle ernsthafte Bedrohungen für den Weltfrieden darstellen. Es wird zunehmend deutlich, daß eine friedvolle Welt, in der die Sicherheit der Völker und Staaten garantiert ist, tatkräftige Solidarität im Bemühen um Entwicklung und Abrüstung zugleich verlangt. Alle Staaten erfahren mit Sicherheit die Konsequenzen der Armut anderer Staaten; allen Staaten gereicht es ebenso sicher zum Schaden, wenn bei den Abrüstungsverhandlungen Ergebnisse ausbleiben. Auch können wir die sogenannteh örtlich begrenzten Kriege nicht vergessen, die einen hohen Tribut an menschlichem Leben fordern. Alle Staaten haben Verantwortung für den Weltfrieden, und dieser Friede kann erst dann sicher sein, wenn die Sicherheit, die auf Waffen beruht, stufenweise ersetzt wird durch eine Sicherheit, die auf der Solidarität mit der Menschheitsfamilie beruht. Noch einmal, ich rufe zu weiteren Anstrengungen auf, die Waffen auf das notwendige Minimum für eine berechtigte Verteidigung zu reduzieren, wie auch zu verstärkten Maßnahmen, um den Entwicklungsländern zu helfen, selbständig zu werden. Nur so kann die Staatengemeinschaft in wahrer Solidarität leben. Es gibt noch eine andere Bedrohung für den Frieden, die weltweit die Wurzeln selbst jeder Gesellschaft schwächt: der Niedergang der Familie, Die Familie ist die Urzelle der Gesellschaft. Die Familie ist der erste Ort, wo Entwicklung stattfmdet oder eben nicht stattfindet. Wenn sie heil und gesund ist, dann sind die Möglichkeiten für die allseitige Entwicklung der ganzen Gesellschaft groß. Dies ist jedoch allzu oft nicht der Fall. In zu vielen Gesellschaften ist die Familie auf einen zweitrangigen Platz abgedrängt worden. Sie wird von verschiedenen Formen der Einmischung in ihrer Bedeutung relativiert, und oft findet sie im Staat nicht jenen Schutz und jene Hilfe, die sie braucht. Nicht selten ist sie der ihr zustehenden Mittel beraubt, auf die sie ein Anrecht hat, damit sie gedeihen und eine Atmosphäre schaffen kann, in der ihre Mitglieder aufleben können. Das Vorkommen von zerbrochenen Familien, von Familienmitgliedern, die des Überlebens wegen zur Trennung gezwungen oder nicht einmal imstande sind, ein Obdach zur Familiengründung oder den Unterhalt für ihre Familien zu finden, das alles sind Zeichen von moralischer Unterentwicklung und von einer Gesellschaft, deren Wertordnung verwirrt ist. Ein grundlegender Maßstab für die Gesundheit eines Volkes oder einer Nation ist das Gewicht, das sie den Bedingungen für die Entwicklung der Familien beimessen. Bedingungen, die für die Familien segensreich sind, fördern die Harmonie von Gesellschaft und Nation, und diese wiederum stärken den Frieden zu Hause und in der Welt. 1175 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wir sehen heute schreckliche Bilder von kleinen Kindern, die verlassen sind oder gezwungen, auf Arbeitssuche zu gehen. Wir finden Kinder und Jugendliche in Slums und in großen unpersönlichen Städten, wo sie nur dürftigen Unterhalt und wenig oder keine Hoffnung für die Zukunft finden. Der Niedergang der Familienstruktur, die Zersplitterung ihrer Mitglieder besonders der jungen Leute, und die daraus folgenden Krankheiten, von denen sie befallen sind — Drogenmißbrauch, Alkoholismus, flüchtige und sinnleere sexuelle Beziehungen, Ausbeutung durch andere — sind alles Gegenzeichen zur Entwicklung der ganzen Personen, die durch die soziale Solidarität der Menschheitsfamilie gefördert wird. In die Augen einer anderen Person zu schauen und darin die Hoffnungen und Ängste eines Bruder und einer Schwester zu sehen, heißt, die Bedeutung von Solidarität zu entdecken. 9. ... eine Herausforderung für uns alle Auf dem Spiel steht dabei der Friede: der bürgerliche Friede innerhalb der Nationen und der Weltfriede zwischen den Staaten (vgl. Populorumprogressio, Nr. 55). Papst Paul VI. sah dies klar bereits vor zwanzig Jahren. Er erkannte die innere Verbindung zwischen den Forderungen der Gerechtigkeit in der Welt und der Möglichkeit von Frieden für die Welt. Es ist kein bloßer Zufall, daß gerade im Jahr der Veröffentlichung des Rundschreibens Populorum progressio auch der jährliche Weltfriedenstag eingeführt wurde, eine Initiative, die ich gern fortgeführt habe. Paul VI. hat bereits den Kern der diesjährigen Überlegungen über Solidarität und Entwicklung als Schlüssel zum Frieden ausgedrückt, wenn er feststellte: „Der Friede besteht nicht einfach im Schweigen der Waffen, im immer schwankenden Gleichgewicht der Kräfte. Er muß Tag für Tag aufgebaut werden in Richtung auf eine von Gott gewollte Ordnung, die auch eine vollkommenere Gerechtigkeit unter den Menschen einschließt“ (ebd., Nr. 76). 10. Die Verpflichtung der Gläubigen und insbesondere der Christen Wir alle, die an Gott glauben, sind überzeugt, daß diese harmonische Ordnung, nach der sich alle Völker sehnen, nicht allein durch menschliche Anstrengungen kommen kann, so notwendig diese auch sind. Dieser Friede — der persönliche Friede mit sich selbst und der Friede mit den anderen — muß gleichzeitig in Gebet und Meditation gesucht werden. Wenn ich das sage, steht vor meinen Augen und ruht in meinem Herzen die tiefe Erfahrung des kürzlichen Weltgebetstages für den Frieden in Assisi. Religiöse Führer und Vertreter der christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften und der Weltreligionen bekundeten dort ihre lebendige Solidarität in Gebet und Medi- 1176 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN tation für den Frieden. Es war eine sichtbare Verpflichtung von seiten jedes Teilnehmers — und der vielen anderen, die sich geistig mit uns vereinten — , den Frieden suchen, Friedensstifter zu sein, alles denkbar Mögliche in tiefer Gemeinschaft des Geistes zu tun, um für eine Gesellschaft zu wirken, in der Gerechtigkeit aufblühen und Friede überfließen wird (vgl. PS 12, 7). Der gerechte Richter, den uns der Psalmist beschreibt, ist einer, der den Armen und Leidenden Gerechtigkeit schenkt: „Er erbarmt sich des Gebeugten und Schwachen, er rettet das Leben der Armen. Von Unterdrückung und Gewalttat befreit er sie ..(Ps 72, 13 f.). Diese Worte stehen heute vor unseren Augen, wenn wir darum beten, daß die Sehnsucht nach Frieden, die das Treffen in Assisi kennzeichnete, die treibende Kraft für alle Gläubigen und in einer besonderen Weise für die Christen sein möge. Denn Christen können in diesen inspirierten Psalmworten die Gestalt unseres Herrn Jesus Christus erkennen, des Einen, der der Welt seinen Frieden brachte, des Einen, der den Verwundeten und Leidenden Heilung schenkte, um „den Armen eine gute Nachricht zu bringen .. .und die Zerschlagenen in Freiheit zu setzen“ (Lk 4, 18). Jesus Christus ist der Eine, den wir „unseren Frieden“ nennen, und der „die trennende Wand der Feindschaft niederriß“ (Eph 2, 14), um Frieden zu stiften. Ja, eben dieser Wunsch, Frieden zu stiften, der beim Gebetstreffen in Assisi so deutlich wurde, läßt uns darüber nachdenken, wie dieser Welttag in Zukunft gefeiert werden sollte. Auch wir sind aufgerufen, zu sein wie Christus, Friedensstifter durch Versöhnung zu sein, Ihm bei der Aufgabe, Frieden auf diese Erde zu bringen, zu helfen, indem wir die Sache der Gerechtigkeit für alle Völker und Nationen unterstützen. Und niemals dürfen wir seine Worte vergessen, die jeden vollkommenen Ausdruck menschlicher Solidarität zusammenfassen: „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen“ {Mt 7, 12). Wenn sie dieses Gebot brechen, müßten Christen erkennen, daß sie Spaltung verursachen und sündigen. Diese Sünde hat ernste Auswirkungen auf die Gemeinschaft der Gläubigen und auf die gesamte Gesellschaft. Sie beleidigt Gott selbst, den Schöpfer und Erhalter des Lebens. Die Tugend und Weisheit, die Jesus bereits zur Zeit seines verborgenen Lebens mit Maria und Josef in Nazaret zeigt (vgl. Lk 2, 51f.), ist ein Modell für unsere eigenen Beziehungen miteinander in der Familie, in unseren Nationen, in der Welt. Der Dienst an anderen durch Wort und Tat, der das öffentliche Leben Jesu kennzeichnet, ist ein Anstoß für uns, daß damit die Solidarität der Menschheitsfamilie radikal vertieft worden ist. Sie hat ein transzendentes Ziel erhalten, das alle menschliche Anstrengung für Gerechtigkeit und Frieden adelt. Schließlich eröffnet uns Christen der höchste Akt von Solidarität, den die Welt kennengelernt hat — der Tod Jesu Christi am Kreuz für alle — den Weg, den auch wir gehen müssen. Wenn un- 1177 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sere Arbeit für den Frieden voll wirksam sein soll, muß sie an der umformenden Kraft Christi teilhaben, dessen Tod allen Menschen, die in diese Welt geboren werden, Leben schenkt, und dessen Sieg über den Tod die letzte Garantie dafür ist, daß die Gerechtigkeit, die Solidarität und Entwicklung fordern, zu einem dauerhaften Frieden führen wird. Möge die Anerkennung als Erlöser und Herr, welche die Christen Jesus Christus entgegenbringen, alle ihre Anstrengungen leiten. Mögen ihre Gebete sie in ihrer Verpflichtung für die Sache des Friedens durch die Entwicklung der Völker im Geist sozialer Solidarität bestärken. 11. Schlußappell Und so beginnen wir gemeinsam ein neues Jahr: 1987. Möge es ein Jahr werden, in dem die Menschheit endlich das Trennende der Vergangenheit überwindet, ein Jahr, in dem die Menschen mit ganzem Herzen den Frieden suchen. Ich setze meine Hoffnung darauf, daß diese Botschaft für jeden einzelnen eine Gelegenheit sei, seine Verpflichtung zur Einheit der menschlichen Familie in Solidarität zu vertiefen. Möge sie ein Ansporn sein, der uns alle ermutigt, das wahrhaft Gute für all unsere Brüder und Schwestern in einer ganzheitlichen Entwicklung zu suchen, die alle Werte der menschlichen Person der Gesellschaft fördert. Am Anfang dieser Botschaft habe ich erklärt, daß das Thema der Solidarität mich dazu drängte, sie an jedermann zu richten, an jeden Mann und an jede Frau in dieser Welt. Ich wiederhole nun diesen Aufruf an jeden einzelnen von euch; in besonderer Weise aber möchte ich ihn wie folgt richten: — an euch alle, Regierende und Verantwortliche für internationale Gremien: Zur Wahrung des Friedens appelliere ich an euch, eure Anstrengungen für eine ganzheitliche Entwicklung der einzelnen und der Nationen zu verdoppeln; — an euch alle , die ihr am Weltgebetstag für den Frieden in Assisi teilgenommen habt oder damals geistig mit uns vereint wart: Ich appelliere an euch, daß wir für den Frieden in der Welt gemeinsam Zeugnis ablegen; — an euch alle, die ihr Reisen unternehmt oder an kulturellem Austausch teilhabt: Ich appelliere an auch, daß ihr euch als bewußte Werkzeuge versteht für ein besseres gegenseitiges Verständnis, für mehr Respekt und Achtung voreinander; — an euch, meine jüngeren Brüder und Schwestern, die Jugend der Welt: Ich appelliere an euch, daß ihr jede Möglichkeit wahmehmt, um in brüderlicher Solidarität mit jungen Menschen allüberall neue Bande des Friedens zu knüpfen. 1178 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Und darf ich zu hoffen wagen, daß ich auch von denen gehört werde, die Gewalt und Terror ausüben? Diejenigen unter euch, die mir wenigstens zuhören wollen, möchte ich nochmals bitten, wie ich es früher schon getan habe, vom gewaltsamen Verfolgen eurer Ziele, auch wenn diese in sich gerecht seinmögen, abzulassen. Ich bitte euch, nicht weiter Unschuldige zu töten und zu verletzen. Ich bitte euch, damit aufzuhören, sogar den Zusammenhalt der Gesellschaft zu untergraben. Der Weg der Gewalt kann weder für euch selbst noch für irgendjemand anders zu wahrer Gerechtigkeit führen. Wenn ihr es wollt, könnt ihr immer noch umkehren . Ihr könnt eure eigene Menschlichkeit beweisen und euch zur menschlichen Solidarität bekennen. Ich appelliere an euch alle, wo immer ihr lebt, was auch immer ihr tut, in jedem Menschen das Antlitz eines Bruders oder einer Schwester zu sehen. Was uns verbindet, ist soviel mehr als das, was uns trennt und scheidet: Es ist unser gemeinsames Menschsein. Friede ist immer ein Geschenk Gottes, doch hängt er auch von uns ab. Und die Schlüssel zum Frieden sind in unserer Reichweite. Es liegt an uns, sie zu benutzen, um alle Türen zu öffnen! Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 1986. PAPST JOHANNES PAUL II. Alle sind zur Freiheit berufen Neujahrspredigt am 1. Januar 1. „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn ...“ (Gal 4,4). Wir grüßen dich, Fülle der Zeit, die der ewige Sohn Gottes brachte und durch seine Menschwerdung in der Geschichte der Schöpfung verwirklichte. Wir grüßen dich, Fülle der Zeit, aus der heute, nach dem Maß menschlicher Zeitabläufe, das neue Jahr entspringt. Wir grüßen dich, Jahr des Herrn 1987, an der Schwelle deiner Tage, Wochen und Monate. Dich grüßt die Kirche des menschgewordenen Gottes inmitten aller Nationen und Völker. Dich grüßt die Kirche mit dem Segen des Bundesgottes: „Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Frieden“ (Num 6,24-26). 1179 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn Wir grüßen dich, neues Jahr, im Herzen des Geheimnisses der Menschwerdung, in dem wir den Sohn Gottes anbeten, der für uns Mensch geworden ist. Wir grüßen dich, Sohn, gleichen Wesens mit dem ewigen Vater.' Du bist in der Fülle der Zeit gekommen, „damit wir die Fülle der Sohnschaft erlangen“ (Gal 4,5). Wir grüßen dich in deiner Menschlichkeit, Sohn Gottes, geboren von einer Frau, wie jeder von uns Menschensöhnen von einer Frau geboren ist. Wir grüßen dich in der Menschlichkeit aller Menschen, im Reichtum und der Vielfalt der Stämme, Nationen und Rassen, Sprachen, Kulturen und Religionen. In dir, Sohn Mariens, in dir, Menschensohn, sind wir Kinder Gottes. Diesen ersten Tag des neuen Jahres möchten wir, zusammen mit dem Oktavtag von Weihnachten, als universales Fest der Menschen in der Fülle ihrer menschlichen Würde feiern. Wir möchten diesen Tag, dank deines Wirkens, als „Söhne im Sohn“ feiern, „um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“ (Joh 11,52). Der Heilige Geist eröffnet neue Lebensmöglichkeiten in Christus 3. „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft, Abba Vater“ (Gal 4,6). Du hast so gerufen, Du, der Sohn. Du hast so in den Augenblicken der Inbrunst und der Erniedrigung gesprochen. Und du, Sohn, gleichen Wesens mit dem Vater, hast uns gelehrt, so zu sprechen: Du hast uns Mut gemacht, mit dir zu sprechen: „Vater unser.“ Und auch, wenn unsere Menschlichkeit uns kein Recht darauf gibt, hast du uns, in Einheit mit dem Vater, deinen Geist geschenkt, den „Herrn und Lebensspender“, damit wir von ganzem Herzen mit innerer Wahrheit sprechen können „Abba Vater“. Denn der Geist des Sohnes ist in unsere Herzen gesandt. Der Geist des Sohnes hat uns neu geformt aus der Wurzel unserer menschlichen Natur und zu „Söhnen im. Sohn“ gemacht, 4. Wir sind also Söhne, nicht Sklaven. Wir sind Erben durch den Willen Gottes. Heute, zu Beginn des neuen Jahres möchten wir dieses universale Erbe aller Söhne und Töchter dieser Erde bestätigen. Alle sind zur Freiheit berufen. In unseren Zeiten hat die Kirche noch einmal die Wahrheit von der „Christlichen Freiheit und der Befreiung“ als Grundlage von Gerechtigkeit und Frieden bestätigt (vgl. Instruktion der-Glaubenskongregation, 22. März 1986). 1180 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Der Geist des Sohnes, den der Vater unaufhörlich in unsere Herzen sendet, ruft ständig: „Du bist nicht mehr Sklave, sondern Sohn, bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott“ (Gal 4,7). 5. „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau.“ In der Weihnachtsoktav und vor allem heute schlägt das Herz der Kirche in besonderer Weise für die Mutter des Gottessohnes, die Muttergottes. Heute feiern wir ihr Hochfest. Sie, die Frau, gibt das erste mütterliche Zeugnis für die menschliche Würde des Gottessohnes. Von ihr ist er geboren, sie ist seine Mutter. Heute sehen wir sie in Betlehem, während sie die Hirten um sich sammelt. Am achten Tag nach der Geburt wird der alttestamentliche Ritus der Beschneidung vollzogen. Sie gibt dem Kind einen Namen. Und sein Name ist Jesus, ein Name, der von Gottes Heil spricht. Dieses Heil wurde von seinem Sohn gebracht. Jesus heißt Erlöser. So wurde der Sohn Mariens bei der Verkündigung genannt, am Tage, an dem er in ihrem Schoß empfangen wurde. Und so wurde er von ihr vor den Menschen gerufen. Die menschliche Würde des Gottessohnes drückt sich in diesem Namen aus. Er ist als Mensch Erlöser der Welt. Seine Mutter ist Mutter des Erlösers. Die Mutter Jesu Christi hat uns ein Beispiel gegeben, was ,,glauben “ bedeutet 6. „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir“ (Lk 1,28). Du bist selig, weil du geglaubt hast... (vgl. Lk 1,45). Du hast bei der Verkündigung geglaubt. Du hast in der Nacht von Betlehem geglaubt. Du hast auf Golgota geglaubt. Du bist auf dem Pilgerweg des Glaubens vorangegangen und bewahrtest die Vereinigung mit dem Sohn in Treue bis zum Kreuz (vgl. Lumen gentium, Nr. 48). So sahen dich die Generationen des Volkes Gottes auf der ganzen Erde. So hat dich, seligste Jungfrau, das Konzil unseres Jahrhunderts gesehen. Die Kirche heftet ihre Augen auf dich als ihr Vorbild. Besonders in dieser Zeit, wo sie sich anschickt, die Ankunft des 3. Jahrtausends christlicher Zeitrechnung zu feiern. Um sich besser auf dieses Datum vorzubereiten, wendet die Kirche ihre Augen zu dir, dem Werkzeug der Vorsehung, dessen sich der Sohn Gottes bedient, um Mensch zu werden und der neuen Zeit einen Anfang zu geben. In dieser Meinung will sie ein dir besonders geweihtes Jahr begehen, ein Marianisches Jahr, das an Pfingsten beginnen wird und im folgenden Jahr am Fest deiner Aufnahme in den Himmel schließt; ein Jahr, das jede Diözese mit besonderen Initiativen feiern wird, um sich in dein Geheimnis zu vertiefen und deine Verehrung in neuem Eifer der Zustimmung zum Willen Gottes zu fördern nach dem Beispiel, das du, Magd des Herrn, gegeben hast. 1181 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Solche Initiativen können sich fruchtbringend in den Rahmen des liturgischen Jahres einfugen und in die „Geographie“ der Heiligtümer, die die Frömmigkeit der Gläubigen dir, Jungfrau Maria, in allen Teilen der Erde gewidmet hat. Wir möchten, Maria, daß du am Horizont der Ankunft der neuen Zeit leuchtest, wenn wir uns dem 3. Jahrtausend nach Christus nähern. Wir möchten das Wissen um deine Gegenwart im Geheimnis Christi und der Kirche vertiefen, wie uns das Konzil gelehrt hat. Deshalb will sich der gegenwärtige Nachfolger des Petrus, der dir seinen Dienst weiht, sich demnächst mit einer Enzyklika, die dir, Jungfrau Maria, unschätzbares Geschenk Gottes an die Menschheit, gewidmet ist, an seine Brüder im Glauben wenden. Maria — Urbild und Patronin der Kirche durch die Jahrtausende 7. Selig bist du, weil du geglaubt hast! Der Evangelist sagt von dir: „Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach“ (Lk 2,19). Du bist das Gedächtnis der Kirche! Die Kirche lernt von dir, Maria, daß Mutter sein ein lebendiges Gedächtnis haben bedeutet, d. h. die Geschicke der Menschen und der Völker „im Herzen bewahren und darüber nachdenken“; die freudigen und die schmerzhaften. Unter soviel Ereignissen möchten wir im Jahr 1987 der Kirche die 600-Jahr-Feier der Taufe Litauens in Erinnerung rufen und die Gebete für unsere Brüder und Schwestern, die seit soviel Jahrhunderten mit Christus vereint bleiben im Glauben der Kirche. Und soviel andere Ereignisse, soviel Hoffnungen, aber auch Bedrohungen, soviel Freuden, aber auch Leiden... manchmal so große Leiden! Wir alle als Kirche müssen diese Ereignisse in unserem Herzen bewahren und darüber nachdenken wie die Mutter. Wir müssen immer mehr von dir, Maria, lernen, wie wir in diesem Übergang vom 2. ins 3. Jahrtausend Kirche sein müssen: 8. An der Schwelle des neuen Jahres umarmt der Bischof von Rom bei diesem eucharistischen Opfer alle Kirchen der Welt, die in der universalen katholischen Gemeinschaft vereinigt sind — alle geliebten christlichen Brüder, die miteinander den Weg zur Einheit suchen — alle Anhänger nichtchristlicher Religionen — und, ohne Ausnahme, alle Menschen guten Willens auf dieser Erde und ruft am Grab des hl. Petrus mit den Worten der Liturgie aus: „Der Herr segne uns und behüte uns. Der Herr lasse sein Angesicht«über uns leuchten und sei uns gnädig ... und schenke uns Frieden!“ (vgl. Num 6,24-26) 1182 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ihr seid berufen, euer Herz zu öffnen Predigt bei der Bischofsweihe am 6. Januar 1. Auf, Jerusalem, denn es kommt dein Licht, auf, Jerusalem, werde licht (vgl. Jes 60,1). Diese Prophetenworte haben heute eine besondere Aktualität. Denn die Sterndeuter aus dem Osten kommen genau mit dieser Nachricht nach Jerusalem: „Es kommt dein Licht!“ Wo war sein Geburtsort zu suchen? Jerusalem ist die Stadt eines großen Königs, der größer ist als Herodes. Und der irdische Souverän, der mit Zustimmung Roms auf dem Thron Israels sitzt, kann die Verheißung eines messianischen Herrschers nicht verdunkeln. Er kann das Licht des Messias nicht verdunkeln. Wo ist der Geburtsort des Messias zu finden? Die Bücher des Alten Testaments antworten mit Gewißheit: in Betlehem. Die Sterndeuter gehen also nach Betlehem. Sie finden ein neugeborenes Kind. Kein äußeres Hindernis kann das Licht löschen, das sie in ihren Herzen tragen. Sie achten nicht auf die Armut des Ortes. Sie werfen sich nieder, beten an, opfern ihre Gaben. 2. Jerusalem, es kommt dein Licht! Jerusalem, werde licht! Die Menschen, die aus der Ferne kamen, „die Könige von Tarschisch und von den Inseln ... die Könige von Saba und Seba“ (Ps 72,10) wandeln in deinem Licht. Und das Licht leuchtet in der Finsternis. Jerusalem! Gott hat dich dazu bestimmt, zu leuchten. Und keine Dunkelheit der Geschichte des Menschen kann dir diese Bestimmung, diese Berufung, nehmen. Diese Gewißheit hatten in unseren Tagen die Väter des II. Vatikanischen Konzils, als sie ihr Dokument über die Kirche mit den Worten begannen: „Lumen gentium“ (Christus ist das Licht der Völker). Wer bist du, Kirche? Was sagst du von dir selbst? „Meine Bestimmung ist, zu leuchten. Zu leuchten mit dem Licht, das Christus ist!“ Das ist der Sinn des Festes der Erscheinung des Herrn. 3. Diese Worte, diese Wahrheit über Jerusalem, diese Lehre über die Kirche wurden heute von euch mit besonderer innerer Bewegung gehört, von euch, liebe Brüder, die ihr in der Peterskirche die Bischofsweihe empfangt. Ihr seid zehn und kommt aus der Schweiz, Jugoslawien, Italien, Thailand, Sierra Leone, Liberia, Guatemala, den Vereinigten Staaten, Tansania und Malaysia. Ihr 1183 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN manifestiert die Universalität der in so vielen Völkern der Erde.verwurzelten Kirche. Zugleich bekundet ihr das Missionsbewußtsein der Kirche, die sich unwiderruflich zu allen Völkern und allen Menschen gesendet fühlt. Vielleicht ist auf dem Horizont eures Himmels der Stern nicht erschienen, der die Sterndeuter aus dem Osten veranlaßte, sich auf den Weg zu machen. Aber in eurer Seele leuchtet das gleiche Licht, das sie geführt hat. Das gleiche Licht weist auch euch den Weg: „Lumen gentium“. 4. In dem Moment, da ihr hinzutretet, um das Sakrament der Bischofsweihe zu empfangen, wende ich mich an jeden von euch mit den Worten des Propheten: Euer „Herz bebt vor Freude und öffnet sich weit“ (Jes 60,5). Das Bischofsamt, der Hirtendienst in der Kirche, verlangt die Gabe der Gottesfurcht und zugleich ein weit geöffnetes Herz. Schaut: Die Sterndeuter aus dem Osten bringen ihre Gaben dar. Sie öffnen ihre Schätze und präsentieren die Geschenke. Heute seid ihr berufen, den Schatz eures Herzens noch tiefer zu öffnen. Ihr seid berufen, euch Christus noch mehr hinzugeben, der die sichtbare Erscheinung des Ewigen Hirten ist. Durch eure Hingabe leuchtet das Licht, das Christus ist, allen, zu denen ihr gesandt seid. Demut, Dialog, Achtung, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit Ansprache an das Diplomatische Korps am 10. Januar Exzellenzen, Meine Damen und. Herren! , . 1184 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN dem einzelnen von lhnen, Ihren Familien und den Ländern, die Sie vertreten. Ich habe eine gewisse Zahl dieser Länder besucht, und sie sind mir vertrauter geworden, aber alle dürfen sicher sein, hier die gleiche Wertschätzung zu finden. Jede Ihrer Nationen steht in den Augen des Hl. Stuhles groß da, nicht nur wegen ihrer altehrwürdigen Kultur, ihrer Leistungen und Fähigkeiten, sondern vor allem, weil sie eine Gemeinschaft von Menschen darstellt, der ich volle Entfaltung und Entwicklung wünsche, so daß sie einen angesehenen Platz im Schoß der großen Familie aller Völker einnimmt. Ich möchte, daß sich hier auch die Mitglieder des Diplomatischen Korps, die bei einer geistlichen Instanz wie dem Hl. Stuhl akkreditiert sind, untereinander in Achtung und Solidarität begegnen und auf ihre Weise an der Suche nach dem allen gemeinsamen Gut des Friedens beteiligen. Ich grüße besonders jene Botschafter, die zum erstenmal an diesem Austausch von Glückwünschen teilnehmen, zumal wenn sie die ersten Vertreter ihrer Länder beim Hl. Stuhl sind. Ich bin auch glücklich darüber, daß ich Ihre Mitarbeiter und die Mitglieder Ihrer Botschaften begrüßen kann, die Sie begleiten. 2. Ihr Sprecher hat zunächst mit Sympathie einige wichtige Initiativen meines Pontifikates während des vergangenen Jahres genannt und mit Recht einige neuralgische Punkte im Leben der heutigen Welt erwähnt, die dringend und durch das gemeinsame Bemühen der Völker einer Lösung nähergebracht werden müssen: die Ungerechtigkeit der rassischen Diskriminierung, die gefährliche Lage; die durch die Rüstung oder den Handel mit bestimmten Waffen geschaffen wurde, die Verschuldung zahlreicher armer Länder, die Geißel des Drögenmißbrauchs und den Terrorismus. Es gibt viele Fragen, die, mit anderen, aus dem Herzen eines jeden weisen Menschen aufsteigen, der den Frieden liebt, und die auch der Hl. Stuhl vernimmt, wenn er versucht, hier sein Zeugnis und seinen Beitrag einzubringen. Ihre Regierungen und Sie selbst als Diplomaten entfalten eine Tätigkeit, deren Wesen und Adel darin liegen, Bande des Friedens zwischen den Nationen zu knüpfen, das, was Ihren Ländern gerecht erscheint, zur Geltung zu bringen und zu schützen, die Wünsche der anderen zu hören und zu verstehen, die Gesichtspunkte anzunähem und gemeinsam gegen das zu kämpfen, was die menschlichen Beziehungen und die Würde des Lebens bedroht und herabsetzt. Muß ich Ihnen, Exzellenzen, noch sagen, daß der Hl. Stuhl als Mitglied der internationalen Gemeinschaft, der mit Ihren Ländern diplomatische Beziehungen unterhält, immer bereit ist, auf diesem Gebiet seine Rolle zu spielen, indem er sich für Ihre Bemühungen interessiert, diese ermutigt und teilt und sie gelegentlich auch anregt? Sie wissen aber auch, daß der Hl. Stuhl vor allem und wesentlich eine religiöse Institution ist, die die Probleme des Friedens in ihrer geistigen und ethnischen Di- 1185 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN mension aufgreifen muß. In diesem Geist habe ich die Initiative ergriffen und die Oberhäupter der Religionen zum vergangenen 27. Oktober nach Assisi eingeladen. Seine Exzellenz, der Herr Doyen, hat dazu ja bemerkt, es sei das charakteristische Ereignis des Jahres gewesen. Ich möchte aber auch selbst heute vor allem bei diesem Ereignis verweilen, um mit Ihnen seine Bedeutsamkeit nicht nur für den Dialog zwischen den Religionen zu sehen, sondern um jene Gerechtigkeit und jenen Frieden in der Tiefe Wirklichkeit werden zu lassen, deren Förderungen Ihnen aufgetragen ist. 3. Gewiß, die Versammlung der Verantwortlichen und Vertreter der Kirchen oder christlichen Gemeinschaften mit denen der Weltreligionen in Assisi hatte einen grundlegend und ausschließlich religiösen Charakter. Es ging nicht darum, zu diskutieren oder sich für konkrete Initiativen oder Aktionspläne zu entscheiden, die für die Sicherung des Friedens nützlich oder notwendig erschienen. Und ich wiederhole, daß die bewußte Entscheidung, sich auf das Gebet zu beschränken, keineswegs die Wichtigkeit sämtlicher Bemühungen abschwächt, die Politiker und Staatsoberhäupter unternommen haben, um die internationalen Beziehungen zu verbessern. Doch galt es, bei der Initiative von Assisi alles auszuschließen, was sie möglicherweise für irgendein bestimmtes politisches Projekt vereinnahmt hätte. Schließlich wollten die katholische Kirche, die anderen Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften und die nichtchristlichen Religionen auf ihre Weise auf die Entscheidung der UNO antworten, 1986 als „Jahr des Friedens“ zu begehen. Sie wollten in ihrer eigenen Sprache die Sache des Friedens in jener Dimension aufgreifen, die für sie wesentlich ist: nämlich der geistlichen Dimension, näherhin durch das Gebet, verbunden mit Fasten und Wallfahrt. Bei den Vertretern der großen Religionen ging es ferner nicht darum, Glaubensüberzeugungen zu verhandeln, um zu einer synkretistischen religiösen Übereinstimmung zu gelangen. Es ging vielmehr darum, uns gleichzeitig und selbstlos dem Grundanliegen des Friedens unter den Menschen und Völkern zuzuwenden, oder vielmehr uns alle gemeinsam Gott zuzuwenden, um von ihm dieses Geschenk zu erbitten. Beten ist die erste Pflicht religiöser Menschen, ihr typischer Ausdruck. Dadurch haben die Religionen auf ihre Weise ihr Bemühen um das höchste Gut für die Menschen gezeigt. Sie haben den unersetzlichen Wert deutlich gemacht, den sie im Herzen der Menschen von heute besitzen. Obwohl sie bedauerlicherweise zuweilen Ursache von Spaltungen waren, haben sie in Assisi doch eine gewisse Übereinstimmung sichtbar gemacht als Symbol für die Einheit der Menschheitsfamilie im Plan Gottes; sie haben ihre Ab- 1186 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sicht bekräftigt, nun eine entscheidende Rolle beim Aufbau des Weltfriedens zu spielen (vgl. Ansprache bei der Generalaudienz, 22. Oktober 1986). Unterordnung unter den Willen Gottes ist Chance für den Frieden 4. Gewisse Diplomaten werden sich vielleicht fragen: wie kann das Gebet für den Frieden dem Fortschritt des Friedens dienen? Der Friede ist vor allem ein Geschenk Gottes. Gott begründet ihn,; denn er schenkt der Menschheit das Ganze der Schöpfung, um sie solidarisch zu verwalten und zu entwickeln. Er schreibt in das Gewissen des Menschen die Gesetze ein, die ihn zur Achtung des Lebens und der Person seines Nächsten verpflichten; er hört nicht auf, den Menschen zum Frieden aufzurufen, und er ist zugleich der Garant seiner Menschenrechte. Er will ein menschliches Zusammenleben, das diese gegenseitigen Beziehungen auf Gerechtigkeit, Achtung und Solidarität gründet. Er hilft den Menschen auch innerlich durch seinen Heiligen Geist, den Frieden zu finden oder wiederzufinden. Von seiten des Menschen betrachtet, ist der Friede ferner ein Gut menschlicher Art, er ist vernunftgemäß und moralischer Natur. Er bildet die Frucht des freien Willens, der sich von der Vernunft zum Gemeinwohl hin ausrichten läßt. In diesem Sinn scheint er in der Reichweite eines gut erzogenen und reifen Menschen zu liegen, der über seine Mittel zum Leben nachdenkt — in Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe — und zu breiter Solidarität gelangt, die im Gegensatz steht zum „Gesetz des Dschungels“ oder dem Recht des Stärkeren. Doch ist absolut nicht einzusehen, wie diese moralische Ordnung von Gott als der ersten Quelle des Seins, der wesentlichen Wahrheit und dem höchsten Gut absehen könnte. Das Gebet ist nun die Weise, wie man diesen Ursprung anerkennt und sich ihm unterwirft. Weit davon entfernt, die Verantwortung des Menschen zu beseitigen, weckt es diese vielmehr. Die Erfahrung zeigt, daß dort, wo der Mensch es für gut hielt, sich von Gott loszusagen, er zwar eine gewisse Zeit lang die Ideale der Wahrheit und Gerechtigkeit, die seiner Vernunftnatur innewohnen, hochhalten kann; er läuft aber Gefahr, ihnen auszuweichen, indem er sie nach seinen unmittelbaren Interessen, Wünschen und Leidenschaften umdeutet. Ja, die Geschichte bezeugt, daß sich selbst überlassene Menschen dahin neigen, ihren irrationalen und egoistischen Instinkten zu folgen. Sie machen die Erfahrung, daß der Friede die menschlichen Kräfte übersteigt. Es braucht nämlich ein Mehr an Licht und Kraft, eine Befreiung von den aggressiven Leidenschaften und beharrliches Arbeiten, wenn man gemeinsam eine Gesellschaft aufbauen oder eine weltweite Gemeinschaft heraufführen will, die sich auf das allen und jedem einzelnen gemeinsame Wohl gründet. Die Orientie- 1187 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN rang an der Wahrheit Gottes schenkt dem Menschen das Ideal und die nötigen Kräfte, um ungerechte Situationen zu überwinden, sich von Ideologien der Herrschaft und des Hasses frei zu machen und den Weg einer echten allumfassenden Brüderlichkeit einzuschlagen. Die religiöse Haltung bringt den Menschen in Kontakt mit der Transzendenz und befreit ihn so. Jenen aber, die an einen persönlichen, allmächtigen Gott, den Freund des Menschen Und die Quelle des Friedens glauben, erscheint das Gebet wahrhaft notwendig, um von ihm den Frieden zu erbitten, den sie sich selbst nicht geben können: den Frieden unter den Menschen, der im eigenen Gewissen beginnt. ' 5. Echtes Gebet wandelt bereits das Herz des Menschen. Gott weiß gut, was wir brauchen. Wenn er zum Bitten um den Frieden einlädt, dann deswegen, weil diese demütige Bitte die betenden Menschen geheimnisvoll umformt und sie auf den Weg der Versöhnung und der Brüderlichkeit führt, Wer aufrichtig zu Gott betet, wie wir es in Assisi zu tun versucht haben, betrachtet nämlich die vom Schöpfergott gewollte Harmonie, die Liebe, die in Gott ist, das Ideal des Friedens unter den Menschen und das Beispiel des hl. Franziskus, der dieses Ideal auf unvergleichliche Weise verkörpert hat. Deswegen dankt er Gott. Er spürt, daß die Menschheitsfamilie in ihrem Ursprung und Ziel eins ist, daß sie von Gott kommt und zu Gott zurückkehrt. Er weiß, daß jeder Mann und jede Frau das Bild Gottes in sich trägt, trotz aller Grenzen und Schranken des menschlichen Geistes, der vom Geist des Bösen versucht wird. Wer die christliche Offenbarung annimmt, geht in dieser Betrachtung noch weiter: er weiß, daß Christus sich irgendwie mit jedem Menschen vereinigt, ihn losgekauft und zu seinem Bruder gemacht hat, daß er in seiner Person die zerstreuten Kinder Gottes sammelt. Der betende Mensch fühlt sich tief mit all jenen vereint, die in der Religion die geistlichen und transzendenten Werte suchen als Antwort auf die großen Fragen des Menschenherzens. Wenn er sich dann selbst betrachtet, sieht er seine Vorurteile, Fehler und Versäumnisse; er erkennt leicht, daß Egoismus, Eifersucht, Aggressivität in ihm und in anderen die wahren Hindernisse für den Frieden sind. Daher bittet er Gott und seine Mitmenschen um Verzeihung, fastet, tut Buße und sucht Reinigung. Er versteht, daß er nicht um den Frieden bitten und mit verschränkten Armen stehenbleibenkann. Sein Gebet weckt den Willen zum Mitwirken daran, daß die Hindernisse überwunden werden, und er geht entschlossen ans Werk, um den Frieden aufzubauen. Dies sind die Wirkungen, die das Gebet mit sich bringt. Hat sich das nicht aus allen Gebeten ergeben, die in Assisi gesprochen wurden? Es gab keine Selbst- 1188 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN rechtfertigung, kein Werben für eine Ideologie, keine Billigung von Gewalt hat diese Gebete von ihrem.Ziel abgelenkt: der Suche nach dem Frieden, wie Gott ihn will. Menschen, die in dieser Weise beten, bleiben oder werden Bauleute des Friedens. Sie können kein von Ungerechtigkeit oder Haß bestimmtes Verhalten mehr gegenüber ihresgleichen bejahen oder wieder aufhehmen, denn das wäre ein offener Widerspruch. Gewiß kann solcher Widerspruch je-derzeit wieder aufsteigen, weil die Versuchungen bleiben. Deswegen habe ich in Casablanca zu Gott gebetet: „Laß nicht zu, daß wir deinen Namen anrufen und damit menschliche Unordnung rechtfertigen.“ Es wäre nur ein Zeichen dafür, daß das Gebet noch nicht tief, wahr und beharrlich genug ist, daß Fanatismus es verfälscht und mißbraucht hat. In sich gesehen aber führt echtes Beten auf den Weg des wahren Friedens, weil es die Bekehrung des Herzens bedeutet und herbeiführt. 6. Da das Ereignis von Assisi gezeigt hat, daß Frieden und Religion Zusammengehen, betont es zugleich, daß der Friede grundlegend ethischer Natur ist. Ich habe daran vor meinen Brüdern und Schwestern aus allen Religionen erinnert: „In ihrem großen Kampf um den Frieden muß sich die Menschheit in all ihrer Verschiedenheit auf die tiefsten und lebendigsten Quellen besinnen, wo sich das Gewissen bildet, und wo das Handeln des Menschen grundgelegt wird“ (7. Ansprache, Nr. 2). Ein allen Religionen gemeinsames Element ist neben der Grundüberzeugung, daß der Friede die menschlichen Kräfte übersteigt und daher bei der Wirklichkeit über uns alle hinaus gesucht werden muß, „eine tiefe Achtung vor dem Gewissen und dem Gehorsam diesem Gewissen gegenüber, die uns alle Lehren, nach der Wahrheit zu suchen, alle Personen und alle Völker zu lieben und ihnen zu dienen“, das menschliche Leben zu achten, zu schützen und zu fördern, Egoismus aber, Habgier und Rachegedanken zu überwinden (vgl. Schlußansprache in Assisi, Nr. 2 und 4). Die katholische Kirche erkennt also die geistlichen, sozialen und moralischen Werte an, die sich in den Religionen finden. Bei meiner Reise nach Indien habe ich den Wert der Lehre von Mahatma Gandhi betont über „den Vorrang des Geistes und die Wahrheit als Macht (satyagraha), die ohne Gewaltanwendung siegt durch die innere Dynamik, die gerechtem Handeln innewohnt“ (Ansprache in Raj Ghat, 1. Februar 1986, Nr. 2). Vor jungen Muslimen in Casablanca habe ich daran erinnert, daß wir beim Anrufen Gottes „auch jedes menschliche Wesen achten, lieben und unterstützen müssen, weil es ein Geschöpf Gottes ist und in einem gewissen Sinn sein Bild und Vertreter“ (19. August 1985, Nr. 2). In der Synagoge von Rom habe ich betont, daß „Juden und Christen eine Ethik vertreten und bezeugen, die von den Zehn Geboten geprägt ist, und der Mensch findet in ihrer Beobachtung seine Wahrheit 1189 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und seine Freiheit“. Ich habe ferner erwähnt, daß „Jesus die von der Thora geforderte Liebe bis zu den äußersten Konsequenzen gelebt hat“ (13. April 1986, Nr. 6 und 7). Die Religionen, die dieses Namens würdig sind, die offenen Religionen im Sinne Bergsons, die nicht bloße Projektionen der Wünsche des Menschen sind, sondern eine Öffnung und Unterwerfung gegenüber dem transzendenten Willen Gottes bedeuten, der sich jedem Gewissen vernehmbar macht, ermöglichen eine Grundlegung des Friedens. Das gleiche finden wir bei den Philosophien, die anerkennen, daß der Friede ein Gut der moralischen Ordnung ist: sie zeigen die Notwendigkeit auf, die Instinkte zu überwinden; sie stellen auch die radikale Gleichheit aller Mitglieder der Menschheitsfamilie fest, die erhabene Würde des Lebens, der Person, des Gewissens und die Einheit der Menschheitsfamilie, die echte Solidarität erfordert. Ohne absolute Hochachtung vor dem Menschen, die sich auf eine geistliche Sicht des Menschenwesens gründet, gibt es keinen Frieden. Das bezeugte Assisi. Zeugnis gaben dort Vertreter der Religionen vor aller Welt, damit die Welt darin ein Licht und einen Halt finde. Mein Wunsch geht dahin, daß diese Überzeugung auch Ihr Wirken als Diplomaten inspiriert. Recht schaffen ohne Ansehen von Person und Nationalität 7. Konkret zeigt sich die Achtung vor dem Menschen in der Achtung seiner grundlegenden Rechte. Auf die Grundfrage: „Wie sollen wir den Frieden erhalten?“, muß man antworten: „indem man Gerechtigkeit zwischen den Personen und den Völkern durchsetzt“. Wir haben heute die Chance, die Menschenrechte immer besser im einzelnen aufzuzeigen und sie immer kräftiger einzufordem: das Recht auf Leben in allen Abschnitten seiner Entwicklung; das Recht auf Rücksichtnahme, unabhängig von Rasse, Geschlecht und Religion; das Recht auf die zum Leben notwendigen materiellen Güter; das Recht auf Arbeit und die ausgeglichene Verteilung der Früchte der Arbeit; das Recht auf Kultur; das Recht auf Geistesfreiheit und Kreativität; das Recht auf Achtung des Gewissens und besonders das Recht auf Freiheit in der Beziehung zu Gott. Man darf auch nicht länger das Recht der Nationen vergessen, ihre Unabhängigkeit zu bewahren und zu verteidigen, ihre kulturelle Identität und die Möglichkeit, sich sozial zu organisieren, ihre Angelegenheiten selber zu ordnen und über ihr Geschick frei zu bestimmen, ohne direkt oder indirekt von auswärtigen Mächten abhängig zu sein. Sie kennen so gut wie ich die Fälle, wo dieses Recht offenkundig verletzt wird. Ausdruck dieser Rechte sind die Erfordernisse der Würde des Menschen. Sie wurden vor allem im Westen herausgestellt von gewissenhaften Menschen, 1190 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN die durch die Schule des Christentums gegangen sind; heute aber sind sie Erbe der ganzen Menschheit und werden von allen Seiten beansprucht. Neben diesem Anspruch stellen sie aber auch eine Verpflichtung für die Personen und für die Staaten dar, die Voraussetzungen für ihre Wahrnehmung zu schaffen. Jene Länder, die sich unter verschiedenen Vorwänden über diese Pflichten hinwegsetzen — im Namen einer totalitaristischen Auffassung der Macht, übertriebener Sicherheitsansprüche, des Willens, für bestimmte Gruppen Privilegien aufrechtzuerhalten, in Namen einer Ideologie oder irgendeiner Furcht —, verletzen den Frieden. Sie leben einen Pseudo-Frieden, der ferner Gefahr läuft, in ein schmerzliches Erwachen einzumünden. Wenn solche Länder aus der Diktatur ohne Vorbereitung zum demokratischen Leben übergehen, wie man es bei einigen Ländern im vergangenen Jahr erleben konnte, ist der Weg schwierig und langsam. Jeder muß sich daher der Erfordernisse des Gemeinwohls bewußt werden und eine individualistische Übersteigerung seiner Freiheit vermeiden. Doch verdienen diese Länder Ermutigung auf dem Weg des Friedens, dem einzigen Weg, der gangbar bleibt. Die Bemühungen müssen greifbare Gestalt annehmen 8. Der ethische Imperativ des Friedens und der Gerechtigkeit, von. dem ich eben gesprochen habe, trifft als Recht und als Pflicht vor allem das recht informierte Gewissen aller Menschen guten Willens in Gemeinschaften, die sich um ein aufrichtiges Suchen nach dem Frieden bemühen und. in Wahrheit darauf hinwirken. So wird dann auch die öffentliche Meinung geprägt. Er muß ferner aber Ausdruck, Unterstützung und Sicherung finden in geeigneten rechtlichen Instrumenten der bürgerlichen Gesellschaft, in Erklärungen oder besser in Abmachungen und Institutionen auf Ebene des Landes, der Region, des Kontinents und der Weltgemeinschaft, um im Rahmen des Möglichen zu verhindern, daß die Schwächeren Opfer des bösen Willens, der Macht oder der Manipulation durch andere werden. Der Fortschritt der Kultur besteht darin, Mittel zu finden, auf der Ebene der Strukturen alles zu schützen, zu verteidigen und zu fördern, was für das Gewissen recht und gut ist. Auch die Diplomatie findet ein Betätigungsfeld in dieser Vermittlung zwischen Gewissen und konkretem Leben. Fehlt es an solchem Bemühen auf der Ebene des Gewissens der Menschen und auf dem Niveau der Strukturen, ist der echte Friede nicht mehr gesichert. Er kann nur zerbrechlich oder falsch sein. Er besteht nur noch in der vorübergehenden Abwesenheit des Krieges, in der Toleranz auch gegenüber von Mißbräuchen, die den Menschen verletzen, in Opportunismus. Er gibt nach angesichts des Bemühens, um jeden Preis besondere Vorteile zu wahren und damit 1191 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN selbstbezogen zu bleiben, zumal vor den Aggressionsinstinkten und der Furcht vor Fremden, endlich vor der ausgemachten Wirksamkeit des Klassenkampfes und der Versuchung, nur auf die Überlegenheit der Waffen zu bauen, die den Gegner abschrecken, vor dem Gesetz des Stärkeren, dem Terrorismus oder den Methoden gewisser Terroristen, die sämtliche Möglichkeiten der Gewalt, auch Unschuldigen gegenüber, einzusetzen bereit sind, ferner vor den geschickten Versuchen, andere Länder zu destabilisieren, sie zu manipulieren, oder endlich vor der lügnerischen Propaganda, wobei immer das Bemühen um etwas Gutes und um die Gerechtigkeit vorgeschoben wird. 9. Wenn man die unsinnigen Verwüstungen durch Kriege betrachtet und die noch größere Gefahr ausgedehnter und sehr weitreichender Zerstörungen infolge des Einsatzes von Waffen, über die gewisse Länder verfügen, kommt einem der Gedanke, daß die Lage der Welt eine so radikal als mögliche Ablehnung des Krieges als Mittel zur Lösung von Konflikten erfordert. Von diesem Gesichtspunkt aus habe ich zum 27. Oktober alle jene eingeladen, die in Kriegshandlungen verwickelt waren, wenigstens für diesen Tag vollständige Waffenruhe zu halten. Eine erhebliche Zahl von kriegführenden Parteien haben den Vorschlag günstig aufgenommen, und ich beglückwünsche sie dazu. Es war eine bezeichnende Geste, die sie mit unserem Gebet der Religionen um den Frieden verbunden hat, und ich glaube an die geistige Wirksamkeit der Zeichen. Es war zugleich eine Pause, die das Auslöschen von menschlichem Leben vermieden hat, das in jedem Fall kostbar ist; eine jedem gebotene Gelegenheit, über die Nutzlosigkeit und Unmenschlichkeit des Krieges zur Lösung von Spannungen und Konflikten nachzudenken, um zu rechtlichen Mitteln zurückzukehren; eine Aufforderung, für das Gute auf Gewaltanwendung unter Einsatz von Waffen zu verzichten. Gewiß bedeutet das nicht die gänzliche Beseitigung des Grundsatzes, nach dem jedes Volk und jede Regierung das Recht und die Pflicht hat, seine Existenz und Freiheit gegen einen ungerechten Aggressor mit angemessenen Mitteln zu schützen. Der Krieg erweist sich aber mehr und mehr als das barbarischste und unwirksamste Mittel zur Konfliktlösung zwischen zwei Ländern oder um die Macht im eigenen Land an sich zu reißen. Man muß vielmehr alles tun, um Werkzeuge des Dialogs und der Verhandlung zu schaffen, eingeschlossen den Schiedsspruch von unparteiischen Dritten oder einer internationalen Autorität, die hinreichende Machtmittel besitzt. 1192 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das Wettrüsten — nicht nur für die Beteiligten gefährlich, auch lebenzerstörend für die Armen 10. In jedem Fall ergibt sich eine grundsätzliche Bedrohung aus der Entwicklung von Waffensystemen aller Art, um die Herrschaft über andere oder auf Kosten von anderen sicherzustellen. Müßte man nicht die Waffen auf ein Niveau reduzieren, das mit der berechtigten Verteidigung in Einklang steht, aber auf jene verzichten, die in keiner Weise in diese Kategorie einzuordnen sind? Muß noch einmal betont werden, daß ein derartiger Rüstungswettlauf gefährlich, verderblich und ärgerniserregend ist in den Augen von Ländern, die ihrer Bevölkerung nicht einmal die Mittel zur Verfügung stellen können, um ernährungsmäßig und gesundheitlich zu überleben? Hier liegt ein Schlüssel für die Probleme der Nord-Süd-Beziehungen, der vom ethischen Standpunkt aus noch grundlegender scheint als der für die Beziehungen zwischen Ost und West. Ein weiterer entscheidender Punkt ist die äußere Verschuldung und das Gleichgewicht im Handelsaustausch, die die besondere Aufmerksamkeit des Hl. Stuhles wecken. Was am Ende zählt, ist die solidarische Entwicklung der Völker. Die Solidarität ist ethischer Natur und ein entscheidender Schlüssel zum Frieden. Sie setzt voraus, daß man sich auf den Standpunkt des notleidenden Menschen stellt und daß man das für ihn Gute sucht, wobei.man ihn als aktiven Arbeiter an seiner eigenen Entwicklung betrachtet. Sie stützt sich auf das Bewußtsein, daß wir eine einzige menschliche Familie bilden. Dies ist zugleich die Botschaft für den Weltfriedenstag, die ich Ihnen dieses Jahr überreichen ließ. Sieht man die Entwicklung der Völker als Ganzes, müßte man Mittel finden, um den am meisten darbenden Gruppen zur Hilfe zu kommen, die an den Rand geraten und im Elend sind, oder wo eine Bedrohung besteht, die menschenunwürdig ist. Sie sind Legion. Ich denke zum Beispiel an jene, die in Äthiopien oder im Sudan Hunger leiden; in denke ferner an das dramatische Schicksal zahlreicher Flüchtlinge. Bewundernswerte private Initiativen kommen ihnen zur Hilfe; doch was vermögen sie, wenn die Regierungen und die internationale Gemeinschaft nicht ihren Beitrag leisten? 11. Aus der Friedensbotschaft dieses Jahres greife ich zum Abschluß dieser Ausführungen nur folgenden Satz heraus: „Da die Solidarität uns die ethische Grundlage für das Handeln liefert, wird die Entwicklung zu dem, was ein Bruder dem anderen anbietet, damit beide besser leben können bei aller Verschiedenheit und gegenseitiger Ergänzung die besondere Züge der menschlichen Kultur sind“ (Nr. 7). 1193 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Sehr oft haben wir, wenn wir von den Menschenrechten sprechen, nur ihre Gleichheit und Freiheit im Sinn. Freiheit und Würde der Menschen sind immer und überall zu garantieren; das erfordert aber nicht die Gleichheit der Lage jedes einzelnen, denn das wäre eine Verfälschung und würde unablässig Konflikte heraufbeschwören. Wesentlich ist die Brüderlichkeit. Sie.erscheint als wichtigster Schlüssel zum immer zerbrechlichen Bau der Demokratie wie auch als Ziel des immer schwierigen Weges zum Frieden als seiner entscheidenden Inspiration. Sie behebt den so oft genannten Widerspruch zwischen Gleichheit und Freiheit. Sie übersteigt die strenge Gerechtigkeit. Ihre Antriebskraft ist die Liebe. Die Väter des II. Vatikanischen Konzils haben diesen Aspekt betont: „Der Friede ist auch die Frucht der Liebe, die über das hinausgeht, was die Gerechtigkeit zu leisten vermag“ (Gaudium et spes, Nr. 78). Diese Liebe steht im Mittelpunkt des Evangeliums Jesu Christi, der ihn der Welt in unvergleichlicher Weise nahegebracht hat, indem er dazu einlud, zum Nächsten jedes Menschen zu werden, da er unser Bruder ist. Diese Liebe verlangt ein Hinausgehen über sich selbst, das die religiöse Haltung fordert, ist aber in jeder Weise für ein Leben in Gemeinschaft notwendig. Eine Welt ohne Bruderliebe könnte es immer nur zu einem partiellen, zerbrechlichen und bedrohten Frieden bringen. Im Kriegsfall aber wären die kriegführenden Länder unfähig, dem Willen zur Herrschaft zu entsagen, selbst nicht um den Preis einer Menge von tragischen Opfern oder sinnloser Ruinen, denn das wäre für sie demütigend. Nur der Geist der Brüderlichkeit kann zur Annahme eines Waffenstillstands führen oder vielmehr zu einem Frieden, der für die andere Seite nicht demütigend ist. Exzellenzen, meine Damen und Herren, es ist nicht meine Aufgabe, im einzelnen technische Lösungen für die schweren Probleme des Friedens und der Entwicklung vorzulegen, die wir angesprochen haben. Ich habe es aber für gut gehalten, mit Ihnen über den Geist nachzudenken, der die Tür zu brauchbaren Lösungen öffnet: Demut, Dialog, Achtung, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit. Die Erfahrung von Assisi mit den Vertretern der Religionen hat diesen Geist gezeigt. Mögen Sie darin ein Licht finden für Ihre edle Aufgabe als Botschafter! Und möge die Welt sich der gleichen Quelle zu wenden, um zum Frieden zu finden, den Gott ihr bestimmt hat. 1194 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Einheit im Gebet in Assisi, Zeichen der Solidarität unter den Getauften Ansprache an den Primas der Episkopalkirche der Vereinigten Staaten am 12. Januar Lieber Herr Bischof Browning! Es ist mir eine große Freude, Sie und Ihre Begleitung in Rom willkomen zu heißen. Es befriedigt mich sehr, daß Sie schon kurz nach Antritt Ihres Amtes als Vorsitzender Bischof der Episkopalkirche der Vereinigten Staaten von Amerika den Vatikan besuchen wollten; ich versichere Sie meiner Gebete, damit Ihr Dienst für Christus reiche Früchte des Geistes trage. Während ich Sie heute morgen begrüße, gehe ich in Gedanken eine kurze Zeit — weniger als drei Monate — zurück, zu der Gelegenheit, bei der ich hier den Erzbischof von Canterbury willkommen heißen konnte. Es war der Weltgebetstag in Assisi. Der Erzbischof wurde von den anglikanischen Primaten von Nigeria, Tansania und Japan nach Assisi begleitet. Sie vertraten gemeinsam die anglikanische Gemeinschaft, und ihre Anwesenheit wurde hoch eingeschätzt. Mit Dankbarkeit erinnere ich mich des Gottesdienstes in der Kathedrale von Assisi, wo Christen aus aller Welt gemeinsam beteten. Die Einheit im Gebet, die an diesem Tag herrschte, war nicht nur für uns Anwesende eine wunderbare geistliche Erfahrung, sondern auch für die Welt ein Zeichen immer größerer Solidarität unter uns, einer Solidarität, die in unserer Taufe in Christus verwurzelt ist. Ich weiß, Herr Bischof Browning, daß Sie, ebenso wie die Teilnehmer von Assisi, sehr unter den Konflikten und der Gewalt leiden, die unsere Welt bedrängt. Ich bete, damit in den kommenden Jahren unsere Stimmen stets im Einklang seien zu den Themen der sozialen Gerechtigkeit und der Bemühungen um den Frieden, die Würde und das Lebensrecht aller Menschen. Wir danken Gott für den Fortschritt, den wir bisher auf dem Weg zur Einheit des Glaubens zwischen der katholischen Kirche und der anglikanischen Gemeinschaft machen konnten. Möge dieser Fortschritt andauern und möge unser heutiges Gebet ein Zeichen für die wahre, wenn auch noch unvollkommene Einheit sein, die zwischen uns besteht und möge es auch unseren Wunsch zur Vertiefung dieser Einheit zum Ausdmck bringen. Willkommen in Rom, lieber Bruder in Jesus Christus. Willkommen in der Stadt, die durch das Blut der ersten christlichen Märtyrer geehrt wurde. Ich weiß, daß Sie sowohl Hoffnungen und Sehnsüchte als auch das Leid und die 1195 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Schmerzen vieler Angehöriger der Episkopalkirche in den Vereinigten Staaten im Herzen tragen. Ich möchte Sie bitten, bei Ihrer Rückkehr in Ihr Land allen Gläubigen, die Ihrer Hirtensorge anvertraut sind, die herzlichen Grüße des Nachfolgers Petri zu übermitteln. Die Hoffnung Christi in die Denkweisen unserer Zeit tragen Ansprache an die Mitglieder der Jahresvollversammlung des Päpstlichen Rates für die Kultur am 17. Januar Liebe Brüder im Bischofsamt! Liebe Freunde! 1. Mit besonderer Freude empfange ich nun im fünften aufeinanderfolgenden Jahr den Päpstlichen Rat für die Kultur. Ich heiße jeden und jede von Ihnen persönlich ganz herzlich willkommen. Ich begrüße in Ihnen die qualifizierten Repräsentanten so zahlreicher und verschiedenartiger Kulturbereiche in der Welt. Ich danke Ihnen, daß Sie jedes Jahr zu einem fruchtbaren Gedankenaustausch über die Situation der Kultur und der Kulturen zum Stuhl Petri kommen, um gemeinsam die Wege zu erkunden, die für die Begegnung der Kirche mit den Denkweisen und Bestrebungen unserer Zeit am geeignetsten scheinen. Als ich vor fünf Jahren den Päpstlichen Rat für die Kultur ins Leben rief, war meine Absicht, den ursprünglichen Wunsch des Zweiten Vatikanischen Konzils, der darauf abzielte, den Heilsdialog mit den Menschen und ihren Lebensbereichen zu fördern, in ein gemeinsames Aktionsprogramm umzusetzen. Bei unseren Begegnungen der vergangenen Jahre regte ich Sie dazu an, geeignete Mittel zu finden, um in der ganzen Kirche einen neuen Impuls zu entfachen, damit der Dialog zwischen Evangelium und Kultur sichtbare Realität wird. Sie wurden eingeladen, den Organen, die sich für die Unterstützung dieser zugleich kulturellen und evangelischen Bemühung am besten eigneten, besondere Aufmerksamkeit zu schenken: den Bischöfen und ihren Mitarbeitern, den Ordensinstituten und ihren Initiativen, den Internationalen Katholischen Organisationen und ihren kulturellen und apostolischen Vorhaben. Im Einklang mit den anderen Institutionen des Hl. Stuhls ist Ihr erstes Ziel, für die Universalkirche und die Teilkirchen die Bedeutung des Begriffes „Evangelisierung der Kulturen in der Welt von heute“ zu vertiefen, sicher 1196 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN eine gewaltige und umfassende Aufgabe, der aber für die künftige Sendung der Kirche lebenswichtige Bedeutung zukommt. Eine Instanz, um Anliegen der Kirche im Ktilturschaffen einzubringen 2. Fünf Jahre danach möchte ich Ihnen meine Befriedigung über die Arbeit zum Ausdruck bringen, die Sie vollbringen konnten. Beim Durchblättern Ihres in mehreren Sprachen veröffentlichten Bulletins „Kirche und Kulturen“ wird ganz deutlich, daß Sie bereits eine wichtige Beratungs- und Sensibilisierungsarbeit bei Bischofskonferenzen, bei Ordensinstituten, bei Internationalen Katholischen Organisationen, bei einer ganzen Reihe von privaten und öffentlichen Kulturzentren und bei internationalen Institutionen, wie der UNESCO und dem Europarat, geleistet haben. Etliche Episkopate haben sehr großzügig reagiert und neue Dienste eingerichtet, um einen gezielteren Dialog mit den Kulturen zu fördern. Die Ordensmänner und Ordensfrauen haben aktiv an einer internationalen Konsultation mitgearbeitet, die auf ihr Interesse für die Inkulturation ihrer apostolischen Tätigkeit und die Konsolidierung ihres Ordenslebens innerhalb der in Entwicklung begriffenen Kulturen hinweist. Auch die Internationalen Katholischen Organisationen haben im Dienst der kulturellen und spirituellen Förderung heutiger Männer und Frauen fruchtbare Beziehungen zum Päpstlichen Rat für die Kultur geknüpft. Dank der aktiven Mitarbeit von Mitgliedern des internationalen Rates wurden Regionalkongresse über verschiedene Kulturprobleme, die für die Kirche von Interesse sind, organisiert: in Notre-Dame in den Vereinigten Staaten, in Rio de Janeiro, Buenos Aires, München, Bangalore. Weitere internationale Konferenzen sind in Europa, in Nigeria und in Japan in Vorbereitung. Haben Sie Dank für dieses konkrete Bemühen und Engagement. Ihr internationaler Rat gewinnt so eine wirksame Bedeutung, die ich besonders hervorheben möchte. Und selbstverständlich liegt Ihnen, wie es die Konstitution Regimini Eccle-siae fordert, eine fruchtbare Zusammenarbeit mit den römischen Dikasterien am Herzen. Ich denke unter anderem an Ihren Beitrag zu dem Dokument über die Sekten und religiösen Bewegungen Universitäten und Hochschulen in die Überlegungen einbeziehen 3. Außerdem arbeiten Sie mit der Kongregation für das katholische Bildungswesen und mit dem Päpstlichen Rat für die Laien an einem Entwurf über „die Kirche und die Hochschulkultur“. Mit Hilfe aller an der Kirche unmittelbar 1197 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN interessierten Instanzen, Bischöfen, Ordensleuten, verschiedenen Organisationen und Laienpersönlichkeiten, versuchen Sie, durch Ihre direkte pastorale Tätigkeit und auch durch eine aktivere Förderung der evangelischen Werte innerhalb der an den Universitäten im Entstehen begriffenen Kulturen die Kirche im Bereich der Universitäten und Hochschulen stärker präsent zu machen. Diese Probleme verdienen alle Ihre Anstrengungen, und ich ermutige Sie lebhaft, diese wichtige, gemeinsam begonnene Arbeit fortzusetzen. Zahlreiche Bischöfe erwarten Aufklärung und Orientierung in einem Bereich, in den unzählige christliche Studenten und Professoren einbezogen sind. Die Zusammenarbeit aller, die an dieser Konsultation über „die Kirche und die Hochschulkultur“ interessiert sind, wird der ganzen Kirche die Erfahrung, die durch die Initiativen der einen und der anderen gewonnen wurde, und die gemeinsamen Überlegungen zu dem Erreichten zugute kommen lassen. Desgleichen wünsche ich mir, daß die bereits begonnene Zusammenarbeit mit der Internationalen Theologenkommission in fruchtbaren Ergebnissen ihren Ausdruck finden möge. Ihre gemeinsame Untersuchung über Glaube und Inkulturation antwortet auf eine ausdrückliche Forderung der außerordentlichen Bischofssynode und wird für das Hineinwachsen des Evangeliums in die Kulturen unserer Zeit von großer Bedeutung sein. Liebe Freunde, ich möchte allen aufrichtig danken, die sich hochherzig dem Auftrag widmen, den ich dem Päpstlichen Rat für die Kultur zum Wohl der ganzen Kirche anvertraut habe. 4. Während ich Sie zu den vollbrachten Aufgaben beglückwünsche, bitte ich Sie, mit viel Klarheit und Hoffnung in die Zukunft zu blicken. Lassen Sie mich Ihnen zwei grundsätzliche Orientierungen nahelegen, die Ihre Anstrengungen, Ihr Suchen, Ihre Initiativen und die Zusammenarbeit aller, mit denen Sie in Beziehung stehen, inspirieren sollten. Einmal fordere ich Sie neuerlich dazu auf, im Geist der Menschen die Dringlichkeit einer echten Begegnung des Evangeliums mit den lebenden Kulturen reifen zu lassen. Der Abstand zwischen der Frohbotschaft Jesu Christi und ganzen Gebieten der Menschheit ist noch immer unermeßlich und dramatisch. Zahlreiche Kulturbereiche sind dem Evangelium gegenüber verschlossen, abgeriegelt oder feindselig. Ganze Länder unterliegen kulturpolitischen Maßnahmen, die das Wirken der Kirche auszuschließen oder ernsthaft zu beschränken suchen. Jeder aufrichtige Christ leidet zutiefst unter diesen Hindernissen für die Verkündigung der Frohbotschaft. Im Namen der von den internationalen Stellen verkündeten kulturellen Förderung jedes Mannes und jeder Frau gilt es, unseren Zeitgenossen begreiflich zu machen, daß das Evangelium Christi für alle Menschen Quelle des Fortschritts und der Entfaltung 1198 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ist. Wir üben auf keine Kultur Zwang aus, wenn wir ihr diese heilbringende und befreiende Botschaft frei anbieten. Wir teilen mit jedem Mann und jeder Frau guten Willens eine uneigennützige und bedingungslose Liebe zu jeder menschlichen Person. Selbst mit denen, die nicht unseren Glauben teilen, können wir einen breiten Raum zur Zusammenarbeit für den kulturellen Fortschritt von Menschen und Gruppen finden. Die heutigen Kulturen sehnen sich brennend nach Frieden und Brüderlichkeit, nach Würde und Gerechtigkeit, nach Freiheit und Solidarität. Das ist sicherlich ein unverhofftes Zeichen der Zeit, das uns zwanzig Jahre nach der Enzyklika Populorumprogressio meines Vorgängers Paul VI. ermutigen soll, uns die Wege einer neuen Solidarität zwischen den Personen, den geistlichen Familien, den Reflexions- und Aktionszentren auszudenken. Stellen wir uns mutig die Frage: Haben wir Christen die von Gaudium et spes gepriesene kulturelle Kreativität ausreichend in die Tat umgesetzt, um die tatsächliche Begegnung der Kirche mit der Welt unserer Zeit voranzutreiben? Müssen wir nicht größere Fähigkeit zur Unterscheidung aufbringen, erfinderischer, entschlossener bei unseren Evangelisierungsvorhaben und auch bereiter sein zur unerläßlichen Zusammenarbeit in diesem weiten Bereich des im Namen unseres Glaubens übernommenen kulturellen Wirkens? Inkulturation — ein neues Wortfiir eine alte Verpflichtung 5. Das veranlaßt mich, auf ein gleichfalls zentrales Arbeitsziel zurückzukommen und darauf zu dringen, was den Gegenstand Ihrer gemeinsamen Überlegung mit der Internationalen Theologenkommission bildet: die Inkulturation. Ich selbst habe dieses Thema auf mehreren meiner jüngsten apostolischen Reisen zur Sprache gebracht. Denn dieser neue Begriff enthüllt, daß für die Kirche, vor allem in den Ländern nichtchristlicher Traditionen, etwas ganz Entscheidendes auf dem Spiel steht. Wenn die Kirche mit den Kulturen in Kontakt tritt, muß sie alles, was in den traditionellen Überlieferungen der Völker mit dem Evangelium vereinbar ist, aufgreifen, um die Reichtümer Christi dorthin zu bringen und um selbst durch die vielgestaltige Weisheit der Nationen der Erde bereichert zu werden. Sie wissen: die Inkulturation verpflichtet die Kirche zu einem schwierigen, aber notwendigen Weg. Auch die Bischöfe, die Theologen und die Fachleute für Humanwissenschaften müssen eng Zusammenarbeiten, damit dieser lebenswichtige Prozeß zum Wohl der Evangelisierten wie der Evangelisatoren erfüllt wird und damit jede Vereinfachung oder Überstürzung vermieden wird, die zu einem Synkretismus oder einer weltlichen Verkürzung der evangelischen Botschaft führen könnte. Setzen Sie mutig Ihre ruhige und tiefgehende Forschung über diese Fragen in 1199 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN dem Bewußtsein fort, daß Ihre Arbeiten vielen in der Kirche und nicht nur in den sogenannten Missionsländern dienen werden. Denn Sie geben sich ja nicht einer abstrakten intellektuellen Übung hin, sondern widmen sich einer Reflexion im unmittelbaren Dienst der Pastoral, einschließlich der Nationen christlicher Tradition, wo sich nach und nach eine „Kultur“ etabliert hat, die von Gleichgültigkeit oder Desinteresse gegenüber der Religion gekennzeichnet ist. Mit allen meinen Brüdern im Bischofsamt bekräftige ich mit Nachdruck die Notwendigkeit, die ganze Kirche zu einer schöpferischen Anstrengung für eine erneute Evangelisierung der Menschen und Kulturen aufzurufen. Denn nur durch die vereinte Anstrengung wird sich die Kirche in die Lage versetzen, die Hoffnung Christi in die Kulturen und Denkweisen unserer Zeit hineinzu tragen. Finden wir die Sprache, die Geist und Herz der vielen Männer und Frauen erfreuen soll, die sich, ohne es vielleicht zu wissen, nach dem Frieden Christi und nach seiner befreienden Botschaft sehnen. Das ist ein kulturelles und evangelisches Vorhaben von erstrangiger Bedeutung. Rückschläge sollen die Einsatzfreude nicht lähmen 6. Machen Sie unermüdlich weiter, ohne sich von den Schwierigkeiten, die einem solchen Auftrag nun einmal anhaften, beeinträchtigen zu lassen, regen Sie die freiwillige Mitarbeit an, deren es unbedingt bedarf, damit sich Bischöfe, Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen, Laien, Kultur- und Bildungsorganisationen in diesem apostolischen Geist des Dialogs engagieren, wie er vom Zweiten Vatikanischen Konzil gewünscht, von der außerordentlichen Synode des Jahres 1985 neuerlich mit aller Klarheit bekräftigt und in Initiativen wie jener des Weltgebetstages für den Frieden in Assisi in die Tat umgesetzt wurde. Ich ermutige Sie ganz besonders zur Fortsetzung Ihrer Anstrengungen, die Laien in dieser Aufgabe zu engagieren. Sie befinden sich nämlich inmitten der Kulturen, die die moderne Gesellschaft durchsetzen und prägen. Es hängt großenteils von Ihnen ab, daß das Evangelium Christi zu der Triebkraft wird, die die kulturellen Orientierungen, die über die Zukunft der Menschheit entscheiden werden, zu läutern und zu bereichern vermag. Für die kommende Bischofssynode, die dem Apostolat der Laien gewidmet ist, ist Ihr Beitrag von besonderem Interesse. . . Als Zeichen meiner Zuneigung und meiner Anerkennung und als Unterpfand der Gnade des Herrn erteile ich Ihnen und jedem einzelnen persönlich meinen Segen. 1200 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Verdichtung der Krisenfaktoren verlangt Horizontausweitung der Solidarität Ansprache an Leiter von Vereinigungen, die sich in der Arbeitswelt pastoral engagieren, am 17. Januar 1. Diese Begegnung mit euch, liebe Brüder und Schwestern, anläßlich eurer Tagung zum gründlichen Studium der Probleme der Welt der Arbeit im Lichte der Enzyklika Laborem exercens ist mir besonders willkommen. Ich begrüße euch herzlich und gebe meiner lebhaften Freude Ausdruck. Ich begrüße den Vorsitzenden der italienischen Bischofskonferenz, den lieben Kardinal Poletti, und danke ihm für seine liebenswürdigen Worte. Ich begrüße ebenso den Generalsekretär Msgr. Camillo Ruini, den Präsidenten der Kommission für soziale Probleme und Arbeit, Msgr. Fernando Charrier, mit den Mitgliedern der Kommission, die Vertreter der katholischen Vereinigungen und Bewegungen, die sich dem großen Anliegen der christlich verstandenen und deshalb ganz menschlichen Unterstützung und Förderung der Brüder in ihrer Beziehung zur Wirklichkeit der Arbeit widmen. Mit gleicher Zuneigung wende ich mich an euch alle und danke euch für eure zahlreiche und aktive Teilnahme, die von einem Engagement für die christliche Berufung in Treue und Kohärenz zeugt. In eurer Person richte ich meinen herzlichen Gruß an ab le Arbeiter und Arbeiterinnen. 2. Ich sehe in der heutigen Initiative ein Zeichen dafür, daß die Kirche in Italien entschlossen ist, beharrlich „eine Pastoral, die sich mit aller Aufmerksamkeit der Probleme und der Kultur der arbeitenden Menschen animmt“, zu verstärken (Insegnamenti di Giovanni Paolo II., VI, 2, 1983, S. 1119) entsprechend der Weisung, die am 18. November 1983 zum Abschluß einer ähnlichen, gleichfalls von der Kommission für soziale Probleme und Arbeit der Italienischen Bischofskonferenz veranstalteten Tagung erteilt wurde, eine Weisung, die der Kongreß in seine Aktionsprogramme aufgenommen hat. Ich freue mich aufrichtig darüber und bin sicher, daß in dieser Richtung dank eures Wirkens heute ein neues Kapitel von zuverlässiger Lebenskraft geschrieben wird. Denn ihr seid von der Absicht beseelt, auf die vielfältigen Veränderungen, die sich in der Welt der Arbeit in unserer Zeit vollzogen haben, die angemessensten Antworten zu suchen. Und während ihr auf bewundernswürdige Weise die verschiedenen Kräfte zu einem einheitlichen Vorhaben zusammengefügt habt, schlugt ihr mit konstruktiver Genauigkeit und Feinfühligkeit den Weg 1201 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN des Lehramtes ein. Ein Weg, der auch in unserer modernen Zeit an Rerum no-varum als Bezugspunkt festhält, der Enzyklika meines Vorgänger Leo XIIL, deren neunzigsten Jahrestag mit der Enzyklika Laborem exercens gedacht wurde und die in vier Jahren ihr Hundertjahrjubiläum „feiern“ kann. 3. Die von der Kommission für soziale Probleme und Arbeit der italienischen Bischofskonferenz verfaßte Pastoralnote „Kirche und Arbeiter im Wandel“ soll von den Bischöfen in den jeweiligen Diözesen und auf entsprechendes gemeinsames Ersuchen hin noch eingehend geprüft werden. Sie ist aus einem Studienseminar über das Thema der sozialen Solidarität hervorgegangen. Und von Hinweisen verschiedener Form auf die Solidarität waren denn auch die zwölf „Zeugnisse“ durchdrungen, die wir soeben gehört haben: als Äußerung von Vereinigungen, die sich in verschiedenen Bereichen für die arbeitenden Menschen einsetzen und zum Sprecher ihrer Ängste, Bedürfnisse und Wünsche werden. Die Solidarität ist ein Gebot, das sich in dem Ausmaß, in dem die aktuellen Schwierigkeiten zunehmen, immer schärfer aufdrängt. Die Welt der Arbeit macht jetzt zweifellos eine schwere Zeit durch, ganz allgemein wegen der Aspekte der Dekadenz, die dem Antlitz der Zivilisation ein negatives Aussehen geben, und im besonderen wegen der komplexen Erscheinungen, die von den raschen, tiefgreifenden und unaufhörlichen Veränderungen im Bereich der Wissenschaft, der Technologie und der Automatisierung herrühren. Tiefgreifende Strukturänderungen sind nötig, den Menschen zum Subjekt der Arbeit zu machen Andererseits ist die Solidarität ein charakteristisches Begleitmerkmal dessen, was man gewöhnlich als die „Arbeiterfrage“ bezeichnet. Die Notwendigkeit, Mißbräuche abzuschaffen, die Anerkennung unveräußerlicher Rechte zu fördern und Arbeitsbedingungen zu garantieren, die der Gerechtigkeit und Gleichheit entsprechen, „hat unter den arbeitenden Menschen geradezu einen Sturm der Solidarität ausgelöst... Es war die Reaktion gegen die Erniedrigung des Menschen als des Subjekts der Arbeit“ {Laborem exercens, Nr. 8); d. h. des Menschen, der sich, wie es dem Adel seiner Wesensnatur entspricht, weigert, als Produktionswerkzeug angesehen zu werden, sondern mit Recht wirkliches, tatsächliches und anerkanntes Subjekt sein will. Diesem Ziel kommt noch immer enorme Bedeutung zu. „Man muß sich daher weiterhin die Frage nach dem Subjekt der Arbeit und nach seinen Lebensbedingungen stellen. Will man die soziale Gerechtigkeit in den verschiedenen Teilen der Welt, in den verschiedenen Ländern und in den Beziehungen zwi- 1202 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sehen ihnen verwirklichen, bedarf es immer neuer Bewegungen von Solidarität der Arbeitenden und mit den Arbeitenden“ (ebd.). 4. Man darf nicht müde werden, den Vorrang des Menschen vor der Arbeit zu verfechten, zu vertiefen und zu verbreiten. Die heutige Krise der Werte, die so viele Gewissen erfaßt und verwirrt, stellt ein weiteres Argument dafür dar, daß die Zielsetzung entschlossen auf den Menschen, auf das, was der Mensch ist, auf die Wahrheit seines Wesens ausgerichtet werden muß. Als immer dringender erweist sich daher die Rückkehr zu den biblischen Schöpfungsberichten, zu jenem „Realismus“, in dem das Geschöpf Mensch zum „Mitarbeiter“ am Werk und an der „Mühe“ des Schöpfers und damit zum einsichtigen und weisen Beherrscher der unzähligen im Kosmos verborgenen Kräfte aufsteigt, die der wissenschaftliche und technische Fortschritt immer weiter entdeckt. Vor diesem geheimnisvollen und erhabenen Hintergrund erscheint der — arbeitende, laborem exercens — Mensch in seiner wahren Größe. Aus jener Quelle entspringt die absolute Unantastbarkeit des Menschen, die Gewähr, daß sie niemals und um keinen Preis vermarktet werden darf, wie immer die Entwicklung der Ideologien bzw. der Wirtschafts- und Sozialpolitik aussehen mag. Eine Horizontausweitung der Solidarität, wie sie von der Verdichtung der Krisenfaktoren verlangt wird, die sämtliche Arbeitsbereiche — von der Landwirtschaft bis zur Industrie, vom Handwerk bis zu den Dienstleistungen und den selbständigen Unternehmen — in verschiedener Weise heimsucht, fordert die Notwendigkeit, alle Anstrengungen zu unternehmen für die Ausweitung des Einvernehmens über das Grundprinzip der persönlichen Würde der Frau und des Mannes in Beziehung zur Arbeit und damit des absoluten und unverzichtbaren Vorranges der Person vor der Tätigkeit, die sie ausübt oder auszuüben befähigt ist. Es handelt sich um eine Aufgabe von vorrangiger Bedeutung, von der sich niemand, dem das soziale Wohl ehrlich am Herzen liegt, entbunden fühlen kann. In ganz besonderer Weise obliegt sie denjenigen, die mit öffentlicher Verantwortung ausgestattet sind, in erster Linie den Vertretern jener Kunst, die zur Förderung des Gemeinwohles bestimmt ist, also der Politik, und mit ihnen allen jenen, die die Möglichkeit haben, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Besonders hervorheben möchte ich die Rolle der Männer und Frauen des Geistes. Seiner bedarf es um so dringender, je mehr sich die heutige Denkungsart Ausdrucksformen der Vermassung gegenübersieht, die vom Wesentlichen des Lebens ablenken und statt dessen zum Nebensächlichen, wenn nicht geradezu ins Oberflächliche und Beiläufige führen. 1203 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ich möchte auch die Rolle der im Bereich der sozialen Kommunikationsmittel Tätigen unterstreichen. Ihnen stehen wertvolle Instrumente zur Verfügung, mit denen sie unablässig daran mitwirken können, bei jeder Gelegenheit als Grundidee für die Lösung der sozialen Fragen den Vorrang der Person vor der Arbeit zu verbreiten. 5. In der Anhäufung von sozialen, strukturellen und kulturellen Veränderungen, die die Welt der Arbeit in zunehmendem Maße durchmacht, nimmt die Solidarität alle Merkmale einer vorrangigen Dringlichkeit an. Die Verbreitung der Automatisierung verlangt unvermeidlich, den Anspruch auf Garantie der Vollbeschäftigung mit neuen Augen zu sehen, einen Anspruch, den jede wohlgeordnete Gesellschaft als notwendiges Ziel ansieht, da man nur zu gut weiß, was es für die einzelnen, für die Familien und für die Gemeinschaft bedeutet, zum Nichtstun verurteilt zu sein. In der konkreten Wirklichkeit scheint die Entdeckung dieses Zusammenhanges noch in weiter Ferne zu liegen. Das zeigen uns mit unerbittlicher Deutlichkeit die Statistiken über die Arbeitslosigkeit, besonders unter den Jugendlichen, die ihren ersten Arbeitsplatz suchen, und die Scharen von Kurzarbeitern, die in allen Berufssparten zunehmen. Diese besorgniserregenden Zahlen weisen auf einen tiefen Übelstand hin, der das Gesellschaftsgefüge durchdringt, einen allgemeinen, nicht bloß wirtschaftlichen Übelstand, wie das Fortbestehen zahlreicher Mißstände trotz der Hebung des Lebensstandards beweist. Eine Änderung der Verhältnisse ist der Ökonomiestruktur nicht immanent Die Mechanismen der Solidarität brauchen, um anzulaufen und wirksam zu werden, einen eindeutigen und moralischen „Motor“. Eine rein ökonomisti-sche Gesinnung — welchen philosophischen und sozialen „Mutterboden“ sie auch haben mag — ruft mindestens abweichende Widersprüche hervor. Ein Gewissen hingegen, das seine Sensibilität auf das Tempo der technologischen Entwicklung und der verschiedenen Evolutionen des menschlichen Denkens und Wirkens abstimmt und alles auf den Wert „Mensch“ bezieht, wird nicht müde zu versuchen, die auftretenden Probleme „an der Wurzel“ zu lösen. „An der Wurzel“: das heißt, nichtbloß in einem Teilbereich, sondern auf dem Gebiet, wo der Mensch die Erfahrung erlebt — und sie in der ganzen Fülle, ohne Aufteilung „in Bezirke“ erleben können soll —, Baumeister seines menschlichen Wachstums zu sein. 1204 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 6. Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit ist aufs engste mit der Art der Schulordnungen verbunden. Die Ernsthaftigkeit des Unterrichts und der Aufnahme durch die Schüler, die Fähigkeit der Schule, mit den pädagogischen Methoden und in den Studienprogrammen wirksam auf das Leben vorzubereiten, sind grundlegende Faktoren der Offenheit für die Welt der Arbeit. Die Schule ist ihrer Natur nach eine Stätte zur Formung der Persönlichkeit — in Weiterführung der erzieherischen Aufgabe der Familie. Sie besitzt — sozusagen auf Grund angeborenen Rechtes — eine Art von Heiligkeit, die Manipulationen jeglicher Art entschieden verbietet und statt dessen jede nur mögliche Unterstützung verlangt, die die Erfüllung ihrer hervorragenden Aufgabe zum Ziel hat. In dieser Sicht findet die richtige Beziehung zwischen Schule und Öffnung für die beruflichen Tätigkeiten ihre natürliche Einordnung, die imstande ist, nach und nach jene Sümpfe trockenzulegen, in denen sich die Plage der Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung der Jugend anstaut. Die Harmonie zwischen Schule und Arbeitswelt muß Gegenstand zäher Forschung sein. Aber das, worauf ich soeben hingewiesen habe, ist nur ein Aspekt der dramatischen „Plage“ der Arbeitslosigkeit. Sie weist viele und komplexe Seiten verschiedener Art auf, die sorgfältig studiert und fortwährend verfolgt werden. 7. Im Zuge dieser Gedanken muß man auch das andauernde gleichzeitige Bestreben von Arbeitslosigkeit, Emigration und Zuwanderung ins rechte Licht rücken, wofür die Situation in Italien ein in gewisser Hinsicht besonders charakteristisches Beispiel ist. Dieses „Nebeneinander“ von Erscheinungen, die, so wollten es dieTheoric und manche Voraussagen, gegenseitige Abhilfe hätten schaffen sollen, hat sich unbemerkt zu unerwarteten Ausmaßen ausgeweitet. Das erlegt, ja bürdet der Migrationspolitik schwerwiegende Fragen auf; diesbezügliche politische Maßnahmen waren bisher jeweils nur mit sektoraler Reichweite konzipiert und häufig auch ökonomistischen, an Parteiinteressen gebundenen Kriterien praktiziert worden, die weit davon entfernt waren, die Suche nach Arbeit als ein echtes Recht des Menschen, als eine konkrete Ausübung jener Freiheit anzusehen, die das Vorrecht der menschlichen Person ist. Die zunehmende Betonung der künstlichen Verbindung der drei Worte: Arbeitslosigkeit — Emigration — Zuwanderung ist Ausdruck einer harten Wirklichkeit und eröffnet besorgniserregende Aussichten. Weiter verpflichtet die Tatsache, daß davon Männer und Frauen jeden Alters, jeder sozialen Herkunft und jeder Berufsgruppe betroffen sind, zu verstärkter und gründlicherer Überlegung und Aufmerksamkeit. In diesem Zusammenhang gilt es, sich bewußt zu machen, daß heute die Probleme der Arbeit auf Weltebene angegangen werden müssen. Es müssen alle 1205 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Anstrengungen dafür unternommen werden, daß die internationalen Abkommen immer mehr zur Anwendung gelangen und neue getroffen werden, damit die Würde der arbeitenden Menschen konkret anerkannt werden kann auf der Grundlage einer Solidarität und eines Bewußtseins vom Gemeinwohl auf wirtschaftlichem Gebiet, die unabhängig von den ethnischen und kulturellen Unterschieden nach und nach die gesamte Menschheit erfassen. 8. Die Ausweitung des Horizonts der Solidarität und. die Belebung ihrer Inhalte verlangt von den Christen den Beitrag der besonderen Gnadengabe der Liebe. Die christliche Berufung befähigt dazu. Christus, der göttliche Arbeiter und Erlöser der Arbeit, ist mit seinem Licht und seiner Gnade Vorbild und Beispiel, Stütze und Seele. Es gilt daher weiterzumachen in den Überlegungen und im Bemühen um Aufnahme des „Evangeliums der Arbeit“, dessen wesentlicher an den Beginn der Schöpfung zurückreichender Kern im Haus von Nazaret während der ungefähr dreißig Jahre währenden mühevollen manuellen Arbeit des Gottessohnes und dann auf den Straßen Palästinas in seinen vielfältigen Kontakten mit der Menschheit seine geheimnisvolle Entfaltung findet. Das „Evangelium der Arbeit“ ist die Quelle, aus der wir die Erleuchtung und Kraft bei der Auseinandersetzung mit den auftretenden Problemen schöpfen. Von daher kommt die Inspiration für konkrete Initiativen zu Dienst und Förderung. Von daher stammt die Gewandtheit bei der weisen und phantasievollen Erfindung der technischen Mittel — eine spezifische Aufgabe der Laien —, die geeignet sind, Anstoß zu geben für die globale Erhöhung der Welt der Arbeit. Und aus derselben Quelle stammt die hochherzige Bereitschaft zur Zusammenarbeit als „Zeugen der wahren Würde des Menschen“, wie ich in der Enzyklika Dominum et vivificantem schrieb, „um all das zu verwirklichen und zu vervollkommnen, was im heutigen Fortschritt der Zivilisation und Kultur, der Wissenschaft und Technik und der anderen Bereiche des menschlichen Denkens und Wirkens gut, edel und schön ist“ (Dominum et vivificantem, Nr. 60). Liebe Brüder und Schwestern! Als Besiegelung von Rerum novarum schlug Leo XIII. als Lösung der in seiner Lehr-Enzyklika aufgegriffenen Fragen und Probleme die Liebe vor, „jene christliche Liebe, die das ganze Evangelium in sich zusammenfaßt und die immer bereit ist, sich für den Nächsten aufzuopfern“ (Rerum novarum, Nr. 35). Das ist das Stichwort auch in der heutigen Zeit, während wir auf dem Weg zum Jahr Zweitausend in uns selber die Möglichkeiten der evangelischen 1206 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Botschaft von der Heilsrettung und Befreiung erfassen und fruchtbar werden lassen wollen. Ich bin sicher, daß im bevorstehenden Marianischen Jahr die Pastoralpro-gramme der Teilkirchen auch auf Grund eures Interesses geeignete Initiativen zum Studium und zur Analyse der Probleme der arbeitenden Männer und Frauen treffen und dabei den Armen und Bedürftigen besondere Aufmerksamkeit schenken werden: ihnen hat die heilige Jungfrau, wie auch die Geschichte der ihr geweihten Heiligtümer beweist, stets Gesten ihrer bevorzugten mütterlichen Liebe gewidmet. Während ich ihren Schutz auf euch persönlich und auf euer Wirken herabrufe, erteile ich euch von Herzen den Apostolischen Segen, in den ich alle Arbeiterinnen und Arbeiter im geliebten Italien einbeziehe. Das Gebet für die Einheit darf nicht aufhören Predigt in St. Paul vor den Mauern am 25. Januar 1. „Seht, das ist unser Gott, auf ihn haben wir unsere Hoffnung gesetzt, er wird uns retten. Wir wollen jubeln und uns freuen! (Jes 25,9). Liebe Mitbrüder, liebe Gläubige! Machen wir uns die Worte, die der Prophet Jesaja vor so vielen Jahrhunderten sprach, zu eigen, erheben wir unsere Gedanken zum einzigen und wahren Gott und heften wir unseren Blick auf den geheimnisvollen Lauf der kommenden Geschichte. Auch wir hofften und hoffen wie der Prophet auf Gott, der uns in Christus erlöst hat. Unsere Herzen sind daher, wie sein Herz, voll Freude und Dank. Jedes Jahr treffen wir uns in dieser berühmten Basilika St. Paul vor den Mauern, um die Bekehrung des Völkerapostels zu feiern, um die „Weltgebetswoche für die Einheit der Christen“ abzuschließen, die in diesem Jahr unter dem Thema „Mit Christus vereint, eine neue Schöpfung“ stand. Die Vorsehung hat uns diese Woche intensiven Gebets und tiefen Nachdenkens geschenkt, die uns nachdrücklich an die Grundpflicht erinnert, die Einheit aller Christen zu fördern, und uns nahelegt, täglich für die Erreichung dieses hohen Ziels zu beten und uns wahrhaft dafür einzusetzen. In Christus ist das Heil für die ganze Menschheit gekommen: in ihm, durch ihn und mit ihm können wir dem Vater das eucharistische Opfer darbringen, 1207 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN das jederzeit und an jedem Ort gegenwärtig wird und das blutige Kreuzesopfer verewigt. In Christus fand der hl. Paulus das Licht, als er die geheimnisvolle und gebieterische Stimme hörte, die ihn umwarf und sein Leben veränderte: „Ich bin Jesus, der Nazoräer, den du verfolgst ... Steh auf, und geh nach Damaskus, dort wird dir alles gesagt werden, was du nach Gottes Willen tun sollst“ (Apg 22,8-10). Und dort in Damaskus erfuhr er durch Hananias, was Gott mit ihm vorhatte: „Der Gott unserer Väter hat dich dazu erwählt, seinen Willen zu erkennen, den Gerechten zu sehen und die Stimme seines Mundes zu hören; denn du sollst vor allen Menschen sein Zeuge werden für das, was du gesehen und gehört hast“ (Apg 22,8-10). Eindringlicher Appell des hl. Paulus Ist denn Christus zerteilt? 2. „Er hat dich dazu erwählt, seinen Willen zu erkennen“. Der Wille Gottes war, daß Paulus die Welt durcheile, um allen das Wort des Heils zu verkünden. Paulus nahm diesen Auftrag an und machte ihn von diesem Augenblick an zum Seinsgrund seines Lebens. Seine „Bekehrung“ bestand genau genommen darin: Überzeugt zu sein, daß Christus auf dem Weg nach Damaskus in sein Dasein eingetreten sei, um ihn auf ein einziges Ziel hinzu weisen: die Verkündigung des Evangeliums. „Griechen und Nichtgriechen, Gebildeten und Ungebildeten bin ich verpflichtet... Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht: Es ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt“ (Röm 1,14-16). Das Evangelium ist eine Quelle des Heils, weil es das Evangelium Christi ist. Dessen bewußt, wollte Paulus seine eigene Verkündigung mit der der anderen Apostel vergleichen, um sich der Echtheit der eigenen Predigt zu vergewissern (vgl. Gal 2,1-10). Und er wurde sein Leben hindurch nicht müde darin, die Treue zu den erhaltenen Lehren zu empfehlen, „denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus“ (1 Kor 3,11). Und aus diesem Bewußtsein fließt die Sorge des Apostels für die Einheit im Glauben: „Ein Herr — sagt er mit Nachdruck —, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist“ (Eph 4,5-6). Jedes Attentat auf die Einheit des Glaubens ist ein Attentat auf Christus selbst. Paulus war davon so tief überzeugt, daß er auf alle Spaltungen in der Urge-meinde unter Berufung auf den einen oder anderen Apostel mit jener schmerzlichen Frage reagierte, deren Echo noch in der Kirche von heute zu hören ist: „Ist denn Christus zerteilt?“ (1 Kor 1,13). Die Frage des Paulus richtet sich auch an uns. Sie richtet sich an das kirchliche Gewissen aller Zeiten und aller Orte und fordert uns auf, dem höchsten Geheimnis der Einheit sicht- 1208 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN baren Ausdruck zu geben, zu der die Männer und Frauen unwiderruflich berufen sind, die von einem einzigen Gott geschaffen und von einem einzigen Herrn in einem einzigen Geist erlöst sind. Das II. Vatikanische Konzil hat die Kirche als „Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (Lumen gentium, Nr. 1), definiert und sich die Auffassung des Apostels zu eigen gemacht, wenn es vor der Welt den eigenen brennenden Wunsch bezeugte, jedem Geschöpf in Christus den Weg der Einheit zeigen zu können. Jesus Christus wollte die Seinen sammeln, nicht spalten 3. Die ökumenische Bewegung achtet in dem kurzen Zeitraum, der uns noch vom großen Jubiläum des Jahres 2000 nach der Erlösung trennt, wachen Auges auf diese Mahnung. Das gemeinsame Gebet aller Christen in dieser Woche ist in gewisser Weise Vorwegnahme dieser Wirklichkeit. Das Gebet für die Einheit muß unaufhörlich die vielfältigen konkreten Schritte derer begleiten, die im Auftrag ihrer jeweiligen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften danach trachten — im Denken und in der Praxis — die in Fülle ausgegossenen Gaben des Geistes wieder in das Gewebe der einzigen Kirche einzuflechten, das Sakrament des einzigen Herrn, des Erlösers der Menschen. 4. Genau vor einem Jahr habe ich in dieser Basilika ein Ereignis angekündigt, das eine wichtige Dimension der Sendung der Kirche in guter Weise zum Ausdruck gebracht hat. Ich beziehe mich auf den Gebetstag für den Frieden in Assisi. Die Erde, die uns beherbergt, die vom Weltraum aus betrachtet eine blaue Oase des Friedens scheint, ist durch die Sünde des Menschen leider eine Erde voll Angst. Die Menschen, die sie bewohnen, wissen das sehr gut, sie haben Furcht. Die Nationen fürchten sich, die eine vor der anderen. Die verschiedenen Gruppen, in denen die Menschen sich organisieren, fürchten sich voreinander. Der Mensch, könnten wir sagen, hat Furcht vor dem Menschen. Aber gerade diese Angst, die in unserer Zeit den Gegenpol der vom Menschen erreichten Zivilisation darstellt, scheint ihn dringend aufzufordem, sich selbst als Geheimnis zu begreifen. Und doch, wie wir wissen, die Versuchung, die dieses Jahrhundert am Ende einer komplexen und weltumspannenden Kulturentwicklung — vor allem in den Ländern mit dem höchsten wissen- 1209 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN schaftlichenund technologischen Fortschritt — charakterisiert, ist gerade das Vergessen des Geheimnisses. Am Anfang der Menschheitsgeschichte haben die verschiedenen Religionen immer versucht, den Menschen zum Bewußtsein des eigenen Geheimnisses hinzuführen und ihn gleichzeitig aufgefordert, sich der Anerkennung des absoluten Geheimnisses zu öffnen und in ihm eine Antwort auf die eigenen Fragen zu finden.. Uns Christen hat sich das Geheimnis im Kreuz und der Auferstehung Christi offenbart, als Zeugnis für eine unendliche Liebe, in der jede Angst für immer ihr Ende findet. Eine „neue Schöpfung“ erschien am Horizont dieser Liebe. Ihre Bannerträger müssen wir Christen in Wort und Leben vor der Welt sein. Wir werden es in dem Maß sein, in dem wir die Einheit leben, die aus der Liebe fließt. Vor einer Welt, die vom Egoismus gespalten und deshalb von Furcht heimgesucht ist, müssen wir das Licht der „neuen Schöpfung“ sichtbar machen, nach der sich, wenn auch unbewußt, jedes Menschenherz sehnt: eine von brüderlichem und wirklichem Verstehen erhellte Schöpfung, die dank dem Erlöserblut Christi von Sünde befreit ist. „Mit Christus vereinigt, eine neue Schöpfung“: vor den schweren Problemen der zeitgenössischen Welt stellt sich der ökumenische Einsatz notwendiger und dringender als je dar. Das Treffen von Assisi ist leuchtendes Zeichen im Prozeß nachkonziliaren Mühens um Einheit 5. Das Treffen von Assisi und der aus ihm geborene Geist stehen so in ihrem wahren Licht: ein Schritt weiter auf diese Perspektive hin. Denn der Tag von Assisi war Gelegenheit zu einem gemeinsamen und geziemenden Zeugnis für das Geheimnis Gottes, aus dem allein die Quellen des Friedens fließen. In der Geste, die für einen Tag alle großen Religionen der Menschheitsfamilie vereint hat, durfte das uns Christen gemeinsame Gebet nicht fehlen, die Gott als Vater Jesu anrufen, der am Kreuz für unsere Sünden gestorben und in Herrlichkeit auferstanden ist. In den Fußstapfen des Konzils ist sich die Kirche heute mehr als je der Natur des Sakramentes der Einheit bewußt. Sie sieht den Grund ihres Daseins, gerade in unserer kritischen Zeit, in der vollen Verwirklichung ihrer sakramentalen Wirklichkeit. In unserer Zeit hat folglich die Suche nach voller Einheit der Christen ihren Platz im Herzen der Berufung und Sendung der katholischen Kirche. 6. Liebe Brüder und Schwestern! Diese Gedanken müssen uns zu einem in-ständigen, unermüdlichen, glühenden Gebet urn die Erlangung der vollen Einheit veranlassen. 1210 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das Gebet für die Einheit steigt heute deshalb glühender und dankbarer aus unserem Herzen, weil wir schon, vor den Augen der ganzen religiösen Welt, gemeinsames Zeugnis für den erhabenen Namen Christi geben konnten. Zeugnis ohne Worte Predigt in der Messe am Fest der Darstellung des Herrn, 2. Februar 1. „Ihr Tore, hebt euch nach oben“ (Ps 23/24,9). Die heutige Liturgie verkündet das Lob des Tempels. An erster Stelle das des Tempels von Jerusalem und dann das eines jeden anderen. Doch der Tempel von Jerusalem steht hier als Urbild. Dieses Lob geht aus der Geschichte Israels, des von Gott auserwählten Volkes hervor, des Volkes, dem Gott in besonderer Weise durch seine Patriarchen, durch Mose und die Propheten nahe war. Der Tempel von Jerusalem schließt die ganze Tradition dieser innigen Beziehung und auch die Geschichte des auserwählten Volkes in sich. „Ihr Tore, hebt euch nach oben!“ Gott, der in der Höhe wohnt, stieg'in einer Wolke herab. Der Herr der Heerscharen, der Herr der Herrlichkeit. Die Wolke des Herrn bedeckte Mose und die Bundeslade, als er, der Herr, noch im Zelt wohnte. Dann stieg sie in den Tempel herab, an den Ort, der „das Allerheiligste“ hieß. Niemand durfte dort eintreten, nur der Hohepriester an den bedeutendsten Festen. Als einer unter vielen kam der Messias zur Darstellung in den Tempel 2. Heute kommt er, der der Herr des Tempels ist, unter sehr bescheidenen Umständen. Er kommt mitten aus dem Volk, ja aus der Mitte derer, die in diesem Volk die Ärmsten sind. Er kommt als Kind am vierzigsten Tag nach der Geburt, am Tag, an dem das Gesetz die Reinigung der Mutter und die Darstellung des erstgeborenen Sohnes vorschrieb. Er kommt unbemerkt. Maria und Josef bringen ihn geradeso, wie viele andere Kinder am vierzigsten Tag nach der Geburt gebracht wurden. Hatte der Prophet Malachias vielleicht von ihm gesprochen, als er fragte: „Wer erträgt den Tag, an dem er kommt? Wer kann bestehen, wenn er erscheint?“ {Mal 3,2). Hatte der Psalmist von ihm gesprochen, als er sang: „Ihr Tore, hebt euch nach oben ... denn es kommt der König der Herrlichkeit?“ Alles jedoch verläuft ganz normal. Der Tempel schweigt und betet, wie gewöhnlich. Er ist wie immer, wie seit Jahrhunderten, erfüllt vom Geheimnis 1211 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der Gegenwart des Bundesgottes, des Gottes, der aus der Höhe kommt. Der Tempel scheint kein anderes Kommen zu erwarten. Ein Kind gibt dem alten Simeon den verheißenen Frieden 3. Aber ein Mann ist da, der es begriffen hat. Zwei Augen haben gesehen. Eine Stimme hat gerufen. Sie hat das Schweigen des Tempels durchbrochen und etwas ausgerufen. Erschütternd sind die Worte dieses alten Mannes, der voll des Heiligen Geistes gesprochen hat. In den Worten Simeons begegnen sich das Alte und das Neue, die Verheißung und die Erfüllung. Durch diese Stimme steigt Gott herab ins Herz seines Volkes. Er hebt die Tore ewiger Bestimmung und öffnet sein irdisches Zelt für die endgültige Erfüllung in der Ewigkeit, in der Stadt Gottes, im himmlischen Jerusalem. Es gibt nur einen einzigen Hohenpriester: den Hohenpriester der zukünftigen Güter, der mit seinem Leib und seinem Blut ins ewige Heiligtum eintreten wird, in das Allerheiligste des Himmels. Dieses hier nun ist der Beginn seines Einzugs. Gerade heute. Gerade in dieser Darstellung des Erstgeborenen, die das letzte und ewiggültige Opfer vorausverkündet. In den Tempel von Jerusalem kommt jener, der „ein barmherziger und treuer Hoherpriester vor Gott“ wurde, „die Sünden des Volkes zu sühnen“ (Hebr 2,17). 4. Genau das sehen die Augen des greisen Simeon. Genau das drücken seine Worte aus. Das gleiche, wenn auch mit anderen Worten, bringt „Hanna, eine Tochter Penuels ... hochbetagt“, zum Ausdruck (vgl. Lk 2,36). Sie trat nämlich „in diesem Augenblick hinzu, pries Gott und sprach über das Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten“ (Lk 2,38). Und „sie hielt sich ständig im Tempel auf und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten“ (Lk 2,37). Die Erkenntnis von Simeon und Hanna in die Welt tragen 5. Eure Berufung, liebe Brüder und Schwestern, fußt auf dem Zeugnis Simeons und Hannas. Sie leitet sich in besonderer Weise davon ab, und darum versammelt ihr euch gerade heute in dieser vielgestaltigen Gemeinschaft der Orden und Kongregationen, die in Rom vertreten sind. Und in gewissem Sinn vertretet ihr alle Ordensmänner und -frauen der Kirche auf der ganzen Welt. Eure Berufung hat in der Tat gewisse Ähnlichkeiten mit der des Simeon und der Hanna: wie sie vom Heiligen Geist berufen, habt ihr den Herrn erkannt, dem ihr euch im Gebet und im Opfer hingegeben habt; wie sie sprecht ihr, nachdem ihr ihn kennengelemt habt, von ihm zu den Brüdern, die auf die Er- 1212 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN lösung warten. Mit Simeon könnt ihr wiederholen: „Meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (Lk 2,30-32). In besonderer Radikalität und Hingabe dem Herrn verpflichtet 6. Wie für ihn, so kam'auch für euch eure Berufung aus dem Licht, das Christus ist. Die Anregung, dem Weg der evangelischen Räte zu folgen, kam aus der inneren Begegnung mit der Erlöseriiebe Christi; durch diese Liebe seid ihr berufen worden. Als Christus den Blick auf euch geheftet hatte und euch liebgewann, hat sein Blick sich auf jeden einzelnen von euch gerichtet und einen bräutlichen Charakter angenommen, er wurde zur erwählenden Liebe, die euer ganzes Sein, Seele und Leib, Gedanken und Empfindungen, jeden einzelnen in seinem einen und unwiederholbaren personalen „Ich“ umfaßt (vgl. Redemptionis donum, Nr. 3). Gewiß ist allen Christen die Erlösung als ungeschuldetes Geschenk durch Christus zuteil geworden, und alle sind dazu berufen, ihn vor den Menschen zu bekennen; aber ihr habt euch durch die Profeß der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams dazu entschlossen, euch ganz und gar eurem großen und höchsten Herrn, seinem Willen und seiner Liebe hinzugeben. Im Verlauf dieser Liturgiefeier werdet ihr nachher öffentlich eure Profeßversprechen erneuern, um die uneingeschränkte Liebe zu bezeugen, mit der Christus euch geliebt hat, und um erneut euren festen Entschluß zu bestätigen, ihm in den Brüdern zu dienen. Die Christen, die in den verschiedenen sozialen Aufgabenbereichen unserer Zeit tätig sind, haben es nötig, das Zeugnis der Ordensmänner und -frauen vor Augen zu haben, damit sie durch deren Dienst totaler Hingabe an Gott daran erinnert werden, daß die Gestalt dieser Welt vergeht. Ihr habt gänzliche Loslösung gewählt und angenommen und müßt dabei bleiben und euch nur auf den Herrn stützen. Ihr wißt gut: Um das Zeugnis geben zu können, das die Welt ja von euch erwartet, muß das Ordensleben seine Eigenart bewahren, und jede Ordensgemeinschaft muß in ihrer besonderen Weise ihr eigenes, vom Gründer gewolltes Charisma hochhalten. Damit ist, nach den Worten Simeons, gegeben, daß man zum „Zeichen des Widerspruchs“ wird, gewiß nicht des Widerspruchs gegen den Menschen, sondern gegen unmenschliche Haltungen in der heutigen Gesellschaft; auch nicht gegen die Werte der modernen Welt, vielmehr soll deren Heil gewirkt werden. Zu diesem Einbringen des Evangeliums in die Bereiche der Welt trägt auch jene besondere Form gottgeweihten Lebens bei, die den Säkularinstituten eigen 1213 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ist. Papst Pius XII. hat sie in der Apostolischen Konstitution Provida Mater Ecclesia vor genau vierzig Jahren, am 2. Februar 1947, offiziell anerkannt. 7. Ihr Ordensleute stellt einen der größten Reichtümer der Kirche dar; sie braucht eure Anwesenheit. Gott sei Dank, fehlt in der Diözese Rom diese Anwesenheit nicht, ist Rom doch die in dieser Hinsicht am meisten begünstigte Diözese der Welt. Ihr seid tatsächlich mehr als 25000 in der Diözese, mit 330 Generalatshäusem und mehr als 300 Prokuratien oder Provinzialatshäusern. Eure Rolle in der Diözese ist von bemerkenswerter Bedeutung. Der euch eigene Stil, das Christentum zu leben, unterstützt den Einsatz der Kirche besonders vorteilhaft. Ich wünsche mir, dieser euer Dienst möge sich in besonderer Weise auf die Vorbereitung der Römischen Synode richten, von der wir alle uns Früchte der Erneuerung und karitativer Werke erhofften. Diese Untersützung, die ihr der Kirche anbietet, ist vor allem der Tatsache zu verdanken, daß ihr euch bewußt seid, Gott zu gehören in Christus Jesus, dem Erlöser der Welt und Bräutigam der Kirche, der in gewisser Weise eurem Herzen, euren Gedanken, euren Worten und Werken sein Siegel eingeprägt hat. Diese liebende Kenntnis Christi verwirklicht und vertieft sich täglich mehr, dank des persönlichen, des gemeinsamen und des liturgischen Gebetes, das jeder Ordensfamilie eigen ist. Die Ordensmänner und -frauen unter euch, die sich ganz dem kontemplativen Leben geweiht haben, bieten ihren Brüdern und Schwestern, die im Apostolat tätig sind, eine starke Hilfe und anregende Stütze, (vgl. Redemptionis donum, Nr. 8). Mit Vertrauen wende ich mich an diese der Kontemplation geweihten Seelen und lade sie herzlich ein, an dieser bevorzugten Berufung treu festzuhalten, und, wie sie es verlangt, sich täglich aufzuopfern in der Gewißheit, der Kirche einen unersetzbaren Dienst für die Evangelisierung und das Heil der Seelen zu leisten. 8. In unserer von Gleichgültigkeit, Spaltungen, Haß und Unterdrückung gequälten Welt ist die brüderliche Gemeinschaft, gegründet und verwurzelt in der Liebe, ein sprechendes Beispiel für die allgemeine Versöhnung in Christus (vgl. Can 602). Pflegt also sorgfältig diese brüderliche Liebe! Eure Häuser seien immer Oasen des Friedens und der Gastlichkeit, ohne jemand auszuschließen oder zurückzuweisen. Nehmt hochherzig die täglichen Verzichte an, die das Leben in einer Atmosphäre wahrer Brüderlichkeit fordert. Heute haben die Menschen ein besonders feines Empfinden für dieses Zeugnis echt gelebter brüderlicher Liebe. Sie ist auch eine überzeugende Einladung an die Jugendlichen, sich auf dem Weg, den ihr gewählt habt, euch anzuschließen. Die moderne Stadt, in der der Sinn für das Heilige stark im Schwinden begriffen ist, hat Menschen nötig, die von Glauben und Liebe beseelt sind. Sie ist 1214 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN auch nicht gleichgültig gegenüber Angeboten, die sich klar zu erkennen geben. Habt also keine Bedenken, eure Weihe an Gott auch durch eine schlichte Ordenskleidung sichtbar zu machen. Sie ist ein schweigendes und doch vielsagendes Zeugnis, ein Zeugnis, dessen die säkularisierte Welt auf ihrem Weg bedarf. Armut und Bedürfnislosigkeit, auch in der Kleidung erkennbar, um glaubwürdig zu sein 9. Ich kenne gut die Sorge eurer Gemeinschaften hinsichtlich ihres Verlangens, unter den Armen anwesend zu sein, in denen ihr Christus selbst erkennt. Ich begrüße das und freue mich darüber. Aber die Fähigkeit, die Armen zu verstehen und ihnen zu Hilfe zu kommen, werden nur jene haben, die die Armut wirklich kennen und sie leben. In der Ordensprofeß habt ihr aus freien Stücken auf die Güter dieser Welt verzichtet. Darum ist es von großer Wichtigkeit, daß ihr von diesen Gütern losgeschält seid und es vermeidet, persönlich und als Gemeinschaft in übertriebener Weise auf Bequemlichkeit und kostspielige Dinge für das tägliche Leben bedacht zu sein. Man kann nicht arm leben, ohne die Härte der Armut konkret zu spüren. Ich fordere euch deshalb auf, periodisch euer Leben auf diesen Punkt hin zu überprüfen. Maria sei immer das vollkommene Vorbild eures gottgeweihten Lebens in Keuschheit, Armut und Gehorsam. Sie bewahre euch, beschützte euch und helfe euch, der Welt die unendliche Liebe Gottes zu allen Menschen zu zeigen! 10. „Ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (Lk 2,32). „Ein Zeichen, dem widersprochen wird. Dadurch sollen die Gedanken vieler Menschen offenbar werden“ (Lk 2,34-35). Wir tragen brennende Kerzen in den Händen. Mögen sie heute dem Zeugnis geben, der das Licht der Welt ist. Mögen sie auch von dem Licht sprechen, das im Tempel unseres Herzens entzündet wurde: das Licht des Glaubens, das Licht der Berufung. Und sie mögen sich Maria zuwenden, wie Simeon am Tag der Darstellung Jesu. Muß nicht ganz besonders sie, die so tief im Geheimnis Christi und der Kirche steht, „die Gedanken unseres Herzens“ kennen? 1215 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gott braucht Menschen mehr denn je! Ansprache an die Schüler und Alumnen des Erzbischöflichen Seminars Sachsenbrunn am 2. Februar Herzlich begrüße ich euch, liebe junge Freunde, und die euch begleitenden Personen; besonders den verehrten Herrn Kardinal Stickler. Ihr habt das große Glück, euren kurzen Romaufenthalt gleich mit diesem Besuch im Vatikan beginnen zu können. Und wenn ich mich recht erinnere, ist das nicht einmal unsere erste Begegnung. Ihr nahmt durch euren schönen Gesang schon teil an der Gestaltung der Eucharistiefeier während meines Pasto-ralbesuches in Mariazell. ' . r Eure Liebe gilt in einer besonderen Weise der hohen Kunst der Musik und dem Ghorgesang. Zugleich stellt ihr euer Können auch bereitwillig in den Dienst der Liturgie. Als Schüler und Alumnen des Erzbischöflichen Seminars Sächsenbrunn wißt ihr um die große Bedeutung, die der würdigen Feier des Gottesdienstes im Leben der Kirche sowie jeder Gemeinde und Gemeinschaft zukommt. Dies muß vor allem denjenigen ein wichtiges Anliegen sein, die sich durch viele Jahre des Studiums, , der musischen und geistlichen Bildung auf das Priestertum vorbereiten. Gern ermutige ich euch deshalb in der Pflege der Musik und des Gesanges, der gerade in eurer Seminargemeinschaft wie von selbst zum gemeinsamen Gotteslob werden kann. Vor allem lade ich euch ein zu froher Zuversicht, zu Ausdauer und Entschlossenheit in euren Studien, besonders wenn ihr in euch den Ruf Christi zur engeren Nachfolge im Priester- oder Ordensberuf vernehmt. Gott braucht Menschen — und heute mehr denn je! Er braucht Menschen, die sich ganz in seinen Dienst stellen und hochherzig bereit sind, ihm in den Brüdern und Schwestern in.Kirche und Welt mit dem Einsatz aller Kräfte zu dienen zur Auferbauung des Reiches Gottes unter den Menschen. Möge euch, liebe junge Freunde, dieser Besuch in der Ewigen Stadt für den Anruf Christi weit öffnen und empfänglich machen und euch in der Treue zu ihm neu bestärken. Von Herzen erteile ich euch und eurer ganzen Seminargemeinschaft meinen besonderen Apostolischen Segen. 1216 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gutachten nicht kritiklos hinnehmen Ansprache an die Römische Rota am 5. Februar 1. Mit lebhafter Freude komme ich zu diesem jährlichen Treffen mit euch, liebe Brüder, die ihr beim Gerichtshof der Römischen Rota eure Tätigkeit entfaltet. Ich bin dem Herrn Dekan, dem Kollegium der Prälaten Auditoren, den anderen Offizialen und den Rota-Anwälten sehr dankbar für ihre beständige und fleißige Mitarbeit bei der Ausübung des richterlichen Amtes, das dem Nachfolger Petri im kirchlichen Bereich zusteht. Es ist eine Arbeit von großem Wert, die mir von Personen angeboten wird, welche auf dem Gebiet des Rechtes hochqualifiziert sind, Vertreter einer Vielfalt von Sprachen und Kulturen aus zahlreichen Teilen der Welt, in denen die Kirche Gottes ihre Mission ausübt. Ich bin euch auch dankbar für das Versprechen der Treue zum Evangelium und zur Tradition, verbunden mit dem Bemühen, den neuen Bedürfnissen der Kirche entgegenzukommen und die Kenntnis der echten menschlichen Wirklichkeit im Licht der offenbarten Wahrheit zu vertiefen. Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich heute die Aufmerksamkeit in besonderer Weise auf die psychischen Rechtsunfahigkeiten richten, die, vor allem in einigen Ländern, zum Anlaß für eine erhöhte Anzahl von Ehenichtigkeitserklärungen geworden sind. Wissenschaftliche Ergebnisse müssen ganzheitlich gewertet werden 2. Wir wissen um die großen Fortschritte in der heutigen Psychiatrie und Psychologie. Was diese modernen Wissenschaften geleistet haben und noch leisten, um die bewußten und unbewußten psychischen Prozesse in der Person zu klären, ist hoch einzuschätzen, nicht minder die Hilfe, die sie durch pharmazeutische Mittel und Psychotherapie vielen Menschen, die sich in Schwierigkeiten befinden, zukommen lassen. Die bedeutenden Forschungen und die bemerkenswerte berufliche Hingabe so vieler Psychologen und Psychiater sind gewiß lobenswert. Man darf aber nicht übersehen, daß die Entdeckungen und die Errungenschaften auf psychologischem und psychiatrischem Gebiet allein nicht imstande sind, eine wirklich integrale Sicht der Person zu vermitteln und von sich aus die fundamentalen Fragen über den Sinn des Lebens und die Berufung des Menschen zu lösen. Gewisse Strömungen in der zeitgenössischen Psychologie stoßen jedoch, ihre eigene Kompetenz überschreitend, in dieses Gebiet vor und verbreiten Unruhe darin, verleitet von anthropologischen Voraussetzungen, die sich mit der christlichen Anthropologie nicht ver- 1217 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN einbaren lassen. Daraus ergeben sich die Schwierigkeiten und die Hindernisse im Dialog zwischen den psychologischen und den metaphysischen wie den ethischen Wissenschaften. Folglich erfordert die Behandlung von Ehenichtigkeitsverfahren wegen psychischer oder psychiatrischer Beschränkungen einerseits die Hilfe von Sachverständigen dieser Disziplinen. Diese haben, ihrer Kompetenz entsprechend, die Natur und den Grad der psychischen Prozesse zu beurteilen, die den Ehekonsens betreffen sowie die Fähigkeit der Person, die wesentlichen Verpflichtungen der Ehe auf sich zu nehmen. Andererseits hat der kirchliche Richter, wenn er von den Gutachten Gebrauch macht, die Pflicht, sich nicht von anthropologischen Ansichten beeinflussen zu lassen, die nicht annehmbar sind und schließlich in Mißverständnisse hinsichtlich der Wahrheit der Tatsachen und der Bedeutungen verwickeln würden. Es besteht jedenfalls kein Zweifel, daß eine vertiefte Kenntnis der von den erwähnten Wissenschaften erarbeiteten Theorien und erreichten Resultate die Möglichkeit bietet, die Antwort des Menschen auf die Berufung zur Ehe in einer präziseren und differenzierteren Weise zu geben, als dies die Philosophie und die Theologie allein erlauben würden. 3. Aus dem Gesagten erhellt, daß der Dialog und eine konstruktive Kommunikation zwischen dem Richter und dem Psychiater oder Psychologen leichter sind, wenn für beide der Ausgangspunkt innerhalb des Horizontes einer gemeinsamen Anthropologie liegt, so daß auch bei Verschiedenheit der Methoden, der Interessen und Zielsetzungen die eine Anschauung für die andere offenbleibt. Wenn hingegen der Horizont, innerhalb dessen sich der sachverständige Psychiater oder Psychologe bewegt, dem des Kanonisten entgegengesetzt oder verschlossen ist, können Dialog und Kommunikation zu einer Quelle von Verworrenheit und Mißverständnis werden. Die sehr ernste Gefahr liegt auf der Hand, die sich aus der zweiten Hypothese im Hinblick auf die Entscheidung über die Ungültigkeit der Ehe ergibt: der Dialog zwischen Richter und Sachverständigem, der von einem sinnverschiedenen Ausgangspunkt aus geführt wird, kann in der Tat leicht zu falschen, dem wirklichen Wohl der einzelnen Menschen und der Kirche schädlichen Schlüssen führen. 4. Diese Gefahr besteht nicht nur hypothetisch, wenn wir in Betracht ziehen, daß die anthropologische Sichtweise, aus der zahlreiche Strömungen in den Bereich der psychologischen Wissenschaften der modernen Zeit einfließen, in ihrer Gesamtheit entschieden unvereinbar ist mit den wesentlichen Elementen der christlichen Anthropologie, weil sie verschlossen ist für die Werte 1218 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und den Sinngehalt, die das immanent Gegebene übersteigen und es dem Menschen ermöglichen, sich auf die Liebe zu Gott und zum Nächsten als seiner endgültigen Berufung hin zu orientieren. Dieses Verschlossensein ist unvereinbar mit der christlichen Sicht', die den Menschen als ein Wesen betrachtet, das „nach dem Bild Gottes geschaffen ist, fähig, seinen Schöpfer zu erkennen und zu lieben“ (Gaudium etspes, Nr. 12), und zugleich zwiespältig in sich selbst (vgl. ebd., Nr. 10). Die erwähnten psychologischen Strömungen hingegen gehen entweder von der pessimistischen Idee aus, nach der der Mensch keine anderen Bestrebungen haben könne als jene, die ihm von seinen Trieben auferlegt werden, oder im Gegensatz dazu, von dem übertrieben optimistischen Gedanken, nach dem der Mensch seine Verwirklichung in sich selbst fände und aus sich selbst erreichen könnte. 5. Gewisse psychologische Strömungen betrachten die Ehe so, daß der Sinn der ehelichen Vereinigung zu einem einfachen Mittel der Gefälligkeit, der Selbstverwirklichung oder der psychischen Entspannung reduziert wird. Folglich wird für die Sachverständigen, die sich an den genannten Strömungen inspirieren, jedes Hindernis, das Mühe und Anstrengung oder Vorsicht fordert, oder mehr noch, jedes tatsächliche Mißlingen der ehelichen Vereinigung leicht zur Bestätigung der Unmöglichkeit, daß die vermeintlichen Ehegatten ihre Ehe richtig verstehen und vollziehen könnten. Die Sachverständigen, die sich von solchen verkürzenden Voraussetzungen führen lassen, ziehen praktisch nicht die Pflicht der Eheleute in Betracht, sich bewußt darum zu bemühen, auch auf Kosten von Opfer und Entsagung die Hindernisse zu überwinden, die sich der Verwirklichung ihrer Ehe entgegenstellen. Darum werten sie jede Spannung als negatives Zeichen und als Anzeichen von Schwäche und Unfähigkeit, die Ehe zu leben. Solche Sachverständigen sind also geneigt, die Fälle der Unfähigkeit zum Ehekonsens auch auf die Situationen auszudehnen, in welchen die Menschen aufgrund des Unbewußten, das Einfluß auf das gewöhnliche psychische Leben hat, eine Verminderung, jedoch keinen völligen Verlust ihrer tatsächlichen Freiheit empfinden, nach dem von ihnen frei gewählten Gut zu streben. Und am Ende betrachten sie leicht auch geringfügige Psychopathien oder gar Mängel moralischer Ordnung als Beweis für die Unfähigkeit, die wesentlichen Pflichten des ehelichen Lebens zu übernehmen. Und leider kann es geschehen, daß die genannten Ansichten zuweilen unkritisch von den kirchlichen Richtern übernommen Werden. 6. Die genannte Sicht der Person und der Ehe ist unvereinbar mit dem christlichen Ehebegriff als „innige Gemeinschaft des Lebens und der (ehelichen) 1219 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Liebe“, in der „die Eheleute sich gegenseitig schenken und annehmen“ (ebd., Nr. 48; vgl. Can. 1055, par. 1). ' i Nach christlicher Auffassung ist der Mensch berufen, nach Gott als seinem endgültigen Ziel zu streben, in dem er seine Verwirklichung findet, wenn ihm auch in der Ausübung dieser seiner Berufung Widerstände entgegentreten, die von seinen Begierden herrühren (vgl. Konzil von Trient, Denzin-ger/Schönmetzer 1515). „Die Störungen des Gleichgewichts, an denen unsere moderne Welt leidet, hängen mit jener tieferliegenden Störung des Gleichgewichts zusammen, die im Herzen des Menschen ihren Ursprung haben“ {Gaudium et spes, Nr. 10). Daraus folgt auf dem Gebiet der Ehe, daß die eheliche Vereinigung in der gegenseitigen Hingabe der Eheleute sich ihrem rechten Sinn nach nur verwirklichen läßt durch ein beständiges Bemühen, das auch Entsagung und Opfer einschließt. Die Liebe zwischen den Eheleuten muß sich nach der Liebe Christi gestalten, der „geliebt und sich für uns hingegeben hat als Gabe und Opfer, das Gott gefällt“ (Eph 5,2; 5,25). Das vertiefte Wissen um die Komplexität und die Bedingungen des Seelenlebens darf nicht diesen ganzen und vollständigen Begriff vom Menschen, des von Gott berufenen und durch den Geist Christi von seinen Schwächen erlösten Menschen {Gaudium et spes, Nr. 10 u. 13), aus dem Auge verlieren; und das vor allem, wenn man eine echte Sicht der Ehe vermitteln will, die von Gott als grundlegende Einrichtung für die Gesellschaft gewollt und von Christus zum Gnaden- und Heiligüngsmittel erhoben worden ist. Expertengutachten, die von den obengenannten Ansichten beeinflußt sind, können für den Richter, der die zugrundeliegende Zweideutigkeit nicht-durchschaut, also auch eine wirkliche Gelegenheit zur Täuschung sein. Durch diese Sachverständigenurteile kommt man schließlich noch dazu, die psychische Reife, die das Ziel der menschlichen Entwicklung wäre, mit der kanonischen Reife zu verwechseln, die hingegen der minimale Ausgangspunkt für die Gültigkeit der Ehe ist. 7. Für den Kanonisten muß das Prinzip klarbleiben, daß nur die Unfähigkeit, und nicht schon die Schwierigkeit, das Jawort zu geben und eine echte Lebens- und Liebesgemeinschaft zu verwirklichen, die Ehe nichtig macht. Das Mißlingen der ehelichen Vereinigung ist übrigens nie schon in sich ein Beweis, um eine solche Unfähigkeit der Partner zu belegen. Es kann ja sein, daß diese die natürlichen und übernatürlichen Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen, vernachlässigt oder schlecht gebraucht oder die unvermeidlichen Grenzen und Lasten des Ehelebens — mögen sie in Blockierungen unbewußter Art, in unbedeutenden Psychopathien, die die menschliche Freiheit nicht in ihrer Substanz treffen oder schließlich in Mängeln moralischer Ordnung bestehen — nicht angenommen haben. Eine wirkliche Unfähigkeit ist 1220 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nur anzunehmen, wenn eine schwere Form von Anomalie vorliegt, die, wie auch immer man sie definieren will, die Fähigkeit des Partners, zu verstehen und/oder zu wollen, wesentlich beeinträchtigen muß. 8. Der Richter kann und darf also vom Sachverständigen kein Urteil über die Nichtigkeit der Ehe verlangen, und noch weniger darf er sich vom Urteil, das der Sachverständige vielleicht in diesen Sinn abgegeben hat, verpflichtet fühlen. Die Beurteilung hinsichtlich der Nichtigkeit der Ehe steht einzig dem Richter zu. Die Aufgabe des Sachverständigen besteht einzig darin, Hilfe anzubieten in den Dingen, die seine spezifische Kompetenz betreffen, nämlich in bezug auf Natur und Grad der psychischen oder psychiatrischen Gegebenheiten, derentwegen der Antrag auf Annullierung der Ehe gestellt wurde. Der Codex fordert in der Tat in den Canones 1578-1579 vom Richter ausdrücklich, daß er die Sachverständigengutachten sorgfältig abzuwägen hat. Es ist wichtig, daß er sich bei diesem Abwägen weder von oberflächlichen Urteilen noch von Formulierungen täuschen läßt, die dem Anschein nach neutral sind, in Wirklichkeit aber anthropologisch unannehmbare Voraussetzungen enthalten. Jedenfalls ist alles angestrengte Bemühen bei der Vorbereitung zu ermutigen, sei es das der kirchlichen Richter, die die anthropologischen Voraussetzungen, die in den Gutachten stecken, herausfinden und unterscheiden müssen, sei es das der Experten der verschiedenen Humanwissenschaften, die eine reale Integration zwischen der christlichen Botschaft und dem wahren und unaufhörlichen Fortschritt der nach den Kriterien einer korrekten Autonomie durchgeführten wissenschaftlichen Forschungen fordert (vgl. ebd., Nr. 62). Das Amt des Richters soll in jedem Fall ein Dienst der Liebe sein 9. Die schwierige Aufgabe des Richters, komplizierte Fälle, wie jene, die psychische Eheunfähigkeit betreffen, mit Ernst zu behandeln und immer die menschliche Natur, die Berufung des Menschen und, in Verbindung damit, die richtige Auffassung von der Ehe vor Augen zu haben, ist sicher ein Dienst der Wahrheit und der Liebe in der Kirche und für die Kirche. Es ist ein Dienst der Wahrheit, insofern der christliche Begriff der Ehe wahr und unverfälscht erhalten bleibt, auch inmitten von Kulturen oder Moden, die die Tendenz haben, ihn zu verdunkeln. Es ist ein Dienst der Liebe an der kirchlichen Gemeinschaft, die vor dem Ärgernis bewahrt wird, durch die übermäßige und fast automatische Zunahme der Nichtigkeitserklärungen — dann nämlich, wenn die Ehe mißlingt und man irgendeine Unreife oder psychische Schwäche der Partner zum Vorwand nimmt —, den Wert der christlichen Ehe praktisch 1221 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN vernichtet zu sehen. Es ist ein Dienst der Liebe auch an den Personen, denen man aus Liebe zur Wahrheit die Nichtigkeitserklärung verweigern muß, insofern ihnen auf diese Weise wenigstens geholfen wird, über die wirklichen Gründe des Mißlingens ihrer Ehe keiner Täuschung zu unterliegen und vor dem wahrscheinlichen Risiko bewahrt zu werden, in einer neuen Verbindung — als Heilmittel für den ersten Fehlschlag angestrebt, ohne daß mit allen Mitteln versucht wurde, die in der gültigen Ehe erfahrenen Hindernisse zu überwinden — sich in den gleichen Schwierigkeiten wiederzufinden. Es ist schließlich auch ein Dienst der Liebe gegenüber den anderen Institutionen oder pastoralen Organen der Kirche. Mit seiner Weigerung, sich in einen leichten Weg zur Auflösung fehlgeschlagener Ehen und'Irregularitäten zwischen den Eheleuten zu verwandeln, verhindert nämlich das kirchliche Gericht in der Tat, daß man beim Vorbereiten der jungen Leute auf die Ehe — eine wichtige Vorbedingung zum Empfang des Sakramentes (Familiaris con-sortio, Nr. 66, vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Römische Rota, 24.1.1981, in: AAS 73, 1981, 231, Nr. 4) — nachlässig wird, und regt dazu an, nach der Eheschließung die Mittel zur eigentlichen Ehepastoral (Familiaris consortio, Nr, 69-72) und die zur spezifischen Pastoral in schwierigen Fällen (ebd., Nr. 77-85) vermehrt einzusetzen. Auf diese Weise verbindet sich die Tätigkeit des Richters am kirchlichen Gericht wirklich mit der ganzen übrigen Pastoraltätigkeit der Kirche, und sie muß sich — wie es auch der Herr Dekan hervorgehoben hat — immer mehr mit ihr verbinden, so daß die Verweigerung der Nichtigkeitserklärung zur Gelegenheit wird, andere Wege zu öffnen, um die Probleme der Eheleute, die sich in ihren Schwierigkeiten an den Dienst der Kirche wenden, einer Lösung zuzuführen. Nie darf vergessen werden, daß jede Lösung ihren Weg durch das österliche Geheimnis des Todes und der Auferstehung nimmt, das von den Eheleuten das ernste Bemühen fordert, sich zum Heil zu bekehren, um sich mit dem Vater zu versöhnen (vgl. Mt 4,17; Mk 1,15). 10. Abschließend möchte ich dem Wunsch Ausdruck geben, daß euer Einsatz, gestärkt von der Liebe zu Christus und zu seiner Kirche, von pastoralem Eifer genährt, auch durch die Verbreitung der Bände, in denen eure Urteilssprüche gesammelt sind, einen gültigen, klärenden Beitrag leiste zur Diskussion über die Fälle, von denen ich gesprochen habe, und sich in der Tätigkeit der Gerichtshöfe niederen Grades zum Guten auswirke. Ich versichere euch meines beständigen Wohlwollens und erteile euch von Herzen meinen Segen. 1222 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ermutigung für den Dienst an Christus und am Evangelium Ansprache bei der Audienz für die Mitglieder des Ökumenischen Instituts von Bossey am 9. Februar Liebe Direktoren und Studenten des Ökumenischen Instituts von Bossey! „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (Phil 1,2). Ich freue mich sehr, Sie hier in Rom, das so lange Zeit ein Zentrum der europäischen Zivilisation und Kultur war, willkommen zu heißen! Hier hatte von Anfang an die Frage der Beziehung zwischen dem Evangelium und der Kultur eine unmittelbare Bedeutung. Denn Petrus beschloß nach dem Plan der Vorsehung in Rom den Weg seiner treuen Jüngerschaft und seines Dienstes. Hier zahlte er den Preis seines Blutes und bezeugte damit seine Liebe zu Christus. In Rom predigte Paulus das Evangelium, und auch er gab das höchste Zeugnis. So wurde die Kirche von Rom zur Kirche von Petrus und Paulus. Nach katholischem Glauben wurde ihrem Bischof als Erbe der Auftrag übertragen, seine Brüder im Bischofsamt zu stärken (vgl. Lk 22,32) und die Herde der ganzen Kirche zu lehren. Ich hoffe, Ihr Besuch hier ist für jeden von Ihnen Ermutigung im Dienst an Christus und am Evangelium. Möge Sie das bei Ihrer ökumenischen Arbeit inspirieren, so daß Sie bei der Rückkehr in Ihre Heimatländer dem Plan der Liebe Gottes für seine Kirche, für die Einheit des christlichen Volkes und die Erneuerung und Versöhnung der Menschheitsfamilie mit noch bereitwilligerem Geist und Herzen dienen. „Der Gott des Friedens aber, der Jesus, unseren Herrn, den erhabenen Hirten seiner Schafe, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut seines ewigen Bundes, er mache euch tüchtig in allem Guten, damit ihr seinen Willen tut. Er bewirke in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, dem die Ehre sei in alle Ewigkeit. Amen“ (Hebr 13,20-21). 1223 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Maria lenkt unseren Blick auf das wahre, volle Glück Predigt bei der Meßfeier mit den Kranken am 11. Februar „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter!“ Liebe Brüder und Schwestern! 1. An diesem so bedeutsamen Tag, an dem wir der ersten Marienerscheinung in Lourdes gedenken, richten wir an Gott denselben Hymnus der Freude und des Dankes: „Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn furchten!“ „Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist Gott der Herr, der Himmel und Erde geschaffen hat!“ Mir ist es eine Freude, auch in diesem Jahr euch Kranke und Leidende, euch Leiter und Mitglieder von UNITALSI, des Römischen Pilgerwerkes und der anderen karitativen Vereinigungen, die hier in der Vatikanbasilika zum heiligen Meßopfer versammelt sind, zu begrüßen. Der Herr und die selige Jungfrau mögen euch alle, Kranke und Begleitpersonen sowie Organisatoren, mit reichem inneren Licht und geistlicher Kraft belohnen, die euch zu frohen und mutigen christlichen Glaubenszeugen der leuchtenden Nächstenliebe machen mögen. Gesegnet seid auch ihr Kranken und Leidenden, die ihr wie Maria geglaubt habt, daß sich die Worte des Herrn erfüllen! Euer Glaube bleibe immer fest und sicher und auf den Felsen des Gotteswortes gegründet! Ihr habt in der Tat einen bevorzugten Platz im Heilsplan der Vorsehung und deshalb auch in der Struktur der Kirche selbst, des mystischen Leibes Christi. Ihr habt wirklich Bedeutung und wenn auch unsichtbaren und geheimnisvollen Einfluß auf die Entwicklung und den Ablauf der Geschichte und Sendung der Kirche. Euch Leidenden und denen, die euch lieben und helfen, gelten die Gefühle der lebhaftesten Dankbarkeit der gesamten kirchlichen Gemeinschaft. 2. In der ersten Lesung haben wir die Worte des Propheten Jesaja betrachtet, der während des Exils das Volk Israel mit der Hoffnung auf die Rückkehr nach Jerusalem, die Heilige Stadt und mit der Gewißheit tröstete, daß trotz aller vergangenen schmerzlichen Ereignisse Gott das Bundesvolk nicht verlassen hatte und er immer seine Freude und sein Trost blieb: „Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch; in Jerusalem findet ihr Trost. Wenn ihr das seht, wird euer Herz sich freuen“ (Jes 66,13-14). 1224 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wenn wir der Marienerscheinung in Lourdes gedenken, können wir die Worte des Propheten auch auf uns und unsere Geschichte anwenden: Gott wollte, daß die seligste Jungfrau Maria vom 11. Februar bis zum 16. Juli 1858 acht-zehnmal erschien, um der Kirche und der ganzen Menschheit eine Botschaft des Trostes und der Liebe zu hinterlassen. Diese Erscheinungen haben in der Tat immergültige Bedeutung, die wir als kostbares Erbe bewahren und erwägen müssen. Um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts, als sich der Rationalismus und Skeptizismus bedrohlich ausbreiteten, kam Maria, die dem Wort des Herrn geglaubt hatte, der Gemeinschaft der Gläubigen zur Hilfe, um sie im wahren, reinen christlichen Glauben zu stärken. ! Maria hat der Welt in Lourdes in Erinnerung gerufen, daß das Erdenleben seinen Sinn in der Ausrichtung auf den Himmel findet. Wie das Volk Israel ist auch die Menschheit auf dem Weg, und ihr Ziel ist das himmlische Jerusalem. Die Worte des Propheten Jesaja gelten für die Menschen aller Zeiten, sie gelten auch für uns: „In Jerusalem findet ihr Trost.“ Die ständige Versuchung des Menschen, eine Versuchung, die der heutige Fortschritt besonders subtil und verlockend macht, ist alle Hoffnung auf die Erde zu beschränken und alle Kraft auf die Errichtung einer immer bequemeren und sichereren Wohnstätte zu konzentrieren. Der Glaube lehnt gewiß nicht das Streben nach Verbesserung der Lebensbedingungen auf Erden ab. Er lehrt sogar, daß dieses Streben in der Sicht des Auftrags, über die Erde zu herrschen, gesehen und verstanden werden muß, des Auftrags, den Gott dem Menschen vom Anfang seiner Geschichte an gegeben hat. Der Glaube stimmt aber darin nicht zu, daß die Zeit auf Erden vom Menschen als endgültiger Lebensabschnitt betrachtet wird, während sie nur eine Übergangsphase darstellt, die in bezug auf das wahre, jenseits der Zeit im Bereich des Ewigen liegende Ziel zu leben ist. Die Gottesmutter ist nach Lourdes gekommen, um dem Menschen vom „Paradies“ zu sprechen, damit er, auch wenn er sich aktiv um den Aufbau einer freundlicheren und gerechteren Welt bemüht, nicht vergißt, seine Augen zum Himmel zu erheben, um dort Licht und Hoffnung zu schöpfen. Die Welt ist nicht des Menschen Feind, aber die Erfüllung wartet im Himmel Die seligste Jungfrau ist außerdem gekommen, um den Wert der Umkehr und Buße in Erinnerung zu rufen und der Welt den Kern der christlichen Frohbotschaft neu anzubieten. In der Erscheinung vom 18. Februar sagte sie zu Bernadette: „Ich verspreche dir, dich glücklich zu machen, aber nicht in dieser Welt, sondern in der anderen“. Danach forderte sie sie auf, für die Sünder zu beten und wiederholte am 21. Februar dreimal: „Buße, Buße, Buße!“ Maria 1225 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN verweist in Lourdes auf die Wirklichkeit der Erlösung der Menschheit von der Sünde durch das Kreuz, d, h. durch das Leiden, und betont dies. Gott selbst ist Mensch geworden und wollte schuldlos den Kreuzestod sterben! In Lourdes lehrt uns die Gottesmutter den heilsamen, erlösenden Wert des Schmerzes; sie ermutigt und schenkt Geduld und Ergebung; sie klärt uns auf über das Geheimnis unserer Teilhabe am Leiden Christi; sie lenkt unseren inneren Blick auf das wahre, volle Glück, das Jesus selbst für uns jenseits dieses Lebens und dieser Geschichte sichergestellt und bereitet hat. Bernadette hat die Botschaft Mariens genau verstanden. Als man sie als schwerkranke Ordensfrau in Nevers aufforderte, an der Grotte von Massabiello Heilung zu suchen, antwortete sie: „Lourdes ist nicht für mich!“ Während starker Asth-maanfalle, bei denen die Krankenschwester sie fragte: „Leiden Sie viel?“, antwortete sie einfach: „Es ist notwendig!“ Zum Schluß wird die Botschaft von Lourdes mit der Einladung zum Gebet vervollständigt: Maria erscheint in Gebetshaltung und will, daß Bernadette das Rosenkranzgebet mit ihrem eigenen Rosenkranz verrichtet, und bittet, daß an dieser Stelle eine Kapelle gebaut wird und man in Prozession kommt. Auch dies ist eine für immer gültige Mahnung; Die Gottesmutter ist nach Lourdes gekommen, um uns mit der Autorität und der Güte einer Mutter zu sagen, daß es, wenn man wirklich den christlichen Glauben bewahren, stärken und verbreiten will, notwendig ist, demütig und vertrauensvoll zu beten. 3. Meine Lieben! In der Lebensgeschichte der hl. Bernadette ist zu lesen, daß sie am 3. Juni 1858 die Erstkommunion empfing. Sie wurde später gefragt, was ihr besser gefallen habe, die Gottesmutter zu sehen oder die Erstkommunion zu empfangen. Schlagfertig und klug antwortete sie: „Man kann das nicht vergleichen; aber ich weiß, daß beide Tatsachen mich voll glücklich gemacht haben“. Ich wünsche auch euch, Brüder und Schwestern, froh, ja glücklich wie Bernadette zu sein, weil ihr gestärkt seid durch die Kraft des Glaubens und vereint mit Jesus in der Eucharistie und mit der seligsten Jungfrau Maria! Dies wünsche ich euch von Herzen, und ich verspreche euch mein ständiges Gebetsgedenken bei der heiligen Messe. Und ich bitte, macht euch alle großen Anliegen der Kirche zu eigen, besonders das kommende Marianische Jahr und die Bischofssynode über die Berufung und Sendung der Laien. Maria, Hilfe der Christen, stehe euch in jeder Lebenslage bei, um euch auf dem Wege zu begleiten, den die Vorsehung euch Tag für Tag in einem Plan der Liebe vorzeichnet, dessen endgültige Enthüllung Grund zur Freude für die ganze Ewigkeit sein wird. 1226 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Bittet den Herrn der Ernte ... Botschaft zum 24. Weltgebetstag für geistliche Berufe am 10. Mai vom 13. Februar Verehrte Brüder im Bischofsamt! Liebe Brüder und Schwestern in der ganzen Welt! Am Sonntag, den 10. Mai dieses Jahres, feiert die Weltkirche den 24. Weltgebetstag für geistliche Berufe. Das ist eine Gelegenheit, die sich wieder allen christlichen Gemeinschaften und jedem Getauften bietet, um Zunahme von Berufungen zum priesterlichen Dienst, zum missionarischen Wirken und zum Leben nach den Evangelischen Räten zu beten und zu arbeiten. Mit dieser Botschaft möchte ich mich in besonderer Weise an unsere christlichen Laien wenden und auf ihre Verpflichtungen und die Verantwortung hin-weisen, zu der sie gerade auch die kommende Bischofssynode einlädt, die in wenigen Monaten stattfindet und sich, wie bekannt ist, mit dem Thema befaßt: „Berufung und Sendung der Laien in der Kirche und in der Welt 20 Jahre nach dem 2. Vatikanischen Konzil“. 1. „Seht doch auf eure Berufung (1 Kor 1,26)!“ Unser Herr Jesus gab, als er die Kirche gründete, „den einen das Apostelamt, andere setzte er als Propheten ein, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen für die Aufgabe des Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi (Eph 4,11-12)“. Wir alle haben in der Kirche eine Berufung bekommen. Die Sorge um die Erfüllung darf sich nicht auf das Persönliche beschränken, sondern soll uns Gelegenheit bieten, die Berufung auch der anderen zu fördern. Die verschiedenen Berufungen ergänzen sich in der Tat gegenseitig und kommen in der einzigen Sendung zusammen. 2. „In dem Maß, wie Christus sie ihm geschenkt hat {Eph 4,7).“ So wende ich mich vor allem an die christlichen „Eltern, die in der Kirche und in der Gesellschaft eine Sendung ersten Ranges haben. Denn in der Familie entstehen und beginnen meistens Priester- und Ordensberufe. Nicht umsonst definiert das Konzil die christliche Familie als „erstes Seminar“ und empfiehlt, daß in ihr günstige Bedingungen für deren Wachstum sind (vgl. Dekret über die Ausbildung der Priester, Nr. 2) Sicherlich ist unter den Diensten, die Eltern ihren Kindern leisten können, an 1227 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN erster Stelle, daß ihnen helfen, den Ruf Gottes — den zum „geistlichen Leben“ eingeschlossen — zu entdecken und zu leben. (Gaudium et spes, Nr. 52; Familiaris consortio, Nr. 53) Liebe christliche Eltern, wenn sich der Herr aus Liebe euch zuwendet und einen Ihrer Söhne oder eine Ihrer Töchter ruft, seid großherzig und erweist Euch in hohem Maße geehrt. Der Priester- und Ordensberuf ist ein besonderes Geschenk der Familie und zugleich ein Geschenk für die Familie. Die Kirche erwartet viel auch von allen, die eine besondere Verantwortung im Bereich der Jugenderziehung haben. Ich appelliere besonders an die Katecheten, Männer und Frauen, die ihre wichtige Aufgabe in christlichen Gemeinschaften erfüllen. Ich möchte besonders daran erinnern, was ich im Apostolischen Schreiben über die Katechese gesagt habe: „Was z. B. die Berufungen zum Priester- und Ordensberuf betrifft, so werden gewiß viele geweckt im Verlauf einer Katechese, die während der Kindheit und Jugendzeit gut gegeben wird. (Catechesitradendae, Nr. 39) Groß ist der Beitrag, der für die Berufungen geleistet werden kann durch die Lehrerschaft und alle katholischen Laien, die in der Schule, vor allem aber in der katholischen Schule tätig sind, die in allen Teilen der Welt viele Jugendliche aufnimmt. Die katholische Schule muß eine Erziehungsgemeinschaft sein, die fähig ist, nicht nur den Sinn des menschlichen und christlichen Lebens, sondern auch die Werte der geistlichen Berufüng zu zeigen. Auch die Bewegungen, die Gruppen und Katholischen Organisationen, sowohl im zentralen wie im lokalen Bereich, sollen sich konsequent und hochherzig um geistliche Berufe bemühen. In dem Maße, in dem sie sich für die Anliegen der ganzen Kirche öffnen, werden auch sie immer mehr wachsen. Und sie werden in ihrem Bereich viele geistliche Berufe als Zeichen ihrer Lebendigkeit und christlichen Reife zum Blühen kommen sehen. Schlußfolgernd muß man eine kirchliche Gemeinschaft als arm betrachten, die dieses Zeugnisses der geistlichen Berufe beraubt ist. Gute Priester sind ein Geschenk Gottes, um das die Kirche im Gebet hoffnungsvoll bitten darf 3. „Bittet den Herrn der Ernte ... (Mt 9,38).“ Angesichts der Tatsache der Verringerung der Anzahl jener, die sich dem Priestertum und dem religiösen Leben weihen, können wir nicht passiv bleiben und dürfen keine unserer Möglichkeiten außer acht lassen. Vor allem können wir viel mit unserem Gebet erreichen. Unser Herr lädt uns ein: „Bit- 1228 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN tet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte zu schicken! (Mt 9,38; Lk 10,2)“. Das Gebet um Priester- und Ordensberufe ist eine Pflicht aller,! ist eine Pflicht, die immer da ist. Die Zukunft der Berufungen ist in den Händen Gottes, aber in einem gewissen Sinne ist sie auch in unseren Händen. Das Gebet ist unsere Stärke; mit dem Gebet können die Berufungen nicht weniger werden, noch kann der Ruf Gottes ungehört bleiben. Bitten wir den Herrn, damit niemand sich taub und indifferent gegenüber diesem Ruf verhält, sondern vielmehr sich selbst prüft und die eigenen Fähigkeiten abmißt oder besser noch die eigenen Kräfte der Großzügigkeit und Verantwortlichkeit wieder entdeckt. Niemand möge sich dieser Pflicht entziehen! „Herr Jesus, wie du einst die ersten Jünger gerufen und zu Menschenfischern gemacht hast, so laß auch heute ständig deine gute Einladung erklingen: „Komm und folge mir!“ Gib den jungen Männern und Frauen die Gnade, dir bereitwillig auf deinen Ruf zu antworten! Steh unseren Bischöfen, den Priestern und den Ordensleuten in ihren mühevollen pastoralen Arbeiten bei. Gib Ausdauer unseren Seminaristen und allen, die das Ideal der Ganzhingabe in deinem Dienst zu verwirklichen suchen. Erwecke in unseren Gemeinschaften den missionarischen Geist. Sende, Herr, Arbeiter in deine Ernte und laß nicht zu, daß die Menschheit durch das Fehlen von Priestern, Missionaren und Ordensleuten zu wenig das Evangelium erfahren. Maria, Mutter der Kirche, Vorbild jeder Berufung, hilf uns, dem Herrn, der uns ruft, am göttlichen Heilsplan mitzuarbeiten, mit „Ja“ zu antworten. Amen“. Im Vertrauen, daß der Herr unsere Bitten erfüllt, rufe ich die Überfülle himmlischer Gnade auf euch, verehrte Brüder im Bischofsamt, auf euch Priester, Ordensleute und alle Gläubigen herab und erteile euch von Herzen den Apostolischen Segen. Gegeben im Vatikan, den 11. Februar, dem liturgischen Gedenktag der Seligen Jungfrau von Lourdes, im Jahre des Herrn 1987, im neunten Jahr des Pontifikates. JOHANNES PAULUS PP. II 1229 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Jede Heilbehandlung erfordert menschliche Beziehungen Ansprache an die Teilnehmer eines italienischen Chirurgenkongresses am 19. Februar Sehr geehrte Herren! 1. Mir ist es eine große Freude, Ihnen, den Teilnehmern des Kongresses der Italienischen Sektion des „International College of Surgeons“, zu begegnen. Sie sind in Rom zusammengekommen, um die Entwicklung der Chirurgie seit der Zeit von Pietro Valdoni bis heute zu behandeln. Sehr herzlich begrüße ich Sie alle und in besonderer Weise Herrn Prof. Gian-franco Fegiz, Direktor der Ersten Klinik für Allgemeine Chirurgie der Universität „La Sapienza“ in Rom und Präsident Ihres Kongresses. Mit ihm möchte ich dann die Initiatoren dieser wichtigen wissenschaftlichen Veranstaltung begrüßen, die Referenten, ihre Angehörigen und alle Personen, die zu dieser Sonderaudienz gekommen sind. Sie wollten mit diesem römischen Treffen das Andenken eines hervorragenden Begründers Ihrer Disziplin ehren, der vielen von Ihnen ein erfahrener und beliebter Lehrer gewesen ist: Prof. Pietro Valdoni. Es ist richtig, mit gebührender und liebevoller Anerkennung das Lebenszeugnis zu ehren, das von einem so herausragenden Wissenschaftler und Forscher gegeben wurde, der durch seinen Beitrag zur Kunst der Chirurgie und zur Entwicklung und zum Fortschritt auf dem Gebiet der Anästhesie und der Reanimation Weltruf erlangte. Zu Recht wollen Sie seine Arbeit als Bezugspunkt nehmen, um die bis heute herangereiften weiteren Entwicklungen in Ihrer Disziplin zu erläutern. Sie wollen außerdem die tiefe Menschlichkeit in Erinnerung rufen, die ihn auszeichnete und dazu führte, mit derselben Sorgfalt sowohl bekannte Persönlichkeiten wie einfache und unbekannte Menschen zu behandeln. 2. Ihre Anwesenheit veranlaßt mich, über Ihre Berufsprobleme nachzudenken, gewiß nicht um auf ihre technischen Aspekte einzugehen, sondern weil Sie selbst — und Ihre Anwesenheit hier bestätigt es — überzeugt sind, daß es neben den technischen und praktischen Problemen Erfordernisse menschlicher, geistlicher und moralischer Ordnung gibt, die nicht weniger wichtig sind und mit denen sich Ihre Tätigkeit täglich konfrontieren muß. In Ihrer Berufsarbeit haben Sie es in der Tat immer mit der menschlichen Person zu tun, die Ihnen ihren Körper in die Hand gibt und auf Ihre Sachkunde und darüber 1230 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN hinaus auf Ihre Sorge und Pflege vertraut. Sie behandeln die geheimnisvolle und einzigartige Lebenswirklichkeit eines Menschenwesens mit seinem Leiden und seiner Hoffnung. Sie sind sich dessen bewußt, und Sie kennen wohl die schwere Verantwortung, die in jedem Augenblick auf Ihnen lastet. Eben deshalb möchte ich Ihnen meine uneingeschränkte Bewunderung zum Ausdruck bringen, die ich vor einem so schwierigen, heiklen und doch von der Vorsehung gewollten Beruf wie dem Ihren empfinde, und ich beglückwünsche Sie zu den Fortschritten, die Ihre Kunst unaufhörlich im Dienst an allen erzielt. Auf diese Fortschritte Ihrer Wissenschaft, die weitgehende Bestätigung finden bei dem Kongreß, zu dem Sie sich versammelt haben, blicken unzählige, an verschiedensten Krankheiten leidende Menschen voll Erwartung und Hoffnung. Eben dieser Dienst am Menschen muß Ihren Forschungen und Experimenten Antrieb und Sinn verleihen: Das ständig und eifrig verfolgte Wohl des Menschen ist die grundlegende Motivierung, die Sie bei Ihrer Arbeit beflügeln soll. Während kühne Fortschritte zu verzeichnen sind, tritt das mit Ihrem Berufsauftrag verbundene Ziel immer klarer vor Augen: die Bekräftigung des Rechtes des Menschen auf sein Leben und seine Würde. Die Achtung vor dem von Gott geschaffenen Leben muß sichergestellt sein 3. Im Licht dieser Perspektive gewinnt die mit Ihrem Beruf verbundene moralische Verpflichtung größere Klarheit. Dies brachte mein Vorgänger Paul VI. gut zum Ausdruck, als er sagte, daß Ihre Arbeit zu einem religiösen Tun werden könne, weil sie aus den Werten des Geistes schöpfe (vgl. Insegnamenti di Paolo VI., I, 1963, S. 141). Die wachsende Möglichkeit der Kontrolle über den Körper, über seine Organe und schließlich über das Leben der Menschen, die in Ihre Hand gegeben sind, erlaubt Ihnen, immer mehr die Bedeutung jener wesentlichen Fäden hochzuschätzen, die jeden Menschen mit Gott, dem Urheber des Lebens, verbinden. In diesem Licht müssen Sie ständig tätig und gleichzeitig darum besorgt sein, daß Ihre Arbeit sich immer innerhalb der Grenzen entfaltet, die die Achtung vor dem von Gott geschaffenen Leben setzt, und daß das Recht der Person auf eine menschenwürdige Ausdrucksform sichergestellt bleibt. Der Wertmaßstab, der alle Ihre Entscheidungen inspirieren muß, ist das größere Wohl der Person, in ihrer Gesamtheit betrachtet. Jeder Kranke, dem Sie begegnen, ist ein besonderes Abbild Gottes, und Sie sind aufgerufen, so zu handeln, daß dieses nie verletzt, verdunkelt oder geschändet wird. Die Beherrschung der Natur, die Ihre Wissenschaft immer deutlicher erzielt hat, erlaubt Ihnen, mit wachsender Sicherheit und Wirksamkeit Eingriffe vorzunehmen, ohne das Leben und die Integrität dessen, 1231 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der sich Ihnen anvertraut hat, aufs Spiel zu setzen, ja sogar tätig zu werden, damit die transzendentale Würde des Menschen, der ein Geschöpf Gottes, ein Kind Gottes ist und von Gott geliebt wird, besser zum Vorschein trete. Sie werden deshalb die ethischen Normen, die sich aus der religiösen Betrachtung des Menschen ergeben, gewissenhaft berücksichtigen. Dies ist Ihre Pflicht, dies müssen Sie bezeugen, besonders wenn Sie gerufen werden und unter komplexen, unvorhergesehenen, gefährlichen Umständen eingreifen müssen. Die einzelnen und die ganze Gemeinschaft werden aus Ihrer Berufstätigkeit echten Nutzen ziehen, wenn Ihre Untersuchungs- und Kontrollme-thoden immer die höchsten Werte sicherstellen, denen die Wissenschaft ihren Dienst unterordnen muß. An dieser Stelle möchte ich das betonen, was ich bereits bei einem ähnlichen Anlaß in bezug auf das vieldiskutierte Thema Forschung gesagt habe: „Die in der Achtung vor der Würde der Person.gründende sittliche Norm muß sowohl die Phase der Forschung wie die der Anwendung der dabei erzielten Ergebnisse erleuchten und beherrschen“ (.Ansprache an die Teilnehmer zweier Ärztekongresse 27. Oktober 1980, in: O. R. dt., Nr. 8,20.2.81, S. 11). Eine wissenschaftliche Forschung, die mehr auf sich selbst bedacht , ist als auf den Menschen, dem sie dienen sollte, achtet die grundlegende moralische Richtlinie, die Sie leiten soll, nicht. Sie wissen wohl, daß jede Forschung so durchgeführt und angewandt werden soll, daß alle notwendigen Vorsichtsmaßnahmen berücksichtigt werden, die so weit wie möglich den Schutz des Lebens zusammen mit dem grundlegenden Wohl der Person gewährleisten. Ich bitte Sie, in diesem Bereich ein gültiges Zeugnis der Unparteilichkeit und Nächstenliebe zu geben. 4, Erlauben Sie mir zum Schluß noch ein kurzes Wort über die Beziehung zwischen Ihnen und Ihren Patienten. Dies ist ein äußerst wichtiger Aspekt Ihres Berufes. In der Tat beeinflußt bekanntlich in einer klinischen Behandlung der Wille des Patienten den Genesungs- und Heilungsprozeß, und die Erfahrung lehrt, bis zu welchem Grad dieser Wille Unterstützung und Hilfe findet im Dialog, den der Arzt mit seinen Kranken anzuknüpfen imstande ist. Nun, Sie kennen besser als andere die Gefahr jeder klinischen Behandlung, die Gefahr, daß die Technik anstelle der guten Beziehung zwischen Patient und Arzt tritt — mit manchmal sogar schweren Auswirkungen auf den Heilungsprozeß, das heißt die Gefahr, daß es zu einer unmenschlichen Medizin kommt. Jede Heilbehandlung bringt nämlich eine Wechselseitigkeit mit sich und erfordert echt menschliche Beziehungen. Einerseits bedeutet die Tatsache,'daß der Kranke sich Ihnen anvertraut, mehr oder weniger deutlich die Anerkennung Ihrer Zuständigkeit und Sachkunde, die Zustimmung zu Ihrer Arbeit, Ver- 1232 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN trauen auf Ihre Diskretion und Ihr Verantwortungsbewußtsein. Andererseits ist es für Sie selbst notwendig, den Kranken in seinem Gesamtleben zu erfassen, um ihm eine persönlichkeitsgerechte Hilfe anbieten zu können. Deshalb ist es erforderlich, daß eine Beziehung zwischen der psychisch-affektiven Sphäre des Patienten und Ihrer Innenwelt als Menschen hergestellt wird, noch bevor dies mit Ihnen als Sachkundigen geschieht. Das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten muß deshalb immer mehr „zu einer echten Begegnung zwischen zwei freien Menschen ... zwischen ,Gewissen1 und ,Vertrauen1 werden“ (vgl. Ansprache an die Teilnehmer zweier Ärztekongresse 27. Oktober 1980, in: O. R. dt., Nr. 8, 20.2.81, S. 11). Die Ziele, die es auf dieser Ebene zu erreichen gilt, können Ihnen von der christlichen Gerechtigkeit und Nächstenliebe vorgegeben werden, die sich am Vorbild Christi inspirieren, der nicht nur die Seele, sondern auch den Leib heil macht. Die Liebe zum Nächsten ist es, die zur Freundschaft fuhrt, zur Mitverantwortung, zur inneren Teilnahme an den Sorgen, den Ängsten und den Hoffnungen des Leidenden. Die Liebe zum Nächsten wird Ihr Herz immer empfänglicher machen für die personalen Werte des Patienten. Suchen Sie in dieser Hinsicht;— soweit es von Ihnen abhängt —jedes Hindernis, das einer sorgfältigen Pflege der menschlichen Beziehungen zwischen Patienten und behandelnden Ärzten entgegensteht, zu beseitigen und in Ihrem Umfeld jenes lebendige Gespür für den Mitmenschen zu entwickeln, das der christlichen Nächstenliebe entspringt. Ich lade Sie herzlich ein, Ihren Geist der Menschlichkeit immer mehr zu entfalten, ja zu verfeinern, um so Ihren Begegnungen mit jedem Patienten den hohen Wert einer Handlung zu verleihen, die auch heüig ist. Christus sagt zu Ihnen: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). 5. Mit diesen Erwägungen und im Vertrauen auf Ihre edlen Absichten, die Sie zu dieser Begegnung veranlaßt haben, und zur Bekräftigung der humanitären Beweggründe, die Ihre Arbeit tagtäglich inspirieren, spreche ich Ihnen meine herzlichsten Wünsche aus für einen guten Fortgang Ihrer Forschungen zum Wohl der ganzen Menschheit und jedes einzelnen. Christus, der im Leib jedes Patienten leidet, kröne Ihre Anstrengungen und Forschungen mit dem ersehnten und wohlverdienten Erfolg. In dieser Meinung erteile ich Ihnen allen von Herzen meinen Apostolischen Segen. 1233 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Kommunikation mit den Gehörgeschädigten stärken Ansprache an den Internationalen Kongreß des Weltbundes der Gehörlosen mit dem Thema ,Informatik-Kommunikation und bürgerliche Rechte der Gehörlosen“ am 21. Februar Meine verehrten Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder! 1. Mit meinem herzlichen Gruß verbinde ich meinen Dank vor allem an Herrn Generalsekretär Prof. Cesare Magarotto für seine vortrefflichen Worte, mit denen er sich zum Sprecher für alle gemacht hat. Ich möchte meiner lebhaften Freude über dieses Treffen mit euch Ausdruck geben, die ihr euch hochherzig und kompetent einem so ernsten Problem widmet, das die volle Integration so vieler unserer Brüder in die menschliche Gemeinschaft hindert: das Problem der Gehörlosigkeit in ihren verschiedenen, mehr oder weniger ernsten Formen. Jeden von euch beglückwünsche ich zu seiner Tätigkeit und zu den hohen Idealen, die ihn leiten. Diese Ideale sind eng verbunden mit den tiefsten und dringendsten Imperativen nicht nur des menschlichen, sondern auch und vor allem des christlichen moralischen Gewissens. Das Evangelium zählt die Heilung von der Taubheit zu den wunderbaren Werken, zu den „Zeichen, die unser Herr zum Zeugnis seiner messianischen Sendung und des nahenden Gottesreiches wirkte (vgl. Mt 1,5; Mk 7,37; Lk 7,22). Die Botschaft des Evangeliums stellt für die Gesunden einen lebhaften Ansporn dar, sich der von Gehörlosigkeit Betroffenen anzunehmen, und für diese selbst ist sie eine beständige Kunde der Hoffnung in der Aussicht auf das endzeitliche Heil, das Jesaja mit den bekannten Worten verkündigt hat: „Dann sind die Ohren der Tauben wieder offen“ (Jes 35,5). 2. Einstweilen ist schon das ein Grund zur Freude, daß andauernd Fortschritte bemerkbar werden, die die Medizin auf diesem so wichtigen Sektor macht. Auch dieser euer Kongreß erschließt neue Horizonte auf diesem Gebiet. In der Tat wurden ja neue technisch-wissenschaftliche Perspektiven vorgestellt, was die Ausbildung, die Kommunikation, die Arbeit und die soziale Eingliederung der vor dem Sprechalter Gehörgeschädigten betrifft. Im übrigen wurden in letzter Zeit auch sehr bedeutende Ziele hinsichtlich der Prophylaxe und der Frühdiagnose von Erkrankungen des Gehörorgans erreicht und ebenso in den chirurgischen Techniken. 1234 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gewiß bleibt noch manches zu tun, vor allem auf dem Gebiet der Vorbeugung und der spezifischen schulischen Methoden; die gehörgeschädigte Kinder soweit zu fördern vermögen, daß sie, soviel immer möglich, unter den gleichen Voraussetzungen wie andere Menschen Arbeit suchen und in die Gesellschaft integriert werden können und der Isolierung und dem An-den-Rand-Ge-drängtsein entgehen. 3. Eure Zusammenkunft hat sich das Ziel gesetzt, Lücken zu füllen und euren Einsatz zu verbessern. Auf diesem Gebiet wird gewiß nie genug getan. Und gerade die Christen fühlen sich hier auf den Plan gerufen. Das aufmerksame und tätige Interesse für die gehörlosen Brüder betrachtet man in der Tat als einen der Aspekte, und zwar nicht einen der letzten, jener „bevorzugten Zuwendung zu den Armen“, die so kennzeichnend ist für die evangelische Sendung. In unserer Zeit empfinden die Gläubigen, die für ihre Verantwortung gegenüber der Welt wacher und aufgeschlossener sind, das mit besonderer Dringlichkeit. Für mich besteht im übrigen ein Grund zu besonderer Freude in der Feststellung, daß die brüderliche Liebe zu den Gehörlosen eine interessante, im Namen Christi unternommene Form der Zusammenarbeit zwischen den Christen verschiedener Konfessionen hervorgerufen hat. Das ist ohne Zweifel eine ökumenische Tätigkeit von großem Wert. Der Dienst an der Würde der menschlichen Person ist unlöslich verknüpft mit dem christlichen Glauben In der christlichen Welt muß aber auf diesem Gebiet der Nächstenliebe noch mehr getan werden. Die Gläubigen müssen sich kraft ihres Glaubens zu diesem so edlen Dienst an der Würde der menschlichen Person besonders verpflichtet fühlen. Sie müssen noch besser begreifen, daß dieses Interesse, wie übrigens alle Sorgfalt, die man bei der Behandlung von ähnlichen körperlichen Behinderungen des Menschen aufwendet, unlöslich mit jenem Zeugnis für das Heil und die Erlösung des Menschen verknüpft ist, zu dem jeder Jünger Christi das Seine beitragen muß. In dieser Hinsicht ist zu wünschen, daß in der Kirche sich immer mehr Menschen in besonderer Weise diesem Dienst helfender Liebe widmen, seien es Laien, Ordensleute oder Priester. Mögen jene immer zahlreicher werden, die dieses Interesse als wahre und eigene Berufung von seiten Gottes empfinden, als einen durch den Willen Gottes ergehenden dringenden Appell! Auf diese Weise würde jenes menschliche Vermittlungsnetz zwischen der Welt der Gehörlosen und dem umfassenderen Gesellschaftsgefüge stärker 1235 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN werden. Dieses letztere, das sich so oft gleichgültig zeigt oder Menschen an den Rand drängt, könnte sich statt dessen in seinen Strukturen und Gesetzen weiter öffnen, um solche Personen und das, was sie beizutragen haben, aufzunehmen, und würde ihnen so die volle Verwirklichung der. ihnen eigenen menschlichen, sozialen, kulturellen und geistlichen Qualitäten ermöglichen. 4. Mit diesen Wünschen und Empfindungen verbinde ich die Hoffnung, daß eure Konferenz reiche Ergebnisse zeitige und für die gesamte Gesellschaft zum Ansporn werde. Ich bringe meine ganze Hochachtung und Solidarität zum Ausdruck und segne von Herzen euch, eure Mitarbeiter und eure Angehörigen und alle, die eurer Vereinigung den Beitrag ihrer Kompetenz und ihrer Hochherzigkeit leisten. Aus den menschlichen Gesellschaften eine Familie machen Ansprache an Vertreter des Verbandes christlicher Organisationen des freiwilligen internationalen Dienstes (FOCSIV) am 21. Februar Herr Präsident, liebe Brüder und Schwestern!. 1. Ich freue mich, euch anläßlich eures Nationaltreffens als Vertreter des Verbandes christlicher Organisationen des freiwilligen internationalen Dienstes zu empfangen. Ihr seid in Rom zusammengekommen, um Lageberichte über eure Bewegungen zu erstatten, um die Gründe für mehr oder weniger positive Resultate eurer einzelnen oder gemeinsamen Unternehmungen zu erkennen und um für die nächste Zukunft den Entwurf konkreter Programme vorzubereiten, sowohl für die Zuammenarbeit innerhalb der einzelnen Organisationen selbst wie auch für die des gesamten Verbandes mit den Entwicklungsländern, in denen ihr so hochherzig und bereitwillig arbeitet und es dabei nicht versäumt, euch der Natur eures Dienstes in ihrem tiefen Sinn immer besser bewußt zu werden. Bei diesem heutigen Treffen möchte ich eure Aufmerksamkeit auf einige Aspekte lenken, die im gegenwärtigen Augenblick für die Kirche und die Welt von besonderer Bedeutung sind. 1236 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Vor allem möchte ich daraufhinweisen, daß ihr euch im offiziellen Namen eures Verbandes als christlich bezeichnet, und das. müßt ihr als beständige Orientierungslinie und als leuchtendes Zeichen betrachten, von dem ihr euch inspirieren laßt. Eure Initiativen der Zusammenarbeit zugunsten der Völker der Dritten Welt wollen eine Entwicklung herbeiführen, die sich nicht auf den wirtschaftlichen oder sozialen Gesichtspunkt beschränkt. Durch eure konkrete Hilfe wollt ihr begreiflich machen, daß Gott und Mensch nicht widersprüchliche. Begriffe sind, und daß der Mensch nicht zu seiner vollen menschlichen Entwicklung gelangen kann, ohne sich der Wahrheit Gottes zu öffnen. Als Triebfeder für euren Einsatz laßt ihr die Überzeugung erkennen, daß Christus das Leben des Menschen ist. Wenn ihr diese Botschaft weitergebt, erinnert ihr die Menschen an Wahrheiten, die ihr Dasein und ihre Berufung betreffen. Und so wird eure Tätigkeit als christliche Laien, eingefügt in das umfassendere Wirken der Kirche, missionarisch, so, wie ja alles Tun der Kirche in hohem Grad missionarisch ist. Und so ordnet ihr, auch wenn ihr euch mit den zeitlichen Dingen beschäftigt, diese auf Gott hin und durchleuchtet sie mit der Klarheit seines Lichtes. Auf diese Weise soll euer Dienst dem Schöpfer und Erlöser zum Lob und zugleich dem Menschen zum Wohl gereichen. Der internationale freiwillige Dienst der Laien hilft mit, die Sendung der Kirche zu verwirklichen 3. Liebe Brüder und Schwestern, mit eurem hochherzigen „Ja“ habt ihr einer Berufung zugestimmt, die euch im Namen des himmlischen Vaters, der die Menschen aller Kontinente zu Brüdern gemacht hat, zu einem mehrjährigen Einsatz eurer Kräfte für die Entwicklung der Bevölkerung Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in Dienst nimmt. Die Kirche, von ihrem göttlichen Gründer dazu verpflichtet, aus den verschiedenen menschlichen Gesellschaften eine einzige Familie Gottes zu machen, setzt, vor allem heute, große Stücke auf die Zusammenarbeit mit dem freiwilligen Einsatz der Laien. Ohne diesen würde der Sog der Evangelisierung zu lang und das Ziel der Förderung des Menschen schwieriger zu erreichen sein. Eure Tätigkeit als internationaler Dienst ist eine Formel, die wirksame Beiträge zur Sendung der Kirche möglich macht. Auf Grund ihrer Universalität ist die Kirche ja nicht an irgendeine bestimmte Form menschlicher Kultur gebunden, sondern sie führt alle Kulturen höher und bringt sie zur Vollendung. Mit dem Wunsch, daß euer Dienst immer fruchtbarer und umfassender wer- 1237 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN de, erteile ich euch, die ihr hier anwesend seid, sowie allen freiwilligen christlichen Entwicklungshelfern in der Dritten Welt und denen, die sich auf ihren Einsatz vorbereiten, von Herzen einen besonderen Segen. St. Peter — ein Zeugnis des Evangeliums Ansprache zum Abschluß der Restaurierungsarbeiten an der Fassade der Peterskirche am 23. Februar 1. Gerne habe ich die Einladung zur Feier anläßlich des Abschlusses der die Fassade der Peterskirche betreffenden Restaurierung angenommen, die nach zwei intensiven Arbeitsjahren ihre ursprüngliche Schönheit wiedererhalten hat. Herzlich begrüße ich die Kardinäle, Bischöfe und alle anwesenden Persönlichkeiten; mein besonderer Gruß gilt den Kolumbusrittern, die, zusammen mit dem obersten Ritter, Virgilio Dechant, ihren Orden vertreten: ich möchte ihnen meinen aufrichtigen Dank für ihre Großzügigkeit aussprechen, die diese notwendige und dringende Restaurierung ermöglichte, meinen Dank den Arbeitern, die das Werk ausführten und mit berufsmäßiger Feinfühligkeit und dem im Hinblick auf die geschichtliche, künsterlische und religiöse Tradition der Basilika nötigen Respekt zum Abschluß brachten — eine Tradition, die dieses Gotteshaus in der ganzen Welt berühmt gemacht hat. Mit großer Erkenntlichkeit wende ich mich auch an die Leiter und Mitarbeiter der Dombauhütte von St. Peter, indem ich deren Delegierten, Erzbischof Lino Zanini, meinen Dank bekunde — nicht nur seiner diese Begegnung einleitenden, liebenswürdigen Worte wegen, sondern vor allem im Hinblick auf die Sorgsamkeit und Hingabe, mit der er die Arbeiten vorangetrieben und ihren Ablauf verfolgt hat, 2. Die wuchtige Fassade, Werk des bekannten Architekten Carlo Maderna, in dessen gewaltiges Mauerwerk er das Abschlußjahr, 1612, einritzte, benötigte nach beinahe 400 Jahren seit seiner Erbauung angemessene Restaurierungsarbeiten, um die durch Zeitabnutzung verursachten Schäden auszubes-sem. Sie verdiente — Anhaltspunkt vieler Generationen von Gläubigen, die im Laufe der Jahrhunderte zum Zentrum der Christenheit gepilgert waren — besondere Aufmerksamkeit. Wer auf dem Petersplatz ankommt, fühlt sich gleichsam geistig umfangen von den zwei harmonischen Kolonnaden Berni-nis, doch der Blick wird ganz spontan angezogen von der Wand aus Travertin- 1238 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gestern, aus der sich die Kuppel abhebt und auf der sich acht gigantische Säulen aneinanderreihen, die im Mittelteil den dreieckigen mit dem päpstlichen Wappen Pauls V. versehenen Giebel stützen. Dieser Papst, Paul.V., hatte das Werk ausführen lassen. Dem Beobachter entgeht nicht die geistige Kraft, die der in der Mitte der Balustrade angebrachten Gestalt Christi, des Erlösers, entströmt. I Sie ist die Krönung des Bauwerks und eröffnete jene wunderbare Prozession von Aposteln, Märtyrern, Bekennem und Jungfrauen, die — sich seitlich von der auf dem Höhepunkt der Fassade befindlichen Christusfigur abzweigend — in großer Anzahl auf der Strecke längs den beiden Säulenarmen stehen: gleichsam als Erinnerung an die Geschichte und den Auftrag der Kirche, nämlich Zeugnis zu geben von der Heiligkeit des Lebens, der evangelischen Botschaft. Einen Hinweis verdienen auch die großen Baikone, welche die: Fassade schmücken, von denen der bekannteste in der Mitte liegt. Er spielt bei den feierlichsten kirchlichen Veranstaltungen eine wichtige Rolle — sei es bei der Papstwahl, nach welcher der neue Papst von dort aus zum ersten Mal die Gläubigen grüßt, oder bei den Hauptfesten des Jahres, an denen der Segen „Urbi et Orbi“ erteilt wird. 3. Ich verberge euch meine große Genugtuung keineswegs, als ich am Abend des 1. Dezember 1986 nach meiner Rückkehr von meiner Pilgerreise nach Australien diese Fassade, hellerleuchtet und endlich frei von den sie verunstaltenden Gerüsten sah. Es war ein erhebender Anblick! Meine Anerkennung werde all jenen zuteil, durch deren Mitarbeit dieses Endergebnis zustande kam — nämlich diesem Bauwerk seine Struktur und seinen Glanz wieder zurückzugeben. Wie viele Experten mußten zu Rat gezogen werden: Architekten, Ingenieure, Steinhauer, Maurer, Mosaikmaler, Tischler, Schmiede und Maler. Von meinem Arbeitszimmer aus hörte und verfolgte ich das Fortschreiten des Werkes, das in mir die Vorstellung der Unmenge von Technikern und Arbeitern in Erinnerung rief, die von König Salomon zu seiner Zeit für den Bau des ersten Tempels in Jerusalem gerufen worden waren (vgl. 1 Chr 22,2; 22,15): „Das Haus, das ich bauen will, soll groß werden, denn unser Gott ist größer als alle Götter“ (2 Chr 2,4). 4. Nicht weniger Eifer verwendete die Kirche beim Bau der ersten und der jetzigen zweiten Peterskirche. Sie ist, genauso wie die erste, ein bewunderungswürdiges Kunstwerk und stellt gleichzeitig ein einmaliges Glaubensbekenntnis dar. Auch die Fassade sollte Majestät und religiöse Zweckbestimmtheit ausdrücken. Die eindrucksvolle Basrelieffigur unter dem mittleren 1239 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Balkon, die Christus darstellt, wie er dem hl. Petrus die Schlüssel überreicht, stellt das Motiv für die Erbauung dieser Basilika vor Augen: Gedächtnis zu sein an Petrus, auf den Christus die Kirche gegründet hat. Die Basilika hütet in der Tat das Grab des Apostelfürsten, jenes Apostels, der an dieser Stelle äußerstes Zeugnis für Gott ablegte, welcher ihn zu seinem Stellvertreter auf Erden erwählt hatte — ihn und dessen Nachfolger — bis zum Ende aller Zeiten. Auch die Fassade reiht sich ein in diesen Kontext: sie zeugt von jenem ununterbrochenen Kommen und Gehen von Pilgern, die hierher kamen und immer noch kommen, um am Petrusgrab zu beten und dessen Glaubensbekenntnis zu wiederholen: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ (Mt 16,16). Beim Anblick der Steine und des Marmors, die dem Bau des Gotteshauses dienten, erinnern wir uns an die Mahnung des Apostels: „Laßt euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen Priesterschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen“ (1 Petr 2,5). 5. Bei der Betrachtung dieser Worte, die hier einen besonders bedeutungsvollen Klang annehmen, stellen wir fest, daß der äußere Zauber dieser Basilika verblaßt, um jener inneren geistlichen Berufung Platz zu machen, zu der jeder von uns aufgerufen ist. Jene Worte weisen auf eine Gegenwart, die Gegenwart Gottes, hin: in seinem Haus aus Stein und Marmor und im inneren Tempel eines jeden von uns. Und zwar nicht mehr Gottes Gegenwart in einer leuchtenden Wolke, wie jene, die im Tempel von Jerusalem über der Bundeslade schwebte (vgl. 2 Chr 7,13-14), sondern die Gegenwart Christi in der Eucharistie und die Gegenwart Gottes, der durch die Gnade in jeder Seele wohnt, die getreu die Weisungen des christlichen Glaubens befolgt. Auch der hl. Paulus erinnert uns daran: „Wißt ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1 Kor 3,16). Ja, liebe Brüder und Schwestern, laßt uns „lebendige Steine“ sein zur Ehre Gottes. Bedenken wir aufs neue Petri Botschaft in dieser Basilika, Wächter seines Grabmahls und seines Primats. Der Segen des Herrn bestärke in uns allen diese Gesinnung. Ein besonderes Grußwort möchte ich noch in englischer Sprache an den Obersten Ritter, Herrn Virgil Dechant, und die anderen Kolumbusritter und ihre heute hier anwesenden Familien richten. Seit mehr als hundert Jahren zeichnen sich die Kolumbusritter aus durch ihre Liebe zu Christus und ihre Treue zur Kirche, durch ihren Dienst an den Armen und Bedürftigen, durch ihr Einstehen für die Behinderten und die Verteidigung der Ungeborenen und durch ihre kraftvolle Unterstützung des Familienlebens. Ihr tretet hervor als leuchtendes Beispiel für die Rolle der Laien im Leben und der Sendung der Kirche. Die Finanzierung der Reparatur und Instandhaltung der Fassade der 1240 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Petersbasilika und der mächtigen Statuen darauf ist ein weiteres Zeichen für die Einsatzfreude eurer sehr angesehenen Organisation und für eure Ergebenheit und Treue zum Nachfolger Petri. Mein Herz ist voll Dankbarkeit gegen euch alle für dieses jüngste Projekt und für alles, was ihr im Dienst Christi und des Evangeliums vollbringt. Möge unser Erlöser in seiner Liebe euch und eure Familien segnen mit seiner überströmenden Gnade und seinem Frieden. Priestertum: Berufung — Ruf Gottes Ansprache an die Seminaristen des römischen Priesterseminars am 28. Februar Zuerst möchte ich den Künstlern danken, dem Komponisten und dem Chorleiter, aber auch den anderen. Wir sind sehr dankbar für diese gesungene und symbolisch dargestellte Meditation. Die Geschichte Abrahams ist immer tief bewegend, vor allem, wenn man sie in diesem Haus, in dieser Kapelle, im römischen Seminar erlebt. In diesem Seminar gibt es ein Wort, das sich immer als Frage stellt und dann Wirklichkeit wird. Dieses Wort heißt: Berufung, Ruf Gottes. Dies ist sicher der Leitgedanke, unter dem man in diesem Haus wie in allen anderen Priesterseminaren der Welt lebt. Dieses Kernwort lebt nicht nur ihr als Priesteramtskandidaten, sondern ihr lebt es zusammen mit euren anderen Altersgenossen, Jungen und Mädchen, jungen Leuten, die hierher kommen, um gemeinsam über dieses zentrale Thema des menschlichen Lebens nicht nur des Priesters, der Ordensfrau, sondern jedes Menschen, jedes Christen nachzudenken. Diese biblische Meditation, die Geschichte Abrahams, enthält die Hauptelemente des zentralen Themas im römischen Priesterseminar. Wenn wir näher Zusehen, werden die einzelnen Gedanken dieser Meditation sichtbar. In der Geschichte Abrahams erkennen wir zutiefst das Entdecken Gottes im Glauben als das Wesentliche. Im Glauben macht man diese Entdeckung. Im Glauben stellt sich Gott jedem von uns und uns allen — Gemeinde und Volk Gottes — als ein transzendentes Ich, ein göttliches Ich vor, das den Bund, den Kontakt mit dem Menschen sucht. So ist die Entdeckung eines persönlichen Gottes ein Ereignis, das Abrahams Leben so tief kennzeichnete, daß ihm in der Geschichte des Gottesvolkes und vieler Gläubigen der Name „Vater unseres Glaubens“ gegeben wurde. Der hl. Paulus bezeichnete ihn so, ebenso viele Gläubige, nicht nur Christen: vor uns schon die Juden und später dann auch 1241 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN die Muslime. Alle berufen sich auf diesen gemeinsamen Vater im Glauben dank jener Entdeckung, über die wir heute abend gemeinsam meditiert haben: die Entdeckung des wahren Gottes, des persönlichen Gottes, ja sogar eines ersten, vorauskündenden Bildes, eines ersten Hinweises auf die Enthüllung des einen und.dreieinen Gottes, seines Geheimnisses im Leben der Menschen. Diese Entdeckung Gottes ist grundlegend für die christliche Berufung zum Priester, zum Leben im Orden oder als Laie. Diese Entdeckung bringt auch eine Entdeckung des eigenen Selbst mit sich: Gott, der sich vom Menschen in seiner göttlichen Totalität, seinem göttlichen Geheimnis als das göttliche Ich erkennen läßt, weckt tief im Menschen das Bewußtsein seines menschlichen Ichs, seines menschlichen Personseins, seiner menschlichen Würde. Und dies ist bestimmend für den monotheistischen Glauben, den christlichen Glauben, und in einem besonderen Sinn bestimmend für die christliche Berufung und vor allem die Priesterberufung. Entdeckung des Glaubens an den lebendigen Gott und des eigenen, persönlichen Ichs: keine akademisch, theoretische Entdeckung, sondern gelebte; eine Entdeckung, die Leben, Weg und eben Berufung wird. Wie wir gehört haben, ist es nicht nur die Entdeckung eines menschlichen Ichs allein, sondern einer fruchtbringenden Kraft. Im Fall Abrahams deutet die auf wunderbare Weise zustandegekommene eheliche Fruchtbarkeit hin auf eine andere Fruchtbarkeit, eine andere, geistige Nachkommenschaft. Wenn Gott zu Abraham von dieser seiner unzählbaren Nachkommenschaft spricht, meint er alle jene Nachkommen im Glauben, die wirklich ohne Zahl sind und sich alle aufseine Person zurückführen: er, Abraham, ist unser Vater im Glauben. In der Priester- und Ordensberufung wie auch in der christlichen Berufung des Laien ist dies ein weiteres bestimmendes Element: die Berufung, das von Gott Gerufensein muß Frucht bringen. Christus wird einmal zu den Aposteln sagen: „Ihr werdet Frucht bringen, und diese Frucht wird bleiben.“ Das ist eine die Berufung der Apostel und nach ihnen die Berufung zahlreicher Priester kennzeichnende Tatsache. Wir wissen es gut. Wir haben im vorigen Jahr die Zweihundertjahrfeier der Geburt des hl. Johannes Maria Vianney begangen, des Pfarrers von Ars, und wissen, in welch erstaunlichem Maß er geistig Leben vermittelte, vor allem im Beichtstuhl durch den Dienst am Bußsakrament. Und noch viele andere gibt es. Doch um auch diese andere, geistige Nachkommenschaft eines einfachen Priesters mit Bewunderung zu betrachten, mag es uns genügen, noch des hl. Johannes Bosco zu gedenken, dessen Hundertjahrfeier bevorsteht. Dies also ist ein anderes Merkmal des von Gott Berufenseins, des Geheimnisses der Berufung. 1242 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Aus der Verbundenheit mit Gott der Welt zum Heil verhelfen Wenn wir nun Schlüsse aus unserer gemeinsamen Betrachtung ziehen, sehen wir, daß' diese Berufung, die von Gott kommt, gleichzeitig der Welt tief verpflichtet ist in allem, was ihr zum Guten gereicht, ja vielleicht noch mehr in all dem, was die Welt bedroht: das sehen wir am Gebet Abrahams für die Rettung der beiden Städte Sodom und Gomorra. Ja, so muß ein Mensch, den man einen Christen nennt, ein Priester, eine Ordensfrau sich verpfänden für das Wohl der Welt und gegen das Böse, was und wie immer es sein mag. Es gibt in der Tat verschiedene Übel in unserer heutigen Welt. Ja es scheint sogar, als ob es bei den vielen guten Dingen, vor allem in wissenschaftlich-technischer Ausrichtung, ebensoviele andere, schlechte gäbe, die dem heutigen Menschen, der heutigen Menschheit Leid zufügen. Die christliche Berufung, und besonders die des Priesters, ist vor allem einbezogen in das Wirken für die ganze Menschheit und darauf ausgerichtet, auf alles nämlich, was das wahre Wohl des Menschen ausmacht, aber auch gegen alles das, was die Menschheit bedroht. Sie ist, können wir sagen, eine zutiefst menschenfreundliche, auf den Menschen bezogene Berufung. Wir sind berufen, ein göttliches Programm voranzubringen, das Programm des Heils. Abraham hat sich zum Fürsprecher, zum Vermittler für die Rettung dieser beiden Städte gemacht. So muß sich jeder von uns in seiner eigenen Berufung zum Mittler machen und sich für die Rettung der anderen Städte verwenden: ganz gewiß für die Rettung dieser Stadt Rom, aber auch für die Rettung der anderen Städte der Welt, die, auf andere Weise vielleicht, aber ähnlich bedroht sind, vor allem durch die Sünde. Das ist die schwerste Bedrohung. Heute spüren wir sehr stark die nukleare Bedrohung, die die sichtbare, körperliche Welt in ihrer physikalischen Dimension und alles Leben vollständig zerstören kann. Aber die Sünde zerstört fortwährend das Leben, das Leben des Geistes. Wir wissen gut, welches die wahre Rangordnung der Werte ist, die uns Christus fest und entschieden übermittelt hat: Was kann es dem Menschen nützen, wenn er zwar sein Leben retten, ja wenn er alles gewinnen, die ganze Welt, alle Güter der Welt erwerben kann, aber seine Seele verliert. Ja, so ist die Berufung zu verstehen. Wir sehen es in dem Augenblick • in dem Abraham fürbittend für die Rettung der beiden Städte eintritt. Das vielleicht Tiefste, was wir schließlich noch aus der Meditation über Abraham und seine Geschichte lernen, ist dies: die Berufung durch Gott, besonders jene zum Priestertum, trägt immer das tiefinnere Merkmal der Opferbereitschaft, der Bereitschaft, auch das hinzugeben, was einem zuinnerst gehört, was unser persönlichstes Eigentum ist, so, wie es Isaak für Abraham war. Bereit sein, uns selbst und das Unsere Gott hinzugeben. Wir haben eben 1243 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN alle mit großer innerer Bewegung den Augenblick mitempfunden, in dem die größte Prüfung im Leben Abrahams eine so wunderbare Lösung durch die Gnade und Güte Gottes gefunden hat. Wir haben begriffen, daß das, was Gott will, vor allem das Opfer des Herzens ist, das innere Opfer. Dies alles ist uns also bei der Betrachtung der künstlerischen Darbietung aufgegangen, die uns unsere Freunde vom römischen Priesterseminar geboten haben. Man kommt immer hierher, und vor allem am letzten Samstag vor der Fastenzeit, um an dem ihr geweihten Tag eine Wallfahrt zu Unserer Lieben Frau vom Vertrauen zu machen. Wir sind dankbar für die Einladung, an dieser Wallfahrt teilzunehmen. Abraham war gewiß ein Mann tiefen Glaubens, aber auch eines erstaunlichen Vertrauens. Sein Vertrauen in Gott stützte sich ganz und gar auf ihn, auf seinen Willen, auf die Pläne, die er gemacht hatte. Er wollte seinen Willen erfüllen. Abraham ist ein großes Vorbild Christi und, wie wir am Ende der Meditation gehört haben, ein großes Vorbild der Mutter Christi, Unserer Lieben Frau vom Vertrauen. Maria: „Selig, die an das Wort des Herrn geglaubt hat.“ Die beiden Gestalten, die des Alten und die des Neuen Testaments, die beiden Anfänge — der in Abraham und der in Maria — begegnen einander. Und wenn diese Meditation für jeden von uns noch zum Gebet werden soll, dann muß es ein Gebet um diesen tiefen Glauben sein, der zum Weg wird, der Gott alles zu geben und alles von ihm zu empfangen weiß, um alles zu geben. Die Dimension der Gabe ist so wichtig auf dem Weg des Glaubens. Dann versteht es der Glaube, Frucht zu bringen, die anderen mitzuziehen auf den gleichen Weg, und er bringt uns immer näher zu Gott, der unser aller Vater ist. So war es bei Abraham, unserem Vater im Glauben, und so, in außergewöhnlicher und mehr als außergewöhnlicher Weise bei der Mutter Christi, Unserer Lieben Frau vom Vertrauen. Sie muß für uns auch die Führerin zum zweiten christlichen Jahrtausend sein, vor allem während des angekündigten Marianischen Jahres. Sie muß die Führerin der Kirche und aller Glaubenden sein. Sie muß in ihrem Glauben dem ganzen Gottesvolk vorausgehen, besonders denen, die dazu berufen sind, Gott und den Brüdern im Priesteramt, im Ordensleben, im Leben eines Christen zu dienen. Ich danke euch noch einmal und erteile euch gemeinsam mit dem Herrn Kardinal und dem Herrn Erzbischof den Segen. 1244 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Unser Leben: Zeichen des Widerspruchs Ansprache an die römischen Priesteramtskandidaten am 1. März Die Ansprache eures Kollegen war kurz, aber sehr inhaltsreich für mich und auch füir euch. Und es kann nicht anders sein. Es ist bezeichnend für das Evangelium, bezeichnend für Christus. So sprach er mit seinen Jüngern, so liebte er sie, indem er große Anforderungen an sie stellte und ihnen keine Erfolge auf dieser Erde versprach, sondern sogar Schwierigkeiten und Verfolgungen voraussah. Das macht das Evangelium für uns anziehend: diese tiefe Wahrheit, dieses Fehlen jeglicher Werbeakzente, das Fehlen jedes Nutzdenkens, dieses direkte Hinzielen auf den Kern der Dinge, auf den .Kern der christlichen Botschaft, der göttlichen Botschaft, ich würde sagen, den Kern des Gottesreiches. Ich erinnere mich, daß dies, als ich als Kind und dann als junger Mensch die Heilige Schrift las, für mich ein wichtiges Argument war: die Wahrheit der Worte und nichts sonst, das Sympathie erwecken könnte. Jesus machte seinen Jüngern Versprechungen, gewiß, einzigartige Versprechungen, die sich jedoch nicht auf diese, sondern auf die andere Welt beziehen: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Und dies alles wurde dann bewahrheitet durch das eigene Zeugnis Jesu, sein Leiden, seinen Kreuzestod und seine Auferstehung. Die Person kann nur echt geformt werden im Blick auf ihre transzendentale Bestimmung Ich wünsche euch, daß ihr euch von dieser Wahrheit, dieser Wahrhaftigkeit des Evangeliums Jesu anziehen laßt und ihm gerade deswegen nachfolgt. Das ist auch sehr wichtig hinsichtlich der menschlichen Formung: die Formung kann keine andere sein; die echte menschliche Formung muß und kann nur eine Anforderung sein. Ohne Anforderungen wird im Menschen nichts aufgebaut, ja diese Anforderungen müssen immer mehr aus dem Innern unseres Gewissens, unserer Überzeugung, unseres Bewußtseins kommen, sie müssen vom Lehrer objektiv dargeboten werden, aber dann von uns getragen und entfaltet werden, um sie uns zu eigen zu machen, unser Leben werden zu lassen. Dies ist jetzt eine große Gefahr, weil die Welt, besonders diese westliche Wöhlstandswelt, die uns umgibt, nach anderen Grundsätzen lebt, nach Grundsätzen, die weitgehend auf die Nützlichkeit ausgerichtet sind. Um Anstrengungen aus dem Weg zu gehen, lebt sie ungefähr so, als ob Gott nicht existiere. Denn die beiden Dinge gehen immer gemeinsam: Zu leben, als ob Gott nicht existiere, heißt, ohne Anstrengungen zu leben. Aber auf diese Weise 1245 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN geht man auf die Zerstörung des Menschen, nicht auf seine Bejahung oder den Aufbau seiner Menschlichkeit, seiner echten Persönlichkeit zu. Auch vom menschlichen oder humanistischen Standpunkt aus ist dieser Weg ein Irrweg, und deshalb müssen wir durch unser Leben ein Zeichen des Widerspruchs setzen gegenüber diesen Strömungen, diesen Tendenzen, die sich verbreiten und allgemein werden, die Menschen faszinieren und zum Untergang führen wollen. Dies ist die große Gefahr unserer Zeit. Aber, Gott sei Dank, bemerken wir ein überraschendes Phänomen angesichts jener bestimmten Art von Propaganda und Programmen. In der Tat sehen wir andererseits, daß die jungen Menschen zu Verstehen beginnen, daß dies alles zum Untergang des Menschen führt, und sich auf die Suche begeben nach dem, was wahr, was echt ist, was Anstrengungen kostet. Die Zeiten der Kontestation sind vorüber, als man nach einem verwässerten Christentum verlangte, einem der Welt gleichgeschalteten Christentum. Denken wir an die Worte des hl. Paulus: „Nolite conformare“, kein Konformismus. Nun, ich wünsche euch, daß ihr mit dieser Haltung, mit diesen Anforderungen, mit diesem Ausblick, Zeichen des Widerspruchs zu sein, besser zurechtkommt; mit diesem Ausblick, andere an euch heranzuziehen, so wie Christus die anderen an sich herangezogen hat im Laufe der Jahrhunderte, der Generationen mit seinem Evangelium, mit seinem Programm, dem göttlichen und gleichzeitig tief menschlichen Programm. Ich danke euch für die schöne Darstellung, die ihr mir geboten habt. Ich komme immer sehr gern zu euch, und ich freue mich an eurem Leben, an euren Plänen, an eurer Kreativität sowohl im geistlichen wie auch künstlerischen Sinn. Und ich wünsche euch, so fortzufahren. Danke. Gegenüberstellung von Charisma und Institution vermeiden Ansprache an die Teilnehmer des 2. internationalen Treffens der kirchlichen Bewegungen am 2. März Liebe Brüder im Bischofsamt und alle lieben Teilnehmer am zweiten internationalen Treffen der kirchlichen Bewegungen! 1. Es ist mir eine wirkliche Freude, euch heute, einige Jahre nach eurem vorigen Treffen, zu empfangen. 1246 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Vor allem möchte ich meiner Freude über die Weiterführung dieser Initiative Ausdruck geben, die sich im Hinblick auf eine immer engere Gemeinschaft zwischen den kirchlichen Bewegungen und dem ganzen Gottesvolk und besonders seinen Seelsorgern als sehr nützlich erweist. Das starke Aufblühen dieser Bewegungen, die Kraft und kirchliche Vitalität, mit denen sie in Erscheinung treten und die kennzeichnend für sie sind, gehören sicherlich zu den schönsten Früchten der umfassenden und tiefgreifenden geistlichen Erneuerung, die das letzte Konzil in Gang gebracht hat. In den Konzilsdokumenten können wir einen deutlichen Hinweis auf die kirchlichen Bewegungen besonders an der Stelle finden, in der bestätigt wird: „Der Heilige Geist... verteilt unter den Gläubigen jeglichen Standes besondere Gnaden. Durch diese macht er sie geeignet und bereit, für die Erneuerung und den vollen Aufbau der Kirche verschiedene Werke und Dienste zu übernehmen gemäß dem Wort: ,Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt, (1 Kor 12,7)“ (Lumen gentium, Nr. 12). 2. Christus, so sagt das Konzil, „erfüllt... sein prophetisches Amt nicht nur durch die Hierarchie, die in seinem Namen und in seiner Vollmacht lehrt, sondern auch durch die Laien. Sie bestellt er deshalb zu Zeugen und rüstet sie mit dem Glaubenssinn und der Gnade des Wortes aus, damit die Kraft des Evangeliums im alltäglichen Familien- und Gesellschaftsleben aufleuchte“ (ebd., Nr. 35). Und so erleben wir in der Geschichte der Kirche beständig das Erstaunliche, daß größere oder kleinere Gruppen von Gläubigen durch den Heiligen Geist in geheimnisvoller Weise dazu gedrängt werden, sich zusammenzuschließen, um im Hinblick auf besondere, gerade zu ihrer Zeit notwendige Bedürfnisse der Kirche bestimmte Ziele der Nächstenliebe oder der Heiligkeit zu verfolgen, oder auch, um an der wesentlichen und dauernden Sendung der Kirche mitzuarbeiten. Dieses Recht wird auch vom neuen Codex des Kirchenrechts eindeutig anerkannt. Er spricht von „Vereinigungen für Zwecke der Caritas oder der Frömmigkeit oder zur Förderung der christlichen Berufung in der Welt!“ (Can. 215). Worte, die wir gewiß auch auf die kirchlichen Bewegungen beziehen dürfen. 3. Diese haben in der Kirche eine ganz bestimmte, und wir können ohne weiteres sagen: unersetzbare Funktion. „Apostolisch gesinnte Bewegungen“, so sagt das Schlußdokument der letzten Bischofssynode (2. Teil, Nr. 4; O. R. dt., 3.1.86), „und neue .geistliche Aufbrüche stimmen sehr hoffnungsvoll, wenn sie regelmäßig in der kirchlichen Gemeinschaft bleiben.“ Wenn sie in echter 1247 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Weise verwirklicht werden, gründen sie sich auf jene „charismatischen Gaben“, die, zusammen mit den „hierarchischen Gaben“, das heißt den Dienstämtern, einen Teil jener Gaben des Heiligen Geistes bilden, mit denen die Kirche, die Braut Christi, ausgestattet ist. Charismatische und hierarchische Gaben sind voneinander verschieden, aber sie ergänzen sich auch gegenseitig. In der Tat sind, wie der hl. Paulus von uns Christen sagt, „wir, die vielen, ein Leib in Christus, als einzelne aber sind wir Glieder, die zueinander gehören“ (7?öm 12,5). Darum hat Gott gewollt, daß „im Leib kein Zwiespalt entstehe, sondern alle Glieder einträchtig füreinander sorgen“ (1 Kor 12,25), jedes seiner eigenen Funktion gemäß. In der Kirche sind der institutionelle und der charismatische Aspekt, die Hierarchie und die Vereinigungen:und Bewegungen der Gläubigen, gleich wesentlich und tragen bei zum Leben, zur Erneuerung und zur Heiligung, wenn auch auf verschiedene Weise und so, daß ein gegenseitiger Austausch, eine Gemeinschaft besteht: die Hirten der Kirche sind „Verwalterder Gnade“ (vgl. Lumen gentium, Nr. 26), die rettet, reinigt und heiligt. Sie bewahren das Erbe des Wortes Gottes, und in der Leitung des Gottesvolkes kommt ihnen die Verantwortung zu, über die Echtheit der Charismen das entscheidende Urteil abzugeben (vgl. Lwme« genfzwra, Nr. 12). . Die Gläubigen in den Vereinigungen und Bewegungen suchen ihrerseits unter der Anregung des Heiligen Geistes das Wort Gottes in den konkreten geschichtlichen Gegebenheiten zu leben. Sie werden so durch ihr eigenes Zeugnis zum Ansporn für einen immer wieder erneuten geistlichen Fortschritt. Sie leben die zeitliche Wirklichkeit und die menschlichen Werte dem Evangelium entsprechend und bereichern die Kirche mit einer unendlichen und unerschöpflichen Vielgestaltigkeit von Initiativen auf dem Gebiet der Liebe und der Heiligkeit. 4. Eure Konferenz setzt, ich weiß es, diese Überzeugungen voraus: bemüht euch aber darum, so zu handeln, daß sie auch im Gottesvolk mehr und mehr zum festen und bleibenden Besitz werden, damit jene verwerfliche Gegenüberstellung von. Charisma und Institution vermieden wird. Sie schadet so sehr der.Einheit der Kirche, wie auch der Glaubwürdigkeit ihrer Sendung in der Welt und dem Heil der Seelen. 1248 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wir empfangen, um zu geben Botschaft zur Fastenzeit 1987 vom 4. März ; Liebe Brüder und Schwestern! „Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und läßt die Reichen leer ausgehen“ (Lk 1,53). Diese Worte, welche die Jungfrau Maria in ihrem Magnifikat ausgerüfen hat, sind ein Lobpreis an Gott, den Vater, und zugleich ein Appell, den jeder von uns mit dem Herzen vernehmen und in dieser Fastenzeit bedenken kann. Zeit der Bekehrung — Zeit der Wahrheit, die uns befreit (Joh 8,32); denn den, der „auf Herz und Nieren prüft“ (Ps 7,10), können wir nicht täuschen. Wessen könnten wir uns denn rühmen vor dem Angesicht Gottes, unseres Schöpfers, vor Christus, unserem Erlöser? Welche Besitztümer oder welche Talente könnten uns denn irgendeine Überlegenheit verschaffen? Die wahren Reichtümer, solche, die nicht vergehen — so zeigt uns Maria —, kommen von Gott; wir müssen sie ersehnen, danach hungern und alles lassen, was eingebildet und vergänglich ist, um diese Güter zu erlangen und sie in Fülle zu erlangen. Bekehren wir uns also und verlassen wir den alten Sauerteig (i Kor 5,6) des Stolzes und all dessen, was zu Ungerechtigkeit und Verachtung, was zum Durst nach Geld und Macht zu eigenem Vorteil führt. Wenn wir uns als arm vor Gott bekennen — und das ist Ehrlichkeit und nicht etwa falsche Demut —, dann werden wir arm im Herzen, dann haben wir Augen und Hände von Armen, um die Reichtümer auszuteilen, mit denen Gott uns beschenkt: unser Glaube, den wir nicht eigensüchtig nur für uns selbst besitzen dürfen; unsere Hoffnung, die gerade diejenigen nötig haben, denen alles Notwendige fehlt; unsere Liebe, die uns zusammen mit Gott die Armen in bevorzugter Weise lieben heißt. Der Heilige Geist der Liebe wird uns mit ungezählten Reichtümern zum Austeilen beschenken; je mehr wir danach verlangen, um so mehr empfangen wir sie in reicher Fülle. Wenn wir wahrhaft solche „ Armen im Geiste“ sind, denen das Himmelreich verheißen ist“ (Mt 5,3), wird unsere Gabe Gott wohlgefällig sein. Auch unser materielles Opfer, das wir gewöhnlich zur Fastenzeit geben, wird zu einem Reichtum, wenn es mit einem armen Herzen gegeben ist; denn wir geben das, was wir von Gott zum Austeilen empfangen haben: Wir empfangen nur, um zu geben. Wie die Hände Christi j ene fünf Brote und zwei Fische des jungen Mannes vermehrt haben, um den Hunger der Menge zu stillen, so wird durch Gottes Macht auch unser Opfer für die Armen vervielfältigt. 1249 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Werden wir aus dieser Fastenzeit mit einem satten Herzen, angefüllt mit uns selbst, aber mit leeren Händen für die Armen hervorgehen? Oder werden wir unter der Führung der Jungfrau des Magnifikats zum Osterfest gelangen mit einem armen Herzen, hungernd nach Gott und mit Händen voller Gaben Gottes, um sie an die Welt auszuteilen, die all das so nötig hat? „Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig“ (Ps 118,1). Diese Einheit der Kirche in der Vielfalt ihrer Glieder ist ein Wert, nach dem man beständig trachten muß, denn er ist hier auf Erden immer in Gefahr: er kann nur erreicht werden durch das Bemühen aller, der Hirten und der Gläubigen in wechselseitiger Begegnung, gegründet in Liebe, Demut, Aufrichtigkeit, kurz: in der Übung aller christlichen Tugenden. Die heiiigste Jungfrau, die Mutter der Kirche, stehe euch in eurer Arbeit bei und mache sie fruchtbar an weitreichenden und dauerhaften Ergebnissen, um gemeinsam in Einheit und gegenseitiger Zusammenarbeit zu wachsen und um der Kirche in ihrem Zeugnis vor den Menschen unserer Zeit mehr Glaubwürdigkeit zu geben. Von Herzen segne ich euch und eure Familien. Innere Wahrhaftigkeit erforderlich Predigt in der römischen Basilika Santa Sabina am Aschermittwoch, 4. März 1. „Deine linke Hand soll nicht wissen, was deine rechte tut“ {Mt 6,3). So spricht Christus in seiner Lehre über die guten Werke in der Bergpredigt. „Deine linke Hand soll nicht wissen, was deine rechte tut. Dein Almosen soll verborgen bleiben.“ „Sie soll nicht wissen .das heißt, vergiß dich selbst, wenn du dem andern Gutes tun willst, wenn du wirklich und wahrhaftig und nicht nur zum Schein Gutes tun willst. Vergiß, Befreie dich von deinem „Ich“, damit es sich tatsächlich auf das Gute, das du tust, einlassen kann. Befreie dich von deinem „Ich“, wenn das, was du tust, eine vollkommene.Beziehung zum andern aufrechterhalten soll. Wenn es der Logik des Geschenkes treu bleiben soll. 2. Zu Beginn der Fastenzeit, am Aschermittwoch, ruft uns Christus auf zur inneren Wahrhaftigkeit unserer Werke: Almosengeben, Gebet und Fasten. Diese Perikope enthält einen besonderen Aufruf zu den guten Werken, zu den Werken der Frömmigkeit. Eben deshalb ist die innere Wahrhaftigkeit jedes dieser Werke unerläßlich, damit sich in jedem von ihnen sozusagen ein Raum für Gott öffnet. 1250 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Deine linke Hand soll nicht wissen, was deine rechte tut“, will heißen: schaffe die inneren Bedingungen dafür, daß es dir in deinem Werk, in deinem guten Werk ermöglicht wird, dem Vater zu begegnen, „der auch das Verborgene sieht“‘ (vgl. Mk 6,4). 3. Warum das?: Weil wir mit dem heutigen Tag in die Fastenzeit, in die Zeit einer besonderen Umkehr, eintreten. Und Umkehr ist eine Wiederherstellung der Wahrheit all dessen, was wir tun und was wir sind. Der inneren Wahrheit — darum bedeutet Umkehr, Bekehrung eintreten „in das Kämmerlein“ des eigenen Herzens, des eigenen Gewissens, jedoch nicht, um uns abzusondern. Ganz im Gegenteil, um uns noch mehr für Gott zu öffnen, um für ihn einen Raum zu schaffen, den ihm unser „Ich“ — nach der Ursünde — so gedankenlos verweigert, vorenthält. 4. Diesem — so offenen — inneren Raum wird, man könnte sagen, spontan das Werk entspringen: Vergib mir! Verzeih! Wasche mich rein! Tilge meine Schuld! Schaffe ein reines Herz in mir! All das, was das große Erbe des Bundes mit Gott darstellt, was in so großartiger und geradezu unwiederholbarer Weise im 51. Psalm Davids verdichteten Ausdruck gefunden hat. Dieser Psalm ist ein glänzendes Zeugnis des menschlichen Gewissens, das sich dadurch, daß es in die innere Wahrhaftigkeit der Werke eintritt, Gott öffnet. Dieses Zeugnis begleitet uns beständig während der Fastenzeit. 5. Wer ist dieser Gott, mit dem David, der Sünder und König, der König der Psalmisten und Prophet, spricht? Wer ist dieser Gott, der sagt: „Bekehrt euch zu mir von ganzem Herzen“ {Joel 2,12)? Es ist der Gott, in dem „die Leidenschaft für sein Land erwacht“ (vgl. Joel 2,18). Ist es nicht vielleicht derselbe Gott, der seinen Sohn, „den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht hat“ (vgl. 2 Kor 5,21)? Diese Wahrheit, diese Wirklichkeit pulsiert besonders kraftvoll jetzt in der Fastenzeit in der Tiefe des ganzen lebendigen Organismus der Kirche, der Menschheit. 6. Daher müssen wir uns selbst vergessen („deine linke Hand soll nicht wissen, was deine rechte tut“), wir müssen Gott den Raum in unserem Innersten öffnen — den Raum der Umkehr —, damit wir voller und gültiger an dieser unglaublichen Wirklichkeit teilhaben können. Gott hat seinen Sohn, Jesus Christus, für uns zur Sünde gemacht, damit „wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden“ (2 Kor 5,21). 1251 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Diese Wirklichkeit heißt Gnade. In sie ist unsere Wiederversöhnung mit Gott eingeschrieben. 7. Ein Mensch, der sich in sein „Ich“ verschlossen hat, begreift diese Wirklichkeit nicht. Ebensowenig begreift sie ein Mensch, der auf seine eigene Gerechtigkeit stolz ist; der der Selbstgerechtigkeit frönt und alle persönlichen und gemeinsamen Erfahrungen verachtet. Stellen wir also diese Erfahrungen im Zusammenhang mit der Fastenzeit nachdrücklicher heraus! Die Fastenzeit ist eine Zeit besonders intensiver geistlicher Bemühung, ein „tempo forte“. Die Zeit der grundlegenden, elementaren Wahrheiten. Die Zeit der radikalen Aufrufe. Die Zeit, in der sich die höchste Kraft des Geistes — scrutinium cordis (die Prüfung des Herzens) — durch die „Schwachheit“ offenbaren muß: das heißt, durch das Leiden und Sterben des Gottessohnes, durch das, was der Apostel die „Torheit des Kreuzes“ genannt hat (vgl. 1 Kor 1,18). „Denn die Kraft Gottes erweist sich voll in der Schwachheit“ (vgl. 2 Kor 12,9). 1252 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Glückwunsch an den neuen Patriarchen von Alexandrien vom 7 März Eure Heiligkeit, Mit Freude habe ich von Ihrer Wahl zum griechisch-orthodoxen Patriarchen von Alexandrien Kenntnis genommen, und ich entbiete Ihnen meine herzlichen Wünsche für eine lange und fruchtbare Amtszeit. Ich empfehle Sie, Ihren Klerus und Ihr ganzes Volk dem Herrn und bitte ihn, unsere Kirchen zu der vollen Gemeinschaft zu führen, die dem Willen Christi entspricht und für die Sie sich bereits so sehr eingesetzt haben. In brüderlicher Liebe PAPST JOHANNES PAUL II. Patriarch Parthenios antwortete mit folgendem an seine Heiligkeit Papst Johannes Paul II. gerichteten Telegramm: Ich danke brüderlich für Ihre liebenswürdigen Worte und Gebete. Unser Gott behüte Sie und Ihr Volk. In Christus gehen wir zusammen der vollen Gemeinschaft entgegen und verwirklichen beständig die Einheit der Kirche unseres Herrn. In brüderlicher Liebe PARTHENIOS Patriarch von Alexandrien. Ein Stück mit Jesus gegangen Schlußwort nach den Fastenexerzitien im Vatikan am 14. März Liebe Brüder! Ich danke dem Herrn für diesen Abschnitt unseres geistlichen Weges, den wir zusammen mit Christus, unserem Osterlamm, in der Wüste gegangen sind. Es war uns vergönnt, diese Strecke des geistlichen Weges am Beginn der, Fastenzeit als Gemeinschaft der Römischen Kurie auf eine besonders tiefe und intensive Weise miteinander zu gehen dank unserer geistlichen Exerzitien, die wir ja gewöhnlich in der Fastenzeit halten. Das ist ein großes Privileg, eine Gnade, und darum müssen wir Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, dem dreieinigen Gott danken, daß er uns vereint und mit seinem Licht 1253 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN geführt, daß er uns einen Augenblick geistlichen Atemholens, der Sammlung und des Gebetes geschenkt hat. Wir alle sind dem Generalobern der Gesellschaft Jesu, der uns in dieser Woche als unser Chorführer begleitet hat und uns immer mit dem Wort Gottes und dem Wort der Liturgie voranging, sehr dankbar. Er hat sich von diesem Wort in seinem ganzen tiefen Gehalt führen lassen, und wir konnten zusammen mit ihm in diese Tiefen eindringen, eine wahrhaft unergründliche Tiefe. Es ist ein wirklich unermeßlicher Abgrund, hingeordnet auf den anderen Abgrund: das Menschenherz, das Gewissen des Menschen. Wir sind sehr dankbar für diese Augenblicke vor allem biblischen Charakters, erfüllt von dem ganzen Reichtum der Kirchenväter und der Liturgie, durch den die Kirche ihr Leben aus dem Wort Gottes ständig vertieft. Wir sind unserem Exerzitienmeister sehr dankbar für die Kommentare, die er uns gegeben hat. Wir danken, daß er die Wahrheit aufgezeigt hat, die den Worten der Bibel und den Worten der Liturgie eingeschrieben ist, eine nicht menschliche, sondern göttliche Wahrheit. Und er wußte das Wort Gottes wirklich meisterhaft zu durchforschen, nicht nur auf den Spuren der großen Tradition seiner Gesellschaft Jesu, sondern auch auf denen vieler anderer Lehrer des Glaubens, vieler anderer Experten des Wortes Gottes. So hat er uns gleichsam Schritt für Schritt, Wort für Wort durch die Schrifttexte geführt, die die Kirche für die erste Woche der Fastenzeit ausgewählt hat. Dabei wußte er immer auf die besonders eindrucksvollen und entscheidenden Worte hinzuweisen und deren Tragweite in ihrer göttlichen und auch menschlichen Größe aufzuzeigen. Dafür sind wir ihm sehr, sehr dankbar. Wir sind es aber nicht nur für die Wahrheit, für das Wahre, das er uns in seinen Analysen und seinen Überlegungen nahezubringen wußte. Über das Wahre und Gute hinaus sucht der Mensch ja auch das Schöne, und das ist eine weitere Dimension unserer menschlichen Geistigkeit: pulchrum splendor veri, das Schöne ist der Glanz des Wahren. Wir sind unserem Exerzitienmeister darum sehr dankbar, daß er uns zugleich mit der Wahrheit auch die Schönheit des Wortes Gottes zu zeigen vermochte, diese einzigartige, übermenschliche Schönheit, die das Herz des Menschen anzieht und es mit mehr geistlicher Freude, mit größerem geistlichen Schwung zum Wahren hin aufbrechen läßt. Wir dürfen wirklich sagen, daß das vom Generalobern der Gesellschaft Jesu Dargelegte uns gleichzeitig zum Wahren und zum Guten hingeführt hat: pulchrum splendor veri et splendor boni, das Schöne ist der Glanz des Wahren und der Glanz des Guten. Heute, am Abschluß der geistlichen Übungen im Vatikan, stehen wir an der Vigil des zweiten Sonntags der Fastenzeit, an dem die Liturgie uns zum Berg der Verklärung führt. So schließen also unsere Exerzitien vor dem Geheimnis der Verklärung des Herrn; die Meditationen unseres Exerzitienmeisters und 1254 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN unser Zuhören gehen zu Ende; alles soll uns der Verklärung des Herrn näherbringen. Sie muß auch uns umgestalten. Und das ist die letzte Anrufung all der schönen Schlußgebete, die wir immer an die heilige Jungfrau, die Mutter Christi und unsere Mutter, gerichtet haben. Dieses Gebet, das aus dem Geheimnis der Verklärung des Herrn aufsteigt, dieses Schlußgebet unserer Exerzitien möchte den inständigen Wunsch zum Ausdruck bringen, daß diese Gnadenwoche beitrage zu unserer Verklärung im Herrn. Ich danke euch allen und lade euch ein, unseren gemeinsamen Dank der heiligsten Dreifaltigkeit darzubringen mit den Worten der Magd des Herrn, den Worten des Magnifikat. Artisten schenken Frohsinn Ansprache bei der Sonderaudienz für den Zirkus von Moskau am 14. März Mir ist es eine Freude, Sie, die Damen und Herren des Zirkus von Moskau, anläßlich ihres Aufenthaltes in Rom im Rahmen Ihrer Gastspielreise durch Italien zu empfangen. Sie haben um diese Sonderaudienz gebeten, und ich danke Ihnen für den Freundschaftsbesuch, während ich alle herzlich begrüße. Ihr Ensemble genießt hohes Ansehen und Berühmtheit in der ganzen Welt. Die Bewunderung, die Sie in allen Teilen der Welt ernten, gereicht Ihnen zur Ehre, auch weil Sie dem Publikum zusammen mit der Vollkommenheit der einzelnen Darbietungen Bilder und Gesten anzubieten wissen, die von Ihrem Land, Ihrer Kultur und den Traditionen der Völker der UdSSR berichten. Indem Sie den Leuten ein erholsames, entspannendes, vernünftiges Vergnügen bieten, schenken Sie Frohsinn und regen zu Empfindungen des Friedens an, eines besonders schätzenswerten Gutes in einer manchmal so komplizierten, schwierigen, gewalttätigen Welt wie der unsrigen. Die Leute kommen zu Ihren Vorführungen geströmt, um sich einen Augenblick zu entspannen in einem Erlebnis, das von kulturellem Interesse und reich an menschlicher Bravour ist. Seien Sie sich dessen bewußt, damit Sie selbst Hoffnung und Vertrauen für Ihre tägliche Mühe finden. Ich möchte Ihnen allen wünschen, daß in Ihrem Ensemble nie jene Solidarität und Freundschaft fehlen mögen, die die Zirkusleute zu einer großen Familie machen. Und jener Frohsinn und Frieden, die Sie mit Ihrer Vorstellung verbreiten, seien für Sie vor allem Erhebung und Erfahrung der gemeinsamen Solidarität und Freundschaft. 1255 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Mit diesen Empfindungen entbiete ich Ihnen allen, Ihren Familien und den Personen, die Ihnen teuer sind, den lebhaften und herzlichen Wunsch, der Schutz des Herrn begleite Sie in jeder Lage. Das Werk des hl. Patrick in Irland fortsetzen Predigt bei der Bischofsweihe von Msgr. John Magee am 17. März 1. „Der Herr suchte zweiundsiebzig andere Jünger aus und sandte sie voraus“ (vgl. Lk 10,1). Den Augen und dem Herzen Christi eröffnet sich eine Welt, die auch ihm zugewandt ist, eine Welt, die es nötig hat, Jesus kennenzulernen, um ihn lieben und ihm nachfolgen zu können, eine Welt in Erwartung der Wahrheit und beseelt vom Wunsch nach Erlösung. Jesus sendet seine Jünger zu reicher Ernte aus, damit sie wie Zeugen seine Ankunft vorbereiten und die Herzen seiner Gnade öffnen: „Geht in alle Städte und Ortschaften... Die Ernte ist groß.“ Das Wirken Christi, der die Seinen aussendet, dauert die Zeiten hindurch an, denn der gute Hirte läßt seine Herde nicht im Stich. Auch heute schickt er immer wieder seine Jünger aus, damit sie wie treue Hirten in seinem Namen auf der ganzen Welt seiner Herde beistehen und damit sie den Menschen das Heilswort verkünden und sie zum Vater führen. Heute ist es die Kirche, die in Christi Namen unermüdlich Diener des Evangeliums aussendet. Sie tut dies kraft des Erbes, das ihr vom Herrn und den Aposteln übertragen wurde. Somit kommt sie ihrem feierlichen Auftrag zur Verkündigung der Heilswahrheit nach. Durch das Wort ihrer Bischöfe bringt sie die Menschen zum Glauben und bereitet sie auf die Taufe vor. Sie befreit sie.aus der Knechtschaft des Irrtums und gliedert sie Christus ein, damit sie durch die Liebe bis zur Fülle in ihn hineinwachsen (vgl. Lumen gentium, Nr. 17). Im Bewußtsein dieser Wahrheit werde ich heute Msgr. John Magee zum Bischof der Diözese Cloyne in Irland, weihen. Lieber Bruder John, Sie werden heute das Sakrament der Bischofsweihe empfangen und sind somit ausgesandt, die Ankunft des Herrn anzukündigen: „Das Reich Gottes ist euch nahe“ (Lk 10,9); Sie werden zu Menschen gehen, die Ihnen als einem Boten Jesu anvertraut worden sind, der den Auftrag der Apostel fortfuhrt. Sie werden diese Aufgabe mit Zuversicht erfüllen und mit der Gewißheit, daß der Erfolg einer jeden apostolischen Arbeit in den Händen Gottes liegt. Wir alle wenden uns Gott zu, denn'„Du sendest Arbeiter zur Ernte aus“ (vgl. Lk 10,2). Wir wissen, daß Gott seine Freunde nicht im Stich läßt. Er läßt sie mit ihren Sorgen nicht allein, sondern gibt ihnen „die Kraft... die ganze Macht des Feindes zu überwinden“ (vgl. Lk 10,19). 1256 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Wir begehen diese Feier am Festtag des hl. Patrick, des Apostels und Patrons Ihrer Heimat Irland, von wo Sie hierhergekommen sind und in die Sie nun als Bischof zurückkehren. Wie ein wahrhafter Jünger des Herrn lebte der hl. Patrick nach jenem Teil des Evangeliums, den wir soeben gehört haben. Und auf allen Reisen zur Evangelisierung der Insel setzte er ihn mit Mut und Vertrauen in die Praxis um. Er stieß auf Feindschaft und wurde verfolgt. In der Überzeugung, daß Schicksal und Sendung der Boten des Evangeliums durch die Verheißungen Jesu ihre Kraft und ihr einzigartiges Fundament erhalten, war er im Herzen sogar bereit, das Geschenk des Martyriums anzunehmen. Patrick gehörte zu den Jüngern, die die Bestimmungen des Herrn für eine wirkungsvolle Mission wörtlich nahmen: „Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe“ (Lk 10,1); er gab alles weg, verkaufte seinen gesamten Besitz, um — wie er selbst schrieb — die Aufgabe zu erfüllen, der er sich verpflichtet hatte. Ich möchte Ihr zukünftiges Dienstamt unter den Schutz dieses in Irland so sehr verehrten Heiligen stellen. Ich wünsche Ihnen, daß Sie das Werk dieses großen Vorbildes fortsetzen werden. Treuer Begleiter von drei Nachfolgern des hl. Petrus 3. Ich möchte bei dieser Gelegenheit an Ihre Verdienste um den Hl. Stuhl erinnern, die Sie sich zunächst in der Kongregation für die Glaubensverbreitung, später im Privatsekretariat meiner Vorgänger Paul VI. und Johannes Paul I. erwarben. Ich danke Ihnen für die Dienste, die Sie mir persönlich erwiesen haben, zuletzt als Zeremonienmeister. Sie standen mir bei vielen liturgischen Feiern in Rom zur Seite, insbesondere hier im Petersdom, aber auch während meiner vielen apostolischen Reisen in alle Teile der Welt. Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Mitarbeit beim liturgischen und sakramentalen Dienst des Papstes am Gottesvolk. 4. Voller Freude vertraue ich die Kirche Gottes in Cloyne nun Ihrer Fürsorge an. Sie werden Ihr Wissen, Ihre Frömmigkeit und Begeisterung in sie hineintragen. Heute vor 25 Jahren erhielten Sie das Geschenk des Priestertums Jesu Christi. In Christus sind Sie den Gläubigen Vater geworden — durch deren geistliche Wiedergeburt in der Taufe und die Erziehung zum Glauben, die Sie leisten (vgl. 1 Kor 4,15; 1 Petr 1,23; Lumen gentium, Nr. 28). Bereitwillig nehmen Sie heute auf neue und vollkommenere Art die Aufforderung entgegen, die an den Diener Jahwes erging und von der die Apostel glaubten, daß sie auch ihnen galt: „Ich habe dich zum Licht für die Völker gemacht, damit du ihnen die Erlösung bringst“ (vgl. Apg 13,47). Ich bete darum, daß Ihr Wort — um es 1257 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN in den Wendungen der Apostelgeschichte zu sagen (vgl. Apg. 13,48) — sich „in der ganzen Gegend“ ausbreite, damit alle, die es hören, glücklich sind und Gott preisen. Möge die Anwesenheit des Heiligen Geistes in Ihnen eine Kraftquelle sein, aus der viele Christen schöpfen können. Deshalb sollen Sie das Wort Gottes „freimütig“ (Apg. 13,46) verkünden, d. h. mit dem prophetischen Mut, der den echten Jünger Jesu auszeichnet. Dem irischen Volk helfen, sich seiner Wurzeln wieder bewußt zu werden. 5. Viele Menschen aus Irland und insbesondere aus Cloyne sowie Ihrer Heimatdiözese Dromore sind heute hier anwesend — ein Zeichen für die offene Sympathie, von der Sie in Ihrem Dienstamt umgeben sein werden. Bereits mehrfach habe ich meine Wertschätzung für die christliche Tradition Irlands zum Ausdruck gebracht und der katholischen Kirche für den Beitrag gedankt, den Söhne und Töchter Ihres Landes Jahrhunderte hindurch zur Verbreitung des Glaubens geleistet haben. Die Kathedrale des hl. Colman, Ihr Bischofssitz, liegt oberhalb der schönen Bucht von Cobh Harbour. Von diesem Ort aus verließen damals viele Iren das Land; sie wollten sich eine neue Existenz aufbauen und das Licht Christi — den Glauben ihrer Väter — in andere Länder tragen. Wenn die Steine der Kathedrale sprechen könnten, würden sie euch an Trauer erinnern, aber auch an die überschwengliche Freude, die ein fester Glaube schenkt. Heute bedarf es einer eingehenden Aufarbeitung der Erfahrungen vergangener Tage sowie einer Rückbesinnung auf die Geschichte des Landes. Die Herausforderungen von heute an Gesellschaft und Kirche, die missionarischen eingeschlossen, erfordern nicht weniger Mut als in der Vergangenheit. Zusammen mit Ihren Bischofsbrüdern und der Gemeinschaft der Kirche sowie in brüderlichem Dialog mit den Mitgliedern der anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften werden Sie nach Antworten auf die geistlichen und menschlichen Bedürfnisse suchen. Dabei werden Sie aus dem Wort Gottes Weisheit und aus den unermeßlichen Quellen des irischen Volkes Kraft schöpfen. Möge die Freude des Heiligen Geistes, der in all denen wohnt, die die Botschaft Christi gläubig aufnehmen, Ihnen in Ihrem Amt Trost sein und auch jenen, denen Sie den Weg zum Vater zeigen, durch seinen Sohn, unseren Herrn und Erlöser Jesus Christus. Amen. 1258 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Den Familien beim fruchtbaren Gebrauch der sozialen Kommunikationsmittel helfen Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der Päpstlichen Kommission für die Soziale Kommunikation vom 21. März Liebe Kardinäle, ehrwürdige Brüder, meine Brüder und Schwestern in Christus! 1. Es ist eine Freude, euch nun zum Abschluß eurer Jahresvollversammlung der päpstlichen Kommission für die Soziale Kommunikation zu begrüßen und euch zu danken. Eure Arbeit ist für die Kirche und für die Welt unermeßlich wichtig. Unser Herr beauftragte seine Jünger, alle Nationen zu unterweisen, und nun sind die Kommunikationsmittel in der Lage, alle Nationen zu erreichen, so daß ein einmal gesprochenes Wort ohne weiteres ein Wort sein kann, das die gesamte Menschenfamilie erreicht und unterweist. Das einmal gesprochene Wort, das die gesamte Menschenfamilie erreichen und unterweisen soll, ist Jesus Christus, das fleischgewordene Wort. Seine Wahrheit ist die Frohbotschaft, nach der sich die Welt sehnt und die sie braucht. Seine Liebe ist die lebensspendende Quelle, um die die Welt fleht. 2. Das Wort Gottes kann eine wartende Welt erreichen, wenn die Meßfeier in vielen Nationen übertragen wird. Die Liturgie des Wortes macht die Menschen mit der Heilsbotschaft Christi auf tiefergehende Weise bekannt; die eu-charistische Liturgie verkündet wahrhaft das Geheimnis unseres Glaubens: daß Jesus starb und auferstand, damit wir ewig leben, und daß er sich weiterhin für jene hingibt, die ihn als geistige Nahrung auf unserer Pilgerfahrt hin zur ewigen Einheit mit Ihm glaubend empfangen. Ich kann daher nicht genug betonen, wie wichtig die Übertragung der Weihnachts- und Osterliturgien sind, die von der Kommission eingeleitet worden sind. Diese Übertragungen machen es möglich, daß Millionen von Gläubigen in Einheit mit ihrem Papst und ihren katholischen Brüdern auf der ganzen Welt beten können, und daß Millionen andere erfahren, was wir glauben und mit uns beten können. Fernseh- und Rundfunkübertragungen versammeln außerdem Völker der ganzen Welt, damit sie im Gebet den Leidensweg des Karfreitags mitverfolgen können. 1259 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Letzten Oktober kamen darüberhinaus in Assisi viele Religionsführer zusammen, um für den Frieden zu beten. Radio und Fernsehen ließen viele andere an diesem Gebet teilnehmen; Berichte in den gedruckten und elektronischen Informationsmedien gaben noch vielen anderen mehr die Möglichkeit, dieses Gebet zu erneuern und jene Umkehr des Herzens zu suchen, ohne die wahrer Friede nicht möglich ist. Nächsten Juni, am Vorabend zum Pfingstfest, an dem Tag, an dem sich die Muttergottes den Jüngern ihres Sohnes anschloß, um auf die Ankunft des Heiligen Geistes zu warten, werden Radio und Fernsehen es nicht nur Millionen von Menschen ermöglichen, sich im Gebet mit dem Papst in Rom zu versammeln, sondern sie werden auch ihre Gebete und Antworten übertragen, sodaß wir eine weltweite Gemeinschaft des Gebetes zu Jesus durch seine Mutter Maria erleben werden. So wie am ersten Pfingstfest, als alle die Botschaft hörten, die von den Aposteln in ihren eigenen Sprachen gepredigt wurde, so werden an diesem Pfingstfest viele die Botschaft Christi in ihren eigenen Sprachen und ihre eigenen Gebete auf der ganzen Welt in einer Sinfonie an Gott hören, an den Schöpfer und Heiland. 3. Die Kommunikationsmittel, die diese gemeinsamen Erfahrungen möglich machen, sind die „mirifica“, die „wunderbaren Dinge“, von denen das Zweite Vatikanische Konzil in seinem Dekret über Inter Mirifica sprach. Ich weiß, daß eure Kommission die Bemühungen derjenigen anerkennt, die diese Kommunikationsmittel auf bestmögliche Weise angewandt haben. Ich weiß auch, daß ihr das Dokument vorbereitet, das die Familien anleiten und ihnen helfen soll, die Kommunikationsmittel fruchtbar zu machen und dem Gebrauch dieser Medien in bezug auf Bilder und Botschaften zu widerstehen, die den moralischen Charakter der Familien und der Gesellschaft eher zerstören als stärken. All diese Initiativen sind aktuell und bedeutsam, denn die Kommunikationsmittel sollen dazu dienen, „alle Nationen“ in der Frohbotschaft der Würde und der Bestimmung als die wahren Kinder Gottes und Erben des Himmels „zu unterweisen“. Möge unser Gott mit der Fürsprache der gesegneten Mutter eure Arbeit auch weiterhin lenken. Ich verleihe euch und euren Lieben sowie euren Mitarbeitern in diesem äußerst wichtigen Kommünikationswerk gern meinen Apostolischen Segen. 1260 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Hochherzige Initiative für wichtige Bildungsstätte Grußwort an eine Besucherdelegation im Päpstlichen Kirchenmusikinstitut am 21. März Sehr geehrte Damen und Herren! Mit besonderer Freude heiße ich Sie als Repräsentanten der österreichischen Bundesländer heute zu dieser Audienz im Vatikan willkommen und grüße Sie herzlich. Ihre Anwesenheit erinnert mich einmal mehr an meinen denkwürdigen Pastoralbesuch in Ihrem Land im September 1983 anläßlich des damaligen österreichischen Katholikentages. Der Anlaß Ihres jetzigen Rombesuches ist die Einweihung von Räumen im Päpstlichen Institut für Kirchenmusik, deren Einrichtung von den neun österreichischen Bundesländern und der Republik Österreich selbst freundlicherweise zur Verfügung gestellt worden ist. Eine sehr hilfreiche und großzügige Geste, für die ich Ihnen und Ihren jeweiligen Ländern aufrichtig danke. Die Tatsache, daß diese Zimmer nach österreichischen Komponisten und Musikern benannt werden, will zugleich die große Bedeutung unterstreichen, die Österreich in der Musikkultur der Welt, besonders auch in der Kirchenmusik, zukommt und Ihrem Land über die Grenzen hinaus hohes Ansehen eingebracht hat. Wenn es, wie das II. Vatikanische Konzil erneut betont hat, das Ziel der Kirchenmusik ist, zur Ehre Gottes und zur geistlichen Erbauung der Gläubigen beizutragen, so haben gerade auch österreichische Komponisten und Musiker durch Werke von tiefer Religiosität und hohem künstlerischen Wert hieran einen maßgeblichen Anteil. Ich denke zum Beispiel an das Passionsoratorium der sieben Worte des Erlösers am Kreuz von Joseph Haydn, an das Ave verum von Wolfgang Amadeus Mozart, an die Deutsche Messe von Franz Schubert oder an das Te Deum von Anton Bruckner. Durch diese und viele andere österreichische Komponisten wird für viele Menschen ihr Glaube durch die Vermittlung der Kunst zum Gebet, zum gesungenen Gotteslob. Dieser wichtigen Aufgabe der Kirchenmusik gelten die wissenschaftlichen und praktischen Studien und Arbeiten des von meinem Vorgänger Papst Pius X. gegründeten Päpstlichen Institutes für Kirchenmusik, das nun in der Abtei San Girolamo seinen neuen Sitz gefunden hat. Ich danke Ihnen noch einmal aufrichtig, daß Sie und Ihre Länder durch Ihre hochherzige Initiative den weiteren Ausbau dieser wichtigen kirchlichen Bildungsstätte so hilfsbereit mittragen und fördern. Ich wünsche Ihnen einen schönen und auch geistlich fruchtbaren Romaufenthalt, der Sie auch persönlich in Ihrem verantwortungs- 1261 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN vollen Wirken bestärken und Ihnen neue Kraft und Zuversicht schenken möge. Mit diesem Wunsch erteile ich Ihnen, Ihren Familien sowie allen, die zu dieser Initiative beigetragen haben, von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. Die Realität richtig ,,lesen“ Ansprache zum 20. Jahrestag der Veröffentlichung der Enzyklika „Populorum progressio“ am 24. März Meine Herren Kardinäle! Liebe Brüder im Bischofsamt! Sehr geehrte Vertreter des Diplomatischen Corps! Meine Damen und Herren! 1. Wir sind heute hier zusammengekommen, um in einer feierlichen Sitzung des 20. Jahrestages der Enzyklika Populorum progressio zu gedenken, die von meinem ehrwürdigen Vorgänger Paul VI. am 26. März 1967 veröffentlicht wurde. Ich freue mich sehr, hier bei Ihnen zu sein, um mit einigen Überlegungen, die dieser Anlaß in meinen Gedanken wachruft, zum Gedenken an dieses bedeutsame Dokument beizutragen. Ich danke dem Herrn Kardinal Etchega-ray und Herrn Rafael Caldera für die tiefschürfenden Gedanken, die sie uns vorgetragen haben. Ich grüße alle herzlich und gebe meiner lebhaften Genugtuung Ausdruck über diese von der Päpstlichen Kommission Iustitia et Pax in geeigneter Weise geförderte Initiative. Ich möchte wünschen, daß sie größere Aufmerksamkeit für die Soziallehre der Kirche wecke. Vor allem möchte ich zusammen mit Ihnen dem Herrn dafür danken, daß er der Kirche und Papst Paul VI. gewährt hat, mit dieser Enzyklika auf die Erwartungen und Hoffnungen und auch auf die Ängste, die ja auf den „zum Himmel dringenden Aufschrei“ (Vgl. Populorum progressio, Nr. 30) unzähliger Männer und Frauen jedes sozialen Standes und Ranges, jeder ethnischen Herkunft und jeder Religionszugehörigkeit zu antworten, die gespürt und erkannt haben, daß sie durch Inhalt und Wortlaut der Enzyklika zu Wort gekommen sind: die einen, um daraus aufs neue Kraft und Sinn zum Leben zu gewinnen, die anderen, um besser die Verantwortung zu begreifen, die wir alle ohne Ausnahme gegenüber unseren Brüdern und Schwestern in ärmlicheren Verhältnissen haben. 1262 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wir danken dem Herrn auch dafür, daß die Lehren der Enzyklika im Laufe dieser Jahre oft fruchtbaren Boden gefunden und reiche Früchte getragen haben. Gott allein weiß, wie viele Initiativen und wie viele Werke in und außerhalb der katholischen Kirche durch die Lehre von Populorum progressio in Bewegung gesetzt worden sind. Dank und Lob sei ihm dafür! 2. Das Echo, das die Enzyklika auslöste, zeigt, wie aktuell und notwendig die in ihr enthaltene Botschaft war. Wir erinnern uns nämlich, daß in jenen Jahren eine gewisse, von trügerischem Optimismus bestimmte Euphorie hinsichtlich „Fortschritt“ und Entwicklung herrschte. Man sprach mit einer Art naiver Genugtuung von verschiedenen „Wirtschaftswundern“. Trotz eines unleugbaren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts in vielen Bereichen und eines weitverbreiteten Bewußtseins, daß nicht allein die wirtschaftlichen Kriterien den Wert des Lebens bestimmen, blieben in Wirklichkeit die verborgenen, aber nicht geheilten Wunden in vielen Weltgegenden mit ihrem ganzen dramatischen Todespotential bestehen. Ja, je glänzender das „Wunder“ dem Anschein nach leuchtete, um so mehr begannen seine Schatten und Mängel zum Vorschein zu kommen. Die Welt war klein geworden; genau das war eine der Auswirkungen des „Wunders“. Infolgedessen aber war Lazarus nicht mehr fern wie einst und unsichtbar, sondern er lag vor der Tür des reichen Mannes; „sein Leib war von Geschwüren bedeckt, und er hätte seinen Hunger gern mit dem gestillt, was vom Tisch des Reichen herunterfiel!“ (vgl. Lk 16,19-21). Kurz, er befand sich ganz nahe vor unserer Tür. „Die soziale Frage hat weltweite Ausmaße angenommen“, bemerkte ihrerseits die Enzyklika voll Realismus (Nr. 3,9). In der Tat sollten wenige Monate nach ihrer Veröffentlichung in einer Art Kettenreaktion der Reihe nach viele gewaltsame Demonstrationen ausbrechen, insbesondere unter den enttäuschten, angewiderten, und unduldsamen Jugendlichen. Und diese Kundgebungen mit ihren schmerzlichen Folgen sollten in jenem Teil der Welt ausbrechen, in dem sich das „Wirtschaftswunder“ scheinbar vollzogen hat. 3. Ergibt sich etwa nicht bereits aus dieser Tatsache ein bemerkenswerter Hinweis auf die Mängel und Grenzen jenes sogenannten „Wunders1' und auf den Preis, den man dafür bezahlen mußte? Wenn also die Enzyklika Populorum progressio in jenem bewegten geschichtlichen Zusammenhang auf ein positives Echo gestoßen ist, das bis heute andauert, so ist das zweifellos dem Umstand zu verdanken, daß es ihr gelungen 1263 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ist, das eigentliche Drama jenes Augenblicks der Geschichte zu erfassen: der Fortschritt vieler, das Elend der Mehrheit, der Skandal, daß es beide Gegebenheiten nebeneinander gibt und — als Höhepunkt von allem — der schmerzliche Eindruck, daß ein bestimmtes Entwicklungsmodell nicht das ersehnte Glück mit sich brachte. Jenseits jeder spezifischen Wirtschaftstheorie, vielmehr am Rande einer Lesart der Verhältnisse in politischer Sicht, besteht das große Verdienst Pauls VI. darin, daß er den Appell aufgegriffen hat, der von dieser dramatischen Situation eindringlich an jedes menschliche Gewissen ergangen ist. Die Analyse, die diesen Appell zum Ausdruck brachte und ihm Aufmerksamkeit verschaffte, war übrigens dann nicht so schwierig, noch bedurfte es dazu einer besonderen soziologischen Methodologie. Als Hörer des Wortes die Geschichte gestalten 4. Es genügten dazu in der Tat zwei Schlüssel für das richtige Lesen der Fakten, von denen der Papst weisen Gebrauch machte. Der erste war das Wort Gottes. Die Kirche und ihre Hirten sind aufgerufen, in seinem Licht den Sinn der Geschehnisse, die uns umgeben und in die wir verstrickt sind, zu lesen, das heißt die sogenannten „Zeichen der Zeit“, zu verstehen. Und der andere Schlüssel war die Erfahrung der Kirche selbst, die erfahren ist „in allem, was den Menschen.betrifft“, wie Paul VI. sagte (vgl. ehd., Nr. 13); eine Erfahrung, die, was die Berufung des Menschen in der Gesellschaft betrifft, vom sozialen Lehramt der Kirche maßgebend zum Ausdruck gebracht wird. In diesem Sinn und unter Berücksichtigung dieser beiden Lichtquellen verdient die Enzyklika Populorum progressio sicher, als „evangelisch“ qualifiziert zu werden. Denn sie ist ja nicht ausschließlich das Ergebnis einer mit Hilfe der Sozialwissenschaften durchgeführten Studie, auch wenn diese zu ihrer Vorbereitung beigetragen haben. Sie ist hingegen vor allem Frucht einer vertieften pastoralen Meditation über die menschliche Wirklichkeit der Welt jener Jahre unter der hochherzigen, aber anspruchsvollen Anleitung durch das Evangelium und die Überlieferung der Kirche auf sozialem Gebiet. 5. Populorum progressio ist es dank ihrer Treue zum Wort Gottes und ihrer kontinuierlichen Fortschreibung des vorhergehenden sozialen Lehramts gelungen, die Ängste und Erwartungen abertausender Männer und Frauen zu interpretieren und die Hoffnungen neu zu beleben, die träge und stumpf gewordenen Herzen und Sinne wachzurütteln, zu neuen und entscheidenden Initiativen anzuspornen und menschlichere, solidarische Ziele aufzuzeigen. 1264 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wenn dann manche Leute damals und vielleicht auch heute noch mit einem gewissen Unmut reagierten, weil sie meinten, daß das Lehramt durch die Behandlung gewisser Themen von seiner Kompetenz abweiche, wird: es vielleicht gerade für sie nicht nutzlos sein; sich die beiden soeben angeführten Quellen der Inspiration vor Augen zu halten: Das Evangelium und: die Geschichtserfahrung der Kirche selbst. Sie hat mit der Veröffentlichung eines Dokuments wie der Enzyklika Populorum progressio nichts anderes getan, als auf die konkrete Wirklichkeit eines bestimmten geschichtlichen Augenblicks das Licht zu richten, das sie selbst aus dem Wort Gottes und ihrer Reflexion darüber empfangt. Wachstum und Fortschritt dürfen nicht planlos wuchern 6. Die Enzyklika fügt sich somit in einen bereits langen Weg des Lehramtes ein, durch den die Kirche und insbesondere der Heilige Stuhl, gestützt auf den von Christus, dem Herrn, empfangenen Auftrag, auf die Fragen Antwort geben will, die das konkrete Leben der Männer und Frauen dieser Welt betreffen als Träger der göttlichen Ebenbildlichkeit und damit als Subjekte mit unveräußerlichen Rechten, berufen zur ewigen Gemeinschaft mit Gott und untereinander, aber auch zu jenem Maß an irdischem Wohlstand, das die ihnen eigene Würde fordert. Auf diesem Weg, der nach der grundlegenden Etappe der Enzyklika Rerum novarum über Quadragesimo anno und Mater et magistra bis hin zu Evangelii nuntiandi und Laborem exercens führt, bezeichnete Populorum progressio eine besonders bedeutsame Phase. Sie hatte nämlich zur unmittelbaren Folge, daß den Menschen dieser letzten zwanzig Jahre die schwierige, aber unvermeidliche Frage nach Sinn und Vorstellung wahren Fortschritts vorgelegt wurde. Denn man scheint bereits — nicht ohne Bitterkeit und Enttäuschung — die Erfahrung gewonnen zu haben, daß es kein lineares und unbegrenztes Entwicklungswachstum gibt. Wir alle sind uns der inneren und äußeren Grenzen bewußt geworden, die ihm von der Endlichkeit der Natur, von den sittlichen Forderungen und schließlich von der wahren Berufung des Menschen und ihrer Zielsetzung gesetzt sind. Eine gewisse Art von Fortschritt wird auf diese Weise radikal in Frage gestellt (vgl. Populorum progressio, Nr. 14 ff.). 7. Die Analyse des materiellen und insbesondere des wirtschaftlichen Fortschritts kann auf diese fundamentalen Überlegungen nicht verzichten. Man kann den Fortschritt nicht definieren und verwirklichen, als wäre das, worauf es ankommt, nur die materielle und egoistische Bereicherung auf Kosten der 1265 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ausbeutung der Naturschätze, der Zerstörung der Umwelt, der Mißachtung der menschlichen Bedürfnisse jedes Arbeiters und der richtigen Rangordnung der Güter und der Ziele. In diesem Sinne bleibt der Hinweis der Enzyklika auf das Prinzip alter christlicher Tradition von der Bestimmung der Güter für alle (vgl. ebd., Nr. 22), das bereits — und mit nicht weniger deutlichen Worten — von der Pastoral-konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils Gaudium et spes in Erinnerung gebracht worden war (vgl. Gaudium et spes, Nr. 69), auf der Linie der Kirchenväter und der Kirchenlehrer des Mittelalters ; er bleibt ein Eckpfeiler der Soziallehre und dessen, was unter dem Begriff Fortschritt zu verstehen ist. Und wenn die Enzyklika weiter mit klaren Worten darlegt, daß der Fortschritt als Übergang von weniger menschlichen zu menschlicheren Lebensverhältnissen zu verstehen ist, muß man sagen, daß sie dem Begriff Fortschritt einen neuen und tieferen Inhalt gibt. Dieser Begriff vom Fortschritt, der von der eigentlichen Berufung des Menschen und seiner zeitlichen und ewigen Bestimmung gefordert wird, führt zu einer eindringlichen Kritik sowohl der verschiedenen Formen des liberalen Kapitalismus wie der vom Kollektivismus inspirierten totalitären Systeme. Auch in diesem wird nämlich der ökonomische Wert als höchster Wert angesehen, was zur Folge hat, daß der Mensch und die ihm eigene Berufung diesem Wert und der daraus erwachsenden Art von Entwicklung dienstbar gemacht werden. Im Lichte der von der Enzyklika vorgelegten tiefgehenden Analyse kann man sehen, wie in gewisser Hinsicht die beiden Systeme, die sich zumindest in ihren strengsten Ausformungen heute die Welt teilen, manche Übereinstimmungen aufweisen, über die der politische Gegensatz hinwegzutäuschen bestrebt ist. 8. Unter diesem Gesichtspunkt — die Pflicht verlangt es, dies zu sagen — stellt die Enzyklika klar, daß die Spaltungen und Trennungen, die das Gefüge der Menschheit zerreißen, nicht allein jene zwischen Ost und West bestehenden ideologisch-politischen Spannungen sind, sondern auch jene zwischen Nord und Süd erkennbaren Gegensätze wirtschaftlicher und sozialer Art; und daß die ersten durchaus nicht gänzlich unabhängig sind von den zweiten. Will man diese Risse flicken, darf man keinen von ihnen vergessen, sondern muß sie alle, wenn auch mit verschiedenen Methoden, zu überwinden suchen. In einer ihrer Aussagen, die inzwischen sprichwörtlich geworden ist, weist die Enzyklika gerade daraufhin, daß diese verschiedenen Risse sich aufeinander auswirken und sich gegenseitig verschärfen, und versichert, daß Entwicklung der neue Name für Frieden ist (vgl. Nr. 73). 1266 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das bedeutet unter anderem, daß der Unterschied zwischen dem einen, an Gütern reichen und dem anderen, armen und notleidenden Teil der Welt auf die politischen Spaltungen sich auswirkt und ihren Konfliktcharakter und ihre potentielle Explosionskraft verschärft. Es ist kein Zufall, daß derselbe Papst Paul VI. im darauffolgenden Jahr (1968) in Bogota von den „explosionsartigen Revolutionen der Verzweiflung“ sprach (vgl. Ansprache zum Welttag der Entwicklung, 23. 10. 1968). Zwanzig Jahre später erscheinen uns diese Worte wie von prophetischer Bedeutung. Wer würde es heute wagen, den inneren Zusammenhang zwischen der qualvollen Wirklichkeit von Unterernährung, Kindersterblichkeit, Hunger, Arbeitslosigkeit, begrenzter Lebenshoffnung, internationaler Verschuldung, verhinderter Entwicklung ganzer Nationen und der Bedenklichkeit jeglicher Form des Friedens auf lokaler, regionaler und Weltebene in Zweifel zu stellen? Die Enzyklika Populorum progressio hatte das herausragende Verdienst, der Menschheit das Problem in diesen präzisen Formulierungen zum Bewußtsein zu bringen. Die sozialen Verhältnisse des 3. Jahrtausends bereits analysieren 9. Jawohl, die Zeiten haben sich geändert, sehr geändert. Für den beschleunigten Rhythmus, mit dem heutzutage die sozialen Veränderungen aufeinan-derfolgen, sind zwanzig Jahre schon viel. Und im übrigen befinden wir uns bereits an der Schwelle jenes, wenn man will, konventionellen, aber trotzdem bedeutsamen und an sich wichtigen, zeitlichen Einschnitts, den das Jahr 2000 darstellt. Wenn die soziale Frage heute weltweit ist, welche Dimensionen wird sie zu jenem bereits nahen Datum haben? 1967 hatte seit einigen Jahren die Eroberung des Weltraumes begonnen. Seit damals haben wir die fortschreitende Vervollkommnung der Technologie erlebt, die Ziele erreicht hat, die bis gestern noch unvorstellbar gewesen waren, und so weit gegangen ist, die Quellen des Lebens selbst zu manipulieren. Das subtile Netz weltweiter Informationssysteme umgibt uns von allen Seiten und dringt auch in unser Privatleben ein. Leider wird von dieser höchst verfeinerten modernen Technologie, die an sich gut, aber so ungleich verteilt sind und von manchen ohne sittliche Vorbehalte benützt werden, allzu oft zur Planung und Verwirklichung von Eingriffen Gebrauch gemacht, die gegen das Leben und die Würde des Menschen gerichtet sind. Und zu dieser wahrlich nicht rosigen Übersicht kommt noch die Plage der Arbeitslosigkeit hinzu, von der ich in der Enzyklika Laborem exercens (Nr. 18) gesprochen habe. 1267 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 10. Diese Plage, die man keineswegs in den Griff bekommen oder verringert hat, breitet sich vor allem zum Schaden der jungen Generationen weiter aus. Das ist ein höchst besorgniserregendes Symptom nicht nur für den Zustand unserer Gesellschaft, sondern auch für die Situation der Wirtschaft, die sich als unfähig erweist, hier Abhilfe zu schaffen. Man könnte sagen — wie Populorum progressio hervorhob (vgl. Nr. 3,9) —, daß die soziale Frage nicht nur im geographischen Sinn, sondern auch und vielleicht vor allem ihrer Intensität nach weltweite Ausmaße hat, weil sie alle sozialen Gruppen, Jugendliche wie alte Menschen, Männer wie Frauen, ja sogar die Kinder erreicht und miteinbezieht. Diese Jahre haben auch in besorgniserregender Weise die Zuspitzung und Verschärfung der internationalen Verschuldung erlebt, die gleich einem heimtückischen Ränkespiel alle miteinbezieht, verschuldete Länder und Gläubigerländer, Gläubigerbanken und internationale Institutionen. Davon sprach schon die Enzyklika, deren wir hier gedenken (vgl. Populorum progressio, Nr. 54). Erst kürzlich hat die Päpstliche Kommission Iustitia et Pax ein Dokument über dieses Thema veröffentlicht, das Ihnen allen bekannt ist. Die Kirche entwirft keine Details, sondern vermittelt den Wertehorizont 11. Das alles beweist, sofern das noch notwendig sein sollte, daß die evangelische Lehre der Enzyklika Populorum progressio stets gültig und aktuell bleibt. Und darauf muß man in der Spur der großen Tradition des sozialen Lehramtes der Kirche des vorausgegangenen und des nachfolgenden, Bezug nehmen, um die Art und Weise zu finden, sich mit Ideen und dringenden, wirksamen Maßnahmen den harten Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft zu stellen. Es gilt daher besonders heute zu erkennen, daß die Kirche auf diesem Gebiet eine Aufgabe zu erfüllen hat. Diese Rolle der Kirche besteht natürlich nicht darin, daß sie ins einzelne gehende technische Pläne vorlegt, sondern daß sie im Licht des evangelischen Erbes die ethischen Forderungen und die wahren, des Menschen würdigen Zielsetzungen bestimmt, die das gesamte menschliche Tun im persönlichen und sozialen, im privaten und öffentlichen, im wirtschaftlichen, politischen und internationalen Bereich leiten müssen. Einen gültigen Beitrag zu dieser Aufgabe kann das Kolloquium leisten, das aus diesem Anlaß von der Päpstlichen Kommission Iustitia et Pax veranstaltet und heute nachmittag eröffnet wird. <37> <37> Ich zweifle nicht daran, daß die Analysen und Vorschläge, die bei diesem Kolloquium vorgelegt werden, aus der Lehre der Enzyklika und aus dem so- 1268 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zialen Lehramt der Kirche neue Anregungen und neue Anwendungen zu schöpfen wissen werden, um den Männern und Frauen dieser Welt zu helfen bei der Suche nach jenem Wohlstand, jenem Frieden und jener Freiheit, auf die sie ein Recht haben. Die Enzyklika Populorumprogressio ist an sich eine Botschaft von der Befreiung und ein „Wort der Versöhnung“ (vgl. 2 Kor 5,19), deren Echo noch lange nachklingen wird. Wenn wir diesen Zielen dienen, tun Sie und wir alle nichts anderes, als daß wir der Sendung der Kirche, wie sie von der Konstitution Lumen gentium beschrieben wurde, treu sind: „Sakrament (zu sein), das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ {Lumen gentium, Nr. 1), Vereinigung und Einheit, die sich vor allem in der zweifachen und doch einen Tugend der Liebe zu Gott und zum Menschen verwirklichen (vgl. Mt 22,34-40). Es sind Ziele, die von unserer Seite untrennbar die Übung der Gerechtigkeit und den Einsatz für den Frieden fordern, authentische Ausdrucksformen der Liebe, nach welcher der wahre menschliche Fortschritt strebt und sich ausrichtet, und den wir nicht so sehr durch unsere Kräfte, sondern vielmehr als barmherziges Geschenk des Herrn zu erlangen hoffen. Mit diesen Gedanken und Wünschen segne ich Ihre Arbeiten, segne ich Sie alle persönlich, zusammen mit Ihren Mitarbeitern und allen, die die Arbeiten des Kolloquiums verfolgen werden. 1269 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Enzyklika REDEMPTORIS MATER über die selige Jungfrau Maria im Leben der pilgernden Kirche 25. März 1987 1271 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Einleitung Verehrte Briider, liebe Söhne und Töchter, Gruß und Apostolischen Segen! 1. Die Mutter des Erlösers hat im Heilsplan eine ganz besondere Stellung; denn „als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetze stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen. Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater“ (Gal 4,4-6) Mit diesen Worten des Apostels Paulus, die das II. Vatikanische Konzil am Beginn seiner Darlegungen über die selige Jungfrau Maria1 aufgreift, möchte auch ich meine Erwägungen über die Bedeutung Marias im Geheimnis Christi und über ihre aktive und beispielhafte Gegenwart im Leben der Kirche einleiten. Diese Worte feiern ja in einem gemeinsamen Lobpreis die Liebe des Vaters, die Sendung des Sohnes, das Geschenk des Geistes, die Frau, aus der der Erlöser geboren wurde, unsere göttliche Sohnschaft, und dies im Geheimnis der „Fülle der Zeit“2. Diese „Fülle“ gibt den von aller Ewigkeit her bestimmten Augenblick an, in dem der Vater seinen Sohn sandte, „damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Sie weist auf die selige Stunde hin, in der das „Wort“, das „bei Gott“ war, „Fleisch geworden ist und unteruns gewohnt hat“ (/o/j 1,1.14) und unser Bruder wurde. Sie bezeichnet den Moment, in dem der Heilige Geist, der Maria von Nazaret schon die Fülle der Gnade geschenkt hatte, in ihrem jungfräulichen Schoß die menschliche Natur Christi formte. Sie bestimmt den Zeitpunkt, zu dem durch das Eingehen des Ewigen in die Zeit die Zeit selbst erlöst wird und endgültig zur„Heilszeit“wird, indem sie sich mit dem Geheimnis Christi „füllt“. Sie bezeichnet schließlich den geheimnisvollen Beginn des Weges der Kirche. In der Liturgie grüßt die Kirche nämlich Maria von Nazaret als ihren Anfang3, weil sie im Ereignis der Empfängnis ohne Erbsünde bereits die österliche Gnade der Erlösung, vorweggenommen in ihrem hervorragendsten Mitglied, sich abzeichnen sieht und vor allem weil sie im Ereignis der Menschwerdung Christus und Maria untrennbar miteinander verbunden findet: denjenigen, der ihr Herr und Haupt ist (vgl. Kol 1,18), und diejenige, die durch das erste Fiat des Neuen Bundes ein Vorbild für ihre Aufgabe als Braut und Mutter darstellt. 1272 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Durch die Gegenwart Christi bestärkt (vgl. Mt 28,20), schreitet die Kirche in der Zeit voran auf die Vollendung der Geschichte zu und geht ihrem Herrn entgegen, der kommt. Aber auf dieser Pilgerschaft - das möchte, ich sogleich hervorheben -geht sie denselben Weg, den auch die Jungfrau Maria zurückgelegt hat, die „ den Pilgerweg des Glaubens gegangen ist und ihre Verbundenheit mit dem Sohn in Treue bewahrt hat“.A Ich möchte diese dichten und bedenkenswerten Worte der Konstitution Lumen gentium aufgreifen, die in ihrem Schlußteil eine eindrucksvolle Synthese der Lehre der Kirche über das Thema der Mutter Christi vorlegt, die sie als ihre geliebte Mutter und als ihr Vorbild im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe verehrt. Wenige Jahre nach dem Konzil wollte mein großer Vorgänger Paul VI. erneut über die heilige Jungfrau Maria sprechen, indem er in der Enzyklika Christi Matri und dann in den Apostolischen Schreiben Signum magnum und Marialis cultuf die Grundlagen und Kriterien jener besonderen Verehrung darlegte, welche die Mutter Christi in der Kirche empfängt, sowie die verschiedenen Formen der Marienfrömmigkeit - in der Liturgie, im Volkstum, im privaten Bereich -, weil sie dem Geist unseres Glaubens entsprechen. 3. DerUmstand, der mich nun drängt, das Wort zu diesem Thema zu ergreifen, ist der Blick auf das bereits nahe Jahr2000, in dem das zweitausendjährige Jubiläum der Geburt Christi unsere Augen zugleich auf seine Mutter lenkt. In den letzten Jahren sind verschiedene Stimmen laut geworden, die auf die gute Gelegenheit hinweisen, diesem Gedenken ein ähnliches Jubiläum voraufgehen zu lassen, das der Feier der Geburt Marias gewidmet ist. In der Tat, wenn es auch nicht möglich ist, einen genauen Zeitpunkt für das Datum der Geburt Marias festzustellen, so ist sich die Kirche doch stets bewußt, daß Maria vor Christus am Horizont der Heilsgeschichte erschienen ist.6 Es ist eine Tatsache, daß beim Herannahen der endgültigen „Fülle derZeit“, das heißt beim erlösenden Kommen des Immanuel, diejenige, die von Ewigkeit her dazu bestimmt war, seine Mutter zu sein, bereits auf der Erde lebte. Diese ihre Anwesenheit schon vor der Ankunft Christi findet jedes Jahr ihren Ausdruck in der Adventsliturgie. Wenn man also die Jahre, die uns dem Ende des zweiten Jahrtausends nach Christus und dem Beginn des dritten näherbringen, mit j ener alten geschichtlichen Erwartung des Retters vergleicht, wird es vollauf verständlich, daß wir uns in diesem Zeitabschnitt in besonderer Weise an diejenige wenden möchten, die in der „Nacht“ der adventlichen Erwartung als wahrer „Morgenstern“ (Stella matutina) zu leuchten begann. Bekanntlich geht dieser Stern zusammen mit der „Morgenröte“ dem Aufgang der Sonne vorauf: 1273 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN So ist Maria dem Kommen des Heilands voraufgegangen, dem Aufgehen der „Sonne der Gerechtigkeit“ in der Geschichte des Menschengeschlechtes.7 Ihre Anwesenheit in Israel - so unauffällig, daß sie den Augen der Zeitgenossen fast verborgen blieb - leuchtete ganz hell vor dem ewigen Gott, der diese verborgene „Tochter Zions“ {Zef 3,14; Sach 2,14) mit dem Heilsplan verbunden hatte, der die gesamte Geschichte der Menschheit umfaßt. Wir Christen, die wissen, daß der Plan der Vorsehung der Göttlichen Dreifaltigkeit die zentrale Wirklichkeit der Offenbarung und des Glaubens ist, verspüren also gegen Ende des zweiten Jahrtausends zu Recht die Notwendigkeit, die einzigartige Gegenwart der Mutter Christi in der Geschichte hervorzuheben, vor allem in diesen letzten Jahren vor dem Jahr 2000. 4. Auf dies alles bereitet uns das II. Vatikanische Konzil vor, wenn es in seiner Lehre die Mutter Gottes „im Geheimnis Christi und der Kirche“ vorstellt. Wenn es nämlich stimmt, daß „sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft aufklärt“ - wie dasselbe Konzil verkündet8 -, dann muß man dieses Prinzip in ganz besondererWeise auf jene außergewöhnliche „Tochter des Menschengeschlechtes“ anwenden, auf jene außerordentliche „Frau“, die die Mutter Christi wurde. Allein im Geheimnis Christi klärt sich voll und ganz ihr eigenes Geheimnis. So hat es übrigens die Kirche von Anfang an zu sehen versucht: Das Geheimnis der Menschwerdung hat es ihr ermöglicht, das Geheimnis der Mutter des menschgewordenen Wortes immer tiefer zu durchdringen und aufzuhellen. Für ein solch tieferes Verständnis hatte das Konzil von Ephesus (431) eine entscheidende Bedeutung: Hier wurde zur großen Freude der Christen die Wahrheit von der göttlichen Mutterschaft Marias feierlich als Glaubenswahrheit der Kirche bestätigt. Maria ist die Mutter Gottes (= Theotokos), weil sie Jesus Christus, den Sohn Gottes, der eines Wesens ist mit dem Vater, durch den Heiligen Geist in ihrem jungfräulichen Schoß empfangen und zur Welt gebracht hat.9 „Denn er, der Sohn Gottes ..., geboren aus Maria, der Jungfrau, ist in Wahrheit einer aus uns geworden...“,10 ist Mensch geworden. Durch das Geheimnis Christi leuchtet also am Horizont des Glaubens der Kirche das Geheimnis seiner Mutter voll auf. Das Dogma von der Gottesmutterschaft Marias war seinerseits für das Konzil von Ephesus und ist für die Kirche immernoch: ein Zeichen derBestätigungfürdas Dogma von der Menschwerdung, in der das ewige Wort in der Einheit seiner Person die menschliche Natur wahrhaft annimmt, ohne sie auszulöschen. 5. Wenn das II. Vatikanische Konzil Maria im Geheimnis Christi darstellt, findet es so auch den Weg,um dieErkenntnis des Geheimnisses der Kirche zu vertiefen. Maria ist ja als Mutter Christi in ganz besonderer Weise mit der Kirche ver- 1274 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN bunden, „die der Herr als seinen Leib gegründet hat“.11 Der Konzütext stellt diese Wahrheit von der Kirche als Leib Christi (nach der Lehre der Paulusbriefe) bezeichnenderweise nahe neben die Wahrheit, daß der Sohn Gottes „durch den Heiligen Geist aus Maria, der Jungfrau, geboren ist“. Die Wirklichkeit der Menschwerdung findet gleichsam ihre Fortsetzung im Geheimnis der Kirche,-des Leibes Christi. Und an die Wirklichkeit der Menschwerdung wiederum kann man nicht denken, ohne sich auf Maria, die Mutter des menschgewordenen Wortes, zu beziehen. In den vorliegenden Erwägungen möchte ich jedoch vor allem auf jenen „Pilgerweg des Glaubens“hinweisen, den die selige Jungfrau gegangen ist und auf dem sie „ihre Verbundenheit mit Christus in Treue bewahrt hat“.12 Auf diese Weise erhält jenes „doppelte Band“, das die Mutter Gottes mit Christus und mit der Kirche verbindet, eine gesamtgeschichtliche Bedeutung. Es geht hierbei nicht nur um die Lebensgeschichte der jungfräulichen Mutter, um ihren persönlichen Gaubensweg und um den „besseren Teil“, den sie im Heilsgeheimnis hat, sondern auch um die Geschichte des gesamten Gottesvolkes, von allen, die am selben „Pilgerweg des Glaubens“ teilnehmen. Dies drückt das Konzil aus, indem es in einem anderen Abschnitt feststellt, daß Maria „vorangegangen ist“, weil sie „der Typus der Kirche auf der Ebene des Glaubens, der Liebe und der vollkommenen Einheit mit Christus“ geworden ist.13 Dieses „Vorangehen“ als Typus oder Modell bezieht sich auf das innerste Geheimnis der Kirche, die ihre eigene Heilssendung verwirklicht und vollzieht, indem sie in sich - wie Maria - die Eigenschaften der Mutter und der Jungfrau vereinigt. Sie ist Jungfrau, weil sie „das Treuewort, das sie dem Bräutigam gegeben hat, unversehrt und rein bewahrt“; sie wird „auch selbst Mutter, weil sie... die vom Heiligen Geist empfangenen und aus Gott geborenen Kinder zu neuem und unsterblichem Leben gebiert“.14 6. Das alles vollzieht sich in einem großen geschichtlichen Prozeß und gewissermaßen „auf einem Weg“. Der „Pilgerweg des Glaubens“ weist auf die innere Geschichte hin, sozusagen auf die „Geschichte der Seelen“. Er ist aber auch die Geschichte der Menschen, die auf dieser Erde der Vergänglichkeit unterworfen und von der geschichtlichen Dimension umfaßt sind. In den folgenden Erwägungen wollen wiruns vor allem auf die gegenwärtige Phase konzentrieren, die an sich noch nicht Geschichte ist, aber doch unaufhörlich Geschichte formt, und dies auch im Sinne von Heilsgeschichte. Hier öffnet sich ein weiter Raum, in welchem die selige Jungfrau Maria immer noch dem Gottesvolk „vorangeht“. Ihr außergewöhnlicher Pilgerweg des Glaubens stellt so einen bleibenden Bezugspunkt dar für die Kirche, für die einzelnen und für die Gemeinschaften, für die Völker und Nationen und in gewissem Sinne für die ganze Menschheit. 1275 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Es ist fürwahr schwierig, seinen ganzen Umfang zu erfassen und zu ermessen. Das Konzil unterstreicht, daß die Mutter Gottes bereits die eschatologische Vollendung der Kirche ist: „Während aber die Kirche in der seligsten Jungfrau Maria schon zur Vollkommenheit gelangt ist, in der sie ohne Makel und Runzel ist (vgl. Eph 5,27), bemühen sich die Christgläubigen noch, die Sünde zu besiegen und in der Heiligkeit zu wachsen. Daher richten sie ihre Augen auf Maria, die der ganzen Gemeinschaft der Auserwählten als Urbild der Tugenden voranleuchtet“.15 Der Pilgerweg des Glaubens gehört nicht mehr zur Mutter des Gottesohnes: An der Seite ihres Sohnes im Himmel verherrlicht, hat Maria bereits die Schwelle zwischen Glauben und Schauen „von Angesicht zu Angesicht“ (1 Kor 13,12) überwunden. Zugleich aber bleibt sie in dieser eschatologischen Vollendung der „Meeresstern“ (Maris Stella)16 für all diejenigen, die noch den Weg des Glaubens gehen. Wenn diese an den verschiedenen Orten irdischer Existenz die Augen zu ihr erheben, tun sie dies, weil sie „einen Sohn gebar, den Gott gesetzt hat zum Erstgeborenen unter vielen Brüdern“ {Röm 8,29),17 und auch weil sie „bei der Geburt und Erziehung“ vieler Brüder und Schwestern „in mütterlicher Liebe mitwirkt.“18 1276 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 1. Teil Maria im Geheimnis Christi 1. Voll der Gnade 7. „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel“ (Eph 1,3). Diese Worte des Epheserbriefes offenbaren den ewigen Plan Gottes, des Vaters, seinen Heilsplan für den Menschen in Christus. Es ist ein universaler Plan, der alle Menschen betrifft, die nach dem Bild und Gleichnis Gottes (vgl. Gen 1,26) geschaffen sind. Wie alle „im Anfang“ vom Schöpferwirken Gottes umfaßt sind, so werden sie auch in-Ewigkeit vom göttlichen Heilsplan umfaßt, der sich ganz und gar, bis zur „Fülle der Zeit“ in der Ankunft Christi, offenbaren muß. „Denn in ihm“ - so lauten die folgenden Worte desselben Briefes - hat jener Gott, der der „Vater unseres Herrn Jesus Christus“ ist, „uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott; er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen, zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn; durch sein Blut haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade“ (Eph 1,4-7). Der göttliche Heilsplan, der uns mit dem Kommen Christi offenbart worden ist, hat auf ewig Bestand. Er ist auch - nach der Lehre dieses Epheserbriefes sowie anderer Paulusbriefe - auf ewig mit Christus verbunden. Er umfaßt alle Menschen, räumt aber einen besonderen Platz jener „Frau “ ein, die die Mutter dessen ist, dem der Vater das Erlösungswerk anvertraut hat.19 „Sie ist“, wie das II. Vatikanische Konzil schreibt, „schon prophetisch in der Verheißung..., die den in Sünde gefallenen Stammeitem gegeben wurde (vgl. Gen 3,15), schattenhaft angedeutet. Ähnlich bedeutet sie die Jungfrau, die empfangen und einen Sohn gebären wird, dessen Name Immanuel sein wird“ nach den Worten des Jesaja (vgl. 7,14).20 In dieser Weise bereitet das Alte Testament jene „Fülle der Zeit“ vor, wenn Gott seinen Sohn senden wird, „geboren von einer Frau,.'.. damit wir die Sohnschaft erlangen“ (Gal 4,4-5). Das Kommen des Gottessohnes in die Welt ist das Ereignis, das in den ersten Kapiteln der Evangelien nach Lukas und Matthäus dargestellt wird. 1277 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 8. Durch dieses Ereignis, die Verkündigung des Engels, wird Maria endgültig in das Geheimnis Christi eingeführt. Dies geschieht in Nazaret in einer konkreten geschichtlichen Situation Israels, des Volkes, dem die Verheißungen Gottes zuerst gelten. Der Bote Gottes spricht zu der Jungfrau: „Sei gegrüßt, du Gnadenvolle, der Herr ist mit dir“ (Lk 1,29). Maria „erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe“ {Lk 1,29): was alle jene außergewöhnlichen Worte zu bedeuten haben, insbesondere der Ausdruck „du Gnadenvolle“ (kecharitomene).21 Wenn wir zusammen mit Maria über diese Worte und vor allem über den Ausdruck „du Gnadenvolle“nachdenken wollen, können wir einen sehr ergiebigen Ansatzpunkt hierfür gerade im Epheserbrief an der oben zitierten Stellefinden. Wenn die Jungfrau von Nazaret nach der Verkündigung des himmlischen Boten sogar „gesegnet... mehr als alle anderen Frauen“ (vgl. Lk 1,42) genannt wird, so erklärt sich das durch jenen Segen, mit dem uns „Gott Vater“ „durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel“ gesegnet hat. Es ist ein „Segen seines Geistes“, der sich auf alle Menschen bezieht und jene allumfassende Fülle („mit allem Segen“) enthält, wie sie aus der Liebe hervorgeht, die den wesensgleichen Sohn im Heiligen Geist mit dem Vater verbindet. Zugleich ist es ein Segen, der durch Jesus Christus in der Menschengeschichte bis zu ihrem Ende über alle Menschen ausgegossen wird. Maria aber wird von diesem Segen in einem ganz besonderen und einzigartigen Maße erfüllt. Elisabet begrüßt sie ja als „gesegnet... mehr als alle anderen Frauen“. Der Grund für den doppelten Gruß ist also, daß sich in der Seele dieser „Tochter Zion“ gewissermaßen die gesamte „herrliche Gnade“ kundgetan hat, die der „Vater... uns in seinem geliebten Sohn geschenkt hat“. Der Gottesbote begrüßt Mariaja als die „Gnadenvolle“. Ernennt sie so, als ob dies ihr wahrer Name sei. Die er anspricht, nennt er nicht mit dem Namen, der ihr unter den Menschen zu eigen ist: „Miryam“ (= Maria), sondern mit diesem neuen Namen: „Gnaden-volle“. Was bedeutet dieser Name? Warum nennt der Erzengel die Jungfrau von Nazaret gerade so? In der Sprache der Bibel bedeutet „Gnade“ ein besonderes Geschenk, das seine Quelle nach dem Neuen Testament im dreifältigen Leben Gottes selbst hat, jenes Gottes, der die Liebe ist (ygl.lJoh 4,8). Frucht dieser Liebe ist die „Erwählung“, von der der Epheserbrief spricht. Von Gott her ist diese „Erwählung“ sein ewiger Wille, den Menschen durch die Teilhabe an seinem eigenen Leben (vgl. 2 Petri,4) in Christus zu retten: Es ist die Rettung durch Teilhabe am übernatürlichen Leben. Die Wirkung dieses ewigen Geschenkes, dieser Gnade der Erwählung des Menschen durch Gott, ist wie ein Keim der Heiligkeit oder wie eine Quelle, die in der Seele des Menschen aufsprudelt als Geschenk Gottes selbst, der die Erwählten durch die Gnade belebt und heiligt. Auf diese Weise 1278 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN erfüllt sich, das heißt verwirklicht sich j ene „Segnung“ des Menschen „mit allem Segen seines Geistes“, jenes „seine Söhne werden in Christus“, in dem, der von Ewigkeit her der „geliebte Sohn“ des Vaters ist. Wenn wir lesen, daß der Bote zu Maria „du Gnadenvolle“ sagt, läßt uns der Kontext des Evangeliums, in dem alte Offenbarungen und Verheißungen zusammenfließen, verstehen, daß es sich hier um einen besonderen „Segen“ unter allen „geistlichen Segnungen in Christus“ handelt. Sie ist im Geheimnis Christi bereits „vor der Erschaffung derWelt“gegenwärtig als diejenige, die derVater als Mutter seines Sohnes in der Menschwerdung „erwählt“ hat und die zusammen mit dem Vater auch der Sohn erwählt hat, indem er sie von Ewigkeit her dem Geist der Heiligkeit anvertraute. Maria ist auf eine besondere und einzigartige Weise mit Christus verbunden. Auf besondere und einzigartige Weise ist sie zugleich geliebt in diesem von Ewigkeit her „geliebten Sohn “ in diesem dem Vater wesensgleichen Sohn, in dem die gesamte „herrliche Gnade“zusammengefaßt ist. Gleichzeitig ist und bleibt sie vollkommen offen für dieses „Geschenk von oben“ (vgl. Jak 1,17). Wie das Konzil lehrt, „ragt (Maria) unter den Demütigen und Armen des Herrn hervor, die das Heil mit Vertrauen von ihm erhoffen und empfangen“.22 9. Wenn auch der Gruß und die Anrede „du Gnadenvolle“all dies bedeuten, so beziehen sie sich im Zusammenhang der Verkündigung des Engels doch vor allem auf die Erwählung Marias zur Mutter des Sohnes Gottes. Zugleich aber weist die Fülle der Gnade auf das gesamte übernatürliche Gnadengeschenk hin, das Maria besitzt, weil sie zur Mutter Christi erwählt und bestimmt worden ist. Wenn diese Erwählung grundlegend ist für die Verwirklichung der Heilspläne Gottes gegenüber der Menschheit, wenn die Erwählung in Christus von Ewigkeit her und die Berufung zur Würde der Sohnschaft sich auf alle Menschen beziehen, so ist die Erwählung Marias völlig einzigartig und einmalig. Hieraus folgt dann auch die Einzigartigkeit ihrer Stellung im Geheimnis Christi. Der Gottesbote sagt zu ihr: „Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade, gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: Dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden“ (Lk 1,30-32). Und als die Jungfrau, von diesem außergewöhnlichen Gmß verwirr^fragt: »Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“, empfängt sie vom Engel eine Bekräftigung und Deutung der vorhergehenden Worte. Gabriel sagt ihr: „DerHeilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ {Lk 1,35). 1279 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Verkündigung ist also die.Offenbarung des Geheimnisses der Menschwerdung am Beginn seiner irdischen Verwirklichung. Die erlösende Hingabe, in der Gott sich selbst, sein göttliches Leben, in gewisserWeise der ganzen Schöpfung und unmittelbar dem Menschen schenkt, erreicht im Geheimnis der Menschwerdung einen Höhepunkt. Dieses ist ja fürwahr ein Gipfel unter allen Gnadengaben in der Geschichte des Menschen und des Kosmos. Maria ist „voll der Gnade“, weil die Menschwerdung des göttlichen Wortes, die Verbindung des Gottessohnes mit der Menschennatur in einer Person (unio hypostatica), sich gerade in ihr verwirklicht und vollzieht. Wie das Konzil sagt, ist Maria „die Mutter des Sohnes Gottes und daher die bevorzugt geliebte Tochtes des Vaters und das Heiligtum des Heiligen Geistes... Durch dieses hervorragende Gnadengeschenk hat sie bei weitem den Vorrang vor allen anderen himmlischen und irdischen Kreaturen“.23 10. Wo der Epheserbrief von der „herrlichen Gnade“ spricht, die „Gott, der Vater,... uns in seinem geliebten Sohn geschenkt hat“, fügt er noch hinzu: „Durch sein Blut haben wir die Erlösung“ (Eph 1,7). Nach der Lehre, wie sie von der Kirche in feierlichen Dokumenten formuliert worden ist, hat sich diese „herrliche Gnade“ an der Mutter Gottes dadurch gezeigt, daß sie „auf erhabenere Weise“ erlöst worden ist.24 Kraft der reichen Gnade des geliebten Sohnes und wegen der Erlöserverdienste dessen, der ihr Sohn werden wollte, ist Maria vom Erbe der Ursünde bewahrt worden.25 Auf diese Weise gehört sie vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis, das heißt ihrer eigenen Existenz, an zu Christus; sie hat Anteil an der heilenden und heiligmachenden Gnade und an jener Liebe, die vom „geliebten Sohn“ ausgeht, dem Sohn des ewigen Vaters, der durch die Menschwerdung ihr eigener Sohn geworden ist. Darum ist es zutiefst wahr, daß Maria durch den Heiligen Geist auf der Ebene der Gnade, das heißt der Teilhabe an der göttlichen Natur (vgl. 2 Petr 1,4), von demjenigen das Leben empfängt, dem sie selbst es, auf der Ebene irdischer Zeugung, als Mutter gegeben hat. Die Liturgie zögert nicht, sie „Tochter deines göttlichen Sohnes“ zu nennen26 und sie mit den Worten, die Dante Alighieri dem hl. Bernhard in den Mund legt, zu grüßen: „Tochter deines Sohnes“.27 Und weil Maria dieses „neue Leben“ in einer Fülle empfängt, wie sie der Liebe des Sohnes zu seiner Mutter, der Würde göttlicher Mutterschaft also, entspricht, nennt sie der Engel bei der Verkündigung „voll der Gnade“. 11. Im Heilsplan der Heiligsten Dreifaltigkeit stellt das Geheimnis der Menschwerdung die überreiche Eifüllung der Verheißung dar, die Gott den Menschen nach der Ursünde gegeben hat, nach jener ersten Sünde, deren Folgen auf der gesamten Geschichte des Menschen auf Erden lasten (vgl. Gen 3,15). So 1280 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN kommt ein Sohn zur Welt, der „Nachwuchs“ einer Frau, der das Übel der Sünde an der Wurzel selbst besiegen wird: „Er trifft (die Schlange) am Kopf.“ Wie aus den Worten des Protoevangeliums hervorgeht, wird der Sohn der Frau erst nach einem harten Kampf siegen, der die ganze Geschichte des Menschen durchziehen muß: Die „Feindschaft“, zu Anfang angekündigt, wird im Buch der Offenbarung, der Buch der letzten Dinge der Kirche und der Welt, bestätigt: Hier begegnet uns erneut das Zeichen einer „Frau“, diesmal „mit der Sonne bekleidet“ (Ojffb 12,1). Maria, Mutter des menschgewordenen ewigen Wortes, wird in die Mitte jener Feindschaft gestellt, jenes Kampfes, der die Geschichte der Menschheit auf Erden und auch die Heilsgeschichte selbst begleitet. An diesem Ort trägt sie, die zu den „Demütigen und Armen des Herrn“ gehört, wie kein anderer unter den Menschen jene „herrliche Gnade“ in sich, die der Vater „uns in seinem geliebten Sohn geschenkt hat“, und diese Gnade bestimmt die außergewöhnliche Größe und Schönheit ihres ganzen menschlichen Seins. Maria bleibt sovorGott und auch vor der ganzen Menschheit gleichsam das bleibende und unzerstörbare Zeichen jener Erwählung durch Gott, von der der Paulusbrief spricht: „In ihm (Christus) hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, L.. dazu bestimmt, seine Söhne zu werden“ (Eph 1,4.5). Diese Erwählung ist stärker als jede Erfahrung des Bösen und der Sünde, all jener „Feindschaft“, von der die Geschichte des Menschen geprägt ist. In dieser Geschichte bleibt Maria ein Zeichen sicherer Hoffnung. 2. Selig ist, die geglaubt hat 12. Kurz nach dem Verkündigungsbericht läßt uns der Evangelist Lukas der Jungfrau von Nazaret auf ihrem Weg in „eine Stadt im Bergland von Judäa“fol-gen (Lk 1,39). Nach den Gelehrten müßte diese Stadt das heutige Ain-Karim sein, das in den Bergen nicht weit von Jerusalem liegt. Maria „eilte“dorthin, um Elisabet, ihre Verwandte, zu besuchen. Der Grund für diesen Besuch liegt auch darin, daß Gabriel bei der Verkündigung in bedeutungsvoller Weise Elisabet genannt hat, die noch im vorgeschrittenen Alter durch Gottes mächtiges Wirken einen Sohn von ihrem Mann Zacharias empfangen hatte: „Elisabet, deine Verwandte, hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen; obwohl sie als unfruchtbar galt, ist sie jetzt schon im sechsten Monat. Denn/wr Gott ist nichts unmöglich“(Lk 1,36-37). Der göttliche Bote verwies auf das Geschehen in Elisabet, um auf die Frage Marias zu antworten: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ (L/c 1,34). Ja, es wird möglich durch die „Kraft des Höchsten“, genauso, und sogar noch mehr, wie bei Elisabet. 1281 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Maria begibt sich also aus Liebe in das Haus ihrer Verwandten. Als sie dort ein-tritt und Elisabet bei der Antwort auf ihren Gruß das Kind in ihrem Leib hüpfen fühlt, da grüßt diese, „vom Heiligen Geist erfüllt“, ihrerseits Maria mit lauter Stimme:,, Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes“:(vgl..LL 1,40-42). Dieser preisende Ausruf Elisabets sollte dann als Fortsetzung des Grußes des Engels in das Ave-Maria eingehen und so zu einem der am häufigsten gesprochenen Gebete der Kirche werden. Noch bedeutungsvoller aber sind die Worte Elisabets in der Frage, die folgt: „Werbin ich, daß die Muttermeines Herrn zu mir kommt?“(L/c 1,43). Elisabet gibt Zeugnis für Maria: Sie erkennt und bekennt, daß vor ihr die Mutter des Herrn, die Mutter des Messias, steht. An diesem Zeugnis beteiligt sich auch der Sohn, den Elisabeth in ihrem Schoß trägt: „Das Kind hüpfte vor Freude in meinem Leib“ {Lk 1,44). Das Kind ist der künftige Johannes der Täufer, der am Jordan auf Jesus, den Messias, hinweisen wird. Jedes Wort im Gruß Elisabets ist voller Bedeutung; doch von gmndlegender Wichtigkeit scheint zu sein, was sie am Ende sagt: „Selig ist die, die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ {Lk 1,45).28 Diese Worte kann man neben die Anrede „du Gnadenvolle“ beim Gruß des Engels stellen. In beiden Texten offenbart sich die Wahrheit ihres wesentlich mariologischen Inhalts, das heißt die Wahrheit über Maria, die im Geheimnis Christi gerade darum wirklich gegenwärtig geworden ist, weil sie „geglaubt hat“. Die Fülle der Gnade, die der Engel verkündet, bedeutet das Geschenk Gottes selbst; der GlaubeMarias, der von Elisabet beim Besuch gepriesen wird, zeigt, wie die Jungfrau von Naza-ret auf dieses Geschenk geantwortet hat. 13. „Dem offenbarenden Gott ist der,Gehorsam des Glaubens1 (Röm 16,26; vgl. Röm 1,5; 2 Kor 10,5^6) zu leisten. Darin überantwortet sich der Mensch Gott als ganzer in Freiheit“, lehrt das Konzil.29 Diese Umschreibung des Glaubens fand in Maria ihre vollkommene Verwirklichung. Der „entscheidende“ Augenblick war die Verkündigung, und die Worte Elisabets: „Selig ist die, die geglaubt hat“ beziehen sich in erster Linie gerade auf diesen Augenblick.30 Bei der Verkündigung hat Maria sich ja vollkommen Gott überantwortet, indem sie demjenigen „den Gehorsam des Glaubens“ entgegenbrachte, der durch seinen Boten zu ihr sprach, indem sie sich ihm „mit Verstand und Willen voll unterwirft“.31 Sie hat also mit ihrem ganzen menschlichen, fraulichen „Ich “geantwortet. In dieser Glaubensantwort waren ein vollkommenes Zusammenwirken mit der „zuvorkommenden und helfenden Gnade Gottes“ und eine vollkommene Verfügbarkeit gegenüber dem Wirken des Heiligen Geistes enthalten, der „den Glauben ständig durch seine Gaben vervollkommnet“.32 Das Wort des lebendigen Gottes, das der Engel Maria verkündet, bezieht sich 1282 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN auf sie selbst: „Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären“ (Lk 1,31). Wenn Maria diese Ankündigung annahm, sollte sie die „Mutter des Herrn“ werden und das göttliche Geheimnis der Menschwerdung sich in ihr vollziehen: „Der Vater der Erbarmungen wollte aber, daß vor der Menschwerdung die vorherbestimmte Mutter ihr empfangendes Ja sagte.“33 Und nachdem Maria alle Worte des Boten gehört hat, gibt sie diese Zustimmung. Sie sagt: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Dieses Fiat Marias - „mir geschehe“- hat von der menschlichen Seite herüber die Verwirklichung des göttlichen Geheimnisses entschieden. Es findet sictrhier eine volle Übereinstimmung mit den Worten des Sohnes, der nach dem Hebräerbrief beim Eintritt in die Welt zum Vater sagt: „Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir geschaffen... Ja, ich komme..., um deinen Willen, Gott, zu tun“(//e6rl0,5-7). Das Geheimnis der Menschwerdung hat sich also vollzogen, als Maria ihr Fiat gesprochen hat: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast“, indem sie, soweit es sie nach dem göttlichen Plan betraf, die Erhörung des Wunsches ihres Sohnes ermöglicht hat. Maria hat dieses Fiat im Glauben gesprochen. Im Glauben hat sie sich ohne Vorbehalte Gott überantwortet und „gab sich als Magd des Herrn ganz der Person und dem Werk ihres Sohnes hin“.34 Und diesen Sohn - so lehren uns die Väter - hat sie, noch bevor sie ihn im Leib empfing, im Geist empfangen: eben durch den Glauben !35 Zu Recht also lobt Elisabet Maria: „Selig ist, die geglaubt hat, daß sich eifüllt, was der Herr ihr sagen ließ.“Diese Worte haben sich schon erfüllt: Maria tritt über die Schwelle des Hauses der Elisabet und des Zacharias als die Mutter des Sohnes Gottes. Dies ist die freudige Entdeckung Elisabets: „Die Mutter meines Herrn kommt zu mir!“ 14. Deshalb kann auch der Glaube Marias mit dem Abrahams verglichen werden, den der Apostel „unseren Vater im Glauben“ nennt (vgl. Rom 4,12). In der Heilsordnung der Offenbarung Gottes bildet der Glaube Abrahams den Anfang des Alten Bundes. Der Glaube Marias bei der Verkündigung eröffnet den Neuen Bund. Wie Abraham „gegen alle Hoffnungvoll Hoffnung geglaubt hat, daß er der Vater vieler Völker werde“ (vgl. Röm 4,18), so hat Maria, nachdem sie im Augenblick der Verkündigung ihre Jungfräulichkeit bekannt hatte („Wie soll das geschehen,, da ich keinen Mann erkenne?“) geglaubt, daß sie durch die Kraft des Höchsten, durch den Heiligen Geist, nach der Offenbarung des Engels die Mutter des Sohnes Gottes werden würde: „Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ {Lk 1,35). Doch betreffen die Worte Elisabets: „Selig ist, die geglaubt hat“nicht nurjenen besonderen Augenblick der Verkündigung. Gewiß ist dies der Höhepunkt für den Glauben Marias in der Erwartung Christi; sie ist aber auch der Ausgangs- 1283 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN punkt, an dem ihr ganzer „Weg zu Gott“, ihr Glaubensweg insgesamt, beginnt. Und auf diesem Weg, der herausragend und wahrhaft heroisch ist -ja, mit wachsendem Glaubensheroismus -, wird sich der „Gehorsam“ verwirklichen, den sie gegenüber dem Wort der göttlichen Offenbarung bekannt hat. Dieser „Gehorsam des Glaubens“ von seiten Marias wird auf ihrem ganzen Weg überraschende Ähnlichkeiten mit dem Glauben Abrahams haben. Wie der Patriarch des Volkes Gottes hat auch Maria auf dem Weg ihres kindlichen und mütterlichen Fiat „geglaubt voll Hoffnung gegen alle Hoffnung“. Vor allem in einigen.Etappen dieses Weges offenbart sich die Seligpreisung derjenigen, „die geglaubt hat“, mit besonderer Deutlichkeit. Glauben will besagen, sich der Wahrheit des Wortes des lebendigen Gottes zu „überantworten“, obwohl man darum weiß und demütig anerkennt, „wie unergründlich seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege sind“ (Röm 11,33). Maria, die sich nach dem ewigen Willen des Höchsten sozusagen im Mittelpunkt jener „unerforschli-chen Wege“ und j ener „unergründlichen Entscheidungen“ Gottes befindet, verhält sich im Halbdunkel des Glaubens entsprechend, indem sie mit offenem Herzen alles voll und ganz annimmt, was in Gottes Plan verfügt ist. 15. Als Maria bei der Verkündigung vom Sohn sprechen hört, dessen Mutter sie werden und dem sie „den Namen Jesus (= Erlöser) geben soll“, erfährt sie auch, daß ihrem Sohn „der Herr den Thron seines Vaters David geben wird“, daß er „über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft kein Ende haben wird“ (Lk 1,32-33). In diese Richtung ging die Hoffnung ganz Israels. Der verheißene Messias sollte „groß“ sein, und auch der himmlische Bote verkündet, daß er „groß sein wird“- groß, sei es durch den Namen Sohn des Höchsten, sei es durch die Übernahme von Davids Erbe. Er soll also König sein und „über das Haus Jakob“ herrschen. Konnte Maria, die inmitten dieser Erwartungen ihres Volkes aufgewachsen war, im Augenblick der Verkündigung erfassen, welche wesentliche Bedeutung diese Worte des Engels haben? Wie soll man jenes „Reich“ verstehen, das „kein Ende“ haben wird? Wenn sie sich auch in jenem Augenblick durch ihren Glauben als Mutter des „Messias-König“ fühlte, so antwortete sie doch: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ {Lk 1,38). Vom ersten Augenblick an hat Maria den „Gehorsam des Glaubens“ bekannt, indem sie sich der geheimnisvollen Bedeutung überantwortete, die jenen Worten der Verkündigung derjenige gegeben hat, von dem sie kamen: Gott selbst. 16. Auf dem Weg dieses „Gehorsams des Glaubens“ hört Maria etwas später noch andere Worte, die im Tempel von Jerusalem ausgesprochen werden. Es war der vierzigste Tag nach der Geburt Jesu, als Maria und Josef nach der Vor- 1284 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN schrift des mosaischen Gesetzes „das Kind nach Jerusalem hinaufbrachten, um es dem Herrn zu weihen“ (Lk 2,22). Die Geburt war in größter Armut erfolgt. Wir wissenja von Lukas, daß Maria, als sie sich anläßlich dervon derrömischen Obrigkeit angeordneten Volkszählung mit Josef nach Betlehem begab und sich „in der Herberge kein Platz“ für sie fand, ihren Sohn in einem Stall geboren hat und „ihn in eine Krippe legte“ (vgl. Lk 2,7). Ein gerechter und gottesfürchtiger Mann namens Simeon erscheint an jenem Beginn des Glaubensweges Marias. Seine Worte, die vom Heiligen Geist eingegeben wurden (vgl. Lk 2,25-27), bestätigen einerseits die Wahrheit der Verkündigung. Wir lesen nämlich, daß er das Kind „in seine Arme nahm“, dem -nach dem Auftrag des Engels - „der Name Jesus gegeben worden war“ (vgl. Lk 2,21). Die Rede Simeons entspricht dem Inhalt dieses Namens, der „Heiland“ bedeutet: „Gott ist Heil“. Zum Herrn gewandt, sagt er: „Meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (Lk 2,30.32). Zugleich aber wendet sich Simeon auch an Maria mit den folgenden Worten: „Dieser ist dazu bestimmt, daß viele in Israel durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird. Dadurch sollen die Gedanken vieler Menschen offenbar werden.“Und mit direktem Bezug auf Maria fügt er hinzu: „Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen“ (vgl. Lk 2,34.35). Die Worte Simeons werfen auf die Verkündigung, die Maria vom Engel gehört hat, ein neues Licht: Jesus der Heiland, er ist „Lichf, das die Menschen „erleuchtet“. Ist es nicht das, was sich in gewisserWeise in der Nacht von Weihnachten offenbart hat, als die Hirten zum Stall gekommen sind? (vgl. Lk 2,8-20). Ist es nicht das, was sich noch deutlicher im Kommen der Weisen aus dem Morgenland kundtun sollte? (vgl. Mt 2,1-12). Zugleich aber wird der Sohn Marias schon am Anfang seines Lebens - und mit ihm seine Mutter - auch die Wahrheit der anderen Worte Simeons an sich erfahren: „Zeichen, dem widersprochen wird“ (Lk 2,34). Dieses Wort Simeons erscheint wie eine zweite Verkündigung an Maria; denn es zeigt ihr die konkrete geschichtliche Dimension, in der ihr Sohn seine Sendung ausführen wird, nämlich im Unverständnis und im Leid. Wenn eine solche Ankündigung einerseits ihren Glauben an die Erfüllung der göttlichen Heilsverheißungen bestätigt, so offenbart sie andererseits auch, daß Maria ihren Glaubensgehorsam im Leid leben muß, an der Seite des leidenden Heilandes, und daß ihre Mutterschaft umschattet und schmerzenreich sein wird. Und in der Tat, schon nach dem Besuch der Weisen, nach ihrer Ehrenbezeugung („sie fielen nieder und huldigten ihm“), nach der Übergabe der Geschenke (vgl. Mt 2,11) muß Maria zusammen mit ihrem Kind unter dem sorgenden Schutz Josefs nach Ägypten fliehen; denn „Herodes suchte das Kind, 1285 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN um es zu töten“ (vgl. Mt 2,13). Und bis zum Tode des Herodes werden sie in Ägypten bleiben müssen (vgl. Mt 2,15). 17. Als die heilige Familie nach dem Tode des Herodes nach Nazaret zurückkehrt, beginnt die lange Periode ihres verborgenen Lebens. Diejenige, „die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ (Lk 1,45), lebt jeden Tag den Inhalt dieser Worte. Täglich ist an ihrer Seite der Sohn, dem sie „den Namen Jesus gegeben hat“; gewiß benutzte sie im Umgang mit ihm diesen Namen, der übrigens bei niemandem Verwunderung erregen konnte, da er seit langer Zeit in Israel gebräuchlich war. Dennoch weiß Maria, daß jener, der den Namen Jesus trägt, vom Engel „Sohn des Höchsten“genannt worden ist (vgl. Lk 1,32). Maria weiß, daß sie ihn empfangen und geboren hat, „ohne einen Mann zu erkennen“, durch den Heiligen Geist, durch die Kraft des Höchsten, die sie überschattet hat (vgl. T/d,35), so wie die Wolke zur Zeit des Mose und der Väter die Gegenwart Gottes umhüllte (vgl.Ex24,16; 40,34-35; 1 Kön 8,10-12).Maria weiß also, daß der Sohn, der von ihr auf diese Weise jungfräulich geboren worden ist, eben jener „Heilige“, der„Sohn Gottes“ ist, von dem der Engel gesprochen hat. Während der Jahre des verborgenen Lebens Jesu im Haus von Nazaret ist auch das Leben Marias „mit Christus verborgen in Uott“(vgl. Kol 3,3) durch den Glau-ben. Der Glaube ist nämlich eine Berührung mit dem Geheimnis Gottes. Maria ist ständig, täglich in Berührung mit dem unaussprechlichen Geheimnis Gottes, der Mensch geworden ist, einem Geheimnis, das alles übersteigt, was im Alten Bund offenbart worden ist. Seit dem Augenblick der Verkündigung ist der Geist der Jungfrau und Mutter in die völlige „Neuheit“ der Selbstoffenba-rung Gottes eingeführt und sich dieses Geheimnisses bewußt geworden. Sie ist die erste jener „Kleinen“, von denen Jesus eines Tages sagen wird: „Vater,.. .du hast all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart“ {Mt 11,25). Denn „niemand kennt den Sohn, nur der Vater“ {Mt 11,27). Wie kann also Maria „den Sohn kennen“? Natürlich kennt sie ihn nicht wie der Vater. Und doch ist sie die erste unter denen, denen der Vater „ihn hat offenbaren wollen“ (vgl. Mt 11,26-27; 1 Vor 2,11). Wenn Maria aber vom Augenblick der Verkündigung an der Sohn offenbart worden ist, von dem nur der Vater die volle Wahrheit kennt als derjenige, der ihn im ewigen „Heute“ zeugt (vgl. Ps 2,7), so ist sie, die Mutter, mit der Wahrheit ihres Sohnes nur im Glauben und durch den Glauben in Berührung! Sie ist also' selig, weil sie „geglaubt hat“ und jeden Tag glaubt inmitten der Prüfungen und Widerwärtigkeiten in der Zeit der Kindheit Jesu und dann während der Jahre seines verborgenen Lebens in Nazaret, wo Jesus „ihren gehorsam war“ {Lk 2,51): gehorsam Maria und auch Josef gegenüber, weil dieser vor den Menschen die Stelle des Vaters vertrat; deswe- 1286 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gen wurde der Sohn Marias von den Leuten als „der Sohn des Zimmermanns“ angesehen {Mt 13,55). Die Mutter jenes Sohnes, eingedenk all dessen, was ihr bei der Verkündigung und den nachfolgenden Begebenheiten gesagt worden ist, trägt also die völlige „Neuheit“ des Glaubens in sich: den Anfang des Neuen Bundes. Dieser ist der Anfang des Evangeliums, der guten, frohen Botschaft. Es ist aber nicht schwer, in jenem Anfang auch eine besondere Mühe des Heizens zu erkennen, die mit einer gewissen „Glaubensnacht“ verbunden ist - um ein Wort des hl. Johannes vom Kreuz zu gebrauchen gleichsam ein „Schleier“, durch den hindurch man sich dem Unsichtbaren nahen und mit dem Geheimnis in Vertrautheit leben muß.36 Auf diese Weise lebte Maria viele Jahre in Vertrautheit mit dem Geheimnis ihres Sohnes und schritt voran auf ihrem „Glaubensweg“, während Jesus „an Weisheit zunahm und Gefallen fand bei Gott und den Menschen“ {Lk 2,52). Immer mehr offenbarte sich vor den Augen der Menschen die besondere Liebe, die Gott für ihn hatte. Die erste unter diesen menschlichen Geschöpfen, die Christus immer tiefer erkennen durften, war Maria, die mit Josef im selben Haus in Nazaret lebte. Als die Eltern den zwölfjährigen Jesus im Tempel wiederfanden und seine Mut-terihn fragte: „Wie konntest du uns das antun?“, antwortete dieser: „Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meinem Vater gehört?“ Aber der Evangelist fügt hinzu: „Doch sie (Josef und Maria) verstanden nicht, was er damit sagen wollte“ {Lk 2,48-50). Jesus war sich also bewußt, daß „den Sohn nur der Vater kennt“ (vgl. Mt 11,27). Sogar diejenige, der das Geheimnis seiner göttlichen Sohnschaft tiefer offenbart worden war, seine Mutter, lebte nur durch den Glauben in Vertrautheit mit diesem Geheimnis! An der Seite ihres Sohnes, unter demselben Dach, „bewahrte sie die Verbundenheit mit dem Sohn in Treue“ und schritt voran „auf dem Pilgerweg des Glaubens“, wie es das Konzil unterstreicht.37 So tat sie es auch während des öffentlichen Lebens Christi (vgl. Mk 3,21-35), wobei sich an ihr täglich die Seligpreisung erfüllte, die bei ihrem Besuch von Elisabet ausgesprochen worden war: „Selig ist, die geglaubt hat.“ 18. Diese Seligpreisung erreicht ihre volle Bedeutung, als Maria unter dem Kreuze ihres Sohnes steht (vgl. Joh 19,25). Das Konzil betont, daß das „nicht ohne göttliche Absicht“ geschah: Dadurch, daß Maria „heftig mit ihrem Eingeborenen litt und sich mit seinem Opfer in mütterlichem Geist verband, indem sie der Darbringung des Opfers, das sie geboren hatte, liebevoll zustimmte“ bewahrte sie„ihre Verbundenheit mit dem Sohn in Treue bis zum Kreüz“:38 die Verbundenheit durch den Glauben, denselben Glauben, mit dem es ihr möglich geworden war, im Augenblick der Verkündigung die Offenbarung des Engels anzunehmen. Sie hatte damals auch die Worte vernommen: „Er wird 1287 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN groß sein... Der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben“ (Lk 1,32-33). Und nun, zu Füßen des Kreuzes, ist Maria, menschlich gesprochen, Zeuge einer völligen Verneinung dieser Worte. Ihr Sohn stirbt an jenem Holze wie ein Ausgestoßener. „Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen...; er war verachtet, und man schätzte ihn nicht“: fast völlig vernichtet (vgl. Jes 53,3-5). Wie groß, wie heroisch ist somit „der Gehorsam des Glaubens“, den Maria angesichts dieser „unergründlichen Entscheidungen“ Gottes zeigt. Wie hat sie sich ohne Vorbehalt „Gott überantwortet“, indem sie sich demjenigen „mit Verstand und Willen voll unterwirft“39 dessen „Wege unerforschlich sind“ (vgl. Röm 11,33)! Und wie mächtig ist zugleich das Wirken der Gnade in ihrer Seele, wie durchdringend der Einfluß des Heiligen Geistes, seines Lichtes und seiner Kraft. Durch diesen Glauben ist Maria vollkommen mit Christus in seiner Entäußerung verbunden. Denn obwohl Jesus Christus „Gott gleich war, hielt er nicht daran fest..., sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“: Gerade hier auf Golgota „erniedrigte er sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (vgl. Phil 2,8). Und am Fuß des Kreuzes nahm Maria durch den Glauben teil an dem erschütternden Geheimnis dieser Entäußerung. Dies ist vielleicht die tiefste „kenosis“ (Entäußerung) des Glaubens in der Geschichte des Menschen: Durch den Glauben nimmt Maria teil am Tod des Sohnes - an seinem Erlösertod. Im Gegensatz zum Glauben der Jünger, die flohen, besaß sie aber einen erleuchteteren Glauben. Durch das Kreuz hat Jesus auf Golgota endgültig bestätigt, daß er das „Zeichen ist, dem widersprochen wird“, wie Simeon vorhergesagt hatte. Gleichzeitig haben sich dort auch jene Worte erfüllt, die dieser an Maria gerichtet hatte: „Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen.“40 19. In derTat, wahrhaft„selig ist, die geglaubt hat“! Diese erhabenen Worte, die Elisabet nach der Verkündigung gesprochen hat, scheinen hier, zu Füßen des Kreuzes, in ihrer dichtesten Bedeutung widerzuhallen, und die in ihnen enthaltene Kraft wird überwältigend. Vom Kreuz, sozusagen von der Herzmitte des Geheimnisses der Erlösung, geht ein Lichtstrahl aus und erweitert den Horizont jener Seligpreisung des Glaubens. Sie reicht„bis zum Anfang“zurück und wird in gewissem Sinn das Gegengewicht zum Ungehorsam und Unglauben, die in der Sünde der Stammeltern enthalten sind. So lehren die Kirchenväter und vor allem Irenäus, der von der Konstitution „Lumen gentium“ zitiert wird: „Der Knoten des Ungehorsams der Eva ist gelöst worden durch den Gehorsam Marias; was die Jungfrau Eva durch den Unglauben gebunden hat, das hat die 1288 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Jungfrau Maria durch den Glauben gelöst. '4I Im Licht dieses Vergleiches mit Eva nennen die Väter - wie das Konzil weiter sagt - Maria „die Mutter der Lebendigen“ und betonen oft: „Der Tod kam durch Eva, das Leben durch Maria.“42 Mit Recht können wir also in jenem Satz „Selig ist, die geglaubt hat“ gleichsam einen Schlüssel suchen, der uns die innerste Wirklichkeit Marias erschließt: derjenigen, die der Engel im Augenblick der Verkündigung als „voll der Gnade“ bezeichnet hat. Wenn sie als die „Gnadenvolle“ seit Ewigkeit im Geheimnis Christi gegenwärtig gewesen ist, so erhält sie durch den Glauben in vollem Umfang Anteil an seinem irdischen Lebensweg: Sie schritt voran auf dem „Pilgerweg des Glaubens“. Zugleich macht sie auf diskrete, aber unmittelbare und wirksame Weise dieses Geheimnis Christi für die Menschen gegenwärtig. Und sie tut dies noch immer und ist durch das Geheimnis Christi auch selbst unter den Menschen zugegen. 3. Siehe, deine Mutter 20. Das Lukasevangelium berichtet von der Begebenheit, da „eine Frau aus der Menge Jesus zurief: Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brust dich genährt hat!“(Lk 11,27). Diese Worte sind ein Lob für Maria als leibliche Mutter Jesu. Die Mutter Jesu war dieser Frau vielleicht nicht persönlich bekannt; als Jesus nämlich seine messianische Tätigkeit begann, hat ihn Maria nicht begleitet, sondern bleib weiterhin in Nazaret. Man könnte sagen, daß die Worte jener unbekannten Frau sie in gewisser Weise aus ihrer Verborgenheit haben heraustreten lassen. Durch jene Worte ist in der Menge, wenigstens für einen Augenblick, das Evangelium von der Kindheit Jesu aufgeleuchtet. Es ist das Evangelium, in dem Maria gegenwärtig ist als die Mutter, die Jesus in ihrem Schoß empfängt, ihn zur Welt bringt und mütterlich stillt: die stillende Mutter, auf die jene Frau aus der Menge anspielt. Durch diese Mutterschaft ist Jesus - der Sohn des Höchsten (vgl. Lk 1,32) - ein wahrer Menschensohn. Er ist „Fleisch“ wie jeder Mensch: „Das Wort ist Fleisch geworden“ (vgl. Joh 1,14). Er ist Fleisch und Blut Marias!43 Auf die Seligpreisung, die jene Frau gegenüber seiner leiblichen Mutter ausspricht, antwortet Jesus jedoch auf bezeichnende Weise: „Selig sind vielmehr die, die das Wort Gottes hören und es befolgen“ {Lk 11,28). Er will die Aufmerksamkeit von der als leibliche Bindung verstandenen Mutterschaft ablenken, um auf jene geheimnisvollen geistigen Bande hinzuweisen, die sich im Hören und Befolgen des Wortes Gottes bilden. Derselbe Verweis auf den Bereich der geistigen Werte zeigt sich noch deutlicher in einer anderen Antwort Jesu, die von allen Synoptikern berichtet wird. Als 1289 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Jesus gemeldet wird, daß seine „Mutter und seine Brüder draußen stehen und ihn sprechen möchten“, antwortet er: „Meine Mutter und meine Brüder sind die, die das Wort Gottes hören und danach handeln“(vgl. Lk 8,20-21). Das sagte er, indem er „auf die Menschen blickte, die im Kreis um ihn herumsaßen“, wie wir bei Markus lesen (3,34), nach Matthäus (12,49), indem „er die Hand über seine Jünger ausstreckte“. Diese Aussagen scheinen auf der Linie dessen zu liegen, was der zwölfjährige Jesus zu Maria und Josef gesagt hat, als sie ihn nach drei Tagen im Tempel von Jerusalem fanden. Nun, da Jesus Nazaret verließ und sein öffentliches Leben in ganz Palästina begann, war er bereits vollkommen und ausschließlich mit dem beschäftigt, „was seinem Vater gehört (vgl. ZA 2,49). Er verkündete das Reich Gottes: „Reich Gottes“ und „Dinge des Vaters“ sind auch eine neue Dimension und eine neue Sinngebung für all das, was menschlich ist, und somit auch fürjede menschliche Bindung hinsichtlich der Ziele und Aufgaben, die jedem Menschen gestellt sind. In dieser neuen Dimension bedeutet auch eine Bindung wie jene der „Brüderlichkeit“ etwas anderes als das „Brudersein nach dem Fleisch“, das durch die gemeinsame Abstammung von denselben Eltern bestimmt wird. Und sogar die „Mutterschaft“erhält in derDimension des Reiches Gottes, im Licht der Vaterschaft Gottes selbst, einen anderen Sinn. Mit den von Lukas berichteten Worten lehrt Jesus genau diesen neuen Sinn der Mutterschaft. Entfernt er sich damit von derjenigen, die seine Mutter, seine leibliche Mutter ist? Will er sie etwa im Schatten der Verborgenheit lassen, die sie selber gewählt hat? Wenn es auch nach dem Klang der Worte so scheinen könnte, so muß man doch feststellen, daß die neue und andere Mutterschaft, von der Jesus zu den Jüngern spricht, in einer ganz besonderen Weise gerade auf Maria zutrifft. Ist nicht gerade Maria die erste unter denen, „die das Wort Gottes hören und danach handeln “? Und bezieht sich nicht vor allem auf sie jene Seligpreisung, die von Jesus als Antwort auf die Worte der „Frau aus der Menge“ ausgesprochen wird? Ohne Zweifel ist Maria dieser Seligpreisung würdig schon aufgrund der Tatsache, daß sie für Jesus die Mutter nach dem Fleisch geworden ist („Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Bmst dich genährt hat“), aber auch und vor allem deswegen, weil sie schon im Augenblick der Verkündigung das Wort Gottes angenommen hat, weil sie ihm geglaubt hat, weil sie Gott gegenüber gehorsam war, weil sie das Wort „bewahrte“ und „es in ihrem Herzen erwog“ (vgl. Lk 1,38.45; 2,19.51) und es mit ihrem ganzen Leben verwirklichte. Wir können deshalb sagen, daß die von Jesus ausgesprochene Seligpreisung trotz des Anscheins nicht im Gegensatz zu jener Seligpreisung steht, die von der „Frau aus der Menge“ ausgerufen worden ist, sondern daß sich beide in der Person jener Mutter und Jungfrau begegnen, die allein sich als „Magd des Herrn“ 1290 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN bezeichnet hat (Lk 1,38). Wenn es wahr ist, daß „alle Geschlechter sie seligpreisen“ (vgl. Lk 1,48), kann man sagen, daß jene unbekannte „Frau aus der Menge“ die erste gewesen ist, die ohne ihr Wissen jenen prophetischen Vers von Marias Magnifikat bestätigt und selbst das Magnifikat der Jahrhunderte eröffnet hat. Wenn Maria durch den Glauben die leibliche Mutter des ewigen Sohnes geworden ist, der ihr in der Kraft des Heiligen Geistes vom Vater gegeben worden ist, wobei sie ihre Jungfräulichkeit unversehrt bewahrte, so hat sie in demselben Glauben die andere Dimension der Mutterschaft entdeckt und angenommen, die von Jesus während seiner messianischen Sendung offenbart worden ist. Man kann sagen, daß diese Dimension der Mutterschaft schon von Anfang an, das heißt vom Augenblick der Empfängnis und Geburt ihres Sohnes an, Maria zu eigen war. Von da an war sie diejenige, „die geglaubt hat“. Als sich aber allmählich vor ihren Augen und in ihrem Geiste die messianische Sendung des Sohnes klärte, öffnete sie selbst sich als Mutter immer mehr jener,, Neuheit"der Mutterschaft, welche ihren „Anteil“ an der Seite des Sohnes darstellen sollte. Hatte sie nicht von Anfang an gesagt: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38)? Im Glauben fuhr sie fort, jenes Wort zu hören und zu bedenken, in dem ihr in einer Weise, „die alle Erkenntnis übersteigt“ (Eph 3,19), die Selbstoffenbarung des lebendigen Gottes immer offenkundiger wurde. Maria, die Mutter, wurde so in gewissem Sinn die erste „Jüngerin“ihres Sohnes, die erste, der er zu sagen schien: „Folge mir nach“, noch bevor er diesen Ruf an die Apostel oder an jemand anderen richtete (vgl. Joh 1,43). 21. Besonders beredt ist unter diesem Gesichtspunkt der Text des Johannesevangeliums, der uns Maria bei der Hochzeit zu Kana zeigt. Maria erscheint hier als Mutter Jesu am Beginn seines öffentlichen Lebens: „Es fand eine Hochzeit in Kana in Galiläa statt, und die Mutter Jesu war dabei. Auch Jesus und seine Jünger waren zur Hochzeit eingeladen.“ (Joh 2,1-2) Aus dem Text könnte man schließen, daß Jesus und seine Jünger zusammen mit Maria eingeladen waren, gleichsam wegen ihrer Anwesenheit bei diesem Fest: Der Sohn scheint wegen der Mutter eingeladen zu sein. Die Folge der mit dieser Einladung verbundenen Ereignisse ist bekannt, jener „Anfang der Zeichen“ Jesu - die Verwandlung des Wassers in Wein -, der den Evangelisten sagen läßt: Jesus „offenbarte seine Herrlichkeit, und seine Jünger glaubten an ihn.“ (Joh 2,11) Maria ist zu Kana in Galiläa als Mutter Jesu anwesend und trägt in bezeichnender Weise zu jenem „Anfang der Zeichen“ bei, die die messianische Kraft ihres Sohnes offenbaren: „Als der Wein ausging, sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus erwiderte ihr: Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ (Joh 2,3-4) Im Johannesevangelium bezeichnet jene „Stunde“ den vom Vater bestimmten Augenblick, in welchem 1291 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der Sohn sein Werk erfüllt und verherrlicht werden soll (vgl. Joh 7,30; 8,20; 12,23.27; 13,1; 17,1; 19,27). Obwohl die Antwort Jesu an seine Mutter scheinbar wie eine Zurückweisung klingt (vor allem, wenn man weniger seine Frage als vielmehr die entschiedene Feststellung beachtet: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“), wendet sich Maria dennoch an die Diener und sagt zu ihnen: „Was er euch sagt, das tut.“ (Johl,5) Darauf befiehlt Jesus den Dienern, die Krüge mit Wasser zu füllen, und das Wasser wird zu Wein, besser als jener, der zuerst den Gästen des Hochzeitsmahles serviert worden ist. Welch tiefes Einverständnis gab es zwischen Jesus und seiner Mutter? Wie soll man das Geheimnis ihrer inneren geistigen Einheit erforschen? Das Geschehen selbst aber ist deutlich. Es ist gewiß, daß sich in jenem Ereignis schon recht klar die neue Dimension, der neue Sinn der Mutterschaft Marias abzeichnet. Sie hat eine Bedeutung, die nicht ausschließlich in den Worten Jesu und in den verschiedenen Ereignissen enthalten ist, wie sie die Synoptiker berichten (Lk 11,27-28 ; 8,19-21; Mt 12,46-50; Mk 3,31-35). In diesen Texten will Jesus vor allem die Mutterschaft, die sich aus der Geburt selbst ergibt, dem gegenüberstellen, was jene „Mutterschaft“ (wie die „Bruderschaft“) in der Dimension des Gottesreiches, im Heilsbereich der Vaterschaft Gottes sein soll. Im johannei-schen Text hingegen zeichnet sich in der Darstellung des Ereignisses von Kana ab, was sich konkret als neue Mutterschaft nach dem Geist und nicht nur aus dem Fleisch erweist, nämlich die Sorge Marias für die Menschen, ihre Hinwendung zu ihnen in der ganzen Breite ihrer Bedürfnisse und Nöte. Zu Kana in Galiläa wird nur ein konkreter Aspekt der menschlichen Bedürftigkeit gezeigt, scheinbar nur klein und von geringer Bedeutung („Sie haben keinen Wein mehr“). Aber er hat symbolischen Wert: Jene Hinwendung zu den Bedürfnissen der Menschen bedeutet zugleich, sie in den Bereich der messianischen Sendung und erlösenden Macht Christi zu führen. Es liegt also eine Vermittlung vor: Maria stellt sich zwischen ihren Sohn und die Menschen in der Situation ihrer Entbehrungen, Bedürfnisse und Leiden. Sie stellt sich „dazwischen“, das heißt, sie macht die Mittlerin, nicht wie eine Fremde, sondern in ihrer Stellung als Mutter, und ist sich bewußt, daß sie als solche dem Sohn die Nöte der Menschen vortragen kann, ja sogar das „Recht“ dazu hat. Ihre Vermittlung hat also den Charakter einer Fürsprache: Maria „spricht für“ die'Menschen. Nicht nur das: als Mutter möchte sie auch, daß sich die messianische Macht des Sohnes offenbart, nämlich seine erlösende Kraft, die darauf gerichtet ist, dem Menschen im Unglück zu Hilfe zu eilen, ihn vom Bösen zu befreien, das in verschiedenen Formen und Maßen auf seinem Leben lastet. Ganz wie es der Prophet Jesaja in dem berühmten Text, auf den sich Jesus vor seinen Landsleuten in Nazaret berufen hat, vom Messias angekündigt hatte: „... den Armen eine gute 1292 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Nachricht bringen, den Gefangenen die Entlassung verkünden und den Blinden das Augenlicht..(vgl. Lk 4,18). Ein anderes wesentliches Element dieser mütterlichen Aufgabe Marias kommt in den Worten an die Diener zum Ausdruck: „Was er euch sagt, das tut.“ Die Mutter Christi zeigt sich vor den Menschen als Sprecherin für den Willen des Sohnes, als Wegweiserin zu jenen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit sich die erlösende Macht des Messias offenbaren kann. Wegen der Fürsprache Marias und dem Gehorsam der Diener läßt Jesus in Kana „seine Stunde“ beginnen. In Kana zeigt Maria ihren Glauben an Jesus: Ihr Glaube fuhrt zum ersten „Zeichen“ und trägt dazu bei, den Glauben der Jünger zu wecken. 22. Wir können also sagen, daß wir in diesem Abschnitt des Johannesevangeliums gleichsam ein erstes Aufleuchten der Wahrheit von der mütterlichen Sorge Marias finden. Diese Wahrheit hat auch in der Lehre des letzten Konzils ihren Ausdruck gefunden. Es ist wichtig festzustellen, wie dort die mütterliche Aufgabe Marias in ihrer Beziehung zur Mittlerschaft Christi dargestellt wird. Wir lesen dort nämlich: „Marias mütterliche Aufgabe gegenüber den Menschen aber verdunkelt oder mindert diese einzige Mittlerschaft Christi in keiner Weise, sondern zeigt ihre Wirkkraft“; denn „einer (ist) Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus“ (1 Tim 2,5). Diese mütterliche Aufgabe fließt nach dem Wohlgefallen Gottes „aus dem Überfluß der Verdienste Christi, stützt sich auf seine Mittlerschaft, hängt von ihr vollständig ab und schöpft aus ihr seine ganze Wirkkraft“.44 Genau in diesem Sinne bietet uns das Geschehen zu Kana in Galiläa gleichsam ein erstes Aufleuchten der Mittlerschaft Marias, die ganz auf Christus bezogen und auf die Offenbarung seiner Heilsmacht ausgerichtet ist. Aus dem johanneischen Text geht hervor, daß es sich um eine mütterliche Vermittlung handelt. Entsprechend verkündet das Konzil: Maria „ist... uns in der Ordnung der Gnade Mutter“. Diese Mutterschaft in der Ordnung der Gnade ist aus ihrer göttlichen Mutterschaft selbst hervorgegangen. Weil sie nach dem Willen der göttlichen Vorsehung Mutter und Enährerin des Erlösers war, ist sie auch „in einzigartiger Weise vor den anderen hochherzige Gefährtin und demütige Magd des Herrn“ geworden und hat „beim Werk der Erlösung... in Gehorsam Glaube, Hoffnung und brennender Liebe mitgewirkt zur Wiederherstellung des übernatürlichen Lebens der Seelen“.45 „Diese Mutterschaft Marias in der Gnadenordnung dauert unaufhörlich fort... bis zur ewigen Vollendung aller Auserwählten.“46 23. Wenn der Abschnitt des Johannesevangeliums über das Geschehen in Kana die Muttersorge Marias zu Beginn des messianischen Wirkens Christi 1293 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN darstellt, bestätigt eine andere Stelle desselben Evangeliums diese Mutterschaft in der Heilsordnung der Gnade an ihrem Höhepunkt, das heißt, als sich das Kreuzesopfer Christi, sein österliches Geheimnis, vollendet. Die Darstellung des Johannes ist kurz und knapp: „Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich “(Joh 19,25-27). Zweifellos ist in diesem Vorgang eine Ausdruck der besonderen Sorge des Sohnes für die Mutter zu sehen, die er in einem so tiefen Schmerz zurückläßt. Über den Sinn dieser Fürsorge sagt das „Kreuzestestament“ Christi jedoch noch mehr aus. Jesus macht ein neues Band zwischen Mutter und Sohn deutlich, dessen ganze Wahrheit und Wirklichkeit er feierlich bestätigt. Wenn die Mutterschaft Marias gegenüber den Menschen bereits früher angedeutet worden ist, wird sie nun - so kann man sagen - klar gefaßt und festgelegt: Sie geht aus der endgültigen Vollendung des österlichen Geheimnisses des Erlösers hervor. Die Mutter Christi, die in der unmittelbaren Reichweite dieses Geheimnisses steht, das den Menschen - jeden einzelnen und alle - umfaßt, wird diesem -jedem einzelnen und allen - als Mutter gegeben. Dieser Mensch zu Füßen des Kreuzes ist Johannes, „der Jünger, den er liebte“.47 Aber nicht er allein. In Anlehnung an die Tradition zögert das Konzil nicht, Maria „Mutter Christi und Mutter der Menschen“ zu nennen. In der Tat „findet sie sich mit allen ... Menschen in der Nachkommenschaft Adams verbunden ...; ja, ,sie ist wahrhaft Mutter der Glieder (Christi),... denn sie hat in Liebe mitgewirkt, daß die Gläubigen in der Kirche geboren würden‘ “,48 Diese „neue Mutterschaft Marias“, aus dem Glauben gezeugt, ist also eine Frucht der „neuen“ Liebe, die in ihr unter dem Kreuz, durch ihre Teilnahme an der erlösenden Liebe des Sohnes, zur vollen Reife gekommen ist. 24. Wir befinden uns so mitten in der Erfüllung jener Verheißung, die im Pro-toevangelium enthalten ist: Er (der Nachwuchs der Frau) „wird der Schlange den Kopf zermalmen“ (vgl. Gen 3,15). Jesus Christus besiegtja in der Tat mit seinem Erlösertod das Übel der Sünde und des Todes an der Wurzel selbst. Es ist bezeichnend, daß er, als er sich vom Kreuz herab an die Mutter wendet, sie „Frau“ nennt und zu ihr sagt: „Frau, siehe, dein Sohn.“ Mit dem gleichen Wort hatte er sie ja auch in Kana angesprochen (vgl. Joh 2,4). Kann man bezweifeln, daß gerade jetzt, auf Golgota, dieser Satz in die Tiefe des Geheimnisses Marias vordringt und die einzigartige Stellung berührt, diesie in der ganzen Heilsordnung einnimmt? So lehrt das Konzil: Mit Maria „als der erhabenen Tochter Zion ist 1294 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN schließlich nach langer Erwartung der Verheißung die Zeit erfüllt und die neue Heilsökonomie begonnen, als der Sohn Gottes die Menschennatur aus ihr annahm, um durch die Mysterien seines Fleisches den Menschen von der Sünde zu befreien.“49 Die Worte, die Jesus vom Kreuz herab spricht, bedeuten, daß die Mutterschaft derer, die ihn geboren hat, sich in der Kirche und durch die Kirche „neu“ fortsetzt, die durch Johannes symbolisiert und dargestellt wird. Sie, die als die „Begnadete“ in das Geheimnis Christi eingeführt worden ist, um seine Mutter zu werden und so heilige Gottesgebärerin zu sein, bleibt auf diese Weise durch die Kirche in jenem Geheimnis zugegen als „die Frau“, die vom Buch der Genesis (3,15) am Anfang und von der Offenbarung des Johannes (12,1) am Ende der Heilsgeschichte genannt wird. Nach dem ewigen Plan der Vorsehung soll sich die göttliche Mutterschaft Marias über die Kirche ausbreiten, wie es Aussagen der Tradition andeuten, wonach die Mutterschaft Marias über die Kirche der Abglanz und die Fortsetzung ihrer Mutterschaft über den Sohn Gottes ist.50 Schon die Stunde selbst, da die Kirche geboren wird und ganz offen vor die Welt tritt, läßt nach dem Konzil diese fortdauernde Mutterschaft Marias erkennen: „Da es aber Gott gefiel, das Sakrament des menschlichen Heils nicht eher feierlich zu verkünden, als bis er den verheißenen Heiligen Geist ausgegossen hatte, sehen wir die Apostel vor dem Pfingsttag,einmütig im Gebet verharren mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern1 (Apg 1,14) und Maria mit ihren Gebeten die Gabe des Geistes erflehen, der sie schon bei der Verkündigung überschattet hatte.“51 Es gibt also in der Gnadenordnung, die sich unter dem Wirken des Heiligen Geistes vollzieht, eine einzigartige Entsprechung zwischen dem Augenblick der Menschwerdung des Wortes und jenem der Geburt der Kirche. Die Person, die beide Momente vereinigt, ist Maria: Maria in Nazaret und Maria im Abendmahlssaal von Jerusalem. In beiden Fällen ist ihre zurückhaltende, aber wesentliche Gegenwart ein Hinweis auf den Weg der „Geburt durch den Heiligen Geist“. Die im Geheimnis Christi als Mutter gegenwärtig ist, wird so - durch den Willen des Sohnes und das Wirken des Heiligen Geistes - auch gegenwärtig im Geheimnis der Kirche. Auch in der Kirche bleibt sie mütterlich zugegen, wie die am Kreuz gesprochenen Worte anzeigen: „Frau, siehe, dein Sohn.“ -„Siehe, deine Mutter.“ 1295 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Teil Die Gottesmutter inmitten der pilgernden Kirche 1. Die Kirche, das Volk Gottes, in allen Völkern der Erde verwurzelt 25. „Die Kirche,schreitet zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg dahin‘52 und verkündet das Kreuz und den Tod des Herrn, bis er wiederkommt.“ (vgl. 1 Kor 11,26)53 „Wie aber schon das Israel dem Fleische nach auf seiner Wüstenwanderung Kirche Gottes genannt wird (2 Esr 13,1; vgl. Num 20,4; Dtn 23,1 ff.), so wird auch das neue Israel:.. Kirche Christi genannt (vgl. Mt 16,18). Er selbst hat sie ja mit seinem Blut erworben (vgl. Apg 20,28), mit seinem Geist erfüllt und mit geeigneten Mitteln sichtbarer und gesellschaftlicher Einheit ausgerüstet. Gott hat die Versammlung derer, die zu Christus als dem Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit und des Friedens gläubig aufschauen, zusammengerufen und als seine Kirche gestiftet, damit sie allen und jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden Einheit sei“.54 Das II. Vatikanische Konzil spricht von der Kirche auf dem Wege, wobei es eine Analogie mit dem Volk Israel des Alten Bundes auf seinem Weg durch die Wüste herstellt. Ein solcher Weg zeigt sich auch nach außen und wirdsichtbar in der Zeit und dem Raum, wo er sich geschichtlich verwirklicht. „Bestimmt zur Verbreitung über alle Länder, tritt sie (die Kirche) in die menschliche Geschichte ein und übersteigt doch zugleich Zeiten und Grenzen , der Volker.“55 Der wesentliche Charakter ihres Pilgerweges ist jedoch innerlich. Es handelt sich um eine Pilgerschaft im Glauben, in der „Kraft des auferstandenen Herrn“,56 um eine Pilgerschaft im' Heiligen Geist, der der Kirche als unsichtbarer Beistand (Paräkletos) gegeben ist (vgl. Joh 14,26; 15,26; 16,7): „Auf ihrem Weg durch Prüfungen und Bedrängnis wird die Kirche durch die Kraft der ihr vom Herrn verheißenen Gnade Gottes gestärkt, damit sie .. . unter der Wirksamkeit des Heiligen Geistes nicht aufhöre, sich selbst zu erneuern, bis sie durch das Kreuz zum Licht gelangt, das keinen Untergang kennt.“57 Auf diesem kirchlichen Pilgerweg durch Raum und Zeit und noch mehr in der Geschichte der Seelen ist Maria zugegen als diejenige, die „selig ist, weil sie geglaubt hat“, als diejenige, die „den Pilgerweg des Glaubens“ geht, indem sie wie kein anderer Mensch am Geheimnis Christi teilnimmt. Weiter sagt das Konzil, 1296 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN daß „Maria..da sie zuinnerst in die Heilsgeschichte eingegangen ist, gewissermaßen die größten Glaubensgeheimnisse in sich vereinigt und widerstrahlt“.58 Vor allen Gläubigen ist sie wie ein „Spiegel“, in dem sich „die Großtaten Gottes“ (Apg 2,11) in tiefster und reinster Weise widerspiegeln. 26. Die Kirche, von Christus auf den Aposteln erbaut, ist sich dieser Großtaten Gottes am Pfingsttag voll bewußt geworden, als die im Abendmahlssaal Versammelten „mit dem Heiligen Geist erfüllt wurden und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab“(Apg2,4). In diesem Augenblick beginnt auch jener Weg des Glaubens, die Pilgerschaft der Kirche durch die Geschichte der Menschen und der Völker. Man weiß, daß am Beginn dieses Weges Maria gegenwärtig ist, die wir mitten unter den Aposteln im Abendmahlssaal „mit ihren Gebeten die Gabe des Geistes erflehen“ sehen.59 Ihr Glaubensweg ist in einem gewissen Sinne länger. Der Heilige Geist ist bereits auf sie herabgekommen, die bei der Verkündigung seine treue Braut geworden ist, indem sie das ewige Wort des wahren Gottes aufnahm und sich dem offenbarenden Gott mit Verstand und Willen voll unterwarf und seiner Offenbarung willig zustimmte, ja, sich im „Gehorsam des Glaubens“ganz und gar Gott überließ60 und dämm dem Engel antwortete: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ Der Glaubensweg Marias, die wir betend im Abendmahlssaal sehen, ist also länger als der Weg der dort Versammelten: Maria geht ihnen „voraus“ und auch „voran“.61 Der Pfingsttag in Jemsa-lem ist, außer durch das Kreuz, auch durch den Augenblick der Verkündigung in Nazaret vorbereitet worden.Im Abendmahlssaal trifft sich der Weg Marias mit dem Glaubensweg der Kirche. In welcher Weise? . Unter denen, die im Abendmahlssaal im Gebet verharrten und sich darauf vorbereiteten, „in die ganze Welt“zu ziehen, nachdem sie den Heiligen Geist empfingen, waren einige nach und nach durch Jesus vom Anfang seiner Sendung in Israel an bemfen worden. Elf von ihnen waren als Apostel eingesetzeworden, und ihnen hatte Jesus die Sendung übergeben, die er selbst vom Vater erhalten hatte: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (/oft 20,21), so hatte er den Aposteln nach der Auferstehung gesagt. Vierzig Tage später, vor seiner Rückkehr zum Vater, hatte er hinzugefügt: Wenn „die Kraft des Heiligen Geistes ... auf euch herabkommen wird,... werdet ihr meine Zeugen sein... bis an die Grenzen der Erde“ (vgl. Apg 1,8). Diese Sendung der Apostel beginnt mit dem Augenblick, da sie den Abendmahlssaal in Jerusalem verlassen. Die Kirche wird geboren und wächst nun durch das Zeugnis, das Petrus und die anderen Apostel von Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, able-gen (vgl. Apg 2,31-34; 3,15-18; 4,10-12; 5,30-32). 1297 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Maria hat nicht diese apostolische Sendung direkt empfangen. Sie befand sich nicht unter denen, die Jesus, als er ihnen jene Sendung verlieh, in die ganze Welt sandte, um alle Menschen zu seinen Jüngern zu machen (vgl. Mt 28,19). Sie war jedoch im Abendmahlssaal, wo sich die Apostel darauf vorbereiteten, diese Sendung mit dem Kommen des Geistes der Wahrheit zu übernehmen: Dort war sie bei ihnen. In ihrer Mitte war sie „beharrlich im Gebet“ als die „Mutter Jesu“ (Apg 1,13-14), das heißt als Mutter des gekreuzigten und auferstandenen Christus. Und jener erste Kern derer, die im Glauben „auf Jesus, den Urheber des Heils“62 schauten, war sich bewußt, daß Jesus der Sohn Marias war und sie seine Mutter und daß sie so vom Augenblick der Empfängnis und Geburt an eine besondere Zeugin des Geheimnisses Jesu war, jenes Geheimnisses, das sich vor ihren Augen in Kreuz und Auferstehung ausgeprägt und bestätigt hatte. Die Kirche „schaute“ also vom ersten Augenblick an auf Maria von Jesus her, wie sie auf Jesus von Maria her „schaute“. Diese wurde für die Kirche von damals und für immer eine einzigartige Zeugin der Kindheitsjahre Jesu und seines verborgenen Lebens in Nazaret, da sie „alles bewahrte, was geschehen war, und in ihrem Herzen darüber nachdachte“ (Lk 2,19; vgl. v. 51). Aber in der Kirche von damals und immer war und ist Maria vor allem jene, die „selig ist, weil sie geglaubt hat“: Als erste hat sie geglaubt. Vom Augenblick der Verkündigung und der Empfängnis an, seit der Stunde der Geburt im Stall von Betlehem folgte Maria Jesus Schritt für Schritt auf ihrer mütterlichen Pilgerschaft des Glaubens. Sie folgte ihm all die Jahre seines verborgenen Lebens in Nazaret, sie folgte ihm auch in der Zeit der äußeren Trennung, als er inmitten von Israel „zu handeln und zu lehren“ begann (vgl. Apg 1,1), sie folgte ihm vor allem in der tragischen Erfahrung von Golgota. Jetzt, da Maria am Beginn der Kirche mit den Aposteln im Abendmahlssaal von Jerusalem weilte, fand ihr Glaube, der aus den Worten der Verkündigung geboren war, seine Bestätigung. Der Engel hatte ihr damals gesagt: „Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und... über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben.“ Die gerade zurückliegenden Ereignisse von Kalvaria hatten diese Verheißung ins Dunkel gehüllt; und doch ist auch unter dem Kreuz der Glaube Marias nicht erloschen. Sie war dort immer noch jene, die (wie Abraham) „gegen alle Hoffnung voll Hoffnung“geglaubt hat (Röm 4,18). Und siehe, nach der Auferstehung hatte die Hoffnung ihr wahres Antlitz enthüllt, und die Verheißung hatte begonnen, Wirklichkeit zu werden. Tatsächlich hatte Jesus ja, ehe er zum Vater zurückkehrte, den Aposteln gesagt: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern Seid gewiß! Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (vgl. Mt 28,19.20). So hatte derjenige gesprochen, 1298 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der sich durch seine Auferstehung als Sieger über den Tod erwiesen hatte, als Herrscher des Reiches, das nach der Ankündigung des Engels „kein Ende haben wird“. 27. Jetzt, an den Anfängen der Kirche, am Beginn ihres langen Weges im Glauben, der mit dem Pfmgstereignis in Jerusalem anfing, war Maria mit allen zusammen, die den Keim des „neuen Israels“ bildeten. Sie war mitten unter ihnen als außerordenliche Zeugin des Geheimnisses Christi. Und die Kirche verharrte zusammen mit ihr im Gebet und „betrachtete .^“zugleich „im Licht des ewigen Wortes, das Mensch geworden war“. So sollte es immer sein. Wenn die Kirche stets tiefer„in das erhabene Geheimnis der Menschwerdung eindringt“, denkt sie ja dabei in tiefer Verehrung und Frömmigkeit auch an die Mutter Christi.63 Maria gehört untrennbar zum Geheimnis Christi, und so gehört sie auch zum Geheimnis der Kirche von Anfang an, seit dem Tag von deren Geburt. Zur Grundlage all dessen, was die Kirche von Anfang an ist und was sie von Generation zu Generation inmitten aller Nationen der Erde unaufhörlich werden muß, gehört diejenige, die „geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ (Lk 1,45). Gerade dieser Glaube Marias, der den Beginn des neuen und ewigen Bundes Gottes mit der Menschheit in Jesus Christus anzeigt, dieser heroische Glaube „geht“ dem apostolischen Zeugnis der Kirche „voran“ und bleibt im Herzen der Kirche zugegen, verborgen als ein besonderes Erbe der Offenbarung Gottes. Alle, die von Generation zu Generation das apostolische Zeugnis der Kirche annehmen, haben an diesem geheimnisvollen Erbe Anteil und nehmen gewissermaßen teil am Glauben Marias. Auch im Pfmgstereignis bleiben die Worte Elisabets „Selig, die geglaubt hat“ mit Maria verbunden; sie folgen ihr durch alle Zeiten überall dorthin, wo sich durch das apostolische Zeugnis und den Dienst der Kirche die Kenntnis vom Heilsgeheimnis Christi ausbreitet. Auf diese Weise erfüllt sich die Verheißung des Magnifikats: „Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig“ {Lk 1,48-49). Die Erkenntnis des Geheimnisses Christi führt ja zur Lobpreisung seiner Mutter in der Form einer besonderen Verehrung für die Gottesgebärerin. In dieser Verehrung ist aber immer der Lobpreis ihres Glaubens eingeschlossen, weil die Jungfrau von Nazaret nach den Worten Elisabets vor allem durch diesen Glauben selig geworden ist. Alle, die unter den verschiedenen Völkern und Nationen der Erde die Generationen hindurch das Geheimnis Christi, des menschgewordenen Wortes und Erlösers der Welt, gläubig aufnehmen, wenden sich nicht nur mit Verehrung an Maria und gehen vertrauensvoll zu ihr wie zu einer Mutter, sondern suchen auch in ihrem Glauben Kraft für den eigenen Glauben. Und gerade diese lebendige Teilnahme am Glauben Marias entscheidet über 1299 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ihre besondere Gegenwart bei der Pilgerschaft der Kirche als neuen Gottesvolks auf der ganzen Erde. 28. Das Konzil sagt hierzu: „Maria... (ist) zuinnerst in die Heilgeschichte eingegangen Daher ruft ihre Verkündigung und Verehrung die Gläubigen hin zu ihrem Sohn und seinem Opfer und zur Liebe des Vaters.“64 Deshalb wird in gewisserWeise der Glaube Marias auf der Grundlage des apostolischen Zeugnisses der Kirche unaufhörlich zum Glauben des Gottesvolkes auf seinem Pilgerweg: zum Glauben der Personen und Gemeinden, der Kreise und Gemeinschaften sowie der verschiedenen Gruppen, die es in der Kirche gibt. Es ist ein Glaube, der mit Verstand und Herz zugleich vermittelt wird; man findet ihn oder erlangt ihn wieder stets durch das Gebet. „Daher blickt die Kirche auch in ihrem apostolischen Wirken mit Recht zu ihr auf, die Christus geboren hat, der dazu vom Heiligen Geist empfangen und von der Jungfrau geboren wurde, daß er durch die Kirche auch in. den Herzen der Gläubigen geboren werde und wachse.‘6S Heute, da wir uns auf dieser Pilgerschaft des Glaubens dem Ende des zweiten christlichen Jahrtausends nähern, erinnert die Kirche durch die Lehre des II. Vatikanischen Konzils daran, wie sie sich selber sieht, als „dieses eine Gottesvolk“, das „in allen Völkern der Erde wohnt“; sie erinnert an die Wahrheit, nach der alle Gläubigen, auch wenn sie „über den Erdkreis hin verstreut (sind), mit den übrigen im Heiligen Geiste in Gemeinschaft stehen“,66 so daß man sagen kann, daß sich in dieser Einheit das Pfingstgeheimnis ständig verwirklicht. Zugleich bleiben die Apostel und die Jünger des Herrn unter allen Völkern der Erde „beharrlich im Gebet zusammen mit Maria, der Mutter Jesu“(yg\.Apgl,\A). Indem sie von Generation zu Generation das Zeichen des Reiches bilden, das nicht von dieser Welt ist,67 sind sie sich auch bewußt, daß sie sich inmitten dieser Welt um jenen König sammeln müssen, dem die Völker zum Erbe gegeben sind (ft 2,8), dem Gott Vater„den Thron seines Vaters David“gegeben.hat,so daß er „über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft kein Ende haben wird“. Mit diesem Glauben, der sie besonders vom Augenblick der Verkündigung an selig gemacht hat, ist Maria in dieser Zeit der Erwartung zugegen in der Sendung der Kirche, zugegen im Wirken der Kirche, die das Reich ihres Sohnes in die Welt einfühn.6S Diese Gegenwart Marias findet heute wie in der ganzen Geschichte der Kirche vielfältige Ausdrucksweisen. Sie hat auch einen vielseitigen Wirkungsbereich: durch den Glauben und die Frömmigkeit der einzelnen Gläubigen, durch die Traditionen der christlichen Familien oder der „Hauskirchen“ der Pfarr- und Missionsgemeinden, der Ordensgemeinschaften, der Diözesen, durch die werbende und ausstrahlende Kraft der großen Heiligtümer, in 1300 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN denen nicht nur einzelne oder örtliche Gruppen, sondern bisweilen ganze Nationen und Kontinente die Begegnung mit der Mutter des Herrn suchen, mit derjenigen, die selig ist, weil sie geglaubt hat, die die erste unter den Gläubigen ist und darum Mutter des Immanuel geworden ist. Das ist der Ruf der Erde Palästinas, der geistigen Heimat aller Christen, weil es die Heimat des Erlösers der Welt und seiner Mutter ist. Das ist der Ruf so vieler Kirchen, die der christliche Glaube in Rom und über die ganze Welt hin die Jahrhunderte hindurch errichtet hat. Das ist auch die Botschaft der Orte wie Guadalupe, Lourdes, Fatima und der anderen in den verschiedenen Ländern, unter denen auch, wie könnte ich nicht daran denken, jener Ort meiner Heimat ist, Jasna Gora. Man könnte von einer eigenen „Geographie“ des Glaubens und der marianischen Frömmigkeit sprechen, die alle diese Orte einer besonderen Pilgerschaft des Gottesvolkes umfaßt, das die Begegnung mit der Muttergottes sucht, um im Bereich der mütterlichen Gegenwart „derjenigen, die geglaubt hat“, den eigenen Glauben bestärkt zu finden. Im Glauben Marias hat sich ja schon bei der Verkündigung und dann endgültig unter dem Kreuz von seiten des Menschen jener innere Raum wieder geöffnet, in welchem der ewige Vater uns „mit allem geistlichen Segen“ erfüllen kann: der Raum „des neuen und ewigen Bundes“.69 Dieser Raum bleibt in der Kirche bestehen, die in Christus „gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ ist.70 Im Glauben, den Maria bei der Verkündigung als „Magd des Herrn“ bekannte und mit dem sie dem Gottesvolk auf seinem Pilgerweg ständig „vorangeht“, strebt die Kirche „unablässig danach, die ganze Menschheit... unter dem einen Haupt Christus zusammenzufassen in der Einheit seines Geistes“.71 2. Der Weg der Kirche und die Einheit aller Christen 29. „Der Geist erweckt in allen Jüngern Christi Sehnsucht und Taten,daß sich alle in der von Christus festgesetzten Weise in der einen Herde unter dem einen Hirten in Frieden vereinen.“11 Der Weg der Kirche ist vor allem in unserer Epoche vom Ökumenismus gekennzeichnet; die Christen suchen nach Wegen, um jene Einheit wieder herzustellen, die Christus am Tag vor seinem Leiden für seine Jünger vom Vater erbeten hat: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast“ (Joh 17,21). Die Einheit der Jünger Christi ist also ein großes Zeichen, um den Glauben der Welt zu wecken, während ihre Spaltung ein Ärgernis darstellt.73 1301 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die ökumenische Bewegung als klareres und weitverbreitetes Bewußtsein, daß es die Einheit aller Christen dringlich zu verwirklichen gilt, hat auf seiten der katholischen Kirche ihren höchsten Ausdruck im Werk des II. Vatikanischen Konzils gefunden: Die Christen sollen in sich selbst und in jeder ihrer Gemeinschaften jenen „Glaubensgehorsam“ vertiefen, für den Maria das erste und leuchtendste Beispiel ist. Und weil sie „dem pilgernden Gottesvolk als Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes voranleuchtet“, „bereitet es dieser Heiligen Synode große Freude und Trost, daß auch unter den getrennten Brüdern solche nicht fehlen, die der Mutter des Herrn und Erlösers die gebürende Ehre erweisen, und dies besonders bei den Orientalen“.74 30. Die Christen wissen, daß sie ihre Einheit nur dann wahrhaft wiederfmden, wenn sie diese auf die Einheit ihres Glaubens gründen. Sie haben dabei keine geringen Unterschiede in der Lehre vom Geheimnis und vom Dienstamt der Kirche sowie manchmal auch von der Aufgabe Marias im Heilswerk zu überwinden.75 Die verschiedenen Dialoge, die von der katholischen Kirche mit den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften im Abendland76 begonnen worden sind, konzentrieren sich immer mehr auf diese beiden untrennbar miteinander verbundenen Aspekte des einen Heilsgeheimnisses. Wenn das Geheimnis des menschgewordenen göttlichen Wortes uns auch das Geheimnis der Gottesmutterschaft erkennen läßt und die Betrachtung der Gottesmutter uns ihrerseits zu einem tieferen Verständnis des Geheimnisses der Inkarnation fuhrt, so muß man dasselbe vom Geheimnis der Kirche und von der Aufgabe Marias im Heilswerk sagen. Indem die Christen ein tieferes Verständnis des einen wie des anderen suchen und das eine durch das andere erhellen, werden sie, die darauf bedacht sind zu tun - wie ihre Mutter ihnen rät -, was Jesus ihnen sagt (vgl. Joh 2,5), gemeinsame Fortschritte machen können auf dieser „Pilgerschaft des Glaubens“, für die Maria selbst das bleibende Beispiel ist: Sie soll sie zur Einheit fuhren, wie sie von dem einen, allen gemeinsamen Herrn gewollt ist und von denjenigen heiß ersehnt wird, die aufmerksam auf das hören, „was der Geist heute den Kirchen sagt“ (vgl. Offb 2,7.11.17). Indessen ist es ein gutes Vorzeichen, daß diese Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in grundlegenden Punkten des christlichen Glaubens, auch was die Jungfrau Maria betrifft, mit der katholischen Kirche übereinstimmen. Sie erkennen sie ja als Mutter des Herrn an und sind davon überzeugt, daß dies zu unserem Glauben an Christus, den wahren Gott und wahren Menschen, gehört. Sie schauen auf sie, die zu Füßen des Kreuzes den Lieblingsjünger als ihren Sohn empfängt, der wiederum sie als Mutter erhält. Warum also nicht alle zusammen auf sie als unsere gemeinsame Mutter schauen, die für die Einheit der Gottesfamilie betet und die allen „vorangeht“ an der 1302 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Spitze des langen Zuges von Zeugen für den Glauben an den einen Herrn, der Sohn Gottes ist und durch den Heiligen Geist in ihrem jungfräulichen Schoß empfangen wurde? 31. Andererseits möchte ich unterstreichen, wie tief sich die katholische Kirche, die orthodoxe Kirche und die altorientalischen Kirchen in der Liebe und Verehrung für die Theotokos, die Gottesgebärerin, verbunden wissen. Nicht nur sind „die grundlegenden Dogmen des christlichen Glaubens von der Dreifaltigkeit und des aus der Jungfrau Maria menschgewordenen Wortes Gottes auf ökumenischen Konzilien, die im Orient stattfanden, definiert worden“77, sondern auch in ihrer Liturgie „preisen die Orientalen in herrlichen Hymnen Maria als die allzeit jungfräuliche ... und heilige Gottesmutter“.78 ; Die Brüder dieser Kirchen haben schwierige Epochen durchlebt; aber immer war ihre Geschichte von einem lebendigen Verlangen nach christlichem Einsatz und apostolischer Ausstrahlung durchdrungen, auch wenn oft sogar unter blutigen Verfolgungen. Es ist eine Geschichte der Treue zum Herrn, eine wahrhafte „Pügerschaft im Glauben“ durch Orte und Zeiten, während denen die orientalischen Christen immer mit grenzenlosem Vertrauen auf die Mutter des Herrn geschaut, sie mit Gesängen gefeiert und mit Gebeten unaufhörlich angerufen haben. In den schwierigen Augenblicken ihrer mühevollen christlichen Existenz „haben sie sich unter ihren Schutz geflüchtet“79, weil sie sich bewußt waren, in ihr eine mächtige Helferin zu haben. Die Kirchen, die sich zur Glaubenslehre von Ephesus bekennen, nennen die Jungfrau „wahre Mutter Gottes“; denn „unser Herr Jesus Christus, vom Vater vor aller Zeit in seiner Göttlichkeit geboren, ist als derselbe in den letzten Tagen für uns und zu unserem Heil von der Jungfrau Maria und Mutter Gottes in seiner Menschheit geboren worden“.80 Indem die griechischen Väter und die byzantinische Tradition die Jungfrau im Licht des menschgewordenen Wortes betrachteten, haben sie die Tiefe jenes geistigen Bandes zu durchdringen gesucht, das Maria als Muttergottes mit Christus und mit der Kirche verbindet: Die Jungfrau bleibt im gesamten Bereich des Heilsgeheimnisses stets gegenwärtig. Die koptischen und äthiopischen Traditionen sind durch den hl. Cyrill von Alexandrien in diese Betrachtungsweise des Geheimnisses Maria eingeführt worden und haben sie ihrerseits in reichen poetischen Werken gefeiert.81 Die dichterische Kunst des hl. Ephräm des Syrers, der „Zither des Heiligen Geistes“ genannt worden ist, hat unermüdlich Maria besungen und in der Tradition der syrischen Kirche eine noch heute vorhandene Spur hinterlassen.82 In seinem Lobgesang an die Theotokos vertieft der hl. Gregor von Narek, eine der berühmtesten Gestalten Armeniens, mit machtvoller poetischer Begabung die verschiedenen Aspekte des Geheimnisses der Inkarnation, und jeder von 1303 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ihnen ist ihm eine Gelegenheit, die außergewöhnliche Würde und herrliche Schönheit der Jungfrau Maria, der Mutter des menschgewordenen Wortes, zu besingen und zu preisen.83 Es verwundert darum nicht, daß Maria in der Liturgie der altorientalischen Kirchen mit einer unvergleichlichen Fülle von Festen und Hymnen einen bevorzugten Platz einnimmt. 32. In der byzantinischen Liturgie ist in allen Horen des Stundengebetes mit dem Lobpreis des Sohnes und mit dem Lobpreis, der durch den Sohn im Heiligen Geist zum Vater aufsteigt, auch der Lobpreis der Mutter verbunden. In der Anaphora, dem eucharistischen Hochgebet des heiligen Johannes Chrysosto-mus, besingt die versammelte Gemeinde gleich nach der Epiklese die Muttergottes mit folgenden Worten: „Wahrhaft recht ist es, dich, o Gottesgebärerin, seligzupreisen, die du die seligste und reinste Mutter unseres Gottes bist. Wir lobpreisen dich, die du an Ehre die Kerubim übertriffst, an Herrlichkeit die Serafim bei weitem überragst. Die du, ohne deine Jungfräulichkeit zu verlieren, das Wort Gottes zur Welt gebracht hast; die du wahrhaft Mutter Gottes bist.“ Diese Lobpreisungen, die sich in jeder Feier der eucharistischen Liturgie zu Maria erheben, haben den Glauben, die Frömmigkeit und das Gebetsleben der Gläubigen geformt. Im Laufe der Jahrhunderte haben sie ihre ganze geistliche Einstellung durchdrungen und in ihnen eine tiefe Verehrung für die „Hochheilige Mutter Gottes“ hervorgerufen. 33. In diesem Jahr werden es 1200 Jahre seit dem II. Ökumenischen Konzil von Nizäa (787), auf dem zur Beendigung der bekannten Auseinandersetzung über die Verehrung von religiösen Bildern definiert wurde, daß man nach der Lehre der Väter und der allgemeinen Tradition der Kirche zusammen mit dem heiligen Kreuz auch die Bilder der Muttergottes, der Engel und der Heiligen in den Kirchen sowie in den Häusern und an den Straßen den Gläubigen zur Verehrung anbieten dürfe.84 Dieser Brauch hat sich im ganzen Osten und auch im Westen erhalten: Die Bilder der Jungfrau Maria haben in den Kirchen und Häusern einen Ehrenplatz. Maria ist dort dargestellt als Thron Gottes, der den Herrn trägt und ihn den Menschen schenkt (Theotokos), oder als Weg, der zu Christus führt und auf ihn hinweist (Odigitria), oder als Betende in fürbittender Haltung und als Zeichen der Gegenwart Gottes auf dem Pilgerweg der Gläubigen bis zum Tag des Herrn (Deisis) oder als Schirmherrin, die ihren Mantel über die Völker breitet (Prokov), oder als barmherzige und mitfühlende Jungfrau (Eleousa). Gewöhnlich ist sie zusammen mit ihrem Sohn dargestellt, mit dem Jesuskind auf dem Arm: Die Beziehung zum Sohn verherrlicht ja die 1304 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Mutter. Zuweilen umarmt sie ihn liebevoll (Glykofllousa); manchmal scheint sie ernst und erhaben der Betrachtung dessen hingegeben, der der Herr der Geschichte ist (vgl. Offb 5,9-14).85 Es ist angebracht, auch an die Ikone der Madonna von Wladimir zu erinnern, die den Glaubensweg der Völker des alten Rus’ stets begleitet hat. Es nähert sich die Tausendjahrfeier der Bekehrung zum Christentum jener bedeutenden Gegenden: Land einfacher Leute, von Denkern und Heiligen. Die Ikonen werden noch heute unter verschiedenen Titeln in der Ukraine, in Weißrußland und in Rußland verehrt: Es sind Bilder, die den Glauben und den Gebetsgeist des einfachen Volkes bezeugen, das ein Gespür für die beschützende Gegenwart der Muttergottes hat. In ihnen leuchtet die Jungfrau auf als Abbild der göttlichen Schönheit, als Sitz der ewigen Weisheit, als Vorbild des betenden Menschen, als Urbild der Kontemplation, als Bild der Herrlichkeit: diejenige, die seit ihrem irdischen Leben ein geistliches Wissen besaß, das menschlichem Denken unzugänglich ist, und die durch den Glauben eine noch tiefere Erkenntnis erlangt hat. Ferner erinnere ich an die Ikone von der Jungfrau im Abendmahlssaal, mit den Aposteln im Gebet versammelt in Erwartung des Heiligen Geistes: Könnte sie nicht gleichsam das Zeichen der Hoffnung für all diejenigen werden, die in brüderlichem Dialog ihren Glaubensgehorsäm vertiefen möchten? 34. Ein solcher Reichtum an Lobpreis, wie er von den verschiedenen Formen der großen Tradition der Kirche angesammelt worden ist, könnte uns dazu verhelfen, daß diese wieder ganz mit zwei Lungen atmet: mit Orient und Okzident. Wie ich schon mehrmals betont habe, ist dies heute mehr denn je notwendig. Dies wäre eine echte Hilfe, um den Dialog, der zwischen der katholischen Kirche und den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften des Abendlandes im Gange ist, voranzubringen.86 Es wäre für die pilgernde Kirche auch der Weg, ihr Magnifikat vollkommener zu singen und zu leben. 3. Das Magnifikat der Kirche auf ihrem Pilgerweg 35. In der gegenwärtigen Phase ihres Pilgerweges sucht die Kirche die Einheit derer wiederzufinden, die sich in ihrem Glauben zu Christus bekennen, jene Einheit, die im Laufe der Jahrhunderte verlorengegangen ist, um sich so ihrem Herrn gegenüber gehorsam zu erweisen, der vor seinem Leiden für diese Einheit gebetet hat. Indessen „schreitet die Kirche ... auf ihrem Pilgerweg voran und verkündet das Kreuz und den Tod des Herrn, bis er wiederkommt“.87 „Auf ihrem Weg durch Prüfungen und Trübsal wird die Kirche durch die Kraft der ihr 1305 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN vom Herrn verheißenen Gnade Gottes gestärkt, damit sie in der Schwachheit des Fleisches nicht abfalle von der vollkommenen Treue, sondern die würdige Braut ihres Herrn verbleibe und unter der Wirksamkeit des Heiligen Geistes nicht aufhöre, sich selbst zu erneuern, bis sie durch das Kreuz zum Lichte gelangt, das keinen Untergang kennt.“88 Die Jungfrau und Mutter ist auf diesem Weg des Volkes Gottes im Glauben zum Licht stets gegenwärtig. Das zeigt in einer besonderen Weise der Lobgesang des Magnifikat, der, aus der Tiefe des Glaubens Marias auf ihrem Besuch bei Elisabet entspmngen, unaufhörlich im Herzen der Kirche die Jahrhunderte hindurch widerhallt. Das beweist seine tägliche Wiederholung in der Vesperliturgie und in so vielen anderen Momenten perönlicher wie gemeinschaftlicher Frömmigkeit. „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig. Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten. Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt ermit seinen Gaben und läßt die Reichen leer ausgehen. Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unsern Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig“ (.Lk 1,46-55) 36. Als Elisabet ihre junge Verwandte begrüßte, die von Nazaret zu ihr kam, antwortete Maria mit dem Magnifikat. In ihrer Begrüßung hatte Elisabet zuvor Maria seliggepriesen: wegen der „Frucht ihres Leibes“ und dann wegen ihres Glaubens (vgl. Lk 1,42.45). Diese zwei Seligpreisungen bezogen sich unmittelbar auf den Augenblick der Verkündigung. Jetzt, bei diesem Besuch, als der Gruß Elisabets auf diesen alles überragenden Augenblick hinweist, wird sich Maria ihres Glaubens in einer neuen Weise bewußt und gibt ihm einen neuen Ausdruck. Was bei der Verkündigung in der Tiefe des „Gehorsams des Glau- 1306 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN bens“ verborgen blieb, bricht jetzt gleichsam hervor wie eine helle, belebende Flamme des Geistes. Die Worte, die Maria an der Schwelle zum Haus Elisabets benutzt, stellen ein geistgewirktes Bekenntnis dieses ihres Glaubens dar, bei dem sich ihre Antwort auf die vernommene Offenbarung in einer frommen und poetischen Erhebung ihres ganzen Seins zu Gott ausdrückt. Ihre erlesenen Worte, die so einfach und zugleich ganz durch die heiligen Texte Israels inspiriert sind,89 zeigen die tiefe persönliche Erfahrung Marias, den Jubel ihres Herzens. In ihnen leuchtet ein Strahl des Geheimnisses Gottes auf, der Glanz seiner unsagbaren Heiligkeit, seine ewige Liebe, die als ein unwiderrufliches Geschenk in die Geschichte des Menschen eintritt. Maria ist die erste, die an dieser neuen göttlichen Offenbarung und der darin liegenden neuen „Selbstmitteilung“ Gottes teilhat. Darum ruft sie aus: „Großes hat der Mächtige an mir getan, und heilig ist sein Name.“Ihre Worte geben die Freude ihres Geistes wieder, die nur schwer auszudrücken ist: „Mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.“ Denn „die Tiefe der durch diese Offenbarung über Gott und über das Heil des Menschen erschlossenen Wahrheit leuchtet uns auf in Christus, der zugleich der Mittler und die Fülle der ganzen Offenbarung ist“.90 Im Jubel ihres Herzens bekennt Maria, Einlaß gefunden zu haben in die innerste Mitte dieser Fülle Christi. Sie ist sich bewußt, daß sich an ihr die Verheißung erfüllt, die an die Väter und vor allem an „Abraham und seine Nachkommen auf ewig“ ergangen ist; daß also auf sie als die Mutter Christi der gesamte Heilsplan hingeordnet ist, in dem sich „von Geschlecht zu Geschlecht“ derjenige offenbart, der als Gott des Bundes „an sein Erbarmen denkt“. 37. Die Kirche, die von Anfang an ihren irdischen Weg ähnlich wie die Mutter Gottes geht, spricht nach ihrem Beispiel immer wieder neu die Worte des Magnifikat. Aus dem tiefen Glauben der Jungfrau bei der Verkündigung des Engels und während des Besuches bei Elisabet schöpft die Kirche die Wahrheit über den Gott des Bundes: über Gott, der allmächtig ist und „Großes“ am Menschen tut; denn „heilig ist sein Name“. Im Magnifikat erkennt sie, daß die Sünde, die am Anfang derirdischen Geschichte des Mannes und der Frau steht, die Sünde der Ungläubigkeit, der „Kleingläubigkeit“ gegenüber Gott, an der Wurzel besiegt ist. Gegen den Verdacht, den der „Vater der Lüge“ im Herzen Evas, der ersten Frau, hat aufkeimen lassen, verkündet Maria, von derTradition oft „neue Eva“91 und wahre „Mutter der Lebenden“92 genannt, kraftvoll die leuchtende Wahrheit über Gott: über den heiligen und allmächtigen Gott, der von Anfang an die Quelle jeder Gnadengabe ist, der „Großes“ getan hat. Allem, was ist, schenkt Gott das Dasein im Schöpfungsakt. Indem er den Menschen erschafft, verleiht er ihm die Würde, sein Bild und Gleichnis zu sein, und dies auf besondere Weise im Vergleich zu allen anderen Kreaturen der Erde. Und 1307 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN trotz der Sünde des Menschen läßt sich Gott in seiner Bereitschaft, zu schenken, nicht aufhalten; er schenkt sich in seinem Sohn: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab“ (Joh 3,16). Maria bezeugt als erste diese wundervolle Wahrheit, die sich voll verwirklichen wird in den Taten und Worten (vgl. Apg 1,1) ihres Sohnes und endgültig in seinem Kreuz und seiner Auferstehung. Die Kirche, die auch in „Prüfungen und Bedrängnissen“ unablässig mit Maria die Worte des Magnifikat wiederholt, wird durch die machtvolle Wahrheit über Gott gestärkt, wie sie damals in einer so außerordentlichen Schlichtheit verkündet worden ist, und möchte zugleich mit dieser Wahrheit über Gott die schwierigen und manchmal veschlungenen Wege der irdischen Existenz der Menschen erhellen. Der Pilgerweg der Kirche gegen Ende des zweiten christlichen Jahrtausends enthält einen neuen Sendungsauftrag. Die Kirche, die demjenigen folgt, der von sich gesagt hat: „Der Herr... hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe“ (vgl. Lk 4,18), hat von Generation zu Generation dieselbe Sendung zu verwirklichen gesucht und tut dies auch heute. Ihre vorrangige Liebe zu den Armen ist im Magnifikat Marias eindrucksvoll enthalten. Der Gott des Bundes, im Jubel des Herzens der Jungfrau von Nazaret besungen, ist zugleich derjenige, der „die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht“, der „die Hungernden mit seinen Gaben beschenkt und die Reichen leer ausgehen läßt“, der „die Hochmütigen zerstreut“ und „sich über alle erbarmt, die ihn fürchten“. Maria ist tief durchdrungen vom Geist der „Armen Jahwes“, die im Gebet der Psalmen ihr Heil von Gott erwarteten, in den sie ihre Hoffnung setzten (vgl. Ps 25; 31; 35; 55). Sie verkündet ja die Ankunft des Heilsgeheimnisses, das Kommen des „Messias der Armen“ (vgl. Jes 11,4; 61,1). Indem die Kirche aus dem Herzen Marias schöpft, aus ihrem tiefen Glauben, wie er in den Worten des Magnifikat zum Ausdruck kommt, wird sich die Kirche immer wieder neu und besser bewußt, daß man die Wahrheit über Gott, der rettet, über Gott, die Quelle jeglicher Gabe, nicht von der Bekundung seiner vonangigen Liebe für die Armen und Niedrigen trennen kann, wie sie, bereits im Magnifikat besungen, dann in den Worten und Taten Jesu ihren Ausdruck findet. Die Kirche ist sich also nicht nur bewußt - und in unserer Zeit verstärkt sich dieses Bewußtsein in einer ganz besonderen Weise -, daß sich diese zwei schon im Magnifikat enthaltenen Elemente nicht voneinander trennen lassen, sondern auch, daß sie die Bedeutung, die die „Armen“ und die „Option zugunsten der Armen“ im Wort des lebendigen Gottes haben, sorgfältig sicherstellen muß. Es handelt sich hierbei um Themen und Probleme, die eng verbunden sind mit dem christlichen Sinn von Freiheit und Befreiung. „Ganz von Gott abhängig und durch ihren Glauben ganz auf ihn hingeordnet, ist Maria an der Seite ihres Soh- 1308 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nes das vollkommenste Bild der Freiheit und der Befreiung der Menschheit und des Kosmos. Auf Maria muß die Kirche, deren Mutter und Vorbild sie ist, schauen, um den Sinn ihrer eigenen Sendung in vollem Umfang zu verstehen.“93 1309 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3. Teil Mütterliche Vermittlung 1. Maria, Magd des Herrn 38. Die Kirche weiß und lehrt mit dem hl. Paulus, daß nur einer unser Mittler ist: „Einer ist Gott, einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus, der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle“ (1 Tim 2,5-6). „Marias mütterliche Aufgabe gegenüber den Menschen verdunkelt oder mindert diese einzige Mittlerschaft Christi in keiner Weise, sondern zeigt ihre Wirkkraft“:94 Sie ist Mittlerschaft in Christus. Die Kirche weiß und lehrt, daß Jeglicher heilsame Einfluß der seligen Jungfrau auf die Menschen... aus dem Wohlgefallen Gottes kommt und aus dem Überfluß der Verdienste Christi hervorgeht, sich auf seine Mittlerschaft stützt, von ihr vollständig abhängt und aus ihr seine ganze Wirkkraft schöpft; in keiner Weise behindert er die unmittelbare Verbundenheit der Gläubigen mit Christus, sondern fördert sie sogar“.95 Dieser heilsame Einfluß ist vom Eieiligen Geist getragen, der ebenso, wie er die Jungfrau Maria mit seiner Kraft überschattete und in ihr die göttliche Mutterschaft beginnen ließ, sie fortwährend in ihrer Sorge für die Brüder ihres Sohnes bestärkt. Die Mittlerschaft Marias ist ja eng mit ihrer Mutterschaft verbunden und besitzt einen ausgeprägt mütterlichen Charakter, der sie von der Mittlerschaft der anderen Geschöpfe unterscheidet, die auf verschiedene, stets untergeordnete Weise an der einzigen Mittlerschaft Christi teilhaben, obgleich auch Marias Mittlerschaft eine teilhabende ist.96 Wenn „nämlich keine Kreatur mit dem menschgewordenen Wort und Erlöser jemals verglichen werden kann“, „so schließt (doch) die Einzigkeit der Mittlerschaft des Erlösers im geschöpflichen Bereich ein verschiedenartiges Zusammenwirken durch Teilhabe an der einzigen Quelle nicht aus, sondern regt es sogar an“. So „wird die Güte Gottes in verschiedener Weise wahrhaft auf die Geschöpfe ausgegossen“.97 Die Lehre des II. Vatikanischen Konzils stellt die Wahrheit von der Mittlerschaft Marias dar als Teilhabe an dieser einzigen Quelle der Mittlerschaft Christi selbst. So lesen wir dort: „Eine solche untergeordnete Aufgabe Marias zu bekennen zögert die Kirche nicht, sie erfährt sie ständig und legt sie den Gläubigen ans Herz, damit sie unter diesem mütterlichen Schutz dem Mittler und Erlöser inniger verbunden seien.“98 Diese Aufgabe ist zugleich besonders und außerordentlich. Sie entspringt aus ihrer göttlichen Mutterschaft und kann nur 1310 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN dann im Glauben verstanden und gelebt werden, wenn man die volle Wahrheit über diese Mutterschaft zugrundelegt. Indem Maria kraft göttlicher Erwählung die Mutter des dem Vater wesensgleichen Sohnes ist, „ist sie (auch) uns in der Ordnung der Gnade Mutter geworden“.99 Diese Aufgabe ist eine konkrete Weise ihrer Gegenwart im Heilsgeheimnis Christi und der Kirche. 39. Unter diesem Gesichtspunkt müssen wir noch einmal das grundlegende Ereignis in der Heilsordnung, nämlich die Menschwerdung des Wortes bei der Verkündigung, betrachten. Es ist bedeutungsvoll, daß Maria, als sie im Wort des Gottesboten den Willen des Höchsten erkennt und sich seiner Macht unterwirft, spricht: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Die erste Akt der Unterwerfung unter diese eine Mittlerschaft „zwischen Gott und den Menschen“, die Mittlerschaft Jesu Christi, ist die Annahme der Mutterschaft durch die Jungfrau von Nazaret. Maria stimmt der Wahl Gottes zu, um durch den Heiligen Geist die Mutter des Sohnes Gottes zu werden. Man kann sagen, daß diese ihre Zustimmung zur Mutterschaft vor allem eine Frucht ihrer vollen Hingabe an Gott in der Jungfräulichkeit ist. Maria hat die Erwählung zur Mutter des Sohnes Gottes angenommen, weil sie von bräutlicher Liebe geleitet war, die eine menschliche Person voll und ganz Gott „weiht“. Aus der Kraft dieser Liebe wollte Maria immer und in allem „gottgeweiht“ sein, indem sie jungfräulich lebte. Die Worte „Ich bin die Magd des Herrn“ bringen zum Ausdruck, daß sie von Anfang an ihre Mutterschaft angenommen und verstanden hat als die völlige Hingabe ihrer selbst, ihrer Person, für den Dienst an den Heilsplänen des Höchsten. Und ihre ganze mütterliche Teilnahme am Leben Jesu Christi, ihres Sohnes, hat sie bis zum Schluß in einer Weise vollzogen, wie sie ihrer Berufung zur Jungfräulichkeit entsprach. Die Mutterschaft Marias, die ganz von der bräutlichen Haltung einer „Magd des Herrn“ durchdrungen ist, stellt die erste und grundlegende Dimension jener Mittlerschaft dar, welche die Kirche von ihr bekennt und verkündet100 und die sie den Gläubigen fortwährend ans Herz legt, weil sie hierauf große Hoffnung setzt. Man muß ja bedenken, daß sich zuerst Gott selbst, der ewige Vater, der Jungfrau von Nazaret anvertraut hat, indem er ihr den eigenen Sohn im Geheimnis der Menschwerdung schenkte. Diese ihre Erwählung zur höchsten Aufgabe und Würde, dem Sohn Gottes Mutter zu sein, bezieht sich auf der Ebene des Seins auf die Wirklichkeit der Verbindung der zwei Naturen in der Person des ewigen Wortes (hypostatische Union). Diese grundlegende Tatsache, Mutter des Sohnes Gottes zu sein, bedeutet von Anfang an ein völliges Offensein für die Person Christi, für all sein Wirken, für seine ganze Sendung. Die Worte „Ich bin die Magd des Herrn“ bezeugen die geistige Offenheit Marias, die auf vollkommene Weise die der Jungfräulichkeit eigene Liebe und die cha- 1311 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN rakteristische Liebe der Mutterschaft in sich vereint, die so beide miteinander verbunden und gleichsam verschmolzen sind. Darum ist Maria nicht nur die „Mutter und Ernährerin“ des Menschensohnes geworden, sondern auch die „ganz einzigartige hochherzige Gefährtin“101 des Messias und Erlösers. Sie ging - wie schon gesagt - den Pilgerweg des Glaubens, und auf dieser ihrer Pilgerschaft bis unter das Kreuz hat sich zugleich ihre mütterliche Mitwirkung an der gesamten' Sendung des Heilandes mit ihren Taten und ihren Leiden vollzogen. Auf dem Weg dieser Mitwirkung beim Werk ihres Sohnes, des Erlösers, erfuhr die Mutterschaft Marias ihrerseits eine einzigartige Umwandlung, indem sie sich immer mehr mit einer „brennenden Liebe“ zu all denjenigen anfüllte, denen die Sendung Christi galt. Durch eine solche „brennende Liebe“, die darauf gerichtet war, zusammen mit Christus die „Wiederherstellung des übernatürlichen Lebens der Seelen“102 zu wirken, ist Maria auf ganz persönliche Weise in die alleinige Mittlerschaft zwischen Gott und den Menschen eingetreten, in die Mittlerschaft des Menschen Jesus Christus. Wenn sie selbst als erste die übernatürlichen Auswirkungen dieser alleinigen Mittlerschaft an sich erfahren hat - schon bei der Verkündigung war sie als „voll der Gnade“ begrüßt worden -, dann muß man sagen, daß sie durch diese Fülle an Gnade und übernatürlichem Leben in besonderer Weise für das Zusammenwirken mit Christus, dem einzigen Vermittler des Heils der Menschen, vorbereitet war. Und ein solches Mitwirken ist eben diese der Mittlerschaft Christi untergeordnete Mittlerschaft Marias. Bei Maria handelt es sich um eine spezielle und außerordentliche Mittlerschaft, die auf ihrer „Gnadenfülle“ beruht, die sich in eine volle Verfügbarkeit der „Magd des Herrn“ übertrug. Als Antwort auf diese innere Verfügbarkeit seiner Mutter bereitete Jesus Christus sie immer tiefer vor, den Menschen „Mutter in der Ordnung der Gnade“ zu werden. Darauf weisen wenigstens indirekt bestimmte Einzelangaben der Synoptiker (vgl. Lk 11,28; 8,20-21; A//c3,32-34; M 12,47-49) und mehr noch des Johannesevangeliums (vgl. 2,1-11; 19,25-27) hin, die ich bereits hervorgehoben habe. Die Worte, die Jesus am Kreuz zu Maria und Johannes gesprochen hat, sind in dieser Hinsicht besonders aufschlußreich. 40. Als Maria nach den Ereignissen von Auferstehung und Himmelfahrt mit den Aposteln in Erwartung des Pfingstfestes den Abendmahlssaal betrat, war sie dort zugegen als Mutter des verherrlichten Herrn. Sie war nicht nur diejenige, die „den Pilgerweg des Glaubens ging“und ihre Verbundenheit mit dem Sohn „bis zum Kreuz“ in Treue bewahrte, sondern auch die „Magd des Herrn “ die ihr Sohn als Mutter inmitten der soeben entstehenden Kirche zurückgelassen hatte: „Siehe, deine Mutter!“ So begann sich ein besonderes Band zwischen dieser Mutter und der Kirche zu bilden. Die entstehende Kirche war ja die Frucht des 1312 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kreuzes und der Auferstehung ihres Sohnes. Maria, die sich von Anfang an vorbehaltlos der Person und dem Werk des Sohnes zur Verfügung gestellt hatte, mußte diese ihre mütterliche Hingabe von Beginn an auch der Kirche zuwenden. Nach dem Weggehen des Sohnes besteht ihre Mutterschaft in der Kirche fort als mütterliche Vermittlung: Indem sie als Mutter für alle ihre Kinder eintritt, wirkt sie mit im Heilshandeln des Sohnes, des Erlösers der Welt. Das Konzil lehrt: „Diese Mutterschaft Marias in der Gnadenordnung dauert unaufhörlich fort.. .bis zur ewigen Vollendung aller Auserwählten.“103 Die mütterliche Mittlerschaft der Magd des Herrn hat mit dem Erlösertod ihres Sohnes eine universale Dimension erlangt, weil das Werk der Erlösung alle Menschen umfaßt. So zeigt sich auf besondere Weise die Wirksamkeit der einen und universalen Mittlerschaft Christi „zwischen Gott und den Menschen“. Die Mitwirkung Marias nimmt in ihrer untergeordneten Art teil am allumfassenden Charakter der Mittlerschaft des Erlösers, des einen Mittlers. Darauf weist das Konzil mit den soeben zitierten Worten deutlich hin. „In den Himmel aufgenommen“- so lesen wir dort weiter-„hat sie nämlich diesen heilbringenden Auftrag nicht aufgegeben, sondern fährt durch ihre vielfältige Fürbitte fort, uns die Gaben des ewigen Heils zu erwirken“.104 Mit diesem „fürbittenden“ Charakter, der sich zum erstenmal zu Kana in Galiläa gezeigt hat, setzt sich die Mittlerschaft Marias in der Geschichte der Kirche und der Welt fort. Wir lesen, daß Maria „in ihrer mütterlichen Liebe Sorge trägt für die Brüder ihres Sohnes, die noch auf der Pilgerschaft sind und in Gefahren und Bedrängnissen leben, bis sie zur seligen Heimat gelangen“.105 So dauert die Mutterschaft Marias in der Kirche unaufhörlich fort als Mittlerschaft der Fürbitte, und die Kirche bekundet ihren Glauben an diese Wahrheit, indem sie Maria „unter dem Titel der Fürsprecherin, der Helferin, des Beistandes und der Mittlerin“ anruft.106 41. Durch ihre Mittlerschaft, die jener des Erlösers untergeordnet ist, trägt Maria in besonderer Weise zur Verbundenheit derpilgenden Kirche auf Erden mit der eschatologischen und himmlischen Wirklichkeit der Gemeinschaft der Heiligen bei, da sie ja schon „in den Himmel aufgenommen“ worden ist.107 Die Wahrheit von der Aufnahme Marias, die von Pius XII. definiert wurde, ist vom II. Vatikanischen Konzil bekräftigt worden, das den Glauben der Kirche auf folgende Weise ausdrückt: „Schließlich wurde die unbefleckte Jungfrau, von jedem Makel der Erbsünde unversehrt bewahrt, nach Vollendung des irdischen Lebenslaufs mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen und als Königin des Alls vom Herrn erhöht, um vollkommener ihrem Sohn gleichgestaltet zu sein, dem Herrn der Herren (vgl. OJfb 19,16) und dem Sieger über Sünde und Tod.“108 Mit dieser Lehre hat Pius XII. an die Tradition angeknüpft, 1313 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN. die in der Geschichte der Kirche, sei es im Orient oder im Okzident, vielfältige Ausdrucksformen gefunden hat. Im Geheimnis ihrer Aufnahme in den Himmel haben sich an Maria alle Wirkungen der alleinigen Mittlerschaft Christi, des Erlösers der Welt und auferstandenen Herrn, auf endgültige Weise erfüllt: „Alle werden in Christus lebendig gemacht. Es gibt aber eine bestimmte Reihenfolge: Erster ist Christus; dann folgen, wenn Christus kommt, alle, die zu ihm gehören“ (1 Kor 15,22-23). Im Geheimnis der Aufnahme in den Himmel kommt der Glaube der Kirche zum. Ausdruck, nach dem Maria „durch ein enges und unauflösliches Band“ mit Christus verbunden ist.. Denn wenn die jungfräuliche Mutter in einzigartiger Weise mit ihm bei seinem ersten Kommen verbunden war, wird sie es durch ihr fortwährendes Mitwirken mit ihm auch in der Erwartung seiner zweiten Ankunft sein; „im Hinblick auf die Verdienste ihres Sohnes auf erhabenere Weise erlöst“,109 hat sie jene Aufgabe als Mutter und Mittlerin der Gnade auch bei seiner endgültigen Ankunft, wenn alle zum Leben erweckt werden, die Christus angehören, und „der letzte Feind, der entmachtet wird, der Tod ist“ (1 Kor 15,2 6).110 Mit dieser Erhöhung der „erhabenen Tochter Zion“111 durch ihre Aufnahme in den Himmel ist das Geheimnis ihrer ewigen Herrlichkeit verbunden. Die Mutter Christi ist nämlich als „Königin des Alls“112 verherrlicht worden. Diejenige, die sich bei der Verkündigung als „Magd des Herrn“ bezeichnet hat, ist bis zum Ende dem treu geblieben, was diese Bezeichnung zum Ausdruck bringt. Dadurch hat sie bekräftigt, daß sie eine wahre „Jüngerin“ Christi ist, der den Dienstcharakter seiner Sendung nachdrücklich unterstrichen hat: Der Menschensohn „ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mt 20,28). So ist auch Maria die erste unter denen geworden, die „Christus auch in den anderen dienen und ihre Brüder in Demut und Geduld zu dem König hinführen, dem zu dienen herrschen ist“,113 und hat jenen „Zustand königlicher Freiheit“, der den Jüngern Christi eigen ist, vollkommen besessen: Dienen bedeutet herrschen! „Christus ist gehorsam geworden bis zum Tod. Deshalb wurde er vom Vater erhöht (vgl. Phil 2,8-9) und ging in die Herrlichkeit seines Reiches ein. Ihm ist alles unterworfen, bis ersieh selbst und alles Geschaffene dem Vaterunterwirft, damit Gott alles in allem sei.“(vgl. 7Korl5,27-28)114 Maria, die Magd des Herrn, nimmt teil an dieser Herrschaft des Sohnes.115 Die Herrlichkeit des Dienens bleibt ihre königliche Würde: Nach ihrer Aufnahme in den Himmel endet nicht jener Heilsdienst, in dem sich ihre mütterliche Vermittlung „bis zur ewigen Vollendung aller Auserwählten“116 ausdrückt. So bleibt diejenige, die hier auf Erden „ihre Verbundenheit mit dem Sohn in Treue bis zum Kreuz bewahrte“, weiterhin dem verbunden, dem schon „alles unterworfen ist, bis er selbst sich 1314 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und alles Geschaffene dem Vater unterwirft“. So ist Maria bei ihrer Aufnahme in den Himmel gleichsam von der ganzen Wirklichkeit der Gemeinschaft der Heiligen umgeben, und ihre eigene Verbundenheit mit dem Sohn in der Herrlichkeit ist ganz aufjene endgültige Fülle des Reiches ausgerichtet, wenn „Gott alles in allem sein wird“. Auch in dieser Phase bleibt die mütterliche Mittlerschaft: Marias dem „untergeordnet“, der der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen ist bis zur endgültigen Verwirklichung „der Fülle derZeit“, bis daß alles in Christus vereint ist (vgl. Eph 1,10). 2. Maria im Leben der Kirche und jedes Christen 42. Das II. Vatikanische Konzil hat in enger Verbindung mit der Tradition neues Licht auf die Stellung der Mutter Christi im Leben der Kirche geworfen. „Die selige Jungfrau ist durch das Geschenk ... der göttlichen Mutterschaft, durch die sie mit ihrem Sohn und Erlöser vereint ist, und durch ihre einzigartigen Gnaden und Gaben auch mit der Kirche auf das innigste verbunden. Die Gottesmutter ist... der Typus der Kirche auf der Ebene des Glaubens, der Liebe und der vollkommenen Einheit mit Christus.“117 Schon früher haben wir gesehen, wie Maria von Anfang an in Erwartung des Pfingsttages mit den Aposteln zusammengeblieben ist und als die „Selige, die geglaubt hat“, von Generation zu Generation in der im Glauben pilgernden Kirche gegenwärtig ist, als Modell für die Hoffnung, die nicht enttäuscht (vgl. Rom 5,5). Maria „hat geglaubt, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“. Als Jungfrau hat sie geglaubt, daß „sie einen Sohn empfangen und gebären wird“: den „Heiligen“, dem der Name „Sohn Gottes“, der Name „Jesus“ (= Gott, der rettet) entspricht. Als Magd des Herrn blieb sie der Person und der Sendung dieses Sohnes vollkommen treu. Als Mutter „gebar sie im Glauben und Gehorsam den Sohn des Vaters auf Erden, und zwar ohne einen Mann zu erkennen, vom Heiligen Geist überschattet“.118 Aus diesem Grund wird Maria mit Recht „von der Kirche in einem Kult eigener Art geehrt. Schon seit ältesten Zeiten wird.. .(sie) unter dem Titel der „Gottesgebärerin“ verehrt, unter deren Schutz die Gläubigen in allen Gefahren und Nöten bittend Zuflucht nehmen“.119 Dieser Kult ist ganz eigener Art: Er beinhaltet und bekundet jene tiefe Verbindung, die zwischen der Mutter Christi und der Kirche besteht.120 Als Jungfrau und Mutter bleibt Maria für die Kirche „beständiges Vorbild“. Man kann also sagen, daß vor allem durch diesen Aspekt, das heißt als Vorbild oder vielmehr als „Typus“, Maria, die im Geheimnis Christi 1315 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zugegen ist, auch ständig im Geheimnis der Kirche gegenwärtig bleibt. Auch die Kirche wird ja „Mutter und Jungfrau“ genannt, und diese Namen haben eine tiefe biblische und theologische Berechtigung.121 43. Die Kirche „wird selbst Mutter... durch die gläubige Annahme des Wortes Gottes“.122 Wie Maria, die als erste geglaubt hat, indem sie das bei der Verkündigung ihr offenbarte Wort Gottes annahm und ihm in allen ihren Prüfungen bis zum Kreuz treu blieb, so wird die Kirche Mutter, wenn sie, indem sie in Treue das Wort Gottes aufnimmt, „durch Predigt und Taufe die vom Heiligen Geist empfangenen und aus Gott geborenen Kinder zum neuen und unsterblichen Leben gebiert“}22. Diese „mütterliche“ Eigenschaft der Kirche ist auf besonders lebhafte Weise vom Völkerapostel ausgedrückt worden, wenn er schreibt: „Meine Kinder, für die ich von neuem Geburtswehen erleide, bis Christus in euch Gestalt annimmt!“ (Gal 4,19). In diesem Wort des hl. Paulus ist ein interessanter Hinweis auf das mütterliche Bewußtsein der Urkirche enthalten, das mit ihrem apostolischen Dienst unter den Menschen verbunden ist. Dieses Bewußtsein erlaubte und erlaubt es der Kirche ständig, das Geheimnis ihres Lebens und ihrer Sendung nach dem Beispiel der Mutter des Sohnes zu verstehen, der „der Erstgeborene von vielen Brüdern“ ist (Röm 8,29). Die Kirche lernt sozusagen von Maria auch ihre eigene Mutterschaft. Sie erkennt die mütterliche Dimension ihrer Berufung, die mit ihrer sakramentalen Natur wesentlich verbunden ist, indem sie „ihre (Marias) erhabene Heiligkeit betrachtet und ihre Liebe nachahmt und den Willen des Vaters treu erfüllt“.124 Wenn die Kirche Zeichen und Werkzeug für die innige Vereinigung mit Gott ist, so ist sie dies aufgrund ihrer Mutterschaft: weil sie, vom Geist belebt, Söhne und Tochter der Menschheitsfamilie zu einem neuen Leben in Christus „gebiert“. Denn wie Maria im Dienst des Geheimnisses der Menschwerdung steht, so bleibt die Kirche im Dienst des Geheimnisses der Annahme an Kindes Statt durch die Gnade. Gleichzeitig bleibt die Kirche nach dem Beispiel Marias die ihrem Bräutigam treue Jungfrau: „Auch sie ist Jungfrau, da sie das Treuewort, das sie dem Bräutigam gegeben hat, unversehrt und rein bewahrt.“125 Die Kirche ist ja die Braut Christi, wie es sich aus den paulinischen Briefen (vgl. z. B. Eph 5,21-33; 2 Kor 11,2) und aus der Bezeichnung des Johannes: „die Frau des Lammes“ (Offb 21,9) ergibt. Wenn die Kirche als Braut „das Christus gegebene Treuewort bewahrt“, dann besitzt diese Treue, auch wenn sie in derUnterweisüng des Apostels zum Bild für die Ehe geworden ist (vgl. Eph 5,23-30), zugleich den Wert eines Typus für die Ganzhingabe an Gott in der Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“, das heißt für die gottgeweihte Jungfräulichkeit (vgl. Mt 19,11-12; 2 Kor 11,2). Gerade diese Jungfräulichkeit, nach dem Beispiel der Jungfrau von Nazaret, ist 1316 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Quelle einer besonderen geistigen Fruchtbarkeit: ist Quelle der Mutterschaft im Heiligen Geist. Aber die Kirche hütet auch den von Christus empfangenen Glauben: Nach dem Beispiel Marias, die alles bewahrte und in ihrem Herzen erwog (vgl. Lk2,19.51), was ihren göttlichen Sohn betraf, ist sie bemüht, das Wort Gottes zu bewahren, mit Unterscheidungsgabe und Umsicht seinen inneren Reichtum zu erforschen und davon in jeder Epoche allen Menschen in Treue Zeugnis zu geben.126 44. Aufgrund dieses Yorbildcharakters begegnet die Kirche Maria und sucht, ihr ähnlich zu werden: „In Nachahmung der Mutter ihres Herrn in der Kraft des Heiligen Geistes bewahrt sie jungfräulich einen unversehrten Glauben, eine feste Hoffnung und eine aufrichtige Liebe.“127 Maria ist also im Geheimnis der Kirche gegenwärtig als Vorbild. Aber das Geheimnis der Kirche besteht auch im Gebären zu einem neuen, unsterblichen Leben: Es ist ihre Mutterschaft im Heiligen Geist. Und hierbei ist Maria nicht nur Vorbild und Typus der Kirche, sondern weit mehr. Denn „in mütterlicher Liebe wirkt sie mit bei der Geburt und Erziehung der Söhne und Tochter der Mutter Kirche. Die Mutterschaft der Kirche verwirklicht sich nicht nur nach dem Vorbild und dem Typus der Mutter Gottes, sondern auch durch ihre „Mitwirkung“. Die Kirche schöpft in reichem Maße aus dieser Mitwirkung, das heißt aus dieser besonderen mütterlichen Vermittlung, da Maria schon auf Erden bei der Geburt und Erziehung der Söhne und Töchter der Kirche als Mutter jenes Sohnes mitgewirkt hat, „den Gott gesetzt hat zum Erstgeborenen unter vielen Brüdern“.128 In mütterlicher Liebe wirkte sie dabei mit, wie das II. Vatikanische Konzil lehrt.129 Hier erkennt man die wahre Bedeutung jener Worte, die Jesus in der Stunde des Kreuzes zu seiner Mutter gesagt hat: „Frau, siehe, dein Sohn“; und zum Jünger: „Siehe, deine Mutter“ (Joh 19,26-27). Es sind Worte, die die Stellung Marias im Leben der Jünger Christi bestimmen. Sie bringen - wie schon gesagt - die neue Mutterschaft der Mutter des Erlösers zum Ausdruck: die geistige Mutterschaft, die tief im österlichen Geheimnis des Erlösers der Welt entspringt. Es ist eine Mutterschaft in der Gnadenordnung, weil sie die Gabe des Heiligen Geistes erfleht, der die neuen, durch das Opfer Christi erlösten Kinder Gottes zum Leben erweckt: jenes Geistes, den zusammen mit der Kirche auch Maria am Pfmgsttag empfangen hat. Diese ihre Mutterschaft wird vom christlichen Volk in besondererWeise wahrgenommen und erlebt bei der heiligen Eucharistie, bei der liturgischen Feier des Erlösungsgeheimnisses, in der Christus mit seinem wahren, aus der Jungfrau Maria geborenen Leib gegenwärtig wird. 1317 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Zu Recht hat das christliche Volk in seinerFrömmigkeit immereine tiefe Verbindung zwischen der Verehrung der heiligen Jungfrau und dem Kult der Eucharistie gesehen: Dies ist eine Tatsache, die in der westlichen wie östlichen Liturgie, in der Tradition der Ordensgemeinschaften, in der Spiritualität heutiger religiöser Bewegungen, auch unter der Jugend, und in der Pastoral der marianischen Wallfahrtsorte ersichtlich ist. Maria führt die Gläubigen zur Eucharistie. 45. Es gehört zur Natur der Mutterschaft, daß sie sich auf eine Person bezieht. Sie fuhrt immer zu einer einzigartigen und unwiederholbaren Beziehung won zwei Personen: der Mutter zum Kind und des Kindes zur Mutter. Auch wenn ein und dieselbe Frau Mutter von vielen Kindern ist, kennzeichnet ihre persönliche Beziehung zu jedem einzelnen von ihnen wesentlich ihre Mutterschaft. Jedes Kind ist nämlich auf einmalige und unwiederholbare Weise gezeugt worden, und das gilt sowohl für die Mutter als auch für das Kind. Jedes Kind wird auf die nämliche Weise von jener mütterlichen Liebe umgeben, auf der seine menschliche Erziehung und Reifung gründen. Man kann sagen, daß „die Mutterschaft in der Ordnung der Gnade“ eine Ähnlichkeit bewahrt mit dem, was „in der Ordnung der Natur“ die Verbindung der Mutter mit ihrem Kind kennzeichnet. In diesem Licht wird es verständlicher, daß im Testament Christi auf Golgota die neue Mutterschaft seiner Mutter in der Einzahl, mit Bezug auf einen Menschen, ausgedrückt worden ist: „Siehe, dein Sohn.“ Man kann ferner sagen, daß in diesen Worten das Motiv für die marianische Dimension im Leben der Jünger Christi klar angegeben wird: nicht nur des Johannes, der zu jener Stunde zusammen mit der Mutter seines Meisters unter dem Kreuze stand, sondern jedes Jüngers Christi, jedes Christen. Der Erlöser vertraut seine Mutter dem Jünger an, und zugleich gibt er sie ihm zur Mutter. Die Mutterschaft Marias, die zum Erbe des Menschen wird, ist ein Geschenk, das Christus persönlich jedem Menschen macht. Wie der Erlöser Maria dem Johannes anvertraut, so vertraut er gleichzeitig den Johannes Maria an. Zu Füßen des Kreuzes hat jene besondere vertrauensvolle Hingabe des Menschen an die Mutter Christi ihren Anfang, die dann in der Geschichte der Kirche auf verschiedene Weise vollzogen und zum Ausdruck gebracht worden ist. Wenn der gleiche Apostel und Evangelist, nachdem er die von Jesus am Kreuz an die Mutter und an ihn selbst gerichteten Worte angeführt hat, noch hinzufügt: „Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich“ (Joh 19,27), will dies gewiß besagen, daß dem Jünger damit die Rolle eines Sohnes übertragen worden ist und er die Sorge für die Mutter des geliebten Meisters übernommen hat. Und weil Maria ihm persönlich zur Mutter gegeben worden ist, meine diese Aussage, wenn auch nur indirekt, all das, was die innerste Beziehung 1318 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN eines Kindes zu seiner Mutter ausdrückt. Dies alles kann man in dem Wort „Vertrauen“ zusammenfassen. Vertrauen ist die Antwort aufdie Liebe einer Person und im besonderen auf die Liebe der Mutter. Die marianische Dimension im Leben eines Jüngers Christi kommt in besonderer Weise durch ein solches kindliches Vertrauen zur Muttergottes zum Ausdruck, wie es im Testament des Erlösers auf Golgota seinen Ursprung hat. Indem der Christ sich wie der Apostel Johannes Maria kindlich anvertraut, nimmt er die Mutter Christi „bei sich“ auf130 und führt sie ein in den gesamten Bereich seines inneren Lebens, das heißt in sein menschliches und christliches „Ich“: „Ernahm sie zu sich.“Auf diese Weise sucht erin den Wirkungskreisjener „mütterlichen Liebe“zu gelangen, mit der die Mutter des Erlösers „Sorge für die Brüder ihres Sohnes trägt“,131 „bei deren Geburt und Erziehung sie mitwirkt“132 nach dem Maß der Gnadengabe, die jeder durch die Kraft des Geistes Christi besitzt. So entfaltet sich auch jene Mutterschaft nach dem Geist, die unter dem Kreuz und im Abendmahlssaal Marias Aufgabe geworden ist. 46. Diese kindliche Beziehung, dieses Sichanvertrauen eines Kindes an die Mutter, hat nicht nur in Christus ihren Anfang, sondern man kann sagen, daß sie im letzten auf ihn hingeordnet ist. Man kann sagen, daß Maria fortfährt, für uns alle dieselben Worte zu wiederholen, die sie zu Kana in Galiläa gesprochen hat: „Was er euch sagt, das tut!“ Denn er, Christus, ist der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen; er ist „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6); er ist deqenige, den der Vater der Welt gegeben hat, auf daß der Mensch „nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Die Jungfrau von Nazaret ist die erste „Zeugin“ dieser Erlöserliebe des Vaters geworden und möchte auch immer und überall seine demütige Magd bleiben. Für jeden Christen, jeden Menschen ist Maria diejenige, die als erste „geglaubt hat“; mit diesem ihrem Glauben als Jungfrau und Mutterwill sie auf alle jene einwirken, die sich ihr als Kinder anvertrauen. Es ist bekannt, j e mehr diese Kinder in einer solchen Haltung verharren und darin fortschreiten, desto näher führt sie Maria zu den „unergründlichen Reichtümem Christi“ (Eph 3,8). Und ebenso erkennen sie immer besser die Würde des Menschen und den letzten Sinn seiner Berufung in ihrer ganzen Fülle, weil Christus „dem Menschen den Menschen selbst voll kundmacht“.133 Diese marianische Dimension im christlichen Leben erhält einen eigenen Akzent im Blick auf die Frau und ihre Lebenslage. In der Tat enthält das Wesen der Frau ein besonderes Band zur Mutter des Erlösers, ein Thema, das an anderer Stelle noch wird vertieft werden können. Hier möchte ich nur hervorheben, daß die Gestalt Marias von Nazaret schon allein dadurch die Frau als solche ins Licht stellt, daß sich Gott im erhabenen Geschehen der Menschwerdung seines 1319 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Sohnes dem freien und tätigen Dienst einer Frau anvertraut hat. Man kann daher sagen, daß die Frau durch den Blick auf Maria dort das Geheimnis entdeckt, wie sie ihr Frausein würdig leben und ihre wahre Erhaltung bewirken kann. Im Licht Marias erblickt die Kirche auf dem Antlitz der Frau den Glanz einer Schönheit, die die höchsten Gefühle widerspiegelt, deren das menschliche Herz fähig ist: die vorbehaltlose Hingabe der Liebe; eine Kraft, die größte Schmerzen zu ertragen vermag; grenzenlose Treue und unermüdlicher Einsatz; die Fähigkeit, tiefe Einsichten mit Worten des Trostes und der Ermutigung zu verbinden. 47. Während des Konzils hat Paul VI. feierlich erklärt, daß Maria die Mutter der Kirche ist, das heißt „Mutter des ganzen christlichen Volkes, sowohl der Gläubigen als auch der Hirten“.134 Später, im Jahre 1968, bekräftigte er diese Aussage noch nachdrücklicher in dem Glaubensbekenntnis, das unter dem Namen „Credo des Gottesvolkes“bekannt ist, mit den folgenden Worten: „Wir glauben, daß die heiligste Gottesmutter, die neue Eva, Mutter der Kirche, für die Glieder Christi ihre mütterliche Aufgabe im Himmel fortsetzt, indem sie bei der Geburt und Erziehung des göttlichen Lebens in den Seelen der Erlösten mitwirkt.“135 Das Konzil hat in seiner Lehre betont, daß die Wahrheit über die heiligste Jungfrau, die Mutter Christi, eine wirksame Hilfe für die Vertiefung der Wahrheit über die Kirche darstellt. Derselbe Paul VI. sagte, als er zu der soeben vom Konzil approbierten Konstitution „Lumen gentium“ das Wort ergriff: „DieKenntnis der wahren katholischen Lehre über die selige Jungfrau Maria wird immer einen Schlüssel für das genaue Verständnis des Geheimnisses Christi und der Kirche darstellen.“136 Maria ist in der Kirche gegenwärtig als Mutter Christi und zugleich als jene Mutter, die Christus im Geheimnis der Erlösung in der Person des Apostels Johannes dem Menschen gegeben hat. Deshalb umfängt Maria mit ihrer neuen Mutterschaft im Geiste alle und jeden in der Kirche, sie umfängt auch alle und jeden durch die Kirche. In diesem Sinn ist die Mutter der Kirche auch deren Vorbild. Die Kirche soll nämlich - wie Paul VI. wünscht und fordert -„von der Jungfrau und Gottesmutter die reinste Form der vollkommenen Christusnachfolge übernehmen“.137 Dank dieses besonderen Bandes, das die Mutter Christi mit der Kirche verbindet, erklärt sich besser das Geheimnis jener „Frau“, die von den ersten Kapiteln des Buches Genesis bis zur Apokalypse die Offenbarung des Heilsplanes Gottes für die Menschheit begleitet. Maria ist nämlich in der Kirche gegenwärtig als die Mutter des Erlösers, nimmt mütterlich teil an jenem „harten Kampf gegen die Mächte der Finsternis..., der die ganze Geschichte der Menschheit durchzieht“.138 Durch diese ihre kirchliche Identifizierung mit der „Frau, mit der 1320 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Sonne bekleidet“ (Offb 12,l)139, kann man sagen, daß „die Kirche in der seligsten Jungfrau schon zur Vollkommenheit gelangt ist, in der sie ohne Makel und Runzeln ist“. Deshalb erheben die Christen während ihrer irdischen Pilgerschaft im Glauben ihre Augen zu Maria und bemühen sich, „in der Heiligkeit zu wachsen“.140 Maria, die erhabene Tochter Zion, hilft ihren Kindern - wo und wie auch immer sie gerade leben-, in Christus den Weg zum Hause des Vaters zu finden. So weiß sich die Kirche in ihrem ganzen Leben mit der Mutter Christi durch ein Band verbunden, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Heilsgeheimnisses umfaßt, und verehrt Maria als geistige Mutter der Menschheit und Fürsprecherin der Gnade. 3. Der Sinn des Marianischen Jahres 48. Gerade die besondere Verbindung der Menschheit mit dieser Mutter hat mich veranlaßt, in der Zeit vor dem Abschluß des zweiten Jahrtausends seit der Geburt Christi in der Kirche ein Marianisches Jahr auszurufen. Eine ähnliche Initiative fand bereits in der Vergangenheit statt, als Pius XII. das Jahr 1954 als Marianisches Jahr ausrief, um die außerordentliche Heiligkeit der Mutter Christi hervorzuheben, wie sie in den Geheimnissen ihrer Empfängnis ohne Makel der Erbsünde (genau ein Jahrhundert zuvor definiert) und ihre Aufnahme in den Himmel zum Ausdruck kommt.141 Indem ich der vom II. Vatikanischen Konzü gewiesenen Richtung folge, möchte ich die besondere Gegenwart der Gottesmutterim Geheimnis Christi und seiner Kirche hervortreten lassen. Dies ist ja in der Tat eine gmndlegende Dimension, die der marianischen Lehre des Konzils entspringt, von dessen Abschluß uns inzwischen mehr als zwanzig Jahre trennen. Die außerordentliche Bischofssynode vom Jahre 1985 hat alle aufgefordert, den Lehren und Anweisungen des Konzils treu zu folgen. Man kann sagen, daß in beiden - Konzil und Synode - enthalten ist, was der Heilige Geist selbst in der gegenwärtigen Phase der Geschichte „der Kirche sagen“ will. In einem solchen Zusammenhang soll das Marianische Jahr dazu dienen, auch all das erneut und vertieft zu bedenken, was das Konzil über die selige Jungfrau und Gottesmutter Maria im Geheimnis Christi und der Kirche gesagt hat und worauf sich die Betrachtungen dieser Enzyklika beziehen. Hierbei geht es nicht nur um die Glaubenslehre, sondern auch um das Glaubensleben und folglich auch um die echte „marianische Spiritualität“, wie sie im Licht der Tradititon sichtbar wird, und insbesondere um die Spiritualität, zu der uns das Konzil ermutigt.142 Darüber hinaus findet die marianische Spiritualität, ebenso wie die 1321 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN entsprechende Marienverehrung, eine überaus reiche Quelle in der geschichtlichen Erfahrung der Personen und der verschiedenen christlichen Gemeinschaften, die unter den verschiedenen Völkern und Nationen auf der ganzen Erde leben. In diesem Zusammenhang erinnere ich unter den vielen Zeugen und Meistern einer solchen Spiritualität gern an die Gestalt des hl. Ludwig Maria Grignion de Montfort,143 der den Christen die Weihe an Christus durch die Hände Marias als wirksames Mittel empfahl, um die Taufverpflichtungen treu zu leben. Mit Freuden stelle ich fest, daß es auch in unseren Tagen neue Zeichen dieser Spiritualität und Frömmigkeit gibt. Wir haben also sichere Ansatzpunkte, auf die wir uns im Zusammenhang dieses Marianischen Jahres aufmerksam beziehen wollen. 49. Das Marianische Jahr soll mit dem Pfingstfest am kommenden 7. Juni beginnen. Es handelt sich ja nicht nur darum zu erinnern, daß Maria dem Eintritt Christi, des Herrn, in die Menschheitsgeschichte vorausgegangen ist, sondern ebenso, im Licht Marias zu unterstreichen, daß seit der Vollendung des Geheimnisses der Menschwerdung die Geschichte der Menschheit „in die Fülle der Zeit“ eingetreten ist und die Kirche das Zeichen dieser Fülle darstellt. Als Volk Gottes pilgert die Kirche im Glauben, inmitten aller Völker und Nationen, auf die Ewigkeit zu, beginnend mit dem Pfingsttag. Die Mutter Christi, die am Beginn der „Zeit der Kirche“ zugegen war, als sie in Erwartung des Heiligen Geistes beharrlich im Gebet inmitten der Apostel und Jünger ihres Sohnes weilte, „geht“ der Kirche auf ihrem Pilgerweg durch die Geschichte der Menschheit ständig „voran“. Sie ist es auch, die gerade als „Magd des Herrn“am Heilswerk Christi, ihres Sohnes, unaufhörlich mitwirkt. So wird die ganze Kirche durch dieses Marianische Jahr dazu aufgerufen, sich nicht nur an all das zu erinnern, was in ihrer Vergangenheit das besondere mütterliche Mitwirken der Gottesmutter am Heilswerk Christi, des Herrn, bezeugt, sondern auch ihrerseits für die Zukunft die Wege für dieses Zusammenwirken zu bereiten: Denn das Ende des zweiten christlichen Jahrtausends eröffnet zugleich einen neuen Blick auf die Zukunft. 50. Wie schon erinnert wurde, verehren und feiern auch unter den getrennten Brüdern viele die Mutter des Herrn, besonders bei den Orientalen. Das ist ein marianisches Licht, das auf den Ökumenismus fällt. Ich möchte hier noch besonders daran erinnern, daß während des Marianischen Jahres die Tausendjahrfeier der Taufe des hl. Wladimir, des Großfürsten von Kiew (im Jahre 988), stattfmdet, die den Anfang des Christentums in den Territorien des einstmaligen Rus’und danach in weiteren Gegenden Osteuropas setzte; und daß sich auf diesem Wege, durch das Werk der Evangelisierung, das Christentum auch über 1322 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Europa hinaus bis zu den nördlichen Bereichen des asiatischen Kontinents ausgebreitet hat. Wir wollen uns deshalb besonders während dieses Jahres im Gebet mit all denen vereinen, die die Tausendjahrfeier dieser Taufe begehen, Orthodoxe und Katholiken, indem wir wiederholen und bestätigen, was das Konzil geschrieben hat: „Es bereitet große Freude und Trost, daß ... sich die Orientalen an der Verehrung der allzeit jungfräulichen Gottesmutter mit glühendem Eifer und andächtiger Gesinnung beteiligen.“144 Auch wenn wir noch immer die schmerzliche Auswirkung der Trennung erfahren, die wenige Jahrzehnte später erfolgte (im Jahre 1054), können wir doch sagen, daß wir uns vor der Mutter Christi als wahre Brüder und Schwestern innerhalb jenes messiani-schen Volkes fühlen, das dazu berufen ist, eine einzige Gottesfamilie auf der Erde zu sein, wie ich schon zu Beginn des neuen Jahres verkündet habe: „Wir wollen erneut dieses universale Erbe aller Brüder und Schwestern auf dieser Erde bestätigen.“145 Bei der Ankündigung des Marianischen Jahres habe ich ebenso darauf hingewiesen, daß sein Abschluß im kommenden Jahr am Fest der Aufnahme der seligsten Jungfrau Maria in den Flimmel begangen werden wird, um „das große Zeichen am Himmel“ hervorzuheben, von dem die Offenbarung des Johannes spricht. In dieser Weise wollen wir auch die Aufforderung des Konzils erfüllen, das auf Maria als das „Zeichen sicherer Hoffnung und des Trostes für das pilgernde Gottesvolk“ schaut. Dieser Aufruf des Konzils ist in den folgenden Worten enthalten: „Alle Christgläubigen mögen inständig zur Mutter Gottes und Mutter der Menschen flehen, daß sie, die den Anfängen der Kirche mit ihren Gebeten zur Seite stand, auch jetzt, im Himmel über alle Seligen und Engel erhöht, in Gemeinschaft mit allen Heiligen bei ihrem Sohn Fürbitte einlege, bis alle Völkerfamilien, mögen sie den christlichen Ehrennamen tragen oder ihren Erlöser noch nicht kennen, in Friede und Eintracht glückselig zum einen Gottesvolk versammelt werden, zur Ehre der heiligsten und ungeteilten Dreifaltigkeit.“146 1323 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Schluß 51. Am Ende des täglichen Stundengebetes richtet die Kirche neben anderen diesen Gebetsruf an Maria: „Alma Redemptoris Mater.. „Erhabne Mutter des Erlösers, du allzeit offene Pforte des Himmels und Stern des Meeres, komm, hilf deinem Volk, das sich müht, vom Falle aufzustehn. Du hast geboren, der Natur zum Staunen, deinen heiligen Schöpfer.“ ' „Der Natur zum Staunen“(„natura mirante“)! Diese Worte der Antiphon geben jenes gläubige Staunen wieder, das das Geheimnis der göttlichen Mutterschaft Marias begleitet. Es begleitet es in gewissem Sinne im Herzen der gesamten Schöpfung und unmittelbar im Herzen des ganzen Gottesvolkes, im Herzen der Kirche. Wie wunderbar weit ist Gott, der Schöpfer und Herr aller Dinge, in der „Offenbarung seiner selbst“ an den Menschen gegangen147! Wie deutlich hat er alle Räume jener unendlichen „Distanz“ überwunden, die den Schöpfervom Geschöpf trennt! Wenn erschon in sich selbst unaussprechlich und unerforschlich bleibt, so ist er noch unaussprechlicher und uneiforschlicher in der Wirklichkeit der Inkarnation des göttlichen Wortes, das durch die Jungfrau von Nazaret Mensch geworden ist. Wenn er von Ewigkeit her den Menschen zur „Teilhabe an der göttlichen Natur“ (vgl. 2 Petr 1,4) berufen hat, kann man sagen, daß er die „Vergöttlichung“ des Menschen zugleich seiner geschichtlichen Lage entsprechend vorgesehen hat, so daß er auch nach dem Sündenfall bereit ist, den ewigen Plan seiner Liebe durch die „Vermenschlichung“ des Sohnes, der ihm wesensgleich ist, um einen hohen Preis wiederherzustellen. Die ganze Schöpfung und noch unmittelbarer der Mensch müssen vom Staunen über dieses Geschenk getroffen bleiben, das ihnen im Heiligen Geist zuteil geworden ist: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab“ (loh 3,16). Im Zentmm dieses Geheimnisses, im Mittelpunkt dieses gläubigen Staunens steht Maria. Die erhabne Mutter des Erlösers, sie hat es als erste erfahren: „Du hast geboren, der Natur zum Staunen, deinen heiligen Schöpfer“ („Tu quae genuisti, natura mirante, tuum sanctum Genitorem“)! 52. In den Worten dieser liturgischen Antiphon kommt auch die Wahrheit von der „großen Wende“ zum Ausdruck, die dem Menschen vom Geheimnis der 1324 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Inkarnation bestimmt ist. Diese Wende gehört zu seiner ganzen Geschichte, von jenem Anfang an, der uns in den ersten Kapiteln der Genesis offenbart ist, bis zum letzten Ende, im Hinblick auf das Weltenende nämlich, von dem uns Jesus „weder den Tag noch die Stunde“ (vgl. Mt 25,13) offenbart hat. Es ist eine unaufhörliche und ständige Wende vom Fallen zum Wiederaufstehen, vom Menschen der Sünde zum Menschen der Gnade und Gerechtigkeit. Die Liturgie, vor allem im Advent, zielt auf den entscheidenden Punkt dieser Wende und erfaßt dabei ihr ständiges „heute und jetzt“, wenn sie ausruft: „Komm, hilf deinem Volk, das sich müht, vom Falle aufzustehn“ („Succurre cadenti surgere qui curat populo“). Diese Worte beziehen sich auf jeden Menschen, auf die Gemeinschaften, Nationen und Völker, auf die Generationen und Epochen der menschlichen Geschichte, auf unsere Epoche, auf diese letzten Jahre des Jahrtausends, das sich dem Ende zuneigt: „Komm, hilf deinem Volk, das fällt“ („Succurre cadenti ...populo“)! Das ist die Bitte an Maria, die „erhabne Mutter des Erlösers“, die Bitte an Christus, der durch Maria in die Geschichte der Menschheit eingetreten ist. Jahr für Jahr steigt diese Antiphon zu Maria auf und erinnert an den Augenblick, da sich diese wesentliche geschichtliche Wende vollzogen hat, die in einem gewissen Sinne unumkehrbar fortdauert: die Wende vom „Fallen“ zum „Auferstehen“ Die Menschheit hat wunderbare Entdeckungen gemacht und aufsehenerregende Ergebnisse im Bereich von Wissenschaft und Technik erzielt, sie hat große Taten auf dem Weg des Fortschritts und der Zivilisation vollbracht, und in jüngster Zeit, so könnte man sagen, ist es ihr sogar gelungen, den Lauf der Geschichte zu beschleunigen; aber die grundlegende Wende, jene, die man „originell“ nennen kann, begleitet den Weg des Menschen ständig, und durch alle geschichtlichen Ereignisse hindurch begleitet sie alle und jeden. Es ist die Wende vom „Fallen“ zum „Auferstehen“, vom Tod zum Leben. Sie ist auch eine unaufhörliche Herausforderung an das menschliche Gewissen, eine Herausforderung an das ganze geschichtliche Bewußtsein des Menschen: die Herausforderung, den Weg des „Nicht-Fallens“ auf immer zugleich alte und neue Weise zu gehen und den Weg des „Aufstehens“ zu beschreiten, wenn man „gefallen“ ist. Während sich die Kirche zusammen mit der ganzen Menschheit dem Übergang zwischen den zwei Jahrtausenden nähert, nimmt sie von ihrer Seite her mit der ganzen Gemeinschaft der Gläubigen und in Verbindung mit jedem Menschen guten Wülens die große Herausforderung an, die in diesen Worten der marianischen Antiphon vom „Volk, das sich müht, vom Falle aufzustehn“, enthalten ist, und wendet sich an den Erlöser und seine Mutter zugleich mit der Bitte: „Steh uns bei!“ Sie erblickt ja - und dieses Gebet bestätigt es - die selige 1325 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gottesmutter im erlösenden Geheimnis Christi und in ihrem eigenen Geheimnis; sie schaut sie tief in der Geschichte der Menschheit verwurzelt, in der ewigen Berufung des Menschen, nach dem Plan, den Gott in seiner Vorsehung von Ewigkeit her für ihn vorherbestimmt hat; sie erblickt sie mütterlich und teilnahmsvoll anwesend bei den vielfältigen und schwierigen Problemen, die heute das Leben der einzelnen, der Familien und der Völker begleiten; sie sieht in ihr die Helferin des christlichen Volkes beim unaufhörlichen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, damit es nicht „falle“, oder, wenn gefallen, wieder „aufstehe“. Ich wünsche von Herzen, daß auch die Gedanken der vorliegenden Enzyklika der Erneuerung dieser Sicht in den Herzen aller Gläubigen dienen! Als Bischof von Rom sende ich allen, an die sich diese Erwägungen richten, den Friedenskuß mit Gruß und Segen in unserem Herrn Jesus Christus. Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter, am 25. März, dem Fest Mariä Verkündigung des Jahres 1987, des neunten meines Pontifikates. PAPST JOHANNES PAUL II. 1326 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Anmerkungen 1 Vgl. Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 52 und das ganze 8. Kapitel mit dem Titel „Die selige jungfräuliche Gottesmutter im Geheimnis Christi und der Kirche“. 2 Der Ausdruck „Fülle der Zeit“ TtÄijpupa toü xpövou) entspricht ähnlichen Formulierungen im biblischen (vgl. Gen 29,21; 1 Sam 7,12; Tob 14,5) wie außerbiblischen Judentum und vor allem im Neuen Testament (vgl. Mk 1,15, LA:21,24; Joh lß;Eph 1,10). Formal betrachtet, bezeichnet er nicht nur den Abschluß eines zeitlichen Prozesses, sondern vor allem das Reifwerden oder die Vollendung eines Zeitabschnittes besonderer Bedeutung, weil ausgerichtet auf die Verwirklichung einer Erwartung, die darum einen eschatologischen Charakter erlangt. Wenn man von Gal 4,4 und seinem Kontext ausgeht, ist es die Ankunft des Gottessohnes, die offenbart, daß die Zeit sozusagen ihr Maß erfüllt hat; das heißt, der Zeitabschnitt, dervon der Verheißung an Abraham sowie vom mosaischen Gesetz geprägt war, hat seinen Höhepunkt darin erreicht, daß Christus nunmehr die göttliche Verheißung erfüllt und das alte Gesetz überwindet. 3 Vgl. Römisches Meßbuch, Präfation vom Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria, am 8. Dezember; Ambrosius, De Institutione Virginis, XV, 93-94: PL 16, 342; II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 68. 4 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 58. 5 Paul VI., Enzyklika Christi Matri (15.9.1966): AAS5% (1966) 745-749; Apostolisches Schreiben Signum magnum (13.5.1967): AAS59 (1967) 465-475; Apostolisches Schreiben Marialis cultus (2. 2.1974): AAS 66 (1974) 113-168. 6 Das Alte Testament hat das Geheimnis Marias in vielfältiger Weise angekündigt: vgl. Johannes von Damaskus, Horn, in Dormitionem, I, 8-9: S. Ch. 80,103-107. 7 Vgl. Insegnamenti di Giovanni Paolo II, VI/2 (1983) 225 f.; Pius IX., Apostolisches Schreiben Ineffabilis Deus (8.12. 1854): Pii IX P. M. Acta, pars I, 597-599. 8 Vgl. Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 22. 9 Konzil von Ephesus: Conciliorum Oecumenicomm Decreta, Bologna 19733, 41-44; 59-62 (DS 250-264); vgl. Konzil von Chalzedon: a. a. O., 84-87 (DS 300-303). 10 II. Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes. 22. 11 Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 52. 12 Vgl. ebd., 58. 13 Ebd., 63; vgl. Ambrosius, Expos. Evang. sec. Luc., 11,7: CSEL 32,4, S. 45; De Instit. Virginis, XIV, 88-89: PL 16,341. 14 Vgl. Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 64. 15 Ebd., 65. 16 „Nimm die Sonne hinweg, die die Welt erleuchtet: Wo bleibt dann der Tag? Nimm Maria hinweg, den Stern des Meeres,ja des großen, weiten Meeres: Was wird dann bleiben außer völligem Nebel, Todesschatten und dichtesterFinstemis?“: Bernhard von Clairvaux,/« Nativitate B. Mariae Sermo- De aquaeductu, 6: S.Bernardi Opera, V (1968)279; vgl. In Laudibus Virginis Matris, Homilia II, 17: a. a. 0., IV (1966) 34 f. 17 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 63. 18 Ebd., 63. 1327 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 19 Über die Vorherbestimmung Marias vgl. Johannes von Damaskus, Hom. in Nativitatem, 7; 10: S. Ch. 80, 65 u. 73; Hom. in Dormitionem, I, 3: S. Ch. 80, 85: „Sie ist es ja, die, seit alter Zeit erwählt, kraft der Vorherbestimmung und Gnade Gottes, des Vaters, der dich (das Wort Gottes) außerhalb der Zeit und ohne sich selbst zu verlassen oder zu verändern gezeugt hat, sie also ist es, die dich in diesen letzten Zeiten geboren und mit ihrem Leib genährt hat.. 20 Lumen gentium, 55. 21 Zu diesem Ausdruck gibt es in der patristischen Tradition eine breite und vielfältige Auslegung: vgl. Origenes, In Lucam homiliae, VI,7: S. Ch. 87,148; Severian von Gabala, In mundi creationem, Oratio VI, 10: PG 56,497f.; Johannes Chrysostomus (Pseudonym), In Annuntia-tionem Deiparae et contra Arium impium: PG 62,765 f.; Basilius von Seleukia, Oratio 39, In Sanctissimae Deiparae Annuntiationem, 5: PG 85,441-446; Antipater von Bostra, Hom. II, In Sanctissimae Deiparae Annuntiationem, 3-11: PG 85, 1777-1783; Sophronius von Jerusalem, Oratio II, In Sanctissimae Deiparae Annuntiationem, 17-19: PG 87/3,3235-3240; Johannes von Damaskus, Hom. in Dormitionem, IJ:S. Ch. 80,96-101; Hieronymus, Epistola 65,9: PL22,628; Ambrosius, Expos. Evang. sec. Lucam, II, 9: CSEL 32/4,45 f.; Augustinus, Sermo 291A-6: PL 38,1318 f.; Enchiridion, 36,11: PL 40,250; Petrus Chrysologus, Sermo 142: PL 52,579 f.; Sermo 143: PL 52,583; Fulgentius von Ruspe, Epistola 17, VI, 12: PL 65,458; Bernhard v. Cl.,/n laudi-bus Virginis Matris,Homilia III, 2-3: S. Bernardi Opera,TV (1966) 36-38. 22 Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 55. 23 Ebd., 53. 24 Vgl. Pius IX., Apostolisches Schreiben Ineffabilis Deus (8.12.1854): P/7IXP. M. Acta, pars 1,616. II Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 53. 25 Vgl. Germanus von Konstantinopel, In Annuntiationem SS. Deiparae Hom.: PG 98,327 f.; Andreas von Kreta, Canon in B. MariaeNatalem, 4: PG97,1321 f.; In Nativitatem BMariae, I: PG 97,811 f.; Hom. in Dormitionem S. Mariae, 1: PG 97, 1067 f. 26 Stundengebet zum Hochfest von Mariä Aufnahme in den Himmel, am 15. August, Hymnus zur 1. und 2. Vesper; Petrus Damiani, Carmina et preces, XLVII: PL 145,934. 27 Göttliche Komödie, Paradies, XXXIII, 1; vgl. Stundengebet, Mariengedenken am Samstag, 2. Hymnus zur Lesehore. 28 Vgl. Augustinus, De Sancta Virginitate, III, 3: PL 40,398; Sermo 25,7: PL 46,937 f. 29 Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 5. 30 Ein klassisches Thema, das schon von Irenäus behandelt wird: „Durch eine ungehorsame Jungfrau wurde der Mensch getroffen, stürzte nieder und starb; in gleicher Weise ist der Mensch mit der Hilfe der dem Wort Gottes gehorsamen Jungfrau durch das Leben zum Leben wiedergeboren worden. Denn es war recht und notwendig, .'.. daß Eva in Maria wiederhergestellt würde, damit eine Jungfrau für die Jungfrau eintrete und der Ungehorsam der einen durch den Gehorsam deranderen ausgelöscht und zerstört werde“: Expositio doctrinae apostolicae, 33: S. Ch. 62,83-86; vgl. auch Adversus haereses, V, 19,1: S. Ch. 153,248-250. 31 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 5. 32 Ebd., 5; vgl. Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 56. 33 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 56. 34 Ebd., 56. 35 Vgl. ebd., 53; Augustinus, De Sancta Virginitate, III, 3: PL 40,398; Sermo 215/4: PL 38,1074; Sermo 196,1: PL38,1019; Depeccatorum meritis et remissione, 1,29,57: PL44,142; Sermo 25,7: PL 46,937 f.; Leo der Große, Tractatus 21, De natale Domini, 1: CCL 138,86. 36 Vgl. Der Aufstieg zum Berge Karmel, Buch II, Kap. 3,4-6. 1328 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 37 Vgl. Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 58. Ebd., 58. 39 Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 5. 40 Über die Teilnahme oder das „Mitleiden“ Marias beim Tode Christi vgl. Bernhard von Clairvaux, In Dominica infra octavam Assumptionis Sermo, 14: S. Bemardi Opera, V (1968) 273. 41 Irenaus, Adversus haereses, III, 22,4: S. Ch. 211,438-444; vgl. Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 56, Anm. 6. 42 Vgl. Lumen gentium, 56 und die dort in den Anmerkungen 8 u. 9 zitierten Väter. 43 „Christus ist Wahrheit, Christus ist Fleisch: Christus als Wahrheit im Geist Marias, Christus als Fleisch im Schoß Marias“: Augustinus, Sermo 25 (Sermones inediti), 7: PL 46,938. 44 Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 60. 45 Ebd., 61. 46 Ebd., 62. 47 Bekannt ist, was Origenes zur Anwesenheit von Maria und Johannes auf Kalvaria geschrieben hat: „Die Evangelien sind die Erstlingsfrüchte der Heiligen Schrift, und das Johannesevangelium ist das erste der Evangelien: Niemand kann seine Bedeutung erfassen, wenn ernicht den Kopf an die Brust Jesu gelegt und nicht von Jesus Maria als Mutter erhalten hat“: Comm. in Ioan. 1,6: PG 14,31; vgl. Ambrosius, Expos. Evang. sec Luc., X, 129-131: CSEL 32/4,504 f. 48 Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 54 und 53; der zweite Konzilstext ist ein Zitat aus Augustinus, De Sancta Virginitate, VI, 6: PL 40,399. 49 Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 55. 50 Vgl. Leo der Große, Tractatus 26, De natale Domini, 2: CCL 138,126. 51 Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 59. 52 Augustinus, De Civitate Dei, XVIII, 51: CCL 48,650 (konzilseigene Zitation). 53 II Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 8. 54 Ebd., 9. 55 Ebd., 9. 56 Ebd., 8. 57 Ebd., 9. 58 Ebd., 65. 59 Ebd., 59 60 Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 5. 61 Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 63. 62 Vgl. Ebd., 9. 63 Vgl. ebd., 65. 64 Ebd., 65. 65 Ebd., 65. 66 Vgl. ebd., 13. 67 Vgl. ebd., 13. 68 Vgl. ebd., 13. 69 Vgl. Römisches Meßbuch, Worte zur Kelchkonsekration in den Eucharistischen Hochgebeten. 70 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 1. 71 Ebd., 13. 72 Ebd., 15. 73 Dekret über den Ökumenismus Unitatis redintegratio, 1. 1329 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 74 Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 68; 69. Zu Maria als Förderin der Einheit der Christen und zur Marienverehrung im Orient vgl. Leo XIII., Enzyklika. Adiutricem populi (5. 9. 1895): Acta Leonis, XV, 300-312. . 75 II. Vatikanisches Konzil, Dekret über den Ökumenismus Unitatis redintegratio, 20. 76 Vgl. ebd., 19. . 77 Ebd., 14. 78 Ebd., 15. 79 II Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 66. 80 Ökumenisches Konzil von Chälzedon, Defmitio fldei: Concüiorum Oecumenicorum Decreta, Bologna 19733, 86 (DS 301). 81 Vgl. das Buch WeddaseMatyam (Marienlob), das sich an das äthiopische Psalterium anschließt und Hymnen und Gebete zu Maria fürjeden Tag der Woche enthält. Vgl,auch das Buch Mats-hafa Kidana Mehrat (Buch des Bundes der Barmherzigkeit); man muß die Bedeutung unterstreichen, die Maria in der äthiopischen Hymnologie und Liturgie gegeben wird. 82 Vgl. Ephräm aus Syrien, Hymn. de Nativitate: Scriptores Syri, 82: CSCO 186. 83 Vgl. Gregor von Narek, Le livre de prieres: S. Ch. 78,160-163 ; 428-432. 84 II. Ökumenisches Konzil von Nizäa: Conciliorum Oecumenicorum Decreta, Bologna 19733,135— 138 (DS 600-609). 85 Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 59. 86 Vgl. II Vatikanisches Konzil, Dekret über den Ökumenismus Unitatis redintegratio, 19. 87 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 8. 88 Ebd., 9. 89 Bekanntlich sind in den Worten des Magnifikat zahlreiche Stellen des Alten Testamentes enthalten oder klingen an. 90 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 2. 91 Vgl. z. B. Justinus, Dialogus cum Tryphoneludaeo, 100: J. C. de Otto, Corpus Apol., II, 358; Ire-näixs,Adversus haereses, 111,22,4: S. Ch. 211,439-445; Tertullian, De carne Christi, 17/4-6: CCL II, 904 ff. 92 Vgl. Epiphanius,Panarion, III, 2; Haer. 78,18: PG42,727-730; Ambrosius,Expos. Evang.Lucae, II, 86: CSEL 32/4,90 f. 93 Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), 97. 94 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 60. 95 Ebd., 60. 96 Vgl. die Formulierung: Mittlerin „ad Mediatorem“ („zum Mittler“) bei Bernhard von Clairvaux, In Dominica infra oct. Assumptionis Sermo, 2:S. Bernardi Opera, V (1968) 263.Wie ein reiner Spiegel lenkt Maria alle Verherrlichung und Ehrung, die sie empfängt, auf den Sohn hin: ders., In Nativitate B. Mariae Sermo - De aquaeductu, 12: Ed. cit., 283. 97 Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 62. 98 Ebd., 62. 99 Ebd., 61. 100 Ebd., 62. 101 Ebd., 61. 102 Ebd., 61. 103 Ebd., 62. . 104 Ebd., 62. 1330 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 105 Ebd., 62; auch in ihren Gebeten anerkennt und feiert die Kirche das „mütterliche Wirken“ Marias: ihre Aufgabe, „Vergebung zu erbitten, Gnade zu erwirken, Versöhnung und Frieden zu vermitteln“ (vgl. Präfation der Messe von der seligen Jungfrau Maria, Mutter und Gnadenvermittlerin, in: Collectio Missarum de Beata Maria Virgine, ed. typ. 1987,1,120). 106 II. Vatikanisches Konzil; Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 62. 107 Ebd., 62; vgl. Johannes von Damaskus, Horn, in Dormitionem, 1,11; 11,2,14; III2: S. Ch. 80,111 f. 127-131; 157-161; 181-185; Bernhard von Clairvaux, In AssumptioneBeatae Mariae Sermo, 1-2: S. Bernardi Opera, V (1968) 228-238. 108 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 59; vgl. Pius XII., Apostlische Konstitution Munificentissimus Deus (1.11.1950): AAS42 (1950) 769-771; Bernhard v. CI. stellt Maria dar wie eingetaucht in den Glanz der Herrlichkeit des Sohnes: In Dominica infra oct. Assumptionis Sermo, 3: S. Bernardi Opera, V (1968) 263 f. 109 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 53. 110 Über diesen Einzelaspekt der Mittlerschaft Marias als Gnadenvermittlerin bei ihrem Sohn und Richter vgl. Bernhard v. CI., In Dominica infra oct. Assumptionis Sermo, 1-2: S. Bernardi Opera, V (1968) 262 f.; Leo XIII., Enzyklika Octobri Mense (22.9.1891): Acta Leonis, XI, 299-315. 111 II. Vatikanisches Konzil, dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 55. 112 Ebd., 59. 113 Ebd., 36. 114 Ebd., 36. 115 Zum Titel „Maria Königin“ vgl. Johannes von Damaskus,//«/«, in Nativitatem, 6; 12; Horn, in Dormitionem, 1,2,12,14; II. 11; III, 4: S.Ch. 80,59 f.; 77 f.; 113 f.; 117; 151 f.; 189-193. 116 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 62. 117 Ebd., 63. 118 Ebd., 63. 119 Ebd., 66. 120 Vgl. Ambrosius, De Institutione Virginis, XIV, 88-89: PI 16,341; Augustinus, Sermo 215, 4: PL 38,1074; De Sancta Virginitate, II, 2; V,5; VI,6: PL 40,397; 398 f.; 399; Sermo 191, II, 3: PL 38, 1010 f. 121 Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 63. 122 Ebd., 64. 123 Ebd., 64. 124 Ebd., 64. 125 Ebd., 64. 126 Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 8; Bonaventura, Comment. in Evang. Lucae, Ad Claras Aquas, VII, 53, Nr. 40; 68, Nr. 109. 127 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 64. 128 Ebd., 63. 129 Vgl. ebd., 63. 130 Bekanntlich besagt der Ausdruck eigxalöict des griechischen Textes mehr, als daß Maria von dem Jünger lediglich für die äußere Unterbringung und Versorgung in seine Wohnung aufgenommen worden wäre; vielmehr bezeichnet er eine Lebensgemeinschaft, die sich zwischen beiden aufgrund der Worte des sterbenden Christus bildet: vgl. Augustinus,/« Ioan. Evang. tract., 119,3: CCL 36,659: „Er nahm sie zu sich, nicht in sein Besitztum, weil er nichts zu eigen besaß, sondern in seine Verantwortung, der er mit Hingabe nachkam.“ 1331 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 131 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 62. 132 Ebd., 63. 133 II. Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 22. 134 Vgl. Paul VI., Ansprache vom 21 Nov. 1964: AAS 56 (1964) 1015. 135 Paul VI., Feierliches Glaubensbekenntnis (30. 6. 1968), 15: AAS 60 (1968) 438 f. 136 Paul NI., Ansprache vom 21. Nov. 1964: AAS 56 (1964) 1015. 137 Ebd., 1016. 138 Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 37. 139 Vgl. Bernhard v. CI., In Dominica infra oct. Assumptionis Sermo: S. Bernardi Opera, V (1968) 262-274. 140 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 65. 141 Vgl. Enzyklika Fulgens Corona (8. 9. 1953): AAS 45 (1953) 577-592; Pius X. hatte mit der • Enzyklika Ad diem illum (2.2.1904) zum 50jährigen Gedenken der dogmatischen Definition der Unbefleckten Empfängnis der seligen Jungfrau Maria ein außerordentliches Jubiläum von einigen Monaten verkündet: Pii X P.M. Acta 1,147-166. 142 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 66-67. 143 Vgl. das Buch Tratte de la vraie devotion ä la sainte Vierge. Diesem Heiligen kann man zu Recht die Gestalt des hl. Alfons Maria di Liguori zur Seite stellen, dessen 200. Jahrestag nach seinem Tode wir dieses Jahr begehen: vgl. unter seinen Werken Le glorie di Maria. 144 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische'Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 69. 145 Homilie vom 1. Januar 1987. 146 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 69. 147 Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 2: „In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott... aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde... und verkehrt mit ihnen ..., um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen.“ 1332 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ordensleben ist totale Nachfolge Christi Ansprache bei der Seligsprechung von drei Spanierinnen und zwei Spaniern am 29. März Ehrwürdige Brüder im Bischofsamt, liebe Söhne und Töchter! 1. „Ich bin das Licht der Welt: Wer mir nachfolgt — spricht der Herr —, wird das Licht des Lebens haben“ (Joh 8,12). Auf dem Weg der Fastenzeit erinnern die biblischen Lesungen dieses vierten Sonntags besonders an die Vorbereitung auf die Taufe, die die Katechumenen gewöhnlich in der Nacht der Ostervigil empfingen. In der Urkirche war die Zeit des besonders intensiven Katechumenates. Und so ist es auch heute noch, zumal in den jungen Kirchen und in den Missionen. Die Heilung des Blindgeborenen, die in allen Einzelheiten im Johannesevangelium geschildert wird, spiegelt sich, wie wir wissen, in der sakramentalen Liturgie der Taufe wider. Der Mensch, der mit der Erbsünde belastet geboren wird, muß zum Licht kommen, das Christus ist. Tatsächlich ist die ganze Stelle der Schenkung des Augenlichtes an einen Blindgeborenen irgendwie der beste Kommentar zu den Worten Christi: „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt... wird das Licht des Lebens haben“ {Joh 8,12). 2. Heute, am vierten Fastensonntag, erheben wir drei Töchter des Karmels zur Ehre der Seligen: Sor Maria Pilar vom hl. Franz von Borja, Sor Maria Angeles vom hl. Joseph und Sor Teresa vom Jesuskind. Dazu kommen zwei weitere Söhne der Kirche in Spanien: Kardinal Marcelo Spinola y Maestre und der Priester Manuel Domingo y Sol. Die Heiligkeit der Diener und Dienerinnen Gottes ist eigentlich eine besondere Frucht der Taufgnade. In dieser Heiligkeit zeigt sich in außergewöhnlicher Weise die Heilskraft des Ostergeheimnisses, die Macht der Erlösung sowie die Macht des Heiligen und heiligmachenden Geistes durch das Kreuz und die Auferstehung Christi, unseres Herrn. Die Diener Gottes, die die Kirche heute der Ehre der Altäre für würdig erklärt, haben sich insbesondere dem Licht der Welt geöffnet, das Christus ist. Sie sind ihm in besonderer Weise nachgefolgt auf dem Weg des Glaubens hin zum Licht des ewigen Lebens. Dieser Weg der Ausdauer, gekrönt mit der Frucht der Heiligkeit des Lebens, gibt Zeugnis von der übernatürlichen Kraft des Geistes, die in der Taufliturgie beim Ritus der Salbung zum Ausdruck kommt. Das Buch Samuel hat uns gerade in der ersten Lesung unserer Eucharistiefeier von dieser Salbung erzählt. 1333 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Macht der Liebe überwindet alle widergöttlichen Mächte 3. Wenn deshalb die Kirche den Weg betrachtet, der sich im Leben eines Christen mit der Taufe öffnet und ihn zur Heiligkeit im Herrn erhebt, wendet sie sich heute mit den Worten des Antwortpsalms in großem Vertrauen an den Guten Hirten: „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen ... er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen“ (Ps 23,1.3). Die Seligen, Söhne und Töchter der spanischen Erde, verkünden heute in besonderer Danksagung die Worte, mit denen die ganze Kirche ihr unbegrenztes Vertrauen auf Christus, den Guten Hirten, zum Ausdruck bringt. Er führt uns immer wieder mit starker und sicherer Hand schwierige und schmerzvolle Wege, wie es die folgenden Worte des Psalms zum Ausdruck bringen: „Muß ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir“ (Ps 23,4). 4. Mit diesen Worten konnten sich die drei Töchter des Karmels an den Guten Hirten wenden, als für sie die Stunde kam, ihr Leben für den Glauben an den göttlichen Bräutigam hinzugeben. Ja, „ich fürchte kein Unheil“. Nicht einmal den Tod. Die Liebe ist größer als der Tod, und „du bist bei mir“. Du, der gekreuzigte Bräutigam! Du, Christus, meine Kraft! Diese Nachfolge des Meisters, die uns zur Nachahmung antreiben möchte bis zur Hingabe des Lebens aus Liebe zu ihm, war wie ein ständiger Aufruf für die Christen der ersten und aller Zeiten, im Martyrium dieses höchste Zeugnis der Liebe abzulegen vor allen, besonders vor ihren Verfolgern. So hat die Kirche die Jahrhunderte hindurch als kostbares Erbe die Worte Christi bewahrt: „Der Jünger steht nicht über dem Meister“ (Mt 10,24) und „haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen“ (Joh 15,20). Damit sehen wir, daß das Martyrium — höchstes Zeugnis bei der Verteidigung des Glaubens — von der Kirche als eine erhabene Gabe und höchster Beweis der Liebe betrachtet wird, durch den ein Christ denselben Weg Jesu geht, der freiwillig sein Leiden und den Tod auf sich nahm für das Heil der Welt. Obwohl also das Martyrium ein Geschenk ist, das Gott nur wenigen macht, so müssen doch alle, wir alle, bereit sein, Christus vor den Menschen zu bekennen, vor allem in Zeiten der Prüfung, die der Kirche nie fehlen, auch heute nicht. Wenn die Kirche ihre Märtyrer ehrt, betrachtet sie diese zugleich als Zeichen ihrer Treue zu Jesus Christus bis zum Tod und als wunderbares Zeichen ihres unermeßlichen Verlangens nach Verzeihen und Frieden sowie nach Eintracht und gegenseitigem achtungsvollen Verstehen. 1334 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die drei Märtyrer aus dem Karmel hatten zweifellos, wie wir wissen, jene Worte vor Augen, die ihre heilige Mutter und Kirchenlehrerin, Teresa von Jesus, schriftlich hinterlassen hat: „Eine echte Ordensperson ... darf Ihm nicht den Rücken zuwenden; sie muß vielmehr für Ihn zu sterben und das Martyrium zu erleiden wünschen“ (Weg der Vollkommenheit, 12,2). Im Leben und Martyrium von Sor Maria Pilar vom hl. Franz de Borja, Sor Maria Angeles vom hl. Joseph und Sor Teresa vom Kinde Jesu treten heute vor der Kirche zeugnishafte Wahrheiten hervor, an die wir uns halten müssen: — der große Wert, den ein christliches Familienleben für die Glaubensbildung und -reife ihrer Mitglieder hat; — der Schatz, den für die Kirche das kontemplative Ordensleben bedeutet, das sich in der totalen Nachfolge des betenden Christus vollzieht und als erhabenes Zeichen die himmlische Herrlichkeit ankündigt; — das Erbe, das der Kirche jeder hinterläßt, der für den Glauben stirbt, — mit einem Wort des Verzeihens und der Liebe für jene auf den Lippen, die für sie kein Verständnis haben und sie daher verfolgen; — die Botschaft des Friedens und der Versöhnung, die jedes christliche Martyrium enthält als Same für gegenseitiges Verständnis, aber nie, wie es scheinen möchte, für Haß und Groll; — endlich der Aufruf zum ständigen Heroismus im christlichen Leben als mächtiges Zeugnis für einen Glauben ohne kleinmütige Anpassung an die Zeit oder mißverständlichen Relativismus. Die Kirche verehrt ab heute diese Märtyrer, dankt ihnen für ihr Zeugnis und bittet sie um ihre Fürsprache vor dem Herrn, damit auch unser Leben jeden Tag mehr das Zeichen Christi trägt, der am Kreuz gestorben ist. 5. Zur Ehre der Altäre erheben wir heute auch Kardinal Marcelo Spinola y Maestre, Bischof von Coria, von Malaga und später Erzbischof von Sevilla. Dies ist eine gute Gelegenheit, um dem Herrn zu danken für das Zeugnis der Heiligkeit jener, „die der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, damit (sie) als Hirten für die Kirche Gottes (sorgen)“ (Apg 20,28). Wenn ich das Leben dieses Hirten der Kirche betrachte, möchte ich vor allem sein Vertrauen auf den Herrn hervorheben, das auch in seinem Wahlspruch als Bischof zum Ausdruck kommt: „Alles vermag ich in Ihm“ (Phil 4,13). Auf solches Vertrauen gestützt, konnte er sich in jenen Tugenden auszeichnen, die den Ruhm und die Ehre eines Bischofs ausmachen: — in Heroismus bei der opferreichen Erfüllung seiner bischöflichen Pflichten; — in der Liebe und Hingabe für die Armen aufgrund seiner Uneigennützigkeit und Genügsamkeit; 1335 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN — in der Sorge um die Schulbildung der Ärmsten, was ihn zur Gründung der Kongregation der „Dienerinnen des Göttlichen Herzens“ führte für das Apostolat der Jugenderziehung; — in seiner kirchlichen Unabhängigkeit über den Spaltungen und Parteien. Er wurde zum Träger des Friedens und des Verständnisses und verteidigte zugleich die Freiheit der Kirche in der Erfüllung ihrer heiligen Sendung; — in der innigen Liebe zu Jesus Christus, die hinter allem ebenso stand wie seine tiefe persönliche Demut. Als Hirten der Kirche müssen wir im neuen Seligen ein Beispiel, einen Ansporn und eine Hoffnung bei der Erfüllung des uns anvertrauten Amtes sehen. Das gläubige Volk aber freut sich, wenn es die erhabene Heiligkeit eines seiner demütigen Hirten als Wirklichkeit vor sich sieht. Werben jur die Nachfolge Christi im priesterlichen Dienst 6. Diese glorreiche Gruppe von Seligen beschließt der Priester der Diözese Tortosa, Manuel Domingo y Sol, den die Kirche mit Recht als den „heiligen Apostel der Priesterberufe“ bezeichnet (Dekret über den heroischen Tugendgrad vom 4. Mai 1970, AAS 63, 1971, 156). Wenn er heute als Beispiel der Kirche vorgestellt wird, überragt sein intensives Apostolat für die Berufungen zum gottgeweihten Leben — und vor allem zum Priestertum — alles andere: die besten Kräfte seines Lebens setzte er in diesem Apostolat ein. Seine Erhebung zur Ehre der Altäre muß daher bei den Priestern das Bewußtsein wecken, wie wichtig und grundlegend dieses Anliegen ist. Die Kirche braucht mehr Priester, doch gehört es gerade zur Sendung des Priesters — wenn er die Sorge der ganzen Kirche teilt — im gläubigen Volk nach Jugendlichen und Erwachsenen Ausschau zu halten, die hochherzig auf den Ruf Christi antworten: „Komm und folge mir nach“, und sie dann zu begleiten und auszubilden als Diener, die auch andere unterweisen können (vgl. 2 Tim 2,2). So bleibt die Heranbildung künftiger Priester, die der neue Selige den „Schlüssel zum Erfolg“ nannte, mit anderen Worten die Förderung, Unterstützung und Sorge für die Berufungen weiter auch in unseren Tagen eine bevorzugte und dringende Aufgabe der Kirche und ihrer Hirten. Mosen Sol selber — unter diesem Namen ist der neue Selige beim Volk in seiner Heimat bekannt — sagt uns: „Unter allen Werken, die Eifer brauchen, gibt es kein derart großes und vor Gott herrliches Werk, als der Kirche viele und gute Priester zu schenken.“ Hervorzuheben ist ferner beim neuen Seligen sein Jugendapostolat, in dem er große Hoffnungen für die christliche Zukunft der Bevölkerung sah, und das daher heute weiter der Kirche sehr am Herzen liegt. 1336 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Auf katalanisch sagte der Papst: Das ganze apostolische Wirken von Don Manuel hatte eine Kraftquelle, aus der sein Eifer und der Sinn für wirksame Arbeit kam: Eucharistische Frömmigkeit und Bußgeist, die seine Spiritualität prägten. Seht darin ein kostbares Erbe, das er dem „Werk für die Weltpriester des Herzens Jesu“, das als echt priesterliche Bruderschaft gegründet wurde, hinterlassen hat sowohl, was den Lebensstil angeht, als auch die Art der Tätigkeit zur größeren Heiligkeit seiner Mitglieder und zur größeren Ehre Gottes. Kraft für die priesterliche Existenz aus tiefer Spiritualität 7. Wenn wir heute diese beiden Hirten verehren, einen Bischof und Kardinal und einen Priester, so weise ich gern darauf hin, daß beide in ihrem intensiven Dienst tief verwurzelt waren in ihrem inneren Leben als Priester, der Seele jedes Apostolats. Beide Seligen ragen hervor in ihrer brennenden und innigen Liebe zu Jesus Christus in der heiligen Eucharistie sowie zum heiligsten Herzen Jesu. Wie sehr müssen wir für dieses Beispiel danken und wie sehr müssen wir, die Priester von heute, es in unserem Dienst nachahmen! Die Kirche freut sich, weil sie diese fünf neuen Seligen zur Ehre der Altäre erheben darf, und sie dankt dem Herrn für ihr beispielhaftes Zeugnis. Daher bitten wir die allerseligste Jungfrau, die Mutter vom Karmel, Königin der Apostel und Mutter Jesu, des ewigen Hohenpriesters, die die neuen Seligen so sehr liebten und verehrten, sie möge beim Herrn Fürbitte einlegen, er möge der Kirche unserer Tage und zumal der Gemeinschaft der Kirche in Spanien — neue Zeugen der Hochherzigkeit und Festigkeit im Glauben schenken; — Hirten, die in Gemeinschaft mit dem Nachfolger des Petrus echte Lehrer des Glaubens und tüchtige Führer des Volkes Gottes sind; — ein Aufblühen der Berufungen zum Priestertum, die als Frucht eines gediegenen christlichen Familienlebens Christus hochherzig zu antworten wissen; — ein tiefes inneres Leben bei den gottgeweihten Seelen und allen Aposteln der Kirche. Das Licht Christi annehmen und Lichtträger für die Welt sein Euch aber, Ordensschwestern aus aller Welt und zumal aus dem geliebten Orden vom Karmel sowie der Kongregation der Dienerinnen des Göttlichen Herzens; euch, Bischöfe und Hirten der Kirche, die ihr die Aufgabe habt, das Volk Gottes zu führen; euch Priester, Seminaristen und alle Gläubigen in der 1337 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Welt, die ihr etwas vom Geist des Mosen Sol empfangen habt; vor allem euch, Priester und Alumnen der Bruderschaft der Diözesanpriester; euch alle möge der Herr in der Nachahmung dieser großen Vorbilder der Tugend stärken. 8. Christus, der ewige Hirte, ist das Licht der Welt. Wer ihm nachfolgt, wird das Licht des Lebens haben. Alle, die Christus nachfolgen, werden ihrerseits zu Licht, wie der Brief an die Epheser in der heutigen Liturgie verkündet: „Einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr durch den Herrn Licht geworden. Lebt als Kinder des Lichts! Das Licht bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor“ (Eph 5,8-9). Dies sagt der Apostel allen, die im Sakrament der Taufe des Lichtes teilhaftig geworden sind, das Christus ist. Das gleiche sagen uns auch heute unsere fünf Seligen, Söhne und Töchter der Kirche, die so viele Jahrhunderte hindurch Früchte des Glaubens und der Heiligkeit in Spanien hervorgebracht hat. Jene, die in besonderer Weise „Licht im Herrn“ geworden sind, wiederholen heute für alle ihre Brüder und Schwestern in der gleichen spanischen Heimat: „Wandelt als Kinder des Lichts“! „Früchte des Lichts sind Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit“. „Wandelt als Kinder des Lichts!“ Menschsein ist ohne Liebe nicht möglich Botschaft zum Weltjugendtag in Buenos Aires am Palmsonntag, 12. April Meine lieben jungen Freunde! „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen“ (lJoh 4,16). 1. Mit großer Freude habe ich am 8. Juni d. J. den nächsten Weltjugendtag für Palmsonntag 1987 in Buenos Aires, Argentinien, angekündigt. So Gott will, werde ich zu der Zeit in Lateinamerika — Uruguay, Chile und Argentinien — sein. Besonders freut es mich, in Buenos Aires nicht nur argentinischen, sondern auch vielen anderen Jugendlichen aus dem gesamten lateinamerikanischen Kontinent und aus vielen anderen Ländern der Welt zu begegnen. Dieses Treffen, dem wir alle mit großer Erwartung entgegensehen, wird uns im Gebet einen. Es wird uns in der Liebe die Erfahrung schenken, Brüder und Schwestern, zu sein. Es wird in uns die Gewißheit stärken, im Glauben vereint zu 1338 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sein mit den Jugendlichen, die in allen Lokalkirchen der Welt gemeinsam mit ihren Bischöfen diesen Welttag begehen. Wir wissen uns aber auch vereint mit allen, die ehrlichen Herzens Gott suchen und die Kraft ihrer Jugend für den Aufbau einer menschlicheren und gerechteren Gesellschaft einsetzen wollen. Die Feier des Weltjugendtages in Lateinamerika ist nicht ohne Bedeutung. In diesem Kontinent der Hoffnung — so wurde er einmal bezeichnet — besteht die Mehrzahl der Bevölkerung aus Jugendlichen. Sie werden die Zukunft bestimmen. An der Schwelle des halben Jahrtausends seiner ersten Evangelisierung bereitet sich die Kirche dieses Kontinents, die in Puebla des los Angeles die Vorrangstellung der Jugend für die Pastoral erklärte, auf eine „neue Evangelisierung“ vor. Diese soll vorstoßen zu den christlichen Wurzeln Lateinamerikas und die christliche Kultur und Tradition seiner Bevölkerung verlebendigen. Von dieser Perspektive aus denke ich zugleich aber auch an die ganze Welt. Mein Wort richtet sich an alle Jugendlichen. Ich lade sie ein, aus dem Norden und dem Süden, aus dem Westen und dem Osten zusammenzukommen. Die Kirche schaut voller Hoffnung auf sie alle, weil sie in ihnen die Männer und Frauen des 2. Jahrtausends erblickt. „Der Mensch kann ohne Liebe nicht sein “ 2. Das Thema des Welttages vergegenwärtigt uns das Zeugnis des Apostels Johannes: ,-,Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen.“ (1 Joh 4,16). In diesem Sinn möchte ich Euch an einen Gedanken aus meiner ersten Enzyklika erinnern: „Der Mensch kann nicht ohne Liebe leben. Er bleibt für sich selbst ein unbegreifliches Wesen; sein Leben ist ohne Sinn, wenn ihm nicht die Liebe geoffenbart wird, wenn er nicht der Liebe begegnet, wenn er sie nicht erfahrt und sich zu eigen macht, wenn er nicht lebendigen Anteil an ihr erhält“ (Redemptor Hominis, Nr. 10). Diese Wahrheit gilt um so mehr für die Jugend. Sie erlebt ja mit besonderer Intensität Verantwortung und Hoffnung, menschliches Wachsen und Suche nach Sinn, nach Idealen und Lebensentwürfen, nach Wahrheit und wahrem Glück. Deswegen braucht sie Anerkennung und Entgegenkommen. Gewiß bestätigt Eure Erfahrung, daß all das, was ein oberflächlicher Hedonismus anzubieten vermag, illusorisch ist und den Menschen nicht ausfüllt; daß der Selbstschutz des Egoismus zur Selbsttäuschung führt; daß Gleichgültigkeit und Skeptizismus das Ideal der Liebe zerstören; daß Gewalt und gottlose Ideologien nur in eine Sackgasse führen. Menschsein ist ohne Liebe nicht möglich. Darum bitte ich Euch: Gebt dem, was des Geistes ist, den höchsten Stellenwert. Versucht, „neue Menschen“ zu 1339 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN werden. Erkennt die Gegenwart Gottes in Eurem Leben an. Gebt diesem Gott der Liebe immer mehr Raum. Nur so werdet Ihr zum wahren Menschsein heranwachsen können. Glaubt an den Vater, der uns von Ewigkeit liebt und aus Liebe erschaffen hat; der uns so geliebt hat, daß er seinen einzigen Sohn für die Vergebung unserer Sünden dahingab. Christus hat uns durch seinen Tod mit sich versöhnt und uns eine Gemeinschaft der Liebe mit ihm geschenkt, die kein Ende kennen wird. Möge der Weltjugendtag uns aufschließen für diese Liebe Gottes, die uns wandelt und heilt. Die Welt wartet auf unser Zeugnis, das von einer tiefen persönlichen Überzeugung getragen wird und ein Akt der Liebe und des Glaubens an den auferstandenen Herrn ist. Denn gerade hierin liegt der tiefste Sinn des Er-kennens der Liebe und des Wachstums in ihr. Die Liebe geht allen Menschen entgegen 3. Unser Feiern wird auch eine Dimension der Gemeinsamkeit kennen. Sie ist eine unverzichtbare Forderung der Liebe Gottes und der Gemeinschaft jener, die wissen, Kinder desselben Vaters zu sein, als Brüder und Schwestern in Jesus Christus in der Kraft des Geistes geeint. Als Erlöste seid Ihr lebendige Glieder der Kirche. Der Weltjugendtag sollte Euch Gelegenheit bieten, die Liebe Gottes tiefer zu erfahren, die auch Einheit und Solidarität fordert. Niemand kann sich dieser Forderung verschließen. Sie überschreitet alle Grenzen, trifft alle Menschen persönlich und verbindet sie tiefer untereinander. Sie verpflichtet besonders gegenüber den Jugendlichen, die unter Arbeitslosigkeit leiden, sich an den Rand der Gesellschaft gedrückt fühlen, die die Last der Armut, der Einsamkeit oder das schwere Kreuz einer Krankheit tragen. Möge diese Botschaft der Hoffnung auch jene erreichen, die sich dem Glauben verschließen. Die Liebe kennt keine Kompromisse; aber sie ist stets bereit, allen Menschen entgegenzugehen, um ihnen den Weg zur Umkehr und Bekehrung zu eröffnen. Macht Euch darum die Worte Pauli in seinem Lob der Liebe (vgl. 1 Kor 13) zu einem Lebensprogramm: Die Liebe Gottes, die in unsere Herzen ausgegossen wurde (vgl. Rom 5,5), macht uns sensibel für die Bedrohungen durch Hunger und Krieg, für das Ärgernis der krassen Unterschiede zwischen den überreichen Minderheiten und den notleidenden Völkern, für die Angriffe gegen die Menschenrechte und die Unantastbarkeit der Freiheit, für die tatsächlichen oder potentiellen Manipulierungen der Würde des Menschen. Die Teilnahme der Jugend am Weltgebetstag für den Frieden am 27. Oktober in Assisi, bei dem Vertreter der verschiedenen christlichen Konfessionen und Weltreligionen waren, hat mich tief berührt. 1340 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die ungeheuerlichen wissenschaftlichen und technischen Fortschritte, die unsere Zeit kennzeichnen, müs sen mehr denn j e von der Klugheit geleitet und im Licht der Ethik bewertet werden. Nur so können sie dem einzelnen Menschen und der gesamten Menschheit zum Wohl gereichen. Die Komplexität dieser aktuellen Problematik fordert von der jungen Generation Fachwissen und Kompetenz in allen Bereichen. Vor allem aber muß das Wohl des Menschen, der nach Gottes Ebenbild geschaffen und zum ewigen Leben berufen ist, den Vorrang haben über alle anderen Interessen. In Christus wurde uns die Fülle der Liebe Gottes und die Würde des Menschen geoffenbart. Möge der Herr der Eckstein Eures Lebens sein (vgl. Eph 2,20) und zum Grund der neuen Zivilisation werden, die Ihr zu erbauen berufen seid. Nur in der Kraft Christi ist es uns möglich, in Frieden und Gerechtigkeit, in Wahrheit und Freiheit zu leben. Eine Zivilisation der Liebe kann nur von kraftvollen Persönlichkeiten, die nicht vor dem Opfer zurückschrecken, erbaut werden. Sie müssen neue Wege menschlichen Zusammenseins eröffnen, die Trennungen unter den Menschen und die Grenzen der Materialismen sprengen. Diese Verantwortung ist den Jugendlichen von heute, den Männern und Frauen der Zukunft am Morgen des dritten christlichen Jahrtausends aufgegeben. 4. Euch allen wünsche ich eine tiefe geistige Vorbereitung auf unsere Begegnung, die Euch immer mehr in der Kirche verwurzeln möge. Sie sollte von Gebet, Studium, Dialog und Wille zur Umkehr gezeichnet sein. Macht Euch gemeinsam auf den Weg, in den Pfarreien und christlichen Gemeinden, in den Verbänden und Bewegungen. Bereitet Euch darauf vor, aufzunehmen und zu erwarten, wie der Beginn des Advents es uns nahelegt. Die Liturgie dieses ersten Adventssonntages erinnert uns mit den Worten des Apostels Paulus daran, daß die Stunde gekommen ist, „die Werke der Finsternis“ abzulegen und „den Herrn Jesus Christus“ anzulegen (vgl. Röm 13,11-14). An alle Jugendlichen der Welt, aber insbesondere an die Jugend in Argentinien geht von Herzen mein Gruß. Mit großem Interesse habe ich Eure jährlichen Wallfahrten zum Heiligtum der Mutter Gottes von Lujän verfolgt sowie das Nationaltreffen der Jugend letztes Jahr in Cordoba. Auch freue ich mich sehr über die Sorge, die die Bischöfe Argentiniens in den letzten Jahren der Jugend geschenkt haben. Mit meinem ersten Besuch in Eurem Land 1982, der zugleich von Leid und Hoffnung gezeichnet war, ist mir Euer Einsatz für Friede, Wahrheit und Gerechtigkeit vertraut geworden. Ich bin sicher, daß Ihr Euch gern für die Vorbereitung des Weltjugendtages einsetzen und zu dieser unserer Begegnung kommen werdet sowie bereit seid, die Jugendlichen, die aus anderen Ländern zu diesem Fest anreisen, als Freunde aufzunehmen. So möge dieses Fest ein Tag werden, an dem Ihr Euch erneut für Christus und die 1341 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kirche entscheidet und Euch einsetzt, eine neue Zivilisation der Wahrheit und Liebe zu erbauen. Somit lade ich alle Jugendlichen der Welt ein, mit Engagement und Hoffnung am Palmsonntag 1987 den Weltjugendtag zu begehen. Maria, der jungen Frau von Nazaret, der demütigen Dienerin des Herrn, die an die Liebe des Vaters geglaubt hat und uns Christus, unseren Frieden, gegeben hat (vgl. Eph 2,14), möchte ich die Vorbereitung und das Gelingen dieses Tages anvertrauen. Im Namen unseres Herrn Jesus Christus segne ich Euch alle von Herzen, damit Ihr Zeugen der Liebe Gottes, Säleute der Hoffnung und Erbauer des Friedens seid. Aus dem Vatikan, 30. November 1986 Am 1. Adventssonntag JOANNES PAULUS II. 1342 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Schreiben an die Priester zum Gründonnerstag 1987 13. April 1987 1343 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN I. Zwischen dem Abendmahlssaal und dem Garten Getsemani 1. „Nach dem Lobgesang gingen sie zum Ölberg hinaus“ (Mk 14,26). Laßt mich, liebe Mitbrüder im Priesteramt, meinen Brief zum Gründonnerstag dieses Jahres mit diesen Worten beginnen, die uns an den Augenblick erinnern, da Jesus Christus nach dem Letzten Abendmahl das Haus verließ, um zum Ölberg zu gehen. Wir alle, die wir durch das Weihesakrament in einer besonderen, amtlichen Weise am Priestertum Christi Anteil haben dürfen, vertiefen uns am Gründonnerstag geistig in die Erinnerung an die Einsetzung der Eucharistie; denn dieses Ereignis kennzeichnet den Anfang und die Quelle von all dem, was wirdurch die Gnade Gottes in derKirche und in der Welt sind. Der Gründonnerstag ist der Geburtstag unseres Priestertums und darum auch unser jährlicher Festtag. Dies ist ein bedeutender und heiliger Tag nicht nur für uns, sondern für die ganze Kirche, für alle, die Gott selbst in Christus zu „Königen“ und „Priestern“ gemacht hat (vgl. Offb 1,6). Für uns ist dieser Tag besonders wichtig und entscheidend, weil das gemeinsame Priestertum des Volkes Gottes an den Dienst der Ausspender der Eucharistie gebunden ist: unsere höchste Aufgabe. Indem ihr euch mit euren Bischöfen versammelt, liebe Brüder, erneuert ihr darum heute zusammen mit ihnen in euren Herzen die Gnade, die euch „durch die Auflegung der Hände“ (vgl. 2 Tim 1, 6) im Sakrament der Priesterweihe geschenkt worden ist. An diesem so außerordentlichen Tag möchte ich - wie jedes Jahr- mit euch allen wie auch mit euren Bischöfen verbunden sein; denn wir alle verspüren ein tiefes Verlangen, uns erneut der Gnade dieses Sakramentes bewußt zu werden, das uns zutiefst mit Christus, Priester und Opfergabe, verbindet. Zu diesem Ziel möchte ich mit dem vorliegenden Schreiben einige Gedanken über die Bedeutung des Gebetes in unserem Leben ausdrücken, vor allem im Blick auf unsere Berufung und Sendung. 2. Nach dem Letzten Abendmahl begibt sich Jesus zusammen mit den Aposteln zum Ölberg. In der Abfolge der Heilsereignisse der Heiligen Woche bildet das Abendmahl für Christus den Beginn „seinerStunde“. Gerade während des Abendmahles beginnt alles endgültig Wirklichkeit zu werden, was zu dieser „Stunde“ gehören soll. Beim Abendmahl setzt Jesus das Sakrament ein, das Zeichen einer Wirklichkeit, die sich in der Folge der Ereignisse noch ergeben muß. Darum sagt er: 1344 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“; „dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird“ (LA: 22,19 f)- So entsteht das Sakrament des Leibes und Blutes des Erlösers, mit dem das Priestersakramentwegen des Auftrages an die Apostel: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (Lk 22,19), eng verbunden ist. Die Worte der Einsetzung der Eucharistie nehmen nicht nur voraus, was am folgenden Tag Wirklichkeit werden sollte, sondern betonen auch ausdrücklich, daß diese unmittelbar bevorstehende Verwirklichung den Sinn und die Tragweite eines Opfers besitzt. Denn der Leib wird „hingegeben“, und das Blut wird „vergossen “, ,für euch Auf diese Weise legt Jesus während des Letzten Abendmahles ein wahres Opfer in die Hände der Apostel und der Kirche. Was im Augenblick der Einsetzung noch eine, wenn auch endgültige, Ankündigung darstellt, aber auch bereits eine echte Vorwegnahme der Wirklichkeit des Opfers auf Kalvaria ist, wird dann durch das Amt der Priester zur „Gedächtnisfeier“, die in sakramentaler Weise dieselbe erlösende Wirklichkeit immer wieder neu gegenwärtigsetzt: eine Wirklichkeit in der Mitte dergesamten göttlichen Heilsordnung. 3. Als Jesus zusammen mit den Aposteln hinausgeht und sich zum Ölberg begibt, geht er geradewegs auf die Wirklichkeit seiner„Stunde“zu, jener Zeit der österlichen Erfüllung des Planes Gottes und allerfernen und nahen Verheißungen, die hierüber in den „Schriften“ enthalten sind (vgl. Lk 24,27). Diese „Stunde“ bezeichnet auch die Zeit, in der das Priestertum mit einem neuen und endgültigen Inhalt als Berufung und Dienst aufgrund von Offenbarung und göttlicher Einsetzung erfüllt wird. Wir könnten eine ausführlichere Darlegung dieser Wahrheit vor allem im Hebräerbrief finden, einem grundlegenden Text für die Kenntnis des Priestertums Christi und unseres eigenen Priestertums. Aber im Rahmen der vorliegenden Erwägungen erscheint es wesentlich, daß Jesus auf die Vollendung der Wirklichkeit, die ihren Höhepunkt.in „seiner Stunde“ hat, im Gebet zugeht. 4. Das Gebet im Garten von Getsemani versteht man nicht nur aus seiner Verbindung mit all dem, was ihm während der Ereignisse des Karfreitags folgt, das heißt sein Leiden und Sterben am Kreuz, sondern auch und ebenso tief aus seiner Verbindung mit dem Letzten Abendmahl. Während dieses Abschiedsmahles erfüllte Jesus, was der ewige Wille des Vaters für ihn und was auch sein eigener Wille, der Wille des Sohnes, war: „Deshalb bin ich in diese Stunde gekommen!“ (Joh 12,27). Die Worte, mit 1345 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN denen das Sakrament des neuen und ewigen Bundes, die Eucharistie, eingesetzt wird, bilden in gewisser Weise das sakramentale Siegel jenes ewigen Willens des Vaters und des Sohnes, für den nunmehr die „Stunde“ der endgültigen Erfüllung gekommen ist. Im Garten Getsemani verbindet der Name „Abba“, der im Munde Jesu stets eine trinitarische Tiefe besitzt - diesen Namen benutzt er ja, um mit dem Vater und über den Vater zu sprechen, vor allem im Gebet -, die Schmerzen der Passion mit dem Sinn der Worte bei derEinsetzung der Eucharistie. Jesus kommt in der Tat nach Getsemani, um noch einen weiteren Aspekt der Wahrheit übersieh selbst, den Sohn, zu offenbaren, und er tut dies eben mit dem Wort Abba. Diese Wahrheit, diese unerhörte Wahrheit über Jesus Christus, besteht darin, daß er, der dem Vater gleich ist, weil eines Wesens mit ihm, zugleich wahrer Mensch ist. Und tatsächlich nennt er sich selbst häufig „Menschensohn“. Niemals so wie in Getsemani zeigt sich die Wirklichkeit des Sohnes Gottes, der „wie ein Sklave“ wurde (vgl. Phil 2,7) nach der Weissagung des Jesaja (vgl. Jes 53). Das Gebet in Getsemani offenbart mehr als jedes andere Gebet Jesu die Wahrheit über Identität, Berufung und Sendung des Sohnes, der in die Welt gekommen ist, um den Vaterwillen Gottes bis zum letzten zu erfüllen, wenn er sagen wird: „Alles ist vollbracht!“ (vgl. Joh 19,30). Das ist wichtig für alle, die an der „Gebetsschule“ Christi teilnehmen wollen; und besonders wichtig ist es für uns Priester. 5. Jesus Christus, der wesensgleiche Sohn, tritt also vor den Vater und spricht: „Abba.“ Und siehe: Indem er in einer gleichsam radikalen Weise seine Situation als wahrer Mensch, als „Menschensohn“, offenbart, bittet er dämm, daß der bittere Kelch ihm fembleibe: „Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber“ (Mt 26,39 par.). Jesus weiß, daß dies „nicht möglich“ ist, daß „der Kelch“ ihm gegeben ist, damit er ihn bis zur Neige „austrinke“. Und doch spricht er genau so: „Wenn es möglich ist, gehe er an mir vorüber.“Dies sagt er im selben Augenblick, da dieser „Kelch“, von ihm so heiß ersehnt (vgl. Lk22,15), bereits das sakramentale Siegel des neuen und ewigen Bundes im Blut des Lammes geworden ist; da alles, was von Ewigkeit her „festgesetzt“ war, schon in sakramentaler Weise in derZeit „eingesetzt“worden ist: eingeführt in die gesamte Zukunft der Kirche. Jesus, der diese Einsetzung in jenem Saal vorgenommen hat, wird sicherlich die vom Sakrament des Letzten Abendmahles bezeichnete Wirklichkeit nicht zurücknehmen wollen. Im Gegenteil, von ganzem Herzen wünscht er sich ihre Vollendung. Wenn er trotzdem betet, daß „dieser Kelch an ihm 1346 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN vorübergehe“ offenbart er auf diese Weise vor Gott und vor den Menschen das ganze Gewicht der Aufgabe, die er auf sich nehmen muß: an unseraller Stelle treten in der Sühne für die Sünde. Er zeigt damit auch den unendlichen Schmerz, der sein Menschenherz erfüllt. So erweist sich der Menschensohn solidarisch mit allen seinen Brüdern und Schwestern, die vom Anfang bis zum Ende der Zeiten zur großen Menschheitsfamilie gehören. Leiden ist für den Menschen das Übel - in Getsemani erfährt es Jesus Christus mit seinem ganzen Gewicht, wie es unserer gemeinsamen Erfahrung sowie unserer spontanen inneren Einstellung entspricht. Vor seinem Vater behält er die ganze Wahrheit seiner Menschennatur bei, die Wahrheit eines Menschenherzens, das von dem Leiden bedrückt ist, welches seinem dramatischen Höhepunkt zustrebt: „Meine Seele ist zu Tode_ betrübt“ (Mk 14,34). Niemand ist jedoch in der Lage, mit nur menschlichen Kriterien das wahre Maß dieses Leidens eines Menschen auszudrücken. Der da im Garten Getsemani zum Vater betet, ist ja ein Mensch, der zugleich Gott ist, eines Wesens mit dem Vater. 6. Die Worte des Evangelisten: „Da ergriff ihn Angst und Traurigkeit“ {Mt 26,37), wie auch der gesamte Verlauf des Gebetes in Getsemani scheinen nicht nur auf die Angst vor dem Leiden, sondern auch auf die dem Menschen eigene Furcht hinzuweisen, auf eine Art von Furcht, die mit seinem Verantwortungsbewußtsein verbunden ist. Ist der Mensch nicht jenes einzigartige Wesen, dessen Berufung es ist, „fortwährend sich selbst zu übersteigen“? Jesus Christus, der „Menschensohn“ gibt im Gebet, das seine Passion einleitet, der typischen Mühseligkeit jener Verantwortung Ausdruck, wie sie mit der Übernahme von Aufgaben verbunden ist, bei denen der Mensch „sich selbst übersteigen“ muß. Die Evangelien erwähnen mehrmals die Tatsache, daß Jesus betete,ja daß er „die ganze Nacht im Gebet verbrachte“ (vgl. Lk 6,12); aber keines dieser Gebete ist in so tieferund eindringlicher Weise dargestellt worden wie jenes von Getsemani. Das ist verständlich; war doch keine andere Stunde im Leben Jesu so entscheidend. Kein anderes Gebet gehörte dermaßen zu dem, was „seine Stunde“ sein sollte. Von keiner anderen Entscheidung seines Lebens wie von dieser hing die Erfüllung des Willens des Vaters ab; der „die Welt so sehr geliebt hat, daß er seinen einzigen S ohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ {Joh 3,16). Als Jesus in Getsemani sagt: „Nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen“ {Lk 22,42), offenbart er damit die Wahrheit vom Vater und von dessen Heilsliebe für den Menschen. „Der Wille des Vaters“ ist eben diese Heilsliebe: Das Heil der Welt soll sich durch das erlösende Opfer des Sohnes verwirk- 1347 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN liehen. Es ist sehr verständlich, daß der Menschensohn bei der Übernahme dieser Aufgabe in der entscheidenden Zwiesprache mit dem Vater erkennen läßt, daß er sich der übermenschlichen Bedeutung einer solchen Aufgabe bewußt ist, in der er den Willen des Vaters in der göttlichen Tiefe der Einheit des Sohnes mit ihm erfüllen soll. „Ich habe das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast“ (vgl. Joh 17,4). Der Evangelist Lukas sagt hierzu: „ Und in seiner Angst betete er noch inständiger'XLk22,44). Diese Todesangst zeigte sich auch im Schweiß, der wie Blutstropfen das Antlitz Jesu benetzte (vgl. ebenda). Das ist der äußerste Ausdruck eines Leidens, das sich in Gebet verwandelt, und eines Gebetes, das seinerseits den Schmerz kennt, indem es das Opfer begleitet, das im Abendmahlssaal sakramental vorweggenommen und im Geiste von Getse-mani tief durchlebt worden ist und das nun auf Kalvaria zu Ende geführt werden soll. Auf diese Momente im Beten Jesu als Priester und Opfer möchte ich eure Aufmerksamkeit hinlenken, liebe Brüder, weil sie zu tun haben mit unserem Gebet und mit unserem Leben. II. Das Gebet als Mitte priesterlicher Existenz 7. Wenn wir in unserer Betrachtung zum Gründonnerstag dieses Jahres den Abendmahlssaal mit Getsemani zusammenbringen, dann darum, um zu verstehen, wie tief unser Priestertum mit dem Gebet verbunden sein muß: Es muß im Gebet verwurzelt sein. Diese Feststellung erfordert wirklich keinen Beweis, sondern muß vielmehr ständig mit Herz und Verstand bedacht werden, damit die in ihr enthaltene Wahrheit sich immer tiefer im Leben verwirklichen kann. Es handelt sich j a um unser Leben, um unserepriesterlicheExistenz selbst in all ihrem Reichtum, wie er vor allem in der Berufung zum Priestertum und dann auch im daraus erwachsenden Heilsdienst enthalten ist. Wirwissen, daß das sakramentale und amtliche Priestertum eine besondere Teilhabe am Priestertum Christi ist. Es existiert nicht ohne ihn und außerhalb von ihm. Es blüht nicht auf und bringt keine Frucht, ohne in ihm verwurzelt zu sein. „Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5), sagte Jesus beim Letzten Abendmahl am Ende seines Gleichnisses über den Weinstock und die Rebzweige. Als Jesus später, während seines einsamen Gebetes im Garten von Getsemani, zu Petrus, Johannes und Jakobus kommt und sie schlafend findet, weckt er sie mit den Worten auf: „Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet“ {Mt 26,41). 1348 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das Gebet sollte also für die Apostel die konkrete undwirksame Weise ihrerTeil-nahme an der „Stunde Jesu“ und ihrer Verwurzelung in ihm und in seinem österlichen Geheimnis sein. So wird es immer auch für uns Priester sein. Ohne das Gebet droht die Gefahr jener „Versuchung“, der die Apostel im Augenblick, da sie sich dem „Ärgernis des Kreuzes“ (vgl. Gal5,11) von Angesicht zu Angesicht gegenübersahen, leider erlegen sind. 8. In unserem priesterlichen Leben kennt das Gebet verschiedene Formen und Bedeutungen: Das gilt für das persönliche, das gemeinschaftliche wie auch das liturgische - das öffentliche und offizielle - Gebet. Diesem vielfältigen Gebet muß jedoch stets jenes tiefste Fundament zugrundeliegen, das unserer priesterlichen Existenz in Christus entspricht, insofern sie in einer besonderen Weise die christliche Existenz selbst, ja sogar-in einem allgemeineren Sinne - die menschliche Existenz verwirklicht. Das Gebet istja der angemessene Ausdruck unseres Bewußtseins, daß wir von Gott geschaffen sind, und darüber hinaus - wie man der Bibel deutlich entnehmen kann -, daß sich der Schöpfer dem Menschen als Gott des Bundes offenbart hat. Das Gebet, das unserer priesterlichen Existenz entspricht, umfaßt zunächst natürlich alles, was sich aus unserem Christsein ergibt oderauch einfach aus der Tatsache, daß wir Menschen sind, die nach dem „Bild und Gleichnis“ Gottes geschaffen wurden. Es schließt dann auch das Bewußtsein ein, daß wir Menschen und Christen nach-Art von Priestern sind. Gerade dies scheint der Gründonnerstag tiefer aufzeigen zu können, wenn er uns nach dem Letzten Abendmahl zusammen mit Christus nach Getsemani führt. Hier sind wir ja Zeugen des Gebetes Jesu selbst, das der höchsten Vollendung seines Priestertums durch sein Lebensopfer am Kreuz unmittelbar vorausgeht. Er „ist als Hoherprie-ster der künftigen Güter gekommen; ist ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen .. .miiseinem eigenen Blut“ (vgl. Hebr9,11 f.). In der Tat, wenn er auch vom Anfang seiner Existenz an Priester war, so „wurde“ er doch der einzige Priester des neuen und ewigen Bundes in voller Weise erst durch das Erlösungsopfer, das in Getsemani begann. Und dieser Beginn geschah im Gebet. 9. Liebe Brüder, dies ist für uns am Gründonnerstag, den wir zu Recht als Geburtstag unseres Priesteramtes in Christus betrachten, eine Entdeckung von grundlegender Bedeutung. Zwischen die Einsetzungsworte: „Das ist mein Leib, derfür euch hingegeben wird“,,,mein Blut, das für euch vergossen wird“, und die tatsächliche Realisierung dieser Worte tritt das Gebet von Getsemani. Ist es nicht so, daß dieses Gebet in der Abfolge der österlichen 1349 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ereignisse zu jener auch sichtbaren Wirklichkeit hinführt, die das Sakrament bezeichnet und zugleich erneuert? Das Priestertum, das durch ein so eng mit der Eucharistie verbundenes Sakrament unser Erbe geworden ist, ist immer ein Anruf, an eben dieser erlösenden göttlich-menschlichen Wirklichkeit teilzunehmen, die durch unseren Dienst in der Heilsgeschichte immer neue Früchte hervorbringen soll: „daß ihr euch aufmacht und Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt“ (Joh 15,16). Der hl. Pfarrervon Ars, von dem wir im vergangenen Jahr den zweihundertsten Geburtstag gefeiert haben, erscheint uns gerade als Mann dieser Berufung, indem er auch in uns das Bewußtsein davon stärkt. In seinem heroischen Leben war das Gebet das Mittel, das es ihm gestattete, betändig in Christus zu bleiben und angesichts seiner „Stunde“ mit ihm zu „wachen '.‘Diese „Stunde“ hört nicht auf, über das Heil so vieler Menschen zu entscheiden, die dem priesterlichen Dienst und derpastoralen Sorge eines jeden Priesters anvertraut sind. Im Leben des hl. Johannes Maria Vianney verwirklichte sich diese „Stunde“ besonders durch seinen Dienst im Beichtstuhl. 10. Das Gebet in Getsemani ist wie ein Eckstein, der von Christus zur Grundlage des Dienstes für den „ihm vom Vater anverträuten“ Auftrag, zum Fundament für das Werk der Erlösung der Welt durch das Kreuzesopfer gemacht worden ist. Da wir am Priestertum Christi teilhaben, das mit seinem Opfer untrennbar verbunden ist, müssen auch wir den Eckstein des Gebetes zum Fundament unserer priesterlichen Existenz machen. Dieses erlaubt uns, unser Leben mit dem priesterlichen Dienst in Einklang zu bringen, indem wir die Identität und Echtheit dieser Berufung unversehrt bewahren, die in der Kirche als Gemeinschaft des Volkes Gottes unser besonderes Erbe geworden ist. Das priesterliche Gebet, besonders das Breviergebet und die eucharistische Anbetung, wird uns vor allem helfen, daß wir uns bewußt bleiben, als „Diener Christi“ in einer besonderen und außerordentlichen Weise „Verwalter von Geheimnissen Gottes“ zu sein (1 Kor 4,1). Wie auch immer unsere konkrete Aufgabe und die Art unseres seelsorglichen Dienstes ist, das Gebet wird uns das Bewußtsein von jenen Geheimnissen Gottes erhalten, dessen „Verwalter“ wir sind, und wird uns helfen, dies in allen unseren Werken zum Ausdruck zu bringen. Auch auf diese Weise werden wir für die Menschen ein verständliches Zeichen für Christus und sein Evangelium. Liebe Mitbrüder! Wir brauchen das Gebet, das tiefe und gewissermaßen allesverbindende Gebet, um ein solches Zeichen sein zu können. „Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ 1350 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN (Joh 13,35). Ja, das ist wirklich eine Frage der Liebe, der Liebe,Jur die anderen“', als Priester „Verwalter von Geheimnissen Gottes“ zu sein, bedeutet ja, sich den anderen zur Verfügung zu stellen und auf diese Weise Zeugnis zu geben von jener höchsten Liebe, die in Christus ist, von jener Liebe, die Gott selber ist. 11. Wenn das priesterliche Gebet ein solches Bewußtsein und eine solche Haltung im Leben eines jeden von uns stärkt, so muß es sich zugleich nach derinneren „Logik“ derBerufung eines Verwalters von Geheimnissen Gottes ausweiten und auf alle jene erstrecken, die „der Vater uns gegeben hat“(vg\.Joh 17,6). Dies ergibt sich deutlich aus dem priesterlichen Gebet Jesu im Abendmahlssaal: „Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie gehörten dir, und du hast sie mir gegeben, und sie haben an deinem Wort festgehalten“ (Joh 17,6). Nach dem Vorbild Jesu ist der Priester als „Verwalter von Geheimnissen Gottes“ ganz er selbst, wenn er,Jur die anderen“da ist. Das Gebet gibt ihm ein besonderes Gespür für diese „anderen“, macht ihn empfänglich für ihre Nöte, für ihr Leben und ihr Schicksal. Das Gebet gestattet dem Priesterauch, diejenigen zu erkennen,,,die derVaterihm gegeben hat“. Dies sindvorallemjene, die ihm vom Guten Hirten sozusagen auf den Weg seines priesterlichen Dienstes, seinerSeelsorge, geschickt werden. Es sind die Kinder, die Erwachsenen, die alten Leute. Es sind die Jugendlichen, die Eheleute, die Familien, aber auch die Alleinstehenden. Ferner die Kranken, die Leidenden^ die Sterbenden; es sind jene, die uns geistig nahestehen, die zur Mitarbeit im Apostolat bereit sind, aber auch die Fernstehenden, die Abwesenden, die Gleichgültigen, von denen viele sich doch in der Phase der Besinnung und Suche befinden können. Schließlich jene, die aus verschiedenen Gründen schlecht disponiert sind,jene, die sich in Schwierigkeiten verschiedener Art befinden, jene, die gegen Lasterund Sünde ankämpfen, jene, die für Glauben und Hoffnung kämpfen. Jene, die die Hilfe des Priesters suchen und auch jene, die sie ablehnen. Wie aber kann man „für“ diese alle - und „für“jeden von ihnen - dasein nach dem Vorbild Christi? Wie „für“ jene, die „der Vater uns gibt“, uns als Aufgabe anvertraut? Dies wird für uns immer eine Probe der Liebe sein - eine Probe, die wir vor allem auf der Ebene des Gebetes annehmen müssen. <38> <38> Wir wissen alle, liebe Brüder, daß diese Probe uns etwas „kostet“. Was kosten mitunter die scheinbar gewöhnlichen Gespräche mit den verschiedenen Personen! Was kostet der Dienst, mit dem wir den Gewissen im Beicht- 1351 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Stuhl beistehen! Was kostet die Sorge „für alle Gemeinden“ (vgl. 2Korll,28: sollicitudo omnium ecclesiarum). Hierbei handelt es sich um die „Hauskirchen“ (vgl. LG, 11), d. h. die Familien, besonders in ihren gegenwärtigen Schwierigkeiten und Krisen; es handelt sich um jeden einzelnen „Tempel des Heiligen Geistes“ (7 Kor 6,19): um jeden Mann oder jede Frau in ihrer menschlichen und christlichen Würde. Es geht schließlich um eine kirchliche Gemeinschaft wie die Pfarrei, die immer die grundlegende Gemeinschaft bleibt, oder um jene Gruppen, Bewegungen und Vereinigungen, die der Erneuerung des Menschen und der Gesellschaft im Geist des Evangeliums dienen, welche heute im Bereich der Kirche aufblühen und für die wir dem Heiligen Geist dankbar sein müssen, der so zahlreiche gute Initiativen ins Leben ruft. Ein solcher Einsatz hat seine „Kosten“, die wir mit der Hilfe des Gebetes tragen müssen. Das Gebet ist unerläßlich, um das pastoräle Gespür für all das zu bewahren, was vom „Geist“ kommt, um jene Charismen richtig zu unterscheiden und einzusetzen, die zur Einheit beitragen und mit dem priesterlichen Dienst in der Kirche verbunden sind.Denn es ist die Aufgabe der Priester, „das Volk Gottes zu vereinen“, nicht zu spalten. Und sie tun dies vor allem als Ausspender der heiligen Eucharistie. Das Gebet wird uns also erlauben, wenn auch inmitten vieler Hindernisse Jene Probe derLiebezu geben, die das Leben jedes Menschen bieten muß -und das des Priesters in einerbesonderen Weise. Wenn diese Probe unsere Kräfte zu übersteigen scheint, erinnern wir uns an das, was der Evangelist von Jesus in Getsemani sagt: „Und er betete in seiner Angst noch inständiger“ (Lk 22,44). 13. Das II. Vatikanische Konzil stellt das Leben der Kirche als eine Pilgerschaft im Glauben dar (vgl. LG, 48ff). Jeder von uns, liebe Brüder, hat aufgrund seinerpriesterlichen Berufung und Weihe an dieserPilgerschaft einen besonderen Anteil. Wir sind berufen, voranzugehen und die anderen zu führen, ihnen auf ihrem Weg als Diener des Guten Hirten zu helfen. Als Verwalter von Geheimnissen Gottes müssen wir daher eine Glaubensreife besitzen, die unserer Berufung und unseren Aufgaben entspricht. Denn „von Verwaltern verlangt man, daß sie sich treu erweisen“ (7 Kor 4,2) vom Augenblick an, da der Herr ihnen sein Erbe anvertraut. Deshalb ist es gut, daß auf dieserPilgerschaft des Glaubens jeder von uns seinen inneren Blick auf die Jungfrau Maria, die Mutter Jesu Christi, des Sohnes Gottes, richtet. Sie nämlich geht uns - wie das Konzil im Anschluß an die Väter lehrt - voraus auf dieser Pilgerschaft (vgl. LG, 58) und gibt uns ein erhabenes Beispiel, das ich auch in meiner kürzlichen Enzyklika herausge- 1352 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN stellt habe, die ich für das Marianische Jahr, auf das wir uns vorbereiten, veröffentlicht habe. In ihr, der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau, entdecken wir auch das Geheimnis jener übernatürlichen Fruchtbarkeit durch das Wirken des Heiligen Geistes, durch die sie „Typus“der Kirche ist. Denn die Kirche wird „auch selbst Mutter: Durch Predigt und Taufe nämlich gebiert sie die vom Heiligen Geist empfangenen und aus Gott geborenen Kinder zu neuem und unsterblichem Leben“ {LG, 64). Der Apostel Paulus bezeugt: „Meine Kinder, für die ich von neuem Geburtswehen erleide"{Gal4,19). Die Kirche wird Muter, indem sie wie eine Mutter leidet, die.„bekümmert ist, weil ihre Stunde da ist; aber wenn sie das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an ihre Not über die Freude, daß ein Mensch zur Welt gekommen ist“ {Joh 16,21). Berührt dieses Zeugnis nicht vielleicht auch das Wesen unserer besonderen Berufung in der Kirche? Auf jeden Fall - so möchte ich zum Abschluß sagen -müssen wir, damit das Zeugnis des Apostels auch unser eigenes werden kann, ständig zum Abendmahlssaal und nach Getsemani zurückkehren und im Gebet und durch das Gebet in die Herzmitte unseres Priestertums gelangen. Wenn wir zusammen mit Jesus rufen: „Abba, Vater“, dann „bezeugt der Geist selber unserem Geist, daß wir Kinder Gottes sind“ {Röm 8,15 f.). „So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können. Und Gott, der die Herzen erforscht, weiß auch, was die Absicht des Geistes ist“ {Röm 8,26 f.). Empfangt, liebe Brüder, meinen österlichen Gruß und den Friedenskuß in Jesus Christus, unserem Herrn. Aus dem Vatikan, am 13. April des Jahres 1987. PAPST JOHANNES PAUL II. 1353 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Salbung — ein Symbol für die Kraft des Geistes Predigt bei der Chrisam-Messe am Gründonnerstag, 16. April 1. „ Der Herr hat mich gesandt, damit ich alle heile, deren Herz bedrückt ist1 ‘ {Jes 61,1). Der Gottesdienst am Morgen des Gründonnerstags ist eine Einleitung in das „Triduum Sacrum“, das heute mit der Abendmahlsmesse („in Cena Domini“) beginnt. Das Wort Gottes in der Liturgie am Gründonnerstagmorgen, die mit der Ölweihe verbunden ist, enthält eine Art gedrängte Synthese des Ostergeheimnisses sowie auch der Ausblicke, die sich mit ihm in der Heilsgeschichte eröffnen. Die Lesungen konzentrieren sich auf Christus. Die Geheime Offenbarung spricht von ihm als dem „treuen Zeugen“ und zugleich dem „Erstgeborenen der Toten“ und dem „Herrscher über die Könige der Erde“ (vgl. Offb 1,5). Das ist Christus: Er, der durchbohrt wurde. Er, um dessentwegen alle Völker der Erde jammern und klagen werden (vgl. Offb 1,7). Christus, der „uns von unseren Sünden erlöst hat durch sein Blut“ (Offb 1,5). Christus — Erlöser des Menschen. Christus — Erlöser der Welt. 2. Sein Kommen geschieht in der Macht des Heiligen Geistes. Und sein Abschied im Ostergeheimnis soll die Herabkunft des Beistandes, des Trösters bewirken. Und die Lesungen der heutigen Liturgie konzentrieren sich auf den Heiligen Geist. Sie zeigen die enge Verbindung zwischen der Macht des Geistes und der Sendung des Sohnes auf. Christus, der heute dem Neuen Bund in seinem eigenen Blut entgegengeht, läßt die Worte des Propheten Jesaja in Erfüllung gehen. Sie sprechen vom Messias, vom Gesalbten, dessen ganze Sendung vom Heiligen Geist durchdrungen ist. „Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe, und alle heile, deren Herz bedrückt ist, damit ich die Entlassung der Gefangenen verkünde und die Befreiung der Gefesselten, damit ich ein Jahr der göttlichen Gnade verkünde“ {Jes 61,1-2). Das alles ist von Christus vollbracht worden. Und das alles ist zugleich vom Heiligen Geist vollbracht worden. Zuerst von dem Geist, der den Messias aus der Mitte des Volkes „hervorhob“, jenem selben Geist, den uns dann Christus in der Kraft seines Ostergeheimnisses ..bringt“. 1354 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Als „Erstgeborener der Toten“ bringt er ihn als Zeugnis für sein eigenes Ostern. Am „Tag nach dem Sabbat“ wird das Ostern des Gekreuzigten zum ersten Zeugnis für die lebendigmachende Kraft des Geistes. Sie werden wahrhaftig auf den blicken, den sie durchbohrt haben (vgl. Joh 19,37). 3. Die Lesungen der heutigen Liturgie und ihr gesamter Inhalt führen uns weiter. Der Erlöser wird gesandt, um mit seinem Blut (dem Blut des neuen und ewigen Bundes) die Kraft des Heiligen Geistes allen zu bringen, „deren Herz bedrückt ist“. Ein Symbol für diese Kraft ist die „Salbung“. Die Liturgie am Morgen des Gründonnerstags stellt dieses Symbol in den Mittelpunkt. Durch Christus, durch seinen Tod und seine Auferstehung, wird die „Salbung“ zum Zeichen der Teilnahme an der heiligenden Kraft des Geistes. Diese Kraft ist vielfältig, und vielfältig ist auch die Teilnahme an ihr durch die sakramentalen Zeichen. Und deshalb wird der Morgenliturgie des Gründonnerstags die Weihe des Chrisam, des Öls für die Katechumenen und des Öls für die Krankensalbung, vorgenommen. Mit allen diesen Zeichen der Kraft des Heiligen Geistes offenbart sich in österlicher Sicht die Kirche als „Sakrament“ des Heiles im gekreuzigten und auferstandenen Christus. Wahrhaftig: sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben. Und Jahr für Jahr werden sie mittels des „Triduum sacrum“ eindringlich auf die Kirche blicken, die aus der am Kreuz durchbohrten Seite des Bräutigams entspringt. 4. Ja, des Bräutigams. Der Erlöser ist Bräutigam. Er liebt uns und „hat uns durch sein Blut zu Königen gemacht und zu Priestern vor Gott seinem Vater“ (vgl. Offb 1,5-6). Die Salbung diente im Alten Testament zur Weihe der Priester, der Propheten und der Könige, wie z. B. Davids. Im Neuen Bund ist sie ein Zeichen des Geistes, der in der Kraft der Erlösung durch Christus wirksam ist. Er, der uns liebt, hat uns die Liebe zum Geschenk gemacht, damit-wir aus ihr schöpfen und zu einer „neuen Schöpfung“ werden können: neue Menschen und ein neues Volk. 5. Für dieses Volk des Neuen Bundes, sind auch wir gesalbt, liebe Brüder im Bischofs- und im Priesteramt, die ihr zusammen mit mir heute die Eucharistie feiert. 1355 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wir werden auf besondere Weise gesalbt. Unsere Hände wurden bei der Priesterweihe gesalbt, damit wir in der Kraft des Geistes Christi sein Opfer feiern können. In persona Christi. Sancta sancte! Bei der Bischofsweihe wird uns das Haupt gesalbt, damit wir an der Sendung dessen teilhaben können, der das Haupt seines Leibes ist. Erlöser und Bräutigam. Hirte. Der Gute Hirte. Sancta sancte! Erneuern wir heute in unseren Herzen das Gedächtnis unserer Weihe! Erneuern wir die Gnade des Sakramentes! Erneuern wir die Versprechen und Verpflichtungen, damit wir zusammen mit Christus „den Armen eine gute Nachricht bringen“, „alle heilen, deren Herz bedrückt ist“, „ein Jahr der göttlichen Gnade und des Heils verkünden“ können! Siehe, er, der uns liebt, kommt. „Seine Stunde“ ist nahe. Die Eucharistie ist das Zeichen der Erlösung Predigt bei der Abendmahlsmesse in St. Johannes im Lateran am Gründonnerstag, 16. April 1. „Wie kann ich dem Herrn all das vergelten, was er mir Gutes getan hat?“ (Ps 116,12). Das ist der Abend der Einsetzung der Eucharistie. Eucharistie heißt Danksagung. Der Dank erwächst aus dem Bewußtsein, daß es sich um ein Geschenk handelt. Und das Geschenk offenbart die Liebe. „Wie kann ich dem Herrn all das vergelten, was er mir Gutes getan hat?“ 2. „Es war vor dem Paschafest“ (Joh 13,1). An diesem Abend gedachten die Kinder Israels voll Dankbarkeit alles dessen, was ihnen Jahwe, der Gott des Bundes, getan hatte. Vor allem gedachten sie jener Nacht; sie dachten in ihrem Herzen nach über jene Nacht, die ihnen die Befreiung aus Ägypten gebracht hatte. Die Lesung des Buches Exodus rief alle Geschehnisse jener Nacht in Erinnerung. Gott befreite sie aus Ägypten, von wo sie unter der Führung des Mose auszogen. Gott befreite sie durch das Paschalamm. Das Lamm, das geschlachtet wurde, um an jenem Abend verzehrt zu werden, wurde zum Zeichen der Erwählung Israels. Sein Blut, mit dem die Türpfosten und der Türsturz der Häuser bestrichen worden war, bewirkte, daß sie nicht die „Heimsuchung der Vernichtung“ erlitten, die in jener Nacht ganz Ägypten traf. 1356 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN So wurden alle erstgeborenen Söhne Israels gerettet, während „jeder Erstgeborene in Ägypten und jede Erstgeburt beim Vieh“ in jener Nacht erschlagen wurde. Angesichts dieses gravierenden Zeichens gaben die Ägypter nach. Israel zog aus dem Haus der Knechtschaft aus. Der Alte Bund ist aufs engste mit diesem Zeichen verbunden, das das Volk in jener Nacht erhielt. Es war die Nacht des Auszugs, nämlich das Paschafest. Das Blut des Lammes, das in jener Nacht die Söhne Israels gerettet hat, erinnerte sie von Generation zu Generation daran, daß sie das auserwählte Volk waren. Gott hat sie mit einer besonderen Liebe geliebt und unter allen Völkern erwählt. 3. „Wie kann ich dem Herrn all das vergelten, was er mir Gutes getan hat?“ Die Kinder Israels gedenken dieser Nacht von Generation zu Generation mit Gebet und mit dem Paschamahl. Und sie preisen den Namen des Herrn. Sie jubeln und frohlocken in den Dankopfem, in Erfüllung der Versprechen und Gelöbnisse, die sie mit dem Gott des Bundes gemacht haben. 4. In eben diesem Geist sind jene Söhne Israels mit Jesus zusammengekommen, die er zu seinen Aposteln gemacht hatte. „Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Da er die Seinen ... liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ (Joh 13,1). Und da, während des Paschamahles, das das letzte vor seinem Hinübergang zum Vater war, wurde ein neues Zeichen offenbar: das Zeichen des Neuen Bundes. „Ich will den Kelch des Heils erheben und anrufen den Namen des Herrn“ (Ps 116,13). Jesus nahm den Kelch. „Nach dem Mahl nahm er den Kelch und sprach: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut“ (1 Kor 11,25). Warum dieses Blut? Blut, Symbol des Lebens, besiegelt den Neuen Bund Zuvor „nahm Jesus das Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch“ (1 Kor 11,23-24). Das Blut bekräftigt die Hingabe des Leibes im Leiden und Tod am Kreuz. Jesus spricht vom Kommenden, vom „Morgen“, und sein österliches „Morgen“ insgesamt stellt das sakramentale „Heute“ dar. Das ist der Neue Bund in seinem Blut, das ist die Vollendung der Gestalt des Osterlammes. 1357 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das Zeichen der Erlösung, der Befreiung von der Knechtschaft der Sünde und des Todes, das eschatologische Zeichen. In der Tat sagt Jesus: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (1 Kor 11,24). Und der hl. Paulus erläutert: „Sooft ihr von diesem Brot eßt und aus dem Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn bis er kommt“ (i Kor 11,26). Letztgültiger Exodus 5. Genau dies bedeuten die Worte: „... er erwies ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“. „Bis zur Vollendung“ will heißen: bis er sich für sie hingab, für uns, für alle. „Bis zur Vollendung“ will heißen: bis zum Ende der Zeiten, bis er selbst einst wieder kommt. Am Abend des Paschafestes gedachten die Kinder Israels der Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens durch das Blut des Lammes. Und so wurde die Dankbarkeit gegenüber Jahwe neu belebt: „Wie kann ich dem Herrn all das vergelten, was er mir Gutes getan hat?“ Seit jenem Abend des Letzten Abendmahles gedenken wir alle, Söhne und Töchter des Neuen Bundes im Blute Christi, seines Pascha, seines Hinüberganges durch den Tod am Kreuz. Aber wir halten nicht nur eine Gedenkfeier. Das Sakrament des Leibes und Blutes macht sein Opfer gegenwärtig. Es läßt uns immer aufs neue daran teilhaben. In diesem Sakrament ist der gekreuzigte und auferstandene Christus ständig bei uns; in den Gestalten von Brot und Wein kehrt er immer wieder zu uns zurück — bis er wiederkommen wird, damit das Zeichen der letzten und endgültigen Wirklichkeit weicht. 6. „Wie kann ich dem Herrn all das vergelten, was er mir Gutes getan hat?“ Die Frage des Psalms bringt gewissermaßen das Geheimnis dieses Sakraments zum Ausdruck. In dieser Frage ist die Eucharistie gemeint. Wie werde ich das Geschenk des Neuen Bundes im Blute des Erlösers vergelten? Wie werde ich die Gemeinschaft seines Leibes und Blutes unter den Zeichen des Brotes und Weines im Abendmahlssaal vergelten? Wie werde ich diese ganze heilbringende und befreiende Wirklichkeit vergelten, die den Namen trägt: das Geheimnis der Erlösung? Wie werde ich die Liebe „bis zur Vollendung“ vergelten? „Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“. Wie werde ich das vergelten? 1358 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das war Gottes Sohn Predigt beim Kreuzweg am Karfreitag, 17. April 1. „Wahrhaftig, das war Gottes Sohn!“ (Mt 27,54). Als Jesus am Kreuze starb, sprach der römische Hauptmann diese Worte: „Das war Gottes Sohn!“ — Vorher hatten einige der Umstehenden zu Füßen des Kreuzes ausgerufen: „Wenn du Gottes Sohn bist, steig herab vom Kreuz!“ (vgl. Mt 27,42 f.). Jesus stieg nicht vom Kreuz herab. Er nahm diese Herausforderung der Menschen nicht an. Er glich sein Zeugnis nicht den Maßstäben an, mit denen die Menschen ihn hatten messen wollen. Einziger Maßstab war für ihn der Wille des Vaters. In dieser letzten Stunde hat er sich dem Zeugnis anvertraut, das ihm der Vater geben sollte. In den Augen der Widersacher bestätigte der Tod Jesu am Kreuz, daß er nicht derjenige war, der zu sein er behauptet hatte: Er war nicht der Sohn Gottes. 2. Und siehe, genau in diesem Augenblick, da sie meinten, durch jenen Tod einen endgültigen Beweis zu haben, daß Jesus nicht Gottes Sohn war, wird ein Fremder, der römische Hauptmann, Augenzeuge der letzten Stunde des Gekreuzigten, der das Erdbeben und alles Folgende erlebt hat, zum ersten Sprecher für das „Zeugnis“, das Christus ausschließlich vom Vater erwartete. „Wahrhaftig, das war Gottes Sohn!“ — Ein Zeugnis und ein Gegen-Zeugnis! 3. Wie war so etwas möglich? War dies nicht vielleicht das erste Zeichen des Kommens des Heiligen Geistes, von dem Jesus noch am Tag zuvor zu den Aposteln gesprochen hatte? „Wenn ich fortgehe, werde ich ihn zu euch senden“ (Joh 16,7). „Wenn aber ... der Geist der Wahrheit... kommt..., wird er Zeugnis für mich ablegen; und auch ihr sollt Zeugnis ablegen“ {Joh 15,26 f.): ihr, die Apostel! — Und nun dies: Ein Fremder, der nicht zu ihnen gehört, der römische Hauptmann, wird die Stimme dieses Zeugnisses, das vom Geist der Wahrheit abgelegt wird. Er spricht ja: „Wahrhaftig, das war Gottes Sohn!“ Aber hat Christus nicht auch gesagt: „Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Brausen“ (Joh 3,8)? Das Zeugnis des Geistes der Wahrheit bahnt sich oft und auf vielfältige Weise den Weg durch die verschiedenen Formen des Gegen-Zeugnisses. 4. Hier unter dem Kreuz der Hauptmann und auch jene, „die mit ihm zusammen Jesus bewachten“ {Mt 27,54): Gehören sie nicht etwa zu denen, „die von 1359 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen“ (Mt 8,11)? 5. Beim letzten Atemzug rief Jesus laut: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ Nach diesen Worten hauchte er den Geist aus“ (Lk 23,46). Hat der Vater etwa nicht den Geist seines Sohnes aufgenommen, den Geist dessen, der gehorsam geworden ist bis zum Tod (vgl. Phil 2,8), damit wie er verheißen hatte, der Heilige Geist schließlich den Menschen gegeben werde? Und so auch diesem Menschen zu Füßen des Kreuzes gegeben werde? Die Stimme des Hauptmanns wird ja zum Zeugnis, das im Augenblick eines schändlichen Todes vom Geist der Wahrheit für Christus abgelegt wird: „Wahrhaftig, das war Gottes Sohn!“ Er ist Gottes Sohn — und genau deswegen ist er nicht vom Kreuz herabgestiegen. Genau deswegen ist er gehorsam geworden bis zum Tod am Kreuz. Weil er den Vater liebt und das tut, was der Vater ihm aufgetragen hat“ (vgl. Joh 14,31). 6. Zu Füßen des Kreuzes steht auch die Mutter Christi. Hört sie das, was der Hauptmann sagt? Wenn sie es hört, muß sie in diesem Ausruf das gleiche Zeugnis wiederfinden, das sie, die Jungfrau von Nazaret, seit dem Tag der Verkündigung entgegengenommen hat. „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,35). — Und hier wird er gerade so „genannt“! Er wird in dem Augenblick so genannt, da gleichsam bis zum Äußersten die Macht des Gegen— Zeugnisses wächst, das denkt: Er steigt nicht vom Kreuz — also ist er nicht der Sohn Gottes. Das wahre Zeugnis hingegen sagt: „Wahrlich, das war Gottes Sohn“ und: „Selig, die geglaubt hat“ (Lk 1,45). 7. Zu Füßen des Kreuzes steht heute die ganze Kirche, mit Maria, Johannes, Magdalena, mit den Frauen, die später kommen, um den Leichnam Jesu zu salben, der ins Grab gelegt worden war. Die ganze Kirche, die heute zu Füßen des Kreuzes versammelt ist, meditiert über das tiefste Geheimnis Gottes: das Geheimnis des einziggeborenen Sohnes, den der Vater „dahingab“ (vgl. Joh 3,16) und der „für uns zur Sünde gemacht wurde“ (2 Kor 5,21), damit der Mensch in der Kraft der alles übersteigenden Liebe, die Gott selber ist, „nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Die Kirche ist heute beim Geheimnis des Kreuzes versammelt. Sie feiert sogar nicht die Eucharistie, das unblutige Opfer, um sich ganz und gar von der 1360 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wirklichkeit des blutigen Opfers durchdringen zu lassen, das der Menschensohn dem Vater auf Kalvaria dargebracht hat. 8. Wenn also der Priester in der Karfreitagsliturgie das Kreuz erhebt und spricht: „Seht, das Holz des Kreuzes“, knien alle Anwesenden nieder und meditieren diese Worte: „Seht, das Holz des Kreuzes, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt, kommt, lasset uns anbeten.“ Und in diesen Worten, in diesem Schweigen der ganzen knienden Gemeinde — in diesem Schweigen des Karfreitags in der Kirche — kann man noch ein fernes Echo der Worte vernehmen, die zu Füßen des Kreuzes auf Kalvaria gesprochen wurden: „Wahrhaftig, das war Gottes Sohn!“ Als neue Menschen leben Predigt bei der Ostemachtsmesse am 18. April 1. „Christus wurde durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt“ (Röm 6,4). Ist es nicht zu früh, die Auferstehung dessen zu verkünden, der noch im Grab mht? In der Morgendämmerung werden die Frauen hierher kommen und dann hören: „Er ist von den Toten auferstanden“ (Mt 28,7). Jetzt bleibt noch die Erwartung. Die ganze Kirche ist am Grab ihres Meisters versammelt und zugleich durchdrungen von dem Geheimnis seiner Stunde, die sich ihrem Ende nähert. Vigil von Ostern. 2. Hat uns etwa nicht Christus selber zu dieser Nachtwache gerufen? Hat er nicht noch in Getsemani gesagt: Konntet ihr nicht mit mir wachen? Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen? Damals hatten die Apostel, wie es scheint, nicht begriffen, was es mit dieser Stunde auf sich hatte, und sie verstanden auch nicht den Gmnd dieses Aufrufs. Nun aber ist die ganze Kirche bei dir, o Christus! Das bringt der hl. Paulus so wunderbar zum Ausdruck: „Wir wurden mit dir begraben ... Wir wachen nicht nur an deinem Grab, sondern wurden eingetaucht in deinen Tod“ (vgl. Röm 6,3-4). 1361 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Eingetaucht durch die Taufe. Diese Taufe, dieses Sakrament bedeutet den Beginn des neuen Lebens. Wir wurden mit dir begraben, um als neue Menschen leben zu können (Rom 6,3-4). Dies ist wahrhaftig „deine Stunde“, die sich im Laufe dieser Nacht ihrem Höhepunkt nähert. 3. Wir wachen. Wir wurden mit dir gekreuzigt: unser alter Mensch wurde mit dir gekreuzigt, damit wir nicht Sklaven der Sünde bleiben (vgl. Rom 6,6). „Denn wer (mit dir) gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde“ (Rom 6,7). Er ist so frei wie einst die Söhne und Töchter Israels in der Nacht des ersten Paschafestes frei waren, als sie wachten und die Türen verschlossen und mit dem Blut des Lammes bestrichen worden waren. So wachen auch wir an den verschlossenen Pforten deines Grabes, an dem Grabstein, der ganz durchsetzt ist vom Tod des Gotteslammes. Es nimmt die Sünden der Welt hinweg. Wer „auf seinen Tod getauft wurde“, wird frei von der Sünde, von dem Ur-Erbe des ersten Adam, und kann mit Christus „als neuer Mensch leben“. 4. Darum wachen wir. Wir haben verstanden, welche Macht deine Stunde besitzt. Unser Wachen ist nicht nur ein Anwesendsein. Es ist nicht bloß eine Meditation. Es ist die Fülle der Liturgie: „Wir sind daher vollkommen mit dir vereinigt, durch einen Tod, der deinem Tod ähnlich ist“ (vgl. Röm 6,5). Denn im Laufe dieser Nacht, am Ende deiner Stunde, wirst du den Tod sterben lassen! „O mors, ero mors tua!“ — „O Tod, ich werde dein Tod sein!“ Wir werden also durch die Auferstehung vollkommen mit dir vereinigt sein, mit der Herrlichkeit des Vaters ... 5. Das ist die Botschaft unserer Ostervigil. Die Kirche verkündet sie heute nacht der ganzen Welt. Sie verkündet sie hier auf den Spuren der Apostel. Und sie verkündet sie an so vielen Orten der Erde. Wir verkünden eine große Freude, die das „Halleluja“ ist, das „Halleluja“ unserer Ostervigil. In der Morgendämmerung werden die Frauen, die zum Grab kommen, den Stein vom Grab weggewälzt finden und die Worte vernehmen: „Er ist auferstanden“ (vgl. Lk 24,2.6). 6. Wie freuen wir uns, daß an dieser Ostervigil auch ihr teilnehmt, liebe Brüder und Schwestern, Katechumenen, die ihr in dieser Nacht die Taufe empfangen werdet! 1362 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wir begrüßen euch herzlich und nehmen euch in die Gemeinschaft der Kirche Christi auf. Ihr kommt aus verschiedenen Nationen und Völkern, die es auf Erden gibt: Elfenbeinküste, Ekuador, Frankreich, Deutschland, Japan, England, Jugoslawien, Syrien, Vereinigte Staaten von Amerika, Ungarn. Ihr seid vom Glauben hier zusammengeführt worden, der mit der Kraft des Geistes das Leben schenkt. Wie freut uns eure Anwesenheit an den Quellen des Erlösers! Heute Nacht macht die Kirche das Taufbecken für alle bereit, die „aus Wasser und Geist“ wiedergeboren werden sollen (vgl. Joh 3,5); für alle, die für die Sünde tot sein und „für Gott in Christus Jesus“ leben wollen (vgl. Röm 6,11). 7. Tretet heran, liebe Brüder und Schwestern! Die Kirche freut sich, daß ihr gekommen seid. Die Kirche singt mit euch den Psalm der Reisenden, die sich den Wasserquellen nähern. „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott.“ Und sie fragt: „Wann darf ich kommen und Gottes Antlitz schauen?“ (Ps 42,2-3). Liebe Brüder und Schwestern! Ihr werdet auf den Tod Christi getauft. Die Nacht neigt sich dem Morgen zu. Die Stunde des Erlösers geht zu Ende. Ihr werdet die Taufe empfangen, um mit Christus als neue Menschen leben zu können. Er wird euch das Antlitz des lebendigen Gottes offenbaren. Er wird durch die Herrlichkeit des Vaters auferstehen. Er wird die Herrlichkeit offenbaren, die Gott denen bereitet hat, die ihn lieben (vgl. 1 Kor 2,9). „Preisen wir den Herrn, denn er ist gütig“ (vgl. Ps 106,1). Christi Tod ein neuer Anfang Osterbotschaft vor dem Segen „Urbi et Orbi“ am Ostersonntag, 19. April 1. Victimae paschali laudes immolent christiani — „Dem Osterlamm, das geopfert ward, weihet, ihr Christen, das Opfer des Lobes!“ Ihr Christen Roms und der Welt! Beten wir gemeinsam an den auferstandenen Herrn! 1363 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Agnus redemit oves — „Das Lamm erlöste die Schafe; Christus, der ohne Schuld, versöhnte die schuldige Welt mit dem Vater.“ Seht Christus, unseren Erlöser, den Erlöser der Welt! Er hat sein Leben gegeben für die Schafe der Herde. Beten wir gemeinsam an dieses Sterben, das uns das Leben bringt: denn die göttliche Liebe ist stärker als der Tod: Ja, der Tod, angenommen aus Liebe, besiegt den Tod! „Der Tod angenommen aus Liebe, offenbart Gott, der das Leben liebt, der will, daß wir das Leben haben und es in Fülle haben“ (vgl. Joh 10,10), daß wir das Leben haben, wie er es in sich trägt. Dem Osterlamm sei größte Ehre und höchster Lobpreis! Durch sein Sterben versöhnt es mit dem Vater. Das ist die Versöhnung der Sünder mit Gott, die Versöhnung des Menschen, der wegen der Sünde stirbt vor Gott und in sich nicht mehr das Leben hat, das in Gott ist und nur in Gott: einzig und allein in Gott! Der Tod Christi ist ein neuer Anfang, der Anfang des Lebens, das kein Ende kennt. Es kennt kein Ende, weil es von Gott und in Gott ist. Das Geschöpf muß sterben, Gott aber lebt. Wenn Christus stirbt, wird die ganze Schöpfung wiedergeboren. Sei gepriesen, lebenspendender Tod! Selig der Tag, den uns der Herr geschenkt hat! 3. „Gepriesen sei Christus, Sohn des lebendigen Gottes! Gepriesen sei der Menschensohn, der Sohn Marias; gepriesen seist du, weil du in die Geschichte des Menschen eingegangen bist, bis zur Grenze des Todes: Mors et vita duello conflixere mirando — Tod und Leben stritten im Kampf, wie nie einer war; der Fürst des Lebens erlag dem Tod; zum Leben erstanden, triumphiert er als König.“ Ja, die Geschichte des Menschen und der Welt ist vom Geheimnis des Todes geprägt, geprägt vom Merkmal des Sterbens vom Anfang bis zum Ende. Dieses Merkmal hast du auf dich genommen. Sohn Gottes, von Ewigkeit her gezeugt, wesensgleicher Sohn des Vaters, Leben vom Leben, und hast es über die Todesgrenze hinweggetragen, die auf aller Schöpfung lastet, hinweg über die Grenzen unseres Menschentodes, um darin den Geist zu offenbaren, der das Leben gibt. 4. Wir alle, die wir zur Welt kommen und dabei den Tod schon in uns tragen, die wir von unseren Erdenmüttem geboren werden und dabei schon geprägt sind von der Unausweichlichkeit des Sterbens, wir alle leben aus der Kraft des Geistes. In der Kraft dieses Geistes, der uns vom Vater geschenkt ist, und durch deinen Tod, Christus, überschreiten wir die Grenzen des Todes, den wir in uns tragen, und erheben wir uns von der Sünde zum Leben, wie es uns deine Auferstehung offenbart hat. 1364 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Du bist der Herr des Lebens, du, wesensgleich mit dem Vater, der zusammen mit dir das Leben selbst ist, im Heiligen Geist, der die Liebe selbst ist — und gerade die Liebe ist Leben! In deinem Tod, Christus, hat sich der Tod gegenüber der Liebe als machtlos erwiesen. Das Leben hat gesiegt. Mors et vita duello conflixere mirando. Dux vitae mortuus, regnat vivus. 5. Der du der Auferstandene bist und für immer lebst und herrschest, bleibe an der Seite des Menschen, des Menschen von heute, den der Tod mit seiner finsteren Verführung in tausend Weisen versucht und bedrängt. Laß: ihn das Leben wieder neu als Geschenk entdecken, das in all seinen Formen die Liebe des Vaters offenbart; wenn es sich aus der Taufquelle über die Neugeborenen ergießt oder in jeder Faser des Leibes pulsiert, der sich bewegt, der atmet und sich freut; wenn es sich in der Vielfalt der Tiere zeigt oder die Erde mit Bäumen, Pflanzen und Blumen bedeckt. Jede Form des Lebens hat in deinem Vater ihre unerschöpfliche Quelle. Unaufhörlich geht es aus ihm hervor, und zu ihm kehrt es unfehlbar zurück: zu ihm, dem freigiebigen Spender jeder guten Gabe (vgl. Jak 1,17). 6. In Gott hat in ganz einzigartiger Weise seinen Ursprung das Leben des Menschen, das er selbst nach seinem Bilde schafft, wenn es im Mutterschoß aufkeimt. Mögen im heutigen Menschen Hochachtung und Staunen vor dem Geheimnis der Liebe nicht erlöschen, das den Beginn eines Menschenlebens in dieser Welt umfangt! Wir bitten dich, Herr der Lebenden! Gib, daß sich der Mensch des technischen Zeitalters nicht zu einem bloßen Gegenstand verkürzt, sondern bereits von seinem ersten Beginn an die unaufgebbare Würde achtet, die ihm eigen ist. Gib, daß er im Einklang mit dem göttlichen Plan die einzige Logik lebt, die ihm entspricht, jene Logik nämlich, in der sich eine Person der andern schenkt im Kontext einer Liebe, die sich ihren leiblichen Ausdruck in jener Geste schafft, die Gott von den Anfängen an als Besiegelung dieses Schenkens gewollt hat. 7. Gib, Herr, daß der Mensch stets die überragende Würde aller seiner Mitmenschen achtet, seien sie auch arm oder hungrig, gefangen, krank oder sterbend, verletzt an Leib oder Seele, von Zweifeln bedrückt oder zur Verzweiflung versucht. Immer bleibt er dabei ein Kind Gottes, denn das Geschenk Gottes kennt keine Reue. Allen ist Vergebung und Auferstehung angeboten. Jeder einzelne verdient Achtung und Unterstützung, verdient Liebe. 8. Die nobis Maria, quid vidisti in via — „Maria sage uns an: Was hast du auf dem Weg gesehen“, als du am Morgen des dritten Tages das Grab besuchtest, 1365 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN den Ort, wo er begraben worden war? Erzähl es uns, Maria von Magdala, du, die so sehr geliebt hat. Siehe, du hast das Grab leer gefunden: Sepulcrum Christi viventis et gloriam vidi Resurgentis — „Ich sah das Grab, und Christus sah ich, der lebt! ... Ich sah das Tuch und die Linnen und sah die Engel, die sagten mir sichere Kunde.“ Wer konnte dies bezeugen? Welche Menschensprache war dazu fähig? Allein die Engel konnten erklären, was dieses leere Grab und das zurückgebliebene Tuch bedeutet. Der Herr lebt! Seine Herrlichkeit habe ich gesehen, voll Gnade und Wahrheit (vgl. Joh 1,14). Diese Herrlichkeit habe ich gesehen. Surrexit Christus, spes mea — „Ja, auferstanden ist Christus, er, meine Hoffnung! Nach Galiläa geht er den Seinen voran.“ 9. Ja, er geht euch voran: zuerst dort, in jenem Land selbst, das ihn als Menschensohn zur Welt gebracht hat, im Land seiner Kindheit und Jugend, im Land seines verborgenen Lebens. Zuerst dort, in Galiläa, um den Aposteln zu begegnen, und dann immer wieder durch das Zeugnis der Apostel an so vielen Orten, bei so vielen Nationen, Völkern und Rassen! Heute will die Stimme dieser Osterbotschaft, die in Jerusalem beim leeren Grab erklungen ist, alle erreichen: Scimus Christum surrexisse a mortuis vere — „Wir wissen: Christus ist auferstanden! Wahrhaft erstanden vom Tod! Du Sieger, du unser König, erbarme dich unserer Not! Amen. Halleluja.“ 1366 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN INS7RUMENTUM LABORIS zur Bischofssynode 1987 ,,Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt zwanzig Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil“ 22. April 1987 1367 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt Zwanzig Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil Einführung ■1. Das Thema Auf Bitten der Mehrheit der befragten kirchlichen Organisationen wählte der Papst für die VII. Ordentliche Vollversammlung der Bischofssynode das Thema „Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt zwanzig Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil“. Wegen der Einberufung der II. Außerordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode wurde seine Behandlung von 1986 auf 1987 verschoben. Die Bedeutung der angekündigten Thematik ist offensichtlich. In unserer Zeit vollziehen sich rasche und tiefgreifende Wandlungen auf gesellschaftlicher Ebene. Weil die Laien gerade dort stehen, wo sich das Verhältnis zwischen Kirche und Welt konkret und sichtbar artikuliert, sind sie in besonderer Weise berufen, die Sendung der Kirche zu übernehmen. Zwanzig Jahre nach dem Konzil teilt die Kirche aus immer größerer Überzeugung das berechtigte Streben der Menschen und Völker nach Anerkennung ihrer Freiheit und Würde. Darüber hinaus sucht sie, wie die letzte Außerordentliche Vollversammlung der Bischofssynode es zeigte, sich selbst, ihre Berufung und ihre Sendung tiefer zu verstehen. In diesem Sinn setzt die Kirche für ihren Fortschritt heute ihre ganz besondere Hoffnung auf die Laien. Berufung und Sendung sind zwei verschiedene, aber untrennbare Momente der Perspektive, in der bei der kommenden Synodenversammlung die Gestalt der Laien betrachtet wird. Ihr Sein und die Aufgabe, die Christus ihnen im Rahmen der Sendung der Kirche für die Evangelisierung der Welt anvertraut hat, sollen auf diese Weise tiefer erschlossen werden. 2. Charakter und Zielsetzung des Instrumentum Laboris Ausgehend von den Lineamenta, die in den Ortskirchen Überlegungen zum Thema anregen wollten, hat eine breite Konsultation stattgefünden. Das Generalsekretariat der Synode hat danach die Vorschläge und Anregungen der Bischöfe gesammelt und das Instrumentum Laboris erstellt. Dieses enthält das Ergebnis der Umfragen und Antworten auf die Lineamenta, ohne sie im eigentlichen Sinn zusammenzufassen. Es möchte keine vollständige Theologie der Laien anbieten. Ihre Grunddaten wurden ja in den Texten des 1368 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Konzils und denen des darauffolgenden Lehramtes ausführlich dargestellt. Das Instrumentum Laboris erhebt also keinen Anspruch auf Vollkommenheit. Es möchte lediglich der kommenden Synodenversammlung eine Übersicht der Überlegungen, Erfahrungen, Vorschläge und Anregungen vorlegen, die die Synoden und bischöflichen Organismen der östlichen Riten, die Bischofskonferenzen und die Dikasterien der römischen Kurie sowie die Weltunion der Ordensobem und andere Instanzen dem Generalsekretariat der Synode zugesandt haben. Die Thematik der kommenden Synodenversammlung geht die Mehrheit der Gläubigen unmittelbar an. Aber von der Natur der Synode her steht ihre Untersuchung und Erörterung den Bischöfen zu. Wie schon anläßlich der VI. Ordentlichen Vollversammlung über „Reconciliatio etPaenitentia “hat der Heilige Vater auch dieses Mal veranlaßt, daß das Instrumentum Laboris, dessen spezifische Adressaten die Mitglieder der Synodenversammlung bleiben, der ganzen Kirche zur Verfügung gestellt wird. Angesichts der besonderen Eigenart des Themas werden auch die Laien aufgefordert, in ihren jeweiligen Verhältnissen zur Arbeit der Synode weitere Überlegungen anzustellen. 3. Gliederung des Instrumentum Laboris Das Instmmentum laboris gliedert sich in drei Teile. Erster Teil: „Zur Situation der heutigen Menschen im Licht des Glaubens“. Die Aufmerksamkeit der Synode soll auf die Umbrüche gerichtet werden, die die jetzige Situation der Gesellschaft kennzeichnen. Im Licht des Glaubens betrachtet, erscheinen sie als eine bedeutende Herausforderung an die Christen. Dieses tritt sehr deutlich zutage zum Zeitpunkt einer Synode über die Laien. Denn ihr Weltcharakter macht sie zu besonders sensiblen Interpreten der Entwicklungen der Welt und zu beglaubigten Trägern der Sendung der Kirche in ihr. Der zweite Teil, „Die Laien und das Geheimnis der Kirche“, hat vorwiegend doktrinären Charakter. Er beschreibt die Größe der Berufung und Sendung der Laien. Im Licht des trinitarischen Geheimnisses soll der Bezug zur Schöpfung und zur Erlösung in der Mitwirkung der Laien an Berufung und Sendung der Kirche aufgezeigt werden. Sakramente, Charismen und Dienste werden dargestellt als unverzichtbare Elemente, um Wesen der Berufung der Laien und ihre Bestimmung zur Heiligkeit in der Vollkommenheit der Liebe zu verstehen. Sie lassen das Band der communio erkennen, das in der Kirche alle Gläubigen der verschiedenen Lebensstände verbindet. Der dritte Teil, „Zeugen Christi in der Welt“, untersucht Modalitäten, Orte und Kontexte, in denen die Laien als authentische Träger der Sendung ihre Beru- 1369 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN fung verwirklichen. Dazu verhilft ihnen ein tiefes geistliches Leben und ihre christliche Erziehung und Ausbildung. Möge der Geist des Herrn, der alle mit dem Band der communio eint, sich auch dieser Arbeit bedienen, damit in der gesamten Kirche und in der kommenden Synodenversammlung - die Berufung und Sendung der Laien tiefer erkannt wird, - in Gemeinschaft mit der ganzen Kirche Antworten gefunden werden auf die Fragen, die sich aus dem Engagement der Laien in Kirche und Welt ergeben, - das geistliche und apostolische Wachstum der Laien im Dienst an der Kirche im hier und jetzt der Geschichte gefordert werden1. 1370 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Erster Teil Zur Situation der heutigen Menschen im Licht des Glaubens I. Wachsende Mitwirkung in der Welt von heute 4. Zwanzig Jahre nach dem Konzil In der heutigen Welt vollziehen sich ständige Entwicklungen. Aus den jüngsten sozio-kulturellen Veränderungen ergeben sich dringende Fragen. Zwanzig Jahre nach dem Konzil sind sie für die Kirche ein Aufruf, auch die Überlegungen über Sendung und Berufung der Laien im Licht des Heilsratschlusses, den Gott durch Jesus Christus in der Geschichte verwirklicht, fortzusetzen2. Der Weltcharakter der Laien macht sie zu besonders glaubwürdigen Trägem der Sendung der Kirche in der Welt3. Diese erleben sie durch ihre Mitwirkung an den Realitäten, aus denen die menschliche Existenz gewoben ist. So werden sie einbezogen in die komplexe Dynamik der Zeitgeschichte. Eine Überlegung über die „Berufung und Sendung der Laien zwanzig Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil“ kommt deswegen nicht umhin, einen Blick des Glaubens zu richten auf jene menschliche Situation, in der die Laien ihre Zugehörigkeit zur Kirche leben. Dabei zeigt es sich, daß die vielfältigen Erfahrungen der Mitwirkung, die Männer und Frauen heute machen, ein charakteristisches Merkmal dieser unserer Zeit sind. 5. Mitwirkung und Fortschritt Blickt er auf die Vergangenheit, entdeckt der heutige Mensch, daß ihm die Arbeit und das schöpferische Mühen vieler Generationen wachsende Herrschaft über die Natur erobert haben. Ihnen verdankt er auch die Möglichkeit einer immer aktiveren Mitwirkung an der Geschichte. Die Männer und Frauen unserer Zeit wissen, daß sie ihre Lebensbedingungen stets verbessern können. Sie vermögen ihre persönliche Geschichte eigenständiger zu gestalten. Formen und Möglichkeiten der Mitwirkung in der Gesellschaft haben sich in diesem Sinn stark weiterentwickelt. Ein starker Sozialisationsprozeß hat die intermediären Gruppen und Institutionen der Gesellschaft erfaßt: Familie, Schule, Welt der Arbeit sind zu Orten der Mitarbeit zwischen den Menschen und des Austausches zwischen Personen und Institutionen geworden. In vielen Ländern ist dieser Prozeß noch in den Anfängen, aber man ist sich seiner Bedeutung bewußt. Dies um so mehr, 1371 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN als für die traditionellen Kulturen vieler Völker die Mitwirkung aller am Leben der Gemeinschaft erstrangige Bedeutung hat. Der Stand der wissenschaftlichen und technologischen Forschung läßt hoffen, daß die Errungenschaften der Vernunft auch den neuen Bedürfnissen der Menschen entsprechen werden. Vielerorts tragen die Lebensbedingungen aber nicht einmal den elementarsten Bedürfnissen der Person Rechnung. Dort, wo den Menschen keine andere Alternative bleibt, als ihr Elend zu ertragen, wird die gerechte Neuverteilung der Güter zum unaufschiebbaren Gebot. Allen jenen, die noch von jeglichen sozio-kulturellen Entwicklungsprozessen ausgeschlossen sind, müssen dringend Räume und Möglichkeiten der Mitwirkung eröffnet werden. In der Menschheitsfamilie gilt das Recht jeder Person zur Mitwirkung am eigenen und gemeinsamen Geschick. 6. Politische Dimension der Mitwirkung In vielen Ländern sind Möglichkeiten politischer Mitwirkung gewachsen. Mitwirkung im politischen Bereich wird als Forderung gesellschaftlichen Verantwortungsbewußtseins betrachtet. Die politischen Entscheidungen, die Männern und Frauen in ihren konkreten Lebensverhältnissen heute zustehen, lassen eine größere Verantwortung der einzelnen für das Allgemeinwohl erkennen. Wo sie Ausdruck freier und bewußter persönlicher Wahl sind, wächst die Sensibilität für das Gemeinwohl. Mit ihr steigt die Wertschätzung des Friedens, der Freiheit, der Solidarität und der Brüderlichkeit. Die Dynamik der Mitwirkung geht über die nationalen Grenzen hinaus und schafft neue internationale Beziehungen. Gemeinsame Initiativen der Mitarbeit zwischen den Völkern im Hinblick auf eine gerechtere politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung kommen zustande. Neue Formen des Austausches und des Dialogs auf verschiedenen Ebenen eröffnen neue Plattformen internationaler Mitarbeit. Wo sie bestehen, wächst die Bereitschaft zu gegenseitigem Verstehen und Helfen. Der heutige Mensch ist sich bewußt, Mitgestalter des gemeinsamen Geschik-kes zu sein. Diese seine Überzeugung kommt zum Ausdruck in Stellungnahmen und dem Kampf gegen die Widersprüche, die heute das Leben am tiefsten erschüttern: Der Hunger, der einen Teil der Menschheit quält, während andere sich aus politischem und wirtschaftlichem Egoismus weigern, auch den Überfluß zu teilen; das Fortdauern von Gewalt und Krieg, das nicht zuletzt vom Wettlauf nach Produktion, Verkauf und Kauf von Rüstungsmitteln gefördert wird. Ein dringender Appell an die Solidarität der Welt ist die Situation all derer, die heute unter totalitären Systemen leben; denn ihre tragenden Ideologien redu- 1372 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zieren die Freiheit und das Recht auf Mitwirkung. Beunruhigend wirken auch die vielfältigen Formen des kollektiven Egoismus. Sie wollen Räume und Möglichkeiten der Mitwirkung monopolisieren und anderen ein Recht darauf verweigern. Unter denen, die in freien Systemen leben, wächst das Bedürfnis, totalitäre Systeme anzuklagen und sich mit den Völkern zu solidarisieren, die ihnen unterworfen sind. Man weiß um die Pflicht, sich für alle einzusetzen, denen keine andere Wahl bleibt, als sich passiv einer autoritären politischen Macht unterzuordnen. 7. Mitwirkung und kulturelle Identität In unserer Zeit wissen immer mehr Männer und Frauen, daß das Mitwirken am Leben einer Gemeinschaft Schaffen von Kultur ist. Die Kultur einer Gemeinschaft bringt die Entscheidungen des einzelnen und die gemeinsam anerkannten Werte zum Ausdruck. Sie wird zur Chance der Mitwirkung und des Dialogs zwischen Personen und zwischen Gemeinschaften. Zahlreiche Initiativen versuchen, in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft neue Projekte anzubieten, um die Lebensverhältnisse menschlicher zu gestalten. Vor allem trachten sie, die Hindernisse zu überwinden, die dem Erwerben und Vertiefen der Kultur entgegenwirken. Die Zweige wissenschaftlicher Erkenntnis erfahren eine wachsende Spezialisierung. Die Bereiche des individuellen und gemeinschaftlichen Lebens gewinnen an Autonomie. Währenddessen wächst das Bedürfnis nach einer kulturellen Synthese, die vor allem eine Lebenssynthese ist. Der Fortschritt stellt einerseits die traditionellen Lebensformen in Frage, kann aber auch ihre fundamentalen Werte wieder ans Licht heben. Darum muß der Reichtum der traditionellen Kulturen mit der modernen Sensibilität harmonisiert werden. Die Medien und andere Formen internationalen Austausches propagieren heute eine uniforme Kultur. Sie droht, die Räume und Möglichkeiten der Mitwirkung für Gruppen und Individuen zu verkürzen. Zugleich entdecken viele Völker neu in ihrer kulturellen Identität die Voraussetzung für einen eigenen spezifischen Beitrag im Dialog unter den Nationen. Dennoch müssen die geeigneten Mittel gefunden werden, um die Ungleichheit in der Teilhabe der verschiedenen Völker und sozialen Gruppen an den Kulturgütern zu überwinden. Das Mitwirken der Menschen im sozialen Bereich schafft und bringt Kultur zum Ausdruck. Dies um so mehr, als der Mensch die Werte, an die er glaubt, anderen mitzuteilen vermag und selber teilhat an den Werten, die andere zu verwirklichen suchen. 1373 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 8. Mitwirkung und Würde der Person Durch das Mitwirken auf allen Ebenen des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens sind die interpersonalen Beziehungen dichter geworden. Dadurch wird sich der einzelne seiner Verantwortung für sich selbst und für die anderen bewußt: Der Mensch entdeckt seine Würde. Er erkennt zugleich, daß sie mit spezifischen ethischen Forderungen verbunden ist. Die existentielle Erfahrung des heutigen Menschen ist von Differenziertheit und Widersprüchlichkeit gezeichnet. Aber die unzerstörbare Neigung zum Guten im Herzen der Menschen kann nicht übersehen werden. Sie läßt den Menschen ahnen, daß er abhängig ist von einem Gut, das ihn transzendiert. Wenn er die Existenz Gottes anerkennt, wird der Mensch seine interpersonalen Beziehungen gestalten aus der Überzeugung, der andere ist Subjekt einer gleichen Würde wie er. Das Leben vieler unserer Zeitgenossen ist geprägt von der Anerkennung der Würde und der Freiheit des Menschen. In ihr ist die Dynamik jeder Mitwirkung begründet. Aber die verschiedenen Formen der Verletzung der Würde der Personen und Völker nehmen zu. Immer deutlicher tritt darum die Notwendigkeit einer integralen Befreiung aller zutage. Wegen seiner Würde und Freiheit verlangt der Mensch heute nach Möglichkeiten und Wegen, bewußt am Leben der nationalen und internationalen Gemeinschaften mitzuwirken. 9. Mitwirkung und Förderung der Frau Frauenbewegung und Einsatz für die Förderung der Frau gehören zu den deutlichsten Zeichen des heute so starken Willens zur Mitwirkung. Der berechtigte Kampf für die Anerkennung gleicher Rechte für Männer und Frauen gründet in der Anerkennung ihrer gleichen Würde. Zahlreiche positive Ergebnisse zeigen, daß er nicht umsonst geführt wurde. Hindernisse, die der sozio-kulturellen Mitwirkung der Frau im Wege standen, sind beseitigt worden. Dennoch steht die volle Anerkennung der Würde der Frau - die eng verbunden ist mit der Anerkennung und Bejahung ihrer weiblichen Identität -noch aus. Dort nämlich, wo man die gleiche Würde und die gleichen Rechte für Männer und Frauen aufgrund einer mechanischen Identifizierung beider und somit einer Verneinung des Frauseins behaupten wollte, erlebte die Frau neue Formen der Benachteiligung. Eine einseitige Emanzipation erstrebte zuweilen fast ausschließlich den Zugang der Frau zum Produktionssystem. Sie drohte, der Frau neue Erfahrungen der Entfremdung aufzuzwingen: Da sie, die Leben schenkt, nicht „produziert“, mußte sie sich neuen Negationen ihrer Rechte stellen. 1374 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die heute verbreitete Kultur tendiert zudem dahin, die Rollen von Mann und Frau als beliebig austauschbar zu betrachten. Sein und Wirken der Menschen werden auf einen reinen und fast anonymen Funktionalismus reduziert. Die Suche nach Antwort auf die neuen Probleme scheint die Überlegungen über die Frau in eine „zweite Phase“ geführt zu haben. Man geht dabei von der Überzeugung aus, die Anerkennung der gleichen Würde setze die Anerkennung der Verschiedenheit voraus. Der Wert der Komplementarität von Mann und Frau wird als volle Verwirklichung ihrer Menschlichkeit neu entdeckt. Die Bedeutung von Ehe und Familienleben als exemplarische Verwirklichung dieser Komplementarität wird neu überdacht. Spezifisch frauliche Werte, wie besondere Sensibilität für das Menschliche und das Leben, für Dialog und Kommunikation, gelten als unverzichtbarer Ausdruck der Mitwirkung der Frau am Leben der Gesellschaft. 10. Hindernisse für die Mitwirkung Wie auch immer ihre Lebensbedingungen ausehen mögen, sind die Menschen heute einbezogen in wachsende Formen der Mitwirkung. Vielerorts aber verhindert die herrschende säkularistische und immanentistische Mentalität, daß diese Mitwirkung wahres menschliches Wachsen ist. Gott und die von ihm geoffenbarte Wahrheit sind aus dem existentiellen Horizont des Menschen verschwunden. Die säkularistische Mentalität macht den Weg des Fortschritts darum zur Erfahrung der Unsicherheit und Instabilität. Weil adäquate ethische Kriterien mangeln, wird das Machbare zum Maßstab des Legitimen: Die Ergebnisse des Fortschritts werden Drohung der Vernichtung. Angst vor der Kernenergie, vor dem Versiegen der natürlichen Erdschätze, der ökologische Alarm, die Risiken der Biogenetik, die Fragestellungen, die sich aus dem Fortschritt der Informatik ergeben, sind beängstigende Symptome der Ambivalenz des Fortschritts. Unter dem Einfluß des hedonistischen Konsumismus reduziert der Mensch seine Mitwirkung in der Gesellschaft oft auf das Produzieren um des Konsums willen und auf den Konsum um der Lust willen. Er macht in diesem Kreislauf auch nicht vor der Ausnutzung von Menschen halt. Solche Erfahrungen veranlassen dazu, nach neuen Kriterien der Mitwirkung zu suchen. Die heute offen zutage tretende Krise der Ideologien macht die Ambiguität ihrer Angebote deutlich. Eine neue Sensibüität fiir das Heilige gewinnt Raum. Allerdings dringt sie nicht immer vor zum Glauben an einen persönlichen und transzendenten Gott. Viele, die heute über die Grenzen des Säkularismus hinaus wollen, bleiben bei einem oberflächlichen Mystizismus stehen. Oder sie wählen den religiösen Fanatismus. Gewiß zeigt die Verbrei- 1375 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN tung dieser Phänomene, daß der Zug zum Heiligen im Herzen der Menschen unausrottbar ist. Sie läßt vor allem aber die Konvenienz der Offenbarung Christi erkennen, die allein den sensus religiosus des Menschen aufnehmen und zur Erfüllung bringen kann. Die Betrachtung der Situation des heutigen Menschen im Licht des Glaubens vermochte zu zeigen, in welchem Ausmaß seine Existenz bedingt und bestimmt wird von der Dynamik der Mitwirkung. Bleibt er nur auf sich selbst gestellt, kann der Mensch aber nicht vorstoßen zur ganzheitlichen Antwort auf seine Bedürfnisse. In dem Ausmaß, in dem sich neue Möglichkeiten und Räume der Mitwirkung erschließen, wächst die Suche nach Sinn und Antwort. Das Zeugnis, daß Christus als Herr, Meister, Schlüssel, Mitte und Sinn der Geschichte4 allein den einzelnen die ganzheitliche Mitwirkung am Schicksal der Menschen zu ermöglichen vermag, ist heute dringender und opportuner denn je zuvor. II. Sendung der Kirche und Mitwirkung der Laien 11. Ganzheitliche Mitwirkung an der Geschichte Die Laien haben die Sendung, in der Welt, in der sie leben, zu bezeugen, daß nach dem Heilsplan Gottes eine ganzheitliche Mitwirkung an der Geschichte möglich ist. Das Ja Marias eröffnet dem Erlöser den Weg in die Geschichte. Es setzt den Beginn einer neuen Gemeinschaft des Menschen mit Gott und einer tieferen und universelleren Einheit unter den Menschen. Die Kirche ist Zeichen dieser unüberbietbaren Mitwirkung, die allen Menschen angeboten wird. Wer sich in Christus der Gabe Gottes öffnet, öffnet sich der universellen Liebe. Diese motiviert dazu, die geistlichen und materiellen Güter, die Gott schenkt, mit allen Menschen zu teilen. Die Teilhabe am Leben Christi und an der Sendung der Kirche stärkt die Dynamik der Mitwirkung in der Geschichte und gibt ihr zugleich eine unermeßliche Weite. <39> <39> Förderung der Laien Die Laien haben in ihren jeweiligen sozio-kulturellen Situationen seit Beginn der Geschichte der Kirche an der Erfüllung ihrer Sendung mitgewirkt. Dieses Tun ist eine der stärksten und dynamischsten Kräfte, die das ganzheitliche Heilsangebot in Christus tragen. Die großen Etappen der Bewußtseinswek-kung der Laien für die Sendung der Kirche gehen in der Moderne geschichtlich 1376 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN weitgehend Hand in Hand mit der Beschleunigung des wissenschaftlichen Fortschritts, mit der Entwicklung der demokratischen Kultur und mit dem Aufkommen neuer sozialer Ffagestellungen, die sich aus Industrialisierung und Urbanisierung ergeben. Diese Bewußtseinsweckung konnte nur stattfinden, weil die Kirche zugleich tiefer eindrang in das Verständnis ihres Geheimnisses und ihrer Sendung in der Welt. Viele Laien haben intensiv mitgewirkt an der blühenden missionarischen Tätigkeit, die daraus erwuchs. Das Entstehen neuer Vereinigungen, bedeutender christlicher weltlicher Institutionen sowie das Aufkommen des sozialen Katholizismus zeugen von der wachsenden Mitwirkung der Laien an der Erfüllung der Sendung der Kirche. Vielfältige Formen der Mitwirkung der Laien im Zug des erneuten Engagements der Kirche in der Welt haben sich in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts entwickelt. Sie strömen zusammen und werden zu einer universellen Bewegung der Förderung der Laien. Diese ist im Pluralismus ihrer Formen eine der großen Strömungen, die zum Vatikanum II geführt haben. 13. Neue Fragestellungen zum Engagement der Laien Mit dem Vatikanum II begann eine neue Etappe der Mitwirkung der Laien an Leben und Sendung der Kirche. Viele wurden sich bewußt, als Glieder der Kirche besondere Verantwortung für die Welt zu tragen. Sie wissen, daß sie die Kirche in den jeweiligen existentiellen Kontexten präsent machen können. Auch haben sie erkannt, daß sich die missionarischen Chancen der Kirche mindern, wenn sie sich dieser Verantwortung verweigern. Die Hirten haben diese Bewußtseinsbildung gefördert. Sie ermunterten die Laien, auf allen Ebenen am Leben der Kirche mitzuwirken und ihre christliche Präsenz in der Welt zu realisieren. Aus diesem Prozeß sind neue Fragestellungen entstanden. Sie betreffen die Modalitäten, die communio der Kirche zu leben und Antworten zu geben auf die Bedürfnisse der Welt. Die zahlreichen Fragen, die im Kontext der Synodenvorbereitung in der Kirche aufkommen, lassen sich auf zwei wesentliche Dimensionen ihres Lebens zurückfuhren: a) die stärkere Mitwirkung der Laien an der communio der Kirche; b) die wirksamere Präsenz der Laien bei der Erfüllung der Sendung der Kirche für die Welt. Einige dieser Fragen beziehen sich unmittelbar auf die stärkere Mitwirkung der Laien an der communio der Kirche: - Die wachsende demokratische Mitwirkung am Leben der Gesellschaft motiviert viele Laien, Männer und Frauen, um ähnliche Mitwirkungsmög- 1377 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN lichkeiten am Entscheidungsprozeß im Leben der Kirche zu bitten. 1. Auf welcher Grundlage baut sich die Mitwirkung an der communio der Kirche auf? 2. Welche sind die Kriterien der „Repräsentativität“ in der Kirche? - Eine neue Blüte des Vereinswesens charakterisiert heute das Leben der Laien. Auf der Grundlage des Vereinsrechtes der Laien in der Kirche5 sind in diesen Jahren zahlreiche Vereinigungen, Gruppen und Bewegungen entstanden. Wie können die Charismen, die oft Wurzel solcher Realitäten sind, aufgenommen und unterschieden werden? Wie kann der Pluralismus der Formen in der Einheit der communio und Sendung in der Kirche harmonisiert werden? Andere Fragen gehen unmittelbar die Sendung der Laien in der Welt von heute an. - Der Säkularismus nimmt der menschlichen Existenz ihren eigentlichen Sinn. Er bewirkt tiefgreifende Auflösungsprozesse. Widersprüchliche Formen der Wiederkehr zum Heiligen zeugen aber von der neuen Suche des Menschen nach Sinn. Wie können die Laien Zeugnis geben, daß sie im Evangelium Christi Antwort gefunden haben auf die Grundbedürfnisse des Menschen? Wie können die Laien, die der Welt Träger des Glaubens und der Liebe Gottes sind, zur Überwindung , dieser Auflösungsprozesse beitragen? Die Laien sind sensibler geworden für Phänomene wie Hunger, Diskriminierung, Krieg, Verletzung der Menschen- und Völkerrechte. Sie wissen, daß diese sozialen Widersprüche sich weitgehend zurückfuhren lassen auf Systeme und Ideologien materialistischer Prägung, die in unseren Tagen dominierend geworden sind. Wie kann heute die reale Bedeutung der Erlösung Jesu Christi für den Aufbau einer gerechteren Welt bezeugt werden? 1985 hat sich die Zweite Außerordentliche Vollversammlung der Bischofssynode bereits mit einigen dieser Fragen befaßt. Die Herausstellung des ekkle-siologischen Prinzips der communio hat die Weichen gestellt für weitere theo-logisch-pastorale Überlegungen6. Dieses Prinzip bietet die Grundlage, um Autorität und Freiheit, persönliche Verantwortung und gemeinschaftliche Mitwirkung, Einheit und Vielfalt zu einer ausgewogenen Synthese zu harmonisieren. Auf dieser Grundlage müssen nun Berufung und Sendung der Laien in der Kirche und in der Welt eingehender untersucht werden. 1378 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Zweiter Teil Die Laien und das Geheimnis der Kirche I. Mitwirkung der Laien an Berufung und Sendung der Kirche 14. Unterscheidung zwischen Berufung und Sendung Im ersten Teil dieses Dokumentes wurde kurz die gegenwärtige Situation der Menschheit in einigen Hauptmerkmalen in Erinnerung gerufen. Sie bildet den Kontext, in dem die Laien von Gott ihre Berufung und ihre Sendung erhalten. Bevor diese näher beschrieben werden, so wie sie sich zwanzig Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil darstellen, muß die Beziehung zwischen beiden Begriffen präzisiert werden. Oft wird zwischen ihnen nicht unterschieden. So kann etwa undifferenziert behauptet werden, die Berufung der Laien, bestehe darin, die Realitäten der Welt mit christlichem Geist zu durchdringen. Oder es wird gesagt, daß eben darin ihre Sendung liege. Eine solche Sprechweise ist nicht illegitim. Aber sie hat den Nachteil, einseitig zu insistieren auf das Verhältnis der Laien zur Welt, auf ihre Funktion und Nützlichkeit für das Apostolat der Kirche. Man geht dabei das Risiko ein, die Laien lediglich als Angestellte eines großen Unternehmens zu verstehen. Diese Sicht ist aber unvereinbar mit der Botschaft des Neuen Testamentes. Auch stimmt sie nicht überein mit der Bedeutung, die heute der Würde des Menschen beigemessen wird und die der Heilige Vater, Papst Johannes Paul II., oft unterstreicht. Die Verabschiedung des Dekrets über „Das Apostolat der Laien“ durch das Konzil bedeutet nicht, das Apostolat sei die einzig mögliche Perspektive, um die Stellung der Laien in der Kirche zu betrachten. Das erwähnte Dekret differenziert von der Einleitung an zwischen Berufüng Und Sendung, wenn es sagt, das Apostolat der Laien habe „in deren christlichen Berufung selbst seinen Ursprung“7. Fließt das Apostolat aus der Berufüng, kann es nicht mit ihr identifiziert werden. Die Berufung ist umfassender als die Sendung, weil sie einen Ruf zur commu-nio und einen Ruf zur Sendung beinhaltet. Die communio ist der wesentliche Aspekt, der eine bleibende Dauer kennt8. Die Sendung, die daraus folgt, beschränkt sich auf die irdische Existenz. 1379 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 15. Von Gott berufen zu einer Gemeinschaft der Liebe Die Christen sind von Gott berufen (vocati) zu einer personalen Liebesbeziehung mit ihm. Heutzutage wird das Wort „Berufung“ oft ohne jeglichen Hinweis auf den, der ruft, gebraucht. Der Begriff ist neutral geworden. Die Bibel aber, und vor allem das Neue Tesament, setzen den Akzent auf die Person, die am Ursprung einer Berufung steht. Gott ist es, der ruft. Die persönliche Würde der Laien gründet darin, daß Gott jeden von ihnen ruft und zu einer personalen Beziehung mit ihm einlädt. Wenn es sich an die Gläubigen richtet, spricht das Neue Testament von Gott als dem, der „euch ... berufen hat“ {Gal. 1,6; 1 Petr. 1,15; 5,10) oder, „der euch beruft“ {1 Thess. 2,12; 5,24). Diese Dimension ihrer Berufung muß den Laien neu zum Bewußtsein gebracht werden: Gott hat sich jedem von ihnen zugewandt und jeden berufen. Das Ziel dieser Berufung ist personal: Gott beruft zu einer personalen Beziehung mit ihm. Er beruft die Gläubigen „in sein wunderbares Licht“ {IPetr. 2,9), „zu seiner ewigen Herrlichkeit“ (7 Petr. 5,10), „zur Gemeinschaft mit seinem Sohn“ (7 Kor. 1,9), „heilig zu sein“ (7 Thess. 4,7; Röm. 1,6; 7 Kor. 1,2)9. Die Berufung geht vom Vater aus. Sie kommt in der Mittlerschaft Christi zum Ausdruck, der den Glaubenden den Heiligen Geist vermittelt. Dieser befähigt sie, auf die göttliche Berufung ganzheitlich zu antworten. Die christliche Berufung ist also Teilnahme an der trinitarischen Liebesgemeinschaft10. 16. Communio in der Kirche und Leben in der Welt Weil sie in eine Liebesgemeinschaft einbindet, kann eine solche Berufung nicht individualistisch verwirklicht werden. Der Ruf der göttlichen Personen schafft in der communio der Kirche gegenseitige Beziehungen unter allen Gläubigen. Die Berufung jedes Laien wurzelt im Geheimnis der Liebe Christi zur Kirche. Sie kennt darum zugleich einen individuellen und einen gemeinschaftlichen Aspekt, die unzertrennbar sind. Die Liebe, die in dieser Berufung empfangen und gelebt wird, hat zwei Dimensionen: 1) dankbare Liebe zu Gott, der gerufen hat; 2) hochherzige Liebe zu den anderen in der Einheit mit Gott, der sie hebt. In der Kirche steht das geweihte Amt im Dienst dieser Berufung, die die Laien in der Welt verwirklichen: In den gewöhnlichen Lebensverhältnissen aller Menschen (Familie, Beruf, soziale Verpflichtungen, usw.)11. Die christliche Berufung verlangt nicht, die Welt zu verlassen. Paulus gab vielmehr „für alle Gemeinden“ folgende Weisung (7 Kor. 7,17): „Brüder, jeder soll vor Gott in dem Stand bleiben, in dem ihn der Ruf Gottes getroffen hat“ (7,24). 1380 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die doktrinären und spirituellen Beiträge vieler Heiligen (wie zum Beispiel des heiligen Franz von Sales) haben diese apostolische Botschaft aktualisiert. Ihre Grundlage ist das Wirken der trinitarischen Liebe in jeder menschlichen Situation. 17. Wachsende Gemeinschaft mit der Dreifaltigkeit In der Kirche können die Laien stets tiefer hineinwachsen in die Gemeinschaft mit Gott. Die Fülle der göttlichen Gnade, die in der Schöpfungs-, Erlösungsund Heiligungsordnung wirkt, ist ihnen angeboten. Fortpflanzung und Erziehung der Kinder ist Teilhabe an der Schöpfungstätigkeit12. Auch die Arbeit, durch die der Mensch vermag, das „Werk des Schöpfers weiter (zu) entwickeln“13 und sich ihm vereint, ist eine Art dieser Teilnahme. Durch Fortpflanzung und Erziehung der Kinder haben Mann und Frau teil an der Vaterschaft dessen, „nach dessen Namen jedes Geschlecht im Himmel und auf der Erde benannt wird“ (Eph. 3,15)14. So kommt in der Familie die Würde von Mann und Frau zum Ausdruck. Hier wird Leben als Gemeinschaft in grundlegender Weise aktualisiert. Die Laien haben auch durch die vielfältigen Formen ihrer Arbeit eine besondere Beziehung zur Schöpfung. Gott hat den Menschen erschaffen und ihm die Sendung gegeben, sich die Erde und alles, was auf ihr ist, zu unterwerfen15. Die Mitwirkung an der Schöpfertätigkeit geschieht durch die Pflicht des Arbeitern. Diese entwickelt und vervollkommnet die Schöpfung. So gehört die Arbeit zum christlichen Lebensideal. Auf der einen Seite steht sie im Bezug zur Würde des Menschen, der durch die Arbeit seine Herrschaft über die Welt ausübt. Andererseits müssen die Christen die Arbeit betrachten als ein wesentliches Zeugnis gegenseitiger Liebe. In der geschichtlichen Situation des Menschen nach der Ursünde sind Familienleben und Arbeit zu Momenten der Mitwirkung an der Erlösungsordnung geworden. Familienleben und Arbeit machten während seines verborgenen Lebens in Nazareth wesentlich die Existenz des Erlösers aus. Hingabe in der Liebe und engagiertes Arbeiten sind für die Laien Gelegenheiten, sich dem Gottessohn im Erlösungswerk zu einen. Neben Familie und Arbeit sind alle Dimensionen menschlichen Lebens, vor allem aber Prüfungen und Leid, in Christus zu einem Weg des Heils geworden - wertvolle Momente der Vereinigung mit ihm im Werk der Erlösung16. Dies gilt besonders in Verhältnissen, in denen der christliche Glaube verfolgt oder zum Anlaß für Benachteiligung und Diskriminierung, Schikane und Unterdrückung wird. Gerade dann werden den Laien spezifische Gnaden zuteil. Sie 1381 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN vermögen darum ihr Schicksal nicht nur mutig zu ertragen, sondern sich in der Freude der Seligpreisungen17 dem Leiden Christi zu vereinen. Die Erlösung hat den Glaubenden die Gabe des Geistes vermittelt. Die Laien sind dazu berufen, sich in allen Lebenssituationen dem Wirken des Gottesgeistes, der sie heiligt, zu öffnen. In ihrem ganzen Tun heilig zu werden, ist ihre Berufung18. Diese Heiligkeit ist nicht konventionell, der Weg zu ihr hin führt nicht über ritualistische Trennungen. Vielmehr ist sie eine Heiligkeit, die aus der Liebe und der communio fließt und von der erneuernden Dynamik des Geistes Christi bewirkt wird19. 18. Gemeinsame und individuelle Sendung Aufgrund der unlöslichen Einheit der beiden Dimensionen christlicher Liebe entspricht der Berufung eine Sendung. Hier kommt derselbe vitale Dynamismus zum Tragen, der die communio der Kirche auf alle Menschen erweitern möchte. So ist es Wunsch Gottes, der „will, daß alle Menschen gerettet werden“ (1 Tim. 2,4). Die Welt mit der Liebe, die von Gott kommt, durch den Glauben an Christus immer mehr umzuwandeln, ist Inhalt der Sendung. Diese ist der Kirche anvertraut. Ihre Aktualisierung hängt vor allem ab von der Liebeseinheit unter den Christen, die Widerschein der göttlichen Gemeinschaft ist20. Communio und Sendung der Kirche sind zutiefst miteinander verbunden. Berufung und Sendung haben jeweils aber auch eine personale Dimension. Jeder Laie realisiert die Sendung der Kirche auf individuelle Art, seiner persönlichen Situation in der Welt entsprechend: Gemäß seiner menschlichen Gaben, Charismen und Verantwortungen und den realen Bedürfnissen der Kirche und der Welt. Die gemeinsame Sendung konkretisiert sich in verschiedenen „Sendungen“. Sie werden individuell oder in Gruppen verwirklicht, sind gelegentlich oder von Dauer. Einige davon können als Dienste anerkannt werden. Deswegen kommt aber den anderen keine geringere Bedeutung zu. Die Unmittelbarkeit ihres Verhältnisses zur Welt macht das Besondere der Sendung der Laien aus. Aber es wäre dennoch nicht sachgerecht, den Unterschied zwischen geweihten Amtsträgern und Laien darin zu sehen, daß den ersteren der Dienst an der communio und letzteren der Dienst an der Sendung der Kirche zukommt. Den geweihten Amtsträgern eignet die Sendung, den Glauben mit Lehrvollmacht in der Welt zu verkünden. Die Laien dagegen haben die Sendung, den Glauben zu bezeugen. Ferner sollen sie die Beziehungen unter den Menschen und alle irdischen Wirklichkeiten mit dem Glauben, der Hoffnung und der Liebe durchdringen. In einem gewissen Sinn ist zudem auch der 1382 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Dienst an der communio Bestandteil der Berufung der Laien. Aber er wird von ihnen auf andere Weise verwirklicht als der sakramentale Dienst der geweihten Amtsträger. 19. Sendung in der Welt der Schöpfung Wollen sie ihre Sendung verwirklichen, müssen die Laien das ausgewogene und dynamische Verhältnis zwischen Kirche, Weh und Reich Gottes verstehen lernen. Diese differenzierten und komplexen Beziehungen nehmen die Fähigkeit zur Unterscheidung in Anspruch. Mit „Welt“ kann zunächst die umfassende Realität des Geschaffenen'gemeint sein. Als Werk Gottes ist sie ihrem Wesen nach gut21. Darum nehmen die Christen ihr gegenüber eine positive Haltung ein. Sie empfangen dankbar die Gaben des Schöpfers und freuen sich am Fortschritt der menschlichen Erkenntnis und Herrschaft über die Welt. Durch ihre Arbeit tragen sie zu diesem Fortschritt bei. Die Kirche lobt den Schöpferund verkündet die Würde des Menschen, der „die Welt in Heiligkeit und Gerechtigkeit leiten“ soll (Weish. 9,3). Durch die vielfältigen Formen ihrer Arbeit leisten die Laien ihren Beitrag zur fortschreitenden Herrschaft über die geschaffene Welt. Sie achten darauf, daß keine ungeordnete Tätigkeit oder unverantwortbare Zerstörungen ihr Gleichgewicht bedrohen. Weil es weiß, daß wir„hier keine Stadt (haben), die bestehen bleibt“ (Hehr. 13,14), mißt das Volk Gottes seinen Horizont nicht an der materiellen Gestaltung dieser Welt. Es engagiert sich vielmehr, in ihr die endgültige Ankunft des Reiches Gottes vorzubereiten, das sie verwandeln wird22. 20. Sendung in der Menschheitsfamilie Unter „Welt“ versteht man spezifischer noch die menschliche Welt, das heißt die gesamte Menschheitsfamilie. Die Sendung der Kirche, die „Keim und Anfang“ des Reiches23 ist, bezieht sich unmittelbar auf diese Welt. Sie will ihr zum Bewußtsein bringen, daß sie zur Gemeinschaft mit Gott berufen.ist: An die menschliche Welt richtet sich die erlösende Liebe. „Gott hat so sehr die Welt geliebt, daß erseinen einzigen Sohn hingab, damitjeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh. 3,16). In dieser Dynamik erlösender Liebe hört die Kirche nicht auf, sich der Welt zu öffnen und hinzugeben, um alle der Gemeinschaft mit dem Vater und mit dem Sohn teilhaftig zu machen24. Um die Ankunft des Gottesreiches vorzubereiten, tragen die Laien den Glauben, die Hoffnung und die Liebe der Kirche in die Welt. In den kulturellen und 1383 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sozialen Entwicklungen erkennen sie mit Freude Zeichen der Aufgeschlossenheit für die Erneuerung durch den Geist Gottes. 21. Sendung und Geheimnis des Bösen Das Annehmen der erlösenden Liebe schließt das Anerkennen der Realität des Bösen in der Welt sowie des notwendigen geistlichen Kampfes ein25. In der Menschheitsfamilie kommt auch die Macht der „Finsternis“ (Lk. 22, 53), die dem „Herrscher dieser Welt“ untersteht (Joh. 12,31), zum Tragen. „Dieser Welt“ gegenüber kann die Haltung der Kirche nicht nachgiebig sein. Die Kirche kann nicht zum Komplizen der Finsternis werden. Ein Prozeß der Unterscheidung ist erforderlich, um falsche Werte zu entlarven, Ungerechtigkeiten anzuzeigen sowie Verletzungen der Menschenwürde und Opposition gegen die Berufung zur Gemeinschaft mit Gott zu erkennen. Zwanzig Jahre nach dem Konzil muß sich die Kirche der Tatsache stellen, daß in der Welt immer stärkere Kräfte der Bejahung christlicher Werte entgegenwirken. Offensichtlich ist die Geschichte der Menschen heute von Prozessen geprägt, die sich der Erneuerung aller Dinge in Christus entgegensetzen. Die Ergebnisse menschlichen Mühens um die Herrschaft über die Welt erweisen sich als ambivalent. Die Kirche wird zum Zeichen des Widerspruchs. Sie kann die bequemen Prinzipien „dieser Welt“ nicht annehmen. Das Geheimnis des Kreuzes prägt ihre Existenz. Das Leben in den modernen Gesellschaften setzt viele Laien einer gewaltigen Spannung zwischen christlichen Werten und den Gegenwerten der Welt aus. Zwei entgegengesetzte Versuchungen ergeben sich daraus: Flucht vor der Welt hinein in eine weltfremde Religiosität oder Anpassung an die Welt und Verzicht auf die Forderungen des christlichen Glaubens. Die Treue zu Christus und zur Kirche fordert ein klares Zeugnis. Christliche Existenz muß sich unerschrocken als Alternative zu den Werten „dieser Welt“ darstellen, das heißt in ihrer Andersartigkeit von ihrer Umgebung. Sie darf es aber nicht in einer negativen und in sich verschlossenen Haltung tun. Vielmehr muß sie sich als positives, immer offenes Angebot darstellen. Im Rahmen der Sendung der Kirche arbeiten die katholischen Laien aufrichtig mit den anderen Christen zusammen26 sowie mit allen Männern und Frauen guten Willens27. Vertrauensvoll und stetig setzen sie sich ein, um alle Saaten des Guten in der Welt zur Entfaltung zu bringen. So tragen sie bei zur Vorbereitung der vollen Verwirklichung des Reiches Gottes. 1384 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN II. Communio und Mitwirkung in der Kirche 22. Die Neuheit der Taufe Durch die Taufe werden alle Gläubigen vital einbezogen in das Geheimnis des toten und auferstandenen Christus. Sie werden zu Gliedern seines Leibes, der die Kirche ist28. Im Sakrament der Taufe sterben sie mit Christus der Sünde, das heißt einem Leben nach dem eigenen Gutdünken. Mit Chrisus stehen sie wieder auf, um nicht mehr für sich selbst, sondern für den Herrn zu leben29. Im Bad der Taufe werden sie durch das Wirken des Heiligen Geistes der Liebe des Sohnes zum Vater gleichgestaltet. Sie verpflichten sich, in dieser Liebe zu bleiben30. Die Taufe eröffnet den Zugang zu allen anderen Sakramenten. Sie schenkt dem Christen ein neues Leben, das sich qualitativ unterscheidet vom Leben der Welt. Derselbe Herr, derselbe Glaube, dieselbe Taufe bieten die Grundlage für das Leben des Volkes, das Gott erwählt hat31. Darum eignet allen seinen Gliedern die gleiche christliche Würde32. Aufgrund der Taufe nimmt derGläubige teil an Berufung und Sendung der Kirche selbst, die allumfassendes „Heilssakrament“ ist33. Alle Gläubigen haben das Recht, zur Erkenntnis der vollen Bedeutung der Taufe hingelührt zu werden34. 23. Firmung und Apostolat Die Firmung vertieft Wirkkraft und Früchte der Taufe. Die Gabe des Heiligen Geistes verleiht dem Gläubigen neue Kraft. Sie vervollkommnet das Band der communio mit der gesamten Kirche. Durch die Firmung werden die Gläubigen im Hinblick auf ihre unmittelbare Mitwirkung an der Sendung der Kirche in besondererWeise gefestigt. Sie sind dazu berufen, durch Worte und Werke Christus zu bezeugen, den Glauben zu verbreiten und zu verteidigen35. Die Mitwirkung der Gläubigen an Berufung und Sendung der Kirche wird so durch die Firmung vertieft. Die Laien sind durch die Sakramente der Taufe und Firmung bestellt, auf ihre Art an der Sendung der Kirche in der Welt mitzuwirken. Ihre Vereinigung mit Christus, dem Haupt der Kirche, gewährt ihnen das Recht und die Pflicht zum Apostolat36. So können sie mit eigenen Initiativen das apostolische Tun unterstützen37. Es steht ihnen ebenfalls zu, Vereinigungen für die Förderung der christlichen Berufung in der Welt zu gründen und zu leiten38. Unter der Voraussetzung, daß sie die Pflicht der kirchlichen Autorität, die Ausübung der Rechte der Gläubigen im Hinblick auf das Gemeinwohl zu ordnen, anerkennen, können die Laien diese Vereinigungen fordern39. 1385 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 24. Eucharistie und volle Communio in der Kirche Aufgrand ihrer christlichen Berufung wird den Gläubigen durch die Teilnahme an der Eucharistie die Fülle der communio zuteil. Im Brotbrechen verwirklichen sie sich als Glieder am Leib des Herrn und untereinander40. Die Gläubigen müssen im eucharistischen Gedächtnis des Opfers Christi verwurzelt sein und auf dieses hingeordnet bleiben. Nur so kann das neue Leben, das aus der Erlösung fließt, durch sie in der Welt präsent und wirksam werden. „Bevor es in die Erde fiel und starb, war das Fleisch Christi... nur ein Saatkorn. Jetzt aber, nachdem es gestorben ist, wächst es auf dem Altar und bringt es in unseren Händen und in unserem Leib Frucht. Da der große Herr der Weinberge aufsteigt, erhebt er diese Erde, in deren Schoß er so groß geworden ist, mit sich bis hin zu den Scheuem des Himmels41.“Das eucharistische Gedächtnis der Passion ist ohne die Umkehr der Herzen und die Vergebung der Sünden nicht wirksam. Diese sind die erste Frucht des vom Herrn vergossenen Blutes42. Im Sakrament der Buße aktualisiert sich auf vorzügliche Weise das versöhnende Tun Gottes gegenüber den Gläubigen43. Nehmen sie dieses Handeln Gottes nicht an, können die Gläubigen die Eucharistie nicht als wahres Geheimnis des Glaubens erleben, das Quelle und Höchstziel ihres apostolischen Tuns ist44. 25. Die Teilhabe an den „Drei Ämtern“ Christi Die Sakramente von Taufe und Firmung geben den Laien Anteil am dreifachen Amt Christi, dem Priester, Propheten und König. Aufgrund dieser Teilhabe leben sie die Sendung des Volkes Gottes45. In der Eucharistie kommt diese Teilnahme am dreifachen Amt Christi zur vollen Auswirkung. Denn diese schafft unter allen Gliedern des Leibes Christi das vollkommene Band der Liebe, das jedes apostolische Wirken beseelt46. Aufgrund des priesterlichen Amtes werden die Getauften zu einem geistlichen Tempel und zu einem priesterlichen Volk47. Sie sind zur Selbsthingabe berufen, um überall für Christus Zeugnis zu geben. Durch Gebet, Sakramente, ein geheiligtes Leben und vor alleni durch die Liebe verwirklichen sie das gemeinsame Priestertum. Dieses unterscheidet sich wesentlich vom Amtspriestertum, dem die sacra potestas eigen ist. Doch leiten sich beide ab vom einzigen Priestertum Christi. Gemeinsames Priestertum und Amtspriestertum sind wechselseitig aufeinander bezogen. Denn das gemeinsame Priestertum besteht weiter im Amtspriestertum. Das Amtspriestertum aber besteht und rechtfertigt sich wegen seiner Dienst-funktion dem gemeinsamen Priestertum gegenüber48. Kraft des prophetischen Amtes, besitzt die Gesamtheit aller Gläubigen -geweihte Amtsträger, Ordensleute und Laien - einen übernatürlichen Glau- 1386 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN benssinn. Dieser „kann im Glauben nicht irren“49. Die Laien dringen darum in ihrem Alltagsleben immer tiefer ein in die Geheimnisse des Glaubens. Sie bezeugen ihren Glauben dort, wo die Vorsehung sie ruft, ihren Einsatz zu leisten. Mit ihren Worten und Taten künden sie das Evangelium. Inmitten der Widersprüche unserer Zeit bekennen sie beharrlich, aber nicht ohne Kampf und Leiden, ihre Hoffnung auf die Verherrlichung. Christus erfüllt sein prophetisches Amt bis hin zur vollen Offenbarung der Herrlichkeit durch alle Gläubigen: durch die Hierarchie, die unmittelbar im Namen und in der Vollmacht Christi das Lehramt ausübt; und durch die Laien, die er zu seinen Zeugen bestellt, indem er ihnen den Glaubenssinn und die Gnade des Wortes verleiht50. Das königliche Amt gibt den Laien Anteil an der Kraft, mit der der Auferstandene alles an sich zieht. Er will sich selbst und mit sich alles dem Vater unterwerfen, damit Gott alles in allem werden kann51. Wegen ihrerbesonderen Stellung in der Welt sind die Laien dazu berufen, die Schöpfung in ihrem vollen Eigenwert anzuerkennen. Durch ihre vielfältige Tätigkeit, die von der Gnade getragen wird, sollen sie diese auf Gott hinordnen. So wird die Welt im Geist Christi, dem Geist der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens gewandelt52. Die Teilhabe aller Gläubigen am königlichen Amt Christi unterscheidet sich wesentlich von der der Hierarchie, der die sacra potestas eignet. Dennoch sind beide zutiefst miteinander verbunden, was in der Kirche ein familienhaftes Verhältnis zwischen Hirten und Laien fordert53. 26. Maria, Vorbild der Gläubigen, und die Würde der Frau „Gruß Dir, Du trägst den, der alles trägt; Gruß Dir, Stern, der Du die Sonne kündest; Gruß Dir, Du erneuerst die Schöpfung54.“ Mit ihrem unüberbietbaren Ja, das sie bis zum Kreuz durchhält, läßt Maria sich ein in die Heilsinitiative Gottes für die Menschen. Sie nimmt auf einzigartige Weise teil am dreifachen Amt Christi55. Maria hat in vollkommenem Glauben die Menschwerdung des Gottessohnes in diese Welt angenommen. Inmitten der Geheimnisse ihres Lebens blieb ihr Verhältnis zum Erlöser ungebrochen. Von der verborgenen Zeit in Nazareth an befaßte sie sich in Demut mit den Dingen dieser Welt. So ist sie zum Vorbild der Christen geworden56. Ihre einzigartige Berufung zeigt, wie groß das Leben der Laien ist: Sie sind in Freiheit berufen, sich mit Hilfe der Gnade persönlich zu entscheiden, um an der Macht der Erlösung teilzunehmen. 1387 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das marianische Element kennzeichnet das Leben des gesamten Gottesvolkes. Es weist den Weg für ein erneutes Nachdenken über den Wert der Frau in der Kirche. Auch bietet es die Grundlage, damit die Situationen der Ungleichheit, an denen die Frau in der Gesellschaft leidet, in der Kirche vermieden werden. Maria weist der christlichen Gemeinschaft den Weg, um in der Verschiedenheit der Charismen und der Dienste die gleiche Würde von Mann und Frau anzuerkennen. Das marianische Element zeigt die Bedeutung des Frauseins, anstatt die Konturen des Frauenprofils zu verwischen durch den Versuch, jede Komplementarität und Differenz gegenüber dem Mann zu leugnen57. Es darf nicht vergessen werden, daß Maria, eine Frau des Volkes Israel, den Gipfel menschlicher Heiligkeit erreicht hat. 27. Der Stand der Laien Die jeweilige Berufung und Sendung der Gläubigen in der Kirche ist gegeben mit der spezifischen Art ihrer Teilhabe am dreifachen Amt Christi. Sie ist in der Taufe grundgelegt, wird in der Firmung vertieft und in der Eucharistie ganzheitlich erfüllt58. Aus dieser Perspektive rechtfertigt sich die Existenz eines christlichen Standes als solchen. Er ist konstitutiv gebunden an das Geheimnis Christi selbst und typologisch in Maria dargestellt. Paulus beschreibt als charakteristisches Merkmal des Lebensstandes aller Gläubigen das „Leben in Christus“, das Christsein59. Der Lebensstand der getauften Laien ist identisch mit dem der Christen .Dieser stellt das gemeinsame Moment im Leben des Volkes Gottes dar. Der Stand der Hirten und der Stand der Religiösen stehen in Beziehung zu ihm als spezifische Gegebenheiten, die jeweils aus dem Sakrament des Ordo und aus der Weihe nach den evangelischen Räten fließen. Den Stand der Laien heraussteilen, kann objektiv weder dazu führen, sie an den Rand zu drängen noch sie zu klerikalisieren, schon allein wegen der vielfältigen Charismen, Aufgaben und Dienste, die im Gottesvolk bestehen60. Diese stellen einen unleugbaren Reichtum dar und veranlassen zum Übernehmen von bestimmten persönlichen Verantwortungen in der Kirche61. 28. Die Laien in der Welt Die missionarische Sendung der Kirche zielt auf die ganzheitliche Erlösung der Welt62. Den Laien kommt dabei eine vorrangige Aufgabe zu. Sie macht sie wesentlich teilhaftig der allgemeinen Berufung und Sendung der Kirche. Aufgrund ihres Weltcharakters verwirklichen die Laien besonders die Heilssendung der Kirche in der Welt. Sie bezeugen ihre Zugehörigkeit zu Christus, 1388 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN indem sie die irdischen Dinge gestalten63. Sie suchen das Reich Gottes und bemühen sich, die Dinge der Welt auf Gott hinzuordnen. Bei der Erfüllung ihrer Pflichten im Zeitlichen werden ihr Glaube, ihre Hoffnung und ihre Liebe sichtbar64. Die Laien wissen, daß das Verhältnis von Menschheitsgeschichte und Heilsgeschichte nur im Licht des Paschamysteriums erklärt werden kann. Sie sind berufen, alle echten menschlichen Werte nicht nur anzuerkennen, sondern zu verteidigen. Zugleich müssen sie dafür einstehen, daß die Gnade des Herrn im Hinblick auf das ganzheitliche Heü diese Werte läutert und erhöht65. Die Sendung der Kirche kann nicht auf eine rein geistliche sowie nicht auf eine ausschließlich zeitliche Dimension reduziert werden. Wenn sie auch geistlich ist, schließt sie ebenso die Förderung des Menschen in der zeitlichen Dimension ein66. So kann die im Rahmen dieser Sendung notwendige Unterscheidung zwischen der natürlichen und der übernatürlichen Dimension nie zur Trennung von beiden führen. Aus der Dualität kann kein Dualismus werden67. Die Laien müssen darum versuchen, die Kluft zwischen dem Glauben, den sie bekennen, und dem täglichen Leben zu überwinden. Im geistlichen wie auch im zeitlichen Bereich, in die sie einbezogen sind, muß sie allein immer ihr christliches Gewissen leiten68. 29. Der Stand der Ehe Die Ehe hat als Stand für die meisten Laien entscheidende Bedeutung69. In ihr wird der Lebensstand der Laien auf eine übernatürliche Ebene gehoben, die anderen Ständen nicht zugänglich ist. Christus hat die Ehe, die in der Schöpfüngsordnung begründet ist, zur Vollendung gebracht.Nach dem Vorbüd der geheimnisvollen Beziehung zwischen ihm und der Kirche hat er sie zur sakramentalen Würde erhoben70. Die Liebe zwischen Christus und der Kirche ist Maßstab der ehelichen Liebe. Sie erweitert das Geheimnis der natürlichen Fruchtbarkeit und verleiht ihm die geistliche Fruchtbarkeit des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe71. Weil die Familie eine Hauskirche72, eine tiefe Lebens-und Liebesgemeinschaft ist73, werden eheliche, elterliche, kindliche und geschwisterliche Beziehungen zum Bestandteil der Sendung der Laien. Der christliche Glaube muß diese Beziehungen durchdringen. So kann Tag für Tag das Leben umgewandelt werden, damit die Macht des Gottesreiches und die Hoffnung des christlichen Lebens aller Welt gekündet werden74. 1389 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 30. Der vielfältige Reichtum der Charismen Dank der Charismen, Aufgaben und Dienste bereichert der Heilige Geist ständig das Leben der Gläubigen in der Kirche. Erverteilt seine Charismen „einem jeden..wie er will“ (7 Kor. 12,1). Es handelt sich dabei um besondere Gaben, die außergewöhnlicher oder einfacher Art sein können. Die neutestamentli-chen Texte beschreiben und beurteilen sie auf sehr verschiedene Weise75. Aber die meisten scheinen auszusagen, daß die Gnade, die in den Charismen zum Ausdruck kommt, eine Aufgabe beinhaltet76. Wer ein Charisma sein eigen nennt, hat die Pflicht und das Recht, es in Kirche und Welt auszuüben, zum Wohl der Menschen und zum Aufbau der Kirche. In der Vielfalt soll immer die Einheit bewahrt bleiben77. Auch den Laien werden zahlreiche Charismen geschenkt. Sie sind berufen, sie auszuüben in der Freiheit des Geistes, der weht, „wo er will“ (Joh. 3, 8)78. Die außerordentlichen Gaben können nicht leichtfertig oder aus Überheblichkeit erstrebt werden79. Kein Charisma dispensiert von der Unterwerfung unter die Hirten der Kirche80. Das Urteil über die Echtheit der Charismen und ihre ordnungsgemäße Ausübung steht der kirchlichen Autorität zu. Ihr besonderer Auftrag ist es, „den Geist nicht auszulöschen“81, sondern das Gute zu behalten, damit alle Charismen zum Wohl der Gesamtheit Zusammenwirken82. 31. Aufgaben und Dienste Auch das Entstehen der Dienste in der Kirche geht auf das Wirken des Geistes zurück. ' Schon das Konzil sprach von den Diensten, die nicht aus dem Weihesakrament hervorgehen83. Die Päpste Paul VI.84 und Johannes Paul II.85 haben die Thematik in doktrinärerund pastoraler Hinsicht umfassend vertieft. Sie lehren besonders, daß die Dienste, die nicht mit dem Weihesakrament verbunden sind, im Hinblick auf eine erneute Belebung der Gemeinschaft der Kirche den Laien anvertraut werden86. Bei der Beschreibung und Leitung der Dienste, die nicht aus dem Weihesakrament hervorgehen, darf die besondere Verwurzelung der Laien in der Welt nicht vergessen werden. Aus Rücksicht auf ihre Welthaftigkeit muß auch hier das Risiko ihrer Klerikalisierung vermieden werden87. 32. Notwendige Klärung der Fragen um die Dienste, die nicht mit dem Weihesakrament verbunden sind Die gegenwärtige Praxis bezüglich der Dienste, die nicht aus dem Weihesakrament hervorgehen und die den Laien anvertraut werden, bedarf grundlegender 1390 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Klarstellungen. Der Unterschied zwischen den Aufgaben, die Laien übernehmen, und dem geweihten Amt muß verdeutlicht werden. Dafür sind die Identität der kirchlichen Dienste, die Laien anvertraut werden, sowie ihre wesentlichen Züge und Charakteristika zu präzisieren. Um eine Reihe von relevanten Fragen in Angriff zu nehmen, müssen auch die vom Kodex vorgeschriebenen Normen hinzugezogen werden: - welcher Instanz steht es zu, die Institution solcher Ministerien in der Kirche zu erlauben; - welche ist die Modalität für die Übergabe nicht mit dem Weihesakrament verbundener Dienste an Laien (ein liturgischer Akt oder ein lediglich juridischer Akt?); - welche ist die Dauer solcher Dienste und wie können sie abbestellt werden? 33. Communio und gemeinsame Verantwortung der drei Stände des christlichen Lebens Sieht man von der Vorrangstellung des jungfräulichen Standes und des Zölibates ab, die das Konzil von Trient gelehrt hat88, besteht zwischen den drei Lebensständen eine kreisförmige Beziehung. In einem gewissen Sinn kann gesagt werden, daß die beiden anderen Stände auf den der Laien hingeordnet sind. Von anderen Gesichtspunkten her gesehen, sind Ordensleute und Laien auf den Priesterstand und Priester und Laien auf den Stand der Ordensleute hingeordnet. Der tiefste Sinn der Lebensstände ist die Vollkommenheit der Liebe, die letztes Ziel aller Gläubigen ist. Darum sind die Lebensstände notwendig aufeinander bezogen. Jeder Lebensstand stellt exemplarisch etwas dar, was für die anderen beiden wesentlich ist: Der Priesterstand gibt die Gewähr für die sakramentale Gegenwart der christlichen Erlösung an jedem Ort und zu jederzeit. Der Stand der Ordensleute bezeugt, daß zum christlichen Bekenntnis die absolute Entschiedenheit gehört und daß von den Gläubigen die Verpflichtung gefordert ist, soweit wie möglich das zu sein, was sie sein sollen. Der Stand der Laien führt zur Heiligung aller menschlichen Situationen in der Gemeinschaft mit der Dreifaltigkeit. Die Rreisförmigkeit dieser Gommunio ist das Fundament für die gegenseitige Erbauung und Verantwortung der drei Lebensstände. Alle sollen sie in der gegebenen Ordnung und der jeweiligen Differenziertheit die Liebe Christi und die Heiligkeit Gottes sichtbar bezeugen: „Das ist es, was Gott will: Eure Heiligung“ (1 Thess. 4,3). Gott mißt die Heiligkeit nicht am Lebensstand, sondern an der Vollkommenheit der Liebe. 1391 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Dritter Teil Zeugen Christi in der Welt I. Das Leben nach dem Geist A) Jünger Christi 34. Einheit des Lebens Eine neue Motivierung der Laien für die apostolische Sendung ergibt sich aus den Antworten auf die Lineamenta. Diese weisen zugleich auf die Notwendigkeit hin, die Kluft zwischen Glauben und Leben zu überwinden. Die Laien müssen aus allen Realitäten, die ihr tägliches Leben ausmachen, eine christliche Synthese schaffen89. Nur so können sie anderen die Richtung zur wahren Befreiung und zum wahren Frieden weisen. Wege dazu zu finden, ist Aufgabe der VH. Ordentlichen Vollversammlung der Synode. Die Gläubigen geben ihr Zeugnis in einer Pluralität individueller und gemeinschaftlicher Formen, die der Geist in ihren jeweiligen Lebenssituationen hervorruft. 35. Die allgemeine Berufung zur Heiligkeit Die allgemeine Berufung zur Heiligkeit aus Liebe ist nach der Lehre des II. Vatikanischen Konzils die Mitte des geistlichen Lebens aller Christen90. Diese Berufung fordert, die Kluft zwischen Glauben und Leben zu überwinden. Die Vollkommenheit der Liebe verlangt Ganzheitlichkeit. Alle Lebensbereiche müssen hingeordnet werden auf die Verherrlichung der Dreifaltigkeit und das ganzheitliche Wohl aller Menschen. Das Geheimnis der Inkarnation des Gottessohnes - der Mensch wurde aus Liebe zu den Menschen - zeigt, daß in seinem Leben alles eine Heilsbedeutung hatte. Jeder Aspekt seiner Existenz - wie etwa sein Familienleben und seine Arbeit in Nazareth — ist für das Heil relevant. Auch das Alltagsleben der Laien ist einbezogen in den Heilswillen des Vaters, der sich durch den Geist erfüllt. 36. Die „Nachfolge Christi“. Die Forderung einer neuen Lebensweise tritt zutage. Es ist nicht mehr möglich, so in der Welt zu leben wie die, die den Herrn nicht kennen91. Wer ihn erkannt 1392 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN hat, muß sich verhalten wie er92. Christus aber hat sich, um sein Erlösungswerk zu vollbringen, in Liebe dem Willen des Vaters unterworfen. Er „war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil. 2,8). Darum konnte er jenes Opfer darbringen, durch das auch wir geheiligt wurden93. Sich wie Christus verhalten, Jesus nachfolgen, heißt darum zunächst, aus Liebe zum Vater jede sündige Beziehung zur Welt aufgeben. Es bedeutet, die eigene Existenz im Geist des Gehorsams gegenüber dem Heilsratschluß des Vaters in Christus gestalten94. 37. Notwendigkeit der Unterscheidung Die Verwirklichung des Heilsplanes weist in jeder Etappe der Geschichte andere Merkmale auf. Sie bringen die neuen Bedürfnisse der Menschheitsfamilie zum Ausdruck: Diese sind die Zeichen der Zeit. Für die Jünger Christi bedeuten sie mehr als eine Veränderung der geschichtlichen Situation. Die neuen Verhaltensmodelle können für sie keine Lebensnorm ein. Die Christen suchen in den neuen Verhältnissen vielmehr konkrete Anrufe Gottes, die eine spezifisch christliche Antwort verlangen. Darum können die Laien sich nicht in einer individualistischen Suche nach Gott verschließen. Sie müssen Antwort geben auf die aktuellen Bedürfnisse der Welt: „Denn: wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben“ (1 Joh. 4,120). Wahres geistliches Leben weiß die Stimme Christi im Glauben zu erkennen: Er spricht auch durch die Sehnsüchte und die Erwartungen der Menschen von heute. Darum ist der Christ sensibel für die Probleme der Menschen und solidarisiert sich mit ihnen95. Er ist immer bereit, darauf zu antworten und nach bewährten und neuen Lösungen zu suchen. 38. Ein Lebensstil nach den Seligpreisungen Der christliche Dienst an anderen verlangt im Alltagsleben Selbsthingabe. Da er „sein Leben für uns hingegeben hat“, „müssen auch wir für die Brüder das Leben hingeben“ (1 Joh. 3,16). Eine solche Grundhaltung kommt zum Ausdruck in einem Lebensstil nach den Seligpreisungen, die Jesus verkündet hat. Die christliche Liebe wird in ihnen erkenntlich96. Die Laien folgen Jesus nach, der arm war. Der Mangel an zeitlichen Gütern ist für sie kein Grund zur Niedergeschlagenheit. Reichtum macht sie nicht stolz. Sie suchen stets nach der Gerechtigkeit des Reiches Gottes, die Bedingung ist für den wahren Frieden unter den Menschen. Für ihn sind sie bereit, Verfolgung zu ertragen. Sie verzichten auf jede Form von Gewalt. In der Passion Christi finden sie Kraft, die Prüfungen ihres Lebens zu bestehen. Seine Auferstehung ist ihnen Grund zu bleibender Freude und Hoffnung97. 1393 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN B) Wachstum in der Gnade 39. Immerwährende Umkehr Das Reich Gottes ist wie eine Saat, die langsam wächst. Sie wird zu einem Baum, in dessen Äste die Vögel des Himmels ihre Nesterbauen können98. So umfaßt die Liebe des Christen nach und nach alle Dimensionen der menschlichen Existenz und stellt sie in den Dienst Gottes und der Menschen. Die christliche Umkehr in der Taufe ist somit kein isoliertes Geschehen der Vergangenheit, sondern sie motiviert immer neu, auf das Böse zu verzichten und die Hingabe an Christus zu vertiefen. Die Kräfte, die sich im Herzen der Menschen dem Reich Christi entgegensetzen, sind nicht alle unmittelbar zu identifizieren. Dies erfordert einen geduldigen Prozeß der Unterscheidung, der Umkehr und des inneren Ringens. Die Liebe nährt sich im stetigen Geöffnetsein für die Gaben des Geistes und im Wachstum in den christlichen Tugenden. 40. Das Wort Gottes Im Wort Gottes, das in der Liturgie der Kirche verkündet und persönlich betrachtet wird, sucht der Vater im Himmel den Dialog mit seinen Kindern99. Er offenbart den Herzen der Menschen das Geheimnis seines Heilswillens. Alle Aspekte des persönlichen Lebens, die der Umkehrbedürfen, treten zutage. Weite Horizonte eröffnen sich im Hinblick auf die Neugestaltung der Welt. Das Wort Gottes ist „reiner, unversieglicher Quell des geistlichen Lebens“100. Seine Botschaft ist immer aktuell und beleuchtet die Geschehnisse der Menschheitsgeschichte. Sinn und Herz des Menschen bereitet sie vor, vom Geist neues Licht über das persönliche Schicksal und die Menschheitsgeschichte zu empfangen. In der Betrachtung des Gotteswortes lernen die Laien auch, über den wahren Sinn und Wert der zeitlichen Dinge zu urteilen101. Die wachsende Vertrautheit mit ihm ist ein unersetzliches Moment des geistlichen Lebens der Laien. 4L Die Eucharistie Als „Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“102 muß das eucharistische Opfer zur Mitte des Lebens eines jeden Laien werden. In der liturgischen Feierund in ihrem täglichen Leben nehmen die Gläubigen an der Eucharistie teil. Dort bringen sie dem Vater in Liebeseinheit mit dem Opfer Christi ihr Tagewerk dar. Die Eucharistie befreit vom Egoismus und motiviert dazu, die communio zum Kriterium des Handelns zu machen. 1394 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Allein durch die Einbeziehung in das eucharistische Opfer erhält das Alltagsleben der Laien seinen wahren Sinn und kommt darin zur Erfüllung. Denn in der Eucharistie eint Christus die guten Werke der Glieder seines Leibes mit seiner eigenen Hingabe103. 42. Gemeinsames und persönliches Gebet Gemeinsames und persönliches Beten sind Voraussetzung für die Heiligung der Christen104. Beten ist Ausdruck der Hoffnung, die auf die Dreifaltigkeit gerichtet ist. Sie bittet um die notwendigen geistlichen und materiellen Gaben und dankt für die empfangenen Wohltaten. Wenn er betet, muß der Christ sich mit dem Gebet Christi vereinen. Denn nur „durch ihn haben wir... in dem einen Geist Zugang zum Vater“ (Eph'.l. 18). In der Einheit mit Christus kann der Getaufte zum Vater beten. Er tut es mit der Aufrichtigkeit und dem Vertrauen dessen, der weiß, Kind Gottes zu sein. Christus hat im Gebet sein Leben dem Heilsratschluß Gottes unterworfen. Nach seinem Vorbild bringen sich die Gläubigen selbst dem Vater dar. Sein Heilswille soll in den individuellen und gemeinschaftlichen Lebenskontexten zum Tragen kommen. Sie erbitten die Gnade und die Kraft des Geistes, damit der Wunsch des Vaters sich an ihnen erfülle. 43. Die sakramentale Versöhnung Während seiner geschichtlichen Existenz bleibt das Volk Gottes „in seinen Gliedern der Sünde ausgesetzt“105. Darum bekennen die Gläubigen im Bußsakrament mit reuigem Herzen ihre Sünden106. Bis zum letzten Tag des Lebens gibt ihnen dieses Sakrament Grund zur Hoffnung107. In ihm findet Gott Vater den verlorenen Sohn wieder und setzt ihn in seine ursprüngliche Würde ein108. So kann der Christ im vertieften Bewußtsein seiner persönlichen Schwäche und der Barmherzigkeit Gottes neu seine Berufung leben. Empfängt er wiederholt das Bußsakrament, kann der Christ die Läuterung der Sündhaftigkeit in seinem Leben erfahren. Die Existenz der Jünger Christi wird so für die Gnade des Heiligen Geistes transparent, und das Antlitz des Herrn scheint in ihnen den Menschen auf. 44. Die christliche Aszese Die Antwort auf den Anruf des Herrn muß sich im täglichen Leben durch Werke konkretisieren. „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr! wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel 1395 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN erfüllt“ {Mt. 7, 21). In ihrem täglichen Leben müssen die Laien den Mut zur Aszese aufbringen109. Mit dem Beistand des Geistes machen sie sich auf den „Weg eines lebendigen Glaubens, der die Hoffnung weckt und durch Liebe wirksam ist“110. Die Aszese der Laien schließt auch eine soziale Dimension ein: Überwindung der Fehler gegen den Frieden in der Familie, Förderung der Mitarbeit im Beruf und der Bereitschaft zum Dienst in Kirche und Gesellschaft. Bedeutend sind auch Tugenden, die soziale Beziehungen grundlegen, wie Klugheit, Rechtschaffenheit, Sinn für Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Höflichkeit, Starkmut111. 45. Maria, Mutter des geistlichen Lebens Maria ist nach Jesus und durch seine Gnade das vollkommenste Vorbüd für das geistliche Leben. „Während sie auf Erden das Leben wie jeder andere verbrachte, voll von Sorge um die Familie und von Arbeit, war sie doch immer innigst mit ihrem Sohn verbunden und arbeitete auf ganz einzigartige Weise am Werk der Erlösung mit“112. Die Laien sollen sich darum ihrem Schutz anvertrauen. Sie können es tun im Hören und Betrachten des Wortes, in der Teilnahme an der Eucharistie, im Gebet, in der Buße und ihren Kämpfen. „In ihrer mütterlichen Liebe trägt sie Sorge für die Brüder und Schwestern ihres Sohnes, die noch auf der Pilgerfahrt sind und in Gefahren und Bedrängnissen weilen, bis sie zur seligen Heimat gelangen“113. II. Träger der Sendung A) Mitwirkung aller Gläubigen an der Sendung der Kirche 46. Aktualisierung der Sendung der Kirche Die ganze Kirche ist von Natur her missionarisch. Heute stellt sich ihre missionarische Aufgabe dringlicher denn je und erfordert die Mitwirkung aller Gläubigen. Denn alle sind dazu berufen, „zur Ausweitung und zum Wachstum des Reiches Christi in der Welt“ beizutragen114. Das Band der communio und der Wille zum Apostolat müssen erneuert werden. Zahlreiche Früchte zeugen davon, daß die Lehre des II. Vatikanischen Konzils in den älteren und den jungen Kirchen aufgenommen und aktualisiert wurde. Das Bewußtsein der christlichen Würde und apostolischen Verantwortung der Laien ist in der gesamten Kirche tiefer geworden, und es sind vielfältige Formen engagierter Mitwirkung von Laien an der Sendung der Kirche ent- 1396 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN standen. Dennoch ist vielerorts nur eine Minderheit der Laien sich ihrer Würde bewußt und missionarisch aktiv geworden. Immer noch zu viele sind passiv geblieben und reduzieren ihr Christsein auf das rituale Moment. Als Ursache dieses Übels muß ein gewisser Klerikalismus erwähnt werden, der zuweilen zum Komplizen dieser Situation wurde. Soll die Kirche als ganze ihre Sendung aktualisieren, müssen alle Getauften für die neue Evangelisierung gewonnen werden. 47. Evangelisierung und Inkulturation Evangelii nuntiandi hat zehn Jahre nach dem Abschluß des II. Vatikanischen Konzils als Ergebnis der III. Ordentlichen Vollversammlung der Synode unmißverständlich die Natur des missionarischen Wirkens definiert. Diese besteht in der Evangelisierung, worin die eigentliche Identität der Kirche zum Ausdruck kommt115. Die Frohe Botschaft muß zu allen Menschen getragen werden. Urteilskriterien, Grundwerte, Interessen, Ausrichtungen des Denkens und Lebensprojekte müssen durch sie gewandelt werden. Dadurch eröffnet sich jedem Menschen und der Welt Zugang zum ganzheitlichen Heil. Die II. Außerordentliche Vollversammlung der Synode hat sich zwanzig Jahre nach dem Konzil mit der Dynamik der „Inkulturation“ des Evangeliums befaßt. Kraft des Prinzips der communio vermag die Kirche, die Verschiedenheit in der Einheit zusammenzufugen. Die positiven Momente, die ihr in jeder Kultur begegnen, nimmt sie auf, ohne sich dabei äußerlich leichtfertig anzupassen. Was sie in sich aufgenommen hat, integriert sie in das Christentum. Dadurch wiederum verwurzelt sie dieses in den verschiedenen Kulturen116. Evangelisierung der Kultur und Inkulturation des Evangeliums fließen in der missionarischen Tätigkeit der Kirche zusammen. Sie wird dadurch konkret einbezogen in die Erbauung einer Zivilisation der Wahrheit und der Liebe. 48. Hoffnungen für die Sendung Im Rahmen der Mitwirkung aller Gläubigen an der missionarischen Sendung der Kirche hat die II. Außerordentliche Vollversammlung der Synode den Jugendlichen und den Frauen entscheidende Beiträge zugesprochen. Die Jugendlichen, die für die Sendung der Kirche eine lebendige Kraft darstellen, brauchen absolute Werte und große Ideale. Gerade heute werden sie mit immer größeren Schwierigkeiten konfrontiert: In der Welt der Arbeit die Arbeitslosigkeit; in der Schule der Mangel an „wahren Lehrem“und an sicheren Wahrheitskriterien; dazu kommt die Versuchung des hedonistischen Konformismus oder der alten Ideologien. Die Kirche aber 1397 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN fordert sie auf, das Erbe des Konzils aufzunehmen und dynamisch weiterzuführen. In Gruppen, Gemeinschaften und Bewegungen wirken immer mehr Jugendliche mit an der Sendung der Kirche. An der Schwelle des zweiten Jahrtausends liegt hierin ein Zeichen der Hoffnung für das gesamte Gottesvolk. Nach dem Vorbild Christi hat die Kirche immer große Liebe und tiefe Ehrfurcht für die Kinder bezeugt. Sie haben Anrecht auf familiäre, soziale und kirchliche Lebenskontexte, in denen sie ungehindert wachsen können - nicht nur an Jahren, sondern auch an „Weisheit und Gnade“117. Die Kinder sind Träger entscheidender Lebenswerte für die Sendung der Kirche und den Aufbau einer gerechteren Welt. Frauen wirken oft noch zahlreicher und engagierter als die Männer mit am Leben und an der Sendung der Kirche. Diese möchte jede Diskriminierung der Würde aller Gläubigen — von Männern und von Frauen - vermeiden. Sie will gerade bei der Erfüllung der Sendung die Gemeinschaft fördern. Überall in der Kirche wird die dringende Notwendigkeit empfunden, Gaben und Verantwortung der Frau stärker noch anzuerkennen und zu fördern. In den verschiedenen Bereichen des apostolischen Tuns soll die Mitwirkung der Frauen in der Kirche wachsen118. 49. Die Armen in der Sendung der Kirche Die Kirche ist Haus und Familie Gottes. Weil sie es immer mehr werden will, bleibt sie für alle offen und nimmt mit besonderer Liebe die Armen auf. Sie ist sich ihrer Sendung im Dienst der Armen bewußter geworden. Die Kirche hört im Geist des Evangeliums das Rufen der Millionen, die Bedürftigkeit leiden und auf eine wahre Befreiung warten. Ihre Freuden und Nöte, Ängste und Hoffnungen macht sie zu den ihrigen119. Sie weiß sich mit den Armen durch starke Bande der Gemeinschaft und Solidarität verbunden. Die Elend und Hunger leiden, die Unterdrückten, die Verlassenen, die an den Rand Gedrückten, die physisch oder psychisch Kranken haben in besondererWeise Anteil am Kreuz Christi und darum auch an der Sendung der Kirche120. B) Zu den Grundhaltungen flir die Erfüllung der Sendung 50. Notwendige Grundhaltungen Bestimmte Grundhaltungen gehören wesentlich zum christlichen Bewußtsein und Tun. Sie sind charakterisch für die Mitwirkung der Laien an der Sendung der Kirche .Nennt er sie nicht sein eigen, kann der Christ dort, wo das Leben der 1398 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Menschen oder das Schicksal der Völker bedroht ist, kein wirksames und fruchtbares Zeugnis seiner Identität geben. Diese Grundhaltungen sind eine unersetzliche Bedingung, damit die Laien in jeder menschlichen Situation die Inkulturation des Glaubens zu verwirklichen vermögen. Kraft ihrer Welthaftig-keit sind sie berufen, sich in besonderer Weise für diese Aufgabe zu engagieren. 51. Teilen und solidarisch sein Es gibt nichts wahrhaft Menschliches, was im Herzen der Christen kein Echo findet121. Die Liebe zu allen Menschen, das Teilen der Lebensverhältnisse in jeder menschlichen Situation, die Verwurzelung in jeder Kultur, das Mittragen des Schicksals eines jeden Volkes, menschliche Solidarität über alle Grenzen hinweg sind Kennzeichen christlicher Präsenz.„Immer“ist der Mensch der Weg der Kirche122 - in seinen jeweiligen Lebensverhältnissen, seinen Bedürfnissen und Erwartungen, in der Suche und dem Finden seines Lebenssinnes, im Verlangen nach Wahrheit, Gerechtigkeit, Frieden und Glück. 52. Lebensbeurteilung im Licht christlicher Prinzipien Will der Christ in allem, was wahrhaft menschlich ist, präsent sein, muß er im Licht des Glaubens an Christus urteilen. Christus offenbart dem Menschen den Menschen. Er läßt ihn seine Berufung, seine Würde und das Gute erkennen123. Er ist der Schlüssel zur Deutung jeder menschlichen Erfahrung. Christliches Urteilen führt dazu, die Zeichen der Wahrheit, Güte und Schönheit, die in jeder menschlichen Situation sichtbar sind, zu erkennen, sie aufzunehmen und zu vervollkommnen. Christliches Urteilen zeigt aber auch jede Form der Unterdrückung, Manipulierung, Entfremdung an. Es bringt zum Bewußtsein, daß die Sünde Wurzel jedes Zwiespalts und aller Unterdrückung ist. Die Laien werden durch das christliche Urteilen dazu motiviert, sich einzusetzen für die christliche Befreiung124. 53. Öffentliches Zeugnis Verkündigung und Zeugnis der Frohen Botschaft erfordern unerschrockene Offenheit125. In ihren jeweiligen Lebenskontexten müssen die Christen den neuen Menschen, den sie in der Taufe angezogen haben, bezeugen sowie die Geistesgaben, die sie in der Firmung empfangen haben126. 1399 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Diese unerschrockene Offenheit verleiht dem christlichen Zeugnis besondere Anziehungskraft. Die Humanität, mit der die Gläubigen Jedem Rede und Antwort ... stehen, der nach der Hoffnung fragt“ (1 Petr. 3,15), die sie beseelt, erweckt Bewunderung. 54. Christlicher Realismus Die Laien engagieren sich dort, wo die Vorsehung sie hingeführt hat, um die Welt nach den Werten des Reiches Christi zu ordnen und zu gestalten. Sie setzen sich unmittelbar ein für eine gerechtere,, friedvollere und solidarischere Welt. Aber sie vergessen dabei nicht, daß alle menschlichen Werke notwendig zerbrechlich und immer ambivalent sind. Ihr Bemühen, die Geschichte zu gestalten, wird darum von christlichem Realismus getragen. Die Laien wissen, daß alles Gute, das sie den Menschen tun, einmal in Christus erneuert wird. Diese wahre „Armut im Geist“ macht sie zu Kündern engagierter Hoffnung, die jede Utopie überwindet. Der Herr der Geschichte ist es, der in der endgültigen Befreiung, die unter den Menschen schon begonnen hat, den „neuen Himmel und die neue Erde“ offenbaren wird127. 55. Dialogbereitschaft Die Dialogbereitschaft der Kirche mit allen Menschen wird durch die Gemeinschaft der Christen in allen Lebensbereichen präsent, wie z. B. in Wohnvierteln, Schulen, Büros, Fabriken, Krankenhäusern, usw.12S. Auch macht sie die Laien sensibel für ökumenisches Tun. Der Einsatz für die Einheit unter den Christen ist für jeden, seinen Möglichkeiten entsprechend, verpflichtend. Bei gemeinsamen Stellungnahmen und Äußerungen beziehen sich die Christen auf die gemeinsame Wurzel des Evangeliums. Die Pflicht zum Zeugnis erfordert oft die Zusammenarbeit unter den Christen129. In ihrem missionarischen Tun müssen die Laien dem großen spirituellen Reichtum der nichtchristlichen Religionen Rechnung tragen als Anknüpfungspunkt für die Botschaft des Evangeliums. Das Lebenszeugnis der Laien wertet den sensus religiosus der anderen, ohne auf die Forderungen des Evangeliums zu verzichten130. Im Dialog mit denen, die Gott gegenüber gleichgültig scheinen oder sich von ihm abgewandt haben, bezeugen die Laien, daß die wesentlichen Fragen der menschlichen Existenz (Sinn des Lebens und des Todes, des Leidens und der Arbeit, der Freude und der Liebe) zur Frage des ganzheitlichen Heils des Menschen führen. Diese aber findet allein in Gott eine Antwort131. So viel und so oft wie möglich sollen die Laien ohne Kompromisse mit den 1400 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Christen anderer Konfessionen und den Menschen guten Willens Zusammenarbeiten, um menschenwürdigere Lebensverhältnisse zu gestalten132. C) Communio für die Sendung 56. Die Laien und die Sendung der Teilkirche Die Laien leben ihre Gliedschaft der universellen und einen Kirche in den „Teilkirchen“, die an den verschiedenen Orten die „Catholica“ gegenwärtigsetzen133. Die pastoralen Bedürfnisse und Programme ihrer Diözesen tragen die Laien mitverantwortlich mit. Sie werden einbezogen in die dringenden missionarischen Aufgaben, deren gemeinsame Erfüllung in den Gemeinden und insbesondere zwischen Laien und Hirten familienhafte Beziehungen schafft. Unbeschadet der spezifischen pastoralen Verantwortung der geweihten Amtsträger wirken die Laien heute stärker mit an den Entscheidungsprozessen in der Kirche. Auf institutioneller Ebene haben die Pastoralräte dazu beigetragen, diese erneute Dynamik des Dialogs und der Mitarbeit der Laien in den Gemeinden zu fordern und zu koordinieren. Ihre Einrichtung wurde vom Konzil selbst empfohlen134, und es ist wünschenswert, daß sie in den Teilkirchen noch weitere Verbreitung und größere Wirksamkeit findet. Die Pastoralräte stehen im Dienst der gemeinsamen communio und Sendung. Oft müssen aber noch Hindernisse überwunden werden, die im allgemeinen diese erste Phase ihrer Existenz geprägt haben: Übergewicht der organisatorischen und bürokratischen Aspekte auf Kosten der missionarischen Perspektive; starke Spannungen um die Frage der „Repräsentativität“ auf der Ebene der Teilkirchen; ständiges Schwanken zwischen „Klerikalismus“und „Demokratismus“. Besondere Aufmerksamkeit verdienen auch die Formen breiter Mitwirkung der Laien am Leben der Teilkirchen, wie Diözesan- oder Nationalversammlungen und Synoden. 57. Die Laien und die Sendung der Pfarrei Der allgemeine Ort der Mitwirkung der Laien an Leben und Sendung der Kirche bleibt die Pfarrei. Dort entdecken und erleben sie immer wieder ihre Zugehörigkeit zum Volk Gottes und nehmen durch das erneute liturgische Leben und den Empfang der Sakramente an den Geheimnissen des Glaubens teil135. 1401 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das II. Vatikanische Konzil hat die Einrichtung von Pastoralräten auf Pfarrebene gefördert. In ihrem Rahmen sind in den letzten zwanzig Jahren zahlreiche Initiativen zur Förderung des missionarischen Engagements der Laien entstanden: Einsatz in Liturgie und Gemeinde; katechetische Initiativen (Vorbereitung auf den Empfang der Sakramente, Katechese für Kinder, Jugendliche und Familien, Glaubensgespräche mit Erwachsenen...); karitative Unternehmungen auf freiwilliger Basis, Entwicklungshilfe vor Ort; Gruppen zur missionarischen Mitarbeit und andere Aktivitäten. Dennoch begnügt die Mehrheit der Gläubigen sich oft mit einer passiven Teilnahme an der Liturgie und den Sakramenten. Die Pfarrei wird dann nicht zur wahren Gemeinschaft, die zu einem missionarischen Engagement fähig ist. Oft suchen die Gläubigen tiefere persönliche und gemeinschaftliche Beziehungen, sie möchten konkreter mitwirken an der Sendung der Kirche. Viele „kleine christliche Gemeinschaften“ oder „kirchliche Basisgemeinschaften“ schenken ihnen solche Erfahrungen. Zuweilen konnte dank dieser Gemeinschaften die Erfüllung der Sendung der Kirche unmittelbarer auf die Bedürfnisse der Menschen antworten; vor allem in Großpfarreien oder dichtbesiedelten Gebieten, wo die institutionalisierte Präsenz der Kirche noch schwach ist oder in den Anfängen steht. Das Lehramt hat des öfteren die Kriterien zu einer Beurteilung dieserneuen Formen der„communio und Mitwirkung“ der Gläubigen am Aufbau der Kirche formuliert136. In diesem Rahmen darf auch die unersetzliche Arbeit der Katecheten für die erste und ständige Evangelisierung vieler Länder nicht unerwähnt bleiben. Ihre Kompetenz und ihr Engagement haben einerseits den Glauben aller vertieft und sie andererseits zum Bindeglied zwischen Laien und Priestern gemacht. Weil sie ihren Brüdern und Schwestern, die Laien sind, näher stehen, verhelfen sie ihnen zu einem unmittelbaren Verhältnis zur Kirche. Sie sind ihnen ein Vorbild: Ihr Wirken zeigt, daß das Engagement für den Glauben und die Opfer, es zu verteidigen, nicht nur den Priestern und Ordensleuten, sondern auch den Laien zustehen137. 58. Die Laien und die Aufgabe der katholischen Bildungseinrichtungen Der Beitrag der katholischen Bildungseinrichtungen für die integrale Erziehung und Ausbildung neuer Generationen von Gläubigen zum Dienst an der communio und Sendung der Kirche darf nicht unbeachtet bleiben. Die katholischen Bildungseinrichtungen arbeiten als wahre Erziehungsgemeinschaften mit der Familie und anderen Institutionen zusammen. Das gemeinsame Wirken von Eltern, Lehrern, Schülern wird zum Zeugnis katholischer Identität, nicht nur durch den Religionsunterricht, sondern durch die gesamte Art der Kulturvermittlung in Gemeinschaftsgestaltung138. 1402 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 59. Vereinigungen und Bewegungen von Laien Die verschiedenen Formen des Vereinswesens - Bruderschaften, Drittorden, Katholische Aktion, internationale katholische Organisationen, Bewegungen und Gruppen - sind bevorzugte Orte und Mittel zur Aktualisierung der Würde der Getauften und der apostolischen Verantwortung der Laien. Die Verschiedenheit ihrer Charismen, christlicher Pädagogien und apostolischer Werke nähren die lebendige Kraft und die Heiligung der Gläubigen und sind zugleich Weg ständiger Umkehr sowie christlicher Erziehung und Ausbildung. Ihre Opportunität und Wirksamkeit für die Sendung der Kirche kommt besonders zutage in den Bereichen sozialen Engagements, die außerhalb des Wirkradius der Pfarrei liegen und einem starken säkularisierenden Einfluß ausgesetzt sind. Nach der Krise am Ende der sechziger Jahre entsteht heute eine neue Blüte der Vereinigungen von Gläubigen. Einige traditionelle Formen scheinen an Bedeutung verloren zu haben. Andere wiederum haben in der Folge der konziliaren Erneuerung einen Prozeß des „aggiomamento“ durchgemacht. Neue Gruppen, Gemeinschaften und Bewegungen sind entstanden und verbreiten sich mit großer Vitalität. Die Neuartigkeit und Verschiedenheit, die heute das Vereinswesen der Gläubigen charakterisieren, fordern in der Kirche einen Prozeß weiser Unterscheidung, der jede Realität spezifisch bedenkt. Das freie Vereinsrecht der Gläubigen, das vom Konzil ausführlich dargestellt139 und vom Kodex normiert wurde140, darf nicht unbesehen bleiben. Das Konzü hat die Förderung solcher Vereinigungen ausdrücklich empfohlen141. Den Bischöfen aber kommt die Verantwortung zu, in Gemeinschaft mit dem Heiligen Vater die anspruchsvolle Aufgabe der Beurteilung der charismatischen Gaben, die der Geist den Gläubigen verleiht, wahrzunehmen. Aus ihnen entstehen zuweilen neue Formen von Vereinigungen und apostolischen Initiativen142. 60. Kriterien der Kirchlichkeit Für die Orientierung und Ausreifung der verschiedenen Vereinigungen müssen dringend spezifische Kriterien bestimmt werden, die zugleich den Hirten Anhaltspunkte für den notwendigen Unterscheidungsprozeß bieten. Einheit und Übereinstimmung mit den Bischöfen und dem Papst, Treue zum Lehramt der Kirche und Mitwirkung an ihrer Sendung gehören wesentlich zu solchen Gesichtspunkten. Entscheidende Momente für die Beurteilung der Formen des Vereinswesens sind ferner Liebe, Heiligkeit, Wille zum Apostolat, 1403 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Hingabe und Dienst an der Kirche sowie christliche Erziehung und Ausbildung im Hinblick auf die jeweiligen Berufungen ihrer Mitglieder. Allerorts tritt die Sorge um die Vertiefung der communio und Mitwirkung der Vereinigungen von Gläubigen in den Teilkirchen, unter der Leitung der Bischöfe und in Einheit mit dem Papst zutage. Dabei müssen Programme und Institutionen der Diözese sowie die Dynamik der „Inkulturation“ in die jeweiligen Verhältnisse Berücksichtigung finden. Die Hirten haben die Pflicht, die communio zu fördern und den Beitrag auf das Gemeinwohl auszurichten; nur dürfen die Charismen der verschiedenen Vereinigungen nicht abgeschwächt oder verzeichnet werden. Der Verschiedenheit der pädagogischen Angebote, der Besonderheit der Werke und in solchen Fällen dem internationalen Charakter- den das Konzil empfohlen hat143 - ist Rechnung zu tragen. Dabei ist es unerläßlich, Rivalitäten und Konflikte, Versuchungen zum „Monopolismus“ und „Exklusivismus“ in der christlichen Gemeinschaft zu überwinden. Aufgrund des Prinzips der communio muß in der Vielfalt die Einheit gefördert werden, denn alle sind dazu berufen, die eine Sendung der Kirche zu erfüllen. 61. Für die Sendung geweiht Ein weiterer origineller Beitrag für die Sendung der Kirche wird von den Säkularinstituten eingebracht. Ihre Mitglieder sind zu einer besonderen Weihe an Gott nach den evangelischen Räten berufen. Als Laien werden sie dadurch in der Welt zu Zeugen der Radikalität des Evangeliums. Durch ihre verschiedenen Lebensformen und vielfältigen Modalitäten christlicher Präsenz in den modernen Gesellschaften zeugen sie von der hochherzigen Antwort der Laien auf die allgemeine Berufung zur Vollkommenheit in der Liebe. Die Laien, die Mitglieder von Säkularinstituten sind, leben ihre Ganzhingabe an Gott in der Welt. Sie sind darauf ausgerichtet, die eschatologische Dimension der christlichen Berufung in der Welt exemplarisch zu realisieren. Ihr Zeugnis für die Neuheit Christi ermutigt alle Laien, die Spannung zwischen dem „In-der-Welt-Sein“und dem „Nicht-von-dieser-Welt-Sein“ wahrzunehmen und zu ertragen. Dank ihres Lebensstandes und der geistlichen Ausbildung, die sie erhalten, können zahlreiche Mitglieder von Säkularinstituten wertvolle Beiträge für das menschliche und christliche Wachsen vieler anderer Laien einbringen. Mit ihnen übernehmen sie bedeutende Verantwortungen in den christlichen Gemeinden. Auch verdient es Aufmerksamkeit, daß immer mehr Laien sich in der Radikalität der evangelischen Räte engagieren, ohne berufen zu sein, ein Säkularinstitut zu schaffen oder sich einem bestehenden anzuschließen. Das Leben der 1404 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kirche ist heute reich an Formen der Ganzhingabe an Gott, die von Laien getätigt werden. Diese sind eine Gabe Gottes an die Kirche und die Welt unserer Zeit. III. Bereiche der Sendung der Laien 62. Kriterien für eine erneute christliche Präsenz Die Laien leben heute oft in einer stark säkularisierten Umgebung; sie müssen in Grenzsituationen und Grenzfragen Stellung beziehen und mit Menschen aller Lebensanschauungen Zusammenarbeiten. Angesichts ihrer Verantwortungen in der Welt muß das Bewußtsein ihrer lebendigen Zugehörigkeit zur Kirche vertieft und in einer brüderlichen und schwesterlichen Gemeinschaft genährt werden. Aufgeschlossenheit, Hinhören, Fragen und Verstehen der Laien, die sich in den verschiedenen säkularen Bereichen engagieren, sind in den christlichen Gemeinden zu fördern. Die christliche communio ist von Natur her darauf ausgerichtet, alle Bereiche der apostolischen Präsenz der Gläubigen in der Welt zu erfassen. Legitime Meinungsverschiedenheiten eröffnen im sozialen Engagement einen Pluralismus möglicher Wahlen, die sich aber alle auf das Allgemeinwohl ausrichten müssen. Der Pluralimus soll aber den gemeinsamen Einsatz nicht blockieren144. Bedeutende Elemente für die Beurteilung und Ausrichtung des Wirkens im zeitlichen Bereich werden immer wieder von der Soziallehre der Kirche angeboten, weshalb sie ständige Vertiefung und immer neue Verwurzelung in einer ganzheitlichen Anthropologie erfahren muß145. Politische Modelle oder technische Lösungen, die mechanisch aus dem Evangelium abgeleitet werden könnten, bietet die Soziallehre aber nicht an. Die Kirche - zu deren Sendung der Evangelisierung die Förderung des Menschlichen gehört - bindet sich nicht an zeitliche Strategien der Verteidigung oder Eroberung politischer Macht. Neue Wege der Solidarität, der Beachtung der Würde und der ganzheitlichen Entwicklung der Menschen und Völker müssen die Laien suchen. Dazu werden sie vom Glauben geführt und nach der Soziallehre der Kirche geformt. 63. Präsenz in der Welt Evangelii nuntiandi beschreibt den eigenen Platz der Laien und ihre „besondere Form der Evangelisierung“ als „die weite und schwierige Welt der Politik, des Sozialen und der Wirtschaft, aber auch der Kultur, der Wissenschaften und Künste, des internationalen Leb.ens und der Massenmedien, ebenso gewisse 1405 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wirklichkeiten, die der Evangelisierung offenstehen, die Liebe, Familie, Kinder- und Jugenderziehung, Berufsarbeit, Leiden“146. Kein Lebensbereich und keine Aktivität der Menschen kann von der christlichen Präsenz ausgeschlossen werden, denn alle Dimensionen menschlicher Erfahrung bedürfen der Evangelisierung. Hier soll besonders auf einige Bereiche hingewiesen werden, in denen das Zeugnis der Laien heute vorrangige Bedeutung einnimmt. 64. Dringende Fragen In den eingegangenen Beiträgen bringen zahlreiche Fragestellungen konkrete Sorgen um das Leben in den modernen Gesellschaften zum Ausdruck. Anlaß dazu sind Probleme, die große geographische Gebiete betreffen oder bestimmte Länder bedrohen. Christliche Präsenz in der Welt kann heute zwei Fragenkomplexe nicht unbeachtet lassen: Die vielfältigen und schweren Formen der Diskriminierung und Randexistenz, unter denen heute viele Menschen und ganze Völker aufgrund ethnischer, sozialer, wirtschaftlicher, politischer, kultureller und religiöser Unterschiede leiden. Wenn auch die Menschenrechte im moralischen Gewissen der Welt heute immer mehr Geltung bekommen, erfahren sie zugleich neue Verletzungen: von totalitären und autoritären Systemen; wegen unmenschlicher Lebensbedingungen und der Geißel des Hungers; durch ärgerniserregende Rassendiskriminierung (Apartheid); durch Einschränkungen und Verfolgungen im Bereich der Religionsfreiheit. Die Christen solidarisieren sich mit den unschuldigen Opfern der Ungerechtigkeit und kämpfen, um überall die Würde eines jeden Menschen und aller Menschen zu verteidigen und zu fördern147. Ein zweites Problemfeld ist den Menschen heute Anlaß zu großer Besorgnis. Die Suche nach dem Frieden in einer Welt, die immer mehr von der Gewalt verletzt und von Krieg, Terrorismus, Folter, Konzentrationslagern und der Müita-risierung der Politik geprüft wird. Die Bedrohung durch die Kernenergie und der Rüstungswettlauf lasten schwer auf den Menschen. Die Kirche setzt sich in vorderster Front ein für die unausweichliche Aufgabe, den Frieden zu wahren: Sie müht sich um die Bekehrung der menschlichen Herzen, um das Zeugnis der Gemeinschaft und Versöhnung und klagt alle Mittel der Gewalt an; sie weiß, daß der Friede nur auf den Fundamenten von Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe erbaut werden kann148. Die Kirche setzt ihre Hoffnung auf die Zusammenarbeit der Laien mit alljenen, die den Frieden suchen; ohne irenistischen Illusionen zu verfallen, müssen sie die Kultur des Hasses, 1406 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der Rache und der Feindschaft überwinden und überall Erfahrungen gelebter Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit vermitteln149. 65. Ehe und Familie Das Gleichgewicht der Individuen und die Grundbeschaffenheit der Gesellschaft hängt in entscheidenderWeise von den Familien ab. Die Laien sind dazu berufen, durch ein Familienleben, das sich nach der christlichen Heiligkeit ausrichtet, das tägliche Leben umzuwandeln und menschlicher zu gestalten. Ein relevanter Aspekt ihrer Sendung liegt in der Treue zur Unauflöslichkeit des Ehebandes, in der Ehrfurcht von der verantwortlichen Elternschaft, in Annahme und Pflege des Lebens, in der primären Pflicht der Erziehung der Kinder- Aufgaben, die im Alltag ein mühevolles und stetiges Engagement verlangen. Die Bischofssynode über die christliche Familie in der Welt von heute und das Apostolische Schreiben „Familiaris consortio“ haben die Bedeutung dieser Sendung für die Kirche ausführlich dargestellt150. 66. Welt der Arbeit und Wirtschaft Schlüssel der sozialen Frage ist die menschliche Arbeit in ihren vielfältigen Formen, die darum eine entscheidende Priorität in der Sendung der Laien hat. Hier sind besonders die Würde des Menschen und das Solidaritätsprinzip angesprochen. Angesichts der tiefen Veränderungen, die sich in der Welt der Arbeit vollziehen, stellen sich dringende Fragen. Die christlichen Realitäten, die in der Welt der Arbeit bestehen, müssen neu bewertet und innerhalb der Arbeiterbewegungen vermehrt werden, um Unternehmer und intermediäre Instanzen zu erfassen. Dies ist um so dringlicher, als die Krise der Ideologien eine Wiederentdeckung des Sinnes menschlichen Arbeitens notwendig macht. In der augenblicklichen Entwicklungsphase der Weltwirtschaft erweisen sich die aktuellen Systeme der Arbeitsorganisation als unzureichendem die wachsende Arbeitslosigkeit zu dämmen. Große Menschengruppen und selbst ganze Völker bleiben immer noch ausgegrenzt, denn die Anwendung einer Logik des reinen Profits, Materialismus und Konsumismus legt den schon Armen immer neue Schulden auf. Diese ist wohl die tiefgreifendste Konsequenz des mangelnden Gleichgewichtes in der internationalen wirtschaftlichen Ordnung. Das von der Enzyklika „Laborem exercens“151 angebotene soziale Programm verdient an der Vigil der ersten Jahrhundertfeier von „Rerum novarum“ eine entschiedene und schöpferische Anwendung. 1407 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 67. Welt der Kultur und Wissenschaft Schaffen und Vermitteln von Kultur sind heute eines der wichtigsten Momente menschlichen Zusammenlebens und sozialen Fortschritts. Darum wendet die Kirche den Laien, die in Schulen und Universitäten sowie in der wissenschaftlichen und technologischen Forschung oderim Bereich künstlerischen Schaffens und humanistischen Studiums engagiert sind, besondere pastorale Aufmerksamkeit zu. Selbst die eklatanten Entdeckungen und positiven Beiträge von Wissenschaft und Technik sind unzureichend, um dem Bedürfnis des Menschenherzens nach Wahrheit Rechnung zu tragen, wofür die Krise in der Schulerziehung ein sprechender und ausreichender Beweis ist. Aus diesem Hingeordnetsein auf die Wahrheit und das Gute ergeben sich Forderungen: „Neugründung“ der Sozialwissenschaften, metaphysische Rückbindung der Philosophie, Weiterforschung in den anspruchsvollen Bereichen der Biogenetik, der Informatik, der Robotik und der Kernenergie. Die Kirche als ganze und ihre Glieder müssen sich diesen Herausforderungen stellen. Besonders angesprochen sind hier die schöpferischen und intellektuellen Kräfte der Laien. 68. Welt der Kommunikationsmittel Rasch aufeinanderfolgende Neuerungen, komplexe Entwicklungen und ihr immer stärker werdender Einfluß, der eine dominierende Mentalität schafft, machen die Welt der Medien zu einer neuen Front der Sendung der Kirche. Wegen ihrer Bedeutung muß die berufliche Verantwortung der Laien auf diesem Gebiet anerkannt und mit den adäquaten materiellen, intellektuellen und Pastoralen Mitteln unterstützt werden152. Sie kommt auf individueller Ebene oder bei der Förderung von Initiativen christlicher Institutionen zum Tragen. Für die Benutzung der Kommunikationsmittel ist eine Erziehung zum kritischen Urteilen, das von der Liebe zur Wahrheit getragen wird, notwendig. Die Laien müssen dazu geführt werden, die Freiheit und die Ehrfurcht vor der Würde des Menschen zu verteidigen: Sie setzen sich ein für das kulturelle Wachstum der Völker, wobei jede Form des Monopols und der Manipulation abzulehnen sind. Vor allem aber wehren sie der Darstellung von Haß, Gewalt, Erotismus, Konsumismus sowie der der Auflösung von persönlichen und familiären moralischen Werten ab. 1408 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 69. Welt der Politik Würde der Person und Menschenrechte sowie verantwortliche Mitwirkung der Bürger am öffentlichen Leben sind wesentliche Momente wahrer politischer Aktivität. Für die Laien ist das politische Engagement eine besonders anspruchsvolle Form, im Dienst an den anderen und am Gemeinwohl die Liebe zu üben153. Eine skeptische Haltung gegenüber der „Politik“ kommt für Christen nicht in Frage, auch müssen sie gegen jede Form von Idolatrie oder Zynismus gegenüber der „Macht“ reagieren. Es ist wünschenswert, daß möglichst viele Laien einen Beruf politischen Engagements ergreifen, so daß christliche Werte im Dienst an den Menschen und die Gerechtigkeit im Leben der Völker gefordert werden können. Die Entwicklung der internationalen Institutionen kann von Christen nicht unbesehen bleiben154. Auch wenn Entscheidungen der einzelnen Christen nicht die ganze Kirche engagieren, sondern auf die Verantwortung von einzelnen oder von Gruppen zurückgehen, sollen die christlichen Gemeinschaften und ihre Hirten für die Politiker offen sein, sie jederzeit aufnehmen und dazu beitragen, daß sie ihre anspruchsvolle Aufgabe in Einklang mit ihrem Glauben leben. IV. Ausbildung der Laien 70. Notwendigkeit der Ausbildung Die Laien brauchen für das Wachstum ihres geistlichen Lebens und ihres Engagements für die Sendung eine solide Ausbildung. Die Kirche bietet sie ihnen zu verschiedenen Zeitpunkten und mit verschiedenen Mitteln an. Unterschieden werden muß zwischen fundamentaler organischer Katechese und den verschiedenen nachträglichen Modalitäten der Ausbildung. Ziel ist immer die Hinführung zur Entdeckung, Vertiefung und Entwicklung der eigenen christlichen Berufung und Sendung. Theoretische Wissensvermittlung ist darum unzureichend für eine ganzheitliche Erziehung und Ausbildung; sie muß vielmehr gegründet sein in realen Erfahrungen kirchlichen Lebens. Auch muß sie getragen werden vom Zeugnis wahrer„Meister“und zu einem tieferen Bewußtsein vom Sinn der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Kirche führen. Große Bedeutung muß bei der Erziehung und Ausbildung dem Einfluß der jeweiligen Lebenskontexte der Laien beigemessen werden. 1409 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 71. Ganzheitliche Erziehung und Ausbildung Das umfassende Ziel der Erziehung ist das Wachstum des christlichen Lebens in allen seinen Dimensionen. Den Laien sollen Erkenntnisse und Haltungen vermittelt werden, die zur Ausreifüng ihres geistlichen Lebens und der Erfüllung ihrer apostolischen Aufgaben führen. Weil das christliche Leben eine organische Einheit bildet, müssen Erziehung und Ausbildung ganzheitlich ausgerichtet sein. Wird eine; ihrer Dimensionen vernachlässigt, sind alle anderen in Mitleidenschaft gezogen. Glaubensunterweisung, Empfang der Sakramente und Teilhabe an der Liturgie sowie die Dynamik der Liebe müssen harmonisch gefordert werden. 72. Vertiefung der eigenen Berufung Während der Kindheit und frühen Jugend hat die Erziehung die größte Bedeutung. In dieser Zeit reifen die Lebensentscheidungen heran. Von Kindheit an müssen die Gläubigen lernen, den Ruf Gottes zu erkennen, der ihnen ihren Platz im Heilsratschluß zeigt. In der Welt Christus nachfolgen ist eine wahre christliche Berufung. Die Gläubigen, die Laien sind, müssen sich dieser Tatsache bewußt werden. In dieser Berufung ist die Sendung gegeben, in der Gesellschaft Zeuge Christi zu sein155. Sie verpflichtet auch dazu, alle zeitlichen Realitäten mit christlichem Geist zu beseelen, zur Ehre Gottes und für das Heil der Welt. Eine solide geistliche und katechetische Formung sollte die Erkenntnis vermitteln, daß die Entscheidung zur Ehe ein wesentlicher Aspekt der christlichen Berufung vieler Laien ist156. Die Eheleute sind zur Heiligkeit in der Ehe berufen. Gott bezieht die eheliche Liebe ein in die Verwirklichung des Erlösungswerkes; so wird die christliche Familie zur Hauskirche, zum Strahlzentrum der Liebe und des Glaubens. Auch die Berufung jener Laien, die sich dazu entscheiden, zölibatär zu bleiben, um ihr ganzes Leben im spezifischen Sendungsbereich der Laien einzusetzen, verdient große Wertschätzung. Die Laien sollen zudem wissen, daß Gott zu einer besonderen Vereinigung mit dem gekreuzigten Christus' berufen kann: Das Leiden der von Armut, Schwäche, Krankheit und Prüfungen Unterdrückten und derjenigen, die wegen der Gerechtigkeit Verfolgung erdulden, ist für das Heil der Welt von großem Wert. Nach einem kurzen Kampf wird Gott alle zur Vollkommenheit führen, sie stärken und heil machen157. 1410 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 73. Grundlegende Bedeutung der Katechese Seit der Gründung der Kirche hat die Katechese für die Glaubensunterweisung grundlegende Bedeutung. Sie steht in organischer Beziehung zu den Initiationssakramenten: als Vorbereitung zur Taufe oder als Vertiefung der Berufung der Getauften. Dank einer organischen Katechese werden die Laien in alle Dimensionen des Geheimnisses Christi und des Lebens der Kirche eingeführt. Sie erfassen den vollen Sinn ihrer christlichen Identität, ihre Rechte und ihre Pflichten158. Die je besondere Verwirklichung ihrer Berufung muß bei der Glaubensunterweisung der Laien bedacht werden. Die Erkenntnisse und die Haltungen, die sie dazu befähigen, in allen Realitäten, aus denen ihr Alltagsleben gewoben ist, christlich zu handeln - Familie, Arbeit, Kultur, soziales und politisches Leben - müssen ihnen vermittelt werden159. 74. Fortdauernde Erziehung und Ausbildung Die christliche Formung der Laien muß dem Niveau ihrer profanen Bildung entsprechen, da sonst eine gefährliche Spannung aufkommt: der Glaube verkümmert, und die Laien vermögen ihre Sendung nicht zu erfüllen. Darum sollen die Hirten der Kirche den Laien Möglichkeiten und Mittel fortdauernder Ausbildung anbieten. Verschiedene Gebiete (Bibel, Theologie, Moral, Liturgie, Spiritualität) können dabei eine Vertiefung erfahren. Die Gläubigen werden so befähigt, sich als Christen ihrer Verantwortung in der Welt zu stellen und in den spezifischen Situationen ihres täglichen Lebens das Evangelium zu inkulturieren. Besondere Aufmerksamkeit soll der Einführung der Laien in die Soziallehre der Kirche gewidmet werden. Nur so kann jene Zivilisation der Wahrheit und der Liebe verwirklicht werden, die die Kirche fördern möchte. Die Laien können kreativ dazu beitragen, die Soziallehre zum Wohl der gesamten Gesellschaft zu entwickeln und anzuwenden. 75. Bedeutung der Volksfrömmigkeit Unter der Führung des Geistes und des Lehramtes der Kirche haben die Laien in vielen Ländern dem Glauben volkstümlichen, lebendigen und spontanen Ausdruck verliehen: in Bräuchen und Sprache, in Formen der Frömmigkeit und in Festen, im Zustrom der Pilger zu bestimmten Heiligtümern, in Kunst und christlicher Volksweisheit. Diese Inkulturation des Glaubens ist im Lauf von Jahrhunderten ausgereift und muß in Ehrfurcht angenommen und geför- 1411 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN dert werden. Eventuelle Fehler oder Fehlentwicklungen können in einer geeigneten Katechese, die den „sensus fidei“ des Volkes vertieft, eine Korrektur erfahren. 76. Laien, die in der Erziehung und Ausbildung anderer engagiert sind Viele Laien, Männer und Frauen, übernehmen hochherzig Aufgaben in Erziehung und Ausbildung anderer. In den Bereichen, in denen sie über berufliche Kompetenz verfügen, bieten sie christliche Antworten auf aktuelle Fragen, zum Beispiel in Vorlesungen, Referaten und Vortragsreihen. In der Katechese, in der geistlichen Beratung, im Dienst an Gemeinden, in denen geweihte Amtsträger fehlen, hat der Einsatz der Laien auf diesem Gebiet besondere Bedeutung. Ihnen muß eine umfassende und vertiefte Erziehung und Ausbildung angeboten werden, da sie nicht nur das eigene Leben nach dem Evangelium gestalten, sondern auch auf Fragen und Probleme anderer Christen antworten müssen. Ihr geistliches Leben ist in Christus und in einer erprobten Treue zur Kirche fundiert. Sie suchen mit den Hirten der Kirche zusammenzuarbeiten, teilen ihnen bereitwillig die eigenen Erfahrungen mit sowie die erreichten Fortschritte und die Schwierigkeiten, denen sie begegnet sind. Sie sind offen für die Bedürfnisse anderer, gewillt, ihnen zu dienen, und fern von allem, was der christlichen Demut widerspricht. 77. Die Priester und die Erziehung und Ausbildung der Laien Die Priester müssen die Förderung der Laien, wie sie vom II. Vatikanischen Konzil angestoßen wurde, unterstützen. Zahlreiche Antworten auf die Linea-menta haben auf diese Notwendigkeit hingewiesen. Der erste Beitrag dazu liegt auf dem Gebiet der Erziehung und Ausbildung der Laien. In Ehrfurcht vor der Berufung der Laien müssen die Priester der Versuchung widerstehen, sie zu klerikalisieren oder an den Rand zu drängen. „Unter den Gaben Gottes, die sich reichlich bei den Gläubigen finden, verdienen sie eine besondere Pflege, die nicht wenige zu einem intensiveren geistlichen Leben anspomen160.“Es ist dämm Aufgabe der Priester, den Laien zu helfen, im Alltag ihr geistliches Leben und ihr persönliches Verhältnis zu Christus zu vertiefen, sowie sie zu aktiver Teilnahme am Leben der Gemeinde zu motivieren. Ferner sollen sie „die Geister prüfen, ob sie aus Gott sind, und die vielfältigen Charismen der Laien, schlichte wie bedeutendere, mit Glaubenssinn aufspüren, freudig anerkennen und mit Sorgfalt hegen161.“ 1412 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Engagiert sollen die Priester sich für die Formung und Bildung .der Laien ein-setzen und ihnen helfen, die Bedeutung ihrer Sendung für die christliche Gestaltung der Welt und das Heil der Menschheitsfamilie zu erkennen. Heutzutage bedürfen die Priesteramtskandidaten einer intensiveren Ausbildung im Hinblick auf ihre Zusammenarbeit mit den Laien und ihren Dienst an ihnen. Sie sind dazu bestimmt, „Vorbild der Herde“ (1 Petr. 5,3) zu werden, stehen unter den Laien wie der Meister, der, „nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mk. 20,28). So geben sie Zeugnis für die Fülle des Lebens, die in Christus ist, und verbinden ihren Einsatz mit dem der Laien für die Erfüllung der einen Sendung der Kirche162. Schlußwort 78. In der Kirche und in der Welt Die Situation der Laien in Kirche und Welt 20 Jahre nach dem Abschluß des II. Vatikanums zeugt von der Fruchtbarkeit des Konzils und läßt auf neue Fortschritte hoffen. In der Kirche hat die Berufung und Sendung der Laien eine ausdrücklichere und effektivere Anerkennung gefunden. Die Ekklesiologie der communio, ein zentrales und grundlegendes Element der Konzilsdokumente163, beleuchtet das gesamte Leben der Kirche und zeigt, daß „gemeinsam die Würde der Glieder, aus ihrer Wiedergeburt in Christus, gemeinsam die Gnade der Kindschaft, gemeinsam die Berufung zur Vollkommenheit“ ist164. Viele Laien sind sich der Größe ihrer Berufung bewußt geworden. Sie wissen, von Gott Vater persönlich berufen zu sein, als seine Kinder eine Beziehung mit ihm und als Geschwister eine Beziehung zu den anderen einzugehen, dank der Liebe Christi und der Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist. Hochherzig und mit wachsendem Verantwortungsbewußtsein tragen sie zu den verschiedenen Lebensäußerungen der Kirche bei, sowohl in ihrer inneren Entwicklung als auch im äußeren Apostolat. In der heutigen Welt ist die Situation der Laien gewiß nicht leicht. Zahlreiche Probleme haben weite Verbreitung gefunden. Hunger, Unterdrückung und Krieg legen einem Teil der Menschheit ein unwürdiges Schicksal auf. Andererseits schafft der Überfluß an materiellen Gütern nicht weniger bedrohliche Gefahren. Dennoch sind auch in diesen Verhältnissen Verheißungen erkenntlich, die auf der Verwirklichung der communio gründen. Wenn es für die schweren Probleme der modernen Welt eine Hoffnung gibt, liegt sie in der Dynamik 1413 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der Mitwirkung, die, trotz gelegentlicher Fehlentwicklungen, heute eine bisher nicht gekannte Kraft und Universalität erreicht hat. In der Ekklesiologie der communio werden die Laien unerschöpfliche Hilfen finden, um Antworten zu geben auf die Erwartungen der Welt und mutige Lösungen ihrer Probleme zu wagen. Ihre Sendung ist es, überall die Liebe Gottes zu verbreiten, die durch die Glaubenseinheit mit Christus vermittelt wird, um die Männer und Frauen unserer Zeit anzusprechen für die communio, die Gott in der Kirche allen anbietet. Diese Gedanken und Meditationsbeiträge werden anläßlich der VII. Vollversammlung den Synodenvätem angeboten,um auf Berufung und Sendung der Jünger Christi nach der Lehre des II. Vatikanischen Konzils neu hinzuweisen. Die Laien mögen so mit ihrer Hilfe auf wirksamere Weise den Weg der communio „mit dem Vater und mit seinem Sohn“ (7 Joh. 1,3) finden, in die sie durch den Heiligen Geist eingeführt werden, „der Herr ist und das Leben gibt165“. Anmerkungen <40> <40> Zur leichteren Benutzung werden zusätzlich die deutschen Konzilstexte angegeben in der Ausgabe: Karl Rahne,r-He.rbe.sCVoTgrim\e.r,KIeinesKonzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanums, Freiburg-Basel-Wien 131979 (= Herder-Taschenbuch 270). [Zitiert: Kl. Konzilskomp.] Ferner wird die vom Sekretariat derDeutschen Bischofskonferenz herausgegebene Reihs „Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls"]zitiert: Verl. Apost. Stuhl] angegeben. Einführung 1 Bischofssynode, Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt zwanzig Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil, Lineamenta (1985), Nr. 12. I. Teil 2 Johannes Paul II., Ansprache an die Mitglieder des Rates beim Generalsekretariat der Bischofssynode (19. 5.1984), 4: AAS 76 (1984) 785. 3 II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, IT- AAS 57(1965) 37 [Kl. Konzilskomp. III, 161 f.]. 4 II. Vat. Konzil, Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium etspes, 10: AAS 58 (1966) 1033 [Kl. Konzilskomp. XIII, 457 f.]. 5 II. Vat. Konzil, Dekret über das Laienapostolat Apostolicam actuositatem, 19: AAS 58 (1966) 854 [Kl. Konzilskomp. XII, 409 f.]; CIC, can. 215. 6 Bischofssynode, Schlußbericht derII. Außerordentlichen Vollversammlung (8.12.1985), IIC1 [= Verl. Apost. Stuhl 68,13 f.]. 1414 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Teil 7 Apostolicam actuositatem, 1: AAS 58 (1966) 837. (Kl. Konzilskomp. XII, 389 f.]. 8 Bischofssynode 1985, Schlußbericht, II C 1 [Verl. Apost. Stuhl 68,13 f.]. 9 Lumen gentium, 39: AAS 57 (1965) 44. [Kl. Konzilskomp. III, 169 f.]. 10 Joh 17, 26; 2 Kor 13,13. 11 Lumen gentium, 31: AAS 57 (1965) 37. [Kl. Konzilskomp. III, 161 f.]. 12 Gen 1, 28. 13 Gaudium et spes, 34: AAS 58 (1966) 1053. [Kl. Konzilskomp. XIII, 480 f.]. 14 ebd., 50: AAS 58 (1966) 1071. [ebd., 501 f.]. 15 ebd., 34: AAS 58 (1966) 1052. [ebd., 480 f.]. 16 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben überden christlichen Sinn des menschlichen Leidens Salvifici doloris, 19: AAS 76 (1984) 225 f. [=Verl. Apost. Stuhl 53, 21 fl]. 17 Mt 5,11 ff.; 7 Petr 4,14. 18 1 Petr 1,15. 19 II. Vat. Konzil, Dekret über den Ökumenismus Unitatis redintegratio, 2: AAS 57 (1965) 91. [Kl. Konzilskomp. V, 230-232], 20 Joh. 17, 21-23. 21 Gen 1, 31. 22 Gaudium et spes, 39: AAS 58 (1966) 1056 f. [Kl. Konzilskomp. XIII, 485 f.]. 23 Lumen gentium, 5: AAS 57 (1965) 8. [Kl. Konzilskomp. III, 125 f.]. 24 1 Joh 1, 3. 25 Gaudium et spes, 13: AAS 58 (1966) 1034 f. [Kl. Konzilskomp. XIII, 460 f.]. 26 Unitatis redintegratio, 12: AAS 57 (1965) 99 f. [Kl. Konzilskomp. V, 240 f.]. 27 Gaudium et spes, 93: AAS 58 (1966) 1114. [Kl. Konzilskomp. XIII, 551 f.]. 28 Röm 6,3-5; 1 KorM, 12 f.; Lumen gentium, 31: AAS57 (1965) 37. [Kl. Konzilskomp. III, 161 f.]. 29 Röm 14,7 f.; 2 Kor 5,15; Gal 2,19 f. 30 Joh 15, 9. 31 Eph 4, 5. 32 Lumen gentium,32: AAS 57 (1965) 38. [Kl. Konzilskomp. III, 162 f.], II. Vat. Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 9: AAS (1966) 1005. [Kl. Konzilskomp. XIV, 576-578], 33 Bischofssynode 1985, Schlußbericht, IID1 [=Verl, Apost. Stuhl 68,18]; Lumen gentium, 48: AAS 57 (1965) 53. [Kl. Konzilskomp. III, 180-182], 34 CIC, can. 217. 35 Lumen gentium, 11: AAS 57 (1965) 15. [Kl. Konzilskomp. III, 135 f.]. 36 Apostolicam actuositatem, 3: AAS 58 (1966) 839. [Kl. Konzilskomp. XII, 391 f.]. 37 CIC, can. 216. 38 ebd., can. 215. 39 ebd., can. 223, 2. 40 1 KorlQ, 17; Röm 12,5; Lumen gentium, 7: AAS57 (1965) 10. [Kl. Konzilskomp. III, 128-130]; Johannes Paul II, Schreiben Überdas Geheimnis und die Verehrung der heiligsten.EucharistieA: AAS 72 (1980) 119-121 [= Verl. Apost. Stuhl 15, 8 f.]. 41 Rupert von Deutz, De divinis ojßciis, II, 11: Migne, PL 170, 43. 42 Mt 26,28; Eph 1, 7. 43 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben über Versöhnung und Buße Reconciliatio etpaeni-tentia, 28: AAS 77 (1985) 250 ff. [=Verl. Apost. Stuhl 60, 57 f.]. 1415 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 44 Johannes Paul II., Enzyklika Redemptorhominis, 20: AAS71 (1979)313. [=Verl. Apost. Stuhl 6, 50-55]. 45 Lumen gentium, 5\: AAS 57 (1965) 37. [Kl. Konzilskomp. III, 16Tf.); Apostolicam actuositatem, 2: AAS 58 (1966) 838 f. [Kl. Konzilskomp. XII, 390 f.]. 4® Apostolicam actuositatem, 3: AAS 58 (1966) 839. [ebd. XII, 391 f.[. 47 1 Petr 2,5; Offb 1,6; 5,10. 48 Lumen gentium, 10.34; AAS 57 (1965) 14, 40. [Kl. Konzilskomp. III, 134 f., 164 f.]. 49 ebd., 12: AAS 57 (1965) 16. [ebd. III, 136 f.]. 50 ebd., 35: AAS 57 (1965) 40. [ebd. III, 165 f.]. 51 JohT2, 32; 1 Kor 15, 28. 52 Lumen gentium, 36: AAS 57 (1965) 41. [Kl. Konzilskomp. III, 166-168]; Johannes Paul II., Redemptor hominis, 21: AAS 71 (1979) 316. [=Verl. Apost. Stuhl 6, 55-59]. 53 Lumen gentium, 37: AAS 57 (1965) 42 f. [Kl. Konzilskomp. III, 168 f.]. 54 vgl. Hymnus akathistos: Migne, PG 92,1338, 35-39. 55 Lk 1, 38; Joh 19, 26 f.; Johannes Paul II., Redemptor hominis, 22: AAS 71 (1979) 323. [=Verl. Apost. Stuhl 6, 59-62]. 56 Johannes Paul II., Predigt in Tegucigalpa (Honduras) (8.3.1983), 6: AAS 15 (1983)753 f. [=Verl. Apost. Stuhl 46, 94 f.]. 57 Gaudium etspes, 60:^44558 (1966) 1081.[Kl.Konzilskomp.XIII,513 f.]; Apostolicam actuositatem, 4: AAS 58 (1966) 841. [Kl. Konzilskomp. XII, 392-395], 58 Lumen gentium, 33: AAS 57 (1965) 39. [Kl. Konzilskomp. III, 163 f.]; Apostolicam actuositatem, 3: AAS 58 (1966) 839. [Kl. Konzilskomp. XII, 391 f.]. 59 Rom 6,11. 60 1 Kor 12,4-6. 61 Lumen gentium, 12: AAS57 (1965) 16. [Kl. Konzilskomp. III, 136 f.]; Apostolicam actuositatem, 3: AAS 58 (1966) 839. [Kl. Konzilskomp. XII, 391 f.]. 62 Bischofssynode 1985, Schlußbericht, II D 3. [=Verl. Apost. Stuhl 68,19]. 63 Gaudium et spes, 43: AAS 58 (1966) 1062 f. [Kl. Konzilskomp. XIII, 491-494], 64 Lumen gentium, 31: AAS 57 (1965) 38. [Kl. Konzilskomp. III, 161 f.]. 65 Bischofssynode 1985, Schlußbericht, II D 2 u. 3. [=Verl. Apost. Stuhl 68,19]. 66 ebd., HD 6; [ebd. 20 f.]. 67 Gaudium et spes, 43: A4S58 (1966) 1062. [Kl. Konzilskomp. XIII, 491-494]-, Apostolicam actuositatem, 7: AAS 58 (1966) 844. [KI. Konzilskomp. XII, 396-398]. 68 ebd., 5: AAS 58 (1966) 842; [ebd. XII, 395]; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Libertatis conscientia (22.3.1986), 80. [=Verl. Apost. Stuhl 70, 44 f.]. 69 Lumen gentium, 11: AAS 57 (1965) 15 f. [Kl. Konzilskomp. III, 135 f.]. 70 Eph 5,21-23; Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute Familiaris consortio, 13: AAS14 (1982) 95. [=Verl. Apost. Stuhl 33, 16-18], 71 ebd., 11: AAS 74 (1982) 91-93; [ebd. 15 f.]. 72 Lumen gentium, 11: AAS57 (1965) 16; [KI. Konzilskomp. III, 135 f.]; Apostolicam actuositatem, 11: AAS 58 (1966) 848. [Kl. Konzilskomp. XIII, 401-403], 73 Gaudium et spes, 48: AAS 58 (1966) 1067. [Kl. Konzilskomp. XIII, 497-499]. 74 Lumen gentium, 35: AAS 57 (1965) 41. [Kl. Konzilskomp. III, 165 f.]. 75 1 Kor 12, 4-11; 28-31; Rom 12, 6-8; 1 Petr 4,10 f. 1416 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 76 Lumen gentium, 4.12.25.30: AAS 57 (1965) 6 f.; 16 ff.; 29 ff.; 37. [Kl. Konzilskomp. III, 124 f.; 136f.; 152-154; 161 }\ Apostolicam actuositatem,3'.AAS5% (1966) 839f. [Kl.Konzilskomp.XII, 391 f.]; II. Vat. Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, 4.28: AAS 58 (1966) 950 f.; 979. [Kl. Konzilskomp. XV, 610 f.; 642], 77 Apostolicam actuositatem, 3: AAS 58 (1966) 839. [Kl. Konzilskomp. XII, 391 f.[. 78 ebd., 3: AAS 58 (1966) 840. [ebd.]. 79 Lumen gentium, 12: AAS 57 (1965) 17. [Kl. Konzilskomp. III, 136 f.]. 80 ebd., 7: AAS 57 (1965) 10; [ebd. 128-130]. 81 ebd., 12: AAS 57 (1965) 17; [ebd. 136 f.]. 82 ebd., 30: AAS 57 (1965) 37; [ebd. 161], 83 ebd., 33: AAS 57 (1965) 39; [ebd. 163 f.]. 84 Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, 73: AAS 68 (1976) 61-63. [= Verl. Apost. Stuhl 2,58 f.]; Apostolisches Schreiben Ministeria quaedam: AAS 64 (1972) 529-534. 85 Johannes Paul II., Ansprache an die Laien in Fulda: Insegnamenti III,2 (1980) 1299-1310. [= Verl. Apost. Stuhl 25 A, 136-144], 8^ Paul VI., Evangelii nuntiandi, 73: AAS 68 (1976) 62. [= Verl. Apost. Stuhl 2, 58 f.]. 87 Johannes Paul II., Ansprache an den Schweizer Klerus in Einsiedeln: AAS 77 (1985) 63. 88 Konzil von Trient, XXIV. Session, Dekret über das Ehesakrament, can. 10: DS1810. 3. Teil 89 Gaudium et spes, 43: AAS 58 (1966) 1062 f. [Kl. Konzilskomp. XIII, 491-494]. 90 Lumen gentium, 40: AAS 57 (1965) 44.. [Kl. Konzilskomp. III, 170 f.]. 91 Röm 6, 2-4. 92 1 Job 2, 6. 93 Hebr 10,5-10. 94 Mt 16, 22-24. 95 Mt 25, 31-46. 96 Libertatis conscientia, 62. [= Verl. Apost. Stuhl 70, 33 f.]. 97 Apostolicam actuositatem, 4: AAS 58 (1966) 840 f. [Kl. Konzilskomp. XII, 392-395]. 98 Mt 13, 31 f. 99 II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 21: AAS 58 (1966) 827 f. [Kl. Konzilskomp. XI, 411]. 100 ebd., 828; [ebd.]. 10.1 Apostolicam actuositatem, 4: AAS 58 (1966) 840. [Kl. Konzilskomp. XII, 392-395]. 102 Lumen gentium, 11: AAS 57 (1965) 15. [Kl. Konzilskomp. III, 135 f.]. 103 ebd., 34: AAS 57 (1965) 40; [ebd., 164 f.]. 104 Lk 18,1; 22, 40; Röm 12,12. 105 Unitatis redintegratio, 3: AAS 57 (1965) 94. [Kl. Konzilskomp. V, 232 f.]. 106 Presbyterorum ordinis, 5: AAS 58 (1966) 998. [Kl. Konzilskomp. XIV, 567-569]. ™ 2 Petr 3,9. 108 Lk 15, 22-24. 109 1 Kor 9, 25-27. 110 Lumen gentium, 41: AAS 57 (1965) 45. [Kl. Konzilskomp. III, 171-173]. 111 Apostolicam actuositatem, 4: AAS 58 (1966) 841. [KI. Konzilskomp. XII, 392-395]. 112 ebd. 113 Lumen gentium, 62: AAS 57 (1965) 63. [Kl. Konzilskomp. III, 192 f.]. 1417 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 114 ebd., 35: AAS 57 (1965) 41; [ebd., III, 165 f.]. 115 Paul VI., Evangelii nuntiandi, 14: AAS 68 (1976) 13 [=Verl. Apost. Stuhl 2,10 f.]. 116 Bischofssynode 1985, Schlußbericht, IID 4 [=Verl. Apost. Stuhl 68,19 f.]; Johannes Paul II., Rundschreiben Slavorum apostoli 18,19,21: AAS77 (1985) 800-803 [='Verl. Apost. Stuhl 65,18-20], 117 Lk 2,52. 118 Apostolicam actuositatem, 9: AAS 58 (1966) 846. [Kl. Konzilskomp. XII, 400]. 119 Gaudium et spes, 1: AAS 58 (1966) 1025. [Kl. Konzilskomp. XIII, 449]. 120 Johannes Paul II., Salviflci doloris, 31: AAS 75 (1984) 250. [=Verl. Apost. Stuhl 53, 40-42]. 121 Gaudium et spes, 1: AAS 58 (1966) 1025 f. [Kl. Konzilskomp. XIII, 449]. 122 Johannes Paul II., Redemptor hominis, 21: AAS 71 (1979) 320. [=VerI. Apost. Stuhl 6,55-59]. 123 Gaudium et spes, 41: AAS 58 (1966) 1059. [Kl. Konzilskomp. XIII, 488 f.]; Johannes Paul II., Redemptor hominis, 8,10: AAS 71 (1979) 271. 274. [= Verl. Apost. Stuhl 6,14-16; 18 f.]. 124 Libertatis conscientia 71. [=Verl. Apost. Stuhl 70, 39], 125 Apg 4,13. 29-31: „parrhesia“. 126 Ad gentes, 11: AAS 58 (1966) 959. [Kl. Konzilskomp. XV, 620 f.]; Lumen gentium, 38: AAS 57 (1965) 43. [Kl. Konzilskomp. III, 169]., 127 Gaudium et spes, 39: ^4558 (1966) 1056. [Kl. Konzilskomp. XIII, 485 f.[; Lumen gentium, 48: AAS 57 (1965) 53. [Kl. Konzilskomp. III, 180-182], 128 Paul VI., Evangelii nuntiandi, 60: AAS 68 (1976) 50 f. [= Verl. Apost. Stuhl 2, 47 f.[. 129 Unitatis redintegratio, 5.24: AAS 57 (1965) 96.107. [Kl. Konzilskomp. V, 236; 249 f.[. 130 II. Vat. Konzil, Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate, 2: ^4558 (1966) 741. [Kl. Konzilskomp. X,356 f.[; Johannes Paul II., Redemptor hominis, 6: AAS 71 (1979) 262-268. [= Verl. Apost. Stuhl 6,10-12], 131 Gaudium et spes, 92: AAS 58 (1966) 1114. [Kl. Konzilskomp. XIII, 550 f.]; Ad gentes, 11: AAS 58 (1966) 959 f. [Kl. Konzilskomp. XV, 620 f.]. 132 Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 20 f.: AAS 59 (1967) 267 f. 133 Lumen gentium, 23.26 f.: AAS 57 (1965) 27.31 f. [Kl. Konzilskomp. III, 149-151; 154-156]. 134 II. Vat. Konzil, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche Christus Dominus, 27: AAS 58 (1966) 687. [Kl. Konzilskomp. VI, 273 f.]. 135 Apostolicam actuositatem, 10: AAS 58 (1966) 846. [Kl. Konzilskomp. XII, 400 f.J; Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Catechesi tradendae, 67: AAS 71 (1979) 1332. [= Verl. Apost. Stuhl 12, 58 f.[. 136 Paul VI., Evangelii nuntiandi, 58: AAS 68 (1976) 46-49. [='Verl. Apost. Stuhl 2,43-46]; Libertatis conscientia, 68. [= Verl. Apost. Stuhl 70, 38 fj. 137 Johannes Paul II., Ansprache an die Katecheten in Kaduna: Insegnamenti V, 1 (1982) 432. [=Verl. Apost. Stuhl 35, 37-42], 138 Kongregation für das Katholische Bildungswesen, Der katholische Laie-Zeuge des Glaubens in der Schule, Rom 1982. [=Verl. Apost. Stuhl 42]. 139 Lumen gentium, 37: AAS57 (1965) 43. [Kl. Konzilskomp. III, 168 f.[; Apostolicam actuositatem, 18-20: AAS 58 (1966) 852-855. [Kl. Konzilskomp. XII, 408-411], 140 CIC, can. 215 f., 298-329. 141 Apostolicam actuositatem, 21: AAS 58 (1966) 855. [Kl. Konzilskomp. XII, 411], 142 Lumen gentium, 12: AAS57 (1965) 16 f. [Kl. Konzilskomp. III, 136 f.]; Apostolicam actuositatem, 3: AAS58 (1966) 839. [Kl. Konzilskomp. XII, 391 f.[; Presbyterorum ordinis, 9: AAS58 (1966) 1006. [Kl. Konzilskomp. XIV, 576-578]. 1418 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 143 Apostolicam actuositatem, 19.21: AAS58 (1966) 853.855. [Kl. Konzilskomp. XII,409-411]; Gaudium etspes, 90: AAS58 (1966) 1112. [Kl. Konzilskomp.XIII, 549]; Adgentes, 41: AAS5% (1966) 988 f. [Kl. Konzilskomp. XV, 652 f.]. 144 Libertatis conscientia, 80, [=Verl. Apost. Stuhl 70, 44 f.]. 145 ebd., 71-96 (Kapitel über die Soziallehre der Kirche); [ebd., 39-51]. 146 Paul VI., Evangelii nuntiandi, 70: AAS 68 (1976) 60. [=Verl. Apost. Stuhl 2, 56]. 147 Gaudium etspes, (1966) 1025. [Kl. Konzilskomp.XIII,449]; Nostra aetate,5: AAS58 (1966) 743 f. [Kl. Konzilskomp. X, 359]; Johannes Paul II., Redemptor hominis, 17: AAS 71 (1979) 295-300. [=Verl. Apost. Stuhl 6, 37-41], 148 Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris: AAS 55 (1963) 257-304. 149 Gaudium et spes, 77-90: AAS58 (1966) 1100-1112. [Kl. Konzilskomp.XIII, 536-549]; Botschaften zur Feier des Weltfriedenstages am 1. Januar, 1968-1987. 150 Johannes Paul II., Familiaris consortio: AAS 74 (1982) 81-192. [= Verl. Apost. Stuhl 33]. 151 Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens: AAS 73 (1981) 577-647. [= Verl. Apost. Stuhl 32], 152 II. Vat. Konzil, Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel Inter mirißca, 13-22: AAS 56 (1964) 149-152. [Kl. Konzilskomp. II, 100-103]; Botschaften zum Tag der Sozialen Kommunikationsmittel, 1968-1986. 153 Gaudium et spes, 73-76: AAS 58 (1966) 1094-1100. [Kl. Konzilskomp. XIII, 529-535], 154 ebd., 88-90: AAS 58 (1966) llllf. [ebd., XIII, 547-549], 155 ebd., 43: AAS 58 (1966) 1063; [ebd., XIII, 491-494], 156 Johannes Paul II., Familiaris consortio, 66: AAS74 (1982) 159-162. [= Verl. Apost. Stuhl 33,67-69]. 157 1 Petr 5,10; Lumen gentium, 41: AAS 57 (1965) 47. [Kl. Konzilskomp. III, 171-173]. 158 Allgemeines Katechetisches Direktorium, 21. 159 ebd., 26. 160 Presbyterorum ordinis, 9: AAS 58 (1966) 1006. [Kl. Konzilskomp. XIV, 576-578]. 161 ebd. 162 ebd., 1005 f. [ebd., XIV, 576-578]; Apostolicam actuositatem, 6: AAS58 (1966) 842. [KI. Konzilskomp. XII, 395 f.]. Schlußwort 163 Bischofssynode 1985, Schlußbericht, II C 1. [=Verl. Apost. Stuhl 68,13 f.]. 164 Lumen gentium, 32: AAS 57 (1965) 38. [Kl. Konzilskomp. III, 162 f.]. 165 Johannes Paul II., Enzyklika Dominum et Vivificantem, 52. 1: AAS 78 (1986) 872-874. 809. [= Verl. Apost. Stuhl 71, 53 f.; 3]. 1419 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Brief an die Bischöfe vom 22. April Wiederum ruft die Bischofssynode Vertreter des Weltepiskopats nach Rom, um auf diese Weise die Sorge für die Gesamtkirche zü teilen (vgl. Lumen gentium, 23; Christus Dominus, 5). So wiederholt sich die Erfahrung der Gemeinschaft, die glücklicherweise im kirchlichen Leben in diesen Jahren nach dem Konzil vorhanden ist und die zweifellos ihre Wirksamkeit erwiesen hat angesichts der Pastoralen Fragen, die die Kirche und besonders uns, die wir das Lehramt und Hirtenamt ausüben, erfordern. Die kommende Bischofssynode, die vom 1. bis 30. Oktober stattfindet, hat besondere Bedeutung wegen des Themas: „Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt zwanzig Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil“. Sie betrifft den größten Teil des Volkes Gottes, unsere Brüder und Schwestern im Laienstand, die durch die Taufe mit uns die eine Kirche zu einer großen Familie machen. Wir wissen, daß es in ihr eine Verschiedenheit des Dienstes, aber eine Einheit der Sendung gibt. In dieser Verschiedenheit und Einheit üben die Laien, gestärkt durch die Gaben des Heiligen Geistes, „ein Apostolat aus durch ihr Bemühen um die Evangelisierung und Heiligung der Menschen und um die Durchdringung und Vervollkommnung der zeitlichen Ordnung mit dem Geist des Evangeliums“ (Apostolicam actuositatem, 2). Daß die Laien ganz eng und in besonderem Maß an der Sendung der Kirche teilhaben, ist auch für uns wichtig, die wir als Hirten eingesetzt sind. Deshalb müssen wir ihre Würde und Verantwortung anerkennen und wirklich fordern, zugleich ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben helfen, die ihnen in der Kirche und der irdischen Ordnung zukommen (vgl. Lumen gentium, 37). Das II. Vatikanum mahnt uns Hirten, die Geister zu prüfen, „ob sie aus Gott sind“; ja, es ermahnt uns, „mit Glaubenssinn die vielfältigen Charismen der Laien, schlichte wie bedeutendere, aufzusprüren, freudig anzuerkennen und sorgfältig zu hegen“ (Presbyterorum ordinis, 9). Die Rückbesinnung auf das II' Vatikanum, die im Thema der Synode enthalten ist, ist also nicht zufällig und ungewöhnlich, sie ist erst recht keine rein historische Erinnerung. Wie wir an anderer Stelle erklärt haben, sind wir im Konzil mit dem Heiligen Geist übereingekommen über unsere Aufgabe; diese Aufgabe erfüllen wir im ständigen Bemühen um die Erkenntnis und Verwirkli-chung all dessen, was der Geist der Kirche rät. Gewissermaßen vorzügliche Wege dieses Bemühens sind die Bischofssynoden: Denn in ihnen spricht der Geist heute und antwortet auf die Fragen, die im Bewußtsein der Kirche auftauchen. Auch die nächste Synode, die sich mit den Laien beschäftigt, möchte die Berufung der Kirche stärken und festigen, mit neuen Anregungen fördern, damit 1420 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sie in voller Treue gegen den Geist, von dem sie geführt wird, den Pastoralen Aufgaben entsprechen kann. Die eifrige Aufmerksamkeit, mit der die Feier der Synode beobachtet werden wird, und die kollegiale Arbeit, die in der Aula stattfinden wird, beginnen aber schon vorher, nämlich jetzt zur Zeit der Beratung, und das erfordert Gebet, Überlegung, Gesprächsaustausch, Nachdenken. Die Teilkirchen haben schon an das Sekretariat der Synode die Ergebnisse der Vorbereitungstätigkeit gesandt, aus denen das letzte Studiendokument zum Thema der Synode zusammengestellt worden ist, das „Instrumentum Laboris“, das wir zusammen mit diesem Brief Dir, geliebter Bruder, und allen Bischöfen schicken. Dort findet sich eine Zusammenstellung der Antworten auf die „Lineamenta“, die zur rechten Zeit eingegangen sind. Es handelt sich seiner Natur nach um ein Arbeitswerkzeug, das nicht als vollständige oder akademische Abhandlung angesehen werden kann, sondern eine Auswahl betrifft. Es ist ein Text, der in geordneterWeise die große Fülle der Hilfen sammelt, die aus den verschiedenen Orten der Gesamtkirche hierher gelangt sind. Es soll den Synodenvätem, für die es bestimmt ist, nützlich sein bei Vorbereitung und Versammlung der Synode, ihnen bei den Untersuchungen helfen und ihnen ein Hilfsmittel an die Hand geben, das sich auf die drängenden Fragen der Gesamtkirche bezieht. Daraus folgt, daß das „Instrumentum Laboris“ auch ein Zeichen und eine Angelegenheit der Gemeinschaft ist. Es bringt die Stimme der Kirche zum Ausdruck und fördert zugleich die Beratung, die diese Stimme vermehrt durch gemeinsame Auferbauung in Liebe, Meditation und Gebet. Durch diesen Antrieb zur Gemeinschaft wird die innerste Struktur der Synode bestimmt. Aus diesem die Synode betreffenden Grund bestimmen wir, daß das „Instrumentum Laboris“ veröffentlicht wird, damit es möglichst weit in alle Bereiche des kirchlichen Lebens verbreitet wird. Mit größter Freude überreichen wir Dir diesen Text, der in der Vorbereitungszeit der Synode die Gemeinschaft der Kirche anzeigt, während alle Hirten, Diener, Ordensleute und Laien in den Diözesen und Pfarreien, in den Bewegungen und Vereinigungen, in den Pastoralräten und wo auch immer vereint dieselben Worte betrachten und für einen guten Ausgang beten. Im übrigen erfolgt die Veröffentlichung dieses Dokuments deshalb, damit es beitrage zu Prüfung, Aufmerksamkeit und Studium, und vor allem durch Gebet und Verkündigung die Hilfe vermehre. Die Hirten und die Katecheten haben für die Verkündigung eine Arbeitshilfe, mit der sie zur Vorbereitung der Synode das Bewußtsein bilden können. Der Bischof von Rom ergreift beim sonntäglichen „Angelus-Gebet“unter dem Schutz Marias die Gelegenheit zu unterweisen,zu ermahnen, zu Gebet und Eifer zu raten. 1421 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Feier der Synode fallt in den Oktober, den Rosenkranzmonat, mitten im Marianischen Jahr, das an Pfingsten beginnt. Es ist eine Zeit von großer Bedeutung, um die Gnade zu erbitten, Maria nachzuahmen, die als Pilgerin des Glaubens das Wort Gottes in ihrem Herzen bewahrt und inmitten der pilgernden Kirche ihren Platz hat: im „gemeinsamen Weg“ der Synode. Die Synodenväter werden ihre Arbeit verwenden auf die Berufung und Sendung der Laien, unter denen die Jugendlichen wegen ihrer festen Hoffnung einen besonderen Ort haben, wie der jüngste Jugendtag, den wir dieses Jahr in Buenos Aires gefeiert haben, die ganze kirchliche Gemeinschaft gelehrt hat. Am Schluß unseres Briefes mahnen wir noch einmal zum Gebet. Die Hirten sollen besonders bedacht sein auf das Gebet der betrachtenden Orden, der Kranken, der Schwachen und der Kinder, damit der Kirche nicht die Gnade der Gelehrigkeit und Treue gegenüber dem Heiligen Geist fehle. Maria, die Mutter der Kirche, bitte für uns; es mögen für uns bitten die Apostel und besonders Petrus, von dessen Sitz wir, indem wir um Gnade und Frieden rufen, Dir, geliebter Bruder, und der Deiner Sorge anvertrauten Teükirche gern den Apostolischen Segen erteilen. Aus dem Vatikan, am 22. April 1987 PAPST JOHANNES PAUL U. 1422 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kluges Haushalten mit den Ressourcen Ansprache an Vertreter der Adam-Opel-AG in Rüsselsheim am 24. April Sehr geehrte Damen und Herren! Gern komme ich Ihrer Bitte nach, Sie während Ihres Romaufenthalts hier im Vatikan zu empfangen. Wie ich erfahre, vertreten Sie, angeführt vom Vorstand der Adam-Opel-AG in Rüsselsheim, die Verkaufsabteilung dieses angesehenen Automobilwerkes sowie seine zahlreichen Vertragshändler in der Bundesrepublik Deutschland. Ihnen allen gilt mein aufrichtiger Willkommensgruß. Zugleich grüße ich in Ihnen die Zehntausende von Kollegen und Kolleginnen mit ihren Familienangehörigen im weiten Vertriebsnetz sowie vor allem in den Produktionsstätten selbst, die in einer solchen staunenswerten Organisation Zusammenwirken und darin Arbeit und Lebensunterhalt finden. Ja, auch wenn das Ergebnis Ihrer Zusammenarbeit ein materielles, technisches Produkt ist, nämlich ein Auto, so geht es doch im Grunde auch für Sie immer um den Menschen: um den Menschen schon auf dem langen Wege zum fertigen Produkt, um den Menschen, der das Produkt seinen Mitmenschen anbietet und verkauft, um den Menschen schließlich, der das Auto auf den Straßen benutzt. Wo es aber um den Menschen geht, da kommen notwendigerweise auch Fragen seiner Würde und seines Wohlbefindens, Fragen des Maßes und der Gerechtigkeit ins Spiel: ja, ein Großunternehmen der Wirtschaft ragt auch in den politischen Bereich seines Landes weit hinein, ist von dort konditioniert und beeinflußt durch seine eigenen Entscheidungen wiederum das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen. So gehen Sie gewiß mit mir einig, wenn ich sage, daß etwa immer aufwendigere Modelle, immer größere Geschwindigkeiten, ein immer rascherer Modellwechsel nicht die einzigen Kriterien der Unternehmensplanung sein können. Es gibt aber ermutigende Zeichen, daß auch auf diesem Gebiet bereits der freie Wettbewerb selbst dazu führt, daß zum Beispiel ökologische Anliegen oder die Sorge um eine Verringerung von Unfällen mit Schwerstfolgen in reife technische Lösungen übertragen werden. Doch die Marktmechanismen sind nicht allmächtig; vor allem in Hinblick auf den Weltmarkt und die Belange der Entwicklungsländer sowie auf ein kluges Haushalten mit den begrenzten Ressourcen dieser Erde werden auch einige politische Vorentscheidungen für wichtige Industriebereiche nötig sein. Solche werden um des Ganzen willen sicher Ihr wohlwollendes Verständnis und eine sachgerechte Antwort finden. 1423 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Verehrte Damen und Herren! Aufrichtig danke ich Ihnen schließlich für die großzügige Gabe eines hervorragenden Exemplares Ihrer neueren Produktion. Ja, auch der Papst verdankt solchen Wunderwerken der Verkehrstechnik die Möglichkeit zu vielen wichtigen Begegnungen in nah und fern. In der nächsten Woche kann ich Ihr Vaterland zum zweitenmal im Amt des Nachfolgers des Apostels Petrus besuchen. Ich freue mich schon darauf und hoffe, daß Gott jene Tage segnen wird. Ihnen allen und Ihren Familien gelten mein Gebet und meine besten Wünsche für Ihr persönliches Leben und Ihr verantwortungsvolles Wirken. Grußwort vor dem zweiten Deutschlandbesuch in „Wort zum Sonntag “ im Ersten Deutschen Fernsehen am 25. April Liebe Brüder und Schwestern! Am nächsten Donnerstag komme ich zum zweiten Mal als Bischof von Rom in Ihr Land. Darauf freue ich mich. Ich komme als Nachfolger des Apostels Petrus, zu dem Jesus gesagt hat: „Du, Petrus, stärke deine Brüder!“ (Lk 22,32). Der Glaube, den wir von unseren Eltern empfangen haben, muß immer neu gestärkt werden. Auch der Nachfolger des heiligen Petrus braucht für seinen Glauben, für seinen Dienst in der Kirche die Stärkung durch den Glauben der Gemeinde. Wenn ich zu Ihnen komme, wollen wir gemeinsam unseren Glauben bekennen. Ich werde einige Städte Ihres Landes besuchen, unter anderem Köln, München und Münster. Mit diesen Städten verbinde ich die Namen von Glaubenszeugen. Mit Münster: Kardinal von Galen. Er wurde zu Recht der „Löwe von Münster“ genannt. Bewußt hat er sich in der Zeit des Nationalsozialismus für das Leben und gegen die Tötung von Geisteskranken eingesetzt. In München werde ich Pater Rupert Mayer seligsprechen, wodurch dieser mutige Bekenner, vorbildliche Priester und Apostel der Nächstenliebe den Gläubigen zur Verehrung und Nachahmung vorgestellt wird. „Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen verfolgt werdet“, hat Jesus gesagt. „Freut euch, euer Lohn im Himmel wird groß sein“ (Lk5,ll f.). Selig ist auch die Philosophin Edith Stein. Sie stammte aus einer jüdischen Familie in Breslau und hat als Schwester Teresia Benedicta a Cruce einige Jahre im Kölner Karmel gelebt. Sie hat an Jesus geglaubt, an Jesus als den Messias, den Hei- 1424 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN land, den Erlöser der Welt. In ihm hat sie den letzten Sinn ihres Lebens gesucht und gefunden. Ihr Leben und ihr Sterben hat sie verstanden als Teilhabe am Kreuz Jesu. Wie Jesus hat sie sich dem himmlischen Vater rückhaltlos ausgeliefert und seiner Liebe anvertraut. Sie ist umgebracht worden als katholische Jüdin im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. In Auschwitz wurde auch mein Landsmann P. Maximilian Kolbe ermordet. Als Erzbischof von Krakau habe ich oft vor der Todesmauer gestanden und bin zwischen den Trümmern der Krematorien von Birkenau umhergegangen. Ich habe mich immer wieder gefragt: „Wo liegen die Grenzen des Hasses — die Grenzen der Vernichtung des Menschen durch den Menschen — die Grenzen der Grausamkeit?“ (J. P. II., Homilie, 7.6.1979, KZ Birkenau). Edith Stein hat gesagt: „Niemals darf der Haß in der Welt das letzte Wort haben!“ Wenn ich am Donnerstag zu Ihnen komme, dann sollen die Zeugen der Vergangenheit für uns zum Zeichen der Hoffnung werden. Sie sollen uns erinnern an unsere christliche Berufung, Zeugen für Christus zu sein, an unsere Verpflichtung für das Leben und daß jedes menschliche Leben lebenswert ist. Deshalb bitte ich Sie, daß wir all unsere Kräfte auf die Sorge um den Menschen, um sein irdisches Wohl und sein ewiges Heil konzentrieren. Und die, die mit mir an Gott, unseren Vater im Himmel, glauben, bitte ich, daß sie sich mit mir vereinen im Gebet um Frieden und Versöhnung. Schon heute segne ich Sie alle von Herzen. Aus dem Vatikan, am 25. April 1987 Das Erbe der Vorfahren bewahren und pflegen Ansprache an die 700 Pilger aus der Erzdiözese München und Freising, die aus Anlaß des 60. Geburtstages von Kardinal Ratzinger nach Rom gepilgert sind, am 25. April Ich möchte Sie alle ganz herzlich hier im Vatikan willkommen heißen. Sie haben diese Pilgerfahrt nach Rom unternommen, um Ihren früheren Erzbischof zu ehren und damit eine Verbundenheit zu bekunden, die auch nach der Berufung zum Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre nicht abgerissen ist. Äußerer Anlaß hierzu ist die glückliche Vollendung seines 60. Lebensjahres. Gern reihe auch ich mich heute mit meinen besten Glück- und Segenswünschen in diese große Schar der Gratulanten ein. Sehr verehrter Herr Kardinal! Es ist hier nicht der Ort — noch reichte die Zeit —, um Ihr unermüdliches Wirken für die Kirche als theologischer Lehrer an 1425 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN verschiedenen deutschen Hochschulen und Universitäten, als Erzbischof von München und Freising und als Kardinalpräfekt in angemessener Weise zu würdigen, und dies wäre Ihnen vermutlich nicht willkommen. Dennoch erlauben Sie mir, ein aufrichtiges Wort des Dankes hier öffentlich auszusprechen mit dem Ihnen und Ihren Landsleuten vertrauten „Vergelt‘s Gott!“. Liebe Brüder und Schwestern! Vielen von Ihnen liegt die Pflege des bayerischen Brauchtums und der heimatlichen Volksmusik: sehr am Herzen, so daß Sie viele Stunden Ihrer Freizeit dafür einsetzen. Bei diesem Bemühen sollte jedoch nicht der Gesamtrahmen vergessen werden, in dem beides wachsen und reifen konnte. Viele Komponisten und Wiederentdecker des heimatlichen musikalischen Schatzes waren gläubige Menschen, und viele Texte bezeugen dies. Auch die Liebe zur Schönheit der Natur, der Welt der Berge, Wiesen und Seen, konnte zu solcher Tiefe nur gelangen, da sie letztlich auf den Schöpfer von Welt und Mensch ausgerichtet war. So fügt sich in vielen Landschaften Ihrer Heimat das Gotteshaus in solcher Harmonie in die Natur ein, daß selbst dem ungläubigen Besucher aufgeht, daß für den Christen Schöpfung und Schöpfer untrennbar zusammengehören, ja, daß das vom Menschen Geschaffene den Gedanken des Schöpfers nächzuahmen versucht. Daher meine Bitte und mein Aufruf an Sie: Halten Sie diesen Gesamtrahmen in Ihren Pfarreien und Vereinen lebendig: Pflegen Sie das religiöse Volkslied! Setzen Sie sich ein für die Feier der heiligen Messe bei festlichen Anlässen und gestalten Sie diese aktiv mit! Auf diese Weise leben Sie nicht nur vom Erbe Ihrer Vorfahren, sondern Sie gestalten es weiter und bewahren es in seiner Fülle für die folgenden Generationen auf. Nochmals danke ich Ihnen für diesen Besuch und wünsche Ihnen geistlich fruchtbare Stunden in der Begegnung mit den Stätten des Glaubens in der Ewigen Stadt, Zugleich erteile ich Ihnen und allen Ihren Lieben in der Heimat meinen besonderen Apostolischen Segen. Grüß Gott und auf Wiedersehen in München! Dialog und Verkündigung Ansprache an die Mitglieder der Vollversammlung des Sekretariats für die Nichtchristen am 28. April 1. Ich freue mich, Sie, die Mitglieder des Sekretariats für die Nichtchristen, sowie jene Experten und Beobachter willkommen heißen zu können, die zur Vollversammlung zusammengetreten sind. Diese vatikanische Einrichtung, eine der bleibenden, konkreten Früchte des Zweiten Vatikanischen Konzils, 1426 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN hat das erste Vierteljahrhundert ihres Bestehens und Wirkens fast vollendet. Es ist gut, daß ihr hierher gekommen seid, um die Erfahrungen aus diesen Jahren zu überdenken und zu prüfen, wie das Sekretariat auch in Zukunft am besten der Kirche und der ganzen Menschheitsfamilie dienen kann. Das Thema der letzten Vollversammlung im Jahre 1984 war „Dialog und Mission“. Am Pfingstfest desselben Jahres ist überall in der Kirche das von eurer Versammlung verfaßte Dokument veröffentlicht worden unter dem Titel: „Die Haltung der Kirche gegenüber den Anhängern anderer Religionen: Gedanken und Orientierungen zu Dialog und Mission.“ Verkündigung der Frohbotschaft ist dialogisches Geschehen 2. Ihr habt beschlossen, in diesem Jahr eure Überlegungen zu diesem Thema fortzuführen, wobei ihr euch auf einen Teilaspekt konzentrieren wollt: „Dialog und Verkündigung“. Die Kirche ist dazu da, unseren Glauben an den einen Gott, den Schöpfer des Universums, zu verkünden, dessen ewiges Wort in der Person Jesus von Nazaret Fleisch geworden ist und dessen Geist in der Welt lebt und wirkt, indem er die Menschen zur Wahrheit hinführt, ihnen Leben gibt und sie heilig macht. Wir glauben, daß Jesus Christus uns in eine tiefe Kenntnis des Geheimnisses Gottes eingeführt hat und in die Teilhabe seiner Kinder an seinen Gaben, so daß wir ihn als Herr und Erlöser anerkennen (vgl. Ansprache an die muslimische Jugend Marokkos, 20. August 1985). In Ihm hat Gott die Erlösung der gesamten Menschheit vollendet (vgl. Joh 4,42); er hat zusammen mit dem Vater den Heiligen Geist gesandt, der das göttliche Heilswerk fortführt. Wie aus den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils klar hervorgeht und wie auch ich des öfteren in Rom oder bei meinen Reisen an verschiedenen Orten der Welt betont habe, bleibt währenddessen die Verpflichtung der katholischen Kirche zum Dialog mit den Anhängern anderer Religionen weiterhin unverändert bestehen. Die Ereignisse der letzten Jahre unterstreichen die Notwendigkeit einer Neuformulierung dieser Aufgabe. 3. Eure Versammlung muß deshalb nochmals die Verpflichtung der katholischen Kirche sowohl zum Dialog als auch zur Verkündigung des Evangeliums bekräftigen. Es darf keine Alternative zwischen dem einen oder dem anderen geben. Selbst in Situationen, wo die Glaubensverkündigung schwierig ist, müssen wir den Mut haben, von Gott zu sprechen. Denn er ist das Fundament dieses Glaubens, der Grund unserer Hoffnung und die Quelle unserer Liebe. Es ist auch wahr, daß wir in Fällen, wo die Verkündigung des Evangeliums große Früchte trägt, nicht vergessen dürfen, daß der Dialog mit den anderen 1427 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN eine gottgewollte Aufgabe der Christen ist. Außerdem muß die Verkündigung des Evangeliums genügend an das jeweilige religiöse und kulturelle Umfeld derer angepaßt sein, an die sie gerichtet ist. Das Gemeinsame suchen 4. Da ihr versucht, das Verhältnis zwischen Dialog und Verkündigung auf eine Formel zu bringen, möchte ich euch einige Aspekte dieser Frage in Erinnerung rufen. Wie es im Dokument eurer früheren Plenarsitzung bereits treffend formuliert ist, ist der Dialog das Zusammenspiel menschlichen Tuns, das im Respekt und in der Wertschätzung gegenüber anderen Religionen gründet. Er schließt das tagtägliche Zusammenleben im Frieden und bei gegenseitiger Hilfe mit ein, wobei ein jeder von den Werten Zeugnis gibt, die er in der Glaubenserfahrung gelernt hat. Der Dialog erfordert die Bereitschaft, in Zusammenarbeit mit anderen auf die Besserung der Menschheit hinzuwirken und verpflichtet zur gemeinsamen Suche nach dem wahren Frieden. Dialog bedeutet auch, daß sich Theologen und Religionsexperten treffen, um zusammen mit Experten anderer Religionen die Felder der Gemeinsamkeiten und Abweichungen zu prüfen. Wo die Umstände es erlauben, heißt Dialog auch, geistliche Erfahrungen und Einsichten zu teilen. Dieses Teilen kann die Form einer Zusammenkunft als Brüder und Schwestern haben, bei der so Zu Gott gebetet wird, daß die Identität der einzelnen Religionstraditionen unangetastet bleibt. Ebenso wie der interreligiöse Dialog ist auch die Verkündung des in Jesus Christus, unserem Herrn, vollbrachten göttlichen Heilswerks ein Bestandteil der Sendung der Kirche. Christi Anhänger müssen den Auftrag erfüllen, die Menschen aller Völker zu Jüngern zu machen, sie zu taufen und sie zu lehren, die Gebote zu befolgen (vgl. Mt 28,19-20). So sagten die hl. Petrus und Johannes vor dem Hohen Rat: „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben“ (Apg 4,20). Wie der hl. Paulus müssen wir uns darüber im klaren sein, welche Folgen es hätte, wenn wir die Verkündigung des Evangeliums vernachlässigen würden. Das Zweite Vatikanische Konzil erinnert uns daran, daß Jesus Christus die universale Liebe unseres himmlischen Vaters verkündet, daß er Gottes Heilstaten offenbart und dessen neuen und ewigen Bund mit den Menschen verkörpert. Das Konzil stellt deshalb fest: „... die Kirche ist eifrig bestrebt, ... die Missionen zu fordern“ {Lumen gentium, Nr. 16). 5. Während meines Pontifikats ging es mir stets darum, den apostolischen und pastoralen Auftrag zum Dialog und zur Verkündigung zu erfüllen. Auf 1428 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN meiner letzten Afrikareise traf ich mit Oberhäuptern traditioneller afrikanischer Religionen zusammen und stellte fest, daß auch sie sich der Nähe Gottes bewußt waren und die ethischen Werte einer göttlichen Person hochschätzten. In Marokko, wo ich von den Muslims herzlich empfangen wurde, sprach ich von den Ansprüchen die ein Glaubensleben heutzutage stellt. In Indien begegnete ich uralten geistlichen Traditionen, die inmitten der Probleme des modernen Lebensalltags weiterhin eine Quelle des Lichtes, des Wissens und der Kraft sind. Im vergangenen Oktober habe ich Vertreter aller Weltreligionen zum gemeinsamen Friedensgebet nach Assisi eingeladen, der Heimatstadt des hl. Franziskus, eines Verfechters des tiefen Dialogs und der unermüdlichen Verkündigung. Ich habe auch bei anderen Gelegenheiten die Bedeutung der missionarischen Verkündigung, der Bekehrung, des Aufbaus von Ortskirchen und einer angepaßten Glaubenskatechese betont. 6. Viele Fragen bleiben, die wir klarer ausarbeiten und formulieren müssen. Wie wirkt Gott im Leben der Anhänger anderer Religionen? Wie erreicht sein Heilswirken tatsächlich auch jene, die nicht den Glauben an ihn bekennen? In den kommenden Jahren werden diese und damit verbundene Fragen für die Kirche in einer pluralistischen Welt mehr und mehr Gewicht erhalten. Die Seelsorger müssen in Zusammenarbeit mit erfahrenen Theologen ihre Aufmerksamkeit auf sie richten. Meine besten Wünsche begleiten euch während eurer Beratungen in der Plenarsitzung. Ich bete darum, daß Gottes Geist euch bei der Arbeit leite und Jesus Christus während der Tage, die ihr zusammen seid, das Band der Brüderlichkeit unter euch stärke. Möge der allmächtige Gott euch und eure Arbeit, die durchzuführen ihr nach Rom gekommen seid, segnen. Möge diese Arbeit euch und euren Völkern Anregungen geben, wenn ihr in eure Heimatländer zurückkehrt. Jeder muß ernst genommen werden Predigt bei der Messe anläßlich der Vereidigung von 33 Schweizer Gardisten am 6. Mai Mit diesem Evangelium (Joh 6,35-40) hat uns der Apostel Johannes in die Mitte der Person Jesu Christi geführt: Jesus lebt ganz und gar dafür, den heiligen Willen seines Vaters zu tun. Nach diesem Willen soll den Menschen aller Orte und Zeiten der Weg zum wahren Leben, ein Weg auch über den irdischen 1429 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Tod hinaus, angeboten und geschenkt werden. Damit dieses Angebot auch heute noch die Menschen erreicht, hat Christus seine Kirche gegründet und sie mit ihren apostolischen Strukturen, mit ihrem kostbaren Erbe der Heiligen Schrift und der Sakramente auf die Pilgerschaft durch die Jahrhunderte gesandt und ihr versprochen, immer auch selbst bei ihr zu sein als der auferstandene Herr. Auch der Papst und die Bischöfe, auch der Vatikan mit seinen Ämtern und Diensten stehen unter diesem Auftrag: die Menschen, wie das Evangelium sagt, zum „Brot des Lebens“ zu führen. Die Menschen, die Tag für Tag neugierig oder erwartungsvoll, gläubig oder suchend an die Tore des Vatikans kommen, sie alle sind uns letztlich von Gott zugesandt, damit sie Speise Christi erhalten, ein jeder nach der Art seines Hungers. Das ist das tiefste Motiv, der stärkste Anstoß für jeden Mitarbeiter des Papstes, um seinen Dienst sorglältig und treu zu erfüllen. Von jedem einzelnen hängt es dabei ab, ob die Besucher und Pilger bei ihrer Begegnung mit diesen ehrwürdigen Orten rund um das Petrusgrab erfahren können, daß hier jeder Mensch in seiner Würde ernst genommen wird, weil hier Christus selbst der letzte Maßstab unseres Sprechens und Handelns sein will. Um diese geistige Grundlage auch eures Dienstes für Ordnung und Sicherheit besonders tief wahrzunehmen und zu bejahen, feiern wir an eurem heutigen Festtag wiederum gemeinsam die heilige Messe. Sie ist mir zugleich ein Dank für den in den letzten zwölf Monaten geleisteten guten Dienst der Päpstlichen Schweizergarde; sie ist mir ein Segenswunsch für euch, die Neu-Gardisten, die ihr heute euren Diensteid feierlich ablegen werdet; sie ist mir schließlich ein Zeichen der Anerkennung für euch, liebe Eltern und Verwandte, die ihr durch eure Teilnahme an diesem Festtag eure Zustimmung zur hohen Dienstverpflichtung dieser jungen Männer bekundet. Euer Landespatron, der heilige Bruder Klaus, dessen Todestag sich heuer zum fünfhundertsten Mal jährt, sei der ganzen Garde Vorbild und Fürsprecher in ihrem Dienst für den Papst und die Kirche, zum Besten der Menschen und ihrer Anliegen. Ich wende mich gleichfalls an die neuen und dienstälteren Schweizer Gardisten, an ihre Eltern und an die Freunde, die voll innerer Bewegung um sie versammelt sind. Seit fünf Jahrhunderten haben junge Schweizer den Schutz des Papstes garantiert, manchmal — wie im Mai 1527 — bis zum Blutvergießen. Ich gedenke aller eurer Vorgänger und übermittele euch meine persönliche, tiefe Dankbarkeit sowie den Dank meiner Mitarbeiter in der Römischen Kurie. Zugleich bringe ich euch die Hochschätzung und Zufriedenheit all jener Persönlichkeiten, Besucher und Pilger zum Ausdruck, die seit vielen Jahren im Vatikan empfangen werden. Sie alle schätzen euer Benehmen: eure Zurückhaltung, Höflichkeit, Tüchtigkeit und eure kirchliche Gesinnung; Attribute, die euch zur Ehre gereichen. 1430 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Liebe junge Leute, seid versichert, daß ihr durch eure Tätigkeit dazu beitragt, daß das Zentrum des Katholizismus das Gesicht des Friedens und der Gastfreundschaft im Sinne des Evangeliums sowie eine Note menschlicher Harmonie und Freude erhält. Ich danke euch für euren Dienst, den ihr euch für einige Jahre frei gewählt habt. Ich danke euren Eltern, die mit Recht stolz darauf sind, euch im Dienst des Papstes zu sehen. Möge Gott, der auf geheimnisvolle Weise jedem von uns innewohnt und in ihm wirkt, euch während der Zeit, in der ihr treu eure Mission erfüllt, beistehen und sorgsam über eure Familien wachen. Christentum ist nicht nur Nächstenliebe Ansprache an die Barmherzigen Brüder und die Kamillianer bei ihrem Europäischen Kongreß am 7. Mai 1. Es freut mich sehr, euch in dieser euch vorbehaltenen Audienz zu empfangen, und ich grüße euch von ganzem Herzen, insbesondere die Generalobern Bruder Pierluigi Marchesi und P. Calisto Vendramo, die diesen Europäischen Kongreß über „Die Präsenz und Sendung im Gesundheitswesen“ ins Leben gerufen haben. Mein herzlicher Gruß und meine besten Wünsche ergehen auch an eure Mitbrüder in Italien und in der ganzen Welt sowie an die Ordensschwestern, die an eurem Charisma und eurem Apostolat teilhaben. Ich grüße auch Erzbischof Fiorenzo Angelini, den Pro-Präsidenten der Päpstlichen Kommission für das Krankenapostolat. Dieses Treffen der beiden Ordensgemeinschaften ist fürwahr bedeutungsvoll und einzigartig: die Hundertjahrfeier der Proklamation eurer Stifter, der hll. Kamillus von Lellis und Johannes von Gott, zu Patronen der Hospitäler und der Kranken seitens meines Vorgängers Leo XIH. Ihr habt diesen Anlaß dadurch hervorheben wollen, daß ihr euch zu einem Kongreß von großen Ausmaßen versammelt habt, um euch Fragen hinsichtlich der Bedeutung und der Präsenz eurer Institute in der heutigen Welt zu stellen und ein Pastoralpro-gramm in der Perspektive der Zukunft zu entwerfen. Meinerseits möchte ich vor allem der Freude über diese angesichts der Notwendigkeiten unserer Zeit so angebrachte Initiative Ausdruck geben, denn diese fordern immer mehr Gemeinschaft und Zusammenarbeit unter denen, die das Glück haben, an Christus zu glauben und noch mehr unter denen, die ihm geweiht sind. Ich möchte euch ferner meiner Teilnahme an euren Problemen und Sorgen versichern, welche die euren Orden eigene Tätigkeit für die Kranken und die Orte der Gesundheitspflege betreffen. 1431 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Die Zeiten, in denen zu leben wir berufen sind, haben die Aufmerksamkeit auf vielfältige Fragen gelenkt, die mit Gelassenheit und Mut angegangen werden müssen, ohne je die christlichen Ideale, die Fundament unseres Lebens sind, noch die euren Orden eigenen Charismen aufzugeben. Die Pastoral in den Krankenhäusern ist schwieriger geworden und verlangt eine spezifische Ausbildung und spezifische Eigenschaften; der freiwillige Dienst ist sicher etwas Positives, setzt aber Unterscheidungsvermögen, die Gabe zur Anleitung und zur Organisation voraus. Die Beziehungen zu den Ortskirchen, zu Kommissionen der Berufsethik, zum Seelsorgerat innerhalb des Hospitals, zu den im Gesundheitswesen Tätigen erfordern einen aufmerksamen und ständigen Willen zum Zuhören und Dienen. Vor allem der Einsatz für die Humanisierung der Orte des Leidens und der Beistand für jene, die in der Wohlstandsund Konsumgesellschaft von Krankheit und Angst vor.dem Tod betroffen sind, verlangt große Liebe, Geduld und Hingabe. Aus dieser Sicht ermutige ich euch, liebe Ordensleute, euch immer mehr für eure Mitarbeiter im Laienstand zu öffnen und in ihnen den Wunsch nach einer Beziehung zu wecken, die über den engeren beruflichen Bereich hinausgeht, um sie zu einer Teilnahme an der apostolischen Dimension eurer Tätigkeit hinzuführen. Ich verstehe voll und ganz eure Not und eure Wünsche hinsichtlich der Pastoral und bin euch im Geist mit meiner Hochschätzung, meinen Ermutigungen und meinem Gebet nahe in den Hospitälern, in denen ihr Dienst tut, an der Seite so vieler Kranker, insbesondere unter den ärmsten und bedürftigsten Völkern. Vieles hat sich seit der Zeit, in der eure heiligen Stifter lebten, verändert und in mannigfacher Hinsicht entscheidend gebessert; aber das Charisma des hl. Johannes von Gott und des hl. Kamillus ist geblieben und muß in euch, die ihr deren geistliche Söhne seid, unversehrt erhalten bleiben: jenes Charisma, das in jedem Kranken einen Bruder sieht, den es in Christus und wie Christus zu lieben gilt und ihm zu dienen mit jener Zuneigung — so schrieb der hl. Kamillus in seiner Regel —, die eine liebevolle Mutter für ihr einziges krankes Kind fühlt (Reg. XXVII): und mit jenem Feuer der Liebe, das vom Herzen des hl. Johannes von Gott ausging und im vierten Gelübde der Hospitalität konkrete Gestalt angenommen hat. Durch das Verdienst der beiden in kurzer Zeit nacheinander entstandenen Orden hat sich ein so konkreter und so erbauender Kreuzzug der Liebe zu den Leidenden in der Welt ausgebreitet, daß Leo XIH. am 27. Mai 1886 die hll. Johannes von Gott und Kamillus von Lellis mit dem Dekret „Inter omnigenas virtutes“ zu Patronen der Hospitäler und der Kranken erhob und Pius XI. sie in der Folge mit dem Breve „Expedit plane“ zu Patronen der Krankenpfleger und -pflegerinnen sowie ihrer Vereinigungen erklärte. 1432 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gedanken der Gründer in veränderter Zeit realisieren 3. Jetzt nach diesem wichtigen Europäischen Kongreß müßt ihr euch erneut auf den Weg machen. Im Licht des Beispiels und der Lehre eurer Stifter müßt ihr davon überzeugt sein, daß für die Verwirklichung eurer Sendung, die Humanisierung der Spitäler, den Dienst an den Kranken in der heutigen Gesellschaft, die Weckung von Berufungen für eure Orden immer und vor allem ein tiefes und entschiedenes geistliches Leben notwendig ist. „Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen!“ (Joh 15,5). Der heutige Mensch braucht euer Zeugnis als das von Menschen mit festem Glauben und Gott geweihten Personen. Viele neigen heute dazu, das Christentum einzig auf die Dimension der Nächstenliebe zu reduzieren und Gott, die Anbetung, das Gebet zu vergessen. Es ist sicher von Bedeutung, hellhörig zu sein für die brüderliche und karitative Verantwortung, die das Christentum auferlegt, aber man darf darüber das erste Gebot nicht vergessen. Jesus hat sein Leben für die Erlösung der Menschheit dahingegeben und war gleichzeitig der erste und wahre Anbeter des Vaters. Der „technologische Mensch“, der sein ganzes Vertrauen und sein ganzes Interesse in die Wissenschaft und die Technik setzt, um das Höchstmaß an Wohlstand zu erreichen, steht schließlich enttäuscht und verbittert vor dem schicksalhaften Scheitern in Krankheit, seelischem Leid und unabdingbarem Tod. Der „technologische Mensch“ wird darum zum einsamen Menschen, der gebrochen, bedroht und besiegt ist. Wenn sich der körperliche Schmerz mit dem seelischen verbindet, wird er zu einem „existentiellen Schmerz“ und offen oder verdeckt zu einem „religiösen Schmerz“, der die letzten Fragestellungen und die Sinnfrage aufwirft. Hoffnungen und Sehnsüchte brauchen ein festes Ziel Die Einsamkeit des modernen Menschen und die Sehnsucht nach einer Antwort, die dem Dasein Sinn gibt, sind für euch Ansporn zu immer größerem und wirksamerenpastoralen Eifer. Ich schätze alles, was ihr für die Pflege der Kranken und für die Humanisierung der Spitäler tut, sowie eure Bemühungen, den Kranken und den im Gesundheitswesen Tätigen zu helfen, daß sie mit Gelassenheit den religiösen Sinn des Menschenschicksals erfassen oder wiedererlangen, der, wie er denn vom Geheimnis der Vorsehung umhüllt ist, auch die Augenblicke des Leidens als Erinnerung an das Absolute in sich birgt und notwendig auf die transzendente, ewige Wirklichkeit jenseits von Zeit und Geschichte hingeordnet ist. Die Kranken brauchen Fachleute, die Vertrauen, Hoffnung, Stärkung und Beistand schenken. Euer Charisma fordert heute zusammen mit beruflicher Kompetenz in höchstem Maß pastorale Feinfühl igkei t. 1433 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 4. „Wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben“, so schrieb der Apostel Johannes — „sondern in Tat und Wahrheit“ (i Joh 3,18). Viele eurer Mitbrüder haben bei Pest und Cholera und zu Kriegszeiten im Schlachtengetümmel ihr Leben in heroischer Weise hingegeben, gerade weil ihr tiefes geistliches Leben sie zu solchen Großtaten glühender Liebe antrieb. Jetzt ist beim Dienst an den Alten, den Randexistenzen, den Drogenabhängigen, den Kranken und Sterbenden ebenfalls eine durch den christlichen Glauben erleuchtete Liebe nötig; es braucht Glauben mit dem Antlitz der Güte. Im Blick auf Christus, den Gekreuzigten, und im Vertrauen auf Maria, mit jenem Feuer des Glaubens, für das der hl. Johannes von Gott und der hl. Kamillus von Lellis Vorbilder sind, behaltet den Frieden in euren Herzen, während ihr den euch anvertrauten Kranken Gesundheit und Stärkung bringt, und arbeitet zusammen, um besser zu dienen! Es begleite euch auch mein Segen, den ich euch jetzt von ganzem Herzen erteile und der sich gleichfalls auf eure Mitbrüder und die Ordensschwestern eurer Institute erstrecken soll. Der Missionar ist Künder des Evangeliums Ansprache an die Comboni-Missionare am 7. Mai Liebe Brüder! 1. Mit Freude habe ich der Bitte um eine Begegnung mit euch entsprochen, die ihr unter dem Vorsitz des verehrten Gerieralobern, P. Francesco Pierli, als Provinzobere mit den Mitgliedern des Generalrates hier in Rom zusammengekommen seid. An euch alle richte ich meinen herzlichen Willkommensgruß und drücke meine Anteilnahme an eurem Missions- und Evangelisierungswirken aus. Im Missionspriester scheint auf wunderbare Weise einer der wesentlichen Aspekte des Priestertums Christi selbst auf, der in unsere Mitte gekommen ist, um sein Leben hinzugeben als Sühneopfer für unsere Sünden. Das Leben als Missionar hat ein übernatürliches Fundament, das man stets gegenwärtig haben muß. Obwohl die Sehnsucht, als Missionar zu wirken, normalerweise eine solide Grundlage menschlicher Qualitäten erfordert, findet sie ihren ursprünglichen Antrieb und so auch ihre glaubwürdige Fruchtbarkeit nicht auf menschlicher Ebene, sondern auf der des Glaubens und der Antwort auf einen besonderen Anstoß des Heiligen Geistes, der uns im Geist des Gehorsams zu fügsamen Werkzeugen seines Heils und Heiligungshandelns macht. 1434 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Hinführen zum Menschen schlechthin, zu Christus Gewiß ist und muß das Missionswerk — besonders in Gebieten größerer Armut menschliche Förderung sein, Linderung der Nöte, Schule der Zivilisation, Anstoß zur Kultur, Schaffung von Gerechtigkeit und Wohlergehen; doch in seiner wahrsten Bedeutung muß es in sich selbst durch jenes Zeugnis menschlicher Solidarität das Licht des Evangeliums bringen und die Seelen von der Krankheit der Sünde heilen. Sicherlich erzieht der Missionar die Menschen zur Solidarität, aber insbesondere dazu, aktives Glied des mystischen Leibes Christi zu sein und sich so zu fühlen. 2. Um diese Aufgabe zu erfüllen, braucht der Missionar ein starkes innerliches Leben. Er muß viel beten: darin findet er die wesentliche Grundlage für eine fruchtbare Arbeit in den Missionsgebieten. Auf einen weiteren Punkt in bezug auf die Erneuerung des Ordenslebens hat uns das Konzil erinnert: In eurer Tätigkeit sollt ihr stets der besonderen Spiritualität, dem sogenannten Charisma eures Gründers treu bleiben. Interessiert euch dabei für die ganze Welt, doch versucht, euer besonderes Augenmerk auf Afrika zu behalten. So werdet ihr immer mehr zu Spezialisten dafür, das Christentum in diesem ungemein ausgedehnten Kontinent zu inkul-turieren, dessen außerordentliche christliche Möglichkeiten gewiß eine wunderbare Zukunft haben. Aber diese hängt in großem Maße auch von der Großherzigkeit eures missionarischen Einsatzes ab! In überzeugtem Glauben der Welt von heute Zeugnis geben 3. Ich lege euch auch die Treue zum Lehramt der Kirche ans Herz. Haltet euch die Lehren des Konzils in ihrer vom Lehramt gegebenen authentischen Interpretation stets gegenwärtig! Besonders ermahne ich euch dazu, diese Treue zum Lehramt bei der Formung der Mitglieder eures Instituts zu pflegen. Setzt euch dafür ein, daß sie von den ersten Jahren ihrer Ausbildung an lebendig und verantwortet diesen Wert eures Zeugnisses als Katholiken schätzen können. So werden sie dann im Laufe ihres Priester- und Ordenslebens über einen sicheren geistlichen Bezugspunkt verfügen, um die unvermeidlichen Prüfungen und Schwierigkeiten zu meistern. Schließlich möchte ich noch auf die Bedeutung und den Nutzen für euch selbst und die anderen hinweisen, euren Stand als Gott und der Kirche geweihte Personen sichtbar darzustellen. Die Welt von heute braucht auch dieses Zeugnis. 1435 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 4. Euch allen gilt mein sehr inniger Wunsch, daß ihr euch immer tiefer und fruchtbarer für die Erfüllung eurer Sendung einsetzt, die Gott euch anvertraut hat. Euer Ideal ist hoch, edel und beschwerlich. Mögen die geistlichen Energien, die euch tragen, stets hoch und reich sein! Mögt ihr immer von der Liebe zu Jesus als Gekreuzigtem und der Verehrung der Königin der Apostel entflammt sein: Von Herzen erteile ich meinen Apostolischen Segen. Alle sollen Christus kennen Ansprache an die Vollversammlung des Obersten Rates der Päpstlichen Missionswerke am 8. Mai Liebe Büder im Bischofs- und Priesteramt, liebe Leiter der Päpstlichen Missionswerke! 1. Seid willkommen zu dieser Sonderaudienz, die alljährlich stattfindet und mir immer wieder viel Trost gibt. Von Herzen begrüße ich euch alle, die ihr an der Vollversammlung des Obersten Rates jener vier Organisationen teilnehmt, die die Arbeit des Dikasteriums für die Evangelisierung der Völker wesentlich mittragen: des Werkes der Glaubensverbreiturig, des Apostel-Pe-trus-Werkes, des Kindermissionswerkes und der Päpstlichen Missionsunion. Voll Dankbarkeit möchte ich insbesondere den Kardinal-Präfekten begrüßen, den Präsidenten, die Generalssekretäre und Berater. Über die Landesdirektoren möchte ich meinen Dank und meine besten Wünsche auch den Leitern der Missionsarbeit in den verschiedenen Diözesen der Welt übermitteln, die sich mit so viel Hingabe und Liebe in den einzelnen Kirchengemeinden dafür ein-setzen, daß der missionarische Eifer unter den Priestern und Gläubigen lebendig bleibt, und die einen konkreten und wirksamen Beitrag zu den Initiativen der Zentrale leisten. Dies ist für mich eine güte: Gelegenheit, meine Bewunderung und Genugtuung über die missionarische Gesamtleistung des vergangenen Jahres zu bekunden, die in den veröffentlichten Berichten aufgeführt ist. „Die pilgernde Kirche“, so das Zweite Vatikanische Konzil, „istihrem Wesen nach missionarisch“ (Adgentes, Nr. 2). Mit Hingabe bemüht ihr euch, diese Wahrheit zu leben, indem ihr in der ganzen Kirche diesen Eifer einpflanzt und belebt, unablässig die geistliche und materielle Hilfe der Gläubigen erbittet, Studien- und Besinnungstage organisiert und Priester- und Ordensberufe weckt. Besonders schätze ich euren Einsatz für Projekte zur direkten Evangelisierung sowie zur 1436 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ausbildung und Unterstützung von Katecheten mittels angemessener und aktualisierter Lehrtexte. Der Bedarf an Bildungsinstituten und Seminaren ist größer geworden , ebenso der Aufwand für Seminaristen, Priester und Ordensleute, die in Rom oder im Ausland studieren. Euer Einsatz hat bewirkt, daß durch die Spenden der Gläubigen dieser Bedarf in zufriedenstellender Form gedeckt werden kann. Gemeinsam wollen wir dem Herrn danken, der in so vielen Herzen in der Stille und im Verborgenen die edle Bereitschaft weckt und es möglich macht, all jenen zu helfen, die sich ganz dafür einsetzen möchten, daß die Menschen ihn kennenlemen und lieben. Sehr zu loben ist auch das „Opus Securitatis“, eine Einrichtung zugunsten alterund kranker Geistlicher aus den Missionsländem. Diese Begegnung mit dem Papst, der euch mit tiefer Zuneigung empfangt, möge euch ermutigen, immer mehr und immer besser für die Päpstlichen Missionswerke zu arbeiten, sowohl hier in Rom als auch in euren Heimatländern. Dem Taufbefehl Jesu verantwortungsvoll nachkommen 2. Das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt am Anfang des Dekrets Ad gen-tes: „Zur Völkerwelt von Gott gesandt, soll die Kirche das allumfassende Sakrament des Heils sein. So müht sie sich gemäß dem innersten Anspruch ihrer eigenen Katholizität und im Gehorsam gegen den Auftrag ihres Stifters, das Evangelium allen Menschen zu verkünden“ (Nr. 1). Haltet euch stets diese Konzilsbotschaft vor Augen, die die unabänderliche Doktrin des Lehramtes synthetisch zusammenfaßt und neu formuliert, bleibt beharrlich und spornt durch großen missionarischen Eifer auch die anderen zur Ausdauer an. Unser Wunsch an den Vater muß wie der des Meisters lauten: „Dein Reich komme! Geheiligt werde Dein Name!“ Wir kennen Gottes Willen. Jesus selbst hat ihn den Aposteln mitgeteilt: „Mir ist alle Macht gegeben iin Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern, tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28,18-20). Es ist nicht zu bestreiten: Gott hat sich in Christus offenbart und will, daß das wahre Wissen um sein trinitarisches Wesen, die wahre Anbetung und das rechte moralische Verhalten durch das Wort und die Person Christi mitgeteilt werden. Seit den ersten Tagen nach Pfingsten hat Petrus keine Angst mehr, vor den Führern der Juden zu verkünden: „In keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg 4,12). 1437 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Kirche hat deshalb eine große, präzise Verantwortung: Wehe uns, wenn wir nicht evangelisieren! Es ist eine große Würde, „Apostel“ der Wahrheit und Gnade zu sein, das Evangelium zu verkünden, dafür einzutreten, daß die Menschen Jesus Christus kennenlernen und ihn lieben, sie zur wahren Anbetung des Vaters zu führen und sie zu lehren, wo die rechte, aufbauende und reK tende Moral liegt. Doch ist es auch eine furchterregende Verantwortung, die den hl. Paulus und die Heiligen erzittern ließ angesichts der unermeßlichen Zahl derer, die Jesus Christus nicht kennen, ihn gar nicht kennenlernen wollen oder sogar bekämpfen. Mutig und vertrauensvoll müssen wir weiterhin unserem Evangelisierungsauftrag nachkommen, auch wenn es in diesen Zeiten vielleicht schwieriger ist als früher. Das Unterfangen ist gewaltig, ja menschlich gesehen sogar unmöglich. Deshalb ist es notwendig, voll und ganz auf Gottes Gnade zu vertrauen: wir sind nur Werkzeuge und wir müssen überzeugte, überzeugende und glaubwürdige Werkzeuge sein. Die oberste Pflicht für jede Missionstätigkeit zur Evangelisierung und Bekehrung ist unsere persönliche Heiligkeit. In der Tat ist es die Gnade Gottes, die ruft, erleuchtet, bekehrt, heiligt und rettet. 3. Gerne schließe ich mit einem Zitat der hl. Theresia von Lisieux. „Eines Sonntags“, so erzählt die Karmelitin und Patronin der Missionen in ihrer Geschichte einer Seele, „während ich ein Bildnis unseres gekreuzigten Herrn betrachtete, war ich tief betroffen, als ich das Blut sah, das aus seinen göttlichen Händen rann; ich empfand tiefen Schmerz bei dem Gedanken, daß dieses Blut auf die Erde floß, ohne daß sich jemand die Mühe machte, es aufzufangen. Ich beschloß, im Geist zu Füßen des Kreuzes zu verweilen, um den göttlichen Strahl aufzufangen, der herunterfloß und den ich — so erkannte ich — dann auf die Seelen anderer würde ausgießen müssen ... Jesu Schrei am Kreuz „Mich dürstet“ erklang immer wieder in meinem Herzen, und diese Worte entzündeten in mir ein heftiges, unstillbares Feuer ...“ {Man. A., Kap. V.). Zu Füßen des Kreuzes vernehmt auch ihr die brennende Sehnsucht Jesu nach der ganzen Menschheit und bemüht euch, sie der ganzen Kirche einzuprägen. Möge euch Maria, die Königin der Mission, der ich eure Arbeit anvertraue, dabei helfen. Von Herzen erteile ich euch jetzt meinen Apostolischen Segen. Möge er euch und eure Pläne und Initiativen begleiten. 1438 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Diener der Nächstenliebe werden Grußwort an die Diakone der Erzdiözese Mailand am 9. Mai Liebe Diakone der Erzdiözese Mailand! 1. Ich freue mich, euch diese familiäre Begegnung gewähren zu können, euch zu begrüßen und zu beglückwünschen, die ihr nun schon nahe vor dem ersehnten Ziel, dem Priestertum, steht. Wenn ich euch zusammen mit euren Vorgesetzten empfange, die während der langen Jahre eurer geistlichen und kulturellen Formung alle ihre Gaben des Geistes und des Herzens für euch eingesetzt haben, meine ich in euch den Eifer, das Verlangen, die apostolische Begeisterung zu spüren und die Vorsätze zu lesen, die sicherlich beim Empfang der Diakonatsweihe und jetzt in der Vorbereitung auf die Priesterweihe in eurem Herzen wachgeworden sind. 2. Im Licht der großen Gestalt des Dieners Gottes Andrea Ferrari, den zur Ehre der Altäre zu erheben ich morgen die Freude habe, seid ihr mailändischen Diakone, die ihr gelernt habt, seinen apostolischen Eifer und seine hochherzige Opfergesinnung für das Heil der Menschen zu bewundern, mit Recht stolz darauf, zum ambrosianischen Klerus zu gehören und zur Verkündigung des Evangeliums in einem Land mit alten, ruhmreichen Traditionen bestimmt zu sein. Schätzt euch stets glücklich, Diener Christi zu sein, „die wahre Lehre“ zu vertreten (2 Tim 2,15) als „Verwalter der Geheimnisse Gottes“ (1 Kor 4,1). Seid immer hochherzige Diener eurer christlichen Gemeinden nach dem Beispiel des göttlichen Meisters, der kam, um zu dienen, nicht, um sich dienen zu lassen (vgl. Mt 20,28); nach dem Beispiel des Diakons und ersten Märtyrers Stefanus, der von den Aposteln zum „Dienst an den Tischen“ erwählt wurde (vgl. Apg 6,1-2), und des großen Bischofs von Hippo, Augustinus, dessen Taufe vor 1600 Jahren wir in diesem Jahr gedenken. In seinen wunderbaren Schriften wurde er nicht müde zu wiederholen: „Wir sind ja Diener der Kirche“ (De opere monachorum, XXIX, PL 40,577). 3. Ich wünsche euch, daß ihr dieser kirchlichen Sicht, dieser Diakonie immer treu bleiben mögt, die aus euch eifrige Diener der Nächstenliebe machen wird, freudig und voll Hingabe, und die euch befähigen wird, das Todesleiden Jesu in euch zu tragen (2 Kor 4,10), denn ohne Opfergeist können keine Eroberungen für das Gottesreich gemacht werden. 1439 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ich versichere euch meiner Gebete, auf daß eure heiligen Vorsätze immer ihre volle Kraft bewahren in allen Bereichen des Apostolates, die eurer jugendlichen Kraft offenstehen. Ich segne euch alle von Herzen, mit besonderer Liebe auch eure Erzieher und eure Angehörigen, die im Geist des Glaubens und des Vertrauens auf die göttliche Vorsehung euch dem Herrn dargebracht haben. Christus — Tür zur Heiligkeit Predigt bei der Seligsprechung von Kardinal Andrea Ferrari, Bischof Louis-Zephirin Moreau, Pierre-Francois JametundBenedetta Cambiagio-Frasinel-lo am 10. Mai 1. „Amen, amen, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen“ (Joh 10,7). So sagt Jesus von sich selbst. Am heutigen Sonntag, dem Weltgebetstag für geistliche Berufe, lesen wir den Text aus dem Johannesevangelium, in dem Jesus sich „der Gute Hirte“ nennt. Der Gute Hirt ist „die Tür zu den Schafen“. Er hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen, damit wir nicht mehr für die Sünde leben, sondern für die Gerechtigkeit; durch seine Wunden sind wir geheilt (vgl. 1 Petr 2,24-25). Diese Lehre verkündete der Apostel Petrus am Pfingsttag als lebendiger Zeuge; und in seinem ersten Brief legt er sie dar. Christus ist „die Tür zu den Schafen“, denn er hat uns durch sein Kreuzesopfer ins neue Leben geführt. Und dieses neue Leben in Gott wurde durch die Auferstehung bestätigt. 2. Die Kirche lebt aus dem Glauben an das Ostergeheimnis Christi. Aus diesem Glauben entsteht das Bewußtsein vom neuen Leben, dem göttlichen Leben, in das alle eingeführt werden, die zum Schafstall des Guten Hirten gehören. Dieses Bewußtsein wird in einer besonders feierlichen und freudigen Weise offenkundig, wenn der Kirche das Zeugnis für die Heiligkeit ihrer Söhne und Töchter aufgegeben ist. Dies geschieht am heutigen Tag. Seht, Christus als Gekreuzigter und Auferstandener ist „die Tür zur Heiligkeit“ geworden für diese Diener Gottes, die heute als Selige zur Ehre der Altäre erhoben werden. 1440 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Aktuelles Vorbild für zeitgemäße Seelsorge im Hirtenamt 3. Christus war die Tür zur Heiligkeit für Kardinal Andrea Carlo Ferrari, der nach seiner Zeit als Bischof von Guastalla und Como siebenundzwanzig Jahre lang die Erzdiözese Mailand geleitet und dabei mit leidenschaftlichem pasto-ralen Eifer den Spuren seiner großen Vorgänger Ambrosius und Karl Borro-mäus folgte. Von kraftvollem Glauben und erleuchtetem Eifer gestützt, wußte er mit sicherem Urteil den Weg durch die neuen und schwierigen Realitäten zu weisen, die im religiösen und sozialen Umfeld seiner Zeit zum Durchbruch kamen. Er verstand es, mit dem Auge des Guten Hirten die pastoralen Probleme zu sehen, die die historischen Umstände hervorriefen, und die Art und Weise aufzuzeigen, sie anzugehen und zu lösen. Er ist also ein Vorbild von großer Aktualität. Weil er sich bewußt war, daß die Unkenntnis der wesentlichen Grundsätze des Glaubens und des sittlichen Lebens die Gläubigen der atheistischen und materialistischen Propaganda aussetzte, organisierte er eine Art moderner und einprägsamer Katechese. Auch der Stil der Seelsorge wurde von ihm erneuert: er ließ sich vom Guten Hirten anregen und wiederholte mit Nachdruck, man dürfe nicht passiv darauf warten, daß die Gläubigen der Kirche wieder näherkämen. Vielmehr sei es unbedingt notwendig, wie Jesus wieder auf die Straßen und Plätze zu gehen, um den Menschen zu begegnen und dabei ihre Sprache zu sprechen. Dreimal visitierte er die ausgedehnte Erzdiözese des Ambrosius und begab sich, auch auf Maultierrücken und zu Fuß, an die entferntesten und unzugänglichsten Orte, an denen man seit undenklicher Zeit keinen Bischof mehr gesehen hatte. Darum sagten manche angesichts seiner unermüdlichen Hirtensorge: „Der hl. Karl ist wiedergekommen!“ (Positio super virtutibus, S. 267). Die Hirtensorge drückte sich auch in der Förderung neuer, an die gewandelten Zeitumstände angepaßten Formen der Sozialhilfe aus. Die ersten, denen diese wunderbar aufblühenden sozialen Initiativen zugute kamen, waren die verlassenen Kinder und Jugendlichen, die Arbeiter und die Armen. So reifte im Herzen des Kardinals Ferrari der Plan zu einem Werk heran, das uns als sein kostbares Erbe geblieben ist: die Gemeinschaft des hl. Paul, auch Kardinal-Ferrari-Werk genannt. Aus der ursprünglichen Idee eines „Volkshauses“, das die Organisationen des Laienapostolates und der Sozialhilfe der Erzdiözese aufnehmen sollte, entwickelte sich eine Reihe von Tätigkeiten, die vom,genialen und mutigen pastoralen Schwung des Erzbischofs angeregt waren: das „Sekretariat des Volkes“, die Betriebskantinen, die Arbeitermissionen, das Haus des Kindes und das für die Wiedereingliederung entlassener 1441 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Häftlinge, die großen Initiativen im katholischen Verlagswesen und die Organisation von Volkswallfahrten. Das hervorragende Verdienst von Kardinal Ferrari bestand gerade darin, daß er mit glücklicher Eingebung die Dringlichkeit erkannte, die Laien in das Leben der kirchlichen Gemeinschaft einzubeziehen und ihre Kräfte zu einer wirksameren christlichen Präsenz in der Gesellschaft zu organisieren. Er war ein eifriger Förderer der Katholischen Aktion, die unter seinem entscheidenden Antrieb wuchs und von Mailand aus einen wohltuenden Einfluß auf das ganze Italien ausübte. Er setzte sich auch für die Errichtung der Katholischen Universität ein und durfte den Anfang ihrer Verwirklichung erleben. Aber das Geheimnis des unermüdlichen apostolischen Wirkens des neuen Seligen bleibt sein inneres Leben, gegründet auf tiefen theologischen Überzeugungen, von einer zarten und kindlichen Muttergottesverehrung durchdrungen und konzentriert auf Jesus in der Eucharistie und den Gekreuzigten. Es fand seinen Ausdruck darin, daß er stets überaus gütig zu allen war, Anteil an der Not der Armen nahm und heldenhafte Geduld im Schmerz zeigte. Am 29. September 1921 schrieb er mitten in den heftigen Schmerzanfällen der Krankheit, die ihn zu ersticken drohte, diese letzten Worte in sein Tagebuch: „Der Wille Gottes geschehe immer und in allem!“ Kardinal Andrea Carlo Ferrari, den wir jetzt als Seligen anrufen, helfe auch uns, immer den Willen Gottes zu erfüllen, in dem unsere Heiligung liegt. 4. Dem Guten Hirten folgend hat Louis Zephirin Moreau sein Leben der Aufgabe gewidmet, die Herde zu leiten, die ihm in Saint-Hyacinthe in Kanada anvertraut wurde. Als Priester und dann als Bischof dieser jungen Diözese kannte er die Seinen. Er arbeitete unermüdlich, um ihnen Nahrung zu geben, „damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ {Joh 10,10). In ihm fanden die Gläubigen einen Mann, der ganz Gott hingegeben und auch ein wirklicher Fürsprecher war. Es ist gut, daß die Kirche ihn heute ehrt und ihn als Vorbild für die Seelsorge vor Augen stellt. Der „gute Monsignor Moreau“ verstand es, täglich jedem seine Aufmerksamkeit zu schenken. Er achtete jeden und übte ganz konkrete Liebe zu den Armen, die er bei sich aufgenommen hatte. Gern besuchte er die Pfarreien und Schulen. Er war den Priestern nahe, beriet sie, gab ihnen Anregung in ihrer Tätigkeit, ihrem geistigen Leben und der Vertiefung ihrer Studien, damit sie den Christen eine Katechese im Licht eines verstandenen und gelebten Glaubens bieten könnten. Der Bischof bewies eine scharfe Unterscheidungsgabe, und man konnte sich auf sein klares und mutiges Wort verlassen, sowohl bei der Unterweisung, die allen galt, wie auch in den Antworten, die er für jeden bereit hielt. 1442 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ein verzehrendes Leben für die Herde Christi Bischof Moreau war sich der Erfordernisse einer wachsenden Diözese bewußt. Er verstärkte seine Initiativen hinsichtlich der religiösen und schulischen Erziehung der Jugend, der Krankenbetreuung, der Organisation gegenseitiger Hilfeleistungen, der Errichtung neuer Pfarreien und der Priesterausbildung. Auf all diesen Gebieten setzte er sich mutig ein und überwand geduldig die Hindernisse. Bei der Bewältigung zahlreicher Aufgaben suchte er die Zusammenarbeit mit Ordensgemeinschaften. Da er den ganzen Wert des gottgeweihten Lebens verstand, konnte er in ihrer Armut gewagte Gründungen fördern. Er hat persönlich dazu beigetragen, die geistliche Belebung und Ausrichtung entstehender oder neu in seiner Diözese eingerichteter Ordensgemeinschaften zu vertiefen. Über Saint-Hyacinthe hinaus war Bischof Moreau als beispielhafter Mann der Kirche bekannt. Klar analysierte er die Probleme seiner Zeit. Fest und mild zugleich verteidigte er Grundsätze und wesentliche Werte; er arbeitete für die Einheit der Christen und verstand es, nützliche Vermittlung zu leisten. Als aufmerksamer Gesprächspartner des Heilgen Stuhls blieb er in voller Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri, dessen Weisungen er mit Sorgfalt darlegte. Ungeachtet seiner körperlichen Gebrechlichkeit stellte er in seinem Lebensstil harte Forderungen an sich. Seinen ungeheuren Aufgaben konnte er nur nachkommen mit der Kraft, die er im Gebet schöpfte. Er zeichnete sich selbst, wenn er schreibt: „Die großen Aufgaben, die uns übertragen werden, können wir nur in inniger Verbundenheit mit dem Herrn gut erfüllen.“ Man konnte ihn den Bischof des heiligsten Herzens Jesu nennen: Tag um Tag gab der Hirt sein Leben für seine Schafe, denn er liebte sie mit der verzehrenden Liebe Christi. 5. Und nun betrachten wir den französischen Priester Pierre-Francois Jamet. Er hat dieselbe leidenschaftliche Liebe in den vielfältigen Formen seiner prie-sterlichen Tätigkeit gelebt. Er beeindruckt uns durch seinen Mut und seine Fähigkeit, den Weg eines Mannes von hoher Kultur und zugleich eines treuen Priesters und Dieners der Armen zu gehen. Kaum zum Priester geweiht, wurde er schon zum Beichtvater und Berater der „Töchter vom Guten Hirten“ ernannt. Er nahm alle Risiken auf sich, um dieses Amt auch während der Französischen Revolution weiter auszuüben. Er gab das Beispiel fester Verbundenheit mit der Kirche und ließ die Christen nicht im Stich. Heimlich feierte er die Sakramente; er tat es mit Freude. Er sah deutlich die Bedrohung für den Glauben, doch setzte er sein ganzes Vertrauen in die Gaben Gottes. 1443 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Als geachteter Universitätslehrer übte der Priester Jamet zeitweise ein schweres akademisches Amt aus. Dabei leitete ihn die Sorge um eine ausgewogene Erziehung und eine sowohl intellektuell wie auch moralisch und geistlich anspruchsvolle Formung. In einem Umfeld in dem sich einander widerstreitende Ansichten und Überzeugungen gegenüberstanden, achtete Rektor Jamet die Menschen, stellte aber auch die Weiterentwicklung der Einrichtungen sicher, die in seiner Verantwortung lagen. Verfügbar und mit Hingabe war er ein wahrer Diener der Menschen, soweit immer er seine Aufgabe vor seinem Gewissen erfüllen konnte. Pierre-Frangois Jamet hat nicht für einen einzigen Augenblick seinen Dienst an den Armen aufgegeben. Er spornte die „Schwestern vom Guten Hirten“ an und ermutigte sie, ihre Werke weiter zu entfalten. So wird er zu ihrem „zweiten Gründer“. Wir bewundern seinen unerschrockenen Großmut und seine Sorge, die die schwerbehinderten Mitmenschen nicht ohne Hilfe lassen will. Immer mehr sorgt er sich um die Aufnahme der Geisteskranken. Er liebt sie so sehr, daß er lernt, sie zu pflegen; ja oft hat er sie geheilt. Als Wegbereiter der Taubstummenhilfe schenkt er den Gehörlosen ein Ausdrucksmittel, er läßt sie eine Sprache wiederfinden und gibt ihnen ihre Würde zurück. Wir grüßen in ihm einen Erfinder und Baumeister der Nächstenliebe. In seinem weitgespannten Wirkungsbereich gibt Pierre-Francois Jamet auch Zeugnis dafür, was ein Mensch fertigbringen kann, wenn er von der Gegenwart Gottes erfüllt ist. Er konnte sagen: „Mein Gott, ich gehöre Dir, wie Du mir gehörst.“ Als Guter Hirt geleitete er die Seinen auf den Lebenswegen. Insbesondere führte er die „Töchter des Guten Hirten“ in der Nachfolge des Erlösers und in der innigen Verbundenheit mit der Heiligsten Dreifaltigkeit. Wir erkennen ihn in den Worten, mit denen er auf das Gebet Jesu zurückkommt: „Heiliger Vater, um der Ehre deines Namens willen bewahre die Kinder, die du mir gegeben hast, damit sie immer eins seien.“ 6. Tür zur Heiligkeit war Jesus schließlich für Benedetta Cambiagio, die Gründerin des Instituts der Benediktinerinnen von der Vorsehung. Als starke und unternehmerisch begabte Frau konnte sie auch ihren Mann, Giovanni Battista Frasinello, für ihr Ideal der vollkommenen Hingabe an Christus gewinnen und gründete mit ihm eine Familie, die offen war für die Aufnahme junger Mädchen, welche materielle Hilfe und moralische Führung brauchten. So nahm ein Werk seinen Anfang, das so viel Gutes tun sollte, indem es Mädchen die ohne Versorgung waren, unterstützte und zu guten Christen und großmütigen Müttern heranbildete, die fähig waren, sich selbst, der Gesellschaft und der Kirche alle Ehre zu machen. Die Mühen, die sie ertragen mußte um ein derartiges apostolisches Vorhaben in die Tat umzusetzen, waren stets getragen von einem unerschrocke- 1444 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nen Glauben und verwurzelt in einer tiefen Demut, die sie in ihrer täglichen Betrachtung des Gekreuzigten nährte. Auch in ihrer Einfachheit gründete sie ihr Wirken auf starke theologische Grundlagen: die Eucharistie als Quelle des Mutes, Lichtes und der Beständigkeit; die volle Hingabe an die „liebevolle, göttliche Vorsehung“, alles ausschließlich zu tun aus Liebe zu Gott und um ihm zu gefallen. Hier liegt das Geheimnis der inneren Kraft, die die neue Selige inmitten der größten Schwierigkeiten zeigen konnte: Sie überwand die Feindseligkeiten, die sich gegen sie entzündet hatten deshalb, weil sie sich ganz der Macht Gottes überließ aus der Überzeugung heraus, daß „wenn Gott etwas will, er die geeigneten Mittel nicht fehlen lasse“. Die selige Benedetta Cambiagio-Frasinello steht also vor uns allen als Beispiel lebendigen Glaubens und mutiger Hoffnung, übertragen auf unermüdlichen Einsatz der Liebe, die durch einfachste und bescheidenste Mittel die Herzen erreichen und dort den Entschluß zu einem wahrhaft christlichen Leben wecken kann. Durch das aufopfernde Leben der Seligen wird uns Jesus Christus als der Gute Hirte verdeutlicht 7. Liebe Brüder und Schwestern! Andrea! Louis-Zephirin! Pierre-Francois! Benedetta! Seht: „Auch Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt!“ (i Petr 2,21). Der Gute Hirt kennt seine Schafe, und sie kennen ihn. Heute ruft der gekreuzigte und auferstandene Christus, unser Osterlamm, jeden einzelnen von euch bei seinem Namen. Andrea! Louis-Zephirin! Pierre-Frangois! Benedetta! Bei euch hat sich der Ruf des guten Hirten erfüllt, damit ihr das Leben habt und es in Fülle habt (vgl. Joh 10,10). Wenn die Kirche das Zeugnis eures Lebens hört, jubelt sie in wahrer Osterfreude. „ Agnus redemit oves“ (Das Lamm erlöste die Schafe). Die Kirche betet ihren Erlöser und Bräutigam an. Indem sie sich über eure Erhebung zur Ehre der Altäre freut, verkündet sie die Macht der Liebe dessen, der von Generation zu Generation und über alle Zeitalter hinweg nicht aufhört „Tür“ zu sein. Die Tür zur Heiligkeit, die Tür zum ewigen Leben, die Tür zu den Schafen! 1445 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Ordensfrau ist ein Zeichen der Hoffnung Ansprache an die Generaloberinnen am 14. Mai Liebe Schwestern! 1. Mit großer Genugtuung empfange ich heute so qualifizierte Vertreterinnen des gottgeweihten Lebens. Sie kommen aus zahlreichen Ländern, aus verschiedenen Kulturen und bringen die Sorgen und Hoffnungen ihrer Schwestern und der Völker, unter denen ihre Institute ihr Apostolat ausüben, mit. Die erste Empfindung, die in meinem Herzen aufkommt und im Herzen der Kirche, ist die einer lebendigen Dankbarkeit gegenüber Gott. Das Ordensleben ist in der Tat integrierender Bestandteil der Kirche, der als ganzer dieses Charisma des gottgeweihten Lebens zugute kommt. Durch Sie erreicht die Dankbarkeit der Kirche alle Ihre Gemeinschaften. Mütterliches Einfählungsvermögen ist vonnöten Ihre hauptsächliche Verantwortung als Generaloberinnen läßt Sie im Alltag die mütterliche Funktion geistlicher Leitung so vieler gottgeweihter Seelen ausüben. Das ist die hauptsächliche Aufgabe Ihres Dienstes: Nichts kann Sie in der Ausübung dieser Sendung ersetzen, die Sie einlädt, den Personen gegenüber, die Ihnen anvertraut sind, aufmerksam und voller Zuneigung zu sein. 2. Sie werden sie um so besser erfüllen, als Sie selbst vom Geist der Kindschaft geprägt sind. Sind Sie nicht selbst vor allem Töchter Gottes, die jeden Tag in geistlicher Freude und in vertrauensvoller Uberantworung an die Güte des himmlischen Vaters leben? Sie sind auch Töchter Ihrer Gründer und Gründerinnen und spiegeln in der gegenwärtigen Wirklichkeit die charakteristischen Züge von deren besonderer geistlicher Physiognomie wider. Sie sind die Töchter Ihrer Gemeinschaften, die Sie zum Ordensleben geboren haben und Sie täglich in Ihrer persönlichen Heiligung unterstützen. Sie sind gleichfalls wie Schwestern für unsere Zeitgenossen, deren Leiden und Hoffnungen Sie teilen. Sie möchten mit Ihnen im Lichte der Botschaft des Evangeliums des Weges ziehen. Sie sind näherhin in Rom versammelt, um sich gründlich mit der Frage zu befassen, welche Formen die prophetische Mission des Ordenslebens in der Kirche und in der Welt annehmen muß. 1446 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3. Es scheint mir angebracht, Ihnen einige Überlegungen mitzuteilen, die im Zusammenhang mit dem Thema Ihres Treffens stehen und die Richtlinien betreffen, die das Konzil in Erinnerung gerufen hat und die von meinen Vorgängern verschiedentlich wiederholt worden sind. Das Evangelium muß in jeder Epoche in konkreten Situationen, in den Fährnissen der Völker und Kulturen Fleisch annehmen, wobei es aber die Fallen eventueller einseitiger öder willkürlicher Theorien, denen ein Wachstumsprozeß immer ausgesetzt ist, übersteigen muß. In Ihrer Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse unserer Zeitgenossen sind Sie sich der Übel, an denen die Gesellschaft in Ihren verschiedenen Ländern leidet, voll bewußt: Hier das Elend, der Hunger, die endemischen Bedrohungen der Gesundheit, dort die Arbeitslosigkeit, die Versuchung der Droge, das Leid der Randexistenzen jeglicher Art, der neuen Armen, manchmal eine politische oder wirtschafliche Versklavung, ein Mangel an Freiheit, verschiedenartige Übergriffe auf die Würde der Person. Sie sind zu Recht sensibel für die Dramen, die das Familienleben treffen. Um all das kümmern sich im allgemeinen die Verantwortlichen der bürgerlichen Gesellschaft, und viele Anstrengungen werden unternommen, um hier Abhilfe zu schaffen. Aber es gibt andere Nöte, um die Sie sehr wohl wissen: die moralische Unordnung, der Relativismus, der in die Gewissen eindringt, die religiöse Gleichgültigkeit oder sogar der Unglaube, die sich in gewissen Milieus ausbreiten. : Wenn die Feststellung dieser Übel auch die Reaktion aller Gläubigen herausfordert, so findet sie doch in Ihren Instituten lebendigere, mutigere, verfügbarere Kräfte, um sie anzuklagen, zum Bewußtsein zu bringen und vor allem, um dazu beizutragen, Abhilfe zu schaffen. Die Erforschung dieser Frage, die Sie mit der Hilfe von Fachleuten unternommen haben, hat die Findung der Aktionsweisen und -methoden zum Ziel, die für den Stand des gottgeweihten Lebens, dem Sie angehören, am geeignetsten sind. 4. Es ist in der Tat Ihre Aufgabe, den Sinn, die Würde und die unersetzliche schöpferische Kraft des inneren Lebens schätzen zu lehren und zu verstärken. Die kontemplative Dimension des gottgeweihten Lebens muß in Ihren Familien tätigen Lebens einen Lebensraum finden, um den Horizontalismus eines falsch verstandenen Apostolats zu übersteigen. Wenn die notwendige Solidarität mit dem Nächsten nicht aus einem durch die Gottesliebe beseelten, durch die Sammlung und die Teilnahme am erlösenden Todeskampf Christi genährten kontemplativen Leben kommt, läuft sie Gefahr, unfruchtbar zu bleiben oder den anderen nicht das Heil zu bringen, das sie mit Recht erwarten. Wenn ein Mensch eine vertikale Beziehung zu Gottvoll verwirklicht, wie es der Fall 1447 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ihrer Gründer und Gründerinnen war, dann zeigt sich auch in seinen horizontalen Beziehungen ein neues Verhältnis. 5. Unter diesem Blickwinkel trifft die Ordensfrau die Option für die Armen nicht als die ausschließliche Option für eine Klasse, sondern als eine Bevorzugung im Geiste des Evangeliums, d. h. mit der gleichen Aufmerksamkeit, die Christus für alle Armen hatte, und die eine, Vorzugsliebe ist. Deshalb hebt die Kirche hervor, daß die geistliche Erneuerung immer die Hauptrolle, selbst in der apostolischen Tätigkeit, spielen muß (vgl. Perfectae caritatis, Nr. 2). Erinnern Sie sich daran, was das Dekret Perfectae caritatis sagt: „Darum müssen die Mitglieder aller Institute, da sie.zuerst und einzig Gott suchen, die Kontemplation, durch die sie ihm im Geist und im Herzen anhangen, mit apostolischer Liebe verbinden, die sie dem Erlösungswerk zugesellt und zur Ausbreitung des Reiches Gottes drängt.“ (Nr. 5) Vielgestaltige Probleme bedürfen der unterschiedlichsten Charismen 6. Ihre Präsenz ist ein beredtes Zeichen des Reichtums und der Vielfalt der Charismen, mit denen der Heilige Geist die Kirche beschenkt, wenn er zahlreiche und verschiedenartige Ordensfamilien entstehen läßt, um den vielfältigen Erfordernissen des Gottesvolkes gerecht zu werden. Es gibt kein geistliches oder materielles Bedürfnis, auf das Ihre Gründer oder Sie selbst sich gemäß einer guten Deutung der Zeichen der Zeit nicht ausgerichtet hätten. Halten Sie die Optionen der Gründer fest, lassen Sie sie neu erblühen, festigen Sie sie! In den drängenden gegenwärtigen Notwendigkeiten muß sich Ihr apostolischer Dienst gemäß der Ihrem Institut eigenen Ausrichtung konkretisieren; er kann auch neue Formen annehmen, soweit sie mit dem Gründungscharisma in Fortführung der sichersten und gesündesten Überlieferungen in Übereinstimmung mit den Absichten, für welche die Kirche Ihr Institut bestätigt hat, vereinbar sind. Es wäre ein eher zweideutiger Eifer, wenn Sie das Apostolatsfeld anderer unter dem Vorwand außergewöhnlicher Bedürfnisse einnehmen würden. Man trifft heute manchmal auf ein Vorurteil, nach dem man sich über die Unterschiede, welche die Ordensinstitute konstituieren und voneinander abgrenzen, hinwegsetzen müßte. Jedes Institut muß darauf achten, seine eigene Physiognomie, den besonderen Charakter seines Daseinsgrundes, der eine Anziehung ausgeübt, Berufungen geweckt, spezielle Begabungen hervorgerufen und ein schätzenswertes öffentliches Zeugnis abgelegt hat, zu bewahren. Es ist einfältig und vermessen zu glauben, daß endlich jedes Institut gleich wie alle anderen sein müsse, in dem es eine allgemeine Liebe zu Gott 1448 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und dem Nächsten übt. Wer so dächte, würde einen wesentlichen Aspekt des mystischen Leibes vernachlässigen: die Verschiedenartigkeit seiner Zusammensetzung, die Vielfalt der Entwürfe, in denen sich die Lebendigkeit des ihn beseelenden Geistes offenbart, die transzendente, menschliche und göttliche Vollkommenheit Christi seines Hauptes, die nur entsprechend den unzählbaren Hilfsmitteln der von der Gnade belebten Seele nachgeahmt werden kann (vgl. Perfectae caritatis, Nr. 2b). 7. Was das besondere Thema, das Studienobjekt dieser Tage, angeht, so scheint es mir nützlich, noch die Bedeutung der übernatürlichen Liebe, die das Kennzeichen der Christen ist, hervorzuheben. Die soziale Geschichte der Kirche war immer reich an Realisationen. Die Kirche hat die Kindheit beschützt, die Jugend erzogen; sie hat den Kranken, den Alten, den Flüchtlingen, den Gefangenen beigestanden und die Rechte der am tiefsten gedemütigten Gruppen gegen jede Form der Unterdrückung und Ausbeutung eingeklagt. Durch ein demütiges Leben andere Heil erfahren lassen Aber die Gerechtigkeit, die sie immer gefordert hat, war von der Liebe Christi beseelt. Das Wort ist Fleisch geworden; vor allem, um die Welt der Sünde, die schlimmste aller Ungerechtigkeiten, freizukaufen. Es hat die Kirche vorzüglich gegründet, um die Personen zu retten, indem es ihnen sein Erlöserleiden zugute kommen läßt. In dieser theologischen Sichtweise liegt das Geheimnis eines wahrhaften Prophetismus in der existentiellen Übereinstimmung der Ordensfrau mit dem Zeugnis, das sie ablegt. Sie begnügt sich nicht damit, für sich den Protest gegen die Ungerechtigkeiten und deren Verurteilung zu übernehmen, sondern sie bietet ihr eigenes Leben als eine demütige, stille, von der reinsten und gewiß wirksamen Liebe beseelten Botschaft an. Den Ordensleuten kommt es zu, in der Welt das zu sein, „was die Seele für den Leib ist“, wie der Diognetbrief es von den ersten Christen sagt (vgl. Lumen gentium, Nr.38). Sie müssen inmitten der vergänglichen Dinge wie Pilger bleiben, in der Erwartung der Unvergänglichkeit des Himmels. Ihre Pil-gerschaft ist wie eine stetige Ankündigung des sich verwirklichenden Reiches, weil derjenige, der die Welt besiegt hat, es versprochen hat. Prophetisches Zeichen sein für die neue Welt Gottes So kann die Ordensprofeß eine prophetische Sendung verwirklichen, die selbst in den bis zum Heroismus getriebenen Werken des sozialen Dienstes 1449 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nicht mit einer durch die unweigerlich kurzlebige Gegenwart begrenzten Tätigkeit verglichen werden kann. Die gottgeweihte Person ist ein Zeichen der Hoffnung, das sich über dieser Welt erhebt: der Hoffnung auf eine bessere, geläuterte, erneuerte, für das Licht und die Liebe Gottes durchlässige Welt, wie wir sie in der zukünftigen Welt erwarten, die aber schon von heute an möglich und eröffnet ist. 8. In der Verwirklichung Ihrer apostolischen Sendung haben Sie die Gestalt Mariens zum Vorbild, der wir beim Herannahen des dritten Jahrtausends ein Jahr haben weihen wollen. In Ihrem Lobhymnus auf Gott, dem Magnifikat, findet man den Widerhall der prophetischen Überlieferung des auserwählten Volkes. Dieses Lied spiegelt die innere Welt der Jungfrau von Nazaret; es offenbart nicht nur das Geheimnis ihrer Beziehung zu Gott, die ganz von Vertrauen und kindlicher Erkenntlichkeit geprägt war, sondern gleichfalls ihre Einstellung zur Welt der Menschen, in der die Demütigen, die Armen, die Einfachen erhöht werden. Ich wünsche mit Ihnen, daß all Ihre Schwestern Maria so betrachten können. Mögen Sie in ihr immer tiefer das Vorbild Ihrer Weihe an Gott und gleichzeitig Ihres apostolischen Einsatzes im Dienste Ihrer Brüder entdecken. Indem ich den Heiligen Geist bitte, Ihr Leben zu beseelen, wie er es mit Maria getan hat, erteile ich Ihnen und Ihren Ordensfamilien von ganzem Herzen meinen besonderen Segen. Die Verbundenheit mit der ganzen Kirche vertiefen Ansprache an die Teilnehmer der 6. internationalen Konferenz der Katholischen Charismatischen Erneuerungsbewegung am 15. Mai Liebe Brüder und Schwestern! 1. Im Frieden und in der Freude des Heiligen Geistes heiße ich euch alle willkommen, die ihr zur sechsten internationalen Konferenz der Leiter der Katholischen Charismatischen Erneuerungsbewegung nach Rom gekommen seid. Ich freue mich sehr, euch heute zu begegnen, und ich möchte euch gleich zu Beginn versichern, daß eure Liebe zu Christus und eure Offenheit für den Geist der Wahrheit ein äußerst wertvolles Zeugnis für die Sendung der Kirche in der Welt dar stellen. Während dieser Tage erwägt ihr im Gebet die Worte des Propheten Jesaja, die 1450 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Jesus sich am Beginn seines öffentlichen Dienstes zu eigen machte: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe“ (Lk 4,18). Als Jesus diese Worte in der Synagoge von Nazaret vorlas, hatten sie eine tiefe Wirkung auf die Zuhörer. Als er die Lesung vorgetragen hatte, die Schrift wieder zusammenrollte und sich setzte, „waren die Augen aller in der Synagoge auf ihn gerichtet“ {Lk 4,20). Auch in unserer Zeit rühren diese Worte ans Herz. Sie erheben uns im Glauben zur Person Christi und vertiefen unseren Wunsch, „unsere Augen auf ihn zu heften“, den Erlöser der Welt, die vollkommene Erfüllung aller Prophezeiungen. Sie wecken unser Verlangen, immer vollkommener in das Geheimnis Christi einzudringen, ihn besser zu kennen und mit größerer Treue zu lieben. 2. „Der Geist des Herrn ruht auf mir.“ Während Jesus an jenem Tag in Nazareth diese Worte auf sich selbst anwendete, könnten sie ebenso, Pfingsten und in der Zeit danach, auf den Leib Christi, die Kirche, bezogen werden. „Als das Werk vollendet war, das der Vater dem Sohn auf Erden zu tun aufgetragen hatte (vgl. Joh 17,4), wurde am Pfingsttag der Heilige Geist gesandt, auf daß er die Kirche immerfort heilige und die Gläubigen so durch Christus in einem Geiste Zugang hätten zum Vater“ {Lumen gentium, Nr. 4). Folglich ist die Geschichte der Kirche zugleich die Geschichte zweitausendjährigen Wirkens des Heiligen Geistes. „Der Herr, der Lebensspender“, der das Gottesvolk in Gnade und Freiheit erneuert und der Geist der Wahrheit“ ist, bringt den Menschen jeder Rasse und Zunge und Nation Heiligkeit und Freude. In diesem Jahr besteht die Charismatische Erneuerungsbewegung in der katholischen Kirche zwanzig Jahre. Die Kraft und Fruchtbarkeit der Erneuerung bestätigen gewiß die machtvolle Gegenwart des Heiligen Geistes, der in diesen Jahren nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in der Kirche am Werk ist. Natürlich hat der Heilige Geist die Kirche zu jeder Zeit geleitet und eine große Vielfalt von Gaben bei den Gläubigen hervorgebracht. Durch den Geist behält die Kirche ständig eine jugendliche Vitalität. Und die Charismatische Erneuerung ist eine beredte Offenbarung dieser Vitalität in unserer Zeit, eine deutliche Erklärung dessen, was „der Geist den Gemeinden sagt“ (Offb 2,7) nun, da wir uns dem Ende des zweiten Jahrtausends nähern. Darum ist es wichtig, daß ihr stets bestrebt seid, eure Verbundenheit mit der ganzen Kirche zu vertiefen, mit ihren Hirten und Lehrern, mit ihrer Lehre und Disziplin, mit ihrem sakramentalen Leben und mit dem ganzen Gottesvolk. Im Hinblick darauf habe ich Bischof Paul Cordes gebeten, als bischöflicher Berater das Büro der Internationalen Katholischen Charismatischen Bewegung zu unterstützen und gewährleisten zu helfen, daß eure Dynamik immer 1451 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gut ausgewogen ist; ebenso um das Band eurer Treue zum Apostolischen Stuhl zu stärken. Der Heilige Geist inspiriert Talente und Begabungen 3. „Der Geist des Herrn ruht auf mir.“ Außer der Bedeutung, die diese Worte für Jesus und für die Kirche auf der ganzen Welt haben, erinnern sie uns auch an unsere eigene Identität als Männer und Frauen, die in Christus getauft sind. Denn der Geist des Herrn ruht auf uns, auf jedem von uns, die wir wiedergeboren sind im rettenden Wasser der Taufe. Und der Geist drängt uns, im Glauben voranzugehen, „um den Armen eine gute Nachricht zu bringen“: den materiell Armen, den geistlich Armen, den Armen an Geist und Leib. Der Heilige Geist gibt uns den Mut und die Kraft, hinzugehen zu allen, die in einer besonderen Weise „die Kleinen“ in der Welt sind. Jeder von uns gibt in einer einzigartigen Weise Antwort, entsprechend den eigenen Talenten und Gaben. Aber eine großmütige und echte Antwort werden wir nur dann geben können, wenn wir fest stehen auf dem tragenden Grund eines geordneten Gebetslebens. Und so empfehle ich euch, häufig über diese Worte des Jesaja zu betrachten und das große Geheimnis zu erwägen, wie der Geist Gottes euer Leben überschattet in einer Weise, die der Erfahrung der Jungfrau Maria nicht ganz unähnlich ist. Wenn die Wahrheit in euer Herz und eure Seele eindringt, erfüllt sie euer ganzes Sein mit Dankbarkeit und Lobpreis und mit Staunen über Gottes große Liebe. „Der Geist des Herrn ruht aüf mir.“ Diese Worte sind das Fundament unseres Gebetes, unseres Dienstes an anderen, unseres Glaubenslebens. Sie weisen uns hin auf den unsichtbaren Gott, der in uns wie in einem Tempel wohnt, auf ihn, den wir im Credo bekennen als „Herrn und Lebensspender“, der „gesprochen hat durch die Propheten“. In betendem Nachsinnen über diese Worte begegnen wir dem Heiligen Geist und beten ihn an. Im Gebet erkennen wir auch die mächtige Realität unserer eigenen Armut, das absolute Angewiesensein auf einen Erlöser. Wir entdecken in stärkerem Grad unsere vielgestaltige Armut und Bedürftigkeit, und so empfinden wir eine zunehmende Solidarität mit allen Armen. Schließlich wird es uns mehr denn je klar, daß die gute Nachricht für die Armen auch ebenso die gute Nachricht für uns selbst ist. Maria lebte exemplarisch in christlicher Nachfolge 4. Liebe Freunde in Christus, ihr seid im Monat Mai, im Monat Unserer Lieben Frau, nach Rom gekommen. Ihr kommt gerade vor dem Pfingstfest und 1452 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN dem Beginn des Marianischen Jahres. Und wenn ihr über das Thema „Gute Nachricht für die Armen“ nachdenkt, so betrachtet ihr damit ein Thema, das der Mutter unseres Erlösers teuer war. Wie ich in meiner unlängst veröffentlichten Enzyklika über die heilige Jungfrau Maria im Leben der Kirche sagte, verkündet Maria ja „die Ankunft des Heilsgeheimnisses, das Kommen des .Messias der Armen“ (vgl. Jes 11,4; 61,1). Indem die Kirche aus dem Herzen Marias schöpft, aus ihrem tiefen Glauben, wie er in den Worten des Magnifi-kat zum Ausdruck kommt, wird sich die Kirche immer wieder neu und besser bewußt, daß man die Wahrheit über Gott, der rettet, über Gott, die Quelle jeglicher Gabe, nicht von der Bekundung seiner vorrangigen Liebe für die Armen und Niedrigen trennen kann, wie sie, bereits im Magnifikat besungen, dann in den Worten und Taten Jesu ihren Ausdruck findet“ (Redemptoris Mater, Nr. 37). Möge das heroische Beispiel der Liebe, das die jungfräuliche Mutter unseres Erlösers uns gegeben hat, euch inspirieren. Ihrer Fürsprache und mütterlichen Sorge vertraut euch an! In der Liebe ihres Sohnes, Christi, des Herrn, unseres Erlösers, erteile ich euch allen meinen Apostolischen Segen. Die Eucharistie fordert Umkehr Predigt bei der Eucharistiefeier mit der philippinischen Gemeinde Roms am 17. Mai Jubelt vor dem Herrn ... euch kommt es zu, Gott zu loben (Ps 32,1) 1. Diese Worte des Antwortgesangs drücken unsere gemeinsame geistliche Freude aus, wenn wir uns versammeln, um das eucharistische Opfer unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus zu feiern. In einem solchen Geist des Lobes und Dankes habt ihr euch, liebe Mitglieder der philippinischen Gemeinschaft, um diesen Altar versammelt, um dem Vater unseres Herrn Jesus Christus und unserem eigenen Vater Dank zu sagen für das 25jährige Bestehen des Päpstlichen Philippinischen Kollegs. So bekräftigt ihr die kirchlichen Bande und die geistliche Gemeinschaft, die das geschätzte philippinische Volk mit dem Nachfolger Petri vereint; und ihr anerkennt die Bedeutung des weisen Rates für euer Volk und eure Ortskirche, der die philippinische Hierarchie dazu bewog, in Rom eine Einrichtung für die höhere Ausbildung von Klerikern zu schaffen. 1453 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Frage nach dein rechten Weg bewegt den Menschen immer 2. DieLiturgie dieses fünften Ostersonntags spricht zu uns vor allem vom wunderbaren Geheimnis unserer geistlichen Vereinigung mit Christus, dem Auferstandenen, der — mit den Worten des Konzils — „das Ziel der menschlichen Geschichte (ist), der Punkt, auf den alle Bestrebungen der Geschichte und der Kultur konvergieren, der Mittelpunkt der Menschheit, die Freude aller Herzen und die Erfüllung ihrer Sehnsüchte“ (Gaudium et spes, Nr. 45). Jesus möchte uns nahe bei sich haben: „damit auch ihr dort seid, wo ich bin“ (Joh 14,3). Die Frage des Thomas: „Wie sollen wir den Weg kennen?“ drückt eine spontane Reaktion auf die Darstellung der christlichen Lebens- und Wirklichkeitssicht aus. In der Tat bringt sie die Sorge eines jeden Menschen zum Ausdruck, dem die Verantwortung für das von Gott geschenkte Leben zum Bewußtsein gekommen ist, wenn er mit der Notwendigkeit konfrontiert ist, den Tätigkeiten seines Lebens eine Richtung zu geben. Es ist eine Frage, die die Menschheitsfamilie in irgendeiner Weise durch ihre ganze Geschichte begleitet hat, und die heute die Form einer brennenden Sorge um die wahreZukunft der Zivilisation angenommen hat. „Wie sollen wir den Weg kennen?“ (Joh 14,5). Nicht einen Weg, der sich am Ende als trügerische Illusion herausstellt, weil er etwas versprach, was er nicht geben konnte. Nicht einen Weg, der zu Verzweiflung und Tod führt! Es geht vielmehr um den Weg, der zur Wahrheit und Fülle des Lebens führt! 3. Auf unserer Suche hören wir die machtvollen Worte Jesu als Erwiderung auf Thomas und jeden einzelnen von uns: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Beim Letzten Abendmahl vor seinem Tod offenbart uns Jesus Christus die ganze Bedeutung unseres Daseins. Er offenbart den Weg zum Vater; er lehrt uns die Wahrheit von Gottes Barmherzigkeit und unsere übernatürliche Bestimmung; er bietet uns das Leben an, von dem Johannes sagt: „Das Leben wurde offenbart; wir haben gesehen und bezeugen und verkünden auch das ewige Leben, das beim Vater war und uns offenbart wurde“ (1 Joh 1,2). Ja, Leben! Leben für jeden einzelnen und jedes Volk! Das wahre Leben, das offenbart wurde, ist der Sohn Gottes! Wo Sünde und Tod gesiegt hatten, dort hat das Ostergeheimnis der Erlösung neues Leben gebracht. Jenes neue Leben teilt sich denen mit, die zu ihm kommen (vgl.i Petri,W). Wenn wir auf seine Stimme hören und unser Herz für die Gabe des Heiligen Geistes öffnen, wird er uns das wahre Leben geben. Nach den Worten der zweiten Lesung wird er, „der lebendige Stein“ des „geistigen 1454 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Hauses“ auch uns in „lebendige Steine“ verwandeln (vgl. 1 Petr 2,5). Hier in dieser herrlichen Basilika, die Künstlerhände wunderbar aus Stein gestaltet haben, sind wir heute als die um den Opferaltar versammelte Glaubensgemeinschaft, als lebendige Steine aufgerufen, das wahre geistige Haus zu sein, dessen Eckstein der Herr ist, um Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen“ {1 Petr 2,6). Durch die Eucharistie mehr und mehr Heiligung erlangen 4. Seit dem 8. Dezember letzten Jahres feiert die Kirche auf den Philippinen ein Nationales Eucharistisches Jahr, um des Internationalen Eucharistischen Kongresses zu gedenken, der vor 50 Jahren 1937 in Manila stattfand. Dies ist deshalb eine besondere Zeit geistlichen Wachstums für jeden Filipino, der die Eucharistie zum Brennpunkt seines Reifungsprozesses in Christus machen möchte. Die Eucharistie fordert und hält die Umkehr des Lebens aufrecht, die das Sakrament der Buße ständig im Herzen des Christen erneuert. Die Eucharistie baut und nährt die Glaubens- und Lebensgemeinschaft aller, die das große Geheimnis des ewigen Bundes feiern (vgl. Eucharistisches Hochgebet IV). Die Eucharistie erfüllt die gesamte kirchliche Gemeinschaft mit Lebenskraft und Energie. Sie ist die Nahrung jeglicher Form des Apostolates. Die Eucharistie spricht zu uns vom Priestertum Christi. 5. Die zweite Lesung der heutigen Liturgie ruft uns in passender Weise das königliche Priestertum in Erinnerung, das dem ganzen Gottesvolk eigen ist: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten Gottes verkündet“ (i Petr 2,9). Diese Beschreibung gilt für jede gläubige Gemeinschaft von Getauften. In besonderer Weise bezieht sie sich auf die frühchristliche Gemeinde, von der die Apostelgeschichte erzählt. Und gerade aus der Apostelgeschichte erfahren wir in der ersten Lesung dieser hl. Messe, daß sich in dieser ersten Gemeinde, die sich um die Apostel scharte, sehr schnell eine klare Auffassung von der Verschiedenheit der Aufgaben und Pflichten herausbildete (vgl.Apg 6,3-4) Der Gläubige weiß, daß die Handauflegung das äußere Zeichen einer Berufung und Weihe darstellt, die einen Menschen für ein besonderes Amt bestimmt (vgl. Apg 6,6). Die geweihten Priester sind „nach dem Bilde Christi, des höchsten und ewigen Priesters, zur Verkündigung der Frohbotschaft, zum Hirtendienst an den Gläubigen und zur Feier des Gottesdienstes geweiht“ {Lumen gentium, Nr. 28). Hierin liegt die besondere Bedeutung des Jubiläums, das ihr bei dieser Gelegenheit begehen wolltet: 25 Jahre Einsatz des 1455 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Päpstlichen Philippinischen Kollegs für die Priesterbildung, um Gottes „geistiges Haus“ aufzubauen. 6. Als Söhne und Töchter der Philippinen haltet ihr die Berufung zum Priestertum und Ordensleben in hoher Wertschätzung. Die Anwesenheit so vieler Priester und Ordensleute hier ist ein sichtbares Zeichen für die Lebendigkeit der Kirche in eurem Land. Liebe Priester und Ordensleute, je tiefer die Krise geistiger Werte die heutige Gesellschaft erfaßt, desto heller sollte euer Licht vor den Brüdern und Schwestern leuchten, desto mehr müßt ihr Männer und Frauen des Gebetes werden, desto mehr müßt ihr gewillt sein, Zeugnis für Person, Wirken und Lehre Christi zu geben, und desto mehr müßt ihr persönlich bereit sein, kleiner zu werden, damit er wachsen kann (vgl. Joh 3,30). Die gegenwärtige Stunde gebietet euch, Männer und Frauen Gottes zu sein. Ihr, liebe Laien, Männer und Frauen von den Philippinen, habt eine andere, aber nicht weniger dringende Rolle. Es ist eure Aufgabe, das Evangelium Jesu in die täglichen Angelegenheiten der Familie, der Arbeit und der Gesellschaft hineinzutragen. Genau so wie für die Priester und Ordensleute ist Jesus auch für euch „der Weg und die Wahrheit und das Leben“. Ich bin glücklich, daß so viele von euch heute hierher kommen konnten. Ich bete darum, daß die Freundschaft und Verbundenheit, die aus der Eucharistie fließen, und die Freude, euch gegenseitig zu treffen, euch alle in den Herausforderungen, die das Leben euch stellt, stärken und tragen, besonders wenn ihr weit entfernt von eurem Heim und eurer Familie lebt; sie mögen euch auch stärken und tragen in den Aufgaben, die Christus auf eure Schultern legt. Denn in Europa seid ihr aufgerufen, neue und jugendliche Zeugen gerade jenes Glaubens zu sein, den euer Land vor vielen Menschenältern von Europa empfangen hat. Möge die selige Jungfrau Maria, die geistige Mutter, die die Filipinos so innig lieben) das ganze philippinische Volk unter ihrem Schutzmantel liebender Sorge vereinen. Sie lege für euch alle Fürsprache ein bei ihrem Sohn, unserem Herrn Jesus Christus. Amen. Identität von Klerus und Laien aufrechterhalten Ansprache bei der Vollversammlung der Italienischen Bischofskonferenz am 21. Mai 1. „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (Rom 1,7). Der Gruß, der dem Apostel Paulus teuer war, 1456 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN kommt mir auf die Lippen, wenn ich mich an euch wende, hebe Brüder im Bischofsamt, deren Hirtensorge die Ortskirchen in Italien anvertraut sind. Ich grüße Herrn Kardinal Poletti, den Präsidenten eurer Bischofskonferenz, und den Herrn Sekretär, Msgr. Ruini. Von Herzen grüße ich jeden von euch, froh über diese kollegiale Begegnung, die es mir möglich macht, aufs neue dem Gefühl der tiefen Verbundenheit Ausdruck zu geben, die zwischen uns besteht und die beständig vom Heiligen Geist genährt wird, durch den „Die Liebe Gottes ausgegossen ist in unsere Herzen“ (Röm 5,5). Eure erst kurz zurückliegenden Ad-limina-Besuche waren für mich Augenblicke besonderer Freude, weil sie mir die pastorale Einstellung gezeigt haben, die euch beseelt, die euch eigene Dynamik und die Liebe zur Kirche, die euch auszeichnet. Noch einmal spreche ich euch meinen tiefempfundenen Dank, meine große Achtung und meine Ermutigung aus. 2. Eure Jahresvollversammlung, ehrwürdige Brüder, ist eine kostbare Gelegenheit, gemeinsam den Weg der Kirche in Italien einer Überprüfung zu unterziehen. Bei solchen Anlässen richtet sich unser Blick spontan auf die Vergangenheit, um die freudigen wie die traurigen Ereignisse zu erwägen und daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen im Hinblick auf die Entscheidungen, denen wir uns in der Zukunft werden stellen müssen. Aus den Rechten der Kirchengliedscha.fi erwachsen die Pflichten Die Themen, mit denen wir uns heute beschäftigen könnten, sind also zahlreich. Da aber die Bischofssynode uns in naher Zukunft bevorsteht,, möchte ich auf diese eure Aufmerksamkeit lenken. Das Thema „Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt“ ist überaus reich und anregend, und eure Versammlung hat es nicht versäumt, sich Gedanken zu machen sowohl über die Identität der Laien wie auch über ihr apostolisches Wirken in Italien. Ich ermutige euch, diese Reflektion fortzusetzen mit großem Vertrauen auf die Energien, die, unter dem Wirken des Heiligen Geistes, heute die Laien im Dienst des Evangeliums einsetzen können. Was die Identität der Laien in der Kirche betrifft, hat das Zweite Vatikanische Konzil Dinge von fundamentaler Bedeutung ausgesprochen. Es ist gut, mit erneuter Aufmerksamkeit darauf zurückzukommen, um die ganze Wahrheit, die sie enthalten, daraus zu entnehmen. Die Konzilsdokumente lehren vor allem, den Laien im Zusammenhang einer gesunden ekklesiologischen Sicht zu betrachten. Das grundlegende Kennzeichen, das die Getauften verbindet, ist die Zugehörigkeit zum Gottesvolk, die Gliedschaft am mystischen Leib Christi, die Tatsache, daß sie „Christgläubige“ sind. Als solche haben sie Anteil am ge- 1457 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN meinschaftlichen Sein der Kirche und an ihrem missionarischen Handeln. Die Taufe gestaltet uns ja Christus, dem Priester, dem König und dem Propheten gleich und macht uns daher zu Teilhabern an diesen Vorrechten. Hier ist der tragende Grund, in dem jener Weltcharakter wurzelt, der, nach der Aussage des Konzils (Lumen gentium, Nr. 31) den Laien eigen ist und der die Art und Weise darstellt, nach der sie ihre christliche Berufung und Sendung leben. Aus dieser übernatürlichen „Ontologie“ leitet der Laie seine „Deontologie“ ab, nämlich die ihm eigene Funktion in der Kirche, die sich konkretisiert in einer bestimmten Aufgabe zur, Evangelisierung, zum Aufbau und zur Vervollkommnung im Bereich der zeitlichen Ordnung, gegenüber der Rolle der Hierarchie, welcher der Dienst des Weihepriestertums zusteht kraft ihrer — mit dem Charakter des Priestertums verliehenen — Angleichung an Christus in seiner heiligenden, lehrenden und leitenden Funktion in der kirchlichen Gemeinschaft. Der Laie kann im übrigen auch in persönlicher Form oder in Gemeinschaft zur Mitarbeit bei dem der Hierarchie eigenen Apostolat bestellt werden. Es ist höchst bedeutsam, diese Identität des Klerus und der Laien aufrechtzuhalten nach der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils, das heißt nach der echten christlichen Sicht der Wirklichkeit, die in der kommenden Synode vertieft werden wird. 3. Sehr interessant stellt sich auch hinsichtlich der missionarischen Tätigkeit die Reflektion über die Tätigkeit der Laien in der kirchlichen Situation Italiens dar. Die Geschichte ihres Einsatzes war von großem Einfluß, als im Lauf des 19. und des 20. Jahrhunderts die „Theologie des Laien“ entwickelt wurde. Auf Grund der besonderen Umstände, die die Periode um die Jahrhundertwende kennzeichneten, richteten die katholischen Laien, da sie sich nicht der direkten politischen Tätigkeit widmen konnten, ihre Kräfte auf den sozialen Einsatz. Kaum hatten sie danach die politische Bühne betreten, wurde ihr dortiges Wirken sogleich vom Sturz der Demokratie wieder erstickt. Aber diese Jahre waren nicht unnütz, weil sie den Katholiken gestatteten, dem Element „Bildung“ eine Sonderstellung einzuräumen und darüber nachzudenken, welche sozialen Forderungen sich aus der Treue zur Botschaft des Evangeliums ergeben. Als dann während des Zweiten Weltkriegs und danach die Zeitumstände sie dazu aufriefen, eine bestimmende Rolle im Leben ihres Landes zu spielen, waren sie dank dieser langen Vorbereitung dazu bereit: sie verstanden es, einen wirksamen Beitrag zur Wiederherstellung der Freiheit in Italien zu leisten und der Nation eine Verfassung zu geben, die auf die Worte der Demokratie und der Solidarität gegründet ist. Es gelang ihnen, eine ausgedehnte Periode geordneten zivilen Fortschritts zu gewährleisten, wenn auch 1458 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN unter Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten und trotz sehr ernster Hindernisse, wie das des Terrorismus in all seinen Formen. Diese Sendung wird vom Konzil in der Tat Apostolat genannt, das heißt, Teilnahme am Wirken der Kirche zur Ausbreitung des Gottesreiches auf Erden und zur Vermittlung des Heils an alle Menschen, jenes Heils, das Christus gebracht hat, auf den immer mehr hingeordnet zu werden die ganze Welt erwartet. Die Sendung des Laien entfaltet sich also auf zwei gleich wesentlichen Linien: auf jener der Evangelisierung und der Heiligung durch das persönliche Zeugnis in der Familie, der Berufswelt und der kirchlichen Gemeinschaft, hauptsächlich auf dem Gebiet der nichtpriesterlichen Dienste, ferner auf der Linie der zeitlichen Ordnung, die es entsprechend dem Plan Gottes zu beseelen und zu vervollkommnen gilt. 4. Eine lebendige und verdienstvolle Tradition weiterführend haben sich die katholischen Laien Italiens ebenso auf der einen wie auf der anderen Linie eingesetzt. Die Verbände der Katholischen Aktion, die Gruppen, die die Spiritualität pflegen, die Bewegungen — von jenen mit fester Tradition bis zu denen jüngerer Herkunft — haben das Zeugnis und die Verkündigung zum Grund ihrer Existenz gemacht. Sie suchen nach neuen Formen und Ausdrucksweisen und erproben neue Methoden, die den besonderen Anforderungen der heutigen Welt zweckdienlicher entsprechen. Das veränderte Angesicht der Welt verlangt phantasievolle Initiativen In dieser Perspektive muß die wachsende Beteiligung der Laien an der kate-chetischen Tätigkeit im Rahmen der kirchlichen Gemeinschaft gesehen werden und ihre immer mehr ausgeweitete Präsenz als Religionslehrer in den staatlichen Schulen, um auf diese Weise den kommenden Generationen die Möglichkeit zu geben, den christlichen Glauben in angemessener Weise ken-nenzulemen und eine freie und verantwortliche Entscheidung für das Leben zu treffen. Niemand wird in dieser Hinsicht übersehen können, wie wichtig es ist, daß Schüler und Familien sich dafür entscheiden, vom katholischen Religionsunterricht Gebrauch zu machen, und das auch deshalb, damit sie sich nicht eines unverzichtbaren Schlüssels berauben, der ihnen hilft, die Welt und die Geschichte, mit besonderem Bezug auf die italienische Tradition und Kultur, zu lesen und zu verstehen. Die Wahl, die die Familien im vergangenen Jahr zum Ausdruck gebracht haben, war bezeichnend und tröstlich. Ich habe das Vertrauen, daß diese Linie in den kommenden Jahren bestätigt und gestärkt wird, damit jene, die sich auf dem Weg ihrer schulischen Ausbildung befinden, nie diese günstige Gelegenheit, geistig zu wachsen, entbehren müssen. 1459 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Mit dem Zeugnis und der Verkündigung untrennbar verbunden ist die tätige Bruderliebe des Christen, der sich mitfühlenden Herzens über die Not des Nächsten beugt, um ihm zu Hilfe zu kommen und ihn spüren zu lassen, daß er von Christus und den Brüdern geliebt ist. Das Aufblühen von Initiativen, auch von solchen jüngeren Datums, auf diesem Gebiet gibt Zeugnis für die nicht zu unterdrückende Vitalität der von Christus gebrachten Botschaft der Liebe. Hier ist besonders an die Caritas zu denken und an die lobenswerten Initiativen von kürzlich entstandenen Gruppen, die den sogenannten neuen Formen der Armut entgegentreten wollen. Wie könnte man sodann andere, ältere, aber immer noch lebendige Formen unerwähnt lassen, wie die: „Misericor-dia“ und die Vinzenzkonferenzen, um mich auf nur einige Beispiele zu beschränken. Alle diese Bekundungen tätiger Nächstenliebe werden ein um so echterer Ausdruck der Liebe sein, die in Christus ihren Ursprung hat, je mehr sie ihre Freiheit bewahren und ihre Kraft nur aus der Anregung des Evangeliums schöpfen. 5. Der Einsatz für den Aufbau der zeitlichen Ordnung nach dem Plan Gottes war auch auf sozialem und politischem Gebiet intensiv, obschon nicht immer die erhofften Resultate erreicht wurden, was nicht selten auf menschliche Unzulänglichkeiten zurückzuführen war. Viele Fortschritte wurden, auch dank des Beitrags der Katholiken, in der Formulierung von Gesetzen und in der konkreten Förderung der sozialen und politischen Menschenrechte gemacht. Sehr ernste, unbefriedigende Situationen sind immer noch zu verzeichnen hinsichtlich der jungen Leute, die Arbeit suchen, ferner hinsichtlich der Behinderten, der alten Menschen und derer, die der Gefahr von Drogen, Korruption und Gewalttätigkeit ausgesetzt sind. Außerdem hat die katholische Gesellschaft Italiens in diesen Jahren eine abnehmende Wertschätzung der Unauflöslichkeit der Ehe verzeichnen müssen — in der Gesetzgebung wie auch im Verhalten —, und es hat sich auch in der Öffentlichkeit eine Haltung durchgesetzt, die dem Schutz der primären Ansprüche der legitimen Familie nicht immer günstig ist. Wenn man sodann mit Befriedigung eine wachsende Sensibilität für die Probleme des Friedens, der Menschenrechte und der Lebensqualität zur Kenntnis nehmen kann, muß man aber auch erkennen, daß in Gesetzgebung und Verhalten eine Kultur des Todes sich ausbreitet, die nach der Legalisierung der Abtreibung, die den Beginn des Lebens tödlich trifft, nun auch dahin drängt, den Lebensabend zu bedrohen. Dieser Mentalität ist ebenfalls die Polemik nicht fremd, mit der einige Kreise auf die tiefgründenden ethischen Motivationen antworten wollten, die die Kirche veranlaßt haben, die Menschen zur Wachsamkeit zu mahnen, 1460 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN wo es um das Thema künstliche Eingriffe bei der Weitergabe des menschlichen Lebens geht. Diese negativen Aspekte der heutigen Gesellschaft haben — weit entfernt davon, die Christen zu entmutigen oder sie dazu zu bringen, sich in eine religiöse Innerlichkeit zurückzuziehen, die sich fürchtet, mit offenem Blick sich den Herausforderungen der Gegenwart zu stellen — viele edelmütige Initiativen angeregt zugunsten der Kranken, der Behinderten, der Drogenabhängigen und vor allem zugunsten der Namenlosen, die „keine Stimme“ haben, nämlich der Ungeborenen, die in Gefahr sind, umgebracht zu werden. Ich möchte vor allem an den kulturellen und konkreten Einsatz zur Unterstützung des Lebens erinnern, der unter verschiedenen Bezeichnungen und Formen zu einer heilsamen und, wie ich wünschen möchte, immer entschiedeneren Umkehrung der Tendenz beigetragen hat. 6. In Loreto habe ich von der „alten und bezeichnenden Tradition der sozialen und politischen Einsatzbereitschaft der italienischen Katholiken“ gesprochen. Gern spreche ich hier wiederum davon und bekräftige, daß die Präsenz der Katholiken im öffentlichen Leben eine grundlegende Komponente des kulturellen, sozialen und politischen Lebens der Nation ist. Das Ziel des christlichen Einsatzes ist die Errichtung der zeitlichen Ordnung nach dem Plan Gottes zum wirklichen Wohl des Menschen, d. h. das Gesetz Gottes dem irdischen Leben aufzuprägen, wie das Konzil betont. Niemand wird sich also wundem dürfen, wenn die Katholiken sich in ihren Entscheidungen stets von ihren tiefgründenden Überzeugungen inspirieren lassen, offen für das leitende Wort ihrer Oberhirten. Katholisches Engagement formt das soziale und kulturelle Umfeld 7. Die aktive Präsenz der Katholiken in der bürgerlichen Gesellschaft kommt besonders stark zum Ausdruck in der Belebung der Kulturwelt mit christlichem Geist. Die Katholische Herz-Jesu-Universtität, die von ihr veranstalteten Fortbildungskurse und andere Initiativen, wie die „Wochen der italienischen Katholiken“, denen ihr passenderweise einen neuen Impuls geben wollt, die zahlreichen Verlagshäuser katholischer Prägung und die verschiedenen kulturellen Tätigkeiten einiger Bewegungen sind ebensoviele Formen anregender und fmchtbarer Präsenz. In diese Linie reiht sich auch die Arbeit auf dem Gebiet der sozialen Kommunikationsmittel ein. Hier sind die Möglichkeiten ungeheuer weit gesteckt, und dementsprechend groß ist auch die Verantwortung. Neben der Familie und der Schule prägen sich am meisten die Massenmedien mit ihrer Botschaft dem 1461 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN kindlichen, dem jugendlichen und dem Geist des Erwachsenen ein. Wie sollte man nicht Sorge tragen für die Qualität der über so wirkungsvolle Kanäle übertragenen Botschaften? Und wie sollte man nicht darauf bedacht sein, daraus auch Mittel zur Ausbreitung der Heilsbotschaft Christi zu machen? Wie wichtig es ist, daß der kirchlichen Gemeinschaft Gelegenheit geboten wird, auf dem Weg über die katholische Presse zuverlässig die wirkliche Ansicht ihrer Bischöfe zu erfahren und über die Kriterien für ihre eigenen Werturteile unterrichtet zu werden, um Entscheidungen zu treffen, die sich am Evangelium orientieren, darüber will ich gar nicht erst sprechen. In der Ansprache über die Aktion der katholischen Laien verdient jene Form des Apostolats eine besondere Erwähnung, in der die Zusammenarbeit der organisierten Laien mit dem Apostolat der Hierarchie jenen geschichtlichen Ausdruck gefunden hat, der in Italien von hervortretender Bedeutung geworden ist. Maria hat integrierende Funktion zur Bewahrung kirchlicher Identität 8. Die Gedanken, die ich hier, ehrwürdige Brüder, über die Identität und das Wirken der Laien in der Kirche dargelegt habe, könnten auf andere, nicht minder bedeutsame Aspekte der Pastoraltätigkeit ausgedehnt werden. Die Zeit läßt es nicht zu. Was ich über das Thema der Laien gesagt habe, hat seinen Grund nicht nur darin, daß die Synode näherrückt, sondern auch in dem nun schon nahe bevorstehenden Marianischen Jahr. Wenn alle Gläubigen bei ihrer irdischen Pilgerschaft auf Maria als auf diejenige blicken müssen, die ihnen auf dem Weg des Glaubens vorausgegangen ist und ihnen nun „als Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes“ voranleuchtet {Lumen gentium, Nr. 68), dann können sich in ihr ganz besonders jene wiedererkennen, die berufen sind, in der Welt ihr Zeugnis für Christus abzulegen durch ihren täglichen Einsatz bei der Arbeit, in der Familie, in der Umwelt, in der ihre Berufstätigkeit sich abspielt. Ich möchte meine und eure Hoffnungen im Hinblick auf die Früchte der kommenden Synode und die positiven Auswirkungen, die man von ihr auch bezüglich der Wiederherstellung der christlichen Prägung Italiens erwartet, in die Hände der heiligen Jungfrau legen. Das italienische Volk hegt eine tiefe Liebe zur Muttergottes und fühlte stets ihre besondere Nähe im eigenen Leben. Es hat sich ihr immer mit vollem Vertrauen überlassen. Ich bin sicher, daß das Marianische Jahr in allen Diözesen Italiens mit großer Innigkeit gefeiert wird, und vertraue darauf, daß die Jungfrau Maria über uns und alle Priester und Gläubigen ihre überreiche Gunst ausgießen wird. Ein anderer Grund zur Hoffnung in der Vorausschau auf ein erneuertes christ- 1462 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN liches Leben ergibt sich aus dem nationalen Eucharistischen Kongreß, der im Juni des nächsten Jahres in Regio Calabria stattfinden wird. Er wird eine kostbare Gelegenheit sein, erneut die zentrale Stellung hervorzuheben, die die Eucharistie im Leben der Kirche einnimmt. Maria selbst wird uns bei der Vorbereitung dieses außergewöhnlichen Ereignisses zur Seite sein. Auf Maria, die Mutter Christi und Mutter der Kirche, blicken wir also mit kindlicher Hingabe. Auf ihre Hilfe zählend fahren wir fort in unseren täglichen Mühen im Dienst an denen, die — nah und fern — unserer Hirtensorge anvertraut sind. Wir wissen, daß es uns aufgegeben ist, zu pflanzen und zu bewässern, nicht aber, das Pflänzchen bis zum vollen Reifen der Frucht zu bringen; diese Aufgabe hat Gott sich selbst Vorbehalten (vgl. 1 Kor 3,6). Wenn wir aber für die Ausbreitung des Evangeliums getan haben, was in unserer Macht lag, können wir ruhigen Herzens sein: Für das übrige wird Gott sorgen. In seinem Namen erteile ich von Herzen jedem von euch und euren Ortskirchen den Apostolischen Segen. Die Liturgie muß lebendig bleiben Ansprache an die Mitglieder der Vollversammlung der Kongregation für den Gottesdienst am 22. Mai Meine Herren Kardinäle, liebe Brüder im Bischofsamt, liebe Freunde der Kongregation für den Gottesdienst! 1. Ich freue mich, Sie anläßlich Ihrer Vollversammlung zu empfangen. Die Berichte, die Ihnen vorgelegt worden sind, zeigen, daß die Arbeit dieses Dika-steriums seit der letzten Vollversammlung im Oktober 1985 sehr intensiv war. Einige dieser Arbeiten sind zum Abschluß gekommen, während andere fortgeführt werden. Ich möchte nur die neue „Editio typica“ des Ritus der Trauung des Weiheritus, die Erstellung eines vollständigen Corpus des Rituale Romanum nennen, die in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Konzilskonstitution Sacro-sanctum Concilium die Beendigung der Revision des Rituals von 1614 bezeichnen wird. Ich denke auch an das Martyrologium Romanum, das es mit der gebührenden Sorge um die historische Wahrheit zu überarbeiten galt, die, weit davon entfernt, die Verehrung der Heiligen zu schwächen, dazu beiträgt, sie im christlichen Volk zu vermehren. Ich verweise noch auf die Vorberei- 1463 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN tung eines biblischen ud patristischen Supplementbandes für die Liturgie des Stundengebetes. Schließlich freue ich mich, daß die Veröffentlichung einer Sammlung von Messen zu Ehren der allerseligsten Jungfrau Maria dem Marianischen Jahr um einige Monate vorausgegangen ist. 2. Neben den liturgischen Texten gibt es das weitere und genauso wichtige Problem der Anpassung der Liturgie. Gemäß den Anweisungen des Konzils muß die Liturgie lebendig bleiben, ohne sich deshalb nach der Phantasie eines jeden ummodeln zu lassen. Das ist der Gegenstand der Richtlinien, die Ihre Kongregation für die Inkulturation der Liturgie in die Denkweisen und Überlieferungen der Völker vorbereitet hat, und außerdem für die Anpassung der für die Jugend bestimmten liturgischen Feiern. Ja, es gilt eine aktive, zu Recht vom Konzil verlangte aktive Teilnahme zu erstreben; selbstverständlich handelt es sich nicht darum, nur nach einer Art äußerer Bestätigung zu achten, noch nach einem Ausdruck rein sinnenhafter Ordnung, sondern darum, innerlich am Geheimnis Christi teilzunehmen, der uns ruft, ihm in seinem vollkommenen Gehorsam gegenüber dem Vater und in der Hingabe seiner selbst um unseres und der Welt Heiles willen zu folgen. Im Lauf dieser Versammlung haben Sie hauptsächlich die Fragen geprüft, die die Feier des Sonntags dort, wo der Priester nicht anwesend sein kann, die Karwoche und die künstlerischen Veranstaltungen an Orten des Gottesdienstes betreffen. Die Existenz einer priesterlosen Gemeinde bedeutet einen Notstand 3. Wie kann man den Tag des Herrn in einer priesterlosen christlichen Gemeinschaft feiern? Diese Situation ist seit langem in Missionsländern häufig. Mehrere Länder der alten Christenheit kennen jetzt diese Situation aufgrund des Rückgangs der Priesterzahl. Man darf sich mit dieser Abwesenheit niemals abfinden, denn die Gegenwart eines Priesters ist notwendig für die Erhaltung und Entwicklung der örtlichen christlichen Gemeinschaften. Die Weckung von Berufungen in diesen Gemeinschaften muß eine vorrangige Sorge bleiben. Man muß die Lage dennoch zu meistern suchen und so gut wie möglich für das geistliche Wohl der Gläubigen sorgen. Nun ist einer der wesentlichen Bezugspunkte der Christen, wo sie gemeinsam Licht und Kraft schöpfen, seit den Ursprüngen die sonntägliche Zusammenkunft, die Versammlung der Gläubigen am selben Ort, um den auferstandenen Herrn zu feiern. Das ist voll und ganz nur in der Feier des eucharistischen Opfers möglich, die das Gedächtnis des Todes und der Auferstehung Christi im 1464 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Lobpreis, Danksagung und Bitte ist. Die Gläubigen, die, weil ein Priester fehlt, nicht an einer Pfarrmesse teilnehmen können, müssen sich dennoch versammeln können im Lob- und Bittgebet, im Hören des Gotteswortes und womöglich zum Empfang des bei einer vorhergehenden Messe verwandelten eucharistischen Brotes. Diese Weise der Feier ersetzt nicht die Messe, sondern sie muß das Verlangen nach ihr vermehren. Das ist für eine kleine Gemeinschaft von Gläubigen ein Mittel, wenngleich gewiß ein unvollkommenes, ihren Zusammenhalt und ihre Lebendigkeit zu bewahren, ihre Verbindung mit der gesamten Kirche, die Gott zu versammeln nicht aufhört und die ihm von Anfang bis zum Untergang überall auf der Welt ein reines Opfer darbringt (vgl. Eucharistisches Hochgebet III), von Sonntag zu Sonntag aufrechtzuerhalten. 4. Ein anderer Gegenstand hat Ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen: die Karwoche. Es sind nun mehr als dreißig Jahre her, daß zuerst die Osternacht, dann das Gesamt der Karwoche in der römischen Kirche erneuert wurden, und diese Neuordnung wurde damals mit Begeisterung aufgenommen. Heute ist es gut, Bilanz zu ziehen, möglicherweise den Rückgang des Interesses oder der Beteiligung in gewissen Gegenden, die Schwierigkeiten, die bleiben oder die sich in gewissen Punkten ergeben haben, zu erwägen und an die Bedeutung der großen Woche, in der die ganze Kirche das Paschamysterium feiert, zu erinnern. „ Was der Sonntag für die Woche bedeutet, ist Ostern für das ganze Jahr“, nämlich Höhepunkt (Grundordnung des Kirchenjahres und des neuen römischen Generalkalenders, Nr. 18). Indem die Kirche dem Heiland von seinem messianischen Einzug in Jerusalem am Palmsonntag bis zu seiner Abnahme vom Kreuz am Karfreitagabend folgt, geht sie auf die heilige Nacht zu, in der der Herr auferstanden ist und die als „Mutter aller Vigilien“ zu betrachten ist (ebd., Nr. 21). Das heißt, während der ganzen Fastenzeit ist eine Vorbereitung nötig: gemeinsames Gebet, Hören des Wortes Gottes und Übung der Buße. Das fordert insbesondere von den Seelsorgern ein wachsames Bemühen, um die Herzen für die Begegnung mit Christus, dem Heiland, durch eine geeignete Katechese, vor allem durch die Sonntagspredigten zu bereiten, um angebrachte Zeiten für die Einzelbeichte und gemeinsame Bußfeiern mit Bekenntnis und Absolution des einzelnen anzubieten, um auch andere würdige und zum Gebet einstimmende Feiern vorzubereiten. 5. Sie haben schließlich die Frage bezüglich Konzerten und anderen künstlerischen Veranstaltungen an den Orten des Gottesdienstes prüfen müssen. Es ist gewiß, daß unsere Kirchen seit sehr langer Zeit eine wichtige Rolle im kul- 1465 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN turellen Leben der Städte und Dörfer gespielt haben: Ist die Kirche nicht das Haus des Gottesvolkes? Hat es nicht in der Kirche die ersten ästhetischen Gefühle empfunden, angesichts der Schönheit des Gebäudes, seiner Mosaiken, seiner Bilder und Statuen, seiner heiligen Geräte, beim Hören der Orgelmusik und des Chorgesangs, während der liturgischen Feiern, die es über sich selbst hinausheben und es ins Innere des Mysteriums führen? Denn gerade das ist der vorrangige Charakter der Kirche: Sie ist das Haus Gottes; sie ist durch die Weihe oder die feierliche Segnung, die sie Gott geweiht und überantwortet haben, ein heiliger Ort. Die Kirche ist der Ort, wo der Herr inmitten seines Volkes wohnt und wo das Volk sich zu Anbetung und Gebet versammelt. Deshalb muß alles getan werden, um den sakralen Charakter der Kirche zu wahren. Außerhalb der liturgischen Feiern kann es hier Raum geben für religiöse Musik in Form von Konzerten. Das kann eine Gelegenheit sein, die man auch Christen, die nicht mehr praktizieren, oder selbst Nichtchristen, die Gott suchen, anbieten kann, um zu einer wahren religiösen Erfahrung, über bloß ästhetisches Gefühl hinaus, zu gelangen. Die Anwesenheit des Geistlichen ist in diesem Fall wünschenswert, um in angebrachter Weise in die Veranstaltung einzuführen und um über die Ehrfurcht vor dem heiligen Ort zu wachen. Auf diese Weise wird die Kirche selbst durch künstlerische Veranstaltung ohne Verbindung mit der Liturgie der Ort bleiben, wo man Gegenwart des lebendigen Gottes, der der Quell aller Schönheit ist, entdecken kann. Das sind, liebe Brüder und Sie alle, die Sie gelegentlich oder täglich an der Arbeit der Kongregation für den Gottesdienst teilnehmen, einige Gedanken, die mir Ihre Arbeit nahelegt. Ich danke Ihnen, daß Sie an einer auserlesenen Stelle und in Zusammenarbeit mit dem Nachfolger Petri dazu beitragen, die Liturgie in der Gesamtkirche und damit auch die Qualität des Gebetes und das auf Gott ausgerichtete Leben des Gottesvolkes zu fordern. Ich ermutige Sie, ihre Sendung mit der theologischen Tiefe, dem Gespür für die Kirche und der Weisheit, die nötig sind, fortzuführen, und ich segne Sie von ganzem Herzen. 1466 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Aufgaben von Priestern und Laien ergänzen sich Ansprache an den Päpstlichen Rat für die Laien am 23. Mai Liebe Brüder im Bischofsamt! Liebe Freunde! 1. Durch die Worte von Kardinal Eduardo Pironio, Präsident des Päpstlichen Rates für die Laien, habt ihr mir eure Dankbarkeit für diese Audienz zum Ausdruck bringen wollen. Ich selbst habe diese Begegnung mit euch gewünscht, da ihr bereit wart, an dieser weltweiten Beratung, organisiert vom Päpstlichen Rat für die Laien, teilzunehmen, weil die Bischofssynode mit dem Thema: „Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt, 20 Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil“ nahe bevorsteht. Ich möchte euch danken, daß ihr aus zahlreichen Ländern und aus allen Kontinenten hierhergekommen seid, um für die Vorbereitung eines so wichtigen Ereignisses einen qualifizierten Beitrag zu leisten. Ich weiß, daß ihr Zeugen und Künder sehr verschiedener Erfahrungen seid, was die Teilhabe der christlichen Laien an der Gemeinschaft in der Kirche und an ihrer Sendung betrifft. Es gibt unter euch Vertreter von Verbänden, die eine katholische Präsenz im internationalen Leben sicherstellen und das überraschende Aufblühen der Charismen und der missionarischen Lebenskraft kirchlicher Bewegungen sichtbar machen. Ich sehe unter euch ferner Mitglieder nationaler Laienräte, von Pastoralräten und anderen Strukturen der Kollegialität und Mitverantwortung im seelsorglichen Leben der Kirche. Zahlreich sind unter euch jene vertreten, die bestimmte Aufgaben übernommen haben und hoch zu schätzende Dienste leisten, was das Engagement in der Gemeinde, die Liturgie, die katechetische Ausbildung und die Caritasarbeit betrifft. In bestimmten Fällen hat euch die Kirche dafür eine feste Sendung anvertraut, d. h. euch ein Dienstamt übertragen, das aber nicht durch Weihe vermittelt wird. Als Christen gebt ihr weiter ein Zeugnis des Glaubens und aktiver Liebe im Ehe- und Familienleben in eurem Milieu, in der Arbeitswelt, im politischen Leben, im künstlerischen und kulturellen Schaffen, in der wissenschaftlichen Forschung und auf sozial-ökonomischen Gebiet ebenso wie auf dem wichtigen Gebiet der internationalen Beziehungen. Im letzteren Fall kommt ihr oft im Kreise von Bewegungen zusammen, die euch ein gemeinsames Überleben und ein konzentriertes Handeln zur Verbesserung der Gesinnung der Menschen ermöglichen und zur Errichtung von Strukturen, die von diesen Menschen entwickelt werden. Diese ist die Berufung und Sendung, die das Konzil den christlichen Laien zuerkannt hat und die ihr voll auszufüllen und konkret zu verwirklichen trachtet. 1467 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ich möchte euch dazu zwei Aspekte nennen, die die Synode sicher entfalten wird. Eure Beteiligung am Leben, Zeugnis und Wirken der Kirche bedeutet echte Verantwortung, die dann auch einen Einsatz erfordert, mit dem die Kirche rechnet. Ich beglückwünsche euch, daß ihr dies begriffen habt, und ich ermuntere euch, weiter solche Verantwortung zu übernehmen in einer Zeit, da allzu viele Menschen in eurer Umgebung sich passiv verhalten oder gemeinsame Erfahrungen der Freude und des Trostes suchen — alle berechtigt und gut — doch dabei vielleicht das notwendige Engagement aus den Augen verlierend. Im übrigen sind alle, jung und alt, Männer und Frauen, aufgerufen, Verantwortung zu übernehmen und sich darauf durch eine entsprechende Ausbildung vorzubereiten. 2. Ich habe bereits einen güten Überblick über eure Erfahrungen christlichen Lebens bekommen, als ich euch zugehört und mit euch gesprochen habe. Das gleiche gilt für die Kardinäle und Bischöfe, die Mitglieder des Rates des Sekretariates der Synode sind und — mit dem Generalsekretär Msgr. Jan Schotte und seinen Mitarbeitern — den ganzen ersten Tag an euren Arbeiten in Rocca di Papa teilgenommen haben. Mit ihnen konntet ihr eure Erfahrungen, Sorgen, Initiativen und Hoffnungen für die kommende Synode austauschen. Ihre Anwesenheit bei dieser Audienz spricht für sich; ich danke ihnen für ihr Kommen. Die Mitglieder des Päpstlichen Rates für die Laien, die zu ihrer Vollversammlung zusammengekommen sind, haben sich euch ebenfalls angeschlossen. Diese Dynamik des Hinhörens und des Dialogs, des Teilens und der Unterscheidung, des Gebets und des Gedankenaustausches — man spricht hier mit Recht von „Konsultation“ — ist wie ein Spiegel, der breite Bewegung der Beteiligung und Konsultation widerspiegelt und sammelt, die es in unzähligen und unterschiedlichen Verzweigungen Millionen von Katholiken in der Welt gestattet hat, auf unterschiedliche Weise zur Vorbereitung der Synode ihren Beitrag zu leisten. Ihr alle, die ihr in diesen Tagen hier versammelt seid, bildet nur den sichtbaren Teil des Eisbergs, dessen eindrucksvolle Masse — dem oberflächlichen Blick verborgen — von einer Fülle von Strömungen gebildet wird und zahlreiche Beiträge von Pfarr- und Diözesangemeinschaften einschließt, von Pastoralräten und Ordensgemeinschaften, von Bewegungen und Verbänden — ohne das Zeugnis all jener Menschen einzubeziehen, die sich persönlich einsetzen, und den Beitrag der verschiedensten Zusammenkünfte auf örtlicher nationaler, kontinentaler und internationaler Ebene. 1468 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Standortbestimmung von Klerus und Laien in der Communio-Ekklesiologie 3. Liebe Freunde, im Dezember 1985 konnte ich am Ende der außerordentlichen Synode, die das Ende des II. Vatikanischen Konzils vor 20 Jahren in Erinnerung rief, unter erneuter Betonung der Bedeutung der Institution „Synode“ sagen, daß die kommenden Versammlungen nur in dem Maße überreiche Früchte bringen werden wie sie entsprechend vorbereitet sind durch Beteiligung und entsprechende Information aller christlichen Gemeinschaften. Ich sagte den Vätern der Außerordentlichen Synode damals: „So kann sich eine Lebensbewegung entwickeln, die der Katholizität und der Einheit der Geister und Herzen dienen wird“ (Schlußansprache, 7. Dezember 1985, Nr. 8). Die Communio-Ekklesiologie, die einen fundamentalen Platz in der Theologie der Konzilsväter einnahm, wird Wirklichkeit durch diese Bewegung: alle Glieder der Kirche — Priester, Ordensleute und Laien — sind, um ihre Hirten geschart, dazu aufgerufen, am vielgestaltigen Reichtum der Dienstämter und Charismen in der Einheit der Sendung teilzuhaben. Ich habe von Priestern und Laien gesprochen. Allzuoft stellt man ihre jeweiligen Aufgaben einander gegenüber, ohne richtig zu sehen, wie sie sich in Wirklichkeit ergänzen, oder man spricht auch von Ersatz. Wichtig ist — und ich hoffe, daß die Synode das deutlich zum Ausdruck bringen wird —, den einheitlichen Zusammenhang der sakramentalen Struktur der Kirche als Leib Christi zu beachten, in der der priesterliche Dienst Gegenwart und Handeln Christi, des Hauptes, darstellt und Wirklichkeit werden läßt. 4. Teilhabe in Gemeinschaft ist um so dringender und wichtiger, als das Thema der kommenden Synode den größten Teil des Volkes Gottes angeht. Aus diesem Grund ist es angebracht, daran zu erinnern, daß bereits in der Einleitung zu den Lineamenta— dem Dokument, das die Vorbereitung der Synode in Gang brachte — die Tatsache betont wird, daß „die Eigenart des gewählten Themas selbst, zumal im Hinblick auf Aspekte der Lebenserfahrung, eine Konsultation der Laien selber auf breiter Basis schon in der vorbereitenden Phase der Synode in den Ortskirchen nötig macht, und zwar nicht nur deswegen, weil die Laien von dem Thema am direktesten betroffen sind, sondern mehr noch wegen des Charismas, das die Laien vom Hl. Geist für die Ausübung ihres eigenen Apostolates empfangen. Eine rechtzeitige und intelligent durchgeführte, möglichst umfangreiche Konsultation der Laien — fahren die Lineamenta fort — wird eine unschätzbare Hilfe bedeuten, daß die Kirche, und zumal die Hirten, die sie leiten und anleiten, besser das tatsächliche Bewußtsein erkennen, das die Laien heute, 20 Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil, von Eingliederung und Teilhabe an Leben und Sendung der Kirche in 1469 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Welt und Geschichte besitzen“. Ich selbst habe zu dieser Konsultation bei verschiedenen Gelegenheiten ermutigt — zumal bei einer Vollversammmlung eures Päpstlichen Rates —, besonders, was die „Lebensenergien der Laien“ angeht, vor allem die der „Verbände und Bewegungen“. Bis jetzt sind die Vorbereitungen für die Synode sehr gut verlaufen und haben einen großen Verantwortungssinn bei den Gläubigen, fruchtbare Zusammenarbeit zwischen ihnen und ihren Hirten gezeigt ebenso wie eine einmalige Fülle von Anregungen, von denen viele das Sekretariat der Synode erreicht haben und sofort sorgfältig für die Abfassung des Instrumentum laboris ausgewertet wurden. Die Veröffentlichung des Instrumentum laboris, meine Sonntagskatechesen über Themen, die mit der Synode Zusammenhängen, und eure derzeitige Tagung sind klare Anzeigen für die Bereitschaft, die Synode weiter gemeinsam bis zum Vorabend der Versammlung vorzubereiten. 5. Innerhalb dieses inspirierenden Rahmens muß die Synode natürlich als ein unschätzbares Mittel der Kollegialität der Bischöfe, als deren Zeichen und Verwirklichung, angesehen werden. Das gehört zu ihrem Wesen, ihrer Zusammensetzung und Aufgabe. Die Synode ist im wesentlichen ein Ort der Teilhabe für die zu Synodenvätern ernannten Bischöfe. Und obwohl ich bereits meinen Wunsch ausgespochen habe, eine ansehnliche Zahl von Laien zur Teilnahme an der Synode einzuladen, kann ihre Zahl nicht objektiv bestimmte Grenzen überschreiten, ohne Gefahr zu laufen, die Synode selbst zu ändern. Jedenfalls hat dies die Gewährleistung der Teilnahme von Laien an der kirchlichen Gemeinschaft nicht geschwächt. Im Gegenteil: auf dem synodalen Weg der Kirche wird dies in der Zeit nach dem Konzil mit wachsender Intensität Wirklichkeit — auf verschiedenen Gebieten, in der Freiheit und Kreativität einer mitbeteiligten Gliedschaft, durch unterschiedliche Beiträge, die eine christliche Präsenz inmitten aller Kulturen und Nationen widerspiegeln durch eine tiefe Liebe zum Leben der Kirche und im Dienst an der Menschheit. Ich danke daher erneut für eure Präsenz und euren Beitrag — der gewiß den Synodenvätem zur Kenntnis gebracht wird — als Zeichen jener „lebendigen Bewegung“, die heute bei der Vorbereitung auf die kommende Synode die ganze Kirche, alle Ortskirchen sowie die internationalen Verbände und Bewegungen durchdringt. Dies ist die notwendige und vielversprechende Einleitung für ihre Durchführung und die überreichen Früchte, die die Synode, wie wir hoffen, erbringen wird für ein bewußtes Wachsen des ganzen Volkes Gottes im Geheimnis der Gemeinschaft, die Christi Leib ist, und in ihrer Sendung zum Heil und zur vollen Befreiung aller Menschen. 1470 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Möge Maria, die demütige Frau aus dem Volk Israel und Christi erste Jüngerin in eurer Arbeit und in der aller Laien bei euch sein, wenn ihr eine Synode vorbereitet, die im Licht und in der Inspiration des Marianischen Jahres gefeiert werden soll, das am erhabenen Pfingstfest seinen Anfang nimmt. Euch allen erteile ich meinen Apostolischen Segen. Wahrer Humanismus nur hei Einbeziehung der geistigen und ethischen Realität des Menschen Schreiben an den Rektor der UN-Universität in Tokio, Dr. Soedjatmoko, und den Präsidenten der Sophia-Universität in Tokio, Prof. Masao Tsuchida, S. J. vom 25. Mai Ich möchte meine herzlichen Grüße und guten Wünsche übermitteln anläßlich des internationalen Seminars „Wissenschaft, Technologie und geistige Werte: ein asiatischer Weg zur Modernisierung“. Dieses Seminar ist von Ihren Institutionen organisiert worden und findet vom 25. bis 29. Mai in Tokio statt. Dies ist für all diejenigen ein Ereignis von großer Bedeutung, die sich um eine Entwicklung bemühen, die der Menschheit wirklich zugute kommt, indem sie sich für ethische und geistige Werte ebenso einsetzen wie für den wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Fortschritt. Gemeinsam mit der gesamten Menschheitsfamilie, jedoch in einer Weise, die ihre besondere Geschichte und Kultur widerspiegelt, sehen sich die Völker Asiens vielen Herausforderungen gegenüber, die von den schnellen Veränderungen technischer und wissenschaftlicher Art verursacht werden. Vor dieser bedeutsamen Fragestellung gibt Ihr Seminar Zeugnis vom transzendenten Wert des Menschen und von seinem Bedürfnis nach einer ganzheitlichen Entwicklung, die geistigem und kulturellem Streben ebenso entspricht wie auch den materiellen Belangen. Wenn das reiche asiatische Erbe des Respektes vor dieser transzendenten Dimension mit der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung verbunden wird, dann wird Asien ein so sehr notwendiges Beispiel in einer Welt sein, die oft dem Materialismus, dem Konsumdenken und der Vergnügungssucht verfallt. Die Christen waren immer der Ansicht, daß wahrer Humanismus nur bestehen kann, wenn man die geistige und ethische Realität des Menschen mit einbezieht. Dies ist auch Überzeugung großer Philosophien und Religionen der Welt. Auf der Basis dieser gemeinsamen Überzeugung ist die interreligiöse Zusammenarbeit nicht nur möglich, sondern wünschenswert, wie ich bereits 1471 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN anläßlich des Weltgebetstreffens am 27. Oktober 1986 in Assisi darzustellen suchte, bei dem Vertreter vieler religiöser Traditionen anwesend waren. Die Teilnahme der „World Conference on Religion and Peace“ an Ihrem Seminar ist gleichermaßen ein Zeichen dieser interreligiösen und interkulturellen Zusammenarbeit. Da Ihr Seminar kurz vor dem zehnten Jahrestag des von den Vereinten Nationen ausgerufenen Weltjahrzehnts der kulturellen Entwicklung stattfindet, ist es ein wichtiger Beitrag — aus einer asiatischen Perspektive — zu einem besseren Verständnis des wirtschaftlichen, kulturellen und geistigen Fortschritts. Der Hl. Stuhl nimmt gerne an dieser Arbeit teil durch die aktive Mitarbeit des Päpstlichen Rates für die Kultur, vertreten durch seinen Vorsitzenden und seinen Sekretär. Möge der allmächtige Gott allen, die an dieser wertvollen Initiative teilnehmen, seinen Segen in reichem Maße gewähren. Die Liebe ist Fundament des sozialen Einsatzes der Kirche Ansprache an die 13. Generalversammlung von Caritas Internationalis am 26. Mai Herr Kardinal, liebe Mitbrüder im Bischofsamt und Delegierte der nationalen Caritasverbände! 1. Mein Willkommensgruß gilt euch, den Teilnehmern an der 13. Generalversammlung von Caritas Internationalis. Ich begrüße jeden einzelnen von euch und jede einzelne eurer Nationalorganisationen, und durch eure Vermittlung möchte ich meine Grüße und meine Ermutigung allen Mitgliedern der nationalen Caritasverbände zukommen lassen. Ihr habt Sinn für die Kirche und teilt ihre Sorgen, was vor allem das Thema der gegenwärtigen Generalversammlung beweist: „Laßt uns Gemeinschaften der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe aufbauen, um den Frieden zu bauen“. Kein Christ kann dem ernsten Problem des Friedens, auf das ich jedes Jahr mit einer besonderen Botschaft zum Weltfriedenstag die Aufmerksamkeit der Welt lenke, gleichgültig gegenüberstehen. Manche Katholiken widmen sich ganz besonders diesem großen Werk: Unterstützt ihre Bemühungen, ermutigt sie und ihre Organisationen, und zwar vor allem in euren Ländern und euren Diözesen, denn echter Friede kann nur auf die Nächstenliebe gegründet sein. Ihr sorgt euch — in gewissem Sinn aufgrund einer besonderen 1472 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Berufung — um die in Armut und Elend Lebenden und entdeckt gleichzeitig, daß viel Leid auf Ungerechtigkeit zurückzuführen ist, welche auch dem sozialen Frieden schadet. Mit der Aufdeckung von Ungerechtigkeiten, Folterungen und Erpressungen vereint ihr eure Bemühungen mit denen jener Christen, die sich in vielen Fällen zu Vereinigungen zusammengeschlossen haben, um sich voll und ganz für dieses Anliegen einsetzen zu können. Ja, die Nächstenliebe paßt in den Rahmen des sozialen Engagements der Kirche, und eure Organisation nimmt einen sehr wichtigen Platz unter den vom Evangelium inspirierten Werken ein. Das Thema eurer Generalversammlung ist durchaus aktuell und bringt klar euren Willen zum Ausdruck, an eurem spezifischen Platz mit der Pastoral eurer Kirchen zusammenzuarbeiten, um durch größere Gerechtigkeit und Nächstenliebe den Frieden zu fordern. 2. Unter allen, die an dieser Pastoral mitarbeiten — und insbesondere unter den Mitarbeitern an der sozialen Pastoral einer Diözese oder eines Landes — habt ihr euer „Charisma“, das einer „aktiven Liebe“, die sich dem Hilfsdienst, der Förderung des Menschen und der ganzheitlichen Entwicklung der Verlassensten widmet, selbstverständlich ohne je die Nächstenliebe von der sozialen Gerechtigkeit zu trennen. „Jagt der Liebe nach!“ (i Kor 14,1), ermahnte uns diesbezüglich der hl. Paulus. Niemand hat das Monopol dieser Tugend, doch möge sie euch in Wahrheit ebenso inspirieren wie die Priester, die Ordensleute, die Organisationen und alle, die diese Aktivitäten koordinieren, „unter der Leitung der Bischöfe, damit so die Einheit der Diözese in Erscheinung trete“ (Dekret Christus Dominus, Nr. 17). Ihr besteht zu Recht auf dieser Verantwortung des Bischofs in seiner Diözese und auf der der Bischofskonferenz in jedem Land; ich beglückwünsche euch dazu und fordere gleichzeitig alle katholischen Organisationen zu einer großen Treue den Lehren des Konzils gegenüber auf, damit die Einheit des Volkes Gottes in der Achtung für jedes einzelne seiner Glieder fortschreite. 3. Caritas Intemationalis trägt Verantwortung im Dienste der Weltkirche, welche durch ihre Mitgliedschaft beim Päpstlichen Rat COR UNUM konkret zum Ausdruck kommt. Sie bereichert diesen mit ihren Erfahrungen in der Reflexion über die Nächstenliebe und in der Katechese an den Armen sowie die vorzügliche Liebe der Kirche zu ihnen. Ihr nehmt oft an Arbeitsgruppen teil und tragt mit eurem Beispiel und eurer Treue zur Sendung bei, welche diesem Päpstlichen Rat anvertraut wurde, nämlich „sich um die harmonische Koordinierung der Kräfte und Initiativen aller katholischen Organisationen und darüber hinaus des ganzen Volkes Gottes mittels Austausch von Informationen und weitreichenderer Zusammenarbeit zu bemühen“ (Schreiben zur Errich- 1473 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN tung des Päpstlichen Rates COR UNUM, 15. Juli 1971). COR UNUM ermöglicht euch auch enge Beziehungen zu den verschiedenen Dienststellen der Römischen Kurie, den Erfordernissen eurer Verantwortung entsprechend. 4. Caritas Internationalis versinnbildlicht in den Augen der Kirche und der Welt eine ungeheure Hochherzigkeit, für die ich euch danken möchte: die Einsatzbereitschaft eurer Mitglieder in 120 Ländern und die sehr verschiedenen Hilfeleistungen — mit Geld und Lebensmitteln — für die Opfer von Katastrophen, ohne die Mitarbeit an zahllosen Projekten für Rehabilitation und Entwicklung zu vergessen. Ihr seid Vertreter verschiedenartigster Situationen, die für euch ebenso viele Reflexionsthemen darstellen. Sicher, die Größe oder die Lebenskraft eurer Organisation ist oft von einer Diözese zur anderen und von einer Pfarrei zur anderen und selbst von einem Land zum anderen verschieden. Hier verfügt die Caritas über wenig Personal und geringe Mittel: sie führt, kurz gesagt, eine sehr diskrete Existenz; dort hingegen ist sie mit bedeutenden Strukturen und zahlreichem Personal sichtbar am Werk. Alle jedoch bildet ihr, unabhängig vom Umfang der Sendung, die ihr von eurer Ortskirche empfangen habt, eine einzige Familie, die der Caritas Internationalis, und seid vom selben Ideal beseelt, nämlich dem, den bedürftigsten Brüdern und Schwestern zu helfen. Ich weiß, daß eure Mitgliedsorganisationen, die über die entsprechenden Mittel verfügen, vom Elan zur Solidarität dazu gedrängt werden, den weniger Begüterten zu helfen, die sie mit Recht als ihre „Nächsten“ betrachten. Ich ermutige euch, in diesem Bemühen fortzufahren. 5. Liebe Freunde, ich kann nicht näher auf alle Fragen eingehen, die eure Aktivität nahelegen würden. Was jedoch euer Programm für die Zukunft betrifft, so betone ich gerne die Notwendigkeit eurer Bemühungen um die Bildung und Ausbildung der Verantwortlichen eurer Organisationen — um eine geistliche, doktrinäre und berufliche Ausbildung mittels einer „Pädagogik der Nächstenliebe im Hinblick auf konkrete Aktionen“. Es sind ja die Verantwortlichen, die in ihren Teilkirchen am „Aufbau von Gemeinschaften“ der Gerechtigkeit und Nächstenliebe mitarbeiten. Im kommenden Monat Oktober wird die ordentliche Bischofssynode zusammentreten und das folgende Thema behandeln: „Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt 20 Jahre nach dem Vatikanischen Konzil“. Seit Jahren waren und sind die Caritasverbände ein Rahmen für die Bildung und Ausbildung verantwortungsbewußter Laien. Ja, die Laien sind berufen, zahlreiche und schwere Verantwortungen im weiten Bereich der Sozialarbeit auf sich zu nehmen. Ihr wollt, daß die Caritasverbände sich auf den Eintritt in das dritte Jahrtausend dank junger Menschen vorbereiten, die fähig sind, die Zukunft zu bau- 1474 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN en. Wo könnt ihr eure Inspirationen finden? Ich bin überzeugt, daß ihr oft das berühmte Kapitel 13 des ersten Briefes des hl. Paulus an die Korinther betrachtet: „Wenn ich meine ganze Habe verschenkte, und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts. Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig ... Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.“ Das Kapitel endet mit den folgenden feurigen Worten, dem Feuer der dreifältigen Liebe: „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ Mögen diese Worte des Apostels eine „Magna Carta“ sein, die euren ganzen Weg beseelt! In einigen Tagen wird das Marianische Jahr eröffnet. Maria wird euch auf eurem Weg helfen, vor allem durch das Ereignis der Heimsuchung. Die Jungfrau von Nazaret verläßt ja ihr Heim und begibt sich eilends in die gebirgige Gegend, um ihrer Kusine Elisabeth die Frohbotschaft zu bringen und ihr zu dienen; sie trägt jenen in ihrem Schoß, der in unsere Mitte kommt, um seine Jünger zur Nächstenliebe zu erziehen und um selbst das größte Opfer der Liebe zu bringen: um sein Leben für jene hinzugeben, die er liebt. Ich rufe auf die Caritas Internationalis und ihre Verantwortlichen sowie auf die nationalen und diözesanen Organisationen dieser weitverbreiteten karitativen Bewegung die Gnade des Geistes der Liebe und den mütterlichen Schutz Mariens herab. Ämter und Würden Schreiben des Papstes zum Goldenen Priesterjubiläum von Kardinalstaatssekretär Casaroli am 27. Mai An den verehrten AGOSTINO Kardinal CASAROLI Staatssekretär Heute, am frohen Tag, da Sie den 50. Jahrestag Ihrer Priesterweihe begehen, möchte ich Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche aussprechen. Wenn es meine Gewohnheit ist, den Herren Kardinälen und Bischöfen meine Verbundenheit und Wertschätzung auszusprechen, wenn sie auf den Anfangstag ihres Priestertums in festlicher Feier zurückschauen, so tue ich das besonders gern bei Urnen, meinem ersten Mitarbeiter. Sie stehen ja am Sitz des Staatssekretariates, dessen Aufgabe gerade die aus der Nähe geleistete Unterstützung des Papstes bei der Leitung der universalen Kirche ist. Sie bekleiden ferner das Amt des Präfekten des Rates für die öffentlichen Angelegenheiten der Kirche 1475 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und vertreten mich bei der zivilen Regierung der Vatikanstadt: Ämter und Würden, zu denen Sie mit Recht erhoben wurden, da Sie lange Zeit hindurch diesem Apostolischen Stuhl den Reichtum Ihrer Begabung und ihren Fleiß, dazu ihre Gewandtheit in Fragen, die besondere Klugheit erfordern, zumal bei den internationalen Beziehungen, zur Verfügung gestellt haben. Sie haben ihre Begabung und alle Ihre Kräfte mit tatkräftiger Hingabe und tiefem Pflichtbewußtsein in den Dienst des Heiligen Stuhles gestellt; und das nicht nur für kurze Zeit, sondern Ihr ganzes priesterliches Leben hindurch. Es erscheint überflüssig, auf den einzigartigen providentiellen Umstand hinzuweisen, daß Sie so lange Zeit hindurch schon berufen sind, derart aus der Nähe jenem Sitz zu dienen, der irgendwie das Herz der ganzen Kirche ist. Da Sie nun dieses Jubiläum in Ihrem priesterlichen Leben erreicht haben, nehme ich gern die Gelegenheit wahr, in kurzen Zügen, den von Ihnen bis heute durchlaufenen Weg in Erinnerung zu rufen. Castel San Giovanni in der Diözese Piacenza ist der Ort Ihrer Geburt, wo Sie auch in einer sehr religiösen Familie „wie im ersten Seminar“ (Optatam toti-us, Nr. 2) ihrer kirchlichen Berufung aufwuchsen. Nach Vollendung der Studien in den Instituten Ihrer Diözese, zumal im Kolleg Alberoni, haben Sie in Rom das Studium des Rechts und der Diplomatie aufgenommen. Am 27. Mai 1937 durften Sie mit tiefer Freude zum Priestertum aufsteigen, „einer unvergleichlich großen Ehre und Würde“, um einen Ausdruck des hl. Epiphanius zu verwenden (vgl. Adv. octog. haer., Panarium, 59,4; PG 41, 1023). Das Andenken an diesen Tag ist in Ihnen immer lebendig geblieben, doch macht es sich heute, nach fünfzig Jahren, gewiß besonders deutlich bemerkbar, erfüllt Sie mit herzlicher geistlicher Freude und läßt Sie Gott, dem Geber alles Guten, Ihren Dank aussprechen. Kurz nach Ihrer Priesterweihe traten Sie in den Dienst des Hl. Stuhles, nämlich in die damalige Abteilung I des Staatssekretariates. Gleichzeitig absolvierten Sie einen Weiterbildungskurs bei der Italienischen Gesellschaft für Internationale Organisation, was Ihnen für die Aufgaben, die Sie erwarteten, sehr nützlich war. 1947 haben Sie dann im treuen Dienst des Hl. Stuhles Ihre ersten Reisen durch die Welt unternommen. Doch schon bald wurden sie gerufen, „höher hinauf zu steigen“, denn mein Vorgänger seligen Angedenkens; Papst Johannes XXIII., ernannte Sie zum UnterSekretär der Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten. In dieser Eigenschaft haben Sie die Delegation des Hl. Stuhles geleitet, die in Wien an der Konferenz der Vereinten Nationen über die diplomatischen Beziehungen teilnahm, und zwei Jahre später an der ähnlichen Konferenz über die konsularischen Beziehungen. Sie haben sich dann oft in die Länder Osteuropas begeben und zum Wohl der Kirche erreicht, daß mit ihnen neue Kontakte aufgenommen wur- 1476 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN den. Besonders gern denke ich an die Reisen zurück, die Sie in meine Heimat Polen unternommen haben, wo ich Sie zum erstenmal getroffen und kennen-gelemt habe. 1967 hat Papst Paul VI. Sie zum Titular-Erzbischof von Karthago ernannt und zum Sekretär der Kongregation für die außerordentlichen Angelegenheiten der Kirche, die später den Namen „Rat für die öffentlichen Angelegenheiten der Kirche“ erhielt. Zu diesen Aufgaben kamen andere in der Römischen Kurie hinzu, abgesehen von den immer häufigeren wichtigen Reisen. Unter diesen möchte ich jene nach Jugoslawien, Ungarn und in die Tschechoslowakei, in die beiden Teile Deutschlands, nach Bulgarien und Rußland erwähnen, wo Sie 1971 in der Hauptstadt Moskau im Namen des Hl. Stuhles den Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen Unterzeichneten, dann nach Finnland, wo Sie in Helsinki als Chef der Delegation des Hl. Stuhles an der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa teilnahmen. Besondere Erwähnung verdient die Tatsache, daß Sie im Juni 1978 der außerordentlichen Konferenz der Vereinten Nationen über die Abrüstung den Aufruf Pauls VI. überbrachten, und dann 1982 meinen, für eine Strategie des Friedens. Durch so viele Verdienste ausgezeichnet, wurden Sie 1979 von mir ins Kardinalskollegium berufen, und Ihnen wurden die bedeutsamen Aufgaben an der Spitze der Römischen Kurie übertragen, von denen oben schon die Rede war. Ich schätze mich glücklich, bei dieser feierlichen Gelegenheit die ungemein wichtige Arbeit anerkennen zu dürfen, die Sie an meiner Seite geleistet haben, immer zur Hilfe bei dem mir anvertrauten Dienst bereit mit weisen Ratschlägen, hinter denen stets die Verbundenheit mit mir und dem Römischen Stuhl stand. Das, was Sie innerlich treibt, und Ihre zahlreichen Gaben machen es gewiß, daß Sie dem Hl. Stuhl noch viele weitere Dienste werden leisten können. Öfter und bei verschiedenen Nationen haben Sie mich als Kardinal-Legat bei wichtigen kirchlichen Feiern vertreten, unter denen ich gern wegen ihrer Einzigartigkeit die vom Juli 1985 in Jugoslawien und der Tschechoslowakei zu Ehren der Hll, Cyrillus und Methodius erwähne. Der Abschluß der wichtigen und schwierigen Verhandlungen zur Revision des Konkordates mit Italien, wie schon vorher die Verhandlungen mit Tunesien, Ungarn, Jugoslawien und Polen, bilden bedeutende Höhepunkte Ihres kirchlichen Dienstes. Nicht vergessen sei auch Ihre zusammen mit dem verstorbenen Kardinal Antonio Samore geleistete Arbeit und dann zumal die Endphase des glücklichen Abschlusses der Vermittlung im „Südkonflikt“ zwischen Chile und Argentinien. 1477 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Alle diese gewichtigen Aufgaben haben Sie jedoch nie daran gehindert, zugleich einen vielfachen und eifrigen pastoralen Dienst zu leisten, wobei Sie ständig bewiesen haben, wie bewußt Ihnen die priesterliche Pflicht ist, die Geheimnisse Gottes auszuspenden (vgl. 1 Kor 4,1). Über das normale Apostolat der Priester hinaus haben Sie sich seit langem der Jugendlichen, zumal derer im Gefängnis angenommen, um sie mit väterlichen Ermahnungen und Ermunterungen zur Tugend zurückzuführen. Dabei haben Sie dieses Werk der Barmherzigkeit im Verborgenen ausgeübt, ohne daß es weiteren Kreisen auffiel. Als kirchlicher Assistent haben Sie ferner der Vereinigung katholischer Unternehmer viel geholfen, die in der heutigen nach Gerechtigkeit dürstenden Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Wollte man aber Gerechtigkeit erreichen, mußte man die katholische Soziallehre durchführen. Im übrigen leuchtet in Ihrem ganzen priesterlichen Leben jene christliche Liebe auf, die Sie veranlaßt hat, in Not geratenen Familien, den Armen und Bedürftigen Hilfe und Erleichterung zu verschaffen. Indem ich Ihnen also zu Ihrem schönen Jubiläum meine besten Glückwünsche ausspreche, danke ich Ihnen für die wirklich unermüdliche Tätigkeit, die Sie gänzlich diesem Apostolischen Stuhl gewidmet haben. Ich möchte Ihnen aber nicht nur in meinem eigenen Namen danken, sondern ich mache mich irgendwie auch zum Sprecher meiner Vorgänger Pius XII. , Johannes XXIII. , Paul VI. und Johannes Paul I., denen Sie in verschiedenen Aufgaben so eifrig gedient haben, und die nun in der glücklichen Ewigkeit Ihnen gewiß dankbar sind und Gott in der Gemeinschaft der Heiligen für Sie bitten. Ich bete zu Gott, daß er Ihnen noch lange eine gute Gesundheit erhält und Sie mit der Fülle seiner herrlichen Gaben überhäuft. „Und da die Priester in besonderer Weise Söhne der Jungfrau Maria genannt werden dürfen“ (Pius XII., Apost. Schreiben Menti Nostrae, AAS 1950, S. 673), möge die Liebe zu dieser himmlischen Mutter Sie immer tragen, Ihnen Kraft geben und Sie überall in diesem irdischen Leben stärken. Endlich erteile ich Ihnen, verehrter Bruder, zum Zeichen meiner Wertschätzung und Verbundenheit einen besonderen Apostolischen Segen, der auch all jenen gelten soll, die Ihnen teuer sind und die Freude Ihres Priesterjubiläums teilen. Aus dem Vatikan, am 27. Mai 1987, im neunten Jahr meines Pontifikates PAPST JOHANNES PAUL II. 1478 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Sakramentalität der Ehe und geistliches Leben in Ehe und Familie Ansprache an die Vollversammlung des päpstlichen Rates für die Familie am 29. Mai Herr Kardinal, liebe Brüder im Bischofsamt, liebe Freunde! 1. Ich freue mich, neben den Mitgliedern und ständigen Mitarbeitern des päpstlichen Rates für die Familie all diejenigen begrüßen zu können, die an eurer fünften Vollversammlung teilnehmen. Sie stellen die Kräfte ihres Geistes und ihres Herzens, die Erfahrung ihres Lebens und ihres Apostolats in den Dienst der Familie. Ich danke ihnen herzlich für ihre Mitarbeit in diesem römischen Dikasterium und ich bitte sie, auch weiterhin zum Wohl der Kirche und der Gesellschaft in ihrer Sendung die vorrangigen Ziele anzustreben, die sie sich gesteckt haben. Das Thema eurer Versammlung „Sakramentalität der Ehe und Spiritualität in Ehe und Familie“ beleuchtet einen der wichtigsten Gesichtspunkte, den die bevorstehende Bischofssynode über die Berufung und Sendung der Laien in der Kirche unweigerlich ansprechen wird. Die Berufung der Ehegatten, als Familienvater und Familienmutter ist das für die große Mehrheit der Mitglieder des Gottesvolkes charakteristische Merkmal. Ihre Eigenschaft als Getaufte erhält durch das Sakrament der Ehe eine spezifische Prägung, die sie am Geheimnis der Einheit Christi mit seiner Kirche teilnehmen läßt. Sich des weltweiten Aufrufs zur Heiligkeit bewußt werden, an den das Zweite Vatikanische Konzil die Gläubigen erinnert hat, setzt voraus, daß man den konkreten Willen Gottes in seinem eigenen Dasein entdeckt und daß man den Wunsch hat, ihm hochherzig zu entsprechen. Auf diese Weise nimmt der Weg, den die Ehegatten und alle Gläubigen gewöhnlich beschreiten, im Lichte des Glaubens und mit der Hilfe des Heiligen Geistes die Dimension eines Dialogs des Geschöpfs mit seinem Schöpfer an, des Sohnes mit dem Vater. 2. Eine der tröstlichen Äußerungen des Heiligen Geistes im Laufe der Jahre nach dem letzten Konzil ist das gerade beginnende Aufblühen von Gruppen der Spiritualität, von denen sich nicht wenige das Ziel gesetzt haben, die Spiritualität der Ehe zu fördern. Solche Bewegungen stellen — eingegliedert in 1479 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN die Pastoral der Kirche — ein ausgezeichnetes und wirksames Mittel dar, um bei zahlreichen Gläubigen ein Leben der Heiligkeit anzuregen und sie dazu zu führen, ihre eigene Gnade und Sendung zu entdecken, die sie als christliche Ehegatten in der Kirche empfangen. Eine große Anzahl von euch, liebe Mitglieder des päpstlichen Rates für die Familie, kennt die Werte dieser Bewegungen aus eigenen Erfahrungen. Den Ursprung dieser pastoralen Tätigkeit bilden Männer und Frauen, Priester und Laien, die, gedrängt von der Liebe Christi, gespürt haben, daß sich ihr Dienst an Gott und der Gesellschaft zugunsten der Familie erfüllen muß. In ihren Augen müßten die Elemente — eheliche Liebe, Vaterschaft, Kindererziehung, — die an der menschlichen Berufung der Ehegatten integrierenden Anteil haben, eine übernatürliche und transzendente Dimension annehmen. 3. Diese Förderer der Spiritualität von Ehe und Familie haben, wie wir gesehen haben, große Entschlußkraft bewiesen, doch soll auch ihre Sorge um die Treue zur Kirche betont werden. Obschon pastorale Tätigkeiten aus dem Lehramt heraus entstanden sind, muß die Rechtschaffenheit des Denkens und die des Lebens stets eine Errungenschaft im Geiste sein, die in dem Maße wächst, wie die Jahre Vorbeigehen. Probleme, die die Heiligkeit des Lebens der Ehegatten und der Eltern berühren, könnten Gefahr laufen, auf der Ebene der Lehre oder im praktischen Leben ihren wesentlichen Bezug zum Glauben zu verlieren, wenn nicht der christliche Sinn des Ehelebens ständig erneuert wird. Andernfalls könnte es zu einer Desorientierung oder in bestimmten Fällen sogar zu einer Bewußtseinsverformung der Gläubigen kommen. Dem Lehramt der Kirche, das in den letzten Jahren tiefgehende Fragen geklärt hat, muß treu gefolgt werden, wenn es um die christliche Bildung der Ehegatten oder um die Vorbereitung auf die Ehe geht. In unserer Gesellschaft stehen diesen Lehren zweifellos zahlreiche bedauernswerte Situationen gegenüber, die nicht aus den Augen verloren werden dürfen und in denen sich die Ehegatten befinden, die versucht sind, auseinanderzugehen oder bereits getrennt sind. Auch die Kinder getrennt lebender Eltern sind betroffen und die Jugendlichen, die versucht sind, sich in Erfahrungen zu begeben, ohne die Verpflichtung einer Ehe einzugehen, welche allein ihre intime Verbindung rechtfertigen kann. All diesen Menschen — und leider sind sie zahlreich — muß geholfen werden und sie müssen dazu angeleitet werden, den wunderbaren Plan Gottes für ihr Leben als einen Weg wiederzuentdecken, der zwar mit Versuchungen und Engpässen besät ist, der aber niemals göttlicher Gnade und Hoffnung entbehrt. Zweifellos stoßen alle Familien auf Schwierigkeiten, wenn sie der Berufung zur Ehe und zur Elternschaft vollends nachkommen wollen; es wäre illuso- 1480 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN risch, diese Schwierigkeiten zu ignorieren oder aber den Anspruch zu erheben, sie dadurch zu lösen, daß man die moralischen Forderungen in Abrede stellt, die das christliche Bewußtsein auferlegt. Wenn den Ehegatten geholfen wird, eine bessere Qualität des menschlichen Lebens und eine größere christliche Vervollkommnung zu erreichen, kann die Tatsache, daß sie die Grundlagen einer verbesserten Fähigkeit des Sichselbst-schenkens untereinander und in bezug auf ihre Kinder entdecken und dem eigenen Leben wertvolle natürliche und christliche Beweggründe verleihen, in der Hoffnung, die sich mit Gottes Hilfe auf Askese und Beherrschung seiner selbst stützt, einen von Problemen verdunkelten Horizont erhellen. Viele Männer und Frauen, viele Familien haben so ihre eigene Eingliederung in Christus durch die Sakramente vertiefen können. Alle christliche Spiritualität ist nämlich im Sakrament der Taufe verwurzelt. 4. Indem er uns an der göttlichen Kindschaft teilhaben läßt, hat Gott uns Christus zur Seite und uns unter sein Gesetz der Heiligkeit gestellt. So sagt das Zweite Vatikanische Konzil in der Konstitution über die Kirche: „Die Jünger Christi sind von Gott nicht kraft ihrer Werke, sondern aufgrund seines gnädigen Ratschlusses berufen und in Jesus dem Herrn gerechtfertigt, in der Taufe des Glaubens wahrhaft Kinder Gottes und der göttlichen Natur teilhaftig und so wirklich heil geworden. Sie müssen daher die Heiligung, die sie empfangen haben, mit Gottes Gnade im Leben bewahren und zur vollen Entfaltung bringen.“ (Lumen gentium, Nr. 40). Dieses göttliche Leben, das jeder Christ mit der Taufe empfangen hat, nährt sich und wächst im Gebet und in den anderen Sakramenten, vor allem im Sakrament, das das erlösende Leiden Christi, seinen Tod und seine Auferstehung vergegenwärtigt. Die Eucharistie ist wahrhaft der Mittelpunkt und die Wurzel des christlichen Lebens. Die christlichen Gatten nehmen auf ganz besondere Weise daran teil. Das Ehesakrament ist nämlich das Zeichen des Geheimnisses der Liebe, durch das Christus sich für seine Kirche hingegeben hat, und es ist ein Mittel zur Teilhabe an ihr (vgl. Gaudium et spes, Nr. 48). Die Eucharistie aber ist gerade das Sakrament und das Gedächtnis dieses Geheimnisses. Das eucharistische Leben ist daher ein besonderes Element jeder ehelichen Spiritualität: Es enthält die Gesetze des Sichselbstschenkens zur Ehre Gottes und zum Heil der Menschheit und bringt die notwendige Nahrung mit sich, damit dieser Weg beschritten werden kann. 5. Was das Sakrament der Ehe angeht, so ist es „ureigenste Quelle und Hilfe zur Heiligung für die Gatten und die christliche Familien. In ihm wird die heiligmachende Gnade der Taufe aufgegriffen und bekommt eine neue, eigene 1481 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Prägung“ (Familiaris consortio, Nr. 56). Das Wesen des Mannes und der Frau — und ihrer Beziehung — ist dem Geheimnis des Bundes Christi und der Kirche durch die Feier dieses Sakramentes gleichgestaltet worden. Die Spiritualität der Gatten entspringt aus dem Gehorsam zum Heiligen Geist, der die Gatten in ihrem Wesen geprägt hat. Der Geist „befähigt Mann und Frau, einander zu lieben, wie Christus uns geliebt hat“ (ebd., Nr. 13). und „die lebendige Gegenwart des Erlösers in der Welt und die wahre Natur der Kirche allen kundzutun, sowohl durch die Liebe der Gatten, in hochherziger Fruchtbarkeit, Einheit und Treue, als auch in der bereitwilligen Zusammenarbeit aller ihrer Glieder“ (Gaudium et spes, Nr. 48). 6. Doch wenn die Einfügung in Christus, die durch die Taufe und die Teilhabe am Ostergeheimnis ein Element der Spiritualität der Ehe ist, so dürfen doch auch die spezifischen Inhalte nicht vergessen werden, die in der Treue zum Geist geheiligt werden müssen. Die Ehe, die dem göttlichen Ratschluß entspricht, hat ihre Wurzeln in der Natur des Menschen. Die Beschaffenheit des Menschen enthält eine Forderung nach Wahrheit in seinem Handeln. Wenn die Spiritualität der christlichen Ehe gefördert wird, so dürfen die echten natürlichen Forderungen weder vollständig noch teilweise ignoriert werden, denn auf diese Weise würde der natürliche Wert der Ehe und ihre Eigenschaft als christliches Sakrament entstellt. Die Spiritualität der christlichen Ehe ist letztlich nichts anderes als die normale Entwicklung des Lebens gemäß dem Geist Christi, der Gabe und den Forderungen des Wesens der Eher „Die Aufgaben, zu deren Erfüllung in der Geschichte die Familie von Gott berufen ist, ergeben sich aus ihrem eigenen Wesen und stellen dessen dynamische und existentielle Entfaltung dar.“ (Familiaris consortio, Nr. 17). Diese Aufgabe der christlichen Ehe, die im Lichte der Offenbarung mit größerer Klarheit wahrgenommen und im Geist Christi gelebt werden, machen für unendlich viele christliche Laien aus der christlichen Ehe einen spezifischen Weg der Heiligkeit. 7. Heute werden diejenigen, die sich dieser geistigen und transzendenten Dimension des Ehe- und Familienbundes bewußt geworden sind, in der Gesellschaft die Früchte einer hochherzigen und fruchtbaren Liebe zeigen können. Ein Apostolat unter den Familien, den Gatten und den christlichen Eltern, ist ganz besonders zweckmäßig. Das menschliche und christliche Wohlergehen der Einzelpersonen und der Familien und sogar der Friede und der Wohlstand der Gesellschaft hängen zum großen Teil von diesem Licht ab, von diesem Sauerteig, was die christlichen Familien inmitten der Welt sein sollen. Wenn sie Zeugnis für die Eintracht unter ihren Gliedern, für die Eintracht und die 1482 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Treue in der ehelichen Beziehung, für die unerschütterliche Liebe inmitten harter Prüfungen und Gegensätzlichkeiten ablegen, wenn sie Verständnis und Öffnung anderen gegenüber beweisen und dabei selbst bescheiden und wachsam bleiben, so sind sie wie Lichter, die in Momenten der Finsternis und des Zweifels andere Ehegatten und andere Familien erhellen und stärken, die von Entmutigung und Verlassenheit, Egoismus und Untreue, oder sogar von Scheidung und Abtreibung versucht werden. Die Ehegatten und christlichen Familien, die ihre Sendung erfüllen, bauen die Kirche im Inneren in ihrer eigenen Familie und im Äußeren in der Gesellschaft auf. Sie bauen sie im Inneren auf, wenn sie der Dynamik ihrer eigenen christlichen Gemeinschaften treu sind und ihre menschliche und geistige Verbindung gemäß dem Versprechen stärken und festigen, vom Zeitpunkt ihrer Trauung an, ein Fleisch zu werden. Sie bauen sie auch auf, wenn diese intime Gemeinschaft des Körpers und des Geistes auf verantwortliche Weise mit der Nachkommenschaft Früchte trägt, denen sie eine authentisch menschliche und christliche Bildung vermitteln, wenn die Liebe zum Ehegatten und zu den Kindern trotz der Versuchung, dem anderen untreu zu werden und ihn zu verlassen, treu bleibt, und schließlich wenn man, obschon es offensichtlich kaum noch menschliche Gründe gibt zu lieben, weiterhin mit der Kraft Christi liebt. Auf diese Weise bereichert sich die Gesellschaft in dem Maße an all den Tugenden der christlichen Familien, wie diese die Aufrichtigkeit und die Treue, das Verzeihen und die Versöhnung, das Sichselbstschenken und den Opfergeist, das freundliche Zusammensein und den Frieden, die Achtung und den Geist der Eintracht unterstützen und verteidigen. 8. Ihr müßt daher, liebe Mitglieder des päpstlichen Rates für die Familie, eine Pastoral fördern, die all die Reichtümer aufdeckt, die die Spiritualität der Ehe mit sich bringt. „Die christliche Familie erbaut das Reich Gottes in der Geschichte ferner durch dieselben täglichen Wirklichkeiten, die ihre besondere Lebenssituation betreffen und prägen. So ist es gerade die Liebe in Ehe und Familie mit ihrem außerordentlichen Reichtum an Werten und Aufgaben im Zeichen der Ganzheit und Einmaligkeit, der Treue und der Fruchtbarkeit (vgl. Humanae vitae, Nr. 9), durch die sich die Teilnahme der christlichen Familie an der prophetischen, priesterlichen und königlichen Sendung Jesu Christi und seiner Kirche ausdrückt und verwirklicht“ (Familiaris consortio, Nr. 50). Ich wünsche daher, daß die Überlegung dieser Vollversammlung den päpstli-chen Rat für die Familie, die Kommissionen für die Familien der Bischofskonferenzen, die Gruppen der Spiritualität und die anderen christlichen Bewegungen, die der Familie dienen, ermuntern, ein intensives Apostolat zu 1483 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN fordern, das die Ehe und Familie betrifft. Inder Vielzahl der apostolischen Initiativen, die der Heilige Geist in der Kirche und in Treue zur Einheit der Lehre erweckt, wird der Herr diese Tätigkeit mit reichen Früchten segnen. Im Dienste dieser Gnaden segne ich euch von ganzem Herzen und ich segne eure Kinder und diejenigen, die euch lieb und teuer sind. Ganzheitliche Antwort auf Sinnfragen des Lebens Ansprache an die Teilnehmer der Generalversammlung des Kolpingwerkes am 30. Mai Sehr geehrter Herr Kardinal! Liebe Brüder und Schwestern der Internationalen Kolpinggemeinschaft! 1. Herzlich grüße ich euch zu eurer derzeitigen Generalversammlung in Rom und nun zu dieser Audienz hier im Vatikan. Ihr habt eure Beratungen unter das Leitwört gestellt: „In der Kirche zu Hause — offen für die Welt“. Was das bedeutet, hat euch der Gründer eures Werkes, Adolph Kolping, selbst vorgelebt. Er sah seine vordringliche Aufgabe darin, junge Menschen zu engagierten Christen heranzubilden, darum verstand er sich bei allem, was er an Großem geleistet hat, zuerst als Verkünder der frohen Botschaft Jesu Christi. Gleichzeitig aber hat er diesen religiösen Auftrag immer auch mit sozialem Einsatz verbunden. Christsein bedeutete für ihn, das ganze Dasein von der christlichen Berufung des Menschen her zu sehen und es mit christlicher Zielsetzung und Aufgabenstellung im Geiste des Herrn zu gestalten. Adolph Kolping hat damals Gesellenvereine gegründet und Gesellenhäuser gebaut, um jungen Handwerkern darin Geborgenheit und Heimat zu geben. Durch familienhaft gelebte Gemeinschaft wollte er sie auf ein christliches Familienleben vorbereiten. Ferner bemühte er sich darum, sie durch systematische Bildungsarbeit zur Tüchtigkeit im Beruf und im gesellschaftlichen Leben zu befähigen, damit sie eine eigene Existenz aufbauen und eine Familie gründen konnten. Auf diese Weise bemühte er sich, wirksam zur Erneuerung von Kirche und Gesellschaft beizutragen. Durch sein Werk hat Adolph Kolping eine gültige Antwort auf die soziale Herausforderung des 19. Jahrhunderts gesucht und gefunden. Errief für eine Neuordnung der Gesellschaft nicht wie sein Zeitgenosse Karl Marx zu Klassenkampf und Umsturz auf, sondern forderte die Rückbesinnung des Menschen auf seine grundlegenden Pflichten und Aufgaben in Familie, Beruf, Kirche 1484 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und Gesellschaft. Es ging ihm vor allem um eine Reform der Gesinnung. Voraussetzung dafür war ihm der Glaube. Nach seiner Überzeugung trägt jeder Christ von seiner christlichen Berufung her Verantwortung für die Kirche und für die Welt, in der er lebt. Adolph Kolping hat sich als einer der ersten der Kirche der modernen sozialen Frage gestellt und praktische Wege zur Lösung beschritten. Zu Recht können wir ihn deshalb als einen der großen Seelsorger, Pädagogen und Sozialreformer des vergangenen Jahrhunderts bezeichnen. 2. Vor genau 125 Jahren war euer Gründer hier in Rom, um meinem verehrten Vorgänger Papst Pius IX. die Zielsetzung und Arbeitsweise der Katholischen Gesellenvereine persönlich zu erläutern und dafür seine Zustimmung und seinen Segen zu erbitten. Aus diesem Grund seid ihr jetzt zu dieser Generalversammlung nach Rom gekommen, um euch hier auf euren Auftrag für die Gegenwart und Zukunft im heutigen weltweiten Kolpingwerk neu zu besinnen. Euer Leitwort: „In der Kirche zu Hause — offen für die Welt“ weist deutlich daraufhin, daß ihr als katholischer Laienverband Mitverantwortung für den Heilsdienst der Kirche und für den Dienst an der Welt tragen wollt. Seid euch immer bewußt, daß ihr diese Aufgaben nur sinnvoll in enger und lebendiger Gemeinschaft mit der Kirche erfüllen könnt. Als katholische Laien habt ihr eine besondere Verantwortung beim Aufbau der zeitlichen Ordnung für die Schaffung einer menschenwürdigen Gesellschaft. Das verlangt den aktiven Einsatz aller Mitglieder. Dabei denke ich vor allem an die Jugendlichen in eurem Verband. Und den Verantwortlichen unter euch rufe ich das Wort eures Gründers zu: „Helft eine bessere Zukunft schaffen, indem ihr sie erziehen helft.“ Eine solide Grundlage für eure Mitgestaltung an einer menschenwürdigen Gesellschaft ist die Botschaft Jesu Christi und die Lehre der Kirche, insbesondere ihre Soziallehre. Aus diesen Quellen müßt ihr schöpfen, um eine Gesellschaft aufzubauen, die dem christlichen Menschenbild gerecht wird. Sie geben euch Antwort auf die Fragen, an welchen Wert- und Zielvorstellungen ihr euch orientieren müßt, um eurer sozialen Verantwortung gerecht zu werden. Euer Gründer wollte den ganzen Menschen in seinem jeweiligen Lebensbereich erfassen und christlich prägen. Sucht auch ihr euren Mitgliedern und den Mitmenschen eine ganzheitliche Antwort auf die Sinnfragen des Lebens und auf die Fragen der Menschen unserer Zeit zu geben. Eure besondere Aufmerksamkeit gelte dabei der Welt der Arbeit. Bemüht euch weiterhin um eine gediegene Berufsausbildung und christliche Formung der jungen Arbeiter. Zeigt euch solidarisch mit den vielen arbeitslosen Jugendlichen. Tragt bei zu einer gerechten Verteilung der Erwerbsarbeit, auf daß möglichst alle Menschen Brot und Arbeit erhalten. Wie Adolph Kolping tragt besondere Sorge 1485 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN für die Familie. Legt selbst Zeugnis ab für ein christliches Verständnis von Ehe und Familie. Setzt euch ein für deren Schutz und Förderung, für den Schutz des ungeborenen Lebens und für das Erziehungsrecht der Eltern. Ich rufe euch in Erinnerung, was euer Gründer sagte: „In der Familie muß beginnen, was in Staat und Kirche blühen soll.“ Es freut mich zu hören, daß sich das Kolpingwerk immer weiter ausbreitet und heute schon in allen Erdteilen vertreten ist, besonders daß es sich in Ländern der Dritten Welt zunehmend einsetzt und wirksame Entwicklungshilfe leistet. Wie sich Adolph Kolping damals bemüht hat, an der Lösung der sozialen Frage in Europa mitzuwirken, so kann das Internationale Kolpingwerk heute zur Lösung der sozialen Frage in den Entwicklungsländern einen wichtigen Beitrag leisten. Ich ermutige euch in dieser so notwendigen und entscheidungsvollen Arbeit. Dadurch tragt ihr bei zu mehr Gerechtigkeit, und Frieden in der Welt. Es ist mein Wunsch und Gebet für euch, daß ihr in eurem Wirken an der Glaubenstiefe und Zeugniskraft eures Gründers Adolph Kolping festhaltet, daß ihr treu zur Kirche steht und in der Welt die Aufgaben wahrnehmt, die ihr euch in eurem Programm gegeben habt. Dazu erteile ich euch — auch für einen erfolgreichen Verlauf eurer jetzigen Generalversammlung — und allen Mitgliedern des Internationalen Kolpingwerkes von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. Dem Frieden in der Welt mit allen Mitteln dienen Botschaft zum 21. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel am 31. Mai Liebe Verantwortliche für die sozialen Kommunikationsmittel und liebe Leser und Hörer! Die sozialen Kommunikationsmittel bilden eine Plattform des Austausches und des Dialoges, die geeignet ist, einer lebhaften Sorge meines Pontifikats wie auch meines Vorgängers Paul VI. zu begegnen (vgl. Botschaft an die Abrüstungskonferenz der Vereinten Nationen, 24. Mai 1978, Nr. 5, in: Wort und Weisung, 1978,1. Teil, S. 223-225): dazu beizutragen, daß man mit der Förderung des Friedens durch die Gerechtigkeit von einem Gleichgewicht des Schreckens zu einer Strategie des Vertrauens findet. Deshalb schien es mir dringend, euch als Thema für den Welttag der sozialen Kommunikationsmittel 1987 vorzuschlagen: „Die sozialen Kommunikationsmittel im Dienst der Gerechtigkeit und des Friedens“. Ich habe das schon wiederholt gesagt, aber ich unterstreiche es heute durch folgenden Zusatz: Das Vertrauen kann nicht 1486 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN allein das Werk der politisch Verantwortlichen sein, es muß im Bewußtsein der Völker entstehen. Nachdem das Friedensproblem bereits einmal (Welttag 1983) behandelt worden ist, möchte ich dieses Jahr mit euch diese kurze Betrachtung über das Werk der Gerechtigkeit, das den Frieden verwirklicht, bzw. über die Strategie des Vertrauens als Erfüllung der Gerechtigkeit im Hinblick auf den Frieden weiterführen. Ich weiß, daß für euch, die ihr auf dem Gebiet der sozialen Kommunikationsmittel tätig seid, die Massen (der Leser, Zuhörer und Zuschauer) keine anonymen Mengen sind. Sie stellen die ständige Herausforderung dar, mit Hilfe immer weiter vervollkommneter Technologien und immer wirksamerer Kommunikationsstrategien jeden einzelnen in seinem persönlichen Lebensbereich, auf dem Niveau seines Auffassungsvermögens und seiner Sensibilität zu erreichen. Diese Einladung könnte euch also im Bewußtsein bleiben: die Strategie des Vertrauens durch die Strategie der Kommunikation im Dienst der Gerechtigkeit und des Friedens weiterzugeben! Eure Strategie der Kommunikation ist großenteils eine Strategie der Information, um zum Aufbau dieser Gesellschaft des Wissens beizutragen, in der wir uns für Gutes oder auch für Schlechtes engagieren. Gestattet mir, an das zu erinnern, was ich in diesem Zusammenhang bereits gesagt habe: Der Weltfrieden hängt in einem gewissen Maß von einer besseren Kenntnis ab, die die Menschen und die Gesellschaften voneinander haben; die qualifizierte Information der öffentlichen Meinung hat direkten Einfluß auf die Förderung der Gerechtigkeit und des Friedens (vgl. Botschaft tum Weltfriedenstag 1982, Nr. 6,8, in : DAS, 1982, SS. 827, 829). Eure Aufgabe scheint über die menschlichen Möglichkeiten hinauszugehen: informieren, um zu bilden, während euch eine Lawine von Nachrichten in manchmal geradezu gefährlicher Weise in alle Ecken der Welt führt, ohne euch Zeit zu lassen, jeden Fall und jedes Ereignis zu gewichten. Und doch sind die Benutzer der Medien von euch abhängig, wenn sie die Schäden des Schreckens und die Hoffnungen des Vertrauens begreifen sollen. Der Friede ist nicht möglich ohne Dialog (vgl. Botschaft zum Weltfriedenstag 1986, Nr. 4-5, in: O. R. dt., 19. Dez. 1986, S. 4 f.), aber man kann keinen echten Dialog führen, ohne in Ost und West, Süd und Nord gut informiert zu sein. Euer Dialog wül zudem ein „totaler Dialog“ sein, das heißt ein Dialog, der mit Hilfe einer globalen Strategie der Kommunikation geführt wird: dazu gehört natürlich Information, aber auch Unterhaltung, Werbung, künstlerisches Schaffen, Erziehung, Sensibilisierung für die kulturellen Werte. Durch diese Strategie der Kommunikation muß man die Strategie des Vertrauens verwirklichen. Aus dem Gleichgewicht der Furcht, über das der Angst bis zu dem des Schreckens erwächst ein „kalter Friede“ — wie Pius XII. sagte —, der nicht der wahre Friede ist. Nur die Kommunikation 1487 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN wird — durch den totalen Dialog — eine Sehnsucht nach Frieden und eine heiße Friedenserwartung als Forderung im Herzen der Völker hervorrufen können. Und, so könnte man hinzufügen, eine „kalte Gerechtigkeit“ ist keine wahre Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit kann nur im Vertrauen leben, andernfalls ist sie nur eine „Gerechtigkeit gegen“ jemanden und nicht eine „Gerechtigkeit für“ und eine „Gerechtigkeit mit“ jeder menschlichen Person. Sieben Gesichtspunkte, die Atmosphäre des Vertrauens zu verbessern Wie lassen sich die Strategie des Vertrauens und die Strategie der Kommunikation miteinander verbinden? Diesen Gedanken möchte ich näher ausführen. Ich weiß, daß die Kommunikation über die Massenmedien eine auf lange Sicht programmierte und sorgfältig organisierte Kommunikation ist. Deshalb ist es wichtig, daraufhinzuweisen, was eine von den Medien vermittelte Strategie des Vertrauens sein könnte. Sie könnte, so scheint mir, sieben wesentliche Momente zum Inhalt haben: bewußtmachen, anklagen, verzichten, überwinden, beitragen, verbreiten, bekräftigen. Zuerst gilt es, bewußt zu machen oder, mit anderen Worten, ein Werk der Einsicht zu vollbringen. Hat nicht Paul VI. gesagt, der Friede sei ein Werk der Einsicht? Es wird darauf ankommen, mit Hilfe von Programmen verschiedenster Art bewußt zu machen, daß j eder Krieg die Menschheit um alles bringen und mit dem Frieden nichts verloren sein kann. Daher wird die Strategie der Kommunikation besser als jedes andere Mittel die Ursachen des Krieges begreiflich machen können: die unzähligen Ungerechtigkeiten, die zur Gewalt treiben. Jede Ungerechtigkeit kann zum Krieg führen. Die Gewalt ist in uns, wir müssen uns von ihr befreien, um auf den Frieden zu kommen. Das ist das Werk der Gerechtigkeit, das als Frucht der Einsicht in Erfüllung geht. Nach der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils (vgl. Gaudium et spes, Nr. 82-91) kommt die Einsicht vor allem durch die positiven Entscheidungen zum Ausdruck, die in den Fragen der Gerechtigkeit und des Friedens angesichts der Ungerechtigkeit und des Krieges angeraten sind. Und genau das ist der Ort, wo eure Rolle durch den Geist der Initiative, die sie mit sich bringt, packend und aufregend wird. Die Mitteilung der konstruktiven Entscheidungen für Gerechtigkeit und Frieden geht Hand in Hand mit eurer Verpflichtung, sämtliche Ursachen von Gewalt und Konflikten anzuklagen: weltweite Rüstung, Waffenhandel, Unterdrückung und Folter, Terrorismus jeder Art, bis zum Äußersten getriebene Militarisierung und übertriebene Sorge um die nationale Sicherheit, Nord-Süd-Spannung, sämtliche Formen von Fremdherrschaft, Besetzung, Unterdrückung, Ausbeutung und Diskriminierung. 1488 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wenn man konsequent anklagen will, muß man auch selbst auf die Wurzeln von Gewalt und Unrecht verzichten. Eine der am festesten in die Produktion der Kommunikationsmittel integrierten Vorstellungen scheint wohl die vom „Ideal des Stärkeren zu sein, von jenem Willen zur Vorherrschaft, der nur zur Mehrung der gegenseitigen Angst führt. Auf der Linie dessen, was Johannes XXm. sagte, müßt ihr bei eurer Produktionsarbeit zu einer „Abrüstung des Geistes gelangen (vgl. Ansprache an die Journalisten des Konzils, 13. Oktober 1962). Was für ein Fortschritt im Austausch von Kommunikation wäre es, wenn sich der Markt reichlich mit Programmen versorgt sähe, die anderes anbieten als diesen Willen zu Herrschaft und Macht, von dem so viele der heute verbreiteten Werke beeinflußt sind! Und welche qualitative Verbesserung ließe sich erreichen, wenn die Benutzer der Medien durch ihre Forderungen und ihre Reaktionen durchsetzten, daß man auf das Ideal des Stärkeren verzichtet! Um im Geist der Gerechtigkeit zu handeln, genügt es nicht, im Namen einer starken Macht „dagegen zu handeln. Es gilt auch, „für und mit den anderen zu handeln oder, in der Welt der Medien, für jeden und mit jedem Kommunikation zu betreiben. Die Strategie des Vertrauens heißt auch, alle Hindernisse überwinden, die den „Werken der Gerechtigkeit“ im Hinblick auf den Frieden im Wege stehen. Vor allem müssen die Barrieren des Mißtrauens überwunden werden. Wer vermag besser als die sozialen Kommunikationsmittel alle Barrieren von Rassen, Klassen, Kulturen, die sich gegenüberstehen, zu überwinden? Das Mißtrauen kann alle Formen von Parteilichkeit und sozialer, politischer oder religiöser Intoleranz hervorbringen. Das Mißtrauen lebt von der Mutlosigkeit, die zum Defätismus wird. Das Vertrauen dagegen ist die Frucht einer strengeren sittlichen Haltung auf allen Ebenen des täglichen Lebens. Papst Johannes XXIII. erinnerte daran, daß auf jeden Fall das Ungleichgewicht zwischen den technischen Möglichkeiten und dem sittlichen Engagement der menschlichen Gemeinschaft überwunden werden müsse. Und ihr Gestalter oder Benützer im Medienbereich wißt sehr gut, daß die Welt der Kommunikation eine Welt des explodierenden technologischen Fortschritts ist. Auch in diesem am weitesten vorangetriebenen Bereich der menschlichen Erfahrung ist auf allen Ebenen die ethische Forderung die dringendste. Kommunikationsmittel verpflichten flir das Gemeinwohl Eure Rolle besteht außerdem darin beizutragen, daß der Friede durch Gerechtigkeit möglich wird. Die Information ist der Weg der Sensibilisierung, der Feststellung, der Überprüfung, was sich nun wirklich ereignet hat auf dem Weg zum Frieden. Dieser Beitrag kann durch öffentliche Debatten und Diskussionen in den Medien vertieft werden. Das ist vielleicht die Ebene, wo eu- 1489 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN re Phantasie, euer Einfallsreichtum auf die härteste Probe gestellt wird. Hier bedarf es auch am dringendsten der Antwort der Benützer der Medien, also der Leser, Zuhörer und Zuschauer, Es darf auch nicht versäumt werden, nachdrücklich alles zu verbreiten, was helfen kann, Frieden und Gerechtigkeit begreiflich zu machen und lebendig werden zu lassen, von den bescheidensten Initiativen im Dienst des Friedens und der Gerechtigkeit bis zu den Bemühungen der internationalen Tagungen. Unter diesen Initiativen nimmt die Rolle einer neuen Weltordnung der Information und Kommunikation im Dienst des Friedens und der Gerechtigkeit durch die Gewährleistung der verschiedenartigen Verbreitung von Informationen zum Wohle aller sicher einen bedeutenden Platz ein, woran ich bereits anläßlich eines Kongresses der Weltunion der Katholischen Presse erinnert habe (vgl. Ansprache am 25. September 1980). Eure Aufgabe als Verantwortliche für die sozialen Kommunikationsmittel ist die Vermittlung einer ständigen Weiterbildung. Eure Pflicht als Benutzer der Massenmedien besteht in einer ständigen Suche nach Zugang zu allen Angaben, die eure Meinung formen und euch immer empfänglicher für eure Verantwortlichkeiten machen können. Wir alle sind für die Zukunft der Gerechtigkeit und des Friedens verantwortlich. Friede ist nur echt, wenn er im Hören auf Gott gründet Gestattet mir, daß ich euch eindringlich bitte, unter allen Initiativen, die es zu verbreiten gilt, die Darstellung der christlichen Vorstellung von Frieden und Gerechtigkeit, der christlichen Botschaft von Frieden und Gerechtigkeit nicht zu vernachlässigen und dabei die Aufforderung zum Engagement, aber auch zum Gebet für den Frieden nicht auszuschließen: es handelt sich dabei um eine unersetzliche Dimension des Beitrags der Kirche zu den Friedensinitiativen und zugunsten der Bemühungen um ein Leben in Gerechtigkeit. Das alles setzt, wie ihr wißt, die Darstellung des wahren und vollständigen Bildes der menschlichen Person, des Fundaments jeder Bezugnahme auf Gerechtigkeit und Frieden, durch die sozialen Kommunikationsmittel voraus. Alles, was die menschliche Person verletzt, ist bereits ein beginnender „kriegerischer Akt“. Welche unvorhersehbaren Folgen werden daher alle Initiativen im Kommunikationsbereich haben, deren Organisatoren ihr seid! Bei der Verbreitung müssen schließlich alle Vorbedingungen im Hinblick auf Gerechtigkeit und Frieden bestätigt werden: die unveräußerlichen Rechte der menschlichen Person, die Grundfreiheiten in der Gleichheit und im Blick auf die Teilhabe aller am Gemeinwohl, die Respektierung legitimer Hoheitsrechte, die Verpflichtung zu Ersatzleistungen und Hilfe ... Vor allem aber gilt es, 1490 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN die Werte des Lebens herauszustellen: das Dasein darf nicht mehr als unerbittlicher „Kampf ums Überleben“ dargestellt werden, sondern mit der Einsicht der Weisheit als ein in der Güte oder, noch besser, in der Liebe als Quelle und Ideal gelebtes Leben. Allein die Liebe wird, indem sie jeden.Tag aufs neue die Brüderlichkeit ersinnt, schließlich die endgültige Kapitulation des Schreckens herbeiführen können. Möge die von der Gnade Gottes inspirierte Liebe Einfluß ausüben auf die „technischen Wunder“ der Kommunikation, die ja auch „Gaben Gottes sind“ (vgl. Miranda prorsus)\ In der Hoffnung, daß diese Worte euch helfen werden, weder im Augenblick der Erstellung eurer Programme — was für euch, liebe Verantwortliche im Bereich der sozialen Kommunikationsmittel, gilt — noch im Augenblick des Anhörens und der Reaktion auf diese Programme — was für euch, liebe Benutzer der Medien, gilt —, die Gerechtigkeit und den Frieden aus den Augen zu verlieren, spreche ich euch allen mein persönliches Vertrauen aus und fordere euch alle auf, für das Vertrauen im Dienst der ganzen Menschheit zu arbeiten. In diesem Geist spende ich euch voll Freude meinen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 24. Januar 1987 IOANNES PAULUS PP. II Du schenkst ihnen neues Leben Predigt während der heiligen Messe und Firmung am 31. Mai 1. „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch“ (Joh 14,18). Die Osterzeit ist auch die Zeit des Abschieds Christi von dieser Erde. Wie wir in der Apostelgeschichte lesen, stieg er am 40. Tag nach seiner Auferstehung zum Himmel auf (vgl. Apg 1,9). Die Apostel hingegen kehrten vom Ölberg nach Jerusalem zurück und verharrten im Gebet zusammen mit Maria, der Mutter des Herrn (vgl. ebd., 1,12.14). Mit dem Weggang des Auferstandenen ist das Versprechen seiner Rückkehr verbunden. Christus sagt: „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch“ (Joh 14,18); „ich werde euch Wiedersehen; dann wird euer Herz sich freuen“ (Joh 16,22). Am Pfmgsttag finden diese Worte Bestätigung. Christus kommt in der Kraft des Heiligen Geistes wieder. Er kommt im Heiligen Geist. Und sein neues, 1491 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN wenn auch unsichtbares Kommen dringt unmittelbar in die Herzen seiner Apostel. Durch das Licht und die Kraft, die sie am Pfingsttag aus ihrem Inneren schöpfen, spüren die Apostel von neuem, daß der Herr, wenn auch in anderer Weise als zuvor, in ihrer Mitte ist, daß er in ihnen ist. 2. Von da an wird das Kommen Christi in der Kraft des Heiligen Geistes zum Beginn des ganzen Lebens der Kirche. Dies findet Ausdruck in der sakramentalen Struktur. Das Taufsakrament ist eine Wiedergeburt, d. h. eine neue Geburt aus dem Wasser und dem Heiligen Geist (vgl. Joh 3,5). Durch die Taufe, so lehrt der hl. Paulus, haben wir teil am Erlösungstod Christi, an seiner Auferstehung: wir sterben mit ihm, um zusammen mit ihm zu einem neuen Leben in Gott wiederzuerstehen. Das ist eine geistliche Verwirklichung des Ostergeheimnisses in jedem von uns: wir alle werden zum göttlichen Leben geboren zusammen mit dem „Übergang“ Christi vom Tod zum Leben. Wie Ostern in Pfingsten seine Vervollkommnung findet, so vervollständigt sich die Taufe in der Firmung. Durch die Firmung soll sich — durch das Wirken des Heiligen Geistes — in jedem Getauften eine Glaubensreife heranbilden, ähnlich jener, die sich in den Aposteln am Pfingsttag gezeigt hat. 3. Wenn ihr heute dieses Sakrament empfangt, seid euch dessen bewußt, daß die Kirche durch die Worte des Bischofs mit und für euch betet: „Allmächtiger Gott, Vater unseres Herrn Jesus Christus, du hast diese deine Söhne und Töchter in der Taufe von der Schuld Adams befreit, du hast ihnen aus dem Wasser und dem Heiligen Geist neues Leben geschenkt. Wir bitten dich, Herr, sende ihnen den Heiligen Geist, den Beistand“ (vgl. Firmritus, Nr. 25). Und seid euch ebenso dessen bewußt, daß Christus beim Vater für sie bittet, so wie er es im Abendmahlssaal am Vorabend seines Leides tat: „Für sie bitte ich“ (Joh 17,9). Als Christus diese Welt verließ, betete er für seine Jünger, für jene, die damals bei ihm waren, und für alle bis zum Ende der Welt: „Ich bitte für alle, die durch ihr Wort an mich glauben“ (Joh 17,20). In diesem Bewußtsein empfangt heute die heilige Firmung. Die Salbung, die ihr in wenigen Augenblicken erhalten werdet, möge euch hineinnehmen in den Strom des hohepriesterlichen Gebets Christi, des Gebetes, das von Generation zu Generation fortdauert. Wenn die Firmpaten und -patinnen, die Zeugen der Firmung, ihre Hand auf die Schulter jedes und jeder einzelnen von euch legen, vollziehen sie eine Ge- 1492 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ste, die auch in bestimmter Weise die Fortdauer des Glaubens und des Zeugnisses zum Ausdruck bringt, die in der Kirche seit dem Pfingsttag besteht. Deshalb sollt auch ihr im Glauben gestärkt werden. Auch ihr sollt Zeugen des Gekreuzigten und Auferstandenen werden, wie es die Apostel am Pfingsttag wurden. Zeuge sein heißt, in der Wahrheit Christi gestärkt zu werden, um dann die anderen zu stärken. 4. Jesus Christus hat kraft seines Todes und seiner Auferstehung „Macht über alle Menschen“ (vgl. Joh 17,2). Dies ist keine zeitliche Macht, weil sein Reich nicht nach zeitlichen Maßstäben zu messen ist. Kraft seines heilbringenden Gehorsams, kraft seiner Ganzhingabe an den Vater hat Jesus Christus „Macht im Himmel und auf der Erde“ erhalten (vgl. Mt 28,18), um allen, die der Vater ihm anvertraut hat, das ewige Leben zu schenken. Jeder von euch, der heute die Firmung empfangt, ist Christus, dem Erlöser des Menschen, anvertraut. Und er, Christus, will jedem von euch all das anvertrauen, was der Vater ihm selbst anvertraut hat. Wie den Aposteln am Anfang der Kirche, so vertraut er es auch euch in diesem Abschnitt der Geschichte der Kirche, in dem es euch gegeben ist, zu leben, an. Christus vertraut euch die Worte des ewigen Lebens an: „Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen, wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“ (Joh 17,3). Das Zeugnis, das ihr für Christus unter den verschiedenen Bedingungen und Umständen des zeitlichen Lebens ablegen sollt, enthält deshalb schon hier auf Erden den Beginn des ewigen Lebens in Gott, zu dem wir durch das Kreuz und die Auferstehung Christi berufen sind. 5. Dieser Beginn und der ganze Weg des Glaubens, den jeder und jede von euch hier auf der Erde in der Gemeinschaft der Kirche gehen sollen, werden heute von der Kirche selbst, dem Willen Christi entsprechend, dem Heiligen Geist angeboten und anvertraut, demjenigen, der der Tröster und der Geist der Wahrheit ist. Die Kirche bittet für die Firmlinge um die Gaben dieses Geistes: die Gabe der Weisheit und des Verstandes, die Gabe der Wissenschaft und des Rates, die Gabe der Stärke, der Frömmigkeit und der Gottesfurcht, damit es in eurem Herzen und Gewissen nie an einer heiligen Empfänglichkeit für Gott und sein Heilswirken in uns fehle. 1493 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Sprecht deshalb zusammen mit dem Psalmisten: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil: Vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist die Kraft meines Lebens: Vor wem sollte mir bangen?“ (Ps 26/27,1). Habt immer den Mut, im Geist Christi zu leben und zu handeln. Seid stark! Drogenmißbrauch, eine der größten Tragödien Botschaft an die internationale Konferenz über Drogenmißbrauch und illegalen Drogenhandel (ICDAIT) vom 4. Juni Das Phänomen des Drogenmißbrauchs ist eine der größten Tragödien, die heute die Gesellschaft heimsuchen, eine Tragödie, die immer weitere Ausmaße annimmt und sowohl Industrie- wie Entwicklungsländer mit verheerenden Auswirkungen auf die einzelnen Menschen, auf Familien und auf das ganze Sozialgefüge trifft. Die Tatsache, daß diejenigen, die den Mißbrauch treiben, vorwiegend junge Menschen sind, stellt jetzt, da wir uns dem Ende des zweiten Jahrtausends nähern, eine besondere Bedrohung für die zukünftige Stabilität der Gesellschaft dar. Unglücklicherweise gibt es Hinweise dafür, daß diese menschliche Tragödie ständig schlimmer wird: a) Illegale Drogen werden in weiterhin zunehmender Menge produziert; b) der illegale Drogenhandel, der ungeheuren Gewinn abwirft, geht unkontrolliert weiter; c) der Drogenmißbrauch hat eine unübersehbar weite Verbreitung; obwohl zumeist auf junge Leute konzentriert, findet er sich auch auf jeder Ebene der heutigen Gesellschaft, in Stadt und Land, unter Männern und Frauen, bei allen Rassen und Kulturen. Kein Land ist heute immun gegen diese moderne Geißel, weder im Osten noch im Westen, weder auf der nördlichen noch auf der südlichen Halbkugel, weder ärmere noch reichere Länder. Viele Faktoren tragen zu dem dramatischen Anwachsen des Rauschgiftmißbrauchs bei. Einer der bedeutendsten ist sicherlich der Zusammenbruch der Familie. Hinzu kommt, daß die traditionellen Lebensweisen, die generationenlang kulturelle Werte weitergegeben und dem täglichen Dasein Sinn verliehen haben, immer schwächer werden. Es gibt mehr und mehr Spannungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen; es steigen Arbeitslosigkeit und unmenschliche Lebensbedingungen; Ängste nehmen zu, die von der Bedrohung durch einen Atomkrieg und zahlreiche andere soziale Faktoren hervorgerufen sind, von denen das psychologische Bedürfnis, den Härten und quälenden Verantwortungen des Lebens zu entfliehen, nicht der geringste ist. An der Wurzel dieses Übels aber steht der Verlust ethischer und geistiger Werte. Wenn es wahr ist, daß die Jugend von heute der Hauptkonsument harter Dro- 1494 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gen ist, dann ist die Frage berechtigt, ob daran die Beschaffenheit der Gesellschaft schuld ist, in der unsere jungen Leute erzogen werden. In der Entwurzelung des modernen Menschen liegt das Kernproblem Wo Drogenmißbrauch vorkommt, zehrt er am Mark der Gemeinschaft. Er mindert die menschliche Kraft und den moralischen Halt. Er untergräbt hoch-geschätzte Werte. Er zerstört den Willen, zu leben und zu einer besseren Gesellschaft beizutragen. Drogenmißbrauch ist in der Tat eine Geißel gleich einer Hungersnot, einer Dürrekatastrophe oder einer Epidemie. Jedes Jahr mäht er eine immer größere Ernte an Menschenleben nieder. Aber die moderne Seuche der Drogenabhängigkeit hat sich nicht völlig ungehindert verbreitet, nicht ohne daß man ihr Widerstand entgegengesetzt hätte. Wir können unsere Augen nicht vor dem gewaltigen Ausmaß des Übels verschließen, das dieses tragische Problem der Menschheit zugefügt hat; aber wir sollten auch nicht versäumen, die vielen, ja heroischen Anstrengungen zu sehen, die gemacht werden, um ihm entgegenzutreten. Die Vereinten Nationen wie auch andere staatliche und nicht-staatliche Institutionen haben auf internationaler und regionaler Ebene die Aufmerksamkeit auf die Folgen des Drogenmißbrauchs gelenkt. Versammlungen wurden abgehalten, Studien unternommen und andere Mittel angewandt, und mit Freude hat der Hl. Stuhl an diesen Initiativen aktiv mitgewirkt. Das ständige Anwachsen der illegalen Produktion und des Verkaufs von Drogen macht die Pflicht noch dringender, jene Initiativen auszuweiten, die nun konkrete und positive Resultate zu ergeben scheinen. Es ist dringend geboten, daß die kriminelle Tätigkeit der Drogenproduktion und des Drogenhandels direkt angegangen und endlich zum Stillstand gebracht wird. In dieser Hinsicht gelten meine Ermutigung und Bewunderung allen Ländern, in denen führende Politiker und Bürger sich ernsthaft dafür einsetzen, Produktion, Verkauf und Mißbrauch von Drogen zu bekämpfen und dafür manchmal einen sehr hohen Preis zahlen, ja sogar ihre eigene Gesundheit dafür opfern. Und mein Beifall richtet sich an alle, die mit gleicher Entschiedenheit daran arbeiten, zu Hause, in der Schule und am Arbeitsplatz zur vorbeugenden Erziehung beizutragen. Das erfordert eine gewisse Form der Zusammenarbeit mit Stellen auf nationaler und internationaler Ebene. Keine Vogel-Strauß-Politik gegenüber den ökonomischen Problemen Doch das alles würde noch nicht genügen, wenn solche politischen, gesetzlichen und erzieherischen Bemühungen nicht von anderen Initiativen begleitet 1495 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN wären, wie z. B. jener, daß man in Gebieten, in denen dem Landwirt keine andere gewinnbringende oder erfolgversprechende Wahl zu bleiben scheint als illegale Anpflanzungen, als Alternative deren Ersatz durch Getreideanbau möglich macht. Um für eine solche Alternative zu sorgen, sind umfassende landwirtschaftliche Entwicklungsprogramme notwendig mit stabilen Infrastrukturen, angemessener Technologie und den grundlegenden Einrichtungen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge, der Erziehung usw. Es liegt auf der Hand, daß das Problem der Drogenabhängigkeit und des illegalen Drogenhandels nicht ohne Beziehung zur Frage der menschlichen Entwicklung ist. Besondere Beachtung muß auch der Behandlung und Rehabilitierung jener geschenkt werden, die der Drogensucht verfallen oder in ungesunder Weise in Abhängigkeit geraten sind. Dafür sind die Errichtung und der Unterhalt von Instituten erforderlich, die den besonderen Bedürfnissen jedes einzelnen Opfers des Drogenmißbrauchs entsprechen können. Die sehr unterschiedliche Bedürftigkeit erfordert die Möglichkeit von dreierlei Maßnahmen: medizinische, soziale und gesetzliche. Die Kirche ist bereit, dabei zu helfen, vor allem durch die Zentren, die sie selbst eingerichtet hat, und durch ihre Mitarbeit in Zentren, die von anderen Stellen erstellt wurden. Ein Schlüsselfaktor erfolgreicher Rehabilitierung, vor allem von jungen Leuten, besteht darin, daß sie ihr Selbstvertrauen und eine gesunde Selbstachtung zurückgewinnen. Daraus erwächst eine frische Motivation, die in soliden moralischen und geistigen Werten ihre Grundlage hat. Man muß Drogenabhängigen helfen, Beziehungen des Vertrauens zu ihrer Familie und zu ihren Freunden wiederherzustellen. Man muß ihnen ebenso helfen, ihre Arbeit, ihre Ausbildung oder Berufsvorbereitung wieder aufzunehmen. Die Familien spielen in diesem Prozeß eine große Rolle, ebenso Erziehungs-, soziale und kulturelle Institutionen. Rehabilitierung erfordert Teamarbeit, und alle sollten bereitwillig mit den Familien und allen, die es betrifft, Zusammenarbeiten. Ich versichere Ihnen, daß die Kirche den vielen und mannigfachen Anstrengungen, die gemacht werden, jede mögliche Unterstützung anbieten möchte. Und ich möchte ein Wort persönlicher Ermutigung an Sie und an die Regierungen und Organisationen, die Sie vertreten, hinzufügen. Der gemeinsame Kampf gegen die Plage des Drogenmißbrauchs und des illegalen Drogenhandels rührt aus dem ernsten Bewußtsein einer Sendung gegenüber der Menschheit und der wahren Zukunft der Gesellschaft, einer Sendung, deren Erfolg gegenseitiges und hochherziges Mittun von seiten aller erfordert. Gott segne Ihre Bemühungen! Möge die Konferenz für die übrige Welt ein Leuchtfeuer zur Ermutigung und zur Hoffnung sein! 1496 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Apostolisches Schreiben zur Sechshundertjahrfeier der „Taufe“ Litauens vom 5. Juni Apostolisches Schreiben an den verehrten Mitbruder Liudas Povilonis, Apostolischer Administrator von Kaunas und Vilkaviskis und Präsident der Litauischen Bischofskonferenz, und an alle anderen Bischöfe Litauens. 1. Das sechshundertjährige Jubiläum der „Taufe“ Eures Volkes, das Ihr in diesem Gnadenjahr feierlich begeht, ist für Euch und für eure Gläubigen eine Gelegenheit zur Vertiefung des Glaubens, zum Gebet und zur geistigen Erneuerung, der sich die ganze Kirche in inniger brüderlicher Verbundenheit anschließt. Wie ich bei verschiedenen Anlässen — und noch kürzlich in der Homilie der hl. Messe vom vergangenen 1. Januar — in Erinnerung gerufen habe, gedenkt die gesamte Kirche mit Euch dieses so bedeutungsvollen Jubiläums und dankt Gott zusammen mit Euch „für sein unfaßbares Geschenk“ (2 Kor 9,15). Die Kirche von Rom und alle Schwesterkirchen der Welt vereinen sich mit dem inständigen Dankgebet, das Ihr für das unschätzbare Gnadengeschenk der „Taufe“, für die Aufnahme, die sie bei den Menschen Eures Volkes fand, und für die Wohltaten, die sie ihnen brachte, sowie für die Kraft und den Eifer, mit denen Eure Väter diese „Taufe“ in den Ereignissen einer sechshundertjährigen Geschichte bewahrten und entwickelten, dem Herrn darbringt. Die Universalkirche ist sich des großen geistlichen Reichtums dankbar bewußt, den die katholische Gemeinde Litauens in die kirchliche Gemeinschaft eingebracht hat und immer noch einbringt, und erkennt in ihrem jahrhundertelangen Zeugnis der Treue zu Christus das Wirken des Heiligen Geistes, der „durch die Kraft des Evangeliums die Kirche allezeit sich verjüngen läß, sie immerfort erneuert und zur vollkommenen Vereinigung mit ihrem Bräutigam geleitet“1. Wie Ihr wißt, werde ich, um diese weltweite Gemeinschaft mit Euch zu bekunden, am kommenden 28. Juni gleichzeitig mit der nationalen Feier in Vilnius einer feierlichen Konzelebration am Grab des Apostels Petrus vorstehen, bei der ich die Freude habe, einen großen Sohn und Hirten Eures Volkes seligzusprechen: den Erzbischof Jurgis Matulaitis. Mir zur Seite werden dabei Vertreter der Bischöfe des europäischen Kontinents sein: Ihre Anwesenheit wird unsere geistige Nähe zur Kirche in Litauen auch sichtbar ausdrücken. 1497 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Die Bekehrung der litauischen Stämme zum Christentum geschah einige Jahrhunderte nach jener der benachbarten Völker des alten Europas. Eingekeilt zwischen den Osten, von wo die slawischen Völker herandrängten, und den Westen, von wo die mächtigen Deutschordensritter kamen, hatten Eure Vorfahren bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts die Strukturen eines selbständigen Staates gefestigt und waren hartnäckig darum bemüht, ihre Unabhängigkeit und Freiheit zu verteidigen. Diese besonderen politischen und geographischen Umstände erklären, warum sich die Litauer so lange gesträubt haben, das Kreuz aus den Händen derer anzunehmen, die ihnen mit dem Schwert in der Hand nahten und sie zu unterwerfen drohten. Um sich gerade diesen Pressionen von außen zu entziehen, entschloß sich der Großherzog Mindaugas, den katholischen Glauben anzunehmen und sich unter den besonderen Schutz dieses Stuhles zu stellen, wobei er von Papst Innozenz IV. die Königskrone erhielt. Der Papst errichtete gleichzeitig die erste litauische Diözese und verfügte, daß diese einzig dem Heiligen Stuhl unterstellt sei. Aber die Bekehrung des Mindaugas, die nicht angemessen vorbereitet war, trat auf Widerstände im Volk, das dem Beispiel des Großherzogs nicht folgte. Noch vor dem Jahr 1260 mußte sich der Bischof zurückziehen, und 1263 setzte der tragische Tod des Mindaugas jenem kurzen Frühling ein Ende. 3. Man mußte noch über ein Jahrhundert warten, bis der leuchtende Tag der „Taufe“ erstrahlte. Er war Werk und Verdienst eines herausragenden Sohnes Litauens, des Großherzogs Jogaila, der im Jahre 1386 zustimmte, zusammen mit seinen Untergebenen im katholischen Glauben getauft zu werden, wobei er die Krone Polens behielt und die Königin Hedwig heiratete, die strahlende Figur einer christlichen Frau, die noch heute in Krakau als Selige verehrt wird. Im Verlauf der vier folgenden Jahrhunderte ist die Geschichte Litauens von einer einzigartigen Gemeinsamkeit der politischen wie religiösen Geschicke mit Polen geprägt. Im Jahre 1387 kehrte der König, der den Namen Ladislaus II. angenommen hatte, nach Vilnius, der Hauptstadt des Großherzogtums, zurück und leitete die Bekehrung des Volkes ein, das in großer Zahl die Taufe empfing und das auch wegen der persönlichen Frömmigkeit des Herrschers. In jenem Jahr wurde die Diözese von Vilnius gegründet und zu ihrem ersten Bischof der Franziskaner Andreas ernannt, der bereits Missionar unter Euren Stämmen gewesen war. Im Jahre 1413 widmete sich Jogaila zusammen mit seinem Vetter, dem Großherzog Vytautas, der Evangelisation der litauischen Bevölkerung von Samogi-tia. Einige Jahre später bestimmte das Konzil von Konstanz für jene Gegend 1498 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN eigene Legaten, um die Diözese von Medininkai zu errichten, deren ersten Bischof Matthias zu weihen und die Bekehrung der Bevölkerung zu vertiefen. König Jogaila, ein Mann von reinem und edlem Herzen, führte ein durch . christliche Tugenden beispielhaftes Leben, indem er Werke der Frömmigkeit und Barmherzigkeit tat und sich mit lebendigem Eifer um das Geschick der Kirche kümmerte. Er erließ weise Anordnungen, um die freie Ausbreitung und Einwurzelung des christlichen Glaubens in allen Gegenden des Großherzogtums zu fordern. 4. Die „Taufe“ fügte Eure Nation in die große Familie der christlichen Völker Europas ein, in jene „christianitas“, die die Geschicke des Kontinents tief geprägt hat und sein wertvollstes gemeinsames Erbe und das Fundament zur Errichtung einer Zukunft des Friedens, des echten Fortschritts und der wahren Freiheit darstellt. Litauen schloß sich so auch der großen kulturellen Umgestaltung an, die in jenem Jahrhundert in Europa begann und die von christlichen Prinzipien durchdrungen und offen war für die Erfordernisse eines neuen Humanismus, der im Glauben seine besten Motivationen und den Antrieb zur Förderung jener großen werte fand, die die Geschichte Europas berühmt und seine Anwesenheit unter den anderen Kontinenten fruchtbar gemacht haben. Durch diese Einbeziehung gelangte Litauen zu einer neuen und vielversprechenden Blüte an geistigen Energien, die sich in steigendem Maße in den verschiedenen Formen von Kultur, Kunst und Gesellschaftsordnung ausdrücken sollten. Euer Land füllte sich mehr und mehr mit Kirchen und Konventen, die zugleich Zentren waren, von denen Glaube und Kultur ausstrahlten. Im Laufe der Jahrhunderte und dem geschichtlichen Wandel entsprechend kamen so zum Werk der Evangelisierung vorausschauende Initiativen im Bereich von Erziehung und Volksbildung hinzu; an die Seite der Ordenshäuser traten Schulen, und das Glaubensleben entfaltete sich in täglichen Werken der Liebe, in tausend Formen von sozialer Unterstützung und Förderung. Ich möchte hier an die Bedeutung erinnern, die in diesem Zusammenhang das Wirken der Ordensgemeinschaften gehabt hat: der Dominikaner und Franziskaner, die als erste zu Euren Stämmen gekommen sind, und dann der Benediktiner, der Franziskaner der neuen Observanz (im Volk Bernhardiner genannt, nach dem hl. Bernhardin von Siena) und der Basilianer. 5. Andere Orden und Kongregationen gaben nach dem Konzil von Trient dem kirchlichen Leben in Litauen neue Kraft, nachdem es infolge der protestantischen Reformation eine Periode der Schwäche durchgemacht und zahlreiche Abfälle erlitten hatte. Eigens erwähnt werden muß das Wirken der Gesell- 1499 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN schaft Jesu, die sich um die Verwirklichung der tridentinischen Reform besonders verdient gemacht hat. Im Jahre 1570 eröffneten die Jesuiten in Vilnius ein berühmtes Kolleg, das neun Jahre später die erste Universität der Nation wurde, eine wahre Talentschmiede für Priester und Menschen der Kultur. Der tröstliche Aufschwung der katholischen Kirche war begleitet von einem Anstieg der Priester- und Ordensberufe. Man förderte Initiativen zum Besten des Volkes, wie Bibliotheken, Druck von religiösen Büchern, Konvikte für arme Schüler und Studenten, Volksapotheken, Vereine und Bruderschaften, Schulen für Künste und Handwerk. Aber vor allem wurde eine umfassende und intensive apostolische Tätigkeit unter den Ärmsten, der Landbevölkerung, begonnen, wo besonders schmerzliche Situationen von Abhängigkeit und Elend fortbestanden und wo man dringender verspürte, wie notwendig die befreiende Botschaft christlicher Liebe war. 6. Diesem unermdlichen pastoralen Wirken entsprach glücklicherweise die hochherzige Bereitschaft des litauischen Volkes. Das Christentum war so für die Nation wahrhaftig wie der Sauerteig im Evangelium, es prägte das tägliche Leben, trieb dort starke Wurzeln und wurde sozusagen seine Seele. Das Volk ließ sich vom Glauben durchdringen und bezeugte ihn kraftvoll und deutlich auch in den schwierigsten Augenblicken seiner Geschichte, in den Stunden von Leid und Opfer. Ich möchte hier an einige der eindrucksvollsten Formen dieses Glaubens, erprobt wie Gold im Schmelztiegel (vgl. 1 Petr 1,7), erinnern. An erster Stelle erwähne ich die jahrhundertealte innige Verehrung der Gläubigen für das Leiden Christi, bezeugt durch unzählige Kreuze am Straßenrand, durch die häufige Darstellung des leidenden Jesus als typische Formen der Volkskunst, durch die als „Kalvarija“ bezeichneten Stätten mit ihren Kreuzwegstationen, wodurch Euer Land zu Recht den Titel „Land der Kreuze“ erhalten hat. Und wie könnte man in dieser erwartungsvollen Vigil der Eröffnung des Marianischen Jahres die große Liebe der litauischen Gläubigen zur Muttergottes vergessen? Die heiligste Jungfrau und Mutter der Barmherzigkeit wird in besonderer Weise am Osttor von Vilnius wie auch an anderen vielbesuchten Wallfahrtsorten — wie Siluva, Zemaicnj, Kalvarija, Krekenava, Pivasiünai — verehrt. Seit Jahrhunderten bis heute ziehen die Gläubigen aller Diözesen mit großem Eifer und oft auch unter Opfern als Pilger zu diesen Stätten des Glaubens und der Frömmigkeit. Sie vertrauen sich derjenigen an, die Christus uns am Kreuz in einem höchsten Akt der Liebe als Mutter und Mittlerin der Gnade geschenkt hat. Ich möchte schließlich der litauischen katholischen Gemeinschaft gegenüber noch ein weiteres deutliches Zeichen unverbrüchlicher Treue zu Christus und 1500 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN kirchlicher Lebendigkeit hervorheben: die starke Liebe und große Verehrung, mit der sie stets mit dem Stuhl Petri vereint geliehen ist; des Apostels, dem der Herr das Amt übertragen hat, die Brüder zu stärken und sie in der Gemeinschaft der Kirche geeint zu halten, indem er ihn zum Fels des geistigen Tempels machte, gegen den die Mächte der Unterwelt nichts vermögen. 7. Die Kirche war so tief mit der nationalen Wirklichkeit verbunden, ich möchte sogar sagen, eins mit ihr, daß Eure Väter sich in jeder Epoche, vor allem aber bei auftretenden Prüfungen, in den dunklen und leidvollen Stunden, die noch in jüngster Zeit die Geschicke Eures Landes gekennzeichnet haben, eng um sie geschart haben. In der Kirche, in ihrer Lehre, in ihrem verkündenden und erlösenden Wirken, in ihrem Dienst an der Einheit und Wahrheit hat Euer Volk immer den Sinn der eigenen Geschichte, seine besondere Identität, den Grund zu leben und zu hoffen gefunden. Ich wiederhole hier gern, was ich zu einer Gruppe von Letten gesagt habe, die zur Achthundertjahrfeier der Christianisierung eines Euch nahen Landes, von Livland nämlich, nach Rom gekommen waren: „Dort, wo das Wort Gottes, sei es auch unter Schwierigkeiten jeglicher Art, in das tiefe Bewußtsein eines Volkes eindringt und von ihm angenommen wird, bestimmt dieses für immer das Bewußtsein, das dieses Volk von sich und seiner Geschichte hat. Im Hören des Wortes Gottes erkennt das Volk seine wahre Identität“. Um so bedeutender erscheint der Umstand, daß für die Litauer neben der Kirche das andere Bollwerk der Verteidigung die Familie gewesen ist: ja, die christliche Familie, wahre „Hauskirche“, fest verankert in den Werten des Glaubens, der in der Liebe, im Opfer, in gegenseitiger Hingabe lebt. In Eurem Vaterland hat die christliche Familie es immer verstanden, ihrer Berufung treu zu bleiben, nämlich das kostbare Geschenk der „Taufe“ zu empfangen, zu bewahren und an die Nachkommen weiterzuvermitteln, wodurch sie nach einem schönen Wort des n. Vatikanischen Konzils eine „Schule reich entfalteter Humanität“ geworden ist. Die Kirche und die Familie haben, wenn auch unter vielen Schwierigkeiten und Hindernissen, den Glauben und die Kultur lebendig erhalten. Es ist ihnen zuzuschreiben, wenn die Nation die eigene Identität und das Selbstbewußtsein nicht verloren hat. Und auch heute noch, da die Zeiten in vieler Hinsicht nicht mehr günstig wie in der Vergangenheit sind, bleiben Kirche und Familie die Hüter dieses heiligen und unantastbaren Schatzes, des Heiligtums der großen menschlichen und christlichen Werte: die Freiheit des Gewissens, die Würde der Person, das Erbe der Väter, die kulturelle Tradition und die Fülle 1501 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sittlicher Kraft, die sie enthalten und in der die Hoffnung für die Zukunft liegt. 8. Die sechshundert Jahre christlichen Lebens in Litauen bieten unzählige Zeugnisse für das ununterbrochene Wirken des Heiligen Geistes, der Eure Kirche mit seinen Früchten (vgl. Gal 5,22) reich ausgestattet hat, indem er Scharen von Männern und Frauen hervorgebracht hat, die würdig sind, als wahre Jünger Christi anerkannt zu werden. Ich möchte zusammen mit Euch einiger dieser Shne Litauens gedenken, die im Herzen des Volkes ein unauslöschliches Zeichen ihrer Tugend und ihres apostolischen Eifers hinterlassen haben. Unsere Gedanken und unser Fürbittgebet wenden sich an erster Stelle an den hl. Kasimir, den Papst Urban VIII. schon im Jahre 1636 zum Patron Litauens erklärt hat. Vor drei Jahren habt Ihr den 500. Todestag seines Todes feierlich begangen. Jene Jubiläumsfeiern, an denen ich zusammen mit der ganzen Kirche habe intensiv teilnehmen wollen, waren eine Stunde der Gnade für Eure kirchliche Gemeinschaft. Als Sproß des ruhmreichen Geschlechtes der Jagellonen war Prinz Kasimir in einzigartiger Weise mit Tugenden ausgestattet und „früh vollendet“ (Weish 4,13). Nach weniger als einem Jahrhundert war er die reife Frucht der „Taufe“ seines Volkes. Er wurde in Vilnius, im Herzen der Nation, begraben, die seit fünf Jahrhunderten mit unverminderter Verehrung seine Reliquien hütet. Bezeichnenderweise werden an seinem Grab die Jubiläumsfeiern ihren Höhepunkt finden. Als leuchtendes Beispiel von Reinheit und Liebe, von Demut und Bruderdienst hat Kasimir der Liebe Christi nichts vorgezogen und sich von seinen Zeitgenossen den vielsagenden Titel eines „Verteidigers der Armen“ verdient. Papst Pius XII. hat ihn zum besonderen Patron der litauischen Jugend erklären und sein „edles und gültiges Vorbild“ den Generationen vor Augen stellen wollen, die unter so vielen Widerständen und Gefahren heranwachsen. 9. Ferner erinnere ich an den Bischof von Samogitia, Merkelis Giedraitis, einen wahren Apostel der tridentinischen Reform, den mein verehrter Vorgänger Johannes XXIII. bei der 350-Jahr-Feier seines Todes vor allem den Hirten der litauischen Kirche als Vorbild empfohlen hat. Als Mann, der sich durch priesterliche Frömmigkeit und Tugend, durch Kraft und Weisheit auszeichnete, zeigte Bischof Giedraitis in seinem intensiven Apostolat, „was es bedeutet, für den katholischen Glauben zu kämpfen und ihn mit allen Kräften zu verteidigen“. 1502 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Entsprechend der Unterweisung des Apostels Paulus an Timotheus „kämpfte er den guten Kampf, gläubig und mit reinem Gewissen, während schon manche die Stimme ihres Gewissens mißachtet und im Glauben Schiffbruch erlitten haben“ (i Tim, 1,18-19). Angesichts der sich ausbreitenden Häresie und des Fortbestehens alter heidnischer Bräuche in gewissen Gegenden machte sich Bischof Giedraitis zum Vorkämpfer einer echten geistigen Wiedergeburt, indem er sich um die Ausbildung des Klerus sorgte, neue Kirchen errichtete und sich auch persönlich in der katechetischen Unterweisung des Volkes einsetzte, die er in seiner Muttersprache erteilte. Denselben Spuren folgte im vergangenen Jahrhundert auch sein Nachfolger in der Diözese Samogitia, Mons. Motiejus Valancius. Seine bischöfliche Leitung fiel zusammen mit traurigen und dunklen Zeiten für die Nation, die ihre eigene zivile und religiöse Identität bedroht sah. In diesen schwierigen Augenblicken war Bischof Valancius nicht nur ein eifriger und umsichtiger Hirte der Herde Gottes, sondern wurde zum wahren moralischen Führer seines Volkes. Bekannt sind seine kraftvollen Aufrufe an die Priester und christlichen Eltern, daß sie sich ihrer Verantwortung bewußt würden, den jungen Generationen zusammen mit dem Glauben der Väter auch den ganzen Reichtum der kulturellen und religiösen Tradition der Nation zu übermitteln. Gleichzeitig bemühte sich Mons. Valancius um eine ebenso schwierige wie verdienstvolle Wiederherstellung des religiösen Lebens im Volke durch Katechese und Unterricht, die er heimlich und unter großem Risiko organisierte. An der Seite ihrer Mütter lernten die Kinder damals mit Texten des Katechismus auch lesen und schreiben. Die Weisheit und Hochherzigkeit von Mons. Valancius, die von Euren Vätern großzügig und mutig beantwortet wurden, erlaubten es, daß auch in schwierigen Zeiten der Same des Wortes Gottes nicht verloren ging und die Nation um diesen Kern ihre Einheit formen konnte. <41> <41> Am kommenden 28. Juni werde ich die Freude haben, einen anderen sehr würdigen Sohn der litauischen Kirche und Nation zur Ehre der Altäre zu erheben, den Diener Gottes Mons. Jurgis Matulaitis, der erst vor sechzig Jahren gestorben ist. Als wahrer „Knecht und Apostel Jesu Christi“ (2 Petr 1,1) war er Oberhirte von Vilnius, weitschauend und eifrig besorgt um alle seine Kinder, auch die fernstehenden. Treu seinem bischöflichen Wahlspruch: „Besiege das Böse durch das Gute“ stellte er sich in seinem Bischofsamt zahlreichen und großen Schwierigkeiten, wobei er sich „für alle zum Sklaven gemacht hat, um möglichst viele zu gewinnen“ (1 Kor 9,19), und sich einzig für das Wohl der Kirche und das Heil der Seelen eingesetzt hat. Mit seinem fruchtbaren kirchlichen Dienst bleiben vielfältige pastorale Initiativen verbunden, von denen ich die Werke des Laienapostolats und die Ver- 1503 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN breitung der Soziallehre der Kirche erwähnen möchte, durch die er seine Gläubigen zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung führen wollte, alles in Christus zu erneuern. Ihm schulden sie ferner die Erneuerung seiner Kongregation der Kleriker Mariens und die Gründung der Kongregationen der Schwestern von der Unbefleckten Empfängnis und der Mägde Jesu von der Eucharistie. Von Papst Pius IX. zum Apostolischen Visitator von Litauen ernannt, wirkte der Diener Gottes mit Umsicht und Eifer, so daß es für den Papst möglich wurde, mit der Apostolischen Konstitution „Lituanorumgente“ vom 4. April 1926 die litauische Kirchenprovinz zu errichten. Das katholische Leben erfuhr eine bemerkenswerte Blüte in den verschiedenen Bereichen der Katechese, der Priester- und Ordensberufe, der katholischen Aktion, der verschiedenen vom Evangelium geprägten kulturellen Ausdrucksformen. Der gute Samen, der von Mons. Matulaitis mit großer Freigebigkeit ausgestreut worden war, brachte hundertfältige Früchte hervor, und die Kirche erlebte einen neuen Frühling. Doch auch er selbst wollte zum Samen werden, der in der Erde sirbt, um nicht allein zu bleiben und viele Frucht zu bringen (vgl. Joh 12,21), wie es die bewegende Anrufung bezeugt, die er uns gleichsam als Testament in seinem geistlichen Tagebuch hinterlassen hat und die ich heute mit Euch wiederholen mchte: „Mach, o Jesus, daß ich mich für deine Kirche aufopfere, für das Heil der von deinem Blut erlösten Seelen, um mit dir zu leben, mit dir zu arbeiten, mit dir zu leiden und, wie ich hoffe, auch mit dir zu sterben und zu herrschen“. 11. Schließlich möchte ich es nicht unterlassen, die große Schar von Söhnen und Töchtern Eures Landes zu erwähnen, die in diesen sechs Jahrhunderten mit Freimut den in der „Taufe“ empfangenen Glauben bekannt haben und die keine Prüfung, auch nicht die härteste, von der Liebe Christi hat trennen können (vgl. Röm 8,35). Es sind Bischöfe, Priester, Ordensmänner und -frauen, Katecheten, einfache Gläubige, die Demütigungen, Diskriminationen, Leiden und mitunter Verfolgung bis hin zum Exil, Gefängnis, Verschleppung und sogar den Tod erduldet haben in der Freude, „daß sie gewürdigt worden waren, für seinen Namen Schmach zu erleiden“ (Apg 5,41). Sie bezeugen die Gnade, die der Herr seiner Kirche verheißen hat, „damit sie in der Schwachheit des Fleisches — auf ihrem Weg durch Prüfungen und Trübsal — nicht abfalle von der vollkommenen Treue, sondern die würdige Braut ihres Herrn verbleibe und unter der Wirksamkeit des Heiligen Geistes nicht aufhöre, sich selbst zu erneuern, bis sie durch das Kreuz zum Lichte gelangt, das keinen Untergang kennt“ <42>. Durch sie hat der Geist zu Eurer Gemeinschaft und zur ganzen heiligen katholischen Kirche gesprochen und <42> Am kommenden 28. Juni werde ich die Freude haben, einen anderen sehr würdigen Sohn der litauischen Kirche und Nation zur Ehre der Altäre zu erheben, den Diener Gottes Mons. Jurgis Matulaitis, der erst vor sechzig Jahren gestorben ist. Als wahrer „Knecht und Apostel Jesu Christi“ (2 Petr 1,1) war er Oberhirte von Vilnius, weitschauend und eifrig besorgt um alle seine Kinder, auch die fernstehenden. Treu seinem bischöflichen Wahlspruch: „Besiege das Böse durch das Gute“ stellte er sich in seinem Bischofsamt zahlreichen und großen Schwierigkeiten, wobei er sich „für alle zum Sklaven gemacht hat, um möglichst viele zu gewinnen“ (1 Kor 9,19), und sich einzig für das Wohl der Kirche und das Heil der Seelen eingesetzt hat. Mit seinem fruchtbaren kirchlichen Dienst bleiben vielfältige pastorale Initiativen verbunden, von denen ich die Werke des Laienapostolats und die Ver- 1504 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN spricht er noch heute. Ihr Kreuz, in Einheit mit dem erlösenden Leiden Christi getragen, ist so zum Werkzeug der Gnade und der Heiligung geworden. Das ist eine erlesene Schar von Bekennern und Märtyrern, für die Ihr heute dem Herrn dankt, wobei Ihr zu Recht darüber froh und stolz seid. Ich rufe Euch auf, ihr leuchtendes Vorbild zusammen mit Euren Gläubigen aufzugreifen: für ein immer überzeugteres und konsequenteres Glaubensleben, für ein immer einsatzbereiteres Apostolat, das Frucht bringt in Werken der Liebe, für eine willige und bewußte Zustimmung zum Willen Gottes, der sich in der Berufung eines jeden zeigt. Ich möchte mich vor allem an Eure jungen Menschen wenden: Sie tragen ja das Schicksal der Nation in Händen, das sie in das neue Jahrtausend der christlichen Zeitepoche hinüberbringen sollen. Jugendliche des gläubigen und hochherzigen Litauen! Versteht es, das Erbe Eurer Väter mit Freude und Zuversicht zu übernehmen! Nehmt in Eure Herzen auf das bisweilen heroische Zeugnis, das sie Euch hinterlassen haben, ein Zeugnis der Liebe zu Christus und zu seiner Kirche! Macht Euch diesen unermeßlichen Schatz zu eigen und seid seiner würdig! Er werde in Euch zum Keim einer großen Hoffnung. 12. Liebe Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt, Ihr Ordensmänner und -frauen und alle Brüder und Schwestern einer weit entfernten und mir dennoch nahen und besonders lieben Kirche, Söhne und Töchter einer hohen Nation! Ich, Bischof von Rom und oberster Hirte der Universalkirche, knie mit Euch bei den Reliquien des hl. Kasimir nieder, mit Euch danke ich Gott, dem Geber alles Guten, für das Geschenk Eurer „Taufe“, und bete für Euch, „daß er Euch Eurer Berufung würdig mache und in seiner Macht allen Willen zum Guten und jedes Werk zum Glauben vollende. So soll der Name Jesu, unseres Herrn, in Euch verherrlicht werden und Ihr in ihm“ (2 Thess 1,11 f.). Im Namen der ganzen Kirche vertraue ich Gott das Glaubenserbe Eurer Nation an und bitte ihn: Bewahre und segne das Werk, das du in diesen sechs Jahrhunderten vollbracht hast! Allmächtiger Vater, sei diesen deinen Söhnen und Töchtern gnädig, die du aus der Finsternis in den Glanz deiner Wahrheit geführt hast. Gieße ihren Herzen deinen Geist ein, Geist der Wahrheit und Beistand, damit sie in ihrem Volk die Früchte der Auferstehung deines Sohnes gegenwärtigsetzen können. Gib den Hirten dieses Volkes, das dir gehört, Frömmigkeit und Weisheit, damit sie ihre Herde zu den Weiden des Lebens führen können. Gib, allmächtiger Gott, daß sie ihren heiligen Dienst in Freude und voller Freiheit auszuüben vermögen. Gieße dein Licht und deine Kraft in die Herzen derer ein, die du berufen hast, sich dir zu weihen, damit sie standhaft bleiben und sich vorbehaltlos zu schen- 1505 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ken vermögen. Vervielfache die Zahl derer, die die Berufung zum Priestertum und zum Ordensleben annehmen, stärke ihren hochherzigen Vorsatz und gib, daß sie ohne Hindernisse auf dem Weg deines göttlichen Dienstes voranschreiten können. Herr, wende deinen Blick den Familien zu, die in deiner Liebe geeint leben. Gib, daß sie mit Freude und Verantwortung das Geschenk des Lebens annehmen und mit deiner Gnade in der gegenseitigen Liebe wachsen können. Gib, daß die Eltern ihren Kindern das Geschenk des Glaubens zusammen mit dem konkreten Zeugnis eines authentischen christlichen Lebens zu bieten vermögen. Gott, wende den Blick deiner Liebe den Jugendlichen Litauens zu. Sie tragen eine große Hoffnung im Herzen: Mache sie stark und rein, damit sie vertrauensvoll ihre Zukunft aufbauen können. Gib, daß sie das Glaubensgeschenk ihrer Väter in Freiheit empfangen können; gib, daß sie es mit Dankbarkeit aufnehmen und hochherzig entfalten. Du bist der Herr der Völker und der Vater der Menschheit. Ich erbitte deinen Segen für diese deine Familie in Litauen: Möge sie in Übereinstimmung mit ihrem Gewissen der Stimme deines Rufes auf den seit sechshundert Jahren bis heute gewiesenen Wegen folgen können. Ihre Teilhabe an deinem Reich der Heiligkeit und des Lebens möge von niemandem im Gegensatz zum Wohl des irdischen Vaterlandes gesehen werden. Möge sie dir immer und überall die geschuldete Ehre erweisen und frei und unbeschwert Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe bezeugen können. Herr, segne dieses Volk, zeige ihm dein Angesicht und schenke ihm deinen Frieden! Im Geist des Vertrauens wende ich mich jetzt an dich, geliebte Mutter Christi und unsere Mutter, und vereine dabei meine Stimme mit der deiner litauischen Kinder, die dich voller Zuversicht um deine Fürsprache anflehen. Mutter der Barmherzigkeit, zu dir eilt dieses Volk und stellt sich unter deinen Schutz: Weise seine Bitten in der Not nicht zurück, bewahre es vor Gefahren, führe es zu deinem Sohn. O Mutter, du bist das Gedächtnis der Kirche. Du bewahrst in deinem Herzen das Geschick der Menschen und Völker. Dir empfehle ich das Gedenken der sechs Jahrhunderte christlichen Lebens der Brüder und Schwestern Litauens und bitte dich, ihnen zu helfen, weiterhin und immerdar treu zu Christus und seiner Kirche zu stehen. 1506 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Euch, verehrte liebe Mitbrüder, Euren Gläubigen, allen Litauen überall in der Welt erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen. Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 5. Juni 1987. Joannes Paulus P.P. II Anmerkungen 1 Konzilskonstitution Lumen gentium, 4. 2 Vgl. den Europa-Akt von Santiago de Compostela, in Insegnamenti di Giovanni Paolo II, 5, 3 (1982), 1260. 3 L’Osservatore Romano, 27. Juni 1986, S. 5. 4 Lumen gentium, 11. 5 Gaudium et spes, 52. 6 Ng\. AAS 42 (1950), S. 380-382. 7 Vgl. AAS 52 (1960), II, S. 40-43. 8 Ebd., S. 43. 9 Tagebuch, 17. August 1911. 10 Vgl. Lumen gentium, 9. Jedes Gebot ist mit Gnade verbunden Ansprache an die Teilnehmer des Studienkongresses des Forschungszentrums für natürliche Geburtenkontrolle der Katholischen Universität „Sacro Cuore“ am 5. Juni Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich begrüße euch sehr herzlich und danke euch für eure Anwesenheit. Gleichzeitig beglückwünsche ich das Studien- und Forschungszentrum für natürliche Geburtenkontrolle an der Medizinischen Fakultät der Katholischen Herz-Jesu-Universität zu der Initiative, ein Studien- und Fortbildungstreffen über die mit der verantwortlichen Elternschaft verbundene Thematik einzuberufen. Euer Einsatz ist in die Sendung der Kirche miteinbezogen und hat teil an ihr aufgrund der Hirtensorge, die eine der dringlichsten und wichtigsten ist. Es handelt sich darum, die Eheleute zu veranlassen, ihren Ehebund heiligmäßig 1507 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zu leben. Ihr habt euch vorgenommen, ihnen auf ihrem Weg zur Heiligkeit beizustehen, damit sie ihre eheliche Berufung voll erfüllen. Es ist wohlbekannt, daß oftmals eines der Hauptprobleme, denen die Eheleute begegnen, in der Schwierigkeit besteht, in ihrem Eheleben den ethischen Wert der verantwortlichen Elternschaft zu verwirklichen. Dies hat auch das Zweite Vatikanische Konzil hervorgehoben (vgl. Gaudium et spes, Nr. 51,1). Das Konzil selbst legt einer rechten Lösung dieses Problems die Wahrheit zugrunde, daß es keinen wahren Widerspruch zwischen dem göttlichen Gesetz hinsichtlich der Weitergabe des menschlichen Lebens und der echten ehelichen Liebe geben kann (vgl. ebd., 2). Von einem „Werte- oder Güterkonflikt“ und der daraus folgenden Notwendigkeit zu sprechen, die beiden gegeneinander abzuwägen, indem man sich für das eine entscheidet und das andere ablehnt, ist moralisch nicht recht und ruft im Gewissen der Eheleute nur Verwirrung hervor. Die Gnade Christi gibt den Eheleuten die wirkliche Fähigkeit, die volle „Wahrheit“ ihrer ehelichen Liebe zu entfalten. Ihr wollt diese Möglichkeit konkret bezeugen und so den Verheirateten eine wertvolle Hilfe bieten, ihre eheliche Gemeinschaft voll zu leben. Trotz der Schwierigkeiten, denen ihr begegnen mögt, ist es notwendig, mit hochherziger Hingabe fortzufahren. 2. Die Schwierigkeiten, denen ihr begegnet, sind verschiedener Natur. Die erste und in gewissem Sinn schwerste ist die, daß auch innerhalb der christlichen Gemeinschaft Stimmen laut wurden und zu hören sind, die die Wahrheit der Lehre der Kirche selbst in Zweifel ziehen. Die diesbezügliche Lehre ist vom n. Vatikanum, der Enzyklika Humanae vitae, dem Apostolischen Schreiben Familiaris consortio und der jüngsten Instruktion „Das Geschenk des Lebens“ deutlich zum Ausdruck gebracht worden. In dieser Hinsicht tritt eine schwere Verantwortung zutage: Diejenigen, die sich in offenem Widerspruch zu dem von der Kirche authentisch gelehrten Gesetz Gottes setzen, führen die Eheleute auf einen Irrweg. Was von der Kirche über die Empfängnisverhütung gelehrt wird, ist nicht Gegenstand freier Erörterung unter Theologen. Das Gegenteil lehren heißt, das moralische Gewissen der Eheleute zum Irrtum zu verleiten. Die zweite Schwierigkeit besteht darin, daß viele glauben, die christliche Lehre, obwohl wahr, sei dennoch unpraktizierbar, wenigstens unter einigen Umständen. Wie die Tradition der Kirche ununterbrochen gelehrt hat, fordert Gott nichts Unmögliches, sondern jedes Gebot ist mit dem Geschenk der Gnade verbunden, die der menschlichen Freiheit hilft, es zu erfüllen. Notwendig sind jedoch das beständige Gebet, der häufige Sa-kramentenempfang und die Übung der ehelichen Enthaltsamkeit. Deshalb darf sich euer Bemühen nicht darauf beschränken, nur eine Methode zur 1508 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN menschlichen Geburtenkontrolle zu lehren. Die Information muß in den Kontext eines vollständigen Erziehungsangebots eingegliedert sein, das auf die Person der Eheleute, in ihrer Ganzheitlichkeit betrachtet, ausgerichtet ist. Ohne diesen anthropologischen Kontext würde euer Angebot Gefahr laufen, mißverstanden zu werden. Davon seid ihr wohl überzeugt, weil ihr euren Kursen immer eine rechte anthropologische und ethische Überlegung zugrundegelegt habt. Heute mehr als gestern fühlt der Mensch wieder in sich das Bedürfnis nach der Wahrheit und rechtem Sinn in seinem täglichen Leben. Seid immer bereit, unzweideutig die Wahrheit über Gut und Böse im Menschen und in der Familie zu sagen; Mit diesen Empfindungen möchte ich den besonderen Apostolatsdienst ermutigen, den ihr in den Diözesen und in den Eheformungszentren leisten wollt. Bei der Erziehung zur verantwortlichen Elternschaft ermutigt die Eheleute, die dem Naturgesetz und dem gesunden christlichen Gewissen innewohnenden moralischen Grundsätze zu befolgen. Lehrt sie, den Willen Gottes zu erforschen und zu lieben. Ermutigt sie dazu, die hohe Berufung der bräutlichen Liebe und der Weitergabe des Lebens zu achten und zu erfüllen. Gern segne ich euch alle, eure Lieben und eure Initiativen im Apostolat. Vertrauen zwischen den Völkern hersteilen Grußadresse an den US-amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan am 6. Juni Herr Präsident! Zum zweiten Mal habe ich die Freude, Sie im Vatikan zu begrüßen. Obgleich dieser Besuch etwas zu kurz ist, bin ich dankbar für die Gelegenheit, Ihnen aufs neue meine große Wertschätzung für das ganze Volk der Vereinigten Staaten von Amerika zu bekunden. Anläßlich Ihres vorausgegangenen Besuches sprach ich davon, wie wichtig es ist, die Gesellschaft auf „dem starken Fundament moralischer und geistiger Werte“ aufzubauen, und ich gab der Hoffnung Ausdruck, der Weltfriede möge durch größeres Vertrauen zwischen den Völkern und Nationen gefördert werden — „ein Vertrauen, kundgetan und bewiesen durch konstruktive Verhandlungen, die darauf abzielen, das Wettrüsten zu beenden und Mittel in ungeheurem Ausmaß freizusetzen, die zur Linderung des Elends und zur Ernährung von Millionen hungriger Menschen verwendet werden können.“ 1509 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ich bin überzeugt, Herr Präsident, daß Sie meine unaufhörliche Sorge bezüglich dieser Probleme teilen. Wann auch immer moralische und geistige Werte zurückgewiesen werden oder ihnen nur ein Lippenbekenntnis geleistet wird, ohne sie ins tägliche Leben zu integrieren, dann bleiben wir als einzelne oder Gruppen, als Gemeinschaften und Nationen hinter dem zurück, was wir als Männer und Frauen, die nach dem Abbild Gottes erschaffen sind, sein sollten. Zugleich erzeugen fehlendes Vertrauen und mangelnde Bereitschaft, für das Allgemeinwohl zusammenzuarbeiten, Uneinigkeit in der Welt und werden beim Streben nach wahrer Gerechtigkeit und Frieden zu einem großen Stein des Anstoßes. Um eine hellere Zukunft sicherzustellen und in der Welt die Hindernisse für eine friedliche Koexistenz zu überwinden, müssen wir eine grundlegende Wahrheit über das menschliche Leben im Auge behalten, nämlich die, daß wir gemeinsam eine einzige Menschenfamilie bilden. Wir sind Söhne und Töchter eines und desselben Gottes, Brüder und Schwestern meiner gemeinsamen Menschheit. In meiner Botschaft zum Weltfriedenstag 1987 erklärte ich: „Allein durch unsere Geburt in diese Welt hinein haben wir mit jedem anderen Menschenwesen zusammen ein gemeinsames Erbe und dieselbe Abstammung. Diese Gemeinsamkeit entfaltet sich in allem Reichtum und aller Vielfalt der Menschenfamilie: in verschiedenen Rassen, Kulturen, Sprachen und geschichtlichen Wegen. Und wir sind aufgerufen, die elementare Solidarität der Menschheitsfamilie als die grundlegende Bedingung für unser Zusammenleben auf dieser Erde anzuerkennen“ (Nr. 1). Die Folgerungen aus dieser bedeutsamen Wahrheit sind zahlreich und tiefgreifend. Wenn sie zu Herzen genommen wird, wird diese Wahrheit Sinn und Geist in ihrer Haltung so formen, daß es Völker und Nationen möglich wird, wirksam zum Wohl aller zusammenzuarbeiten, Streit und Konflikt zu überwinden, echte integrale Entwicklung zu fordern, und Flüchtlingen und Opfern von Naturkatastrophen Hilfe zu leisten. Die Einheit der Menschheit muß Einfluß auf Politik und Praktiken der Regierungen haben und damit eine solide Grundlage zu internationaler Zusammenarbeit schaffen, die politische, rassische, geographische und ideologische Grenzen überschreitet und neue Bande des Vertrauens und gegenseitigen Dienstes schmiedet. Selbst jene, die früher als Feinde bezeichnet wurden, können in einer neuen Perspektive gesehen werden, als Brüder und Schwestern in der einen Menschenfamilie. Vor nicht langer Zeit wurde es möglich, volle diplomatische Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den Vereinigten Staaten herzustellen. Sie betrachten solche Beziehungen als einen wichtigen Weg zur Förderung gegenseitigen Verstehens und konstruktiver Zusammenarbeit. Der Heilige Stuhl hat keine politischen Ambitionen, sondern erachtet es als Teil seiner Mission in 1510 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der Welt, tatkräftig um die Menschenrechte und die Würde aller, besonders der Armen und Leidenden, bemüht zu sein. Er wird inspiriert und geleitet vom Evangelium Christi, der kam, damit er „den Armen eine gute Nachricht bringe“ (Lk 4,18). Der Heilige Stuhl sucht die höchsten geistigen Werte und ethischen Grundsätze zu fördern. In dieser Hinsicht haben diplomatische Beziehungen die Bedeutung, einen fruchtbaren Dialog über die grundlegenden Fragen, denen sich die internationale Gemeinschaft gegenüber sieht, zu erleichtern. Wenn ich heute diese Gedanken mit Ihnen austausche, möchte ich auch sagen, wie sehr ich mich auf meinen bevorstehenden Besuch in den Vereinigten Staaten freue. Die Erinnerungen an meinen früheren Besuch bleiben für mich eine Quelle der Freude. Ich bin dankbar für diese weitere Gelegenheit, eine Reise in einige Städte Ihres Landes zu unternehmen und so noch einmal mitten unter den Menschen Amerikas zu weilen und mich mit Herz und Stimme mit ihnen im Lobpreis des lebendigen Gottes zu vereinen. Möge Gott Ihnen beistehen, Herr Präsident, in all Ihren hohen Verpflichtungen, und möge sein Segen mit Ihnen und dem ganzen Volk der Vereinigten Staaten von Amerika sein. Das Gebet der Hauskirche Botschaft nach dem Rosenkranzgebet in Santa Maria Maggiore am 6. Juni 1. Gegrüßest seist du, Maria! Mit diesen Worten des Engelgrußes haben wir bei diesem Rosenkranzgebet, dem ein weltweites Echo entsprochen hat, immer wieder die Jungfrau Maria angerufen, die Mutter des Erlösers und unsere geistliche Mutter. Gegrüßest seist du, Maria! Das ist ein Gruß und eine Bitte. Ein Gruß und Lobpreis für diejenige, die zugestimmt hat, an der irdischen Geburt des ewigen Sohnes Gottes mitzuwirken. Eine Bitte an den allmächtigen Gott, auf die Fürsprache derer, die „voll der Gnade“ ist. Gegrüßest seist du, Maria! Diese Anrufung und Meditation im Wechsel mit den besonderen Momenten des Vaterunser und dem Ehre-sei-dem-Vater hat uns eine Stunde tiefer geistlicher Gemeinschaft erleben lassen, die durch die weltweite Femsehverbindung mit bedeutenden Marienheiligtümem besonders eindrucksvoll geworden ist. Ein wunderbarer Einklang der Herzen, der ein Echo gefunden hat in den fünf Kontinenten, in großen Kirchen der Christenheit, in unzähligen kirchlichen Gemeinden und Ordensgemeinschaften, 1511 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN an Orten des Leidens und der Heilung, der Hilfe und Fürsorge, in vielen Familien: ein weltumspannender Chor von Männern und'Frauen, von Jungen und Alten, alle vereint in der Sprache des Gebetes. Diese römische Basilika Santa Maria Maggiore, die mein ferner Vorgänger Sixtus III. „der seligen Jungfrau Maria und dem Volke Gottes“ geweiht hat, ist an diesem Abend, der das Marianische Jahr einleitet, ein lebendiges Herz voller Gebet, Gemeinschaft und Liebe geworden. 2. Heilige Maria, Mutter Gottes! In unserem Gebet haben wir fünf Geheimisse betrachtet, die mit der Heilsgeschichte und mit der Anwesenheit Marias verbunden sind. Diese Betrachtung hat den von den Lippen geformten Worten eine unermeßliche Tiefe und Kraft gegeben. Über die Geheimnisse des Rosenkranzes konnten wir den tiefen Sinn der Geschichte entdecken, die im Innern vom Heilsplan der göttlichen Vorsehung durchdrungen ist, den der Heilige Geist und Beistand durch das Geflecht der geschichtlichen Ereignisse hindurch Schritt für Schritt verwirklicht. Er „durchdringt die irdische Pilgerschaft des Menschen und richtet die ganze Schöpfung — die ganze Geschichte — auf ihr letztes Ziel im unendlichen Meer Gottes aus“ (Dominum et vivificantem, Nr. 64). Durch unser gemeinsames Beten haben wir die Bande der Solidarität mit der gesamten Menschenfamilie gefestigt, in der Überzeugung, daß die Herausforderungen der gegenwärtigen schwierigen Weltstunde auch in einer hochherzigen Öffnung auf Gott hin angegangen werden müssen, wenn sie zum Besten des Menschen und seiner wahren Kultur gelöst werden sollen. Der heutige Mensch fragt sich teils unbewußt, teils voller Beklemmung, welchen Sinn diese Wanderung auf seinen Lebenswegen habe. Auch angesichts nie dagewesener Fortschritte fühlt sich der Mensch heute verunsichert von den Widersprüchen in der Welt und in den Personen, die ihn zuweilen sogar dahin bringen, am Wert des Lebens zu zweifeln. Und doch liegt in der Tiefe seines Herzens ein Weg zur Befreiung verborgen. Dorthin, wo jeder ablenkende Lärm verstummt, gelangt eine Stimme, die erleuchtet, bestärkt, ermutigt: die Stimme Gottes, des guten und barmherzigen, des weisen und sorgenden Vaters. 3. Das ist, liebe Brüder und Schwestern allüberall auf dem Erdkreis, die Botschaft, die die Jungfrau Maria in diesem einzigartigen Augenblick jedem zukommen läßt: Gott ist Liebe! Wer auch immer du bist, wie auch immer deine Lebenslage ist, Gott liebt dich! Er liebt dich voll und ganz. 1512 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Der Mensch ist zur Gemeinschaft mit seinem Schöpfer berufen. Seine unstillbare Sehnsucht nach Wahrheit und Glück zeigt es uns fortwährend. Der Mensch braucht Gott. Gegrüßest seist du, Maria! Vor zweitausend Jahren eröffneten diese Worte die neue Phase der Heilsgeschichte, die von der „Fülle der Zeit“ geprägt ist (vgl. Gal 4,4). Mit den gleichen Worten bekennen wir unsere Bereitschaft, mit der Hilfe Marias zu Gott zurückzukehren. Sie führt uns ja zu Christus.' Beim Herannahen des dritten Jahrtausends der Menschwerdung wollen wir unser Verhältnis zu Gott neu festigen, damit sich daraus auch neue Beziehungen von Wahrheit und Güte unter den Menschen ergeben. Maria ist Modell und Beispiel einer solchen erneuerten Menschheit. Sie ist die Frau, an der sich der Plan Gottes voll erfüllt hat. Sie ist zugleich „niedrige Magd des Herrn“ und „voll der Gnade“. Wenn wir anhand der Rosenkranzgeheimnisse die Etappen des Heilswerkes Christi nachgehen, entdecken wir, wie Maria die reiche transzendente und zugleich menschliche Tiefe der Ereignisse durchlebt hat, die eine untilgbare Spur auf dem Weg der Menschheit hinterlassen sollten. 4. Gegrüßest seist du, Maria! Das vertraute Gebet klinge froh in den Kirchen und Heiligtümern wider. Es begleite den Rhythmus der Schritte der Pilger auf den Straßen der Zeit, der Schritte des Volkes Gottes unterwegs. Der Rosenkranz werde wieder das gewohnte Gebet jener „Hauskirche“, wie sie die christliche Familie darstellt. Das Rosenkranzgebet bringe in unsere Welt mit dem Lächeln der Jungfrau und Mutter die Merkmale der zarten Liebe Gottes zur Menschheit des zwanzigsten Jahrhunderts mit ihrer Zuversicht und Verzagtheit. Das ist der Wunsch, der an der Schwelle zum Marianischen Jahr aus dem Herzen aufsteigt. Möge dieses Jahr ein erhabenes Magnifikat sein, das die ganze Kirche dem Herrn darbringt, der „auf die Niedrigkeit seiner Magd geschaut“ und an ihr und für sie „Großes“ getan hat. Das Magnifikat der Jungfrau Maria sei auch unser Magnifikat. Es fasse zusammen und bekunde dem Vater unsere tiefste Dankbarkeit dafür, daß er uns durch die Kraft des Heiligen Geistes und mit der Hilfe Marias seinen geliebten Sohn geschenkt hat, unseren Erlöser Jesus Christus. Ihm sei alle Ehre und Herrlichkeit in alle Ewigkeit der Ewigkeiten. Amen. 1513 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gebet zur Eröffnung des Marianischen Jahres am 6. Juni 1. Mutter des Erlösers, in diesem Jahr, das dir geweiht ist, lobpreisen wir dich in großer Freude; Gott Vater hat dich erwählt vor der Erschaffung der Welt, um seinen Heilsplan zu verwirklichen, den er von Ewigkeit her beschlossen hat. Du hast an seine Liebe geglaubt und bist seinem Wort gefolgt. Der Sohn Gottes hat dich als seine Mutter gewollt, als er Mensch wurde, um den Menschen zu retten. Du hast ihn empfangen mit bereitem Gehorsam und ungeteiltem Herzen. Der Heilige Geist hat dich als seine mystische Braut geliebt und dir einzigartige Gnaden in Fülle geschenkt. Von seinem verborgenen und machtvollen Wirken hast du dich bereitwillig formen lassen. 2. In der Vigil zum dritten christlichen Jahrtausend vertrauen wir dir die Kirche an, die dich als Mutter bekennt und anruft. Du bist in deinem irdischen Leben der Kirche auf dem Pilgerweg des Glaubens vorangegangen: stütze sie nun in ihren Schwierigkeiten und Prüfungen und hilf ihr, immer fruchtbarer in der Welt Zeichen und Werkzeug für die innige Gemeinschaft mit Gott und für die Einheit der ganzen Menschheit zu sein. 3. Dir, Mutter der Christen, vertrauen wir in besonderer Weise die Völker an, die in diesem Marianischen Jahr das 600jährige oder 1000jährige Jubiläum ihrer Bekehrung zum Evangelium feiern. Ihre lange Geschichte ist tief geprägt von der Verehrung zu dir. Wende ihnen deinen liebevollen Blick zu; stärke alle, die für den Glauben leiden. 4. Dir, Mutter der Menschen und Völker, vertrauen wir voller Zuversicht die ganze Menschheit an mit ihren Ängsten und Hoffnungen. Laß ihr nicht das Licht wahrer Weisheit fehlen. Führe sie bei der Suche nach Freiheit und Gerechtigkeit für alle. Lenke ihre Schritte auf die Wege des Friedens. Hilf, daß alle Christen finden, den Weg, die Wahrheit und das Leben: Stärke uns, o Jungfrau Maria, auf unserem Glaubensweg und erbitte uns die Gnade des ewigen Heils. O gütige, o milde, o süße Mutter Gottes und unsere Mutter, Maria! Joannes Paulus PP. II 1514 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Herabkunfl des Heiligen Geistes Predigt zur Eröffnung des Marianischen Jahres am 6. Juni 1. „Empfangt den Heiligen Geist“ (Joh 20,22). Es war am Abend des „ersten Tages der Woche“ (vgl. Joh 20,19), das heißt, des Tages der Auferstehung. An jenem Abend trat Jesus in den Abendmahlssaal, wo die Apostel versammelt waren, hauchte sie an und sprach zu ihnen: „Empfangt den Heiligen Geist!“. Christus, der drei Tage zuvor gekreuzigt und ins Grab gelegt worden ist, steht nun wieder lebendig unter den Aposteln. An den Händen, den Füßen und der Seite trägt er noch die Wunden der Kreuzigung. Gerade durch diese Wunden, durch das Opfer, dem diese einen konkreten Ausdruck verleihen —jenes Opfer, das die Verzeihung erwirkt, durch die die Welt zur Versöhnung mit dem Vater gelangt — schenkt der Sohn der Kirche den Heiligen Geist. So erschließt sich in ihm voll und ganz die „Fülle der Zeit“ (Gal 4,4): der entscheidende Abschnitt der Heilsgeschichte, die Begegnung Gottes mit der Menschheit. 2. „Empfangt den Heiligen Geist“. Dieses Geschenk des heiligen Geistes ist mit einer Sendung verbunden. Christus fügt ja sogleich hinzu: „Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert“ {Joh 20,23). Die Versöhnung mit Gott durch das Blut des Sohnes ist die Erlösung. Die Erlösung bringt Frucht in der Gnade der Lossprechung. Wem die Sünde vergeben wird, der wird zugleich zu einem neuen Leben in Gott geboren. Der Heilige Geist gestaltet dieses Leben in einem jeden von uns. Er ist der verborgene Spender der Heiligkeit des Menschen, die Quelle seiner Einheit mit Gott: mit dem Vater, mit dem Sohn. Die Apostel empfangen diesen göttlichen Dienst: für die Kirche als sakramentale Vollmacht. Diese ihre Vollmacht ist eng mit dem Kreuzesopfer verbunden und hängt zugleich unmittelbar von der Kraft des Geistes der Wahrheit ab: dem Paraklit, dem Beistand. „Empfangt den Heiligen Geist“. 3. Heute vollenden sich fünfzig Tage seit jenem Abend. Um Mitternacht beginnt das Pfingstfest, das ganz eng mit dem Osterfest verbunden ist. Während dieser fünfzig Tage hatte der auferstandene Herr die Apostel auf die Begegnung mit dem Geschenk des Vaters und des Sohnes vorbereitet. Persönlich hatte er das getan bis zum Tag seiner Himmelfahrt. Dann hatte er ihnen aufgetragen, in den Abendmahlssaal zurückzukehren und dort im Gebet zu verhar- 1515 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ren in Erwartung der Ankunft „eines anderen Beistandes“ (Joh 14,16). Und siehe, dieser Tag kommt. Er hat schon begonnen. In wenigen Stunden wird vor der Welt offenkundig werden, daß die Apostel den Heiligen Geist empfangen haben, daß sie die Gabe angenommen haben, die durch sie mit großer Kraft wirkt. Zeugen dieses Ereignisses werden nicht nur die Einwohner Jerusalems sein, sondern auch die Fremden, die aus verschiedenen Richtungen dorthin gekommen sind. Die liturgische Lesung, die der Apostelgeschichte entnommen ist, zählt die Namen der Bewohner jener Länder der Welt auf, zu denen gleich am ersten Tag die Heilsbotschaft gelangt: als Wort und als Sakrament. Und diese Botschaft fiel auf fruchtbare Erde. Der Geist, der im Zeugnis der Apostel und vor allem in den Worten des Petrus am Werk war, wirkte auch in den Herzen derer, die zuhörten. 4. So wurde es den Aposteln möglich, vor allen Menschen zu bekennen, daß „Jesus Christus der Herr ist“ (Phil 2,11; vgl. 1 Kor 12,3). Derselbe, der zum Tod verurteilt und gekreuzigt worden war, offenbarte sich in seiner Auferstehung, als Herr des Himmels und der Erde. Er ist nicht ein Herr nach Art irgendeines Herrschers dieser Erde: Er ist der Herr des ewigen Heils. Ebendies verkündete Petrus am Pfingsttag. Hiervon legten die Apostel Zeugnis ab, und dies bewirkte der Heilige Geist zunächst in ihnen und dann in allen, die diesem Ereignis in Jerusalem beiwohnten. Ja, der Heilige Geist: „Keiner kann sagen: Jesus ist der Herr, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet“ (1 Kor 12,3). Keiner kann ohne ihn dieses Heilswort sagen noch annehmen. Das eine und das andere wird durch den Geist der Wahrheit gewirkt. 5. Indessen beginnt die Heilsbotschaft des Evangeliums seit dem Pfingsttag sich durch die Geschichte der Völker und Nationen auszubreiten. Von jenem Tag an beginnt der Weg des Gottesvolkes des Neuen Bundes, so wie in der Paschanacht der Weg Israels aus dem Haus der Knechtschaft zum verheißenen Land begonnen hat. Am Pfingsttag in Jerusalem wird die Kirche geboren: das Israel des Neuen Bundes. Es beginnt der Weg des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe durch alle Generationen der Menschen, ein Weg, der inzwischen schon fast zweitausend Jahre dauert. Am Anfang dieses Glaubensweges stehen der Abendmahlssaal von Jerusalem und die Apostel, mit Maria, der Mutter Jesu, dort versammelt. Sie hatte schon früher, vor mehr als dreißig Jahren, den Heiligen Geist empfangen. Dies geschah, als sie die Botschaft des Engels annahm: „Der Heilige Geist wird über dich kommen ... Deshalb wird auch das Kind ... Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,35). ; 1516 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Keiner kann sagen: Jesus ist der Herr, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet. Maria hat als erste diese Hilfe in sich verspürt. Als erste hat sie Jesus als Sohn ihrer Jungfräulichkeit angenommen. Als erste nahm sie im Glauben auch die Wahrheit von seinem Reich an, das durch alle Jahrhunderte fortdau-em sollte: „Seine Herrschaft wird kein Ende haben“ (Lk 1,33). Mit diesem Glauben ist Maria stets an der Seite Jesu durch alle Jahre seines irdischen Lebens gegangen, bis hin unter das Kreuz auf Golgota. 6. Nun ist sie, die „selig ist, weil sie geglaubt hat“ (vgl. Lk 1,45), ami Pfingst-tag mit den Aposteln im Abendmahlssaal, als die Kirche geboren wird und die große Pilgerschaft des Volkes des Neuen Bundes durch die Geschichte beginnt. Am Beginn dieser Pilgerschaft, an eben dem Tag, da der Geist der Wahrheit und der Stärke auf die Apostel herabsteigt, ist sie mit ihnen beisammen. Sie wird — auch nach ihrem Abschied von der Erde — im Geheimnis Christi und der Kirche gegenwärtig bleiben. Sie geht „als erste“ auf dem großen Pilgerweg des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe allen Generationen des Volkes Gottes auf dieser Erde voran. Deshalb beginnt die Kirche, die sich auf dem Weg dieser Pilgerschaft dem Ende des zweiten Jahrtausends nach Christus nähert, gerade am heutigen Pfingstfest ihr „Marianisches Jahr“. Es ist ein Zusammentreffen, gleichsam eine Konvergenz von Ereignissen, die sehr bedeutsam ist und hervorgehoben werden muß: An jenem geschichtlichen Tag, an dem der Geist auf die Kirche ausgegossen wird, finden wir Maria; an diesem heutigen Tag, an dem wiederum der Geist ausgegossen wird, müssen auch wir Maria finden. An diesem Festtag vereinigt sich der Bischof von Rom mit allen seinen Brüdern im Bischofsamt, den Nachfolgern der Apostel, um in der ganzen Kirche im Hinblick auf das neue Jahrtausend das Bewußtsein von der mütterlichen Gegenwart der Gottesmutter im Geheimnis Christi und der Kirche zu vertiefen, wie es das II. Vatikanische Konzil gelehrt hat (vgl. Lumen gentium, Nr. 8). Noch einmal richtet er an alle Söhne und Töchter der Kirche die Einladung, über diese Gegenwart zu meditieren, darauf zu vertrauen und auf sie zu bauen, um die Schwierigkeiten zu überwinden und beherzt voranzuschreiten unter dem mächtigen Wehen des Geistes auf den Spuren ihres göttlichen Sohnes. 7. Die Kirche von Rom hat sich in dieser Nacht versammelt, um ihre Teilnahme am Erneuerungswerk, das vom n. Vatikanischen Konzil begonnen worden ist, in einer besonderen Weise zum Ausdruck zu bringen. Diese Teilnahme hat seit einem Jahr die Form einer „Synode“ angenommen, die die römische 1517 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kirche in allen ihren Gliedern unter der Führung ihres Bischofs und der Mithilfe des Kardinalvikars begonnen hat vorzubereiten. In dieser Vigilfeier, die den Beginn des Pfingstfestes und zugleich die Eröffnung des Marianischen Jahres darstellt, möchte ich Gott für alle Früchte der anfänglichen Arbeiten zur Fragestellung und Bewußtmachung danken, die es ermöglicht haben, Ziel und Thema der Synode zu bestimmen: „Gemeinschaft und Sendung der Kirche Gottes in Rom an der Schwelle zum dritten Jahrtausend“. Ich erkläre nun die Vorbereitungsphase der Pastoralsynode der Diözese Rom für eröffnet. Um den synodalen Weg weiterzugehen, sind ja nun Studienkommissionen eingerichtet, die beauftragt sind, die Arbeitspapiere zu den pa-storalen Themen vorzubereiten, die dann, zusammen mit den Beiträgen aus allen Reihen der Diözesangemeinschaft der Synodenversammlung zur Prüfung vorgelegt werden sollen. Schon jetzt wünsche ich mir, daß „alle, die durch den einen Geist getauft und mit dem einen Geist getränkt sind“ (vgl. 1 Kor 12,13), durch die Arbeiten der Synode zum Aufbau des einen Leibes beitragen, der der Leib Christi ist. Ich wünsche mir von Herzen, daß durch die vielfältigen Gnadengaben und verschiedenen Dienste „der Geist sich in jedem zeigt—und durch alle — zum Nutzen der Gemeinschaft“ (vgl. 1 Kor 12,7). Liebe Brüder und Schwestern! Liebe Gläubige von Rom! Das ist unsere besondere Aufgabe auf dieser Pilgerschaft des ganzen Gottesvolkes, bei der wir das ganze kommende Jahr hindurch die Führung der Gottesmutter lebendig und wirksam verspüren möchten: ihre mütterliche Gegenwart und Fürsprache. 8. „Empfangt den Heiligen Geist“. Möge er die Herzen der Gläubigen erfüllen und ihnen das Feuer seiner Liebe entzünden: Er — der Tröster und Beistand. Er — der Vater der Armen. Er — das Licht der Herzen. Er — der Geber seiner Gaben. Er — der süße Gast der Seelen. O glückseliges Licht, erfülle tief die Herzen deiner Gläubigen! Amen. 1518 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Maria: Komm der Kirche zu Hilfe Predigt im Heiligtum der Madonna del Divino Amore am 7. Juni „Komm, Heil’ger Geist, der Leben schafft, erfülle uns mit deiner Kraft. Dein Schöpferwort rief uns zum Sein: nun hauch uns Gottes Odem ein.“ Liebe Brüder und Schwestern! 1. Zur Vesper des Pfingstfestes, am ersten Tag des Marianischen Jahres, wollte ich eine Pilgerfahrt zu diesem Heiligtum del Divino Amore machen, das allen Römern teuer ist, wenn es auch, im Vergleich zu der einzigartigen Basilika Santa Maria Maggiore, die ich gestern aufgesucht habe, erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit besteht. Wie alle Heiligtümer, so bezeugt auch dieser Ort die Gegenwart Mariens im Leben der pilgernden Kirche und ihre mütterliche Liebe zu ihren Kindern, die sich mit Vertrauen an sie wenden. Wir fühlen, daß sie uns in diesem Augenblick nahe ist, während wir „einmütig im Gebet verharren“, wie die Apostel im Abendmahlssaal, und den Heiligen Geist anrufen, daß er in diesem Jahr der besonderen geistlichen Vorbereitung auf das Jubiläumsjahr 2000 seine Gaben in noch reicherer Fülle ausgieße. „Komm, Heil’ger Geist, der Leben schafft, erfülle uns mit deiner Kraft. Dein Schöpferwort rief uns ins Sein: nun hauch uns Gottes Odem ein!“ 2. Der Heilige Geist, der Beistand, der im Abendmahlssaal in Gestalt von Feuerzungen erschien, schenkte am Pfingsttag der Muttergottes, den Aposteln und den Jüngern, die in gesammeltem Gebet verharrten, die Gabe, vor der Welt ein mutiges Zeugnis für die Botschaft Christi abzulegen. Seitdem verleiht der Geist der Kirche die Vielfalt und die Kraft der Gaben, die das Konzil „die hierarchischen und charismatischen Gaben“ nennt {Lumen gentium, Nr. 4). Es ist die Kirche selbst, die in diesem kleinen Kern, vereint im Abendmahlssaal und vom Heiligen Geist zur apostolischen und prophetischen Verkündigung getrieben, in der Verschiedenheit ihrer einander ergänzenden Dienste und Charismen, demütig und vertrauend ihren Weg zu gehen beginnt, einen leidbringenden, aber unaufhaltsamen Weg. Schritt für Schritt gewinnt sie die Seelen für Christus, um die Menschen „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ zu taufen und sie rein und heilig zu machen. 1519 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Auch wir hier, liebe Brüder und Schwestern, sind heute vom gleichen Heiligen Geist aufgerufen, dieses Werk der Verkündigung und des Zeugnisses fortzusetzen, jeder von uns gemäß der Gabe, die er empfangen hat, damit das Pfingstereignis seinen geheimnisvollen, heilbringenden Einfluß auf die ganze Menschheit ausüben kann. 3. Pfingsten, das großartige Ereignis, ein entscheidender Abschnitt der Heilsgeschichte, dessen wir in der Liturgiefeier gedenken, erinnert uns einerseits an die Vollendung des Geheimnisses der Menschwerdung, andererseits aber stellt es einen verheißungsvollen Anfang dar, den Anfang jenes Weges der Kirche durch die Jahrhunderte, jenes Glaubensweges, der bis heute fortdauert und fortdauern wird bis ans Ende der Welt. Maria geht uns, wie ich in der Enzyklika Redemptoris Mater (Nr. 49) geschrieben habe, beständig voraus als die Erste im Glauben: die Erste nicht nur in chronologischem Sinn, sondern weil sie für uns alle das Modell des vollkommen Glaubenden ist. In dieser mütterlichen Leitung, die Maria gegenüber der Kriche ausübt unter dem Wirken des Heiligen Geistes, der die Gläubigen zur Fülle der Wahrheit führt, in diesem beständigen Tätigsein der Muttergottes zugunsten der Kirche besteht ihre Mitwirkung am Erlösungswerk, ihr Beitrag dazu, daß die Erlösung an allen Seelen wirksam werde. Darum ist, wie ich in der Enzyklika Redemptoris Mater gesagt habe, eines der Ziele dieses Marianischen Jahres, die Kirche aufzurufen, „sich nicht nur an all das zu erinnern, was in ihrer Vergangenheit das besondere mütterliche Mitwirken der Gottesmutter am Heilswerk Christi, des Herrn, bezeugt, sondern auch ihrerseits für die Zukunft die Wege für dieses Zusammenwirken zu bereiten: Denn das Ende des zweiten christlichen Jahrtausends eröffnet zugleich einen neuen Blick auf die Zukunft“ (ebd.). Das Marianische Jahr muß uns ganz besonders ein Antrieb sein, uns um das volle Ausreifen der Früchte des letzten Konzils zu bemühen. Das Konzil war für unser Jahrhundert eine Art neues Pfingsten und ein Zeichen der Mitarbeit, die Maria für die Verwirklichung des Heilsgeheimnisses geleistet hat. 4. Das Pfingstgeschehen, das heute in der Liturgiefeier wieder lebendig wird, ist ein Ereignis der Wahrheit. Deshalb nämlich, weil die Jünger des Herrn, von der Wahrheit erleuchtet und von ihr wie besessen und durchdrungen, sich fähig fühlen, sie der Welt mit absoluter Sicherheit zu verkünden, in der festen Überzeugung, zum ewigen Wohl der Menschen zu wirken. In diesem Marianischen Jahr bitten wir den Heiligen Geist, daß wir auf die Fürbitte der Gottesmutter, die der „Sitz der Weisheit“ ist, „im Licht gehen“ und das Geheimnis Christi noch tiefer erfassen können. Ohne die Hilfe des 1520 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Geistes der Wahrheit ist es der Kirche und jedem von uns unmöglich, dieses Geheimnis geziemend zu verkünden. Ja aufgrund unserer Grenzen und der Schwäche unseres Geistes und unseres Verstandes würden wir absolut nicht dazu fähig sein. Darum muß, wie ich in der Enzyklika Dominum et vivifican-tem (Nr. 6) gesagt habe, der Heilige Geist bei dieser uns von ihm selbst anvertrauten Aufgabe „der oberste Führer des Menschen, das Licht des menschlichen Geistes sein. Das gilt für die Apostel“, aber „in einer umfassenderen Sicht gilt das auch für alle Generationen von Jüngern und Bekennem des Meisters, denn sie sollen das Geheimnis Gottes, das in der Geschichte des Menschen am Werk ist, im Glauben annehmen und mit Freimut bekennen, das ge-offenbarte Geheimnis, das den endgültigen Sinn dieser Geschichte erklärt.“ Und wenn wir in der Wahrheit sind, können wir die Wahrheit wirken. „Wenn wir im Licht leben, wie er im Licht ist“, sagt uns der Apostel Johannes (1 Joh 1,7), „haben wir Gemeinschaft miteinander, und das Blut seines Sohnes Jesus reinigt uns von aller Sünde.“ Möge der Heilige Geist auf die Fürbitte Mariens in diesem ihr geweihten Jahr unseren Geist erleuchten und unserem Willen die Kraft geben, das wahre Wohl der Brüder zu wirken! 5. Maria, die Gnadenvolle, erlange uns vom Heiligen Geist reiche Gnadengaben, um alle Mächte des Bösen zu überwinden. Die menschliche Gebrechlichkeit ist in der Tat immer von bösen Neigungen, von der Mentalität der Welt und der Beeinflussung durch den Bösen bedroht. Die Macht des Bösen — das „Unkraut, von dem das Evangelium spricht, — ist beständig gegenwärtig in der Geschichte dieser Welt. Aber auch der Heilige Geist ist in unserem menschlichen Leben gegenwärtig, und er hilft den Menschen, die Wahrheit über die Sünde zu erkennen. „Auf diese Weise“, so schrieb ich in der genannten Enzyklika, „werden diejenigen, die, ,der Sünde überführt“, sich durch das Wirken des Trösters bekehren, gewissermaßen aus dem Bereich des Gerichts“ herausgeführt, jenes Gerichts“, durch welches ,der Herrscher dieser Welt bereits gerichtet ist“ ... Wer sich bekehrt, wird also vom Heiligen Geist aus dem Bereich des Gerichts“ befreit und zu jener Gerechtigkeit geführt, die in Jesus Christus gegeben ist und die er besitzt, weil er sie ,vom Vater empfangt“ als Abglanz der dreifältigen Heiligkeit“ (.Dominum et vivificantem, Nr. 48). Um über das Böse zu siegen, ist viel Energie, viel Zähigkeit, viel Opfergeist nötig. Es bedeutet einen wirklichen Kampf, manchmal einen langen Kampf. Die heilige Jungfrau erlange uns vom heiligen Geist die Kraft und die nötige Beharrlichkeit, um diesen Kampf zu einem guten Ende zu führen. 6. In diesem Marianischen Jahr schließlich bitten wir um den Frieden. Der Kampf gegen das Böse und die Sünde wird geführt, um voll zu jenem Frieden 1521 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zu kommen, den Christus, der Erlöser, gebracht hat und der aus seinem Kreuz, aus seinem Opfer entspringt und von der Eucharistie ausstrahlt, der in der brüderlichen Liebe konkret wird und sich im Geschmack an den himmlischen Dingen äußert. Der Friede ist ein besonderes Geschenk Christi und des Heiligen Geistes. Der Mensch unserer Zeit fühlt sich bedroht. Die Menschheit weiß, daß sie in Gefahr ist: „Am Horizont der heutigen Zivilisation — besonders in der technisch-wissenschaftlich am höchsten entwickelten — sind die Zeichen und Hinweise auf den Tod besonders häufig anzutreffen“ (Dominum et vivifican-tem, Nr. 57). Aber der Heilige Geist, die Quelle des Lebens und des Friedens, ist immer bereit, unserer Schwachheit entgegenzukommen und uns einzugeben, auf welche Art Spannungen, Ungerechtigkeiten und Konflikte überwunden werden können: „Wir seufzen, gewiß, aber in einer Erwartung voll unvergänglicher Hoffnung, weil sich gerade diesem menschlichen Wesen Gott genähert hat, der Geist ist“ (ebd.). Rufen wir also in diesem marianischen Jahr, das eben eröffnet ist, noch intensiver den Heiligen Geist an. Rufen wir ihn an und bereiten wir uns darauf vor, ihn mit geläutertem und reuigem Herzen und, den Werken der Gerechtigkeit hingegeben, zu empfangen. „Unsere schwierige Epoche bedarf in besonderer Weise des Gebetes“ {ebd., Nr. 65), und gerade im Gebet „drückt sich der göttliche Lebenshauch, der Heilige Geist, in seiner einfachsten und gewöhnlichsten Form aus und macht sich darin vernehmbar {ebd.). „Zu ihm als Beistand, als Geist der Wahrheit und der Liebe wendet sich der Mensch, der von Wahrheit und Liebe lebt und der ohne die Quelle der Wahrheit und Liebe nicht leben kann ... An ihn wendet sich die Kirche auf den mühsamen Wegen der Pilgerschaft des Menschen auf Erden: Sie bittet und bittet ununterbrochen, daß die Taten der Menschen rechtschaffen seien ... sie bittet um die Freude und den Trost, ... um die Gnade der Tugenden, die die himmlische Herrlichkeit verdienen! {ebd.). 7. Maria, Mutter des Erlösers und unsere Mutter, Pforte des Himmels und Stern des Meeres, komm deinem Volk zu Hilfe, das fallt, sich aber auch danach sehnt, wieder aufzustehen! Komm der Kirche zu Hilfe in diesem dir geweihten Jahr: erleuchte deine dir ergebenen Kinder, stärke die Gläubigen, die in aller Welt verstreut sind, rufe die Fernen, bekehre, die in der Gefangenschaft des Bösen leben! Und du, Heiliger Geist, sei allen Ruhe im mühevollen Werk, sei erfrischende Kühle in der Glut, Trost im Weinen, Erleichterung im Schmerz und Hoffnung auf die Herrlichkeit! Amen. 1522 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Verteidiger der menschlichen Solidarität sein Ansprache an die internationale Astronomenkonferenz über „Polarisiertes Licht aus sternnahen Räumen“ am 16. Juni Liebe Freunde! 1. Ich freue mich, Sie im Vatikan willkommen zu heißen und Ihnen zu danken für Ihre Anwesenheit bei der Konferenz über Circumstellarpolarisation, zu der Sie die vatikanische Sternwarte eingeladen hat. Es ist immer eine Freude zu erfahren, daß die Kirche durch die Sternwarte imstande ist, etwas zu der ständigen Suche nach einem tieferen Verständnis des Universums, in dem wir leben, beizutragen. In diesen Tagen waren Sie damit beschäftigt, gemeinsam die Resultate von Beobachtungen auszuwerten, die sich von Funkwellen- bis zu Röntgenstrahlungen erstrecken, wie sie von einigen der interessantesten Arten von veränderlichen Sternen ausgehen, die den Astronomen bekannt sind. Es wurde mir gesagt, daß einige von diesen sehr dicht sind und ungeheure magnetische Felder haben, und daß sie tatsächlich Materie von begleitenden Sternen akkumulieren. Andere vibrieren beim Versuch, ihre instabile Energielage auszugleichen. Wieder andere sind Himmelskörper mit der höchsten bei: Sternen bekannten Temperatur, oder Sterne, die eben im Entstehen sind. Ferner wurde ich darüber informiert, es sei all diesen Sternen gemeinsam, daß mindestens einige ihrer Strahlungen, die sie aussenden, polarisiert sind. Durch verschiedene Techniken, die Sie entwickelt haben, um dieses Licht zu beobachten, können Sie Informationen beziehen, die sich als sehr nützlich erwiesen haben für das Verständnis der Sternentwicklung, vor allem für das der Entwicklung von Doppelstemen. 2. Sie suchen diese Objekte, die Sie beobachten, dadurch zu verstehen, daß Sie die verfügbaren Informationen vereinfachen und vereinigen, um so zu den sich abspielenden fundamentalen physikalischen Prozessen zu gelangen. Wenn wir von diesem Prozeß der Unifizierung sprechen, der für Ihre. Wissenschaft so gmndlegend ist, werden wir daran erinnert, daß dieses Jahr die Dreihundertjahrfeier der Veröffentlichung von Isaac Newtons „Philosophiae naturalis principia mathematica“ (Mathematische Grundlagen der Naturwissenschaft) begangen wird, eines Werkes, in dem das Gravitationsgesetz die Erklärung für unzählbare im Lauf von Jahrhunderten gemachte Beobachtungen von Bewegungen erbrachte. 1523 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Dieses Ereignis ist sicherlich eines der berühmtesten Beispiele für die erfolgreiche Suche nach Unifikation, die für Ihre wissenschaftlichen Bestrebungen charakteristisch ist. Es ist uns wohl bewußt, daß diese Suche noch nicht an ein Ende gekommen ist, und daß Sie fortfahren, sowohl nach einer weiteren und tieferen Anwendung Ihrer astronomischen Daten auf die bereits bekannten fundamentalen physikalischen Gesetze zu suchen, wie auch nach weiteren fundamentalen physikalischen Gesetzen der Unifizierung. 3. Diese Suche nach Unifikation, die für die physikalischen Wissenschaften, die Sie pflegen, kennzeichnend ist, bildet ja auch ein allgemeines Gesetz menschlichen Bemühens, mit besonderer Anwendung auch auf dem Gebiet religiöser Erfahrung. Von meinen unmittelbaren Vorgängern, beginnend insbesondere mit Papst Johannes XXIII., hat die Kirche ein Erbe erhalten, das mir sehr teuer ist: die Einheit unter all denen zu fördern, die Jesus Christus nachfolgen, und ferner, sich für Verständnis und Dialog zwischen den Angehörigen anderer religiöser Traditionen einzusetzen. Unter den Initiativen, die unternommen wurden, um diese Suche voranzutreiben, möchte ich das Gebetstreffen für den Frieden erwähnen, das im vergangenen Jahr in Assisi abgehalten wurde, als sich dort religiöse Führer, christliche und nichtchristliche, in Freundschaft trafen und in ihrer je eigenen Art um das Gottesgeschenk des Friedens beteten für eine Welt, die ihn bitter nötig hat. Ich bete, daß auch Sie stets Männer und Frauen des Friedens und der menschlichen Solidarität sind. Möge der allmächtige Gott, dessen unermeßliches Schöpfungswerk Sie unaufhörlich untersuchen und studieren, Ihnen Erfolg gewähren in Ihren vielen wertvollen Bemühungen, der Menschheit zu dienen. Möge Gottes Liebe Ihr Herz erfüllen und sein Segen in reichem Maß auf Sie und ihre Familien herabkommen. Baumeister der eigenen Zukunft sein Ansprache an die Teilnehmer des 25. Lehrgangs des Istituto per la Recostru-zione Industriale (IRI) am 16. Juni Sehr geehrte Herren! 1. Seien Sie herzlich willkommen! Sie haben am Fortbildungslehrgang für technische Leitungsfunktionen im Betrieb teilgenommen, der von der Anstalt für den industriellen Wiederaufbau (IRI) gefördert und organisiert worden ist; jetzt, nach Abschluß des Lehrgangs, haben Sie um diese Begegnung gebeten, 1524 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN bevor Sie in Ihre jeweiligen Heimatländer zurückkehren. Ich bin Ihnen für diese freundliche Geste dankbar und begrüße Sie herzlich. Mein respektvoller Gruß gilt auch dem Präsidenten der Anstalt, Prof. Romano Prodi, dem ich meinen Dank für die freundlichen Worte aussprechen möchte, die er an mich gerichtet hat. Ich begrüße schließlich die Verantwortlichen und die Dozenten des Lehrgangs sowie auch alle anderen Anwesenden. 2. Der Lehrgang, der zu Ende geht, ist der 25. Studienkurs, den die IRI in diesen Jahren zur beruflichen Weiterbildung in den wichtigsten Bereichen der Industrie und der Betriebsorganisation gefordert hat. Die heutige Begegnung markiert eine wichtige Etappe im Dienst, den die IRI zum Nutzen der Länder auf dem Weg zur Industrialisierung leistet, und bestätigt zugleich den von Italien geleisteten Beitrag zur Zusammenarbeit und Entwicklung. Es ist mir deshalb eine Freude, meiner Genugtuung über eine Initiative Ausdruck zu geben, die sich auch durch die breite internationale Resonanz auszeichnet, handelt es sich doch um gut 30 Länder in der Phase der industriellen Modernisierung, die durch ihre technischen Führungskräfte auf dem Lehrgang vertreten waren. Erwähnenswert ist auch die Arbeitsmethode, die Anwendung fand: sie machte es möglich, unter der Leitung hochspezialisierter Experten und Techniker die wichtigsten Themen der wirtschaftlichen, sozialen und industriellen Entwicklung der betreffenden Nationen zu diskutieren und zu überprüfen im Licht der italienischen Erfahrungen und in Verbindung mit fast allen Produktionsbereichen der IRI-Gruppe. Wie kann man in diesem großzügigen Bemühen nicht einen konkreten Beweis von Solidarität für die Entwicklung erkennen, der Italien zur Ehre gereicht? 3. Die Kirche verkündet unablässig, daß es heute immer mehr erforderlich ist, zwischen den einzelnen Nationen eine die Grenzen überwindende Zusammenarbeit zu festigen, damit die Unterschiede zwischen den verschiedenen Volkswirtschaften nicht größer werden mit all den schädlichen Folgen, die daraus erwachsen würden. Mit der zunehmenden Verstärkung der internationalen Beziehungen wird es immer klarer, daß die Völker es nicht hinnehmen können, ihren eigenen Entwicklungsprozeß in Isolierung oder gegenseitiger Übervorteilung zurückzulegen. Solidarität ist der Weg in eine gerechtere und sichere Zukunft für alle. Da unter anderem die Grundforderung der menschlichen Würde darin besteht, daß die einzelnen Völker in erster Linie selbst für ihr Wachstum verantwortlich sind , muß die internationale Solidarität danach streben, daß aus den Gesellschaften selbst Menschen hervorgehen, die dazu ausgebildet sind, die Entwicklungsphasen und die Modernisierung im eigenen Land zu steuern 1525 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und sicherzüstellen. Nur so, befreit von passiver Abhängigkeit gegenüber den technisch weiter entwickelten Staaten, werden sich die nationalen Gesellschaften so organisieren können, daß sie selbst Baumeister ihrer eigenen Zukunft werden. Die Zusammenarbeit, verstanden als Ausbildung geeigneter Führungskräfte in den einzelnen nationalen Gesellschaften, verdient deshalb hohes Lob als wirksames Zeichen des guten Willens für eine Zusammenarbeit in gegenseitiger und respektvoller Freundschaft. Folgt man diesem Weg, trägt man auch zur Festigung des Friedens bei, weil man eine vollkommenere soziale Gerechtigkeit in den Beziehungen unter den Völkern sicherstellt. ■ Den Völkern beistehen, einen menschenwürdigen Wohlstand zu erreichen 4. Es ist Ihre Aufgabe als Teilnehmer an dem Lehrgang, der jetzt zu Ende geht, die Ergebnisse der Studien und der gesammelten Erfahrungen in Ihren jeweiligen Ländern zu vermitteln, Initiativen zu ermutigen, die für eine Zukunft in Zusammenarbeit mit den anderen Völkern aufgeschlossen sind, auch in der richtigen Bewertung der besonderen Qualitäten und Ressourcen jeder Ihrer Nationen und in der Absicht, mit Ihrem Beitrag eine gültige Antwort zu geben auf die Hoffnungen und Erwartungen Ihrer Mitbürger und der gesamten Menschheit. Vergessen Sie nie, daß der Mensch im Mittelpunkt jeder Initiative stehen muß. Der Wert der Person soll der Angelpunkt aller wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsprogramme sein; und weil auch in den Arbeitsstrukturen eine dauernde Bewegung, ein unaufhörlicher Dynamismus besteht, muß man ohne Unterlaß weiterhin die Frage nach dem Platz stellen, den der Mensch in der Arbeitswelt einnimmt und nach den Bedingungen, unter denen er arbeitet. Es helfe Ihnen dabei das Menschenbild, das der Glaube an den Schöpfergott vermittelt. Der Mensch, jeder Mensch ist Geschöpf Gottes, nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen und zum höchsten Geschenk bestimmt zur vollen Vereinigung mit Gott für die Ewigkeit. Mögen Sie sich immer in der Erfüllung Ihrer beruflichen Pflichten von der selbstlosen und großzügigen Liebe gegenüber den Menschen leiten lassen, mit denen Sie Zusammenarbeiten werden; pflegen Sie den Wünsch und den Vorsatz, Ihren Mitarbeitern in ihrem Leben zu nutzen, ihnen zu dienen, ihnen behilfich zu sein. Mit diesen Gedanken und Wünschen erbitte ich für Sie gern den Schutz des allmächtigen Gottes, dessen Güte ich Sie alle anvertraue, Ihre Familienangehörigen und alle Bürger Ihrer jeweiligen Heimatländer. 1526 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ganz Lateinamerika bedarf der Evangelisierung Schreiben an den Präfekten der Kongregation für die Glaubensverbreitung, Kardinal Tomko, vom 16. Juni Kürzlich bin ich von meiner Apostolischen Reise nach Polen zurückgekehrt, wo ich mit allem Nachdruck das Evangelium Christi verkündet und es allen katholischen Kreisen dort zu ernsthaftem Studium empfohlen habe. Nun aber drängt es mich, mit gleichem Nachdruck mein Sinnen auf Lateinamerika zu richten, dessen einzelne Nationen ich bereits aus pastoralen Gründen besuchen konnte. Ich habe bei dieser Gelegenheit dazu aufgefordert, die christliche Evangelisierung bis an die äußersten Grenzen der einzelnen Völker dort auszudehnen, so daß der erneuerte missionarische Eifer der katholischen Kirche durch unsere Brüder im Bischofsamt und ihre tüchtigen Helfer, die Priester und Ordensleute, und alle an Christus Glaubenden mit ganzer Kraft ans Werk geht. Ich freue mich, daß sich in Kürze für die Anregung und Bekräftigung des missionarischen Eifers neue Gelegenheit bieten wird, wenn in Bogota in Kolumbien vom 5. bis 8. Juli der 3. lateinamerikanische Missionskongreß stattfindet, gleichsam am Vorabend des 500. Jahrestages seit Beginn der Verbreitung des Christentums in Amerika. Aus all meinen mündlichen und schriftlichen Äußerungen, in denen ich immer wieder auf dieses so wichtige und nützliche Thema zu sprechen kam, sei es bei meinen Besuchen der Gemeinden des ausgedehnten Kontinents Lateinamerika, sei es bei den Ad-limina-Besuchen ihrer Bischöfe, bei denen wir darüber immer wieder eindringlich gesprochen haben, geht wahrlich hervor, wie sehr mir am Herzen liegt, was bei diesem Kongreß sachkundig dargelegt und entschieden werden soll, welche glücklichen und weitschauenden Entschließungen für die kommenden Jahre gefaßt werden, wie der Kongreß verläuft und welche beständigen Früchte der dort entfaltete pastorale Eifer bringen wird. Auch aus der Feme möchte ich dort unter den katholischen Kirchen Lateinamerikas gleichsam präsent sein. Ich werde die Überlegungen und Diskussionen der Delegierten wie auch die gemeinsamen Beschlüsse und Dekrete täglich verfolgen. Damit es aber nicht an einem Beweis und Zeugnis für meine volle Verbundeheit und Anteilnahme an den einzelnen Veranstaltungen und Kongressen fehle, bestimme ich durch diesen Brief Dich, ehrwürdiger Bruder, der Du bereits vor zwei Jahren lange an meiner Statt die Kongregation für die Evangelisierung der Völker dank Deiner Fähigkeit lobenswert leitest, zu meinem außerordentlichen Gesandten beim 3. lateinamerikanischen Mis- 1527 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sionkongreß in Bogota vom 5. — 8. Juli; ich übertrage Dir mit vollem Vertrauen, in jeder möglichen Weise und an jedem Ort, mich öffentlich zu vertreten und in meinem Namen den Vorsitz zu führen. Da Du ferner die missionarischen Anliegen und Ziele meines ganzen Pontifikates gründlich kennst, wirst Du meine Ansichten in rechter Weise vortragen oder vielmehr den Teilnehmern erneut vor Augen führen, wie notwendig die Evangelisierung für ganz Lateinamerika ist, welche neuen Formen der Evangelisierung das 2. Vatikanische Konzil empfohlen hat und welch gute Gelegenheit sich im bevorstehenden 500: Jahr seit Beginn des Christentums dort ergibt. Grüße freundlich die Leiter des Kongresses, zumal meine Brüder im Bischofsamt, wie auch alle Teilnehmer an diesem so schönen Ereignis. Übermittle ihnen diese meine Botschaft und Wünsche, und versichere sie meines Gebetes, damit der Kongreß, wie ich zuversichtlich hoffe, heilsame und andauernde Früchte bringt. Erteile den Anwesenden auch meinen Apostolischen Segen, durch den ich der menschlichen Schwachheit die Kraft von oben, der Unwissenheit Licht und dem guten Willen seinen Lohn erflehe. Aus dem Vatikan am 16. Juni, im Jahr des Herrn 1987, dem neunten unseres Pontifikates PAPST JOHANNES PAUL II. Die Eucharistie macht uns zur Gemeinschaft Predigt vor der Lateranbasilika am Fronleichnamsfest, 18. Juni 1. „... daß du den Herrn, deinen Gott, nicht vergißt, ... der dich in der Wüste mit dem Manna speiste“ (Dtn 8,14.16). Wenn wir heute in Prozession durch die Straßen Roms von der Lateranbasilika zur Basilika auf dem Esquilin ziehen, suchen wir auch jenen Weg vor Augen zu haben: „Nimm dich in acht, daß du den Herrn, deinen Gott, nicht vergißt, der dich aus Ägypten, dem Sklavenhaus geführt hat“ (Dtn 8,14). Mose sagte: „Du sollst an den ganzen Weg denken, den der Herr, dein Gott, dich ... geführt hat, um ... dich zu prüfen. Er wollte erkennen, wie du dich entscheiden würdest“ (Dtn 8,2). Es ist der Weg, den das Volk des Alten Bundes durch die Wüste wanderte — dem Land der Verheißung entgegen. 1528 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN In der Eucharistie speist uns Gott selbst mit dem Brot des Lebens Während wir in der eucharistischen Prozession durch die Straßen Roms gehen, zeigen wir uns der Welt als Volk „auf dem Weg“, das Gott selbst mit dem Brot des Lebens speist, so wie er den Söhnen und Töchtern Israels in der Wüste das Manna als Speise gab. In der Wüste läßt sich keine Nahrung finden. Gott selbst ernährte sein Volk. Vergessen wir diesen Weg nicht — und diese Speise, die eine Vorankündigung der eucharistischen Speise war. Christus selbst beruft sich, als er die Einsetzung der Eucharistie ankündigt, auf dieses Symbol aus der Geschichte des alten Bundesvolkes. Er spricht zu seinen Zuhörern in der Gegend von Kafarnaum vom Brot, das vom Himmel herabgekommen ist (vgl. Joh 6,51). Auch das Manna in der Wüste kam vom Himmel herab. Es war das Brot, das Israel von Gott angeboten wurde: „Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben“ (Joh 6,49). Das Brot, das Gott in der Wüste anbot, sättigte den leiblichen Hunger, aber es bewahrte nicht vor dem Tod. Christus verheißt seinen Jüngern ein anderes Brot: „Wer aber dieses Brot ißt, wird leben in Ewigkeit“ (Joh 6,58). So führt uns die Einsetzung der Eucharistie mitten in das Drama des Menschen hinein: Leben, auf den Tod hin orientiert — oder: Leben, offen auf die Ewigkeit hin? Während wir, um das Brot vom Himmel geschart, in der eucharistischen Prozession weiterziehen, verkündigen wir mit dem menschgewordenen Wort zugleich die Wahrheit vom ewigen Leben. Um uns herum pulsiert das Leben der Großstadt — aber dieses Leben geht vorüber. Diese Stadt Rom ist, wie jede andere auf dem Erdball, ein vergänglicher Ort. In ihr pulsiert das Leben bis an die Schwelle des Todes. Und in ihrer Geschichte, im Lauf der Generationen und Jahrhunderte hat sie bis auf den Grund die Wirklichkeit des menschlichen Todes erlebt. 2. So erhält also das, was Christus bei Kafarnaum sagte, immer neue Aktualität. Auch heute. Auch hier in Rom: „Amen ... das sage ich euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht eßt und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch“ (Joh 6,53). i Um die Eucharistie anzukündigen, geht Christus von der Wirklichkeit des Todes aus, der das Erbe jedes Menschen auf Erden ist, wie er ja auch all denen zum Erbe wurde, die in der Wüste das Manna aßen. Damit befinden wir uns genau im Zentrum des ewigen Problems des Menschen, seiner Geschichte und seines Geheimnisses. 1529 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Christus stellt uns vor die Alternative: entweder „das Leben haben“ — oder „das Leben nicht in uns haben“. 3. Hier begegnen wir dem eigentlichen Kern der Frohen Botschaft: dem Höhepunkt der Hoffnung, der die Notwendigkeit des Sterbens übersteigt: „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag“ (Joh 6,54). Vom zeitlichen Tod zum ewigen Leben Das Evangelium — die Frohe Botschaft — führt vom zeitlichen Tod zum ewigen Leben. Dennoch werden die Zuhörer sagen: „Was er sagt, ist unerträglich. Wer kann das anhören?“ (Joh 6,60). So haben damals die Zuhörer in der Umgebung von Kafarnaum reagiert. Und die Zuhörer heute? Selbst die Apostel wurden der Prüfung unterworfen. Schließlich hat aber der Glaube gesiegt: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,68). Während wir heute die Eucharistie mitten in der Stadt Rom feiern und dann in Prozession den Leib des Herrn mit uns tragen, wollen wir jenes Geschehen aus der Umgebung von Kafarnaum vor Augen haben. Ebenso denken wir an den Weg Israels durch die Wüste und an das „Manna“. Die Liturgie führt uns auf dieser Spur. 4. Wer sind wir heute? Wir sind die Erben, Erben im großen Geheimnis des Glaubens, das sich in der Geschichte des auserwählten Volkes stufenweise seinen Weg bahnte. Wir sind die Erben jenes Glaubens, der beim Letzten Abendmahl in den Herzen der Apostel endgültig Gestalt angenommen hat. Wir tragen Christus in uns — und damit den Sieg des Lebens über den Tod Damals sind die Worte der Ankündigung, die bei Kafarnaum gesprochen wurden, zur Einsetzung geworden: „Mein Fleisch ist wirklich eine Speise, und mein Blut ist wirklich ein Trank. Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm“ (Joh 6,55-56). Wir sind also die „Christo-phoroi“, Christusträger. Wir tragen Christus in uns: seinen Leib und sein Blut, seinen Tod und seine Auferstehung, den Sieg des Lebens über den Tod. Christo-phoroi, Christusträger: Beständig sind wir das, jeden Tag. Davon wollen wir heute in besonderer Weise öffentlich Ausdruck geben. Christo-phoroi: jene, die „durch Christus leben“. So, wie er „durch den Vater lebt“. 1530 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Dies ist das Geheimnis, das wir in uns tragen: Geheimnis des ewigen Lebens in Gott durch Christus. „Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der We.lt“ (Joh 6,51). 5. Wir wollen Tag für Tag im Ostergeheimnis Christi zu wachsen suchen. Und vor allem wollen wir in einer seiner besonderen Darstellungen zu wachsen suchen, in der Einheit: „Ein Brot ist es. Darum — schreibt der Apostel — sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot“ (1 Kor 10,17). Die Eucharistie macht uns zur Gemeinschaft der Kirche — zum Leib Christi. Durch alle Kontinente auf der Erdkugel wandert das messianische Volk, das Volk des Neuen Bundes — die Kirche, die sich von der Eucharistie nährt, und die durch die Eucharistie als Leib Christi an der Wirklichkeit des ewigen Lebens teilhat. Sie trägt es in sich dank dieser göttlichen Speise und dieses göttlichen Trankes: des Leibes und Blutes Christi. Dies ist das große Geheimnis des Glaubens! Nehmen wir es von neuem freudig und dankbar auf! In der Eucharistie liegt das Unterpfand unserer Hoffnung. So wollen auch wir mit dem Apostel Petrus sagen: „Du allein hast Worte des ewigen Lebens.“ Du allein, Herr! Amen. Der Priester muß sehr tief in die Welt seiner Zeit eindringen Predigt bei der Priesterweihe am 21. Juni 1. „Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt“ (Mt 10,32). Liebe Söhne und Brüder! Ihr, die ihr heute die Priesterweihe empfangt, seid in besonderer Weise durch die Macht dieser Worte Christi angerufen. Ihr seid berufen, ihn vor den Menschen mit eurem ganzen Menschsein, mit eurem ganzen menschlichen „Ich“ zu bekennen. Wenn alle Christen dazu berufen sind, dann seid ihr es in besonderer Weise. Wenn der Schriftsteller der Frühzeit sagt: „Christianus — alter Christus“ („Der Christ ist ein anderer Christus“), dann muß man von euch in einer ganz besonderen Weise sagen: „Sacerdos — alter Christus“ — „Der Priester ist ein anderer Christus.“ Könnte es anders sein, wenn jeder von euch das Recht und die Pflicht hat, „in der Person Christi“ zu handeln? Wenn von heute, dem Tag eurer Priesterweihe an, jeder sich des eigenen Wortes, der eigenen Stimme, des eigenen Willens bedienen muß, um auf sakramentale Weise das Opfer Christi zu vollziehen? 1531 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Erwägt das noch einmal, ehe ihr zur Weihe hintretet. Sagt zu Gott mit den Worten des Jeremia in der heutigen ersten Lesung: „Herr ..., der Herz und Nieren sieht..., dir habe ich meine Sache anvertraut“ (vgl. Jer 20,12). Möge dieser wichtige und entscheidende Augenblick eures Lebens der Augenblick sein, in dem ihr euch in besonderer Weise Gott gegenüber öffnet, die Stunde, in der der ganze innere Mensch zu ihm sagt: „Erhöre mich, Herr, in deiner Huld und Güte, wende dich mir zu in deinem großen Erbarmen! Ich aber bete zu dir, Herr, zur Zeit der Gnade“ (Ps 69,17.14). Ja! Dieser Tag sei eine Zeit der Gnade, die sich über das ganze Priesterleben eines jeden von euch erstrecken möge. Möge „der Herr euch beistehen wie ein gewaltiger Held“ (vgl. Jer 20,11), vor dem alle menschliche Schwachheit, Begrenztheit und Sündhaftigkeit in Heiligkeit, Demut,. Liebe und Macht des Geistes umgewandelt werden können. 3. Wir kehren zurück in den Abendmahlssaal. Denn dort hat das Priestertum des Neuen Bundes, verbunden mit dem Opfer Christi und in seinem Priestertum verwurzelt, seinen Anfang genommen. , Im Abendmahlsaal spricht Christus auch vom Geist der Wahrheit: „Er wird Zeugnis für mich ablegen“, und zu den Aposteln sagt er: „Und auch ihr sollt Zeugnis für mich ablegen“ (vgl. Joh 15,26-27). Ihr seid berufen, Zeugen Christi zu sein. Das Zeugnis der Apostel muß sich fortsetzen, es muß durch das Zeugnis eines jeden von euch gegenwärtig werden. Darum fleht auch die Kirche am Tag der Priesterweihe mit lauter Stimme: „Veni, Creator Spiritus ...“ Komm, Schöpfer Geist! Und jeder von euch wird sich hier, vor dem Altar, zu Boden werfen, damit durch diese demütige Geste — gewissermaßen Ausdruck der Entäußerung des inneren Menschen — Raum entstehe für die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes. Tiefe Verwurzelung in der Kraft des Hl. Geistes als Voraussetzung für jeden Priester Damit er in jedem von euch einen neuen Geist und ein neues Herz schaffen könne. Damit er den Eifer entzünden könne, von dem der Psalmist sagt: „Der Eifer für dein Haus hat mich verzehrt“ (Ps 69,10). Der Priester unserer Zeit, der Priester am Ende des zweiten Jahrtausends, muß sehr tief in die Welt seiner Zeit eindringen. Deshalb bedarf es auch einer tieferen Verwurzelung in der Kraft des Geistes der Wahrheit. 1532 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das Leben, das sich vor euch öffnet, und der Dienst, den ihr nun beginnt, empfangen in besonderer Weise Licht und Kraft aus diesen beredten Worten des Erlösers: „Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen“ {Mt 10,32). Die Kirche betet, daß sich diese bedeutungsvollen Worte des Heilands für jeden von euch erfüllen mögen. 4. „Fürchtet euch nicht vor ihnen! “ (Fürchtet euch nicht vor den Menschen!) (Vgl. Mt 10,26) „Redet am hellen Tag“ von der Wahrheit des Evangeliums! {Mt 10,27). Die Botschaft vom gekreuzigten und auferstandenen Christus „verkündet von den Dächern!“ (ebd.). „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können“ {Mt 10,28). Der Herr sei mit euch, mit jedem von euch immer und überall! Er führe euch in der Kraft seines Geistes! „Damit ihr euch aufmacht und Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt“ {Joh 15,16). Amen. Tut, was Christus euch sagt! Ansprache vor Jugendlichen der Diözese Roermond und deren Bischof, Johannes B. M. Gijsen, am 21. Juni „Wer den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“ Mit diesen Worten aus dem Evangelium der Messe des heutigen Tages hat Jesus denen geantwortet, die ihm berichteten, seine Mutter und seine Brüder seien draußen und wollten ihn sprechen. Es sind vor allem Worte für Maria, die draußen wartet. Denn keine Mutter hat mehr und besser den Willen des Vaters im Himmel erfüllt als gerade Maria. Als sie von Gott gerufen wurde, um auf ganz und gar ungewöhnliche und unerhörte Weise, nämlich als Jungfrau, die Mutter des Gottessohnes zu werden, hat sie ohne zu zögern und in völliger Hingabe geantwortet: „Siehe ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach seinem Wort.“ So ist Maria vor allem auch im geistigen Sinne Mutter geworden und ein Vorbild für alle Jünger ihres Sohnes Jesus Christus, und damit für alle Christen. Ein Vorbild gerade auch für euch junge Menschen in einem Alter, wo ihr eine Wahl für euren Lebensweg zu treffen habt: Wird das die Ehe sein, die ausschließliche Liebe zwischen einem Mann und einer Frau, die nach dem Bild 1533 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der Liebe Christi für seine Braut, die Kirche, geformt werden muß, und die ihre besondere Frucht im Hervorbringen neuen Lebens tragen wird. Wird es vielleicht das Priesteramt sein, die völlige Hingabe und der Dienst an der Verkündigung des Evangeliums, die frohe Botschaft, die den eigentlichen Sinn des menschlichen Lebens darin sieht, den Willen des Vaters im Himmel zu erfüllen. Oder wird es vielleicht ein Leben in Armut, Keuschheit und Gehorsam sein, das alle irdischen Werte, wie die Beherrschung und den Besitz der Welt, die eigene freie Entfaltung, die Liebe zwischen Mann und Frau, relativiert, weil wir hier auf Erden Pilger auf dem Wege zum Haus des Vaters im Himmel sind. Laßt uns diese Eucharistie zusammen feiern, um Gott im besonderen zu bitten, daß er jedem von euch erklären möge, wozu er ihn ruft, und die Bereitschaft schenken möge, diese Berufung zu erkennen und zu befolgen, die Bereitschaft, immer das zu tun, was unsere Mutter Maria auf der Hochzeit zu Kana geraten hat: „Was er euch sagt, das tut.“ Die Berufung leidenschaftlich und freudig bezeugen Ansprache an die Assistenten der Katholischen Aktion Italiens am 23. Juni Meine Lieben! 1. Ich bin darüber erfreut, daß ich heute mit euch kirchlichen Assistenten der Katholischen Aktion Italiens Zusammenkommen kann, die ihr anläßlich eures nationalen Treffens in Rom versammelt seid, um über das Thema „Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt“ im Blick auf die bald beginnende Bischofssynode nachzudenken. Eine gemeinsame Betrachtung der Katholischen Aktion über dieses fordernde Thema konnte nicht fehlen, besonders von seiten derer, die, von den Bischöfen beauftragt, in ihr als Priester ihren Dienst tun. Ich möchte euch, die ihr hier anwesend seid, meine aufrichtige Sympathie ausdrücken, ebenso euren Mitbrüdern und der ganzen Katholischen Aktion Italiens, die in den mehr als hundert Jahren ihrer Geschichte mit Großherzigkeit ihre besondere Berufung, am Apostolat der Hierarchie mitzuarbeiten, gelebt hat. Einen besonders freundlichen Gruß richte ich an den neuen Generalassistenten, Monsignore Antonio Bianchin, und entbiete ihm meine guten Wünsche für seine Arbeit in der Katholischen Aktion. Ich grüße außerdem den Präsidenten, Herrn Raffaele Cananzi. Alle möchte ich ermutigen. 1534 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Als geistliche Begleiter die Menschen zur ,,christlichen Reife“ fiihren 2. Bei diesem Treffen halte ich es für meine Pflicht, ein Wort der Wertschätzung und Hochachtung an euch zu richten, für die nicht einfache Aufgabe, die ihr als kirchliche Assistenten in den verschiedenen Bereichen der Katholischen Aktion auf den Ebenen von Diözese und Pfarrei erfüllt. Ihr seid aufgerufen, in den Verbänden die pastorale Sorge des Bischofs gegenwärtig und wirksam zu machen, sowie die volle und effektive Gemeinschaft der Gedanken und Absichten der Mitglieder mit ihm zu garantieren. Die Sendung der kirchlichen Assistenten ist vor allem eine priesterliche, das heißt bezogen auf die Erziehung zum Glauben und das Wachstum im inneren Leben, was zu Recht als „Seele jeglichen Apostolats“ bezeichnet wird. Eure Hauptaufgabe besteht in der Hinführung dazu, vorrangig geistlich zu leben: Dazu gehören Gebet und andächtiges Hören des Gotteswortes, so daß die Laien der Katholischen Aktion mit Freude und Selbstlosigkeit auf den Ruf zur Heiligkeit antworten und ihrer besonderen Sendung nach dem Evangelium entsprechen. „Alle Christgläubigen (...) werden in ihrer Lebenslage, ihren Pflichten und Verhältnissen (...) von Tag zu Tag mehr geheiligt, wenn sie alles aus der Hand des himmlischen Vaters im Glauben entgegennehmen und mit Gottes Willen Zusammenwirken und so die Liebe, mit der Gott die Welt geliebt hat, im zeitlichen Dienst selbst allen kundmachen“ (Lumen gentium, Nr. 41). Da ihr als Erzieher zum Leben im Glauben, zum persönlichen und gemeinsamen Gebet, zur aktiven und bewußten Teilnahme an der Eucharistie und am sakramentalen Leben gerufen seid, sollt ihr aufmerksame Begleiter eines jeden Mitglieds auf dem Weg zur „christlichen Reife“ sein. Seid sichere Führer, von denen die Laien Licht und geistliche Kraft empfangen können, für den Werdegang zu ihrem Apostolat. Ihr habt deshalb eine besondere Verpflichtung, mit eurem ganzen Leben das Angebot des Evangeliums, das ihr ihnen vorlegt, auszudrücken. Sie erwarten von euch, daß in eurer Person und eurem Verhalten eine authentische und transparente Gegenwart Christi, des Hirten und Priesters der Seelen, da sei. Seid deshalb leidenschaftliche und freudige Zeugen eurer priesterlichen Berufung und eures Dienstes, der in voller Gemeinschaft mit euren Hirten und Mitbrüdem sowie treuer Bindung ans Lehramt der Kirche gelebt und verwirklicht wird. Die Charismen der Gläubigen sind zu entdecken und zu wecken 3. Die Sendung des kirchlichen Assistenten hat dann zum Ziel, in den Mitgliedern des Verbandes die typische Berufung des Laien zu fördern, mit allem, was diese mit sich bringt, und in ihrer Besonderheit, die in der organisierten Mitarbeit am Apostolat der Hierarchie besteht. Setzt euch deshalb in 1535 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN den Diözesen und euren Verbänden für die Anerkennung der Würde und Verantwortung der Laien sowie für ihre besondere Rolle im Bereich der Sendung der Kirche ein: Männer, Frauen, Jugendliche, Heranwachsende und Kinder wollen als Getaufte auf die Einladung Christi antworten, der sie ruft; sie wollen das Leben und die Sendung der Kirche teilen durch eine Existenz, die in die Aufgaben und Tätigkeiten des Lebens in Familie, Beruf und im sozialen und schulischen Bereich eingegliedert ist. Das bedeutet für euch die Aufgabe, sie dazu zu erziehen, daß sie, den Gliedern des mystischen Leibes Christi entsprechend, die verschiedenen christlichen Berufungen hochschätzen. Das bedeutet auch, ihre Reife zu fördern, indem ihr sie als Mitverantwortliche in die Tätigkeiten der Pfarrei einbindet: als belebende Kräfte der Liturgie, Katecheten und „Missionare“ der Welt der Politik, Kultur, Wirtschaft, Familie, Berufe und Arbeit. Echte christliche Laiengestalten werden gebraucht, die wirklich „sich einsetzen für eine Verbreitung des Evangeliums, um es in den verschiedenen Lebensbereichen hören zu lassen und ausdrücklich die höheren Bewegungsgründe dafür vorzulegen; um die unverkürzbare Bestimmung des Menschen für den Menschen zu unterstreichen und mit dem Evangelium die verschiedenen kulturellen Äußerungen zu durchdringen, wie etwa die des Brauchtums und der bestehenden Mentalität“ (vgl. Ansprache vom 12. Februar 1983, Nr. 3). 4. Eure Sendung ist auf den Aufbau der Gemeinschaft ausgerichtet. Der Assistent als Priester ist der Vereinigung „der Teilhaber an der Sendung des Bischofs, Zeichen dessen Gegenwart und Glied des Presbyteriums“ (vgl. Statut, Art. 10). Deshalb muß er den kirchlichen Sinn und die kirchliche Dimension der Vereinigung fördern, die verfassungsmäßig in die tägliche Wirklichkeit der Diözesen und ihrer pfarrlichen Untergliederungen eingebunden ist. Doch er öffnet diese kirchliche Dimension auch für die Sichtweise und Anteilnahme daran, was die Erwartungen und Probleme der Weltkirche angeht. Wenn die Assistenten in enger Gemeinschaft mit dem Generalassistenten mit Einsatzbereitschaft und Treue Zusammenarbeiten, dann wird die Katholische Aktion: — eine Schule apostolischer Gemeinschaft und Formung zu einer hochherzigen Antwort auf die persönliche Berufung; — ein Ort vertiefter Reflexion und echten Erlebens, wie die Beziehung zwischen Glaubensleben und Einsatz in der Menschheitsgeschichte gelingen kann, damit sich das Erlösungsgeheimnis ereigne; — ein geeigneter Boden für den Anreiz und die Unterstützung des gesamten Laienstandes auf die weitere Entwicklung einer richtigen Theologie des Laienstandes hin, ein Umfeld für einen noch einschneidenderen Beitrag von sei- 1536 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ten der christlichen Laien zum Leben in der kirchlichen Gemeinschaft und in der bürgerlichen Gesellschaft in diesem Augenblick besonders fordernder Perspektiven für die Zukunft des Landes. Liebe Mitglieder im Priesteramt, ich wollte einige Elemente eurer priesterli-chen Sendung im Bereich der Katholischen Aktion unterstreichen; ihr nehmt teil am Leben der Vereinigung und ihrer Gruppen, „um mitzuhelfen, daß das geistliche Leben und seine apostolische Bedeutung genährt werde und die Einheit vorangetrieben werde“ (Art. 10). Euer Handeln, euer besonderes Apostolat und eure Sendung als „geistliche Väter“ und Erzieher im Glauben für die einzelnen Personen sind grundlegende Elemente zur Formung der Mitglieder, zur Vorbereitung der Verantwortlichen und Animatoren. Darum bittet euch der Papst, darum bitten euch die Katholische Aktion, darum bitten euch vor allem die Mitglieder der Katholischen Aktion, die mit Freude und Verantwortung ihre „direkte Zusammenarbeit mit der Hierarchie anbieten, um das allgemeine apostolische Ziel der Kirche zu verwirklichen“ (Statut, Art. 1). Viele von euch bewahren in ihrem Herzen ohne Zweifel dankbar und bewegt die Erinnerung an viele Priester, die still und klug, bescheiden und stark, froh und großmütig eine unauslöschliche Spur hinterlassen haben in den Herzen ganzer Generationen von Kindern und Jugendlichen, Männern und Frauen, die von ihnen zum geistlichen Leben und zum Apostolat in der Katholischen Aktion geformt wurden. Gott, der sie uns zu unserer Erbauung und unserem Trost gegeben hat, möge es ihnen vergelten, wie nur er zu vergelten weiß. Die allerseligste Mutter Maria möge auf mütterliche Weise eure Schritte lenken — besonders in diesem Marianischen Jahr. Mit diesen Wünschen begleite euch mein Apostolischer Segen in eurem Priesteramt! Eine echte ,,Zivilisation der Liebe“ verwirklichen Ansprache an die Mitglieder der Vereinigung der Hilfswerke für die Orientalischen Kirchen am 25. Juni Herr Kardinal, verehrte Mitbrüder im Bischofsamt, liebe Mitglieder und Freunde der Hilfswerke für die Orientalischen Kirchen! 1. Es ist mir eine Freude, euch anläßlich der Versammlung, mit der ihr den Beginn des 20. Jahres des Bestehens der verdienten „Vereinigung der Hilfs- 1537 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN werke für die Orientalischen Kirchen“, (R.O.A.C.O.), feiert, zu begegnen und euch herzlich zu begrüßen. Kardinal Simon D. Lourdusamy, Präfekt der Kongregation für die Orientalischen Kirchen und euer Präsident, der mir eure Vereinigung vorgestellt hat, gilt mein besonderer Dank. 2. Ihr seid heute um den Papst versammelt in dieser ehrwürdigen Stadt, die die Reliquien der Apostel Petrus und Paulus sorgsam hütet, und eure Anwesenheit steht unter einem zweifachen Schutz: unter dem der Gottesmutter, derer dieses Marianische Jahr ganz besonders gedenken möchte, und unter dem des hl. Johannes des Täufers, dessen Geburtstag Orient und Okzident gestern gemeinsam gefeiert haben. Man denkt spontan an die berühmte Ikone „Dee-sis“, die im Mittelpunkt Christus zeigt, Maria und Johannes den Täufer im Gebet vertieft an seiner Seite. Die Gläubigen müssen sich vom Gebet der Mutter Gottes zu Christus führen lassen, der „Theotokos, die mit ihrer „Sorge ... für die Menschen (und) ih-re(r) Hinwendung zu ihnen in der ganzen Breite ihrer Bedürfnisse und Nöte“ (vgl. Redemptoris Mater, Nr. 21) immer der pilgernden Kirche nahe ist. In dieser Zeit der Vorbereitung auf das große Jubiläum des Jahres 2000 ist es auch notwendig, wieder auf den Vorläufer, den hl. Johannes den Täufer zu hören, den „Freund des Bräutigams“ (Joh 3,29), von dem es heißt: „Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben“ {Mt 11,11; Lk 7,28); er kann die Herzen darauf vorbereiten, mit neuem Eifer die Heilsbotschaft aufzunehmen. 3. Zu meiner Freude sehe ich unter euch den Pater Kustos des Heiligen Landes und alle anderen Vertreter von Hilfswerken, die sich besonders um die Heimat Jesu bemühen, in der Überzeugung, daß es „neben der ,Heilsgeschichte1 auch eine ,Heilsgeographie1 gibt, die dem Glauben eine unbestreitbare Stütze bietet und es dem Christen gestattet, direkt mit der Umwelt Kontakt aufzunehmen, in der das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat {Joh 1,14)“, wie Papst Paul VI. in seinem Apostolischen Schreiben Nohis in animo festgestellt hat, wo er mit Recht bemerkte: „Dieses gesegnete Land ist darum in gewisser Hinsicht das geistliche Erbgut der Christen in aller Welt geworden“ {Wort und Weisung, III, 25.3.1974, S. 486). Ich betrachte es als meine Pflicht, das zu wiederholen, was mein unvergeßlicher Vorgänger damals mit dem nachdrücklichen Aufruf an die Bischöfe, den Klerus und die Gläubigen in aller Welt empfahl: „In allen Kirchen und Oratorien, sei es, daß sie dem Diözesanklerus oder dem Ordensklerus gehören, soll einmal im Jahr — am Karfreitag oder an einem anderen, vom Ortsordinarius festgesetzten Tag — zusammen mit besonderen Gebeten für die 1538 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Glaubensbrüder im Heiligen Land eine Kollekte abgehalten und für sie bestimmt werden“ (ebd., S. 492). 4. Auf die Richtlinien gestützt, die im Gründonnerstagsdokument des Päpstlichen Rates „Cor Unum“ für die menschliche und christliche Entwicklung {AAS 63, 1971, S. 669-673) enthalten sind und unter Beobachtung der Erfahrungen der Päpstlichen Missionswerke, der „Caritas Intemationalis“ und anderer Mitglieder, begann die Vereinigung der Hilfswerke für die Orientalischen Kirchen „die Energien und Initiativen aller zu koordinieren“ {ebd., 5. 672). Sie tut dies sowohl mittels ihrer Halbjahresversammlungen als auch mittels ihres Dossier d’Information (Informationsblatt), das seit März 1976 regelmäßig verteilt wird und die von den Mitgliedsorganisationen zur Verfügung gestellten Hilfen anführt. Eine „Zivilisation der Liebe“ verlangt sehnsüchtig nach Frieden Diese Koordinierung von Aktivitäten war bestrebt, den wichtigsten Entscheidungen und Richtlinien der Bischofskonferenzen oder Versammlungen der Hierarchie innerhalb der Kirchenbezirke der Ortskirchen Rechnung zu tragen. Ich hoffe, daß diese Richtlinien für eine gerechte Verteilung der Güter und für die Verwirklichung von Projekten verschiedener Art von den örtlichen Empfängern der Hilfen R.O.A.C.O. befolgt werden. 5. In ihren Bemühungen um die Verwirklichung einer echten „Zivilisation der Liebe“, wesentlicher Zweck allen kirchlichen Wirkens, mußte die Vereinigung der Hilfswerke für die Orientalischen Kirchen sich mit großen Schwierigkeiten auseinandersetzen: wir denken an den Libanon, den Irak, den Iran, an Palästina, Äthiopien und Afghanistan und an die verschiedenen europäischen Nationen, deren politisches Regime atheistisch ist: all diese Völker flehen seit Jahren: „Friede, Friede!“ Trotz allem hoffen wir weiterhin, wissen wir doch, „daß die Orte des Leidens und der Schuld zugleich auch Orte besonderer Gnade gewesen sind“, die helfen, alle Menschen zum Frieden mit Gott zu führen (vgl. Predigt in Augsburg, 3. Mai 1987). 6. Wenn wir den Anregungen des Geistes Gottes folgen, können wir auch heute unseren Glauben an den auferstandenen Herrn überzeugend leben, der seit Emmaus „auf allen Straßen der Welt gegenwärtig ist“. Möge er unser aller Herzen durch das Feuer seiner Liebe entzünden und uns heute erneut als seine Zeugen aussenden, damit unser von lebendigem Glauben geprägtes Denken und Handeln dazu beiträgt, dem Frieden und der Gerechtigkeit weltweit die Wege zu bereiten. 1539 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Dazu erteile ich euch von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen und erbitte dem Wirken der R.O.A.C.O. weiterhin Gottes reiche Gnade und weise Führung. Österreich ein Land tätiger Nächstenliebe Ansprache an Bundespräsident Dr. Kurt Waldheim am 25. Juni Sehr verehrter Herr Bundespräsident! 1. Aufrichtig heiße ich Sie im Vatikan willkommen zu Ihrem offiziellen Besuch, den Sie als Staatsoberhaupt der Republik Österreich dem Nachfolger Petri abstatten. Zugleich gilt mein herzlicher Gruß Ihrer Frau Gemahlin, dem Herrn Vizekanzler und Außenminister mit seiner Gattin sowie allen Personen, die Sie mit dem österreichischen Botschafter beim Heiligen Stuhl begleiten. Diese heutige Begegnung erinnert mich an meinen ersten Besuch bei den Vereinten Nationen, zu dem Sie mich 1979 als Generalsekretär der UNO nach New York eingeladen haben. Ihr bisheriges Wirken im internationalen Leben als Diplomat und Außenminister Ihres Landes wie auch während Ihrer verantwortungsschweren Tätigkeit in der weltumspannenden Organisation der Vereinten Nationen war stets der Friedenssicherung unter den Völkern gewidmet. Ihre daraus erwachsenen Lebens- und Berufserfahrungen können Sie nun nach Ihrer Wahl zum höchsten Repräsentanten des österreichischen Volkes in den Dienst Ihres auch von mir hochgeschätzten Landes stellen. 2. Österreich hatte in seiner Geschichte, auch aufgrund seiner geographischen Lage im Herzen Europas, vielfach einen besonderen Auftrag in der Völkergemeinschaft zu erfüllen. Es war durch lange Zeit Kernland eines Territoriums, das als politische und kulturelle Kraft ersten Ranges das Antlitz des europäischen Kontinents entscheidend mitgeprägt hat. An der schicksalhaften Trennungslinie zwischen West und Ost gelegen, ist ihr Land heute vor allem um den Ausgleich der Interessen im Zusammenspiel der Nationen, um die Wahrung der Menschenrechte, den Schutz der Freiheit und die Förderung des Friedens bemüht. Die Einsicht gewinnt in unseren Tagen immer mehr an Boden, daß der Friede nicht durch gegenseitige Schreckensandrohung, sondern nur als Werk der Gerechtigkeit auf Dauer gesichert werden kann. Der Friede in einem Staat und zwischen den Völkern darf nicht auf Kosten der Freiheit und der Menschenrechte gesucht werden. Er muß im Gegenteil im Dienst des Menschen, des 1540 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Schutzes seiner unantastbaren Würde und allseitigen Entfaltung stehen. Die rechtliche Stellung dauernder Neutralität setzt die Republik Österreich in einer besonderen Weise in die Lage, zur Verwirklichung eines wahren Friedens in Freiheit und Gerechtigkeit unter den Völkern einen wichtigen Beitrag zu leisten. Anerkennung verdienen daher das Bemühen Österreichs um friedliche Konfliktbeilegung, seine Beiträge zu den friedenerhaltenden Maßnahmen der Vereinten Nationen sowie für die Flüchtlingshilfe. Ich möchte es bei dieser Gelegenheit nicht unterlassen, der Republik Österreich besonders auch für die Hilfe zu danken, die sie in den letzten Jahren meinen polnischen Landsleuten auf vielfache Weise gewährt hat. Der solidarische Einsatz für Notleidende im In- und Ausland ist tätige Nächstenliebe und wahre Mitmenschlichkeit. Österreich hat diese verständnisvolle Hilfe deshalb leisten können, weil man in Ihrem Land nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges bei Wahrung aller Pluralität der freien Demokratie die Verantwortung für das Gemeinsame erkannt hat. Diese Erkenntnis ließ die politischen Kräfte Ihres Landes so zusammenstehen, daß ihre innerstaatliche Einheit die Jahre mehrfacher Besetzung verkraftete und 1955 die Erlangung der vollen Souveränität' mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages ermöglichte. Partnerschaftliche Verantwortung hat in diesen Jahren bis heute die Innenpolitik Ihres Landes geprägt: sei es in der Sozialpartnerschaft Ihrer großen Interessenverbände, sei es in der Zusammenarbeit über alle Parteigrenzen und lokal orientierte Bundesstrukturen hinaus. 3. Wie schon der kürzliche Ad-limina-Besuch der österreichischen Bischöfe, so erinnert mich auch diese Begegnung mit Ihnen, Herr Bundespräsident, wiederum mit Freude an meinen Pastoralbesuch in Ihrem Land 1983, das durch eine fast 2000jährige Tradition zutiefst christlich geprägt ist und auch heute ein wichtiges und lebendiges Mitglied der katholischen Weltkirche ist. Darum schaue ich auch schon voller Erwartung auf die zweite Pastoraireise, zu der mich die Österreichische Bischofskonferenz für das kommende Jahr eingeladen hat. Mit Genugtuung dürfen wir feststellen, daß die katholische Kirche — gestützt auch durch die Vereinbarungen des Konkordates von 1933 und der nachfolgenden Zusatzabkommen — imstande ist, im gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben Ihres Landes einen wichtigen Beitrag zu leisten. Eine besondere Bedeutung Österreichs für das Glaubensleben der Kirche dokumentiert sich unter anderem in der Musikkultur, durch die Ihr Land anerkanntermaßen Bedeutendes zum geistlichen und liturgischen Gotteslob beigetragen 1541 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN hat. Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Franz Schubert seien hier nur als Beispiele genannt. Dieses künstlerische und kirchenmusikalische Schaffen hat Ihrem Land über die Grenzen hinaus hohes Ansehen eingebracht. Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich noch die große Hilfsbereitschaft österreichischer katholischer Organisationen für die Entwicklungshilfe und für die Not in der Welt im Rahmen der Caritas. „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi“, heißt es am Beginn der Patoralkonstitution Gaudium et spes des II. Vatikanischen Konzils. Diese Solidarität mit den Menschen hat die Kirche von ihren Anfängen an beseelt, sie wird ihr Wirken auch für die Zukunft bestimmen. Ebenso erkennt die Kirche für diesen Dienst am Menschen in aller Welt jeden mitverantwortlichen Einsatz von anderen Einrichtungen, vor allem auch die Mithilfe der Staaten, dankbar an. In Erfüllung dieser Aufgabe kommt Österreich mit seiner zentralen Lage in der Völkergemeinschaft auch hier eine wichtige Bedeutung zu. Möge Sie, Herr Bundespräsident, und das österreichische Volk in dieser solidarischen Mithilfe für den Menschen sowie in der fruchtbaren Weiterentwicklung von Gesellschaft und Staat in der Republik Österreich stets Gottes Segen begleiten. Die Kirche ist ein einladendes Haus Botschaft an Bischof Karl Braun anläßlich des 1200. Todestages des hl. Willibald vom 26. Juni Meinem verehrten Bruder Karl Braun Bischof von Eichstätt „Die Freude an Gott — unsere Kraft.“ Unter dieses Motto hast Du zusammen mit Deinen Mitbrüdem im Hirtenamt und den Gläubigen Deiner Ortskirche das Jubiläumsjahr gestellt, das Ihr zur Feier der 1200. Wiederkehr des Heimgangs Eures Bistumsgründers, des heiligen Willibald, festlich begeht. Das Vorbild dieses kraftvollen Glaubensboten, der sechsundvierzig Jahre lang in Eurer Heimat die befreiende Botschaft Christi verkündet hat, ist Euch in diesen Monaten zu einem besonderen An- 1542 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sporn geworden, den Glauben an Gott und seine Heilspläne in Euch zu erneuern und zu vertiefen. Daraus soll Euch neue-Entschlossenheit erwachsen, das kostbare Geschenk des Glaubens an Eure Mitmenschen weiterzugeben, die bewußt oder auch nur unbewußt danach hungern. In diesen Tagen erreicht Eure Jubiläumsfeier nun ihren Höhepunkt, da Ihr das Hochfest des hl. Willibald am 7. Juli, dem Tag seines Todes vor 1200 Jahren, bei seinem Grab in Eurer Domkirche begeht. Der hl. Willibald — ein glaubwürdiger Verkünder des Evangeliums Willibald ist als Ausländer und Fremder aus Südengland und als Gefährte des Bonifatius zu Euren Vorfahren gekommen. Er hat seine Heimat selbstlos und mutig verlassen, um Euch zu beschenken: nicht mit irdischen Reichtümern oder weltlicher Macht, sondern mit dem Glauben an den einen wahren Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Um Euch aber diesen Glauben in ganzer Fülle und Tiefe schenken zu können, hat er sich zuvor selbst den großen Quellen des Glaubens zugewandt. In Rom hat er die Einheit mit der Kirche der Apostel Petrus und Paulus gesucht, um sich der wahren Tradition des Glaubens von Christus her zu versichern. Dann ist er sogar nach Palästina gezogen, um auf den Wegen Jesu selbst dessen Worte und Taten tief und lebendig in sein Herz aufzunehmen, um sein glaubwürdiger und begeisternder Verkünder werden zu können. Auch nach Konstantinopel ist Willibald gereist, um aus der wichtigen Quelle griechischer Theologie zu schöpfen, die uns in den ersten ökumenischen Konzilien ein grundlegendes Glaubensverständnis des einen und dreifältigen Gottes vermittelt hat. In Monte Cassino schließlich, dem berühmten Zentrum des abendländischen Ordenslebens, hat Willibald seine letzte Formung als Glaubensbote und Kirchengründer erhalten, für den Beten und Arbeiten, Glauben und Kultur, Freude an Gott und Gestaltung dieser Welt zusammengehören und die volle Würde des Menschen ausmachen. Es wird berichtet, daß der hl. Willibald im Kloster von Monte Cassino die Aufgaben des Sakristans und des Pförtners übernommen hat: Dieses scheinbar nebensächliche Element im Leben des Heiligen kann uns doch als einprägsames Bild für zwei wesentliche Dimensionen im Leben eines jeden Christen gelten. So dürfen und sollen wir uns freuen, im „Hause Gottes“ sein zu können, uns von seiner göttlichen Vorsehung umfangen zu wissen, täglich dafür danken zu können und seine unendliche Größe, Liebe und Treue anbetend zu verehren. Neben diesem Dienst „im Hause des Herrn“ dürfen wir aber auch „Pförtner“ sein, sollen wir Türen öffnen und jeden eintreten lassen, der nach der ganzen Wahrheit vom Menschen und seinem Ursprung in Gott dürstet. Die Kirche ist keine abgeriegelte Festung, sondern muß ein ein- 1543 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ladendes Haus sein, mit Fenstern und Türen, die die Verbindung mit der Welt in all ihren Dimensionen herstellen; die Kirche soll ja alle Menschen guten Willens ermutigen, mit Christus den Weg zum Vater zu gehen und in der stärkenden Gemeinschaft der Gläubigen immer bewußter und froher darauf voranzuschreiten. Ich bitte den Heiligen Geist, die Gabe Christi an seine Jünger in der Welt, daß er der ganzen Diözese Eichstätt aus der Feier des Jubiläums zu Ehren ihres großen Bistumspatrons solche Früchte der Glaubensvertiefung und erneuerter christlicher Zuversicht schenke. Denn „die Freude an Gott ist unsere Kraft!“ In dankbarer Anerkennung nehme ich den Ausdruck Eurer treuen Verbundenheit mit dem Nachfolger des Apostels Petrus entgegen, die Du, verehrter Mitbruder, für die Gläubigen Deines Bistums mir bekundet hast, und erteile Euch allen in der Liebe des Guten Hirten und auf die Fürsprache unserer Mutter Maria von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 26. Juni 1987 IÖANNES PAULUS II. Die Einheit hat eine pastorale Priorität Ansprache an die Teilnehmer des Nationaltreffens der italienischen Diöze-sanbeauftragten für die Ökumene am 26. Juni Liebe Brüder in Christus! 1. Ich freue mich über dieses Treffen mit euch, liebe Diözesanbeauftragte für die Ökumene und Vertreter von Gruppen, Verbänden, Zentren und ökumenischen Bewegungen in Italien. Ich bin erfreut zu erfahren, daß eure Überlegungen bei diesem Jahrestreffen sich auf ein Thema konzentrieren, das im Hinblick auf eine tiefe und wahrhaftige Förderung der Suche nach voller Einheit unter allen Christen besonders wichtig ist: Die ökumenische Formung und Pastoral in der Teilkirche. Ich hatte mehrmals die Gelegenheit zu betonen, daß die Suche nach der Einheit eine pastorale Priorität bildet. In der konkreten Situation der Christen in der Welt von heute ist die Wiederherstellung der Einheit eine dringende Notwendigkeit, die Gott sei Dank, immer stärker gespürt wird. Einerseits ist es der Wille unseres Herrn, Jesu Christi selbst, der unseren Gehorsam anspomt gegenüber seinem Plan kirchlicher Einheit, andererseits sind es die schweren 1544 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Probleme unserer Zeit, die von der christlichen Gemeinschaft einen wirksamen und gemeinsamen Beitrag fordern. Deshalb ruft das Wissen um euren sehnlichen Wunsch, gemeinsam nach geeigneten Mitteln und Wegen zu suchen, um ein für die Wiederherstellung der vollen Einheit wirksames Handeln zu fordern, in mir Freude hervor und bewegt mich zugleich zu dem Wunsch, daß von diesem Treffen nützliche Orientierungen und hilfreiche Anregungen für alle ausgehen mögen. Ökumene im Spannungsfeld zwischen Lehre und Praxis 2. „Alle Christen sollen von ökumenischem Geist beseelt sein, vor allem die, denen in der Welt und in der Gesellschaft eine besondere Sendung und eine besondere Aufgabe anvertraut ist“ (Proömium, 2. Teil, Ökumenisches Direktorium). Indem sich das ökumenische Direktorium auf diese Überzeugung stützt, hat es gültige Normen vorgelegt, deren Anwendung auf die verschiedenen örtlichen Situationen sowohl für die ökumenische Formung als auch für die Pastoral selbst Anregung und Richtschnur sein kann. Denn die Formung ist eine unerläßliche Voraussetzung für einen echten ökumenischen Einsatz. Sie enthält wenigstens zwei Dimensionen, die innerlich miteinander verbunden und in gleicher Weise notwendig sind: die geistliche und die lehrmäßige. Das Zweite Vatikanische Konzil hat uns klar gesagt, daß „es keinen echten Ökumenismus gibt, ohne innere Bekehrung“, und daß „das Neuwerden des Geistes“ (vgl. Unitatis redintegratio, Nr. 7) sowie das „Wachstum der Treue gegenüber der eigenen Berufung“ (vgl. ebd., Nr. 6) nötig sind. Andererseits hat das Konzil, wenn es im Dialog spricht, festgestellt, daß „die gesamte Lehre klar vorgelegt werden muß“ (vgl. ebd., Nr. 11). Eine echte ökumenische Formung auf die Wiederherstellung der Einheit im Glauben hin muß diesen Anspruch auf Wahrheit unterstreichen, ohne dabei die Liebe und Demut zu vernachlässigen — und dies im wahren Geist des Gehorsams für das Wort Gottes. Die ökumenische Formung ist ein vielschichtiger Vorgang und muß Teil des einen Weges christlicher Formung sein. Sie darf nichts Äußerliches oder Nebensächliches sein. Gerade deshalb habe ich die Aufmerksamkeit auf die notwendige ökumenische Dimension der Katechese gelenkt (vgl. Catechesi tra-dendae, Nr. 32). Das Zweite Vatikanische Konzil hat seinerseits der ökumenischen Formung der Priester besonderes Augenmerk geschenkt: „Von der Ausbildung der Priester hängt ja die notwendige Unterweisung und geistliche Bildung der Gläubigen ab“ (vgl. Unitatis redintegratio, Nr. 10). 1545 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Um zu einer solchen ökumenischen Formung der Priester zu kommen, sind folglich die Seminare und theologischen Fakultäten eingebunden. Doch es setzt auch die Gründung von Einrichtungen voraus, die sich auf ökumenische Studien und dabei nicht nur auf die notwendige wissenschaftliche Forschung, sondern auch auf eine ebenso nötige Umsetzung in die Seelsorge spezialisieren. Die angemessene lehrmäßige Komponente in der Ausbildung garantiert einerseits das ökumenische Engagement, weit entfernt von jedem Versuch der Vereinfachung. Andererseits kräftigt sie es für eine fruchtbare Tätigkeit. 3. Die ökumenische Pastoral benützt ja auch auf praktischer Ebene christlicher Lebensausrichtung die theologischen Prinzipien der Ökumene sowie die Errungenschaften des laufenden theologischen Dialogs. Man muß diese zwei Komponenten immer vor Augen haben mit Sorgfalt und Einsicht, mit Treue und Offenheit. Eure Überlegungen über die ökumenische Pastoral in der Teilkirche ist mehr als angebracht. Die Situationen sind tatsächlich verschieden, die Probleme stellen sich unterschiedlich. Wenn die Lösungen auch die allgemeinen Normen voll respektieren müssen, so sollen sie doch den einzelnen Situationen entsprechen. Ein vorzügliches Instrument dafür, die ganze christliche Gemeinschaft ins ökumenische Handeln einzubeziehen, ist das Gebet für die Einheit. Es gibt vor allem die richtige geistliche Ausrichtung: Die Einheit ist ein Geschenk Gottes. Das Gebet reinigt das Herz des Menschen und erleuchtet seinen Geist, es stärkt seinen Willen. Zudem gibt das gemeinsame Gebet von Christen verschiedener Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften einen Vörgenuß der Freude über die volle Gemeinschaft. Auch für die ökumenische Formung spielt das Gebet eine ganze eigene Rolle. Es hat eine lebenswichtige Funktion. Also muß es mit aller Sorgfalt gefordert werden. Deshalb werden dort, wo es möglich ist, die Beziehungen mit den anderen Christen vorangetrieben und vertieft. Denn die Suche nach der Einheit fordert eine Reifung des ganzen Gottesvolkes, angefangen bei der Umformung des konkreten Lebensbereiches, in dem man lebt. 4. Dank des nützlichen Austausches, der stets bereichert, wenn er im Einklang mit den an der Spitze der Förderung der Ökumene in Italien stehenden Bischöfe ist, spornt euer Treffen gewiß euren erneuerten Eifer in den verschiedenen Teilkirchen an, aus denen ihr kommt. Dafür bete ich zu Gott und erteile jedem von euch und allen, die sich mit euch für die Wiederherstellung der Einheit aller Christen einsetzen, von Herzen meinen Segen. 1546 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Menschenrechte stehen vor wirtschaftlichen Interessen Ansprache an lateinamerikanische Diplomaten, die in Florenz einen Spezialkurs für internationale Beziehungen besuchen, am 26. Juni Meine Damen und Herren! Mein Willkommensgruß gilt heute Ihnen, den Vertretern des Diplomatischen Corps verschiedener lateinamerikanischer Länder, die Sie in Florenz an einem vom italienischen Außenministerium organisierten Spezialkurs teilgenommen haben. Bei verschiedenen Gelegenheiten hat der Heilige Stuhl seine große Achtung für das Wirken der diplomatischen Vertreter ausgedrückt, vor allem wenn dieses Wirken der Förderung des Friedens und der Annäherung und Zusammenarbeit der Völker gilt und gleichzeitig zu einem erfolgreichen und würdigen Austausch um des Fortschritts der internationalen Gemeinschaft willen beiträgt. Die Kirche hat eine spezifische Rolle beim Ausbau sozialer Strukturen In ihrem Mühen um den moralischen, kulturellen und materiellen Fortschritt der Menschen unterläßt es die Kirche nie, die Botschaft von Wahrheit und Freiheit, von Gerechtigkeit und Frieden zu verkünden, die ihr göttlicher Gründer ihr anvertraut hat. Bei ihrem Dienst an der Menschheit möchte sie keineswegs das Wirken der Regierenden ersetzen, die sich um die Sicherung des Wöhles aller Staatsbürger mühen; sie ist vielmehr bestrebt, mit den Behörden zusammenzuarbeiten, damit jeder einzelne sich voll und ganz seiner Menschenwürde erfreuen könne, die über alle anderen ethischen Werte hinaus hochgehalten werden muß. Auf diese Weise legt die Kirche Zeugnis für den wahren Sinn der menschlichen Existenz ab und möchte dadurch für Gerechtigkeit, Versöhnung und Frieden wirken. Positive ethische Grundhaltung und konkrete Hilfe miteinander verzahnen Die internationale Gemeinschaft muß sich mehr und mehr der Vorrangstellung der menschlichen Werte — des Wohles jedes einzelnen und der Gemeinschaft — bewußt werden, stehen doch diese Werte höher als die wirtschaftlichen und politischen Interessen, welche die skandalöse Kluft zwischen reichen und armen Ländern jeden Tag breiter machen. Nur eine wirkliche, einzig und allein von der Solidarität her motivierte Hilfe kann den Hunger aus der Welt schaffen und eine Entwicklung der Völker ermöglichen, die von ih- 1547 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ren eigenen Möglichkeiten ausgeht. Dabei darf sie jedoch nicht auf eine Vormachtstellung ausgerichtet sein; noch weniger darf sie sich der Macht- oder Gewaltanwendung bedienen. Am Ende dieser Begegnung bitte ich Gott, er möge Sie erleuchten und Ihnen helfen, Ihren Aufgaben im Geist der Dienstbereitschaft und mit tiefverwurzelten moralischen Überzeugungen nachzukommen. Ich empfehle Sie und Ihre Familien dem Allmächtigen und erteile Ihnen von Herzen meinen Apostolischen Segen. Die Gnade der Taufe neu aufleben lassen Ansprache an die Litauer am 27, Juni Liebe Brüder und Schwestern! 1. Es ist mir eine große Freude, euch, die litauischen Brüder und Schwestern, zu begrüßen, seid ihr doch mit euren Hirten und unter der Führung von Bischof Paulis Baltakis aus verschiedenen Teilen der Welt gekommen, um die sechshundert Jahre der „Taufe“ eurer geliebten Nation zu feiern. Eure Anwesenheit hier in Rom ist ein beredtes Zeichen für die Kirche und die Welt: ein Zeichen der Treue zu eurer geliebten Heimat — einem nur allzu oft von Prüfungen und Leiden heimgesuchten Land; sie ist ein Zeichen für eure tiefe Bindung an den Glauben, den eure Ahnen vor sechs Jahrhunderten empfangen haben, und auch ein Zeichen eurer Liebe, zur katholischen Kirche und zum Nachfolger Petri, der sichtbaren Quelle der Einheit für das ganze Volk Gottes. Bei dieser Gelegenheit dankt die durch Bischof Antanas Vaicius und eine Gruppe von acht Priestern vertretene Kirche in Litauen Gott für das Geschenk der „Taufe“. Diese ist ein Geschenk, das alle Glaubenden zur Freude aufruft, nicht nur für sich selbst, sondern auch für die anderen, wie der hl. Paulus sagt: „Ich freue mich mit euch allen. Ebenso sollt auch ihr euch freuen, freut euch mit mir! “ (Phil 2,17-18). Die Einheit des Leibes Christi ist es, die uns dazu befähigt, uns des wunderbaren Geschenkes des Heils zu erfreuen, das in Jesus Christus üns und allen ängeboten wurde, die uns mit dem Zeichen des Glaubens vorangegangen sind. Die Kraft zu leben aus den Wurzeln des tradierten Glaubens Ihr fühlt euch ganz besonders der Kirche nahe, die in Litauen ist, da ihr mit ihr wie der lebendige Ast eines Baumes verbunden seid, der im reichen Boden 1548 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Litauens verwurzelt ist. Gemeinsam mit euren Brüdern und Schwestern in jedem Land und unter der Führung eurer Hirten habt ihr euch geistlich auf diese Jubiläumsfeier vorbereitet. Und nun begeht ihr in Gemeinschaft mit ihnen — in einer Gemeinschaft des Geistes, des Herzens und des eifrigen Gebetes — dieses feierliche Gedächtnis. Ihr habt euren katholischen Glauben bewahrt, jenen unbezahlbaren Schatz, den ihr aus eurem Herkunftsland mitgenommen habt. Eure Pfarreien, Schulen, Vereinigungen, kulturellen Zentren, katholischen Zeitungen und Zeitschriften sind ein konkreter Ausdruck der Lebenskraft eures Glaubens und eures Festhaltens an euren kulturellen und religiösen Überlieferungen. Darüber hinaus habt ihr durch die Erhaltung dieser Tradition die Kulturen jener Länder bereichert, die euch aufgenommen haben und eure neue Heimat geworden sind. 2. Mit dieser Feier wolltet ihr neuerlich euren christlichen Glauben als grundliegenden spirituellen Wert eures Volkes und als eine Kraft in Erscheinung treten lassen, die in der Geschichte der Nation eine entscheidende Rolle spielte, einen nachhaltigen Einfluß auf ihr kulturelles und moralisches Leben ausübte und Quelle der Stärkung und Unterstützung in den dunklen Augenblicken der Geschichte war. Für jeden von euch stellt der 600. Jahrestag der „Taufe“ Litauens einen nachdrücklichen Aufruf zur eigenen geistlichen Erneuerung dar. Es ist eure Aufgabe, die Gnade eurer „Taufe“ jetzt neu aufleben zu lassen, wird doch die Jubiläumsfeier in dem Maß Früchte tragen, in dem jeder einzelne zu einem überzeugteren Glaubensleben in unserem Herrn und Heiland Jesus Christus bekehrt wird. Ihr seid dazu berufen, Männer und Frauen zu sein, die aus dem Geist leben. Ja, eure Berufung ist es, eine vom Geist beseelte Nation zu sein, und „die Frucht des Geistes ... ist Liebe, Freude, Friede, Langmut ... Treue “ {Gal 5,22). Es ist dies der richtige Augenblick für eure Erneuerung, für die Neubelebung der wunderbaren christlichen Traditionen eures Volkes; es ist der Augenblick, in dem ihr die künstlerische, kulturelle und religiöse Empfindsamkeit, die ihr ererbt habt, gebührend zum Ausdruck bringen sollt. Erhaltet die traditionellen Sitten des familiären und gesellschaftlichen Lebens aufrecht, fügt sie in euer Leben ein und gebt sie euren Kindern weiter. 3. Dieses Jubiläumsjahr ist gleichfalls der Augenblick für eine immer intensivere geistliche Solidarität mit der Kirche in eurem Herkunftsland. Bringt euren Brüdern und Schwestern, die dort leben, weiterhin eure Unterstützung 1549 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und Ermutigung zum Ausdruck, vor allem jenen, die wegen ihrer religiösen Überzeugungen leiden. Auf diese Weise wird die Wahrheit der Worte des hl. Paulus mehr und mehr zu einem Element ihrer geistlichen Erfahrung werden: „Wie uns nämlich die Leiden Christi überreich zuteil geworden sind, so wird uns durch Christus auch überreicher Trost zuteil“ (2 Kor 1,5). Sie blicken mit Vertrauen auf euch, wohl wissend, daß euer Gebet sie unterstützt. Sowohl für euch als auch für sie ist es zweifellos eine besondere Freude, daß morgen Erzbischof Jurgis Matulaitis, ein unerschrockener Zeuge für den Glauben eurer Ahnen, seliggesprochen wird. Als mutiger Diener Gottes folgte er Christus auf dem Weg der evangelischen Räte, lebte mit glühender Liebe seine Weihe im Ordensleben und seine Hingabe im Dienst an seinen Mitmenschen, mit dem brennenden Wunsch, sie zum Heil in Jesus Christus zu führen. Er lebte unter schwierigen Umständen, verwendete jedoch, weitab von jeder Mutlosigkeit, seine zahlreichen Talente, um Früchte der Heiligkeit in sich selbst und in anderen hervorzubringen und allen alles zu werden, um alle zu retten (vgl. 1 Kor 9,22). Erzbischof Matulaitis wurde der geistliche Vater vieler Söhne und Töchter. Ich begrüße die hier anwesenden Marianistenpatres und die Schwestern von der Unbefleckten Empfängnis. Mit euch allen gedenke ich der Mitglieder eurer Kongregationen in der Heimat. Auch sie freuen sich über diesen Augenblick, in dem sie spirituell mit uns vereint sind und wir mit ihnen. Die Erinnerung an Erzbischof Jurgis Matulaitis ist für die gegenwärtige Generation junger Litauer gleichsam ein Licht, das ihre Schritte auf dem Weg der Kenntnis ihres Volkes und der Liebe zu ihm leitet. Vor allem spricht er zu ihnen über Christus, den Herrn der Geschichte und Führer unserer Seelen. Manchen von euch, meine jungen Freunde, kann sein Beispiel eine Hilfe zur Beantwortung jener Fragen sein, die den Sinn und die Orientierung eures Lebens betreffen. Aus ganzem Herzen bete ich dämm, daß durch die Fürbitte von Erzbischof Jurgis viele von euch auf den Ruf antworten, Jesus im Priestertum oder im Ordensleben nachzufolgen. Auf diese Weise werdet ihr zu Zeugen einer dem Evangelium entsprechenden Nächstenliebe im Dienst eurer Mitmenschen; gleichzeitig werden durch euer Leben und eure Arbeit das Evangelium Jesu Christi und die wunderbare Liebe Gottes den künftigen Generationen mitgeteilt. Durch Maria gewinnt der litauische Glaube unerschütterliche Qualität 4. Infolge eines providentiellen Zusammentreffens lallt der 600. Jahrestag der „Taufe“ eurer Nation in das Marianische Jahr. Eine ausgeprägte Verehrung für die Gottesmutter war immer das Herz des christlichen Lebens eurer 1550 BOTSCHAFTEN UND /INSPRACHEN Nation. Der große hl. Kasimir pflegte eine tiefe Marienfrömmigkeit, ebenso wie Jurgis Matulaitis. Das Band der Liebe, das das litauische Volk an Maria, die Mutter des Erlösers bindet, ist nicht nur ein zärtlicher Ausdruck tiefen Glaubens und geistlicher Energie; es ist auch eine Verpflichtung, ein Weiheakt, eine Hingabe der ganzen Nation an die Mutter Gottes, damit sie über den Fortschritt des Landes und seines Volkes im Lauf der Geschichte wachen möge. Aus diesem Grund wollte ich im Gebet für das Marianische Jahr die ganze Nation ausdrücklich unter ihren Schutz stellen: Dir, der Mütter der Christen vertrauen wir auf besondere Weise jene Völker an, die im Lauf dieses Marianischen Jahres den 600. Jahrestag ... der Annahme des Evangeliums feiern ... Wende ihnen deinen liebevollen Blick zu; stärke alle, die für den Glauben leiden. Schließlich versichere ich euch allen, daß ihr in meinem Herzen und in meinen Gebeten einen besonderen Platz einnehmt. Überbringt meine Grüße euren Lieben und sagt ihnen, daß der Papst ihnen nahe ist. In der Liebe Jesu Christi erteile ich euch allen meinen Apostolischen Segen. 5. Ich möchte meine besonderen Grüße auch an die Teilnehmer des Internationalen Kolloquiums für Kirchengeschichte richten, das derzeit hier in Rom unter der Schirmherrschaft des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaft stattfindet und das Thema „Die Christianisierung Litauens“ behandelt. Als Historiker von Rang und Namen setzen Sie ihre wissenschaftlichen Kenntnisse für einen sehr bedeutsamen Augenblick der europäischen Geschichte ein, nämlich für das Auftreten der Litauer als christliches Volk, in geistigem Kontakt und in Harmonie mit den anderen großen Nationen Europas. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre wissenschaftliche Arbeit; möge der Gott des Friedens und der Liebe stets mit Ihnen sein. Miteinander teilen Grußwort an die Vereinigung der katholischen Journalisten Belgiens vom 27. Juni Herr Präsident der Vereinigung der katholischen Journalisten Belgiens, meine Damen und Herren! Im Vorjahr hatte ich am gleichen Tag die Freude, Sie zu empfangen. Dieser pünktliche alljährliche Besuch, der den Zweck verfolgt, mir das Resultat Ihrer Spendenaktion für die Unterstützung des Papstes bei seinem weitreichen- 1551 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN den Dienst auf dem Gebiet der Nächstenliebe zu übergeben, ruft stets meine lebhafte Bewunderung hervor. Die Spenden der Christen können selbstverständlich sehr verschiedene Formen annehmen und es ist nicht erforderlich, daß sie den Weg über den Heiligen Stuhl gehen. Aber müssen nicht auf der anderen Seite der Bischof von Rom und der Apostolische Stuhl angesichts so viel menschlichen und religiösen Elends ein ständiges Beispiel vom Evangelium inspirierter Liebe sein? Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich danke sehr herzlich für Ihren hervorragenden Beitrag zu den karitativen Initiativen, die dem Nachfolger Petri auferlegt sind. Durch Ihre Vermittlung beglückwünsche ich aufrichtigst die sehr zahlreichen Leser der katholischen Zeitungen Belgiens, die ihrem Vermögen und vielleicht sogar unter Verzicht auf Notwendiges das „Papstgeschenk 1987“ entnommen haben; dieses Geschenk wird unverzüglich an die ärmsten Bevölkerungen und die bedürftigsten Diözesen weitergeleitet werden, die nicht in der Lage sind, den dringendsten Erfordernissen der Evangelisie- rang gerecht zu werden. . Während ich Sie nun empfange, denke ich, daß die Botschaft der Offenbarung über das Teilen mit den Armen kein leeres Wort geblieben ist. Zu allen Zeiten sind dank dem Wirken des Heiligen Geistes Apostel der Nächstenliebe aufgestanden und haben zahlreiche Jünger auf den gleichen Weg des Teilens mit den weniger Begüterten geführt. Die Spender blieben oft unbekannt, waren jedoch großzügig, der Lehre Jesu gemäß, die vom hl. Matthäus und vom hl. Lukas überliefert wird und zum reichlichen und unauffälligen Geben ermutigt. Man macht dabei stets die gleiche bewegende Erfahrung wie der Apostel Paulus, der sich nicht genug über die Hochherzigkeit der christlichen Gemeinden Mazedoniens zugunsten ihrer Brüder in Jerusalem wundern konnte, da sie doch selbst äußerst arm waren. Mein letztes Wort soll sozusagen ein frommes Gedenken der Generationen von Verantwortlichen und Lesern der katholischen Zeitungen Belgiens sein, die seit mehr als hundert Jahren den Erfolg des „Papstgeschenkes“ sicherstellen. Eine solche Treue läßt sich nur mit ihrem tiefen Kirchenbewußtsein erklären, mit einer großen Aufgeschlossenheit für die Verpflichtung zur Solidarität mit den Unglücklichen. Indem ich den Herrn, die unerschöpfliche Quelle aller Liebe, anflehe, diese göttliche Gabe unablässig unter allen Mitgliedern Ihrer Vereinigung zu erhalten und zu entfalten, spende ich Ihnen meinen herzlichen Apostolischen Segen, der auch allen großzügigen Spendern des Geschenkes, das Sie mir soeben überreicht haben, sowie ihren Familien gilt. 1552 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gott schützt die Freiheit und Verantwortung Wort zum Katholikentreffen in Dresden vom 29. Juni Meinem verehrten Bruder Kardinal Joachim Meisner Vorsitzender der Berliner Bischofskonferenz Von Herzen grüße ich in besonderer geistiger Anteilnahme meine Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt, die Ordensleute und alle Gläubigen, die sich unter dem Leitwort „Gottes Macht — unsere Hoffnung in Dresden zu einem Katholikentreffen versammelt haben. Mit der Kirche bekennen wir unseren Glauben an Gott, den Vater, den Allmächtigen. Er ist es, der alles erschafft, trägt und lenkt. Ihm vertrauen wir, weil er diese Welt und ihre Menschen — trotz manchem gegenteiligen Anschein — in seiner Hand hält. Seine Macht begegnet uns nicht nur in der Größe der Schöpfung, sondern vor allem in seiner Güte, in seinem Erbarmen und seiner Liebe. Seine Macht ist nicht Willkür; sie will den Menschen nicht unterdrücken, sondern begründet und schützt unsere Freiheit und Verantwortung. Wer Gott zu seinem Herrn erwählt hat, ist nicht mehr Sklave von Menschen, Systemen oder Dingen, sondern ist Sohn und Tochter des himmlischen Vaters (vgl. 2 Kor 6,18). Liebe Brüder und Schwestern! Diese Botschaft des christlichen Glaubens ist das Fundament Eurer Hoffnung. Ich kenne die Wirklichkeit Eures täglichen Lebens. Inmitten einer Welt, die Gott totschweigen will oder ihn vergessen hat, steht Ihr treu zu Eurem Glauben. Ihr wißt Euch in Euren Schwierigkeiten nicht allein. Gott hat seinen Bund mit Euch geschlossen. Er ist in Jesus Christus unser Immanuel, „Gott-mit-uns“, geworden. In ihm ist die Macht und Herrschaft Gottes stets unter uns gegenwärtig. Sie stärkt und ermutigt uns zu einem freimütigen Bekenntnis zu Christus und seiner Frohen Botschaft. Aus dem Vertrauen auf Gottes Macht und Beistand rufe ich Euch auf zu einer lebendigen christlichen Hoffnung. Haltet Euer Leben nicht krampfhaft fest (vgl. Oßb 12,11)! Setzt Eure Hoffnung nicht zuerst auf die vergänglichen Mächte und Schätze dieser Erde. Vertauscht den liebenden Vater im Himmel nicht mit irdischen Götzen, nicht mit dem Götzen irdischer Macht oder materiellen Besitzes um jeden Preis. Werdet nicht zu Sklaven trügerischer Gewalten. „Ich werde euer Vater sein, und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein, spricht der Herr, der Herrscher über die ganze Schöpfung“ (2 Kor 6,18). 1553 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ich wende mich an Euch, christliche Familien. Laßt den Glauben nicht erlöschen! Ihr Eltern, lebt Euren Kindern vor, was es heißt, Gott zu lieben mit ganzem Herzen, ganzer Seele, mit ganzer Kraft (vgl. Mk 12,30). Gebt in der Erziehung Eurer Kinder der Entwicklung des Charakters den Vorrang vor dem Zwang zur Leistung. Stellt die christliche Bildung des ganzen Menschen, vor allem des Herzens, anderen Zielen der Bildung voran. Euch Jugendliche und Euch Kinder ermutige ich: Gott vergißt keinen, der sich zu ihm bekennt. Laßt Euch nicht einschüchtern, laßt Euch nicht verbittern. Wer um seines Glaubens willen behindert wird , sehe diese Benachteiligung nicht nur als Verlust an. Stellung und Einkommen sind nicht identisch mit einem sinnvollen, erfüllten Leben. Christus preist sogar selig, die um seinetwillen „beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet“ werden (Mt 5,11). Bei dieser Feier katholischer Glaubensgemeinschaft grüße ich auch alle Kranken und Leidenden in Eurer Kirche. Macht, liebe Brüder und Schwestern, Euren Schmerz zum Grund der Hoffnung für die ganze Kirche. Legt Eure Leiden in die erlösenden Hände Jesu Christi. Ich wende mich schließlich an Euch, die Ihr Verantwortung tragt in der Kirche als Ordensleute, Seelsorgehelferinnen und Katecheten, als Schwestern und Ärzte im Dienst an den Alten und Kranken, als Diakone, Priester und Bischöfe. Gottes Macht zeigt sich vor allem in seiner Barmherzigkeit. Seine Güte wendet sich, so zeigt die Heilige Schrift, mit Vorliebe den Kleinen, Armen und Unterdrückten zu. Laßt in dieser Nachfolge Jesu die Kirche zu einem Zeichen werden in Eurem Land, daß Gott existiert und die Liebe selber ist. Die Sorge der Euch Anvertrauten sei immer auch Eure Sorge, ihre Hoffnung sei Eure Hoffnung. Eure Türen und Eure Herzen seien offen für jeden. Helft Euren Mitchristen, daß sie ihren christlichen Auftrag erkennen und ihn im konkreten Alltag, vor allem auch in ihrer Arbeitswelt, mutig erfüllen. Liebe Brüder und Schwestern der Kirche in der DDR! Gott, der Allmächtige, ist in der Tat der Grund und die Quelle für Eure Hoffnung und Zuversicht. Er ist die Kraft und Stärke für Euer Bekenntnis und Eure Treue zu Christus und seiner Kirche. Die Saat christlichen Geistes und Lebens, die Werte christlicher Kultur dürfen in Euren Städten und Gemeinden nicht verkümmern; sie müssen durch Euch zu neuem Leben erblühen. Wie die Welt Christus braucht, so braucht Euer Land die Christen. 1554 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Von Gott, dem Allmächtigen, erbitte ich Euch die stärkende Nähe und den steten Beistand seines göttlichen Geistes und erteile als dessen Unterpfand Euch allen von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Aus dem Vatikan, am Fest Peter und Paul, den 29. Juni 1987. Ioannes Paulus PP. II Die Einheit neu verwirklichen Ansprache an die Delegation des Ökumenischen Patriarchats am 29. Juni Eminenz, geliebte Brüder in Christus! Seid herzlich willkommen in unserer Mitte! Der alljährliche Besuch einer Delegation des Ökumenischen Patriarchats, die von Seiner Heiligkeit Dimitrios I. anläßlich des Festes der hl. Apostel Petrus und Paulus nach Rom entsandt wird, bereitet mir und der ganzen Kirche Roms ständig neue Freude. Dieser Besuch weckt Erinnerungen und läßt Hoffnungen aufleben, und das alles kommt aus der wachsenden Erfahrung der Brüderlichkeit zwischen unseren Kirchen, die zurückgehen auf ihre himmlischen Schutzherren, die heiligen Brüder und Apostel Petrus und Andreas. Aus ganzem Herzen danke ich euch für diese neuerliche Begegnung; ganz besonders danke ich dem Patriarchen Dimitrios I. und dem Heiligen Synod, die euch als brüderliche Delegation der Liebe, der Gemeinsamkeit und des Gebetes entsandt haben. Heute abend, während wir gemeinsam das Gedächtnis des Todes und der Auferstehung Jesu Christi, unseres einen und gemeinsamen Herrn feiern, wird sich im Gebet unsere wahre Begegnung vollziehen. Je intensiver sich die Kontakte unter unseren Kirchen gestalten, desto nachdrücklicher empfinden wir die Notwendigkeit, gemeinsam am Gebet teilzunehmen, sei es, um den Vater zu verherrlichen, der uns durch das Blut Jesu Christi gerettet hat, sei es, um gemeinsam die Gabe der Einheit in der vollen Treue zu seinem Evangelium zu erflehen und hoffnungsvoll den segensreichen Tag zu erwarten, an dem wir gemeinsam am gleichen Kelch kommunizieren können. Die Begegnung im Gebet ruft uns das Leben der ersten christlichen Gemeinde in Erinnerung, wie es in der Apostelgeschichte beschrieben wird; „Sie hielten an der Lehre 1555 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2,42). Dieses vollkommene Bild der Gemeinschaft ist das Ziel, auf das sich unser Blick richtet. Die brüderlichen Beziehungen zwischen unseren Kirchen und der theologische Dialog, der im Gang ist, verfolgen gerade den Zweck, zu einer neuen Verwirklichung dieser vollen Einheit im Glauben, in der Feier der Liturgie und im Leben — von der die christliche Urgemeinde Zeugnis ablegt — in unserer Zeit und unter den heutigen Umständen beizutragen. Wir alle haben mit großer Freude die Fortschritte zur Kenntnis genommen, welche die gemischte Kommission für den theologischen Dialog zwischen der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen macht. Bei allen Unterschieden den Auftrüg zur Verkündigung des Christus glaub ens im Blick behalten Die brüderliche, loyale und präzise Diskussion ist zur Klärung der Mißverständnisse, zur Überwindung der Divergenzen und schließlich zur Verkündigung des gemeinsamen Glaubens unerläßlich. Dieser bedeutende Vorgang, der von einem tiefen Wissen um die persönliche und die gemeinsame Verantwortung beseelt ist, verdient die Aufmerksamkeit aller. Er bedarf einer wohlwollenden Unterstützung und ständigen Gebetes, damit der Heilige Geist dieses ehrliche Suchen nach voller Gemeinschaft erleuchte, stärke und leite. Die unvermeidlichen Schwierigkeiten, die objektiv sein oder dem kulturellen, sozialen oder psychologischen Kontext entspringen können, dürfen uns nicht von einem Werk femhalten, das Ausdruck des Gehorsams dem Willen Gottes gegenüber sein möchte. Mit verschiedenen Aufgaben, aber im gleichen Geist müssen sich alle für dieses Werk einsetzen: nicht nur die Hirten und die Theologen, sondern auch das Volk Gottes, das in Liebe und Frieden leben möchte. Wir sehen dem Besuch, den Seine Heiligkeit Dimitrios I. im nächsten Dezember in Rom machen wird, schon jetzt mit Freude entgegen. Diese Begegnung wird allen den gemeinsamen Willen, die volle Einheit wiederherzustellen und gemeinsam dazu die entsprechenden Wege und Mittel zu finden, vor Augen führen. Ich erinnere mich immer bewegt des Besuches, den ich dem Patriarchen Dimitrios I., dem Heiligen Synod und dem Ökumenischen Patriarchat am Fest des hl. Andreas im Jahr 1979 abstattete und des würdigen und brüderlichen Empfanges, der mir bei dieser Gelegenheit zuteil wurde. Ich bin überzeugt, daß die Kirche von Rom den Ökumenischen Patriarchen mit großer 1556 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Achtung und Liebe auftiehmen wird. Sein Besuch wird für uns alle eine große Freude sein. Geliebte Brüder, ich habe euch die Gedanken mitgeteilt, die eure Anwesenheit zum Fest der hl. Apostel Petrus und Paulus, der Patrone der Kirche von Rom, in mir wachruft. Heute empfange ich euch persönlich und mit der ganzen Kirche Roms als Brüder im Glauben, mit denen wir gemeinsam allen Menschen verkünden wollen, daß das Reich Gottes bereits mitten unter uns ist (vgl. Lk 17,21), als Ferment des Friedens und der Versöhnung aller. Die Apostel Petrus und Paulus und Andreas, der Bruder des Petrus, werden uns mit ihrer Fürsprache beistehen. Zur Glaubensentscheidung heranbilden Ansprache an Studenten aus der Diözese Linz am 6. Juli Sehr verehrter Herr Bischof, liebe Mitbürger und liebe junge Freunde aus der Diözese Linz! Zum 90jährigen Jubiläum eures Knabenseminars „Kollegium Petrinum“ seid ihr zu einer Wallfahrt nach Rom und Assisi aufgebrochen. Ihr besucht hier in der Ewigen Stadt das Grab eures Schutzpatrons, des hl. Petrus, und zugleich auch seinen derzeitigen Nachfolger. Ihr wollt an den heiligen Stätten beten und daraus neuen Glauben, Hoffnung und Mut schöpfen, damit ihr die wichtigen Aufgaben und Ziele eures Hauses noch besser verwirklichen könnt. Ich freue mich über euren Besuch und heiße euch alle sehr herzlich willkommen. Die Geschichte des Linzer Knabenseminars ist ein Spiegel der jeweiligen allgemeinen Zeitverhältnisse. In der Barockzeit sehen wir durch die Jesuiten erste bescheidene Anlänge, denen aber das josephinische Staatskirchentum ein jähes Ende bereitete. Nach dem Revolutionsjahr 1848 folgte ein zaghafter Neubeginn. Aber erst nach der Zeit des kulturkämpferischen Liberalismus wurde mit dem Erwachen des katholischen Volksbewußtseins Ende des 19. Jahrhunderts die Idee eines tridentinischen Knabenseminars durch Bischof Doppelbauer kraftvoll verwirklicht. Gegen die starken Bestrebungen, sich von Rom lösen zu wollen, bekundete er mit dem Namen „Petrinum“ die enge Verbundenheit mit dem Stuhle Petri und dem Papst. Die verheißungsvolle Entwicklung dieses rasch aufblühenden Seminars wurde schließlich durch 1557 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN die beiden Weltkriege erneut unterbrochen. Möge ihm nun eine lange Zeit des Friedens und eines erfolgreichen Wirkens im Dienst der Kirche beschieden sein. Zum 200jährigen Jubiläum der Diözese Linz im Januar 1985 hat euer Bischof neue Leitlinien für euer Knabenseminar erlassen. Darin heißt es: „Die Aufgabe des Kollegium Petrinum ist im Sinne der Stifter, Priesterberufe zu wecken und zu fördern. Die Studenten sollen zu einer dem Alter entsprechenden Glaubensentscheidung herangebildet werden. Dadurch sollen die einen den Weg zum Priestertum finden — dieses Erziehungsziel darf durch nichts behindert werden —, die anderen aber die Befähigung erhalten, sich in der Welt als aktive Christen zu bewähren.“ Der wesentliche Schwerpunkt liegt also auf der Erziehung junger Menschen zu überzeugten Christen. Die intellektuelle Ausbildung muß deshalb von einer christlichen Formung des ganzen Menschen getragen und durchdrungen sein, die in der inneren Umkehr, in der Gnade und in der Nachfolge Christi ihre tiefsten Wurzeln hat. Schule und Internat haben diesem hohen Ziel gemeinsam zu dienen. Betet, liebe junge Freunde, selber um die Gnade des Priesterberufes; betet darum, daß ihr die richtige Lebensentscheidung trefft, die Gott von euch erwartet. Zugleich danke ich euren Eltern, die euren Weg gläubig und auch oft unter Opfern begleiten. Ebenso ermutige ich die Lehrer und Erzieher des Pe-trinums, sich ihrer großen Verantwortung für den Lebensweg der Jugendlichen bewußt zu sein und ihr in der Erfüllung ihrer täglichen Berufsaufgaben mutig und gewissenhaft zu entsprechen. Das Kollegium Petrinum liegt zu Füßen der Gottesmutter vom Pöstlingberg. Sie möge euch beschützen. Die Petrusstatue in der Eingangshalle eures Hauses, die eine Kopie der Petrusstatue im Petersdom ist, erinnere euch stets an die Verbundenheit eurer Ortskirche mit diesem Zentrum der katholischen Christenheit, mit dem Nachfolger des Apostels Petrus. Von Herzen wünsche ich euch frohe und erlebnisreiche Tage in der Ewigen Stadt. Gern begleite ich euren weiteren Lebensweg mit meinem Gebet und erteile euch und der ganzen Hausgemeinschaft des Kollegium Petrinum in der Liebe Christi meinen besonderen Apostolischen Segen. 1558 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Toleranz und Achtung Menschen anderer Mentalität entgegenbringen Ansprache an Jugendliche aus der Diözese Münster am 6. Juli Liebe Jungen und Mädchen, Brüder und Schwestern aus dem Oldenburger Land! Seid auch ihr herzlich willkommen hier im Vatikan, wo der Apostel Petrus sein Leben für den Glauben an Christus hingegeben hat und wo wir sein Grab noch heute verehren. Willkommen heißt euch der gegenwärtige Nachfolger des Petrus, der im Auftrag Christi die weltweite Kirche in Gemeinschaft mit den Bischöfen der einzelnen Diözesen leitet. Ihr kommt aus dem Norden der Diözese Münster, aus Vechta und seiner Umgebung. Eure Großeltern sind vor fünfzig Jahren berühmt geworden, als sie sich dagegen auflehnten, daß gottlose Staatsführer die Kreuze aus euren Schulen entfernen wollten. Gemeinsam mit ihren Priestern und ihrem Bischof haben sie damals ihren Glaubensstandpunkt zu dieser wichtigen Grundsatzfrage deutlich ausgesprochen, so daß man ihnen die Kreuze lassen mußte. Wo immer ihr heute das Kreuz Christi seht oder auch das Bild der Muttergottes Maria oder anderer Heiliger, denkt daran, daß dies Zeichen eures persönlichen Christenglaubens sein wollen, zu dem ihr euch dankbar und freudig bekennt. Aus dem fernen Norden seid ihr nun für zwei Wochen zu einem Ferienlager nach Terracina, südlich von Rom, gekommen. Ich freue mich mit euch, wenn ihr in dieser Zeit vielfältiges Programm mit guten neuen Eindrücken erleben könnt. In einem fremden Land Gemeinsamkeiten und Unterschiede entdecken Ihr werdet hoffentlich auch junge italienische Menschen treffen und etwas von ihren Gewohnheiten und Anschauungen erfahren. Ihr werdet feststellen, daß die Jungen und Mädchen dieses Landes in vielem die gleichen Freuden und Sorgen wie ihr haben. Aber ihr werdet auch bemerken, daß manches im Leben der hiesigen jungen Leute anders ist als bei euch. Schaut genau hin, erkundigt euch, tauscht Erfahrungen aus, lernt verstehen! So werdet ihr selbst reicher und erfahrener in eurem Urteil über die unterschiedlichen Menschenwege auf dieser Erde. Vor allem aber bildet sich dann in euch die Tugend der Toleranz gegenüber den tiefen Überzeugungen anderer Menschen, gerade auch dort, wo ihr euch von ihnen unterscheidet. Solche Toleranz und Achtung voreinander brauchen wir heute noch viel mehr, damit wir dem friedlichen 1559 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Zusammenleben der Völker und Menschen in der Welt Schritt für Schritt näherkommen. Wir Erwachsenen setzen dabei große Hoffnungen gerade auf euch junge Menschen, die ihr heute so viele herrliche Möglichkeiten habt, die eigenen Landesgrenzen und Kulturbereiche zu überschreiten und euer jeweiliges Menschenbild zu erweitern. Nutzt diese Chancen und helft mit, den Menschen in aller Welt und somit auch euch selbst den Frieden und die Gerechtigkeit zu schenken. So wünsche ich euch allen, liebe Jungen und Mädchen, mit euren erwachsenen Helfern und Leitern einen gesunden Ferienaufenthalt und eine glückliche Heimkehr zu euren Familien zu Hause. Das erbitte ich euch in meinen Gebeten; dafür segne ich euch alle von ganzem Herzen. Bleibt Christus immer treu! Ansprache an die Bevölkerung von Lorenzago am 12. Juli Meine Lieben! 1. Zuallererst danke ich eurem Pfarrer für die liebenswürdigen Worte, die er, auch in euer aller Namen, bei dieser Zusammenkunft an mich gerichtet hat: Er hat den vielfältigen Gefühlen, die euch in diesen Monaten bewegen, Ausdruck verliehen und ebenso Zeugnis abgelegt für den Glauben, der alle Vorgänge und Ausdrucksformen eures Lebens beseelt und lenkt. Meine Hochachtung gebührt dem Herrn Bürgermeister, allen zivilen, politischen und militärischen Obrigkeiten und euch allen, Einwohner von Lorenzago, dieses reizvollen, regen und heiteren Städtchens. Ich grüße die Familien, die Väter und Mütter, und die gesamte Jugend, die eure und unsere Hoffnung ist. Einen besonderen Gruß möchte ich an die alten Menschen richten, die in ihrem Leben ein tatkräftiges Beispiel des Fleißes und der Redlichkeit gegeben haben; darüber hinaus grüße ich alle Kranken, die durch ihr Leiden mit dem gekreuzigten Christus vereint sind und mit ihrer physischen Schwäche die Kirche Gottes stärken. Euch allen mein liebevolles Gedenken! 2. Meine Anwesenheit hier und heute mitten unter euch fällt mit einer religiösen Feier zusammen, die für euer christliches Leben besonders wichtig ist: Heute, am 12. Juli, wird das Fest eurer Stadtpatronen gefeiert, des heiligen Bischofs Hermagoras und seines Diakons Fortunatas, die beide wegen ihres Glaubens an Christus den Märtyrertod erlitten. 1560 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wie bekannt, war der hl. Hermagoras der erste Bischof von Aquileia.. Einer frommen Überlieferung zufolge begegnete der hl. Markus, der vom hl. Petrus gesandt worden war, um in Oberitalien das Evangelium zu verkünden, in Aquileia dem Hermagoras; nachdem der ihn vom Heidentum zur Botschaft Jesu bekehrt hatte, weihte er ihn zum Bischof. Eine andere Überlieferung berichtet, daß der hl. Markus ihn nach Rom brachte, wo Petrus ihn persönlich zum Bischof weihte. Nach Aquileia zurückgekehrt, erwies er sich als unermüdlicher Hirte und bekehrte viele Heiden zum Christentum. Er beschloß seine Mission, zusammen mit seinem Diakon Fortunatus, mit dem Märtyrertod während der Verfolgung unter Kaiser Nero. Die Gestalten eurer beiden Patrone sind zweifellos sinnbildlich für euer religiöses Leben: Durch ihre Person, ihr Glaubenszeugnis und ihr Martyrium seid ihr mit dem Beginn der Geschichte des Christentums selbst verbunden, und insbesondere in der Person des Bischofs Hermagoras seid ihr mit Petrus und durch Petrus mit Christus vereint. Der hl. Hermagoras ist eines der wichtigsten Bindeglieder, die euch im festen Bund mit Jesus Christus, dem Retter, Erlöser, Sohn Gottes und Haupt der Kirche, verknüpfen. Kraft dieses besonderen Bandes könnt ihr im Glaubensbekenntnis sprechen: „Ich glaube an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche! 3. Seid deshalb mit Recht stolz darauf, geistliche Söhne und Töchter dieser Heiligen zu sein, die Christus, seinem Werk und seiner Botschaft voll anhingen, bis zur äußersten Konsequenz: der Hingabe ihres Lebens bis zum Blutvergießen! Bleibt deshalb ihrer, ihres Beispiels und ihrer Ideale immer würdig! Ich weiß, wie lebendig und tief euer christlicher Glaube ist. Ich weiß, mit welcher Sorge ihr eifersüchtig diesen außergewöhnlichen Schatz hütet, der euch von den Vätern anvertraut und überliefert wurde. Ich weiß, mit wieviel Liebe und Zärtlichkeit ihr ihn auch an eure Kinder weitergegeben habt und weitergebt! Führt dieses klare, frohe und starke Bekenntnis des christlichen Glaubens mit neuem Eifer fort, ohne Rücksicht auf all die Ideologien, die ihn zu verdunkeln suchen! Bleibt Christus, der Kirche, dem Stuhl Petri immer treu! Ich vertraue diese meine Wünsche der Fürbitte der Jungfrau und eurer Schutzpatronin an. Als Unterpfand meiner Liebe erteile ich euch von Herzen den Apostolischen Segen, der euch immer begleite! 1561 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Christliches Verzeihen eine Antwort der Liebe Predigt in Val Visdende am 12. Juli „Selig der Mann ... der Freude hat an der Weisung des Herrn, über seine Weisung nachsinnt bei Tag und bei Nacht“ (Ps 1,2). 1. Mit diesen Worten des Antwortpsalms, den wir eben gesprochen haben, möchte ich euch alle grüßen, Brüder und Schwestern, die ihr in diesem wunderbaren Val Visdende (schon der Name sagt: sehenswertes Tal) zusammengekommen seid, um die Eucharistie am Votivfest des hl. Johannes Gualber-tus, des Patrons der Waldarbeiter, zu feiern. Selig der Mann, der Freude hat an der Weisung des Herrn, an den Werken des Herrn und den eindrucksvollen Zeichen seiner Gegenwart in den Herrlichkeiten der Schöpfung. In der Natur leuchtet die Herrlichkeit Gottes auf Vor diesem Panorama von Wiesen, Wäldern und Bächen, dazu zum Himmel ragenden Gipfeln, empfinden wir alle wieder den Wunsch, Gott für die Wunder seiner Werke zu danken, und wir wollen schweigend die Stimme der Natur hören, damit unsere Bewunderung zum Gebet wird. Diese Berge wecken nämlich im Herzen den Sinn für das Unendliche und den Wunsch, unseren Geist zu dem zu erheben, was erhaben ist. All diese Herrlichkeiten hat der Urheber aller Schönheit geschaffen. Wenn uns also ihre Präsenz und Wirksamkeit beeindruckt, denken wir daran, wieviel mächtiger der sein muß, der sie geschaffen hat. Tatsächlich lernen wir aus der Größe und Schönheit der Geschöpfe analog ihren Urheber kennen (vgl. Weish 13,3-5). 2. Ich möchte den Herrn Kardinal Marco Ce, der hier anwesend ist, begrüßen, mit ihm den Bischof der Diözese Belluno-Feltre, Maffeo Ducoli, den Erzbischof von Udine, Alfredo Battisti und den Bischof von Treviso, Antonio Mistrorigo, die zu dieser Feier hierher gekommen sind. Mein Gruß gilt ferner den Autoritäten des Staates und der Region, besonders dem Herrn Minister für Landwirtschaft und Forsten, Filippo Maria Pandolfi, sowie dem Präsidenten der Region Venetien, Prof. Carlo Bemini. Ich grüße auch die Vertreter der Bergdörfer und Gemeinschaften von Comelico und ganz Cadore, zumal die Waldarbeiter der Regionen Venetien und Friaul, endlich die Vorgesetzten und Mitglieder der staatlichen Forstverwaltung, denen der Schutz und die Entwicklung dieser Wälder anvertraut sind. 1562 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Mein Gruß gilt auch den Touristen, die in Ferien hierhergekommen sind zu heilsamer Erholung im Kontakt mit einer Umwelt, die von der Verschmutzung, wie sie die Städte und Industriezentren erfaßt hat, noch frei ist. An alle richte ich erneut den Gruß, den ich zu Beginn dieser Liturgiefeier als guten Wunsch an euch gerichtet habe: Der Friede sei mit euch. Der Friede Christi, der Friede des Herzens, der Friede, den die Werke Gottes unserem Herzen vermitteln. 3. Die Texte des heiligen Buches, die wir gelesen haben, lassen uns das Leben des heiligen Johannes Gualbertus betrachten, eines florentinischen Heiligen aus dem X. Jahrhundert, den die Gnade geheimnisvoll zum Zeugnis für die heroische Liebe des Verzeihens führte und zur Weihe an Gott in einem kontemplativen Leben. Bekanntlich war die Jugend von Johannes Gualbertus aus der Familie der Visdomini von der Ermordung seines älteren Bruders Hugo überschattet. Der Vater und die soziale Tradition seiner Zeit drängten Johannes Gualbertus, die Untat durch die Ermordung des Mörders zu rächen. Er begegnete nun dem Mörder an einem Karfreitag, war aber in seinen Rachegedanken tief erschüttert, als der Schuldige ihn mit in Kreuzesform ausgebreiteten Armen bat, ihn doch im Namen Christi zu schonen. Der Gedanke an die Barmherzigkeit des sterbenden Jesus gewann nun im Inneren von Johannes Gualbertus die Kraft einer unwiderstehlichen Botschaft, die ihn zum Verzeihen und zur Bekehrung führte. „Liebet eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen (Lk 6,27). Die Überlieferung erzählt, daß Johannes Gualbertus vom Gekreuzigten mit folgenden Worten gestärkt wurde: „Weil du deinem Feind verziehen hast, komm, und folge mir nach“. Nachdem er in Florenz gegen die Simonie gekämpft hatte, bis er wegen seines Eifers verfolgt wurde, zog Gualbertus sich in die Einsamkeit von Vallumbrosa zurück, um eine benediktini-sche Mönchsgemeinschaft zu gründen, die heute hier durch ihren derzeitigen Abt vertreten ist. Alte Zeugnisse bekräftigen, daß Gualbertus sich im stillen Waldgebiet des toskanischen Appenin getreu dem Motto „Bete und arbeite“ gemeinsam mit seinen Mönchen dem Gebet und der Kultivierung der Wälder widmete. In der Hingabe an diese bevorzugte Tätigkeit sahen die Jünger des hl. Johannes Gualbertus gleichsam die Gesetze voraus, die für die Erhaltung und Entwicklung der Wälder gelten, und in einer Zeit, da man noch nicht von Normen für die Waldpflege sprechen konnte, verstand es die religiös bestimmte und weise Beständigkeit der Mönche von Vallumbrosa, Methoden zu entwerfen, die für eine gedeihliche Entwicklung der Waldbestände des Gebietes gültig waren. 1563 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Triebverzicht engt nicht ein, sondern weitet die Persönlichkeit 4. Der Racheinstinkt, der leider tief im Empfinden des Menschen verwurzelt ist, wurde endgültig überwunden und voll besiegt durch die Kraft der verzeihenden Liebe. Das heutige Evangelium sagt uns, daß christliche Liebe nicht nur die Freunde, sondern auch unsere Feinde umfassen muß. „Tut denen Gutes, die euch hassen. Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch mißhandeln“ (Lk 6,27-28). Christliches Verzeihen erfordert nicht nur den Verzicht auf Rache, sondern eine Antwort der Liebe dem Feind gegenüber; nicht bloße Passivität gegenüber Beleidigung und Unrecht, sondern die beredteste moralische Antwort, die möglich ist: Zuneigung und Gebet für den Feind. Nur die Kraft Gottes und die Gnade Christi können uns zu dieser Haltung der Liebe hinführen. Daher lädt uns der Brief des hl. Paulus ein, „stark (zu werden) durch die Kraft und Macht des Herrn“ (.Eph 6,10). Doch die Fähigkeit, den eigenen Feinden zu verzeihen und sie zu lieben, erwirbt man auf dem Weg einer tiefen Umwandlung des Herzens. Die menschliche Existenz muß von der ständigen Versuchung ihres Egoismus geheilt und gerettet werden. Notwendig ist daher eine ständige Bekehrung, die alle Ausdrucksformen der Person einbezieht: die Mühe des Denkens, die Anstrengung des Handelns und die Kraft des Willens. Der Wunsch zu lieben, darf nicht stumm, gestaltlos und unfruchtbar sein, er darf in der Stunde der Prüfung weder unterdrücken noch zerstören lassen. Der Herr lädt uns daher ein, unsere Persönlichkeit ständig von Engherzigkeit und kleinlichem Rechnen zu befreien, von eigensüchtigen Motiven, die selbst bei zahlreichen humanitären Gesten den gefährlichen Egoismus in sich tragen. „Gib jedem, der dich bittet .'.. Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? ... Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt! Dann wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein“ {Lk 6,30-35). Der wahre Jünger Christi liebt seinen Nächsten „auch wo er nichts erhoffen kann, in einer Haltung der ständigen und nicht auf Lohn bedachten Hingabe seiner selbst an die Mitmenschen. „Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen ... Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!“ {Lk 31.36). Christi Liebe weicht das Herz aus Stein auf Es kann im Leben Vorkommen, wie im Fall des hl. Johannes Gualbertus, daß sich extrem harte Schwierigkeiten erheben, Augenblicke, in denen die menschliche Logik von der Kraft des Liebesgebotes revolutioniert werden muß, Umstände, die notwendig eine Überprüfung und Reinigung des Bewußtseins verlangen, das der Mensch von sich selber und von seinem Platz in der 1564 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gemeinschaft seiner Mitmenschen hat. In solchen Augenblicken muß man „die Rüstung Gottes anlegen“ (Eph 6,3), d. h. Entscheidungen im Geiste Christi fallen, des einzigen Vorbilds für christliches Verhalten. Es erfordert eine radikale Umordnung der Werte, eine Art neuer Geburt und den entschiedenen Willen, einen Weg ähnlich dem Weg Christi einzuschlagen, bis zum Anteil an seiner Entblößung am Kreuz. Christus ist die Quelle solcher Entscheidungen: in ihm gewinnt jeder Gläubige Licht und Hoffnung, auch wenn er sich zu einem schrecklichen Kampf gegen die eigenen Gefühle und die in der Welt vorherrschende Mentalität aufgerufen sieht. Standhalten am Tag des Unheils“ (vgl. Eph 6,13), hat uns der hl. Paulus gesagt, d. h. anjenemTagund in jenen Stunden, die uns vor die Probe stellen, ob wir dem Glauben gemäße Entscheidungen treffen. Am Ende dieses mühsamen Weges zu echter Liebe im Sinn des Evangeliums steht jedoch eine große Hoffnung: „Gebt, dann wird auch euch gegeben werden. In reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird man euch beschenken“ (Lk 6,3 8), weil die Herrlichkeit des erhofften Gutes unendlich größer ist als die aufgewandte Mühe, es zu verdienen. 5. Das heutige Fest betrifft in besonderer Weise euch Waldarbeiter wegen des ökologischen Problems, das bei eurer Arbeit mitbetroffen wird. Wir wissen, wie dringend heute eine Verbreitung des Bewußtseins für die Achtung vor den Naturschätzen unseres Planeten geworden ist. Und alle sind mitbetroffen, weil die Erde, die wir bewohnen, immer klarer ihre innere Einheitlichkeit offenbart, so daß die Entscheidungen um die Erhaltung ihres Erbes alle Völker ohne Unterschied betreffen. Erhaltung und Entwicklung der Waldgebiete sind überall grundlegend für die Aufrechterhaltung und Erneuerung der natürlichen Gleichgewichte, wie sie für das Leben unerläßlich sind. Das wird heute noch deutlicher, weil wir uns bewußt geworden sind, wie dringend notwendig eine entschiedene Umkehr der Tendenz in all jenen Verhaltensweisen ist, die zu besorgniserregenden Formen der Umweltverschmutzung führen. Jeder Mensch ist gehalten, Initiativen und Handlungen zu vermeiden, die die Reinheit der Umwelt gefährden können, und da die Pflanzen in ihrer Gesamtheit für die Gleichgewichte der Natur eine unerläßliche Rolle spielen, die ihrerseits wieder für das Leben auf all seinen Stufen notwendig sind, werden ihr Schutz und die Achtung vor ihnen immer mehr eine unbedingt notwendige Forderung an den Menschen. Für den Christen aber ist die Sorge für die Erde eine moralische Verpflichtung, „damit sie Frucht bringe und eine würdige Wohnstätte für die gesamte menschliche Familie werde“ (Gaudium etspes, Nr. 57). 1565 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 6. Ich bitte Gott für euch Waldarbeiter und für euch alle, Männer und Frauen des Gebirges und leidenschaftliche Hüter der soliden Überlieferungen dieser Gegend, daß eure Gemeinschaften immer das kostbare Erbe eurer Kultur bewahren. Die Bergbewohner haben Freude an der Betrachtung der Natur und damit auch eine tiefe Religiosität, die alle Bereiche ihres Lebens erfaßt und in ihnen Arbeitsamkeit, Opfergeist und Anhänglichkeit an ihre Familien und ihre Erde weckt. Es mag sein, daß die Mühe, der ihr euren Unterhalt verdankt, euch wegen der geforderten Arbeit manchmal hart und anpruchsvoll erscheint; doch ihr liebt das Ganze als Gabe Gottes, als wunderbaren Raum, in dem er sich euren Augen im Glanz der von ihm geschaffenen Werke offenbart. Ich möchte daher den Verantwortlichen dieser Region und des Staates meine Freude und meine lebhafteste Ermunterung aussprechen für alle bisher ergriffenen Initiativen, die Bevölkerung zum Verbleiben in dieser Berggegend zu ermuntern und die Tendenz zum Verlassen der Heimat aufzuhalten oder wenigstens zu vermindern. Das Gebirge darf sich nicht entvölkern; und herzlicher Beifall gilt allen, die dazu beitragen, daß diese Gegenden nach den Erfordernissen ihrer natürlichen Berufung erhalten und entwickelt werden und so für den wirtschaftlichen Unterhalt der Einwohner genügend Arbeit bieten. Ich bete ferner zu Gott, er möge unter euch die edlen Überlieferungen der Solidarität und brüderlichen Liebe erhalten, die seit ältesten Zeiten die Formen eures sozialen Lebens regeln. Ich bekräftige den Wunsch, den ich schon euren Bischöfen beim kürzlichen Besuch „ad limina“ ausgesprochen habe: „Mögen eure Gemeinschaften ihre ethischen und geistlichen Wurzeln kräftigen im Zusammenhang mit einer kulturellen Identität, die ihren echten Überlieferungen unbedingt treu bleibt.“ Mit der Welt hat uns Gott eine vielversprechende Aufgabe gestellt 7. All das, von dem wir leben, Natur, Gemeinschaft, Kultur und Bruderliebe, ist uns von Gott geschenkt als ein Auftrag, der uns anspornt, alles zu tun, damit die Menschheitsfamilie daraus Erleichterung und Freude gewinnt. Die Absichten Gottes und seine Willensäußerungen sind Anliegen der Liebe. Sie führen zum Heil, fordern Gemeinsamkeit und sprechen vom ewigen Leben. In der Schöpfung hat uns Gott als Diener eines universalen Willens zum Guten hingestellt, und jedes unserer Werke soll für alle nützlich sein. Er hat uns den Dienst der Liebe anvertraut als kostbaren Auftrag seiner väterlichen Liebe. Bemühen wir uns daher, in jedem Menschen eine echt christliche Persönlichkeit wiederzufinden oder wiederherzustellen, damit wir in der Welt Mitarbeiter der Güte Gottes, unseres Vaters, sein können. 1566 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Selig der Mann, der über die Weisung des Herrn nachsinnt bei Tag und bei Nacht. Mit einem herzlichen „Grüß Gott“ heiße ich zum heutigen festlichen Gottesdienst auch alle anwesenden Gläubigen deutscher Sprache willkommen. Der gemeinsame Glaube und das gemeinsame Gotteslob verbinden uns in der Kirche über alle sprachlichen und geographischen Grenzen hinweg zu dem einen Volke Gottes. Seid euch, liebe Brüder und Schwestern, als gläubige Katholiken dieser beglückenden Wirklichkeit stets bewußt. Die heutige Begegnung mit dem Nachfolger des Petrus und vielen anderen Mitchristen bestärke euch in dieser frohen Gewißheit und schenke euch neuen Mut, euch auch in den Pflichten des Alltags — in der Familie, am Arbeitsplatz, im öffentlichen Leben — als überzeugte Christen treu zu Christus und seiner Kirche zu bekennen. Das wünsche und erbitte ich euch von Herzen mit meinem besonderen Gebet und Segen. Freiheit — erhabene und zugleich tragische Wirklichkeit Predigt bei der Messe für das Personal der päpstlichen Villen am 19. Juli „Herr, du bist gütig und bereit zu verzeihen.“ 1. Die Anrufung, die wir gerade im Antwortpsalm wiederholt haben, ist für uns alle von großem Trost und tiefer Freude: Tatsächlich erkennen wir unsere Gebrechlichkeit und unsere Schwäche als Geschöpfe, die vom Bösen bedroht sind, aber wir blicken auch auf die überaus große Güte und Barmherzigkeit Gottes, der unsere Not und Reue sieht und uns vergibt: „Du, Herr, bist ein barmherziger und gnädiger Gott, du bist langmütig, reich an Huld und Treue. Wende dich zu mir und sei mir gnädig“ (Ps 86). Mit diesem Gefühl grenzenlosen Vertrauens in Gott, der uns liebt und uns verzeiht, richte ich an euch alle, liebe Brüder und Schwestern, die ihr euren Dienst in den päpstlichen Villen verrichtet, meinen herzlichen Gruß, wenn ich nun meinen üblichen Sommeraufenthalt beginne: Ihr ermöglicht meinen Aufenthalt und macht ihn mir bequem; ich danke von Herzen schon für alles, was ihr für den Papst tut. Ich bin sehr froh, euch wiederzusehen und mit euch und für euch diese hl. Messe zu feiern. Möge der Herr euch mit seiner grenzenlosen Güte belohnen; für meinen Teil versichere ich euch meines ständigen Gedenkens im Gebet. 1567 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN In der Möglichkeit zu Entscheidung liegen Chancen fiir Wohl oder Wehe 2. Die Lesungen, mit denen die Liturgie dieses 16. Sonntags im Jahreskreis uns zum Nachdenken anregt, enthalten gewiß den tiefsten und strahlendsten Kern der gesamten christlichen Botschaft. In der Tat, was den menschlichen Verstand am meisten quält, ist die Präsenz des Bösen in der Geschichte, sein Ursprung und seine Finalität; allein aus der Antwort auf diese Rätsel kann der Mensch eine Hilfe für die Lösung des Problems seiner Existenz gewinnen. Mit dem Gleichnis vom guten Weizen und dem Unkraut, das er dann auch selbst deutet und erklärt, offenbart Jesus den Grund und den Sinn dieser tragischen Wirklichkeit. Zunächst stellt er klar, daß das Böse existiert und in der Geschichte der Menschen immer präsent und aktiv ist. Das Böse kann jedoch nicht von Gott, dem Schöpfer, ausgehen, dessen Wesen das unbegrenzte und ewige Gute ist. Gott ist der Sämann des guten Weizens: Zuerst in der Schöpfung, die von Grund auf und metaphysisch positiv ist, und dann in der Erlösung, denn „der Mann, der den guten Samen sät, ist der Menschensohn. Der gute Samen, das sind die Söhne des Reiches.“ Das Böse kommt vom „Feind“ und denen, die ihm folgen: „Das Unkraut sind die Söhne des Bösen; der Feind, der es gesät hat, ist der Teufel“ (Vgl. Mt 37-39,13). Wir sehen uns hier der Freiheit gegenübergestellt, mit der Gott die vernunftbegabten Wesen ausgestattet hat; sie ist die erhabenste und zugleich tragischste Wirklichkeit, weil die Freiheit, wenn sie falsch gebraucht wird, die Ursache für das Aufkeimen des Unkrauts im Leben des einzelnen und in der Menschheitsgeschichte ist. Das Drama der Geschichte besteht gerade in diesem Nebeneinander von Weizen und Unkraut bis ans Ende der Zeiten, bis zur Ernte. Man kann sich heute die menschliche Geschichte ohne Unkraut nicht vorstellen. Wie Jesus selber sagt, ist es deshalb auch nicht möglich, das Unkraut ganz mit den Wurzeln auszureißen, weil es mit dem Weizen vermischt ist. Das Unkraut lebt und wächst auf dem Acker der Welt, doch auch der Weizen lebt und gedeiht. Auch das Senfkorn wächst und entwickelt sich, um schließlich zu einem dichtbelaubten und einladenden Baum zu werden. Ebenso wächst und gärt der Sauerteig des Guten, der im Teig der Menschheit verborgen ist. Mit sehr einfachen Worten, aber mit höchster Macht gibt uns Jesus zu verstehen, daß die gesamte Geschichte, so lang und kummervoll sie ist, die „letzte Ernte“ zum Ziel hat. Das, was wirklich zählt, ist nicht die Geschichte, die vergeht, sondern die Ewigkeit, die uns erwartet. 1568 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Durch Glauben können böse Strukturen in gute verwandelt werden 3. Den liturgischen Lesungen müssen wir daher drei grundsätzliche Weisungen für unser Leben entnehmen: — Wir müssen danach streben, guter Weizen zu sein und ständig guten Weizen auszusäen. Dabei müssen wir all das ausmerzen, was schaden kann: geistige Verwirrung, schlechtes Beispiel, Anstiftung zum Bösen. Mehr noch, wir müssen danach streben, daß das Unkraut — soweit wie möglich — sich in guten Weizen verwandelt. Wir alle haben ein großes Ideal und ein großartiges Vorhaben zu verwirklichen. — Wir müssen aufmerksam und gewissenhaft den Anregungen Gehör schenken, die der Herr uns unser Leben lang eingibt, das uns einzig mit dem Ausblick auf das ewige Leben anvertraut wurde. Es ist einfach — und auch ganz natürlich —, wenn wir in unseren Gebeten eher zeitliche und irdische Interessen betonen. Der Paulus sagt jedoch in der zweiten Lesung der heutigen Messe: „So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können. Und Gott, der die Herzen erforscht, weiß, was die Absicht des Geistes ist“ (Röm 8,26-27). — Schließlich müssen wir uns stets ein lebendiges, glühendes Vertrauen in den Herrn bewahren, denn — wie das Buch der Weisheit sagt — Gott richtet mit Milde und regiert mit großer Nachsicht (vgl. Weish 12,16). Die heilige Jungfrau, deren Schutz ich euch alle anvertraue, besonders jetzt in der Sommerzeit, stehe euch bei und erleuchte euch, auf daß ihr immer tiefer die Lehren des Evangeliums verstehen lernt, das auf alle Fragen des Herzens Antwort gibt. Möge jeder Tag dieses Marianischen Jahres eure Andacht zu unserer himmlischen Mutter widerstrahlen. Apostel der Solidarität werden Predigt in der Messe für 950 junge Kroaten am 23. Juli Meine lieben Jugendlichen, Schwestern und Brüder in Christus! Ich freue mich und danke euch, daß ihr in so großer Zahl in die Ewige Stadt gekommen seid, um im Marianischen Jahr eure Treue zum Stellvertreter Christi zu bezeugen und mit ihm zusammen eurer Verehrung zur seligen Jungfrau Maria Ausdruck zu geben. Wir ehren die Muttergottes auch unter dem Titel „Mutter der Kirche.“ Die Texte der heutigen heiligen Messe sprechen davon. Als Mutter der Kirche ist sie auch Mutter eines jeden von uns. Das 1569 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN erfüllt uns mit großer Freude und Hoffnung. Darum ehrt sie jeden Tag mit dem Gebet des Rosenkranzes, das uns so gut mit den Heilsgeheimnissen des Lebens Jesu in Verbindung bringt! In diesen Tagen wird in eurer Erzdiözese Split-Makarska die neue Ko-Kathe-drale zu Ehren des hl. Apostels Petrus geweiht. Sie wird auch Zeichen und Zeugnis der Treue sein, die die kroatischen Katholiken im Lauf der Geschichte gegenüber dem Stuhl Petri und der römisch-katholischen Kirche bewiesen haben. Seid also stolz auf dieses reiche christliche Erbe eures Volkes, das seit alten Zeiten als „Volk des hl. Petrus“ betrachtet wird (vgl. Botschaft an den Kroatischen Nationalen Eucharistischen Kongreß, 22.8.1984). In den letzten Tagen ist der fünfmilliardste Bewohner unseres Planeten geboren worden. Die Vereinten Nationen haben symbolisch Zagreb als seinen Geburtsort bestimmt. Ich möchte vor euch meine Worte wiederholen, die ich bei dieser Gelegenheit sagte {Ansprache an die Jugendlichen in der Generalaudienz vom 15. Juli 1987): Es gibt einen ursprünglichen Plan Gottes, bei dem die Solidarität der Menscheitsfamilie einen Hauptangelpunkt bildet. Ihr jungen Menschen habt ein besonders feines Empfinden für diesen Wert. Auch euch sage ich: Werdet Apostel der Solidarität! Setzt euch dafür ein, die gleiche Würde aller Menschen mit bestimmten grundlegenden und unveräußerlichen Menschenrechten wirksam und ausnahmlos zu fördern (vgl. Botschaft zum Weltfriedenstag 1987). Bemüht euch, in Gemeinschaft mit der Jugend ganz Europas und inspiriert von den gemeinsamen christlichen Werken der europäischen Nationen, weiterhin eine bessere und gerechtere Welt aufzubauen, die auf Solidarität gründet. Ich richte mein Gebet an unsere himmlische Mutter, daß sie euch den kostbarsten Schatz bewahren möge: den Glauben an ihren Sohn Jesus Christus. Sie geleite euch auf dem Weg zum dritten Jahrtausend der Christenheit! Maria, Königin der Kroaten; „unsere Mutter und unsere goldene Morgenröte“, bitte für uns! Amen. Sucht zuerst das Reich Gottes! Eucharistiefeier mit Studenten aus Rotterdam und Löven am 28. Juli Es freut mich sehr, daß ich heute die Eucharistie mit euch, Studenten aus Rotterdam in den Niederlanden und aus Löven in Belgien, feiern kann. Das Evangelium der Messe des heutigen Tages weist auf eine Realität hin, die in der heutigen säkularisierten Gesellschaft droht, aus dem Auge zu geraten, nämlich das Ende der Welt. Es ist zu vergleichen mit einer Ernte: Der Weizen, die 1570 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kinder des Reiches Gottes, werden getrennt von der Spreu, den Kindern des Bösen. Die Spreu wird verbrannt werden. Es ist gut und heilsam, von Zeit zu Zeit an diese letzte und entscheidende Wirklichkeit zu denken, damit alles Wirken in dieser Welt, alle Anstrengungen zur Verbesserung der irdischen Existenz, alles Forschen und Streben nach Kenntnis und Beherrschung der Welt, immer zuerst auf das Reich Gottes und auf seine Gerechtigkeit zielen. Laßt uns dafür in dieser Eucharistiefeier mit den Worten des Tagesgebets beten: „Laß uns, Gott, unter Deiner Führung, das Gute in diesem Leben so benutzen, daß wir in allem nach dem trachten, was ewig bleibt.“ Und laßt uns um die Fürsprache der allerheiligsten Jungfrau Maria beten, die „mit mütterlicher Liebe für die Brüder ihres Sohnes sorgt, für junge Leute, die sich noch auf der Pilgerfahrt befinden und in Gefahren und Ängsten leben, daß sie das gesegnete Vaterland erreichen“. Anteilnahme und Solidarität Aufruf zum Gebet am 29. Juli In dieser Zeit, die für viele frohe Ferien bedeutet, möchte ich ein Wort christlicher Anteilnahme für die Toten und brüderlicher Solidarität für die Leidenden zum Ausdruck bringen. Wir gedenken im Gebet der Hunderten von Personen, die in den vergangenen Tagen Opfer der Hitzewelle in Griechenland und in anderen Mittelmeerlän-dem sowie der Unwetter und Überschwemmungen in Korea und im Iran geworden sind. Aber ich möchte euch einladen, auch für die Opfer des Bruderkrieges zu beten, der vor kurzem in verschiedenen Teilen der Welt zahlreiche Personen in Mitleidenschaft gezogen hat. Vereinen wir uns vor allem im Gebet mit den Bischöfen und der katholischen Gemeinde in Mozambique, die am vergangenen Sonntag der 386 Personen gedachten, darunter Alte, Kranke, Frauen und Kinder, die in Homoine niedergemetzelt worden waren. Der Herr nehme die Opfer dieses unmenschlichen Massakers in seinen Frieden auf, er tröste die Trauernden und unterstütze den Einsatz derer, die weiterhin dahin wirken, daß die liebe Nation von Mozambique Frieden und Ruhe erlange. Auch aus Haiti werden Spannungen und Zwischenfälle mit zahlreichen Toten und Verletzten gemeldet. Die Bischöfe haben am 1. Juli ihre Stimme erhoben, um ihren Schmerz und ihre Sorge auszudrücken und zum wiederholten Mal auf die Wege der Versöhnung und Gerechtigkeit hinzuweisen. Während ich 1571 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN euch einlade, mit mir für die Opfer zu beten, möchte ich mich dem Appell der Bischöfe anschließen: Gewalt ist nicht das Mittel der Lösung der großen Schwierigkeiten, mit denen dieses Volk zu kämpfen hat! Der rechte Weg hingegen sind Achtung der Personen, gegenseitige Annahme und Vertrauen untereinander sowie das gemeinsame Bemühen aller, die Hoffnungen des Volkes von Haiti voranzubringen. Bitten wir unsere himmlische Mutter, daß die Verantwortlichen der Nation und alle Menschen guten Willens das notwendige Licht und die Kraft erhalten, um die so heißersehnte friedliche und demokratische Entwicklung des Landes zu gewährleisten. Mittelamerika: Friedensbemühungen als Pflicht der Verantwortlichen Botschaft an das Gipfeltreffen der Präsidenten der mittelamerikanischen Republiken vom 1. August An Ihre Exzellenzen, die Herren Präsidenten der Republiken Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua Sehr verehrte Exzellenzen! Der Heilige Vater hat von dem Gipfeltreffen erfahren, daß Sie am kommenden 6. und 7. August in Guatemala-Stadt zusammenführt, und hat mich beauftragt, Ihnen als den Inhabern der höchsten Staatsmacht in den mittelamerikanischen Ländern sowie allen Ihren Mitarbeitern bei diesem bedeutsamen Treffen seinen herzlichen und ehrenvollen Gruß zu übermitteln. In seiner pastoralen Sorge für alle Söhne der Kirche, insbesondere für die geliebten Völker im mittelamerikanischen Raum, richtet der Oberste Hirte anläßlich dieses Gipfeltreffens an die Inhaber der höchsten Verantwortung für das Gemeinwohl in jenem Gebiet den dringenden Apell, sie mögen in loyaler Suche nach Wegen der Verständigung nichts unterlassen, um zum Frieden zu finden und die Bande der Freundschaft und solidarischen Zusammenarbeit unter den Nationen zu stärken, deren Geschicke sie leiten. Das Panorama der Unsicherheit des Leides, das viele Bereiche jener dem Papst sehr teuren Region umfaßt, erfordert dringend ein großherziges und gezieltes gemeinsames Bemühen, um in verständnisvoller Achtung der Verschiedenheit die Gegensätze, die teils auch ideologischer Natur sind, in einer 1572 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gegend zu überwinden, deren Menschen durch den christlichen Glauben, die Sprache und die Kultur im Lauf der Geschichte endgültig zusammengewachsen sind. Der Heilige Stuhl wird auch weiterhin auf dem ihm eigenen Feld und in enger Zusammenarbeit mit den Ortskirchen alle Initiativen unterstützen, die auf Überwindung jeder Art von Konfrontation abzielen und Verhandlungen fördern, die im Zeichen eines gesunden Pluralismus, einer Haltung der Toleranz und des gegenseitigen Verständnisses zur Versöhnung aller Betroffenen führen können. Er betont die unabdingbare Forderungen der Gerechtigkeit und der Achtung der Menschenrechte beim Aufbau eines stabilen und dauerhaften Friedens und weist jede Zuflucht zur Gewalt, die schon so viele Menschenleben gefordert hat, als Mittel zur Lösung ungerechter Verhältnisse entschieden zurück. Im Blick auf dieses bedeutsame Gipfeltreffen der Präsidenten der mittelamerikanischen Länder fordert der Papst alle friedliebenden Männer und Frauen auf, sich für eine solide Basis eines friedlichen Zusammenlebens einzusetzen, und bittet die Regierenden, den legitimen Wünschen nach Gerechtigkeit und Freiheit der Bürger zu entsprechen. Indem er allen, die zur Förderung des Friedens in Mittelamerika beitragen, seinen Beifall ausdrückt, bittet der Papst den Allerhöchsten, er möge den Arbeiten des bevorstehenden Gipfeltreffens reiche Früchte bescheren. Mit diesen Wünschen ist der Papst geistig dem Eröffnungsdienst des Treffens verbunden und spendet allen Teilnehmern seinen Apostolischen Segen. Agostino Casaroli Kardinalstaatssekretär Der hl. Alfons — Lehrer der Weisheit und Erneuerer der Moral Apostolisches Schreiben an den Generaloberen der Kongregation des Heiligsten Erlösers, Juan M. Lasso de la Vega y Miranda, zum zweihundertjährigen Gedächtnis des Todes des hl. Alfons Maria de’Liguori vom 1. August *,Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe und die Zerschlagenen in Freiheit setze.“ (Lk 4,18; Jes 61,1). Dieser biblische Text, den Jesus, der Abgesandte des Vaters, zu Beginn seines messianischen Wirkens 1573 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN auf sich anwandte, und der die Liturgie des Festes vom Hl. Alfons M. de’Li-guori eröffnet (vgl. die Antiphon der Eigenmesse), klingt an dem Tag besonders feierlich wieder, an dem wir das zweite Jahrhundert seit der Geburt für den Himmel dieses eifrigen Bischofs, Kirchenlehrers und Gründers der Kongregation des heiligsten Erlösers begehen. Mit großer Freude wende ich mich heute an Sie und an alle Söhne des hl. Alfons und teile mit der ganzen Kirche die noch aktuelle Erinnerung an einen Heiligen, der zu seiner Zeit ein Lehrer der Weisheit war und durch das Beispiel seines Lebens sowie seiner Lehre weiter wie ein Widerschein Christi, des Lichtes der Völker, den Weg des Volkes Gottes erhellt. Alfons wird in Marianella bei Neapel am 27. September 1696 geboren. Er empfängt als Erbe einer adeligen Familie eine vollständige und sorgfältige Ausbildung als Humanist und Jurist. Diese Ausbildung wird in seinem Jünglings- und Jugendalter von einer aufmerksamen und eifrigen christlichen Praxis begleitet: einer tiefen eucharistischen und marianischen Frömmigkeit, Besuchen bei den Kranken und Gefangenen, Mitleid mit den Armen und ernsthaftem Einsatz im Laienapostolat. Nach einer glänzenden Karriere am Gericht von Neapel verläßt Alfonso die Welt, um sich Gott allein zu weihen, wird am 21. Dezember 1726 zum Priester geweiht und dem Klerus von Neapel zugewiesen. Er widmet sich sofort mit äußerster Kraft einem intensiven Apostolat in den ärmsten Stadtvierteln von Neapel und läßt die sogenannten „Abendkapellen“ erstarken, die zu einer Schule bürgerlicher und moralischer Weiterbildung werden. Zum Dienst in der Stadt fügt er den der Predigt in den Randgebieten des Königreiches als Mitglied der „Apostolischen Missionen“ der Diözese Neapel hinzu. Diese Erfahrung, die ihn mit einer anderen, kulturell vernachlässigten und geistlich darbenden Welt in Verbindung bringt, läßt ihn die entscheidende Wahl treffen für „die verlassensten Menschen in den ländlichen Gebieten und ihren Dörfern auf dem Land“. Für die Evangelisierung der Armen gründet er am 9. November 1732 in Scala (Salerno) ein missionarisches Institut: die Kongregation des heiligsten Erlösers, deren Besonderheiten vor allem die Wanderpredigt bei den Völksmissionen, das Angebot geistlicher Exerzitien und katechetische Tätigkeit sind. 30 Jahre hindurch (1732-1762) fuhrt das Missionsapostolat Alfons dann in die verschiedensten Richtungen, wobei sich seine Entscheidung für die Armen und Kleinen noch vertieft. Im Jahre 1762 wird er im Alter von 66 Jahren zum Bischof von S. Agata dei Goti ernannt und entfaltet in diesem neuen pastoralen Amt eine fast unglaubliche Tätigkeit in der doppelten Richtung des direkten Dienstes und des Apostolates der Feder. Geschwächt und behindert durch eine schmerzhafte deforT mierende Arthritis, verläßt er 1779 die Diözese und zieht sich nach Pagano 1574 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN (Salerno) in das Haus seines Institutes zurück, wo er unter vielen physischen und geistigen Leiden, die er in Gottes Willen ergeben erträgt, bis zu seinem Tod am 1. August 1787 im Alter von 91 Jahren bleibt. Dieses sehr lange Leben war erfüllt von unablässiger Arbeit: Arbeit als Missionar, als Bischof, als Theologe, als geistlicher Schriftsteller, endlich als Gründer und Oberer einer Ordenskongregation. Nach dieser kurzen chronologischen Beschreibung seines Lebens scheint es angebracht, seine Bedeutung für die Gesellschaft seiner Zeit darzulegen. Um den Bedürfnissen des Volkes Gottes entgegenzukommen, fügte er bald zum Apostolat des Wortes und dem des pastoralen Wirkens das der Feder hinzu. Es geht hier um zwei untrennbare Aspekte seines Lebens und Wirkens, die sich gegenseitig ergänzen und dem literarischen Schaffen des Heiligen einen unverwechselbaren pastoralen Charakter verleihen. Das Wirken des Schriftstellers erwächst nämlich aus der Predigt und führt zu ihr zurück in der bleibenden Ausrichtung auf das Heil der Seelen. Er beginnt seine literarische Tätigkeit mit den „Massime eterne“ (Ewige Grundsätze) und den „Canzoncine spirituali“ (Geistliche Lieder) und steigert sie bis zum Gipfel in seinen Bischofsjahren. Sein Schaffen zählt insgesamt 111 Titel und gilt drei Bereichen: der Moral, dem Glauben und dem geistlichen Leben. Alfons war der Erneuerer der Moral: im Kontakt mit den Menschen, denen er im Beichtstuhl begegnete, zumal im Verlauf der Missionspredigt, revidierte er schrittweise und nicht ohne Mühe seine Denkweise und erreichte in steigendem Maße das rechte Gleichgewicht zwischen Strenge und Freiheit. Angesichts des Rigorismus, wie er oft im Sakrament der Buße, das er „Dienst der Gnade und des Verzeihens“ nannte, praktiziert wurde, pflegte er zu wiederholen: „So wie der Laxismus beim Beichthören die Seele verdirbt, so schadet ihnen sehr die harte Strenge. Ich lehne gewisse Strengheiten, die nicht der Wissenschaft entsprechen, ab, weil sie zerstören und nicht aufbauen. Sündern gegenüber braucht es Liebe und Freundlichkeit, denn so war es bei Jesus Christus. Wenn wir aber Seelen zu Gott führen und retten wollen, müssen wir Jesus Christus und nicht Jansenius nachahmen, denn Christus ist das Haupt aller Missionare.“ In seinem Hauptwerk über Moral schrieb er unter anderem die bewundernswerten Worte: „Es ist gewiß oder kann als gewiß betrachtet werden, daß man den Menschen etwas nur dann unter schwerer Sünde auferlegen darf, wenn ein überzeugender Grund es nahelegt... Betrachtet man die gegebene Schwäche der menschlichen Natur, stimmt es nicht immer, wenn man sagt, es wäre sicherer, die Menschen auf dem schmaleren Weg zu führen, während wir doch sehen, daß die Kirche sowohl den Laxismus als auch den Rigorismus verurteilt hat.“ 1575 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Zweifelsohne haben die „Praxis Confessarii“, der „Homo Apostolicus“ und sein Haupstwerk „Moraltheologie“ ihn zum Meister der katholischen Moral gemacht. Auf dem Gebiet der Kontroverstheologie setzte er sich gegen die damals aufkommenden Bewegungen ein: den Illuminismus, der die Grundlagen des christlichen Glaubens bedrohte; den Jansenismus, der eine Gnadenlehre vertrat, die statt das Vertrauen zu nähren und zur Hoffnung anzuspornen, zur Verzweiflung führte oder umgekehrt zum Aufgeben; den Febronianismus, der als Frucht des politischen Jansenismus und des Jurisdiktionalismus die Autorität des römischen Papstes zugunsten der Herrscher und der Nationalkirchen einschränkte. Auf streng dogmatischem Gebiet muß man sagen, daß Alfons eine Gnadenlehre ausgearbeitet hat, die mit dem Gebet verbunden war und den Seelen wieder Vertrauen und Heilsoptimismus schenkte. Er schrieb unter anderem: „Gott verweigert niemandem die Gnade des Gebetes, durch das man Hilfe zur Überwindung jeder Begierde und jeder Versuchung erlangt. Ich sage und wiederhole und ich werde es immer wiederholen, solange ich lebe, daß unser ganzes Heil im Gebet liegt.“ Daher das berühmte Sprichwort: „Wer betet, rettet sich selbst, und wer nicht betet, verurteilt sich selbst.“ Die Struktur der Spiritualität des hl. Alfons läßt sich auf die beiden folgenden Elemente zurückführen: Gebet und Gnade. Das Gebet ist für den hl. Alfons nicht vorwiegend eine aszetische Übung, es ist ein radikales Bedürfnis der Natur im Zusammenhang mit der Dynamik des Heiles. Selbstverständlich läßt eine solche Sicht das Gebet in der Praxis des christlichen Lebens als „das große Heilsmittel“ in seiner ganzen Wichtigkeit erscheinen. Wie die Moralwerke und die dogmatischen Schriften, ja in noch höherem Maße, kommen die geistlichen Schriften des hl. Alfons von seinem Apostolat her und ergänzen es. Seine geistlichen Werke sind allen bekannt. Nennen wir, zeitlich geordnet, die wichtigsten: „Glorie di Maria“ (Die Herrlichkeiten Mariens); „Apparec-chio alla Morte“ (Vorbereitung auf den Tod); „Del grande mezzo della preg-hiera“ (Das große Heilmittel des Gebetes); „La vera sposa die Gesü Cristo“ (Die wahre Braut Christi); „Le visite al SS. SacramentoeaMaiaSS.ma“ (Besuch beim allerheiligsten Sakrament und bei der hl. Jungfrau); „II modo di conversare continuamente e alla familiäre con Dio“ (Der ständige und vertrauliche Umgang mit Gott); und vor allem „Pratica di amar Gesü Cristo“ (Praxis der Liebe Jesu Christi), sein aszetisches Hauptwerk und die Zusammenfassung seiner Gedanken. Fragt man weiter nach den Eigenheiten seiner Spiritualität, kann man zusammenfassend sagen: sie ist eine Spiritualität des Volkes. Kurz: Alle sind zur Heiligkeit berufen, jeder in seinem eigenen Stand. Heiligkeit und Völlkom- 1576 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN menheit bestehen wesentlich in der Gottesliebe, die ihren Höhepunkt und ihre Vollkommenheit in der Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes findet: nicht mit dem eines abstrakten Gottes, sondern Gottes, der Vater der Menschen ist, dem Gott des Heiles, der sich in Jesus Christus offenbart. Die christologische Dimension ist eine wesentliche Eigenart der Spiritualität des hl. Alfons, da Menschwerdung, Leiden und Eucharistie die größten Zeichen der Liebe Gottes sind. Sehr glücklich wurde daher die zweite Lesung der Stundenliturgie dem ersten Kapitel seines Werkes „Pratica di amar Gesü Cristo“ (Praxis der Liebe Jesu Christi) entnommen.4 Alfons spricht dem sakramentalen Leben eine grundlegende Bedeutung zu, zumal der Eucharistie und dem eucharistischen Kult, bei dem die Besuchungen den typischsten Ausdruck bilden. Einen ganz besonderen Platz in der Vermittlung des Heiles nimmt die Marienverehrung ein: Maria ist Mittlerin der Gnade, Gefährtin bei der Erlösung und daher Mutter, Helferin und Königin. Tatsächlich stand Alfons immer ganz auf der Seite Mariens, vom Anfang seines Lebens an bis zum Ende. Der Zeit seines Lebens schon ausgezeichnete Ruf des hl. Alfons wuchs nach seinem Tod in außergewöhnlicher Weise und hat sich in diesen zwei Jahrhunderten nicht vermindert. Dies ist der Grund, warum nach der von meinem Vorgänger, Papst Gregor XVI., am 26. Mai 1839 vorgenommenen Heiligsprechung beim Heiligen Stuhl Briefe eintrafen, die darum baten, dem Heiligen den Titel eines Kirchenlehrers zuzuerkennen. Das geschah dann auch durch Papst Pius IX. am 23. März 1871. Der gleiche Papst erläuterte am 7. Juli 1871 in dem Apostolischen Schreiben „Qui Ecclesiae suae“ den dem Heiligen verliehenen Titel eines Kirchenlehrers und sagte: „Man kann ohne weiteres in aller Wahrheit feststellen, daß es auch in unserer Zeit keinen Irrtum gibt, den nicht wenigstens größtenteils bereits Alfons zurückgewiesen hat.“5 Die nachfolgenden Päpste haben bis in unsere Tage seinen Ruf immer anerkannt, bestätigt und verbreitet. Papst Pius XII. verehrten Andenkens, der am 26. April 1950 dem hl. Alfons den neuen Titel „himmlischer Patron aller Beichtväter und Moraltheologen“6 verliehen hatte, stellte am 7. April 1953 fest: „Wahre Schätze geistlichen Lebens hat der Heilige des missionarischen Eifers, der pastoralen Liebe, einer innigen eucharistischen Frömmigkeit und einer zarten Marienverehrung in seinen Schriften verbreitet; die Erleuchtungen seines Geistes und die Erhebungen seines Herzens, die einen wie die anderen genährt von himmlischer Weisheit, sind für die Seelen Lebens- und FrömmigkeitsSubstanz geworden, die sich alle zu eigen machen können und die alle sanft zur Sammlung des Geistes einladen, damit sich das Herz dann leicht zu Gott erhebt.“7 Von Papst Johannes XXm. verehrten Andenkens verdient folgender Aus- 1577 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN spruch Erwähnung: „O heiliger Alfons, heiliger Alfons! Welcher Ruhm und welches Studienobjekt bist du für den italienischen Klerus! Uns sind sein Leben und seine Werke seit den ersten Jahren unserer kirchlichen Ausbildung vertraut.“8 Aus dem Zeugnis der Kirchengeschichte und aus der Volksfrömmigkeit ergibt sich, daß die Botschaft des hl. Alfons weiter aktuell ist. Die Kirche legt sie heute erneut Ihnen und den geliebten Söhnen, die Mitglieder seiner Kongregation sind, sowie allen Christen vor. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf einige Punkte richten, die heute wohl besonders viel sagen. Der hl. Alfons war sehr beliebt beim Volk, beim einfachen Volk, bei den Menschen der Armenviertel der Hauptstadt des Königreichs Neapel, beim Volk der Kleinen, der Handwerker und vor allem der Menschen auf dem Land. Dieser Sinn für das Volk kennzeichnet das ganze Leben des Heiligen als Missionar, als Ordensgründer, als Bischof und Schriftsteller. Für das Volk überdachte er neu die Predigt, die Katechese, die Lehre der Moral und auch das geistliche Leben. Als Missionar suchte er „die verlassensten Seelen der ländlichen Gebiete und der Dörfer auf dem Lande“ auf und wandte sich an diese Leute mit den geeignetsten und wirksamsten pastoralen Mitteln. Er erneuerte die Predigt nach Methode und Inhalt und verband sie mit einer einfachen und unmittelbaren Beredsamkeit. Er sprach in dieser Form, damit alle ihn verstehen konnten. Als Gründer wollte er eine Gruppe, die nach seinem Beispiel eine radikale Entscheidung zugungsten der am meisten Verlassenen traf und sich in ihrer Nähe fest niederließ. Als Bischof hielt er sein Haus für alle offen, doch die willkommensten Gäste waren die Kleinen und Einfachen. Für seine Leute unternahm er auch soziale und wirtschaftliche Initiativen. Als Schriftsteller sah er immer und einzig auf den Nutzen für die Leute. Seine Werke, auch die über Moral, sind durch seine Nähe zum Volk geprägt. Kardinal Albino Luciani schrieb als Patriarch von Venedig: „Alfons ist Theologe angesichts praktischer Probleme, die einer schnellen Lösung bedürfen, und er greift auf Lebenserfahrung zurück. Sollte in den Herzen die Liebe neu erweckt werden, so schrieb er aszetische Werke. Wollte er Glauben und Hoffnung im Volke stärken, dann schrieb er dogmatische und moraltheologische Werke.“9 Die Volkstümlichkeit des Heiligen verdankt ihre Anziehungskraft der Kürze und Klarheit, der Einfachheit und dem Optimismus, endlich der Liebenswürdigkeit, die bis zur Zärtlichkeit gehen konnte. An der Wurzel dieses seines Sinnes für das Volk stand die Sorge um sein Heil: sich selber und andere retten . Sein pastorales Wirken schließt niemanden aus: er schreibt an alle und für alle. Die Hirten des Volkes Gottes, zumal die Bischöfe, Priester und Ordens- 1578 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN leute, werden von ihm zur Selbstaufopferung für das Volk angeregt, das ihnen in verschiedener Weise anvertraut ist. Die Botschaft des hl. Alfons kommt, auch wenn er etwas erneuert, ja gerade dann, von einem jahrhundertealten Kirchenbewußtsein her. So wie nur wenige besaß der Heilige den „Sinn für die Kirche“: ein Kriterium, das ihn bei der theologischen Forschung ebenso begleitete wie bei seiner pastoralen Praxis, und schließlich wurde er selber irgendwie zur Stimme der Kirche. Ganz besondere Verehrung zeigte er für den Papst, dessen Primat und Unfehlbarkeit er in schwierigen Zeiten verteidigte. Auch ganz persönlich zeigte er immerfort diese Verehrung. Wenn der hl. Alfons als Heiliger, Bischof und Kirchenlehrer der ganzen Kirche gehört, so bildet er als Gründer den verpflichtenden Bezugspunkt für seine Kongregation. In diesem Zusammenhang möchte ich vor allem drei Aspekte seines Lebensbeispiels heraussteilen, zunächst die Nähe zum Volk. Die Kongregation des heiligen Erlösers ist in der ganzen Welt verbreitet und muß gerade die „verlassensten Seelen“ im Sinn des Gründers aufsuchen, je nach den besonderen Verhältnissen des Ortes und der Zeit, aber in radikaler Treue. Dieses Bemühen muß vor allem den Schlichten und Kleinen gelten, die im allgemeinen ja auch die Ärmsten sind. Die Kongregation muß sich daher heute und in den kommenden Jahren hochherzig für die Durchführung dieser pastoralen Priorität auf allen Ebenen ein-setzen. Mit Freude habe ich vernommen, daß Euer Generalkapitel von 1985 sich lobenswerterweise für die „Missio ad gentes“ (die Mission bei den Heiden,,), zumal in Asien und Afrika eingesetzt hat. Dieser Einsatz entspricht den ursprünglichen Absichten Eures Gründers. Die Völksmissionen sind eine bewährte Form der pastoralen Tätigkeit der Kongregation. Sie haben immer Eure Nähe zum Volk gezeigt. Diese Missionen, denen der hl. Alfons einen unzerstörbaren Stempel aufgeprägt hat, und die ich bei verschiedenen Gelegenheiten und in verschiedenen Dokumenten empfohlen habe10, sollen durch Euch zum Wohl der Kirche neue Kraft gewinnen.-Tragt bei Eurer missionarischen Predigt und bei allen sonstigen Formen eurer apostolischen Tätigkeit besondere Sorge für jene Gehalte, die schon immer das Besondere der Söhne des hl. Alfons ausgemacht haben: die vier letzten Dinge, die mit dem pastoralen Gespür von heute zu verkünden sind: die barmherzige Liebe Gottes, des Vaters, der reich ist an Barmherzigkeit (Dives in misericordia); die überreiche Erlösung, die Christus, der Erlöser der Menschen (Redemptor hominis), gewirkt hat; die mütterliche Fürbitte Mariens, der Mutter des Erlösers (Redemptor Mater), Helferin und Mittlerin; die Notwendigkeit endlich des Gebetes, um den Himmel zu erreichen und an der Hölle vorbeizukommen. 1579 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Schließlich das Studium und die Lehre der Moraltheologie: Niemandem entgeht, wie groß zumal in dieser unserer Zeit die Bedeutung der Moraltheologie ist. Hierzu passend hat. das II. Vatikanische Konzil empfohlen: „Besondere Sorge verwende man auf die Vervollkommnung der Moraltheologie, die, reicher genährt aus der Lehre der Schrift, in wissenschaftlicher Darlegung die Erhabenheit der Berufung der Gläubigen in Christus und ihrer Verpflichtung, in der Liebe Frucht zu tragen, für das Leben der Welt erhellt werden soll.“" Denn „das Wohl der Person besteht darin, in der Wahrheit zu sein und die Wahrheit zu tun. Dieses wesentliche Band zwischen Wahrheit, Wohl und Freiheit ist in uns'erer zeitgenössischen Kultur weithin verlorengegangen; den Menschen also zu seiner Neuentdeckung führen, ist heute eine für die Sendung der Kirche zum Heil der Welt besondere Notwendigkeit.“ Die Zweihundertjahrfeier des hl. Alfons bietet sich als günstige Gelegenheit dafür an, sich dieser Aufgabe mit neuem Eifer anzunehmen und zu versuchen, sich dabei, wenn auch im gewandelten sozio-kulturelleh Rahmen, vom ausgezeichneten menschlichen Gleichgewicht und dem tiefen Glaubenssinn leiten zu lassen, die der hl. Alfons in seiner Tätigkeit als Gelehrter und Hirte ständig gezeigt hat. Dieser Apostolische Stuhl wird es seinerseits nicht daran fehlen lassen, in einem kommenden Dokument ausführlicher und vertieft seinen erhellenden Beitrag zu den Fragen um die Grundlagen der Moraltheologie zu leisten. Gewiß stellt das moderne Leben neue Probleme, die oft nicht leicht zu lösen sind. Man muß sich dennoch bei der Seelenleitung und beim Dienst der Lehre immer wieder vor Augen halten, daß das unverzichtbare Kriterium, an das man sich immer zu halten hat, das Wort Gottes bleibt, das vom Lehramt der Kirche authentisch ausgelegt wird. Darüber hinaus muß man sich immer von pastoraler Güte leiten lassen gemäß der weisen Mahnung von Papst Paul VI.: „In keiner Weise etwas von der heilsamen Lehre Christi weglassen, ist eine eminente Form der Liebe zu den Seelen. Doch muß dies immer begleitet sein von jener Geduld und Güte, von denen der Erlöser selbst in seinem Umgang mit den Menschen ein Beispiel gegeben hat.“ Das Apostolische Schreiben, das ich heute, am 200. Jahrestag des Todes des hl. Alfons an Sie richte, soll meine Überzeugung ausdrücken.und meine Gefühle einem Heiligen gegenüber bekräftigen, der ein Lehrer der Weisheit und Vater im Glauben gewesen ist. Indem ich mich an die Söhne des hl. Alfons in der ganzen Welt wende, die Sie würdig vertreten, möchte ich daran erinnern, welches die Wünsche eines so erhabenen Vaters für sein Erbe, die von ihm gegründete Kongregation, wären. Es sind die Wünsche, die der hl. Alfons in seinem Leben, in seinem pastora-len Wirken und in seinen Schriften zum Ausdruck gebracht hat: die Treue zu 1580 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Christus und seinem Evangelium; die Treue zur Kirche und ihrer Sendung in der Welt; die Treue zum Menschen und zu unserer Zeit; die Treue endlich zum Charisma Eures Institutes. Seid in Eurem Leben und Wirken stets rückhaltlose Fortsetzer des Werkes des Erlösers, dessen Titel und Namen Ihr tragt, gemäß der Zielsetzung Eures Institutes, die Euch der Heilige gegeben hat: dem Beispiel Jesu Christi nachfol-gen durch die Predigt des Wortes an die Armen, wie er von sich selbst gesagt hat: Er hat mich gesandt, den Armen die Frohe Botschaft zu verkünden. Auf ihrem langen Weg von 255 Jahren hat Eure Kongregation Heilige hervorgebracht, die ich gerne erwähne: den hl. Ordensbruder Gerhard Majella (1726-1755); den hl. Klemens M. Hofbauer (1751-1820), bei dem sich in diesem Jahr zum 200. Mal der Tag seiner Ankunft in Polen jährt, und an den ich in einem Brief zur Feier in Warschau (10.-17. Mai 1987) zu erinnern Gelegenheit hatte; den hl. Johannes Nepomuk Neumann (1811-1860) und den hl. Petrus Donders (1809-1887), die ich selber zu Ehre der Altäre erhoben habe. Das Beispiel des hl. Alfons und seiner besten Söhne, die von der Kirche als Heilige anerkannt sind, möge Euch allen das Sehnen nach vollkommener Heiligkeit nahelegen. In der Freude darüber, durch diesen Brief an den Feiern der Kirche und Eures Institutes teilgenommen zu haben, erteile ich von Herzen Ihnen und allen Söhnen des hl. Alfons, den Schwestern Redemptoristinnen und der ganzen al-fonsianischen Familie als Unterpfand himmlischer Gnaden einen besonderen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 1. August des Jahres 1987, im neunten Jahr meines Pontifikates PAPST JOHANNES PAUL II. Anmerkungen 1 A. M. Taanoia, Deila vita ed Instituto del venrabile servon di Dio Alfonso Maria Liguori, Vescovo di S. Agata de’ Goti e Fondatore della Congregazione de’ Preti Missionari del SS. Redentore, III, Neapel 1800, S. 88; vgl. ebd. S. 151, 191 f. 2 S. Alphonsus M. de Ligorio, Theologia moralis, ed. L. Gaude, II. Rom 1907, S. 53. Aufmerksam zu machen ist auch darauf, daß der heilige Lehrer anschließend beifügt: „Wie sehr richtig bemerkte der hl. Alfons an der Stelle, an der er darüber diskutiert, wann ein Akt als schwer sündhaft oder nicht verurteilt werden müsse, wie folgt: ,Wenn man in diesem Fall nicht die ausdrückliche Autorität der Heiligen Schrift oder eines Kanons oder einer Entscheidung der Kirche anführeri kann oder sonst ein einsichtiger Grund vorliegt, kann der Akt nicht als solcher eingestuft werden, es sei denn unter großer Gefahr'.“ 1581 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3 S. Alfonso M. de Liguori, Del gran mezzo dellepreghiera epuscoli affini (Aszetische Werke II), Rom 1962, S. 171. 4 S. Alfonso M. de Liguori, Practica di amar Gesü Cristo e opuscoli sull ’amore divino (Aszetische Werke I), Rom 1933, S. 1-4. 5 Pii IX P.M. Acta V (1869-1871), S. 337. 6 Vgl. Apost. Schreiben Cosueverunt omni tempore: AAS, 42, 1950, S. 595-597. 7 Pius XU., Handschreiben zur Neuausgabe der Werke des hl. AlfonsM. de’ Liguori: Spicile-gium Historicum Congregationis SS. mi Redemptoris, I (1953) fase. 1-2, S. 247. 8 A G. Roncalli, II giornale deli'anima, Rom 1964, S. 462. 9 A. Luciani, S. Alfonso cent’annifa era proclamato Dottore della Chiesa. Brief an die Priesterschaft von Venedig zum Gründonnerstag 1972, Venedig, S. 4L 10 Vgl. Apost: Schreiben Catechesi tradendae (16. Oktober 1979), Nr. 47: AAS, 71, 1979, S. 1315; Ansprache an den Generalat der Patres Redemptoristen (6. Dezember 1979), Nr. 2: In-segnamenti H/2 (1979), S. 1327; Ansprache an die Teilnehmer am I. Nationalkongreß über die Volksmission (6. Februar 1981): Insegnamenti IV/1 (1981), S. 233-237; Apost. Schreiben Reconciliatio etpaenitentia (2. Dezember 1984), Nr. 26: AAS, 77, 1985, S. 247. 11 II. Vat. Konzil: Dekret über die Priesterausbildung Öptatem totius, Nr. 16. 12 Johannes Paul n., Discorso ad aleuhi docenti di Teologia morale, AAS, 78, 1986, S. 1099: Voll aktuell bleibt hier, was Paul VI. dem Generalkapitel der Kongregation der Redemptoristen am 22. September 1967 gesagt hat: vgl. AAS, 59, 1967, S. 960-963. 13 Paul VI., Enzyklika Humanae vitae, Nr. 29: AAS, 60, 1968, S. 501 14 Constitutionis et statuta Congregationis SS. Redemptoris, Rom 1986, Const. 1, S. 21. 15 Brief an den Provinzoberen der Redemptoristenprövinz in Warschau, 14. Mai 1987. Ein standfester und weiser Hirte Schreiben an den Erzbischof von Köln vom 4. August Meinem verehrten Bruder •Joseph der Hl. Römischen Kirche Kardinal Höffner, Erzbischof von Köln! Ein zweifach bedeutsamer und sehr wichtiger Anlaß ist es, der mich heute drängt, Dir meinem verehrten Bruder, ein eigenes Handschreiben zukommen zu lassen. Wenn ich Dir auch in den vergangenen Jahren viele Beweise meiner Hochschätzung und meiner Zuneigung gegeben habe, so möchte ich doch darüber hinaüs durch diesen Brief gleichsam in direktem Gegenüber — wie wir es bisher so oft getan haben — von Herzen mit Dir sprechen und Dir meine Empfindungen offenlegen. Voll Freude sehe ich nämlich den Festtag der Erhöhung des hl. Kreuzes, den 14. September, herannahen, an dem Gott Dir ein großes Geschenk darreicht: den 25. Jahrestag Deiner Bischofsweihe. Diesen Tag wirst Du mit dem angesehenen Klerus und dem gläubigen Volk von Köln feiern; ihnen bist Du ja 1582 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nach dem Beispiel des Guten Hirten seit achtzehn Jahren ein standfester und weiser Hirte und fuhrst sie tatkräftig und klug an Christi Statt und in der Sorge der Mutter Kirche. So möchte ich mit einem herzlichen Glückwunsch mich den vielen beigesellen, die sich seit langem glücklich schätzen, Dich als ihren Erzbischof zu kennen, oder die im ganzen Bereich der Deutschen Bischofskonferenz Deine Verdienste und bedeutenden Taten, Deine lobenswerten Werke und weitsichtigen Initiativen als Vorsitzender der Konferenz im letzten Jahrzehnt vor Augen haben. Nachdrücklich lobe ich all Deinen bischöflichen Dienst, den Du seinerzeit inmitten der geliebten Kirche von Münster begonnen und mustergültig erfüllt hast. Ob in der Leitung der weiten und volkreichen Erzdiözese Köln, ob in der Hilfe durch Rat und Tat für die ganze katholische Kirche im deutschen Vaterland, ob schließlich durch Deine weisen Ratschläge, die Du in vielfältigen Angelegenheiten des Apostolischen Stuhles mir und meinen Vorgängern gegeben hast — immer hast du Dich Deinem himmlischen Patron, dem hl. Joseph, sehr ähnlich erwiesen: in Deinem einzigartigen Diensteifer und in Deinem keine Mühe scheuenden Arbeitseinsatz. Was ein Bischof ist und worum er sich zu mühen hat, hast Du zuerst in Münster, dann in Köln stets deutlich gemacht: alle Bischöfe müssen untereinander in tätiger Gemeinschaft und innerer Übereinstimmung verbunden sein. Das hast Du nicht nur mit Worten dargetan, sondern in die Tat umgesetzt und durch Dein Handeln allen deutlich werden lassen, vor allem im Bereich Eurer Bischofskonferenz. Deshalb erachte ich es als nur zu berechtigt, daß ich die Tugenden Deines bischöflichen Wirkens hier besonders hervorhebe und Dich dazu besonders beglückwünsche. Dieser Gruß an Dich, brüderlich und tief empfunden, erhält noch eine gesteigerte Dringlichkeit, wenn ich im gemeinsamen Dank mit Dir an Gott, den Geber alles Guten, ein weiteres Ereignis gerade in diesen Tagen ins Auge fasse: Dein tatkräftiger Hirtendienst im bedeutsamen Amt und in der täglichen Mühe des regierenden Bischofs erreicht sein zeitliches Ende und Ziel. Deshalb liegt mir sehr viel daran, mein verehrter Bruder, daß Du aus all dem, was ich hier schreibe, die höchste Wertschätzung erkennst für all Deinen Eifer im Dienst der Kirche Gottes. Dieser Eifer hat, wie ich zuvor andeutete und nun gerne unterstreiche, die Grenzen der Erzdiözese Köln bei weitem überschritten und die alle Länder umfassende Gemeinschaft der katholischen Kirche einbezogen und unterstützt. Dementsprechend sollst Du heute von mir als dem Nachfolger des hl. Petrus eine öffentliche, vor dem Klerus und dem Volk von Köln bekundete Belobigung erhalten für die vielfältigen Weisen Deines Apostolates, die ich hier in Kürze aufgeführt habe. 1583 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Den Göttlichen Hirten bitte ich inständig und nachdrücklich, er möge nicht nur den festlichen Jahrestag im September froh machen durch himmlischen Trost und menschliche Verehrung sowie ihn leuchten lassen inmitten der Brüder im Bischofsamt der Kirche, sondern er berge Dich auch weitherhin in seinem Schutz von oben. Er schenke Dir noch viele Tage im Ruhestand und lasse sie alle erfüllt sein von tiefem Frieden und innerer Zufriedenheit bis hin zur ewigen Belohnung Deiner Verdienste in seinem Reich. . Nimm also entgegen, mein verehrter Bruder, diese meine herzlichen Gruß-worte, mit denen ich Dir eine glückliche Feier Deines Bischofsjubiläums und aller Deiner seelsorglichen Tätigkeiten wünsche sowie ein erfreuliches Freisein von der täglichen Mühe. Alles, was ich empfinde und ausdrücke, möchte ich bekräftigen und verstärken durch meinen Apostolischen Segen, den ich Dir — wie in einer persönlichen Begegnung — mit diesem Brief erteile. Aus dem Vatikan am 4. August im Jahre des Herrn 1987, dem neunten meines Pontifikates. Johannes Paul II., Papst Alle Glieder der Kirche müssen den Glauben verkünden Botschaft zur Feier des diesjährigen Welttages der Migranten vom 5. August Ein Ereignis von großer Bedeutung wird das Leben der Kirche in diesem Jahr kennzeichnen; es handelt sich ohne Zweifel um die nächste Bischofssynode, eine Initiative, welche die Aufmerksamkeit auf sich lenken wird, die das Interesse aller lebendigen Kräfte in der Kirche wecken will und sich als wichtiger Abschnitt für die Laien auszeichnen wird, nämlich des „Sich-Bewußt-werdens ihrer Berufung zur Ausbreitung und Festigung des Reiches Gottes und der Menschen. Die Kirche besteht, um den Glauben zu verbreiten. An alle ihre Glieder ist die Aufforderung Jesu gerichtet: „Gehet hin und lehret alle Völker“ (Mt 28,19). L Migrationen und Verkündigung der Frohen Botschaft Die Teilnahme der Laien am Auftrag der Kirche hat seit Beginn in den verschiedenen soziokulturellen Situationen einen der fruchtbarsten Wege dargestellt für die ganzheitliche Rettung, die Christus als Vorschlag gebracht hat. 1584 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Migrationen nehmen in diesem Zusammenhang eine besondere Stellung ein, man braucht nur an die Rolle zu denken, die sie in der Verbreitung des Christentums in den ersten Jahrhunderten innehatten. Deshalb ist es ganz natürlich, das Argument der nächsten Bischofssynode als Anlaß zu nehmen und in der Botschaft zum Tag des Ausländers über das Thema: „Die katholischen Laien und die Migrationen“, nachzudenken. Die Aufforderung, die Last der Leiden, der Demütigungen, der Armut, die auf dem Emigranten liegen, zu lindern, ist an die ganze Kirche gerichtet, aber in erster Linie an die Laien, eben wegen der großen sozialen Wendungen, die mit der Migration verbunden sind. Der aufnehmenden Gesellschaft kommen besondere Aufgaben zu, aber auch die Aufgenommenen haben nicht weniger Verpflichtungen. 2. Würde der Berufung der Laien und ihrer Aufgabe Durch die Kraft der Taufe ist jeder Christ, gleich welchen Standes, von Gott zu einem persönlichen Verhältnis der Freundschaft und der Vertrautheit mit ihm berufen. Dieser Aufruf ist eine Einladung, Christus zu folgen, der, indem er uns seinen Geist mitteilt, uns zu Kindern Gottes macht und uns auch in die Lage versetzt, uns wie diese zu benehmen. Die Würde des Menschen, grundgelegt im Menschen durch das Ebenbild Gottes, welches Gott ihm bei der Schaffung eingeprägt hat, findet in dieser Berufung eine neue und höhere Begründung und ihren vollen Ausdruck. Jeder Mensch wird von Gott geliebt. Niemand ist von seiner Liebe ausgeschlossen. Das ist das Grundprinzip der universalen Rettung, auf dem ja die missionarische Besorgnis der Kirche basiert und das auch am Anfang der modernen Bemühungen steht, die auf der Suche nach der Einheit der ganzen Menschheitsfamilie ist; durch es fallen alle Diskriminierungen, es schafft die Gleichheit unter den Völkern und gebietet die Achtung der menschlichen Person, wie auch die Umstände sein mögen. Jeder Mensch muß geliebt, geachtet, verteidigt und beschützt werden, eben wegen seiner Beziehung zu Christus und zu Gott. Wird diese Beziehung nicht beachtet oder verneint, wird es immer leicht sein, scheinbar gerechtfertigte Gründe zu finden, um Diskriminierung, Ausstoßung und Verfolgung der Menschen zu vertreten. Das Evangelium also, weil es ein Licht ist, was von oben kommt, verkündet nicht eine Realität, die sich in der Intimsphäre eines jeden einzelnen erschöpft, sondern die sich in einer Verpflichtung der Außenwelt gegenüber ausdrückt. 1585 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3. Auftrag der Laien in den Aufnahmeländern Heute fordere ich Euch auf, Euren Einsatz der Welt der Migration zu geben. Sie zeigt eine Mannigfaltigkeit an Aufforderungen, die sowohl an die Aufnahme-Gesellschaft, wie auch an die Emigranten selbst gerichtet sind. a) Sich einsetzen, damit die Gesellschaft menschlicher werde. Jesus hat seine Anwesenheit unter uns in der unsicheren Situation der Bedürftigen verlängern wollen, und er hat unter den Bedürftigen die Migranten in besonderer Weise erwähnt. So will er den Menschen anregen, in einem ununterbrochenen Prozeß der „Vermenschlichung“ an sich selbst und an den Brüdern zu arbeiten. Christus ist gleichzeitig auf seiten der Dienenden und der Bedienten. Diesen Glauben stärken heißt, sein Herz für die anderen bereit halten. b) Die richtigen Lösungen suchen. Oft sind die Probleme der Migranten auch die Probleme der Gesellschaft, in der sie leben. Denn überall besteht das Wohnungsproblem, das Problem der Arbeit und der sozialen ^Sicherheit. Aber die unsichere Situation der Emigranten erschwert diese gemeinsamen Probleme doch sehr. Es ist Aufgabe der Behörden, für die Allgemeinheit zu sorgen und dabei jede mögliche Diskriminierung den Emigranten gegenüber zu vermeiden. Doch darüber hinaus leiden die Emigranten noch an besonderen Problemen: hier ist es Aufgabe der Laien, gerechte Lösungen vorzuschlagen und im Namen Gottes und im Namen der Menschen zu fordern. Die reichen Länder dürfen das Migrationsproblem nicht ignorieren und noch weniger dürfen sie ihre Grenzen schließen, die Gesetze straffen, besonders wenn der Unterschied zwischen den reichen und den armen Ländern, durch den ja die Migration hervorgerufen wird, immer größer wird. Sie sollten sich hingegen zu einer Überlegung zwingen und nach strengeren Kriterien für eine gerechte Verteilung suchen, die auf Weltebene angewandt werden sollten, um so den Weltfrieden zu sichern. c) Die Teilnahme der Emigranten am Leben der Gesellschaft erleichtern. Welches auch immer die Lebenssituation des einzelnen ist, heute fühlen sich alle hineingezogen in einen starken Strom der Teilnahme, Spiegelbild und Bedürfnis des erworbenen Bewußtseins der eigenen Würde. Es ist wichtig, diese Gewißheit zu berücksichtigen, damit die Probleme der Emigranten wahre und dauerhafte Lösungen finden können. Dieses Mitmachen muß im Bereich der Kirche immer klarer und direkter werden, denn in der Kirche gibt es keine Fremden. Christus, der für alle ge- 1586 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN storben ist, hat durch seinen Tod die Schranken niedergerissen, die den Griechen vom Juden, den Sklaven vom Freien trennen (vgl. Gal 3,28). Die Migration bietet den einzelnen Lokalkirchen die Gelegenheit, ihre Katholizität zu überprüfen, die nicht nur darin besteht, verschiedene Volksgruppen aufzunehmen, sondern vor allem darin, unter diesen ethnischen Gruppen eine Gemeinschaft herzustellen. Der ethnische und kulturelle Pluralismus in der Kirche stellt nicht eine Situation dar, die geduldet werden muß, weil sie vorübergehend ist, sondern eine ihr eigene strukturelle Dimension. Die Einheit der Kirche ist nicht durch den gemeinsamen Ursprung und die gemeinsame Sprache gegeben, sondern vielmehr durch den Pfingstgeist, der Menschen aus verschiedenen Nationen und verschiedener Sprache zu einem Volk zusammenfaßt, und so allen den Glauben an den selben Herrn verleiht und aufruft zur selben Hoffnung. Und diese Einheit ist tiefer als jede andere, die auf andere Gründe gebaut ist. d) Um die Achtung vor dem Menschen kämpfen. Die missionarische Aufgabe der Kirche hat heute ihren Platz innerhalb der Gesellschaft, in der ja neben den christlichen Gemeinschaften auch andere Volksgruppen leben, die eine andere Sprache und einen anderen Glauben haben. Durch die Migrationen ist die Gesellschaft ein Schmelztiegel der Rassen, der Religionen und Kulturen geworden, durch den man die neue, dem Menschen gerechte Welt erwartet, die auf Wahrheit und Gerechtigkeit gründet. Der Kampf des katholischen Laien gegen Ungerechtigkeit und sein Einsatz für die Förderung des Menschen müssen stärker sein als die der anderen, denn mit der Offenbarung und der Gnade, die ihm von Gott verliehen wurden, ist ihm auch eine größere Klarheit und Kraft geschenkt worden. 4. Die Mission der Migranten In dieser Botschaft, die sich mit der Rolle der Laien in den Wechselfallen der Migration befaßt, wende ich mich in besonderer Weise an Euch, die Migranten. Die Kirche weiß um die Vielfalt Eurer Probleme, um die Unsicherheit Eurer Lage und um die Ungewißheit Eurer Zukunftsaussichten. Sie nimmt jede Gelegenheit wahr, an das moralische und zivile Gewissen der zuständigen Behörden zu appellieren, damit die notwendigen Vorkehrungen getroffen werden mögen, um Eure Situation zu erleichtern. Doch hier möchte ich auch auf den Beitrag aufmerksam machen, den Ihr selbst zu geben aufgerufen seid: am Auftrag der Kirche mitzuarbeiten, besonders auf dem Gebiet der Brüderlichkeit, der Einheit und des Friedens. Es handelt sich um eine Aufgabe, die jeden angeht, und über der Lage steht, die der einzelne innerhalb der Gesellschaft einnimmt. 1587 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN a) Die Besorgnis der Kirche innerhalb der Gemeinschaft der Emigranten ausdrücken. In einer Niederlassung, die durch geographische und gesellschaftliche Diaspora gezeichnet ist, wie es ja in den heutigen Migrationen der Fall ist, ist Euer Beitrag unersetzlich. Ich denke hier besonders an die Zerstreuung der Migranten in den Großstädten der westlichen Welt. Ein gut organisiertes Netz von Initiativen, deren Träger Ihr Emigranten selbst sein müßt, muß die echte missionarische Sorge der Kirche im Gebiet der Migration zum Ausdruck bringen, denn, dort, wo das Wort Gottes verkündet wird, wird nach dem Wort des Herrn die Kirche gebildet: „Wo zwei oder drei in meinem Namen beieinander sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). In der Diaspora darf der Glaube nicht schlechthin ein Erbe darstellen, was beschützt werden muß, sondern er muß als eine Wirklichkeit betrachtet werden, die vertieft, überprüft und weiterentwickelt werden muß im Rahmen der Partikularkirche. Der Prozeß der Verinnerlichung und der Personalisierung des Glaubens fordert die Bildung wirklicher Gemeinschaften, die ja als solche auch gleich in die Lokalkirche eingegliedert werden. Die besondere Pastoral an den Emigranten muß — damit es keine Randpastoral wird — auf die Bildung von Gemeinden bedacht sein, die ja voll und ganz zum kirchlichen Gewebe gehören und zusammen mit den anderen am Bau des Reiches Gottes beitragen. b) sich um das Wachstum der Emigranten-Gemeinden kümmern. Damit in der Migration Gemeinden entstehen, ist es ratsam, einige wichtige Initiativen vorzunehmen: die Bildung von Gruppen von Emigranten, die sich der christlichen Verpflichtung voll bewußt sind; die Schaffung kleiner Glaubensgemeinschaften, die miteinander in Verbindung stehen und ihre Erfahrungen austauschen; die Einrichtung von Pfarr-Räten, zu denen Personen gehören, welche die christliche Botschaft tatsächlich leben und das Vertrauen der Gemeinde haben. Die ersten, direkten Apostel der Emigranten, das müssen die Emigranten selbst sein. c) den Glauben leben und innerhalb der Familie weitergeben. Eure Aufgaben als Laien müssen von der Gemeinde ausgehen und sich in der Familie weiter fortsetzen; der Ort — das möchte ich hervorheben — der unter allen Euren besonderen Einsatz haben soll. Gerade in einer Situation der Diaspora und der wachsenden Religionslosigkeit muß der Familie die primäre Rolle als Ort der Glaubensverkündigung zurückgegeben werden, als Hauskir- 1588 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN che, wo die Eltern die Kinder im Glauben unterrichten und wo die Kinder den Glauben aus der konkreten Lebenserfahrung lernen. Leider sind viele der Emigranten aus ihrer Familie herausgerissen worden. Es sind Menschen, die in dieser schwierigen Situation lieben, leiden und suchen. Gott kann diesen Personen nicht fern sein. Es besteht darum für alle Laien die Verpflichtung, ihnen „Nächster“ zu sein, und im Sinne des Herrn die Frohe Botschaft zu verkünden: in der Kirche, im Haus, auf der Straße und unter Freunden. 5. Die Aufgabe der Priester in der Erwachsenenbildung. Immer im Hinblick auf die Laien wende ich mich hier an die Seelsorger, die im Gebiet der Migration ihren Auftrag ausführen, und weise daraufhin, daß die engagierten Laiengruppen nicht ohne das Wirken des Priesters entstehen. Sie haben also hier eine direkte Verantwortung. Ich möchte anfügen, daß es aus Gründen der Funktionalität immer zweckmäßig ist, Prioritäten festzulegen. In diesem Sinne möchte ich auf die Wichtigkeit hinweisen, sich vorzüglich an die erwachsenen Laien zu wenden. Das soll nicht bedeuten, daß den andern, den Jugendlichen und anderen Gruppen, keine Aufmerksamkeit geschenkt werden soll. Es handelt sich nur darum, ihnen auf einem anderen Weg näher zu kommen. Vor allen Dingen Erwachsene auswählen, weil Katechese nicht nur „Lehren bedeutet, sondern im Wechsel der Mentalität den Glauben mit allen seinen Verpflichtungen in seiner wesentlichen Realität leben; wenn also die Erwachsenen zeigen, daß ihr Leben ein konkretes Verhältnis von „Glaube-Leben“ ist, wie es sich ja für einen Christen geziemt, werden sie auch Katechisten innerhalb der Familie. So entsteht tatsächlich eine „Hauskirche“, die lehrt, bezeugt, schafft, und nicht nur physisches Leben, sondern auch ein Glaubensleben. 6. Zusammenfassung Die Migrationen stellen heute ein Zusammentreffen der Völker dar. Durch sie können Vorurteile abgebaut werden, und Verständis und Brüderlichkeit mit Blick auf die Einheit der Menschheitsfamilie reifen. Im Hinblick darauf sind die Migrationen der vorgerückte Punkt auf dem Weg der Völker hin zur universalen Brüderlichkeit. Die Kirche, die in ihrer Gemeinschaftsstruktur alle Kulturen aufhimmt, ohne sich mit einer von ihnen zu identifizieren, stellt sich als wirksames Zeichen in die in der Welt bestehenden Vereinigungsbestrebungen. Als Volk Gottes auf dem Weg, „stellt sie für die ganze Menschheit einen wertvollen Keim der Einheit, der Hoffnung und der Rettung dar“ (Lumen gentium, Nr. 9). 1589 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das Marianische Jahr, in dessen Verlauf die Bischofssynode stattfinden wird, verleiht ihr eine besondere Bedeutung. Die heilige Jungfrau ist, weil sie den Versprechungen des Herrn geglaubt hat, das perfekteste Bild der Kirche geworden, die neue Kinder für den Glauben zeugt. „Damit Christus durch den Glauben in Euren Herzen wohne“ (Eph 3,17). „Diejenigen, die in jeder Generation, unter den verschiedenen Völkern und Nationen der Erde, das Geheimnis Christi mit Glauben aufnehmen ..., suchen im Glauben Mariens den Halt für den eigenen Glauben“ (Redemptoris Mater, Nr. 27). Wegen ihrer innigen Teilnahme am Geheimnis der Rettung, „ruft sie die Gläubigen hin zu ihrem Sohn, zu seinem Opfer und zur Liebe zum Vater. Deshalb wird in gewissem Sinn der Glaube Mariens ... unaufhörlich der Glaube des wandernden Gottes Volkes: der Menschen, der Gemeinschaften, der Gesellschaften und der Vereinigungen und endlich der verschiedenen Gruppen, die in der Kirche bestehen“ (ebd., Nr. 28). In der Hoffnung, daß diese meine Botschaft mit großer Übereinstimmung aufgenommen werden möge, erteile ich allen von ganzem Herzen den Apostolischen Segen, ganz besonders den Ärmsten, den Kranken und den Kindern in der so schweren Situation der Emigration. Aus dem Vatikan, am 5. August 1987, im neunten Jahre des Pontifikates. JOHANNES PAULUS PP. II Schreckliche Folge einer Ideologie ohne Gott Schreiben an den Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz der USA, Erzbischof John L. May (Saint Louis), vom 8. August Da mein zweiter Pastoralbesuch in die Vereinigten Staaten von Amerika näherrückt, möchte ich Ihnen meine tiefempfundene Dankbarkeit bekunden für die freundliche Zusendung des Buches, das den Wortlaut meiner Aussagen hinsichtlich der Juden und des Judentums enthält. Dieses bedeutungsvolle Unternehmen ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Katholiken und Juden in Amerika; das ist ein weiterer Grund zur Genugtuung. In meinem pastoralen Bemühen, auf meinen Reisen, Begegnungen und in meinen Glaubensunterweisungen während meines Pontifikats versuchte ich unablässig, unsere Beziehungen zu den Juden — „unseren älteren Brüdern im 1590 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Glauben Abrahams“ — weiterzuentwickeln und zu vertiefen. Deshalb ermutige und segne ich nicht nur diese Initiative, sondern die Initiativen all jener, die — getreu den Weisungen des II. Vatikanischen Konzils und erfüllt von gutem Willen und religiöser Hoffnung — die Beziehungen gegenseitiger Achtung und Freundschaft fördern und den Dialog zwischen Juden und Christen an angemessener Stelle und mit der erforderlichen theologischen Kompetenz und geschichtlicher Objektivität unterstützen. Je mehr wir in liebendem Gehorsam dem Gott des Alten und Neuen Bundes, dem Schöpfer und Retter, treu zu sein versuchen — indem wir im Gebet seinen wunderbaren Erlösungsplan betrachten und unseren Nächsten wie uns selbst lieben —, desto tiefer wird unser Dialog und desto überreicher werden die Resultate sein. Voll unerschütterlicher Hoffnung und zutiefst beeindruckt, erinnern wir Christen uns an die Massenvernichtung, die Shoah, der die Juden während des 2. Weltkrieges ausgesetzt waren, und wir versuchen, deren wahre, besondere und allgemeingültige Bedeutung zu verstehen. Gottvergessenheit hat Menschenvergessenheit zur Folge Wie ich vor kurzem in Warschau sagte, ist es gerade dieser schrecklichen Erfahrung wegen, daß das Volk Israel, seine Leiden und seine Vernichtung heute im Blickfeld der Kirche, aller Menschen und Nationen stehen — gleichsam als eine Warnung, ein Zeugnis und eine schweigende Anklage. Angesichts der noch fortlebenden Erinnerung an diese Ausrottung, wie sie von den Überlebenden und den jetzt lebenden Juden geschildert wird und wie sie uns immer wieder aufs neue in der Form der Pesah Haggada zur Betrachtung begegnet — so wie es in jüdischen Familien heutzutage üblich ist —, angesichts dieser Erinnerung ist es niemandem gestattet, mit Gleichgültigkeit daran vorbeizugehen. Die Betrachtung der Shoah zeigt uns, welch schreckliche Folgen der Mangel des Glaubens an Gott und die Verachtung für den nach seinem Ebenbild geschaffenen Menschen haben können. Dies zwingt uns auch, die notwendigen geschichtlichen und religiösen Studien über dieses Geschehen, das heute die ganze Menschheit betrifft, zu fördern. In dieser Hinsicht verspreche ich mir positive Ergebnisse von der unmittelbar bevorstehenden 13. Vollversammlung des Internationalen Katholisch-Jüdischen Verbindungs-Komitees, welche in Washington gerade dieses Thema behandelt: „Die Shoah — ihre Bedeutung und Tragweite aus geschichtlicher und religiöser Perspektive.“ Zweifelsohne sind die von den Juden erduldeten Leiden auch für die katholische Kirche ein Grund aufrichtigen Schmerzes, vor allem, wenn man an die Gleichgültigkeit und Verstimmung denkt, die — unter bestimmten geschichtlichen Umständen — Juden und Christen trennten. Gerade dies bestärkt uns 1591 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN noch mehr in unserem Bemühen, zusammenzuarbeiten für die Gerechtigkeit und den wahren Frieden. Wie ich in Assisi sagte, wünschte ich mir, wir könnten immer neue Möglichkeiten ins Leben rufen, um zu zeigen, „wieGott die sich fortwährend entfaltende Geschichte der Menschheit haben möchte: ein brüderliches Auf-dem-Weg-Sein, bei dem einer mit dem anderen geht — zum transzendenten Ziel hin, das Er uns setzt.“ Der jüdisch-christliche Weg möge sich im Frieden Gottes vollenden In diesem Geist des Friedens und der allumfassenden brüderlichen Solidarität möchte ich Ihnen und der mir so lieben Jüdischen Kommunität in den Vereinigten Staaten erneut den von den Propheten verkündeten und der ganzen Welt erwarteten Friedensgruß, den Shalom, bringen. Ich habe die Hoffnung, dieser Friede möge wie ein Strom lebendigen Wassers aus Jerusalem hervorquellen, und es möge sich die Voraussage des Sacharias erfüllen: „Dann wird der Herr König sein über die ganze Erde. An jenem Tag wird der Herr der einzige sein und sein Name der einzige“ (Sach 14,9). In der Vorfreude auf unsere Begegnung in Ihrem mir so lieben Land erteile ich Ihnen und Ihren Brüdern im Bischofsamt meinen Apostolischen Segen. Hl. Bonifatius förderte Verehrung der Gottesmutter Grußwort an den Kardinal von Krakau aus Anlaß des Internationalen Mario-logisch-Marianischen Kongresses 1987 in Kevelaer vom 29. August Meinem verehrten Bruder Kardinal Franciszek Macharski Päpstlicher Gesandter beim Internationalen Mariologisch-Marianischen Kongreß 1987 in Kevelaer. „Gepriesen sei der Gott und Vater Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater des Erbarmens und der Gott allen Trostes. Er tröstet uns in all unserer Not, damit auch wir die Kraft haben, alle zu trösten, die in Not sind, durch den Trost, mit dem auch wir von Gott getröstet werden“ (2 Kor 1,3 f). Mit diesen Worten des Trostes hat der Apostel Paulus die ersten Christen ermutigt und damit zugleich hervorgehoben, daß die einzig wahre Quelle solchen Trostes Gott selbst ist, der dabei durch Jesus Christus im Heiligen Geist handelt. Auch Maria von Nazaret erfuhr diesen Trost, als sie von Gottvater zur Mutter des Erlösers erwählt worden war und so auch selbst zur „Trösterin 1592 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der Betrübten wurde. Unter diesem Titel wird sie gerade in Kevelaer verehrt, wo Ihr versammelt seid, um den 10. Mariologischen und den 17. Marianischen Weltkongreß feierlich zu begehen. Ich grüße aus diesem Anlaß vor allem Dich, verehrter Kardinal aus Krakau, der Du mich bei diesen Feierlichkeiten vertrittst, dann den Bischof von Münster, der Euch zusammen mit dem Rektor des. Wallfahrtsortes ein großzügiger Gastgeber ist, ferner weitere Oberhirten aus mehreren Ländern, die Internationale Päpstliche Marianische Akademie als Träger solcher Kongresse, alle Kongreßteilnehmer, Theologen und Pilger aus aller Welt, darunter auch Brüder und Schwestern aus anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften, sowie alle, die unmittelbar oder aus der Feme dieses bedeutende kirchliche Ereignis verfolgen. In geistiger Weise möchte ich mich Euch, liebe Mitchristen, bei dieser weltweiten Zusammenkunft anschließen; steht sie doch in glücklichem Einklang mit dem Marianischen Jahr, das ich für Rom und alle Ortskirchen der Welt als Vorbereitung auf das große Jubiläum der 2000 Jahre nach Christi Geburt verkündet habe (vgl. Redemptoris Mater, Nr. 3). Einen besonderen Gruß richte ich an die deutschen Katholiken als die gastgebende Ortskirche, verbunden mit aufrichtigem Dank an alle, die zur inneren und äußeren Vorbereitung der beiden Kongresse beigetragen haben. Eure Vorfahren, welche die Heilsbotschaft des Evangeliums empfangen und Jesus Christus als einzigen wahren Erlöser des Menschen anerkannt haben, nahmen dabei auch die Mutter des Herrn als ihre geistige Mutter in ihr Herz auf, als Zeichen der Hoffnung und des Trostes („Consolatrix afflictomm“), als Beispiel und Modell für jeden Jünger Christi. Die Verehmng Marias hat von Anfang an Euer christliches Leben in besonderer Weise gekennzeichnet. Wenn Eure Ortskirche das Gedächtnis des Herrn in der Erwartung seines Kommens in Herrlichkeit beging, hat sie dabei immer auch die vielfältige Verbindung von Leben und Wirken Marias mit dem Erlösungswerk Christi und dem Weg seiner Kirche mitbedacht und hochgepriesen (vgl. Redemptoris Mater, Nr. 47). Angeregt durch die Lehre der Heiligen Schrift und der Väter benutzt Eure marianische Tradition besonders gern den Titel „Unsere Liebe Frau“; er hat sich dem Denken und Fühlen der Gläubigen über die Jahrhunderte hin tief eingeprägt und ist ihnen sehr vertraut geworden. Das Verdienst des Germanenmissionars Der hl. Bonifatius, Missionar und Apostel Eures Landes, hat mit der Verkündigung des Evangeliums zugleich auch die innige Verehmng jener Frau geför- 1593 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN dert, die alle Geschlechter seligpreisen werden (vgl. Lk 1,48). Aus dem Glauben Eurer Väter sind im Laufe der Jahrhunderte die großen Marienwallfahrtsorte entstanden, wo Generationen von Gläubigen dem Herrn Jesus Christus und seiner heiligen Mutter begegnen wollten, jene zahlreichen Heiligtümer, die bis auf den heutigen Tag eine eigene „Geographie“ christlichen Glaubens und marianischer Frömmigkeit bilden (vgl. Redemptoris Mater, Nr. 28). Alle jene der Gottesmutter geweihten Basiliken, Kathedralen und Kapellen künden von der einzigartigen Stellung und Bedeutung Marias im Erlösungswerk Christi. Die vollkommene Jüngerin des Herrn, zugleich Bild und Modell der Kirche, hat nicht nur die Theologie zu besonderer Leistung angeregt, sondern auch manche andere Bereiche menschlicher Kultur, wie die Musik und Malerei, Architektur und Bildhauerei, Literatur und Volkskunst inspiriert. Die mariologischen Werke bekannter Theologen Eures Volkes zeichnen sich durchwegs aus durch ihre tiefe Kenntnis der Glaubenslehre, durch abgewogene dogmatische Aussagen, wie sie die biblischen und patristischen Quellen nahelegen, sowie nicht zuletzt durch ihre ökumenische Bedachtsamkeit. Auf dieser sicheren geistigen Grundlage konnte sich eine Fülle von hervorragenden Hymnen, Liedern und Gebeten für Liturgie und Völksfrömmigkeit entwickeln, die dem Volk Gottes bis heute vertraut und lieb sind. Maria kann die Konfessionen zur Einheit in Christus integrieren Unsere Hoffnung geht dahin, daß dieses leuchtende Bild einer gemeinsamen Mutter aller Christgläubigen in unseren Tagen dazu beitragen könne, die noch vorhandenen Unterschiede und Gräben zwischen den christlichen Kirchen und Gemeinschaften zu überwinden und eine vollständigere Einheit aller Christen Eures Landes und in aller Welt zu schaffen. Mit dieser Blickrichtung und von solchem Licht geführt seid Ihr auf Einladung der Ortskirche in Kevelaer zusammengekommen und herzlich aufgenommen worden. Hier hat sich über mehr als drei Jahrhunderte hin eine Form marianischer Frömmigkeit entwickelt, wie sie auch anderswo im deutschen Volk verbreitet ist. Hier am Niederrhein, in geographischer und geschichtlicher Nachbarschaft zu mehreren nordeuropäischen Ländern, vor allem im Bereich der heutigen Benelux-Staaten, hat dieser Wallfahrtsort seit dem Jahre 1642 viele Generationen von Pilgern vor Maria, der „Trösterin der Betrübten“, in Glaube und Zuversicht zusammengeführt. Nach der allgemeinen Katastrophe des 2. Weltkrieges gingen von hier aus erste Signale für Frieden und Versöhnung an die bis dahin verfeindeten Völker. Noch vor kurzem hatte auch ich die große Freude, an diesem Gnadenort zu weilen und den Schutz und die 1594 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Fürbitte Marias für die Menschen in ihren vielfältigen Lebenslagen zu erbitten. Der Mariologische Kongreß befaßt sich diesmal mit der Marienverehrung im 19. und 20. Jahrhundert bis zum n. Vatikanischen Konzil ausschließlich. Die zahlreichen bereits vorliegenden Beiträge zeigen wiederum, wie tief die Wahrheit von Maria und ihrem mütterlichen Wirken mit dem Leben der pilgernden Kirche verbunden ist. Der darauf folgende Marianische Kongreß, der siebzehnte in seiner Reihe, gibt eine weitere Probe dieser Verbindung, wenn er sein Thema behandelt: „Maria — Mutter der Gläubigen“. Dieses aktuelle Thema stellt der Kirche, der Gemeinschaft der Gläubigen, die Mutter des Herrn als Modell vor Augen. Auf ihrer irdischen Pilgerschaft dem endgültigen Tag des Herrn entgegen schreitet die Kirche auf dem Weg voran, den die Jungfrau Maria vor ihr gegangen ist, als sie im Glauben wuchs und immer tiefer mit dem Leben ihres Sohnes verbunden wurde. In der Kraft dieses Glaubens, den Elisabet preist, hat Maria ihre Sendung in der Heilsgeschichte angenommen und ist so ein Modell für jeden Christen geworden, ein Bild für die Heilssendung der ganzen Kirche. Der jeweilige Mariologische und der Marianische Kongreß sollen sich gegenseitig ergänzen und werden darum auch stets im Zusammenhang abgehalten; denn nach der Absicht ihrer Gründer und Ausrichter soll die Glaubensreflexion zum Gebet führen, so wie das Gebet zu weiterer Reflexion anregen will. Ein wichtiger Inhalt dieser beiden Kongresse, der auch von den getrennten Brüdern selbst erbeten worden ist und nunmehr bereits zu den Hauptthemen gehört, wird von der ökumenischen Sektion behandelt. Die aktive Teilnahme von Brüdern und Schwestern anderer christlicher Konfessionen sowie der Orthodoxie ist Grund zur Freude und Ermutigung. Die ernsthaften und verantwortungsbewußten Begegnungen seit dem Jahre 1965 haben das Verständnis füreinander so sehr vermehrt und vertieft, daß es nun leichter ist, die wahren Abstände in der Glaubenslehre und -praxis, die uns noch trennen, zu ermessen und auszusprechen, leichter aber auch, die Bereiche der Annäherung und Übereinstimmung aufzuzeigen. Das wichtigste bisherige Ergebnis ist wohl das Einverständnis, daß Maria ein bedeutender Platz innerhalb der gesamten Heilsordnung zukommt und daß es der ganzen Kirche nützt, wenn dieser Platz im Licht der Heiligen Schrift und der erläuternden Tradition möglichst umfassend beschrieben wird. Die ernste Absicht, das bisher gemeinsam Erreichte noch zu erweitern, gibt Anlaß zu berechtigter Hoffnung. Das Thema Marias, der gemeinsamen Mutter, lädt nun erneut dazu ein, nach vorne und über die Spaltungen hinaus zu schauen. Davon bin ich fest über- 1595 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zeugt: Auch die Kirche von heute braucht angesichts neuer Problemstellungen und Herausforderungen eine vertiefte und moderne Sicht von der Stellung der Gottesmutter in den Heilsplänen Gottes für unsere Zeit. Auf dem nicht leichten Glaubensweg heutiger Tage haben die Gläubigen ein Recht auch auf diese besondere geistige Nahrung. Möge es den beiden diesjährigen Kongressen gelingen, diese Erwartung im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu erfüllen. Im gegenwärtigen Marianischen Jahr stellt Eure Zusammenkunft eine besondere Stunde der Gnade und des Lichtes dar. Gegenüber den weltweiten Ängsten und Unsicherheiten der Gegenwart könnt Ihr ein Zeichen christlicher Zuversicht und Hoffnung aufrichten, wenn Ihr diese Tage lebt in der Offenheit für das Wirken des Heiligen Geistes, in der Bereitschaft, einander zu verstehen, im Willen, zu versöhnen und Wege zueinander zu eröffnen. Für all das erteile ich Euch allen in tiefer geistiger Verbundenheit und auf die gütige Fürsprache unserer Mutter Maria meinen besonderen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 29. August 1987 IOANNES PAULUS II Demütig auf der Suche nach Einheit Ansprache an die Vollversammlung von ARCIC II am 2. September Liebe Brüder und Schwestern in Christus, ich grüße Sie im Namen unseres Herrn Jesus Christus. Für die freundliche Einladung von Kardinal Willebrands möchte ich meinen Dank zum Ausdruck bringen, Ihnen anläßlich der Vollversammlung der II. Anglikanisch-Römisch-Katholischen Internationalen Kommission (ARCIC II) begegnen, zu können, hier im Sommersitz des Päpstlichen Englischen Kollegs, das so nahe bei meiner Sommerresidenz in Castel Gandolfo gelegen ist. Diese Begegnung bringt mir jenen Tag im Jahre 1982 in Erinnerung, als ich auf Einladung von Erzbischof Runcie nach Canterbury reiste. Zum damaligen Zeitpunkt wurde diese Kommission eingesetzt mit dem Auftrag, alle jene Themen zu prüfen, die einer engeren Gemeinschaft zwischen Christen römisch- katholischer und anglikanischer Konfession im Wege stehen. Mit der Veröffentlichung von ,,Salvation and the Church“ legte die Kommission das Ergebnis ihrer Arbeit zur Untersuchung der wesentlichen Streitfragen der Reformation vor. 1596 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ihre gegenwärtige Untersuchung zur Theologie der Gemeinschaft ist ebenso von großer Bedeutung. Ich habe die Hoffnung, daß Sie bei der Behandlung dieses Themas die Schritte zu jener Einheit erkennen können, die Christus für die will, die ihm folgen. Der Weg des Dialogs mag lang sein, aber wir dürfen den Mut nicht verlieren. Der Heilige Geist hat uns zu dieser ökumenischen Aufgabe gerufen, und er ist es, der uns mit seiner Gnade zu Hilfe kommen wird. Wir können Inspiration und Stärke aus den Worten des Propheten schöpfen: „Von jetzt an lasse ich dich etwas Neues hören, etwas Verborgenes, von dem du nichts weißt. Eben erst kam es zustande, nicht schon vor langer Zeit. Zuvor hast du nichts erfahren davon, damit du nicht sagst: Das habe ich längst schon gewußt“ (Jes 48,6-7). Dieses Isajaswort erinnert uns an die Demut, die von denen gefordert wird, die nach Einheit suchen auf dem Weg, der von Gott vorgezeichnet ist. Wir müssen Antwort geben mit einem Herzen, das offen ist für seine Gnade — jene Gnade, die uns zur Umkehr, zu neuem Verständnis und neuem Leben ruft. Meine Freunde: Ich versichere Sie meiner Gebete für Sie und für die bedeutsame Arbeit, der Sie sich widmen. Möge Gott Sie erleuchten und Ihre Überlegungen segnen, so daß Sie seinen Willen und seine Absicht erkennen. „Er aber, der durch die Macht, die in uns wirkt, unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder uns ausdenken können, er werde verherrlicht durch die Kirche und durch Christus Jesus in allen Generationen, für ewige Zeiten. Amen“ (Eph 3,20-21). Die Kirche muß für das Erbarmen Gottes Zeugnis oblegen Predigt bei der Bischofsweihe am 6. September 1. „Geht! ... Und sagt: Das Reich Gottes ist nahe.“ Diese Worte des heutigen Evangeliums nach Lukas, mit denen Christus 72 Jünger aussendet, werden mit derselben Eindringlichkeit und derselben Kraft in dieser Eucharistiefeier lebendig, während drei unserer Brüder dem Kollegium der Apostel eingereiht werden. „Geht! “ Das Bischofsamt ist sozusagen das Sakrament der Sendung. Und deshalb richten sich heute diese Worte unmittelbar an euch, meine lieben Brüder, Beniamino, Rene und Giulio; aber durch euch dringen sie in die Herzen aller, damit wir über die große Verantwortung und das außerordentliche Geschenk 1597 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nachdenken, die von Christus den Hirten seiner Kirche, ja der ganzen Kirche anvertraut worden sind: den Menschen das Reich Gottes zu verkünden. Der Herr Jesus sendet euch in einer Heilsmission, die seine mit der Menschwerdung begonnene Gegenwart in der Welt weiterführt und verlängert und die auch trotz der Vielfalt der kirchlichen Funktionen und Situationen die Früchte seiner Erlösung auf das ganze Menschengeschlecht anwendet und ausdehnt. 2. „Geht!“ Diese Heilsmission ist vor allem ein „Dienst, der uns durch Got- tes Erbarmen übertragen wurde“ (2 Kor 4,1), wie Paulus uns in der zweiten Lesung in Erinnerung ruft: „Durch Gottes Erbarmen“ (eM.) werden wir erwählt und gesandt als seine Stellvertreter und Diener; aber auch durch das Erbarmen, das die ganze Menschheit umfaßt, um sie zu der einen Familie, dem heiligen Gottesvolk, zu machen: sagt den Leuten: Das Reich Gottes ist euch nahe“ (Lk 10,9). Mit diesem Erbarmen blickt der Vater auf uns und umlangt uns, denn er hat uns durch den Tod und die Auferstehung Christi in der Kraft des Heiligen Geistes erlöst: „Wir verkündigen nämlich nicht uns selbst — iahrt der hl. Paulus fort —, „sondern Jesus Christus als den Herrn ... Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi“ (2 Kor 4,5 f.). Indem Ihr diese Mission annehmt, werdet ihr Hauptmitwirkende des göttlichen Erbarmens und durch den Dienst am Wort und die Feier der heiligen Liturgie zu Verkündern des Heils, das zu allen Menschen gekommen ist und noch kommen muß. „Die Kirche muß für das Erbarmen Gottes, das Christus in seiner gesamten messianischen Sendung offenbart hat, Zeugnis ablegen, indem sie es zunächst als heilbringende Glaubenswahrheit bekennt, die zugleich für ein Leben notwendig ist, das mit dem Glauben übereinstimmen soll, und dann sucht, dieses Erbarmen sowohl in das Leben ihrer Gläubigen als auch nach Möglichkeit in das aller Menschen guten Willens einzuführen und dort Fleisch werden zu lassen. Schließlich ... es angesichts aller Bedrohungen, die über dem gesamten Horizont des Lebens der heutigen Menschheit lasten, zu erflehen“ (Dives in misericordia, VII). 3. Aber ihr werdet auch zu Hauptverantwortlichen der Heilssendung, die Christus, Stifter und Haupt der Kirche, ihr und ihren Hirten als unverzichtbares Erbe anvertraut hat. An euch richtet sich deshalb in besonderer Weise das Wort Ezechiels: „Du aber, Menschensohn, ich gebe dich dem Haus Israel als Wächter“ (Ez 33,7). Auch von euch, von euren Worten, von eurem Dienst wird das Heil des Gottesvolkes abhängen. Ihr seid keine fernstehenden Zuschauer, wie es im übri- 1598 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gen nie ein mit der Gnade des Weiheamtes bekleideter Priester ist; sondern ihr seid von jetzt an ganz persönlich in jenes Heilsgeschehen miteinbezogen, zu dem Gott jeden und jede einzelne seiner Söhne und Töchter befragt, und er stellt sie vor die Entscheidung, seinem Ruf zu folgen. Diese Antwort wird zum Großteil auch von euch abhängen — auch wenn die letzte Verantwortung, wie Ezechiel sagt, eine persönliche, innere Angelegenheit ist, für die jeder ganz für sich allein Rechenschaft ablegen muß. „Ich gebe dich ... als Wächter ... Der Schuldige wird seiner Sünde wegen sterben. Von dir aber fordere ich Rechenschaft für sein Blut. Wenn du aber den Schuldigen ... gewarnt hast, ... hast du dein Leben gerettet“ (vgl. Ez 33,7-9). Diese Verantwortung ist mit dem dreifachen Amt („munus“) des Bischofs verknüpft, denn das Dienstamt, das Gottesvolk zu lehren, zu heiligen und zu leiten, hat keinen anderen Zweck, als „zum vollkommenen Menschen zu werden und Christus in seiner vollendeten Gestalt darzustellen“ (vgl. Eph 4,13). Da der Bischof wie das II. Vatikanum uns in Erinnerung ruft — „für die Seelen (der Gläubigen) Gott wird Rechenschaft ablegen müssen (vgl. Hebr 13,17), soll er für sie durch Gebet, Predigt und jederlei Liebeswerk Sorge tragen, desgleichen für jene, die noch nicht von der einen Herde sind und die er doch im Herrn als ihm anempfohlen betrachten soll. Da er wie der Apostel Paulus allen Schuldner ist, sei er bereit, allen das Evangelium zu predigen“ (Lumen gentium, Nr. 27). 4. An der Spitze der Befugnisse, die euch übertragen worden sind, stellt euch die Sendung, die ihr heute erhaltet, vollständig in den Dienst der Kirche. „Wir verkündigen nämlich nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu willen“ (2 Kor 4,5; zweite Lesung). Die Liebe zu den Menschen läßt sich in ein einziges Wort fassen: Dienst. Wie Christus, der nicht gekommen ist, „um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ {Mt 20,28). Wie Christus „gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ {Phil 2,8). Wie Maria, die Königin des Universums, weil „Magd des Herrn“ {Lk 1,38). So wie ich in der Enzyklika Redemptoris Mater geschrieben habe, ist „Maria die erste unter denen geworden, die ,Christus auch in den anderen dienen und ihre Brüder in Demut und Geduld zu dem König hinführen, dem zu dienen herrschen ist‘ {Lumen gentium, Nr. 36), und hat jenen ,Zustand königlicher Freiheit1, der den Jüngern Christi eigen ist, vollkommen besessen: Dienen bedeutetherrschen!“ (Nr. 41). Durch das Auflegen der Hände, liebe Brüder, werdet ihr in einer besonderen Weise durch das Vorbild Mariens Christus angeglichen, und darum seid ihr dazu bestimmt, euch von nun an mit Leib und Seele 1599 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN dem Dienst der Kirche zu widmen: „Wir verkünden ... uns aber als eure Knechte um Jesu willen“ (2 Kor 4,5). Liebe Brüder Beniamino, Rene und Giulio: „Geht“ also, „und sagt den Leuten: Das Reich Gottes ist euch nahe“ (Lk 10,3.9). Verkündigt das Erbarmen, seid Wächter, die das Volk Gottes aufrufen, sich zu versammeln, dient in der königlichen Freiheit, die den Jüngern Christi eigen ist. „Geht!“ 5. Bruder Beniamino, aus der Diözese Vittorio Veneto stammend, wo du Bischof Albino Luciani zum Vorbild hattest, bist du seit 17 Jahren direkter Mitarbeiter des Hl. Stuhls sowohl hier im Zentrum als auch in verschiedenen Apostolischen Nuntiaturen. Nun wirst du in die Zentralafrikanische Republik und in den Tschad gesandt als Repräsentant des Papstes und Diener des Hl. Stuhls. Diese Völker sind mir besonders teuer, auch weil ich mich immer noch an den zwar kurzen Aufenthalt in Bangui am 14. August 1985 erinnere, bei dem mich die tiefe Zuneigung der Christen und die aufrichtige Hochschätzung der Obrigkeiten und des Volkes umgaben. Du wirst diesen Missionskirchen helfen müssen, immer voll Hochherzigkeit und Enthusiasmus auch unter Schwierigkeiten aller Art ihrer Berufung zu entsprechen, in der Liebe, der Freiheit und der Gerechtigkeit zu wachsen und gleichzeitig die menschliche und soziale Entwicklung zu fördern. Du hast im wesentlichen die Mission, von der wir in den Schriftlesungen dieser Liturgie gehört haben: ständig auf dem Weg zu sein, die Fülle, die Christus ist, zu verkündigen, ohne Opfer zu scheuen. Er wird auf den steilen Pfaden mit dir sein. Sei diesen Gemeinden „Gesandte an Christi Statt, als ob Gott durch uns mahnt“ (vgl. 2 Kor 5,20)! 6. Lieber Bruder Rene, aus deiner Heimatdiözese Angers gekommen, aus dem kraftvollen und katholischen Anjou, hast du seit nunmehr 20 Jahren mit deinem ununterbrochenen und treuen Dienst für das Staatssekretariat wertvolle Arbeit geleistet. Von nun an widmest du dich als Rektor der herrlichen Saint-Louis-Kirche der Franzosen hauptsächlich der Seelsorge der französischsprachigen Gemeinde in Rom mit dem ganzen Reichtum ihrer kulturellen und geistlichen Tätigkeiten. Vor dir öffnet sich ein im wesentlichen pasto-raler Weg, der deiner Hingabe sicherlich nicht enden wollende Probleme bringen wird, ja sogar ständige Herausforderungen, wenn du den dringenden Bitten jener entgegenkommen willst, die sich an dein Amt um Hilfe wenden. Sei für sie die Stimme Gottes, der treue Diener Christi, der aufrichtige Freund aller. 7. Bruder Giulio, neben anderen Diensten an der Römischen Kurie hast du als Vizedirektor des Pressesaals des Hl. Stuhls der Kirche deine Mitarbeit ange- 1600 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN boten. Du konntest reiche Erfahrung sammeln, und deshalb wollte ich dir die teure Diözese Alba in Piemont anvertrauen. Die Geschichte dieser Kirche reicht ins 4. Jahrhundert zurück, und die Präsenz der christlichen Botschaft hat dort starke christliche Traditionen geschaffen, die sich manifestieren in einem hochherzigen Klerus, in einer Laienschaft, die sich der eigenen Rolle in Kirche und Gesellschaft voll bewußt ist, in einem lebendigen missionarischen Antrieb, in einem schönen Aufblühen der Ordensgemeinschaften, unter ihnen die Söhne und Töchter von Don Alberione, dessen Einfluß die Grenzen der Diözese überschreitet. So viele und so komplexe Kräfte werden deine Hirtensorge erfordern. Auf dich wartet das neue Arbeitsfeld, wo du deine menschliche Ausgeglichenheit, deine priesterlichen Fähigkeiten und deine Erfahrung anwenden kannst. Geh sicher und mit Zuversicht, sei der fürsorgliche Leiter dieser Diözese. „Eine einzige Familie bilden“ 8. , ,Geht! “Die Weihe der neuen Bischöfe, die sich in das Kollegium der Apostelnachfolger einreihen, ist ein grundlegender Akt der Kirche „in statu mis-sionis; sie ist das lebendige und ständige Zeugnis davon, ebenso die Gewißheit und Sicherheit für die Zukunft. „Die Ernte ist groß“ (Lk 10,2). Wenn ihr zum Gottesvolk geht, das auf euch wartet, tretet ihr in die Fußstapfen Jesu, des ersten „Gesandten“, der unter dem Unbefleckten Herzen Mariä durch das Wirken des Heiligen Geistes Fleisch angenommen hat und auf den Wegen des Menschen gegangen ist, um ihn bis zu Gott zu erheben, in ihm das von der Sünde befleckte göttliche Abbild wiederherzustellen und ihn der Freundschaft und Kindschaft des Vaters wiederzuschenken. Von heute an seid ihr noch enger mit seiner Sendung verbunden: „In der gegenwärtigen Weltlage — so erklärte das II. Vatikanum —, „aus der für die Menschheit eine neue Situation entsteht, ist die Kirche, die da ist Salz der Erde und Licht der Welt, mit verstärkter Dringlichkeit gerufen, dem Heil und der Erneuerung aller Kreatur zu dienen, damit alles in Christus zusammengefaßt werde und in ihm die Menschen eine einzige Familie und ein einziges Gottesvolk bilden“ (Adgentes, Nr. 1). Das erwartet euch, Brüder. „Geht! ... Und sagt: Das Reich Gottes ist nahe.“ Amen. 1601 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Allen alles werden Ansprache an die Missionare vom Heiligsten Herzen am 8. September Liebe Missionare vom Heiligsten Herzen! 1. Es ist mir eine große Freude, euch hier in Rom begrüßen zu können, wenige Tage vor meinem Besuch in den Vereinigten Staaten, einem der 36 Länder, in dem eure Kongregation arbeitet. Das gibt mir die Gelegenheit, euch um euer Gebet für das Gelingen dieser Reise zu bitten. Euer Generalkapitel hat euch aus verschiedenen Ländern und Kulturen hier zusammengerufen, um im brüderlichen Dialog und im Gebet über den Geist und die Aufgabe, die euch von eurem Gründer anvertraut wurde, nachzudenken. Ich danke eurem Generalobern für die freundlichen Worte, die er in euer aller Namen an mich hat richten wollen, und wünsche der ganzen Kongregation alles Gute. 2. Ich möchte mit euch über einige Punkte von besonderer Wichtigkeit für die Erfüllung eurer Aufgabe in der Kirche nachdenken. In der Tat ist die von eurer Kongregation geleistete apostolische Aufgabe eine kirchliche Mission, wie es ausdrücklich in euren Konstitutionen bekräftigt ist: „Unsere Aufgabe, als Missionare des Heiligsten Herzens für das Kommen des Reiches Gottes zu arbeiten, wird uns in der Kirche und durch die Kirche übertragen“ (Nr. 27). Euer Gründer, P. Jules Chevalier, war sich völlig der Implikationen des schönen Namens bewußt, den er euch gegeben hat: Missionare vom Heiligsten Herzen. Dieser Name war für ihn voller Bedeutung, und sein Wunsch war, daß er euch immer an den Lebensstil und die Aufgabe eurer Kongregation erinnere. Auch ich möchte euch heute dieses große Ideal wieder wärmstens ans Herz legen: Euer Leben und eure apostolische Arbeit müssen die überzeugte und eifrige Teilnahme an einem der größten Geheimnisse unseres Glaubens deutlich zeigen: jenem Geheimnis der Barmherzigkeit Gottes, der die Menschen liebt und sich selbst für ihr Heil hingibt. Ja, unser Herr ist die Liebe, und er hat diese Liebe in Jesus Christus durch sein menschliches Herz offenbart. Jesus selbst lädt uns ein: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen“ (Mt 11,28). 3. Eure spezielle religiöse Berufung weiht euch in besonderer Weise zur Teilnahme an der Mission Christi in unserer derzeitigen historischen Situation. Ihr seid berufen, diese Aufgabe mit aufrichtiger und uneigennütziger Liebe 1602 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN aufzunehmen, allen alles zu werden, besonders zugunsten seiner Lieblinge, der Armen und Kleinen. Jesus Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Wir müssen immer wieder die Menschen einladen, „auf den zu blicken, den sie durchbohrt haben.“ (Joh 19,37; Sach 12,10). Dieses geöffnete Herz, aus dem Blut und Wasser, die Symbole des sakramentalen Lebens der Kirche, geflossen sind, ist eine unerschöpfliche Quelle des Lebens. Euer Ordensgründer sah eine neue Welt, die dem Herzen unseres Erlösers entsprang, das auf dem Kalvarienberg durchbohrt wurde. Heute wünschen sich die Menschen überall verzweifelt eine neue Welt und ein neues Herz, das sie begeistere und führe. Als ich bei einer früheren Gelegenheit über das Heiligste Herz sprach, habe ich den Wert und die Praxis der Buße aufgezeigt, die als wesentliches Element dieser Andacht eng verbunden ist mit dem Wunsch und den notwendigen Bedingungen für den Aufbau einer neuen Welt: „Auf diese Weise — und dies ist die wahre Wiedergutmachung, die vom Herzen des Heilandes gefordert ist — wird auf den Ruinen des Hasses und der Gewalt die Gesellschaft nach dem Herzen Christi aufgebaut werden können“ {Brief an P. Peter-Hans Kolvenbach SJ, 5. Oktober 1986). Wiederholt habe ich in der Vergangenheit meine Überzeugung darüber ausgedrückt, daß diese Andacht zum Heiligsten Herzen mehr als je den Erwartungen unserer Zeit entspricht, und ich habe die Tatsache unterstrichen, daß die wesentlichen Elemente dieser Verehrung „beständig zur Spiritualität der Kirche im Laufe der Jahrhunderte gehören“ {ebd.). 4. Ich weiß, daß die Missionare vom Heiligsten Herzen auf allen Kontinenten der Welt arbeiten und daß ihr Apostolat oft sehr anspruchsvoll und schwierig ist, auch, daß es mitunter gefährlich ist für das eigene Leben. In der reichen, nunmehr einhundertdreißigjährigen Geschichte eurer Kongregation, haben viele eurer Mitglieder nicht gezögert, ihr Leben für ihre Brüder hinzugeben. Ich bitte euch eindringlich, eure missionarische Weltaufgabe mit Vertrauen und Großmut weiterzuführen. Euer Apostolat sei voller Stärke und Barmherzigkeit, immer in den Fußstapfen Christi, des guten Hirten, der nicht gekommen ist, „damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird“ {Joh 3,17), und der nicht gekommen ist, „um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ {Mt 20,28). Folgt ihm! Tut es ihm gleich! Seine Empfindungen seien die euren! 5. Ich möchte darüber hinaus auf eine besondere Aufgabe hinweisen, die euch obliegt, insofern ihr in vielen, nach Sitten und Kultur sehr unterschiedlichen Ländern, präsent seid: die Aufgabe, die Kultur und die Kulturen zu evan-gelisieren. Es ist meine Überzeugung, daß eine vollkommene Spiritualität, 1603 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN basierend auf einer Öffnung im Gebet und im Eifer für das Herz des Herrn, von erstrangiger Bedeutung für diese Aufgabe der Evangelisierung der Kulturen und der menschlichen Verhaltensweisen ist, damit sie mit der Lehre des Evangeliums in Übereinstimmung gebracht werden. Ich verweise nachdrücklich auf den Ausdruck „Öffnung im Gebet und im Eifer für das Herz des Herrn“, denn es wird euch unmöglich sein, als seine Missionare zu arbeiten, wenn ihr nicht als seine Jünger nahe an seinem Herzen lebt. Im Verlauf dieser wichtigen Tage, die dem Generalkapitel gewidmet sind, möchte ich mit euch im Gebet verbunden bleiben, in besonderer Weise im Gebet zu unserer Mutter Maria, der euer Gründer einen schönen, sehr bedeutsamen und gehaltvollen Ehrentitel gab: „Unsere Liebe Frau vom Heiligsten Herzen“. Mit solchen Wünschen und Empfindungen erteile ich euch, allen Mitgliedern der Kongregation, euren Angehörigen, Freunden und Wohltätern meinen allumfassenden und von Herzen kommenden Segen. Christus führt in die Wahrheit ein Ansprache an die Mitglieder der. Pax Romana am 25. September Herr Kardinal, liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich freue mich, Sie alle, die Sie an dieser 25. Vollversammlung der Internationalen Bewegung katholischer Intellektueller (MÜC-Pax Romana) teilnehmen, hier zu empfangen und spreche Ihnen meine herzlichen Glückwünsche zum vierzigjährigen Jubiläum Ihrer Bewegung, im traditionellen Rahmen der Pax Romana, aus. Ich danke Ihrer Präsidentin Frau Manuela Silva für die liebenswürdigen Worte, die sie in Ihrer aller Namen an mich gerichtet hat. 2. Ihre Anwesenheit in Rom bei dieser Gelegenheit zeugt von Ihrem Wunsch nach Treue zum Stuhl Petri. So erweisen Sie ihm die Ehre, im Geist der Verfassung der Pax Romana selbst. Ich kann den Umstand nicht übergehen, daß Sie sich in Rom gerade kurz vor Beginn jenes wichtigen kirchlichen Ereignisses, der Versammlung der Bischofssynode, zusammengefunden haben, die dem Thema „Berufung und Sendung des Laien“ in Kirche und Welt, zwanzig Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil gewidmet sein wird. Die Entwicklung der Pax Romana war eng verbunden mit dem weitgreifenden Prozeß, den man „Förderung des Laien“ 1604 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN genannt hat und der durch die Ekklesiologie der „communio“ des Konzils selbst vertieft und erhellt worden ist. Entstehung und Entwicklung der Pax Romana und der verschiedenen Bewegungen, aus denen sie besteht, waren in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts ein Zeichen — neben anderen — der zunehmenden Kraft des Laienapostolats, der Bedeutung der apostolischen Vereinigungen der Gläubigen, ihrer Internationalisierung, die mit der historischen Entwicklung der Kirche und der internationalen Institutionen einherging, der klaren Bejahung der christlichen Würde und der vollen Teilnahme der Laien an der Gemeinschaft der Kirche, an der missionarischen Verantwortung. Pax Romana hat bedeutende Beiträge zu diesem Prozeß geleistet. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß sie dem Verlauf des II. Vatikanischen Konzils, an dem mehrere ihrer Leiter als Beobachter aus dem Laienstand teilgenommen haben, eine lebhafte Aufmerksamkeit geschenkt hat. Nach stürmischen Zeiten eine Konsolidierungsphase eröffnen 3. Es ist aber auch wahr, daß sich ein gewisser Gegensatz aufgetan hat zwischen den Hoffnungen und der Begeisterung, die das Konzil hinsichtlich des organisierten Laienapostolats geweckt hatte, und der tiefen Vereinskrise, welche die Kirche seit dem Ende der sechziger Jahre im Verlauf einer ersten höchstwichtigen, fruchtbaren und stürmischen Phase des Nachkonzils durchlebt hat. Viele Vereinigungen sind unter Schwierigkeiten durch diese Übergangssituation gegangen, die ihre Ausrichtung, ihr Wesen und ihre weitere Ausbreitung auf die Probe stellte. Wir können uns jetzt darüber freuen, daß die MIIC nach einer Zeit der Schwächung nun schon seit einigen Jahren Zeichen der Lebendigkeit und des Fortschrittes erkennen läßt, die Sie von dieser Versammlung ab festigen und Frucht bringen lassen wollen. 4. Ihr vierzigjähriges Jubiläum findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem sich Ihre Bewegung bemüht, den Austausch und eine immer fruchtbarere Zusammenarbeit unter den Gruppen der katholischen Intellektuellen und freiberuflich Tätigen zahlreicher Länder voranzutreiben sowie die Tätigkeit Ihrer internationalen Sekretariate, insbesondere der Künstler, Juristen, Ingenieure und Naturwissenschaftler, stärker zu entwickeln. Außerdem arbeiten Sie aktiv bei der O.I.C.-Konferenz und bei nicht regierungsabhängigen Organisationen mit, um einen christlichen Beitrag zur Lösung der großen Fragen zu liefern, die sich auf der Ebene des internationalen Lebens stellen. 1605 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 5. Die besonders interessante Thematik, die Sie für den Austausch in Ihren Versammlungen gewählt haben, lädt Sie dazu ein, „heute auf die Herausforderung des Morgen zu antworten. Sie nehmen sich vor, das Drama der Armut und des Hungers zu untersuchen sowie den Abgrund, der sich zwischen Reichen und Armen in unserer Welt auftut, die neuen Fragen, welche die technologische Revolution und die unkontrollierte Verstädterung aufwerfen, das demographische Problem mit seinem starken Wachstum und seinem gefährlichen Rückgang je nach Region, den Rüstungswettlauf und die Herrschaftsformen, das ökologische Ungleichgewicht, die Krise des politischen, des Finanz- und internationalen Wirtschaftssystems, die Verachtung der Menschenrechte, die Religionsfreiheit. Ich möchte meinerseits nur einige Grundhaltungen hervorheben, die Ihr Vorgehen als katholische Intellektuelle inspirieren können, wenn Sie Ihren Beitrag zur Errichtung einer gerechteren und friedlicheren, für die Wahrheit und die Liebe aufgeschlosseneren, einer der vollen Würde des Menschen gemäßeren Welt leisten. Sie bilden eine Bewegung katholischer Intellektueller: Es ist klar, daß die Tatsache, daß Sie katholisch sind, die Substanz Ihres Lebens und Ihrer Überzeugungen bildet. Sie stellen Ihre Talente, die durch höhere Studien und Spezialausbildung fruchtbar gemacht worden sind, in den Dienst Ihres Zeugnisses als Christen. Intellektuelle Eitelkeit darf nicht zu Selbsterlösungsversuchen führen 6. „Jünger Christi sein“ läßt sich nicht auf einen Diskurs intellektueller Ordnung und noch weniger auf eine Ideologie reduzieren. Es handelt sich um die persönliche Begegnung mit dem Herm, die dazu führt, daß man Glied seines Leibes wird. Weil wir in der Gemeinschaft der Kirche die Erfahrung der Umwandlung unseres Lebens machen, gerade darum können wir die Möglichkeit der Bekehrung des Menschenherzens und einer positiven Entwicklung im Leben der Welt erkennen. Die katholischen Intellektuellen verwechseln in ihren Bemühungen um eine Veränderung der Welt ihre Hoffnung nicht mit einer humanitaristischen Schwärmerei für den Fortschritt oder mit innerweltlichen Messiaserwartungen, sondern leben als neue Menschen, die Christus angezogen haben, als Zeugen der wirksamen Kraft der Auferstehung, welche die Dynamik ist, die die Geschichte der Menschen bestimmt. Dank der Kraft dieser Begegnung mit dem Herrn wird der Durst nach Wahrheit gestillt, der im Herzen eines jeden nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen und zu seiner Schau „von Angesicht zu Angesicht in der Liebesgemeinschaft berufenen Menschen wohnt. Christus, der unsere Wahrheit ist, führt uns in die ganze Wahrheit ein. 1606 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Auf diesem Weg haben wir froh und vertrauensvoll an der Wahrheit Christi teil, indem wir dem Lehramt der Kirche die Treue halten. Diese Treue ist gewiß kein Hindernis für unsere Freiheit, sondern ganz im Gegenteil ein Antrieb und ein Licht, um unsere Freiheit zu festigen, um unsere Forschungen auf eine tragfahige Grundlage zu stellen, um uns dafür einzusetzen, in den konkreten Tätigkeiten das Wohl der Menschen zu fordern. Ich lade Sie noch dazu ein, Zeugnis von einem gelassenen und gemeinsamen Anhängen an die von Gott in Jesus Christus geoffenbarte Wahrheit abzulegen, die seiner Kirche, welcher der Heilige Geist beisteht, anvertraut ist und die durch die Nachfolger der Apostel, die in Gemeinschaft mit dem Stuhl Petri stehen, gelehrt wird. 7. In diesem Sinne müssen die katholischen Intellektuellen stets den Gefahren widerstehen, die auf sie lauem können: Einerseits der ideologischen Versuchung, die sie dazu führen würde, die Glaubenswahrheiten ihren eigenen intellektuellen Kategorien zu unterwerfen und somit den mächtigen Instrumenten der kulturellen Manipulation, die unsere Zeit kennt, auszuliefem. Es braucht eine Askese des Verstandes, des Dieners der Wahrheit, der durch seine Verwurzelung im Geheimnis der Gemeinschaft der Kirche belebt und gestärkt wird. Die Skepsis stellt eine andere Versuchung dar, nämlich diejenige, die Spannung der Suche nach der Wahrheit aufzugeben. Der Intellektuelle würde sich dann mit einem Pragmatismus ohne Ideal begnügen, mit einer nihilistischen und zynischen, im Grunde narzißtischen Haltung. 8. Im Gegenteil: Sie begeistern sich für alles, was das menschliche Abenteuer ausmacht, für alles, was das Gute, die Schönheit, die Wahrheit im Leben der Menschen ausdrückt, um sich im Geist der Solidarität die konkreten Bedürfnisse und Hoffnungen der Völker, insbesondere der Ärmsten, zu eigen zu machen. Sie besitzen als Führer in diesem solidarischen Engagement, durch das Sie Ihre intellektuellen und beruflichen Fähigkeiten in den Dienst aller stellen wollen, einen grundlegenden Schlüssel der Unterscheidung. Christus hat uns, indem er die barmherzige Liebe Gottes offenbart hat, auch das wahre Antlitz des Menschen, seine Berufung und Bestimmung, die Züge, welche seine volle Würde ausmachen, geoffenbart. Diese christliche Anthropologie erspart uns nicht Studien und Forschungen, Dialog und Gegenüberstellung, aber sie ist die Grundlage jedes echten Dienstes für das Wohl der Menschen und insbesondere das Herz der Soziallehre der Kirche. Es geht nicht nur darum, diese Prinzipien kohärent zu verkünden, sondern auch, sie in ein fruchtbares Gespräch mit den Gegebenheiten der Kulturen 1607 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und Wissenschaften unserer Zeit zu bringen, um Hypothesen zur Analyse und Vorschläge für die gesellschaftliche Umwandlung vorzulegen. Die Instruktionen der Kongregation für die Glaubenslehre Libertatis nuntius und Libertatis conscientia bieten in diesem Punkt wertvolle Führung und Orientierung. Auf der Grundlage des Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzips muß man sich auch für die Errichtung eines Gesamts von gesellschaftlichen Realisationen einset-zen, die den konkreten Bedürfnissen der Menschen und Gruppierungen entsprechen und die Wirksamkeit der Präsenz der Christen bekunden. Ein Glaube, der nicht aktiv Kultur wird — darauf habe ich schon wiederholt hingewiesen —, ist ein Glaube, der nicht hinreichend aufgenommen, nicht tief durchdacht und nicht voll gelebt wird. 9. Ich ermutige darum Ihre Bewegung und jedes ihrer Mitglieder, kühne Förderer der Inkulturation des Glaubens in den verschiedenen Milieus zur Schaffung und Verbreitung der Kultur zu sein; und gleichzeitig die ganze Kultur sowie jede menschliche Situation zu evangelisieren, wie mein Vorgänger Paul VI. sagte: „Es geht (auch) darum, .... zu erreichen, daß durch die Kraft des Evangeliums die Urteilskriterien, die bestimmenden Werte, die Interessenpunkte, die Denkgewohnheiten, die Quellen der Inspiration und die Lebensmodelle der Menschheit, die zum Wort Gottes und zum Heilsplan im Gegensatz stehen, umgewandelt werden“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 19). Die kommende Synode wird diese wichtigen Aufgaben der Laien und unter anderen jene der katholischen Intellektuellen gewiß nicht vernachlässigen. Nehmen Sie sich in diesem Marianischen Jahr mehr denn je die allerseligste Jungfrau Maria zum Vorbild, die stark war durch ihren demütigen Gehorsam und durch ihr Vertrauen in die Pläne Gottes! Allen erteile ich von ganzem Herzen meinen Apostolischen Segen. Zwei Arten von Wissenschaft — Naturforschung und Theologie Ansprache an die Teilnehmer eines Kongresses aus Anlaß der Newton-Publikation „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“ vor 300 Jahren am 26. September 1. Unsere Begegnungen heute morgen möchte ich gerne als Dialog zwischen Kirche und akademischer Welt betrachten, die — jede in ihrem je eigenen Bereich — große Verantwortung vor Gott tragen. Sie standen über Jahrhunderte 1608 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN in enger Beziehung: die gelehrte Welt der Akademie, die auf die Ursprünge rationalen Wissens zurückgeht — so wie, die Kirche auf die Lehre Jesu Christi, das letzte und unendliche Wort Gottes, der den Bund vollendet, den Gott mit der Menschheit seit Anbeginn geschlossen hat. Durch Jahrhunderte hindurch gab es bei diesen Kontakten wechselseitige Unterstützung; seit der sogenannten „wissenschaftlichen Revolution“ jedoch im frühen 17. Jahrhundert entwickelte sich eine wachsende Entfremdung. Heute treffen wir uns aus Anlaß des 300. Jahrestages der Veröffentlichung von Isaac Newtons „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“; da wir uns dem Jahrzehnt nähern, das dieses Jahrtausend beschließt, ist es sicher angebracht, miteinander eine Reihe von Überlegungen anzustellen über die Beziehung, die zwischen Glauben und Wissenschaft nach der gesunden Lehre der Kirche gelordert werden sollte. Bei dieser Gelegenheit möchte ich der Vatikanischen Sternwarte ein besonderes Wort des Dankes sagen, die seitens des Hl. Stuhls Gastgeber ist und viele Monate die Gedächtnisfeier dieses historischen Ereignisses sorgfältig vorbereitet hat. Ich bin auch für die Hilfe der anderen Sponsoren dankbar, namentlich der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, dem Päpstlichen Kulturrat, der Päpstlichen Universität Gregoriana und der Päpstlichen Akademie für Theologie in Krakau. Ihre hochherzige Hilfe und Förderung werden von uns sehr geschätzt. Ich möchte besonders auch die Mitglieder des Kardinalskollegiums und die Mitglieder des Diplomatischen Corps begrüßen. Ich bin Ihnen allen dafür dankbar, daß Sie heute durch Ihre Anwesenheit Ihr Interesse und Ihre Unterstützung zum Ausdruck bringen wollen. 2. Ein Charakteristikum unserer Welt ist ihre Schwierigkeit, die Zersplitterung im Bereich des Wissens wie auch im gesellschaftlichen Leben zu überwinden . Selbst in der akademischen Welt hält sich zu oft hartnäckig eine Trennung von Wissen und Werten; eine gewisse Abschottung ihrer verschiedenen Bildungsbereiche — wissenschaftlich, humanistisch und religiös — macht eine gemeinsame Verständigung schwierig, wenn nicht sogar manchmal unmöglich. Und doch, fast als Kontrapunkt können wir wohl in jedem unserer Bereiche, vor allem im letzten Jahrhundert eine wachsende Suche nach Einheit entdeckten, weil diese ein „Prädikat“ von Wahrheit ist. Zur Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen und diese zu verkünden, ist unser gemeinsames Ziel: die akademische Welt tut dies, indem sie forscht und die Gesetzmäßigkeiten der natürlichen Ordnung zueinander in Beziehung setzt; die Kirche tut es, indem sie — in der Verschiedenheit ihrer Kulturen — Zeugnis ablegt für die Einheit des Geistes des lebendigen Gottes. 1609 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3. Wie nie zuvor in ihrer Geschichte, ist die Kirche in eine Bewegung für die Einheit aller Christen eingetreten, indem sie gemeinsames Studium, Gebet und Diskussionen fordert, denn „alle sollen eins sein“ (Joh 17,20). In den zurückliegenden Jahrzehnten sind wir innerhalb der Kirche Zeuge einer dynamischen Tendenz in so vielen Erscheinungsformen gewesen, die das Ziel verfolgte, Versöhnung und Einheit zu fordern. Eine solche Entwicklung sollte auch nicht überraschen. Indem sie sich so nachdrücklich in diese Richtung bewegen, erkennen die Christen mit größerer Intensität das Wirken Christi in der Kirche: „Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat“ (2 Kor 5,19). Gerade unser Kirche-Sein erfordert diese ständige Hingabe, „um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“ {Joh 11,52). Ringen um Einheit auch bei den Naturwissenschaften 4. Die Suche nach Einheit sollte auch beachtet werden in den Bemühungen, die von Wissenschaftlern in der Physik, der Biologie und den Sozialwissenschaften entfaltet werden — Bemühungen, die unternommen werden als Antwort auf das Bedürfnis, die Zersplitterung im Bereich des Wissens zu überwinden und einen höheren Grad an Integrierung zu erreichen, um so der Einheit der Wahrheit näherzukommen. Wenn man als Beispiel die gegenwärtige Physik nimmt, so hat der Versuch, die vier fundamentalen physikalischen Kräfte — Schwerkraft, Elektromagnetismus, die starken und die schwachen nuklearen Interaktionen — zu verbinden, einen zunehmenden Erfolg erfahren. In einer Welt solch eingehender Spezialisierung wie der heutigen Physik gibt es diesen grundlegenden Fortschritt, der alles in eine Konvergenzbewegung bringt. Brücken zu bauen zwischen verschiedenen Bereichen wissenschaftlichen Wissens versuchte mit nicht geringerem Erfolg die Allgemeine Systemtheorie, die isomorphische Strukturen erkennt zwischen der Physik, der Biologie und sogar den Sozial Wissenschaften, und so einen Fortschritt gegenseitigen Verständnisses ermöglicht, der aus Verbindungen entsteht und Verbindungen schafft. 5. Dieser Prozeß lenkt Spezialisierungen von großer Divergenz zur Einheit. Und diese führt auch die Wissenschaftler in eine durchaus menschliche, wissenschaftliche Gemeinschaft, die Gestalt erhält durch gemeinsame Bemühung und begünstigt wird durch gemeinsame Interessen Und wissenschaftlichen Austausch. Die wissenschaftliche Welt entdeckt ihre vollere Einheit in dem Maße, wie sie weitere Horizonte des Wissens integriert auf ihrem Weg zu der einen Wahrheit. Die Kirche ihrerseits erfährt ihre Einheit, wenn sie den- 1610 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN selben Glauben bekennt, sogar in der legitimen Verschiedenheit seiner Ausdrucksformen. Jetzt fragen wir uns vielleicht, ob diese dynamischen Tendenzen hin zu Einheit und Wahrheit in unseren beiden Bereichen einen Schnittpunkt erreichen oder nicht? Ist das Christentum bereit, eine tiefere Zusammenarbeit mit der Wissenschaft zu entwickeln, einen fruchtbareren Austausch, in dem beide unter vollständiger Wahrung ihrer jeweiligen Identität eine günstige Entwicklung nehmen können. Ist die wissenschaftliche Welt bereit, enger mit anderen Bereichen — den religiösen eingeschlossen — zusammenzuarbeiten, über Religion nicht zu urteilen, sondern mit der Kirche am Aufbau einer Kultur zu arbeiten, die mehr in Einklang mit der menschlichen Würde steht? Neutralität oder Desinteresse ist zwischen uns nicht mehr möglich. Menschen leben, wenn sie normal und reif sind, nicht in zwei oder drei verschiedenen Welten. Sie können nicht in vielen abgetrennten oder hermetisch versiegelten Bereichen leben, in denen sie divergierende Interessen verfolgen und von denen aus sie ihre Welt bewerten und beurteilen. 6. Aber die Suche nach Einheit im Bereich zwischen Wissenschaft und Glaube entspricht nicht nur einem subjektiven Bedürfnis nach Harmonie — sie entspricht geradezu der Struktur der Erkenntnis selbst, wie die katholische Kirche immer gelehrt hat. In der Neuzeit hielt es die Kirche mitunter für notwendig, vor dem Anspruch experimenteller Wissenschaft zu warnen, das Monopol objektiver Erkenntnis zu besitzen. In der gegenwärtigen Phase der Geschichte müssen Mißverständnisse — welcher Art auch immer sie sind — überwunden werden. Die Begründer der i,neuen Wissenschaft“ — Kopemikus, Galileo, Bacon, Kepler, Descartes, Newton und andere — gründeten das Wissen auf experimentelle Versuche und formulierten die Ergebnisse ihrer Versuche mit Hilfe der mathematischen Logik. Beobachtungen, die nicht in ein abstraktes mathematisches Modell paßten, wurde keine Beachtung geschenkt. Enorme Fortschritte wurden in der Physik erzielt. Dieser Fortschritt führte jedoch zu der Tatsache, daß das vorherrschende Modell wissenschaftlichen Wissens die mechanistische Erklärung des Universums war. Durch Reduzierung von Wissenschaft auf das, was gemessen, analysiert und rekonstruiert werden kann, in ein mathematisches Gefüge von Beziehungen, wurde Philosophie und vor allem Theologie aus dem Bereich wissenschaftlichen Wissens verbannt. Es ist wahr, daß historisch die verschiedenen Wissenszweige sich von der Theologie emanzipierten, insofern die Theologie ein allumfassendes System der Erklärung sogar der physikalischen Welt gewesen war. Daher bestreitet in 1611 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN diesem Sinn niemand, daß die Anwendung der experimentellen Methode zu Fortschritten in beiden Bereichen führte — den gerade emanzipierten Wissenschaften und dem der Theologie selbst, die nun gezwungen war, den spezifischen Gegenstand ihres Erkenntnisbemühens zu präzisieren. Andererseits kann man nicht bestreiten, daß die experimentelle Wissenschaft sich selbst der Möglichkeit, das grundlegende Sein zu erkennen — die ganze Wirklichkeit, die das Geheimnis Gottes einschließt — beraubt, indem sie jedwede Absicht, zum Wesen der Dinge vorzudringen, aufgibt und sich daher selbst auf das Messen von quantitativen Größen beschränkt. In der Tat — die wissenschaftliche Revolution ignorierte die Wirklichkeit Gottes und vertrat zum größten Teil die voreingenommene Auffassung, daß Gott und die allem zugrundeliegende Wirklichkeit jenseits des rationalen Wissens seien. 7. An diesem Punkt möchte ich daran erinnern, daß die katholische Kirche daran festhält, daß eine derartige Verengung der Perspektive rationaler und wissenschaftlicher Erkenntnis nicht der wahren Bestimmung menschlichen Erkenntnisvermögens entspricht, denn der Mensch ist als Einheit geschaffen in seinen verschiedenen Fähigkeiten, das Wirkliche zu erkennen — seien sie nun analytischer oder synthetisierender Art, induktiv oder deduktiv, beobachtender oder intuitiver Natur. Die Kirche hat beim Ersten Vatikanischen Konzil gelehrt und vertritt diese Auffassung weiter, daß Gott, der Schöpfer aller Dinge, der das Universum durch seinen Logos lenkt, auch durch die Erkenntnisbemühungen der menschlichen Vernunft erkannt werden kann, wenn sie nach ihm sucht und sich der Analogie natürlicher Erkenntnis bedient und wenn sie die Verbindungen der Geheimnisse untereinander betrachtet und ihre Beziehung zum letzten Ziel der Menschheit. Theologie ist eine bestimmte Art und Weise der Erkenntnis derselben Wirklichkeit, die die Vernunft mit Hilfe einer wissenschaftlichen Methode erforscht. Wissenschaft verändert ihre Methoden und erzielt neue Ergebnisse. Aber ihr Erkenntnis-Objekt bleibt dasselbe. Wir sind der Auffassung, daß dieses Erkenntnis- und Forschungsziel nicht manipuliert und auch nicht a priori auf ein mathematisches Modell reduziert werden darf, sondern das Ganze der Wirklichkeit einschließen muß. Theologie ist eine Offenbarungswissenschaft Theologie ist ein dauerndes Bemühen des Glaubens auf Selbstreflektion und Zur-Sprache-Bringen hin. Theologie bedeutet fides quaerens intellectum (Glaube, der zu verstehen sucht). Das setzt eine Methode voraus, die grund- 1612 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sätzlich schon im Ausgangspunkt von der experimentellen Methode verschieden ist. Theologie befaßt sich in erster Linie mit dem Studium des Wortes Gottes, wie es im Bund der Schöpfung und in der Heilsökonomie bekundet wird. Theologie gründet aber vor allem auf folgender Tatsache: „In dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, der er zum Erben des Alls eingesetzt und durch den er auch die Welt erschaffen hat“ (Hebr 1,2). Theologie heißt, die Wahrheit, die Gott uns offenbart hat, fortlaufend mit dem Wissen zu vergleichen, das wissenschaftliche Forschung einbringt. Theologie hat zur Konsequenz, die von Gott uns offenbarte Wahrheit dem Wissen gegenüberzustellen, das wissenschaftliche Forschung erbringt. Die Wirklichkeit ist eine einzige und die Wahrheit ist eine einzige und wir vertreten die Auffassung, daß es ein eigentliches Suchen nach Einheit im Wissen gibt — von seiten der experimentellen Wissenschaft oder der Theologie. Gott hat die Natur erschaffen und ihr letztes Ziel offenbart. Daher ist Theologie eine Wissenschaft, die Wissenschaft von der grundlegenden Wirklichkeit und die Deutung der Gesamtheit menschlichen Wissens und menschlicher Erfahrung aus dem Gesichtspunkt jener letzten Realität, zu der die Vernunft allein nicht gelangen kann. 8. In ihrem eigenen Bemühen unterhält die Theologie einen lebendigen und beständigen Dialog mit der Kultur ihrer Zeit. Unsere Zivilisation gibt Zeugnis von der Tatsache, daß es von Anfang an einen fruchtbringenden geistigen Austausch zwischen dem christlichen Glauben und der griechisch-römischen Kultur gab. Die Theologie soll nicht unterschiedslos jede neue philosophische oder wissenschaftliche Theorie in sich aufnehmen. Da diese Ansätze jedoch Teil der geistigen Kultur der Zeit werden, müssen Theologen sie verstehen und ihren Wert prüfen, indem sie bis jetzt unerkannte Möglichkeiten, die im Ganzen des christlichen Glaubens mitenthalten sind, bewußt machen. Es kann keinen Widerspruch geben zwischen den Ergebnissen, die durch die analytische Vernunft erzielt werden und solchen, die eine vom Glauben erleuchtete und geleitete Vernunft gewinnt. Das Zweite Vatikanische Konzil stellte fest: „Vorausgesetzt, daß die methodische Forschung in allen Wissensbereichen in einer wirklich wissenschafüichen Weise und gemäß den Normen der Sittlichkeit.vorgeht, wird sie niemals in einen echten Konflikt mit dem Glauben kommen, weil die Wirklichkeiten des profanen Bereichs und die des Glaubens in demselben Gott ihren Ursprung haben.“ (Gaudium et spes, Nr. 36). Aus ihrer Erfahrung weiß die Kirche, daß Vernunft und Glaube aufeinander bezogen werden müssen. Vernunft ohne Glaube ist flacher Positivismus oder Szientismus. Wir wissen um deren Unvermögen, Antworten auf die letzten Fragen zu geben, jene Fragen, die wirklich eine Antwort verlangen: der 1613 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Sinn des Lebens, das Ziel der Schöpfung etc. Dieser Ansatz, der durch seine willkürlichen Annahmen auf sich selbst verwiesen ist, hat uns eine Welt ohne Einheit oder Harmonie beschert. Andererseits widerspricht Glaube ohne Vernunft der Einheit von Gottes Schöpfung, denn Gott gab uns ein einziges Erkenntnisvermögen, das so angelegt ist, daß es als Zustimmung zu den Ergebnissen der Naturwissenschaft oder als Zustimmung zum Wort Gottes eingesetzt werden kann. Vernunft, die durch den Glauben geleitet wird, reduziert nicht den Bereich rationalen Wissens auf einen engen Natürbegriff. Bei den Kirchenlehrern schließt „Natur“ das Sichtbare und Meßbare ein, aber niemals getrennt vom Geheimnis. Der ewige Logos Gottes ist einbezogen, durch den alles Seiende geschaffen wurde und der sich selbst offenbarte, indem er einer von uns wurde in Jesus Christus. Wissenschaftliche Teilerkenntnisse in ganzheitlichem Sinngehalt In Christus erfuhren wir: „Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott zu erkennen“ (Joh 17,3). Ja, das letzte Ziel der Erkenntnis besteht darin, Gott zu erkennen; und die Erfahrung der Liebe ist die höchste Form des Wissens und der Erkenntnis, die das nicht bestreitet, sondern zur Erfüllung bringt, was unvollständige oder partielle Erkenntnis erbringt. Daher sind Glaube und Wissenschaft wesentlich auf dasselbe Ziel hingeordnet — die letzte Wahrheit, die Gott selbst ist. Der Mensch hat von Gott, seinem Schöpfer, die Fähigkeit zu beidem erhalten, zu erkennen und zu glauben. Wenn wir uns an Newtons Meisterwerk erinnern, dürfen wir Gott danken, daß der Fortschritt der Wissenschaft es in unserer Zeit ermöglicht hat, Hürden zu überwinden, die künstlich zwischen Glauben und rationalem Wissen errichtet worden waren. Es ist unsere Überzeugung, daß wir in der Erkenntnis unserer ganzheitlichen Einheit als Person wohl die Fähigkeit haben, immer mehr die innere Verbindung zwischen der Wissenschaft vom göttlichen Ursprung und Ziel aller Dinge und der Wissenschaft von ihren Funktionen und wechselseitigen Beziehungen zu vertiefen; letztere ist jene Wissenschaft, die rational die Schöpfung erforscht, die „sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes (wartet)“ (Rom 8,19). Möge der Herr Ihre aktuellen und zukünftigen Arbeiten segnen, und sein Geist Sie bei Ihrer schwierigen, aber unerläßlichen Aufgabe leiten. 1614 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kiewer Rus: orthodox im Glauben, katholisch in der Liebe Ansprache an die Synode der ukrainischen Bischöfe am 29. September Herr Kardinal, liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Mit euren Beratungen und Diskussionen bei der fünften Bischofssynode der katholischen Kirche der Ukraine, die im Vatikan stattgefunden hat, habt ihr eurer Tausendjahrfeier der Taufe der Kiewer Rus einen Anfang setzen wollen. Ich bin froh, mich zum Abschluß dieser Synode mit euch treffen zu können und mich durch euch mit der ganzen katholischen Kirche der Ukraine verbunden zu fühlen. So können wir die Freude dieses tausendjährigen Jubiläums miteinander teilen, das auch von anderen Völkern und kirchlichen Gemeinschaften gefeiert wird, die ebenfalls ihre geistigen Wurzeln in der Taufe der Kiewer Rus finden. Bereits zu Beginn meines Pontifikats hatte ich den Wunsch geäußert, in Verbindung mit der Tausendjahrfeier eine geistige Pilgerfahrt zu den Orten zu unternehmen, die die Wiege der Kirche der Kiewer Rus waren. Zum heutigen Abschluß der Fünften Ukrainischen Bischofssynode, die den Anfang zu eurer Tausendjahrfeier setzt, möchte ich euch die geistige Teilnahme der ganzen katholischen Kirche kundtun, die in den vorgesehenen Feiern im Juli des kommenden Jahres in Rom ihren Höhepunkt finden wird. „Ihr seid Söhne der christlichen slawischen Völkerfamilie“ 2. Der Papst, der zu euch spricht und der als Bischof bereits den tausendsten Jahrestag der Kirche seines Vaterlandes erlebt hat, möchte gemeinsam mit der ganzen Weltkirche hier in Rom, am Grab des heiligen Petrus, in dessen Nähe sich auch das des heiligen Josaphat befindet, ein feierliches „Te Deum“ an-stimmen. Und wie innig küßt im Geiste dieser Papst, euer Bruder, jene Erde von Kiew vor dem Thron der liebevoll besorgten Helferin der Christen bei der „Unzerstörbaren Wand“! Ihr seid ein blühender Teil der Weltkirche, der aus dem tausendjährigen Erbe der Taufe des heiligen Wladimir und der heiligen Olga entwachsen ist. Ihr gehört zu jener katholischen Gemeinschaft, die, geographisch im Herzen des europäischen Kontinents gelegen, bedeutsam ist durch die oft dramatischen und vom Martyrium gezeichneten Ereignisse eurer Geschichte. Ihr seid Söhne der großen Familie der christlichen slawischen Völker. Aus all diesen Gründen möchte der Papst, der wie ihr Slawe ist, sich mit den eigenen Brüdern zusammenfinden. 1615 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das Geschenk der heiligen Taufe vor zehn Jahrhunderten hat die Kirche der Kiewer Rus ins Leben gerufen. Der Bischof von Rom ist nun bei euch, er freut sich über euren lebendigen Glauben, über eure christliche Standhaftigkeit, und Tag für Tag besucht er euer Vaterland in seinem Gebet. In dieses schließt er auch in einer einzigen liebenden Sorge die Brüder ein, mit denen er gern in voller Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe stehen möchte, nach dem Bild der vor tausend Jahren noch ungeteilten Kirche. 3. Die heilige Taufe ist durch Gottes Gnade ein grundlegendes Ereignis für das Dasein des Menschen. Die Taufe vermehrt die wahre Würde des Menschen, indem sie ihm übernatürliches Leben verleiht. Der heilige Paulus lehrt: „Wißt ihr denn nicht, daß wir alle, die wir auf Jesus Christus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und ... so sollen auch wir als neue Menschen leben ... Sind wir nun mit Christus gestorben, so glauben wir, daß wir auch mit ihm leben werden (Röm 6,3-8). So ist euer Volk vor tausend Jahren dank der Kraft der heiligen Taufe im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes in ein neues Leben eingetreten. Christus ist durch die Kraft des Ostermysteriums in die Geschichte eures Volkes eingetreten, beginnend mit Prinz Wladimir dem Großen. 4. Wir wollen in das Jahr des tausendsten Jubiläums der Taufe der Kiewer Rus die gesamte Geschichte eurer Kirche einschließen, die ihre Wurzeln in der Zeit hat, in welcher die ganze Kirche Christi in Europa noch in Einheit lebte. Deshalb war das Christentum in der Kiewer Rus orthodox in seinem Glauben und zugleich katholisch in der Liebe, denn es entstand vor einem kirchlichen Hintergrund, der noch nicht durch das Drama der Spaltung zerrissen war. Ein äußeres Kennzeichen dieser Einheit war die Verehrung des heiligen Papstes Clemens, des dritten Nachfolgers des heiligen Petrus, der im Exil am Schwarzen Meer das Martyrium erlitt. Der hl. Clemens ist ein Symbol der Einheit zwischen der Kirche von Kiew und von Rom geworden. Darüber hinaus wurde er als „Beschützer des Gebietes der Rus angesehen, wie das uralte, Jahrhunderte hindurch in Kiew gesprochene Gebet bezeugt: „Daher verherrlichen, preisen und verehren wir den einen Gott in der Heiligen Dreifaltigkeit, und wir danken auch seinem treuen Diener, der den Schatz seines Herrn nicht nur in Rom, sondern auch in der Stadt Korsun und in der ganzen Rus vermehrte, indem wir sprechen: Er ist der Ruhm der Märtyrer und der Reichtum der 1616 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Heiligen, der unerschütterliche Fels der Kirche Christi, auf dem die Pforten der Hölle im Gebiete der Rus niemals die Vorherrschaft haben werden.“ 5. Liebe Brüder im Bischofsamt! Bald werden wir die Schwelle zum zweiten Jahrtausend eurer christlichen Geschichte im Bewußtsein unserer Verantwortlichkeit für die Zukunft der Kirche überschreiten; Diese Verantwortlichkeit dehnt sich aus auf jede Seele, die von der Gnade der heiligen Taufe durchdrungen ist, auf jeden Jünger des gekreuzigten und auferstandenen Christus, und daher auf die einzelnen Mitglieder der katholischen Kirche der Ukraine in eurem Vaterland und in der Diaspora. An dieser Stelle möchte ich noch einmal die Würde des Menschen betonen. Aus dieser durch die Taufe noch verstärkten Würde geht das unanfechtbare Recht hervor, Gott nach dem eigenen Gewissen zu ehren. Eines der im Bewußtsein unserer Zeit erworbenen grundlegenden Rechte des Menschen ist das der Religionsfreiheit. Die Achtung vor den Rechten Gottes und den Rechten des Menschen interpelliert an das Herz des Menschen. Darum richten wir unsere Gebete, begleitet von einer besonderen Sorge und Solidarität der ganzen Kirche, darauf, daß eure Brüder und Schwestern in der Heimat ihre christliche Berufung in voller Freiheit verwirklichen und Gott öffentlich, wie das Gewissen es ihnen gebietet, im Glauben ihrer Vorfahren, nach ihrem eigenen Ritus und in Einheit mit ihren Hirten und dem Bischof von Rom verehren können. Beitragen zur Heiligung der Kirchenglieder 6. Eine j ahrhundertelange Erfahrung lehrt uns, daß die Entwicklung der Kirche Gottes sowohl in den Gebieten eurer Vorfahren als auch in den Ländern, wo es euch in den letzten Jahrzehnten möglich gewesen ist, neue Pfarrgemein-den und Eparchien zu schaffen, nicht nur von den geschichtlichen und politischen Bedingungen abhängt. Die geistliche Entwicklung der Kirche und durch sie auch die des Volkes hängt vor allem von der Heiligkeit ihrer Glieder und der Hilfe der Gnade Gottes ab. Daher blickt die Kirche hoffnungsvoll auf die gläubigen Laien, auf die katholischen Familien, die von Natur aus die „Hauskirche“ bilden, und auf die Jugend. 7. Wir stehen vor dem Beginn der Bischofssynode, die „Die Berufung und Mission der Laien in der Kirche und in der Welt“ zum Thema hat. Im Licht dieses großen Ereignisses in der Weltkirche und im Hinblick auf die von eurer Synode bereits zu Ende geführten Arbeiten, möchte ich euch, geliebte Brü- 1617 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der, dazu ermutigen, praktische Entscheidungen zu treffen, die für das Leben der Kirche im Bereich des Laienapostolats in euren Pfarrgemeinden und in den Eparchien wichtig sind. Ich weiß, daß im Bereich eurer Synode eine Kommission für das „Laienapostolat“ arbeitet und daß dieses so belangvolle Thema Gegenstand von Debatten und Diskussionen in dieser und in den vorhergehenden Synoden gewesen ist. Glauben benötigt ein Leben in Gemeinschaft 8. Betrachten wir, liebe Brüder, im Lichte der Lehre des Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzils einen Augenblick die Rolle und die Stellung der Laien in der Kirche, insbesondere in Hinsicht auf das Apostolat durch Laienorganisationen und -Vereinigungen. Jeder Christ ist seiner Natur nach ein Apostel, und dank der christlichen Taufweihe ist er ein Mitglied des Gottesvolkes und des mystischen Leibes Christi geworden. „Innerhalb der Gemeinschaften der Kirche ist ihr (der Laien) Tun so notwendig, daß ohne dieses auch das Apostolat der Hirten meist nicht zu seiner vollen Wirkung kommen kann“ (Äpostolicam actuositatem, Nr. 10). Doch der Beginn der christlichen Berufung verwirklicht sich in der Gemeinschaft. Das Zweite Vatikanische Ökumenische Konzil hat die Bedeutung des in Gemeinschaft geübten Apostolats kräftig unterstrichen: „Es entspricht in glücklicher Weise ebenso einem menschlichen Bedürfnis und stellt zugleich ein Zeichen der Gemeinschaft und der Einheit der Kirche in Christus dar“ (ebd., Nr. 18). 9. All jene Organisationen und Vereinigungen haben das Ziel, die Mission der Kirche intensiver zu gestalten, die Dynamik des religiösen Lebens in der Gemeinschaft der Gläubigen zu vertiefen. Doch können sie sich nur in der kirchlichen Gemeinschaft entwickeln und Früchte bringen. Sie müssen dieser Gemeinschaft dienen, sie beleben und sie einigen. So gesehen hat „der Zusammenschluß der Laien zu Apostolatszwecken nichts mit taktischen Hilfsmitteln zu tun, die der Augenblick nahelegt“, mit Bewegungen außerhalb der kirchlichen Strukturen (vgl. Angelus, 2. Aug. 1987). Diese können nicht den Anspruch haben, ihre Meinungen oder Forderungen im Namen der Kirche und ihrer Hirten auszudrücken. Von den Bischöfen müssen Anregungen und Impulse ausgehen 10. Den Hirten, d. h. den Bischöfen und Priestern kommt es zu, die Laien im Geiste der Verantwortlichkeit und der Suche nach neuen Arbeitsformen im Bereich der Eparchie oder Pfarrgemeinde zur apostolischen Reife zu führen. 1618 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN In diesem Bereich hat eure Kirche die kirchlichen, in orientalischer Tradition entwickelten Brüderschaften. Sie haben in der Geschichte der katholischen Kirche der Ukraine eine wichtige Rolle gespielt. Neben jenen Gemeinschaften, deren große Verdienste wir anerkennen, tauchen auch neue auf, doch immer in Einheit mit den eigenen Hirten, mit der Teilkirche, in der „die eine heilige, katholische und apostolische Kirche wahrhaft wirkt und gegenwärtig ist“ {Christus Dominus, Nr. 11). 11. Unsere Zeit erfordert die Anwesenheit der Laien in den Diözesan- und Pfarrgemeinderäten insbesondere in den katechetischen, liturgischen, karitativen, missionarischen und die humanitäre Entwicklung fordernden Sektoren. Ich hege das Vertrauen, daß ihr in diesem Geist konkrete Entschlüsse gefaßt habt, im Geist jener „Pastoral des Miteinanders“, die von unserer Zeit gefordert wird (vgl. Angelus, 30. Aug. 1987). Die kommende Bischofssynode wird in diesem Bereich neue Anregungen bringen und jene lebendige Thematik für die Kirche vertiefen. Die Teilkirchen können sich in das Ganze der Kirche einbringen 12. Mit diesen Beschlüssen, die ihr dem Apostolischen Stuhl unterbreitet, und die durch die Anregungen der kommenden Bischofssynode noch eine Bereicherung erfahren werden, werden wir mit dem Wunsch in euer zweites christliches Jahrtausend eintreten, daß „unser Gott euch eurer Berufung würdig mache und in seiner Macht allen Willen zum Guten und jedes Werk des Glaubens vollende“ (2 Thess 1,12). 13. Seit der heiligen Taufe an den Ufern des Dnjepr entwickelte sich ein intensives religiöses Leben vieler geistiger Söhne und Töchter des heiligen Wladimir. Auf einem solchen Erbe der Heiligkeit sind viele Heilige, unter ihnen auch der eurem Herzen so nahe stehende hl. Josaphat, erwachsen. Aus diesem Erbe haben viele heilige Mütter und Väter eurer Kirche gelebt, uns oft unbekannt, deren Namen jedoch in das göttliche Buch der Geschichte eingeschrieben sind, und die Gott und der heiligen Jungfrau Maria wohl bekannt sind als Jünger Christi. Die heiligen Hände der Gottesmutter in der „Unzerstörbaren Wand“ der Sophienkathedrale in Kiew sind unaufhörlich, seit nahezu tausend Jahren, d. h. von dem Moment an, da Prinz Jarosläv der Weise sie als Mutter und Königin der ganzen Rus erwählte, geöffnet und ausgesteckt. Sie nahm damals die ganze Kirche und das Volk der Kiewer Rus auf seinem Weg zum himmlischen Vaterland unter ihren mütterlichen Schutz. 1619 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ich vertraue dir, Mutter unseres Gottes und Heilands und liebevoll besorgte Helferin der Christen, die Tausendjahrfeier der Kiewer Rus an. Heilige Gottesmutter, wende deinen erbarmungsvollen und gütigen Blick auf die katholische Kirche der Ukraine und ihr Volk! Bewahre in ihnen.den Schatz des Glaubens, stütze sie in den Schwierigkeiten des irdischen Lebens und führe das gesamte christliche Erbe zum-ewigen Heil! Euch allen hier Anwesenden, euren Lieben in eurem Land und in der Welt, erteile ich meinen Apostolischen Segen. Feierliche Eröffnung der Siebten ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode Ansprache bei der Eucharistiefeier am 1. Oktober 1. „Ich werde meinen Geist auf alle Menschen ausgießen“ (Joel 3,1). Heute zu Beginn der Siebten ordentlichen Sitzung der Bischofssynode möchten wir für das Pfingsten der Kirche danken; — für die Ausgießung des Hl. Geistes auf die Apostel, die mit Maria, der Mutter Christi, im Abendmahlssaal in Jerusalem versammelt waren; — für das Wort, das der gleiche Geist der Wahrheit in unserer Zeit durch das II. Vatikanische Konzil zur Kirche gesprochen hat; — weil der gleiche Tröster-Geist ununterbrochen Zeugnis gibt für Christus, und weil auch wir — von ihm geleitet — Zeugnis geben können. Wir haben uns zu Beginn dieser Eucharistiefeier an Ihn gewendet. Ihn, den Schöpfer-Geist, die Gabe des Höchsten Gottes, riefen wir an: „Zünd an in uns dein Gnadenlicht; gieß Lieb ins Herz, die ihm gebricht; stärk unsres Leibs Gebrechlichkeit mit deiner Kraft zu jeder Zeit.“ 2. „Alles, was ihr auf Erden bindet, das wird im Himmel gebunden sein“ {Mt 18,18), versichert uns Jesus gerade heute im Evangelium. Dieses „Binden geschieht in der Kraft des Hl. Geistes, denn dadurch baut sich die Kirche von Geschlecht zu Geschlecht als Leib Christi auf. Sie ist der Leib, in dem sich das Leben Christi in den Gläubigen ausbreitet; denn sie verbinden sich geheimnisvoll und wirklich durch die Sakramente mit Ihm; zugleich ist die Kirche ein Volk, das neue Volk Gottes, dessen Haupt Christus ist; Voraussetzung ist die Würde und die Freiheit der Kinder Gottes; das neue Gebot der Liebe wird Gesetz; das Reich Gottes das Ziel (vgl. Lumen gentium, Nr. 8,9). 1620 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Kirche ist in Jesus Christus wie ein „Sakrament“ oder Zeichen und Mittel der innigen Vereinigung mit Gott und der Einheit des ganzen Menschengeschlechts (vgl. Lumen gentium, Nr. 1). Also verwirklichen sich in uns — aber auch durch uns — ständig diese Worte: „Alles, was ihr auf Erden bindet, das wird im Himmel gebunden sein“ (Mt 18,18). Wahrhaftig, „die weltumspannende Kirche erscheint als ein Volk in der Einheit des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes“ (Lumen gentium, Nr. 4). Hat das, was hier auf Erden gebunden worden ist, nicht etwa im Himmel „gebunden“ in der Kraft des Hl. Geistes schon seit dem Pfingsttag? Sind die Gläubigen nicht durch die Taufe, die Firmung, die Eucharistie „gebunden“, d. h. tief verbunden für die Sendung und Berufung der Kirche? 3. Wir danken Gott, weil uns durch das II. Vatikanische Konzil dieses Band tiefer bewußt worden ist, dieses „Binden“, das uns alle im Leibe vereinigt. Dieser Leib ist zugleich das Volk Gottes. Dieses Volk ist auf Erden unterwegs zu den ewigen Zielen Gottes! zum himmlischen Jerusalem. Dieses Band konnte uns tiefer bewußt werden, dieses „Binden, das in der Kirche Personen mit verschiedener Berufung eint: Priester und Laien, jene, die Gott als Geweihte dienen, und jene, die Ihm dienen mit dem Blick auf die Welt und jene Aufgaben, die die Welt dem Menschen stellt. So „führt der Hl. Geist die Kirche in die ganze Wahrheit“ (vgl. Joh 16,13); „er eint sie in der Gemeinschaft und im Dienst, unterweist und leitet sie durch verschiedene hierarchische und charismatische Gaben, schmückt sie mit seinen Früchten“ (vgl. Eph 4,11-12; 1 Kor 12,4; Gal 5,22; Lumen gentium, Nr. 4). So erfüllt sich das Wort des Propheten: „Ich werde meinen Geist auf alle Menschen ausgießen, und eure Söhne und Töchter werden Propheten“ (Joel 3,1). 4. In der Bischofssynode versammelt beginnen wir heute, am 1. Oktober, unsere Arbeit, die wir am Freitag, den 30. Oktober abschließen werden. Gegenstand dieser Arbeit ist: Die Laien in der Kirche, ihr Leben und ihre Sendung für das Heil der Welt. Es wird eine vielschichtige Arbeit sein — in den Plenarsitzungen oder in Arbeitsgruppen — vor allem durch Gebet geprägt; Horchen und Dialog werden lange Stunden füllen, ebenso Studium und Nachdenken, Austausch und geduldiges Suchen; anspruchsvolle Arbeit unter den Augen Gottes, der ganzen Kirche. In den kommenden Tagen jährt sich zum 25. Mal die Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils, das einen großen Teil seines Lehramtes diesem Thema gewidmet hat. Wir möchten das Leben und die Sendung der Laien in der ganzen Kirche im Lichte der Erfahrung aller Kirchen und Gemeinschaften sehen. Wir möchten mit Augen von Hirten dieser Kirche schauen, also im Lichte un- 1621 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN serer Aufgaben und unserer Verantwortung: im Lichte unseres Dienstes am Volk Gottes. Im Bischof findet nämlich die Kirche auf eine besondere Weise ihre Mitte — in erster Linie die Kirche, die ihm vom Hl. Geist anvertraut worden ist. Gerade diese Kirche, die der Hl. Geist uns Bischöfen anvertraut hat als eine vielschichtige Gemeinschaft, als Gottes Volk — „laos“ wird der Gegenstand der Arbeit dieser Versammlung der Synode sein. Während der Vorbereitung haben wir uns bemüht, von unseren Brüdern und Schwestern, den Laien zu hören, was sie selbst von ihrem Leben und ihrer Sendung in der Kirche denken. In zahlreichen Diözesen, Pfarreien, Verbänden, kirchlichen Gemeinschaften, Gebetsgruppen haben sie einen wichtigen Beitrag geleistet, indem sie das Thema der Synode studierten, zuerst anhand der Lineamenta, dann durch Nachdenken über das Instrumentum laboris, sie teilten den Bischöfen ihre Überzeugungen mit, ihre Zeugnisse, ihre Erwartungen; sie beteten einzeln und gemeinsam um den guten Ausgang der Synode. Einige von ihnen — leider nicht viele — sind zur Synode eingeladen worden: Es handelt sich dabei um eine wesentliche Präsenz, denn die Gruppe der „ Zuhörer“ und „Zuhörerinnen“, Männer und Frauen aus dem Laienstand, sind als Vertreter aller Laien der Kirchen da; es sind Mütter und Väter der Familien, Mitglieder von Vereinen von religiösen Bewegungen, von Pastoralräten; es sind Ekonomisten, Politiker, Ingenieure, Erzieher, Katechisten; Personen aus der Welt der Arbeit, der Kultur, der Industrie; aus Stadt und Land; außer ihrem Zeugnis und ihrem Beitrag zum Gespräch bringen sie die authentische Wirklichkeit des Einsatzes der Laien in der Sendung der Kirche zur Rettung der Welt mit. .. Jetzt sind wir hier, vor dem Geist der Wahrheit, um uns in solcher synodalen Form der Aufgabe, die uns erwartet, zu stellen. Unser Herz und unser Geist müssen bereit sein, den Inspirationen des Geistes Gottes zu folgen und sie reifen zu lassen. Christus sagt: „Alles, was ihr auf Erden bindet, das wird im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden löset, das wird im Himmel gelöst sein“ (Mt 18,18). Wir vertrauen, daß der Heilige Geist, welcher uns in der Kirche — und für die Kirche — gegeben wurde, uns auch helfen wird, zu „lösen“, was in diesem weiten Bereich der Laien „gelöst werden soll, damit aus ihrer Berufung als Laien der ihnen eigene und einmalige Einsatz für die Sendung der Kirche „erwächst“. 5. Nehmen wir die Worte des Apostels Paulus an die Philipper, welche wir heute in der Liturgie lesen, so an, als wären sie an uns gerichtet: „Jeder sei 1622 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nicht auf das Eigene bedacht, sondern auch auf das der Anderen“ (vgl. Phil 2,4). Es wäre schwierig, anders zu denken; anders zu handeln; auf andere Weise Bischof und Hirte in der Kirche Christi zu sein. Ja, das Interesse unserer Laienbrüder und Schwestern ist zur gleichen Zeit unser eigenes Interesse. Wir sind ganz weit entfernt von allem, was der Apostel als „Streitsucht“ oder „Ruhmsucht“ bezeichnet. Ja, in aller Demut sind wir bereit, die anderen höher zu schätzen als uns selbst (vgl. Phil 2,5). Wir hegen große Hochachtung für unsere Brüder und Schwestern im Laienstand. Wir danken dem Hl. Geist für alle Gaben, die sie erhalten haben für die Wahl der Kirche. Wir wünschen, daß diese Gaben, diese Charismen in vollem Glanz aufleuch-ten und Früchte in Fülle hervorbringen. Der Apostel schreibt: „Wenn es ... einen Zuspruch der Liebe in Christus gibt, ... dann macht meine Freude dadurch voll, daß ihr eines Sinnes seid, indem ihr die gleiche Liebe hegt und einmütig auf das selbe bedacht seid“ (Phil 2,1-2). Wir ermutigen auch einander zur gleichen Freude. Auch wir wünschen für uns die gleiche Freude, indem wir immer als Hirten der Kirche dienen, ganz besonders aber jetzt, während der Gespräche in der Synode. Wir bitten den Hl. Geist, daß er uns mit dem „Zuspruch begleitet, der aus der Liebe stammt“, von dem wir im Philipperbrief lesen (Phil 2,1). 6. „Wo zwei oder drei in meinem Namen vereint sind, bin ich mitten unter ihnen“. Ewiger Hirte, wir laden dich ein in unsere Gemeinschaft. Sei du mit uns! Wir sind hier in deinem Namen versammelt.Wir sind in der Kraft des Hl. Geistes versammelt, den du der Kirche versprochen hast. Wir danken dir für das Pfingsten. Die Synodenversammlung trifft im Marianischen Jahr zusammen. Wir hoffen, daß die Mutter Gottes auf besondere Weise mit uns sei. Sie hat uns ja das Konzil so nahe gebracht als diejenige, „die im Geheimnis Christi und der Kirche gegenwärtig ist“ {Lumen gentium VIH). Beten wir, daß sie während dieser Tage bei uns sei als die Mutter vom Guten Rat. Beten wir, daß alle, an die sich diese Synode wendet, „auf die Kirche hören“ durch unseren Dienst als Synode; daß sie auf den Geist hören, der zur Kirche und durch die Kirche „spricht“. Möge die „Einheit des Geistes“ in den Herzen des ganzen Volkes Gottes an allen Orten der Erde vertieft und bereichert werden. Amen. 1623 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Im Rosenkranz werden die Geheimnisse Christi betrachtet Wort bei der abendlichen Gebetsstunde für die Weltbischofssynode am 3. Oktober Liebe Brüder im Bischofs-und Priesteramt, liebe Ordensmänner, Ordensfrauen und Laien, Jugend und Erwachsene! 1. Bei Sonnenuntergang dieses klaren Tages sind wir hier zu einer Gebetswa-che versammelt. Priester und Laien, sind wir hier als ein überaus zahlreiches Volk, das, mit Maria vereint, in der Nachfolge Jesu Christi, des Auferstandenen, auf dem Weg ist. Wir sind hier, um für ein gutes Gelingen der Synode über „Die Berufung und Sendung der Laien in der Kirche im Licht der Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils“ zu beten, im Licht jener großen allgemeinen Versammlung, die vor fünfundzwanzig Jahren gerade um diese Zeit ihren Anfang nahm. Dieses Gebet will vor allem ein Ausdruck unseres Glaubens an die Allmacht des Herrn und unseres Vertrauens auf seine Vorsehung sein, heute, da der Mensch so oft der Versuchung nachgibt, sich für den ausschließlichen oder den Haupturheber des Guten und des Fortschritts, im zivilen wie im kirchlichen Bereich, zu halten. Unser gemeinsames Gebet ist also eine Bitte um Hilfe und Rat vom Herrn, dem Geber alles Guten, daß er die Arbeiten der eben begonnenen Bischofssynode begleite. Es ist die Bitte um Beistand an den Heiligen Geist, auf daß er mit seinen Gaben Geist und Herz der Synodenväter und derer erfülle, die in verschiedener Eigenschaft in gegenseitiger Zusammenarbeit an dieser, ihrer Zusammensetzung nach so außergewöhnlichen und auf Grund der Themen, die sie zu behandeln hat, so anfordernden Versammlung teilnehmen. 2. Das Rosenkranzgebet, in seiner Art so einfach und zugleich so tief, trägt seinerseits dazu bei, die Synode vom richtigen Gesichtspunkt aus zu betrachten. Nämlich in jener christologischen, mariologischen und kirchlichen Sicht, die allein die innere Berechtigung für die Arbeiten der Synode sowie das Ziel und den Zweck dieser Arbeiten offenbart, und das Kriterium, nach dem sie vorgehen und sich entfalten. Alles im Licht Christi, Marias und der Kirche! Im Rosenkranz betrachten wir die Geheimnisse Christi mit den Augen Marias. Sie enthüllt uns diese Geheimnisse, läßt sie uns verkosten, macht sie uns 1624 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zugänglich — man möchte sagen „proportioniert“ zu unserer Kleinheit und Gebrechlichkeit. Maria ist — Christus gegenüber — zugleich die Wortführerin der Menschheit. Wortführerin der leidenden, bedrückten Menschheit auf der Suche nach der Wahrheit und dem Heil. Maria steht an der Spitze des Gottesvolkes, um für alle Gläubigen, die dieses Volk bilden, einzutreten. 3. Das Geheimnis Marias ist reich an Anregungen, die uns das Charisma der Laien begreifen helfen. Der Rosenkranz ist eines der bedeutendsten Gebete der Gläubigen jeden Alters und Standes. Im Rosenkranz entdeckt auch der bescheidenste und kleinste unter den Söhnen und Töchtern des Gottesvolks in Fülle seiner Taufberufung, sein prophetisches und königliches Priestertum und gewinnt in Maria und durch Maria eine außerordentliche Fähigkeit, bis zum Herzen Christi und des Vaters vorzudringen. Maria selbst sammelt im Rosenkranz die Gebete der Armen und der Demütigen und verleiht ihnen ein Höchstmaß an fürbittender Kraft beim Thron des Allerhöchsten. Der Rosenkranz läßt durch Maria das heilbringende Licht aller Geheimnisse Christi sozusagen herabfließen in die Umstände und Schwierigkeiten des gewöhnlichen Alltagslebens, der Arbeit und Mühen, des Zweifels, des Leidens, des Gesellschafts- und des Familienlebens; und er verwandelt, erhebt und reinigt alles. 4. Das also ist der Grund dieses Rosenkranzgebets für die Synode. Es will die Stimme, das Gebet des Gottesvolks sein, das durch Maria die Arbeiten der Synodenväter begleitet. Es ist ein Gebet, das dem Bewußtsein entpringt, daß Maria der Kirche gegenüber eine mütterliche Funktion der Inspiration und des Schutzes ausübt. Auch für diese Synode erwarten wir von Maria erleuchtende und stärkende Hilfe, wie wir es nach Recht und Pflicht für jede kirchliche Versammlung erwarten dürfen, die uns vor allem auferlegt, den Willen Gottes zu suchen. Der Rosenkranz stellt uns auf dem Hintergrund der Geheimnisse Christi und Marias die Lebensumstände vor Augen, die allen Christen gemeinsam sind: Geheimnisse der Freude, des Leidens und der Herrlichkeit, Geheimnisse, die von Gnade, Tugend und Heiligkeit sprechen. Und das sind auch die Geheimnisse, die besonders in den Brennpunkt der Synode gestellt werden müssen. Sie müssen stets vor den Augen unserer geistlichen Hirten leuchten. Aus ihnen ergibt sich grundlegend die Würde der Laien. 1625 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Den Taufbefehl Christi treu verwirklichen 5. So betrachten wir, mit Maria nachsinnend, in ihrem und ihres Sohnes Leben das Leben jedes Christen, des gewöhnlichen Gläubigen. Dieser, dazu berufen, inmitten der vergänglichen, aber auch faszinierenden kulturellen, familiären, sozialen, politischen und beruflichen Verantwortlichkeiten zu leben, hat ein Kriterium, ein grundlegendes Motiv für all sein Handeln: das Leben und das Wort Christi, die sich in absoluter Wahrheit durch die ununterbrochene Überlieferung der Kirche und ihres Lebens darstellen. Dieses lebendige Wort Gottes regt ständig neue Initiativen an. Sie kommen aus der leidenschaftlichen Hingabe von Millionen Menschen, die in ihrem Bemühen, die Forderungen des Evangeliums in die geschichtliche und zeitliche Ordnung zu übersetzen, jene Früchte hervorbringen, auf die Jesus hinzielte, als er den Aposteln den entscheidenden Auftrag gab: „Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern: tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ {Mt 28,19-20). 6. Vom Kreuz herab spricht der Sohn Gottes gerade im Augenblick der scheinbaren Niederlage von einer Berufung, weist er hin auf eine Sendung: „Frau, siehe, dein Sohn!“ ... „Siehe, deine Mutter!“ (Joh 19,26.27). Maria geht uns auch nicht nur im totalen „Ja“ zu Gott voraus, sondern sie lehrt uns auch, es uns zu eigen zu machen in den Verhältnissen, in denen jeder von uns zu leben berufen ist. Der Mut ihres Gehorsams, ihr immer auf Christus gehefteter Blick, das radikal auf Gott ausgerichtete Leben, die Initiativen der Liebe, die sie unternimmt: bei Elisabet, bei der Hochzeit zu Kana, während des öffentlichen Lebens ihres Sohnes, unter dem Kreuz, im Abendmahlssaal vor Pfingsten — das sind lauter Augenblicke, die uns Maria als Mutter der christlichen Berufung und Sendung vorstellen. Ist es nicht ein einzigartiges und bezeichnendes Zusammentreffen, daß die Arbeiten der Synode sich gerade während der Feier des Marianischen Jahres vollziehen? Auch das ist für uns ein Grund zu großer Hoffnung. Wenn ich auf meinen apostolischen Reisen mit Ergriffenheit neue Laienverbände und -bewegungen antreffe, eine immer größere Anzahl von Jugendlichen und Erwachsenen, die im lebendigen Christus den Grund für ihre Hoffnung und ihre Freude entdecken oder wiederentdecken, dann kann ich nicht umhin, an die Wirkung der Fürsprache Marias zu denken, die von ihrem Sohn immer neue Gnaden für alle erwirkt. Ja, Mutter, siehe deine Söhne! Erlange uns durch diese Synode, die im fünfundzwanzigsten Jahr nach dem Beginn des Konzils eröffnet wird, in seinem 1626 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Licht besser die Berufung und die Sendung zu begreifen, die dein Sohn für jeden Menschen gewollt hat. Amen. Brüder einer neuen Menschheit Predigt in der Messe zur Seligsprechung von Marcel Callo, Pierina Morosini und Antonia Mesina am 4. Oktober 1. „Ja, der Weinberg des Herrn der Heere ist das Haus Israel“ (Jes 5,7). Wir sind der Weinberg des Herrn, liebe Brüder und Schwestern! Wir, sein Volk, gerufen zum Tisch des Wortes und des Lebensbrotes! Wir, sein Volk, versammelt in der Einheit und Vielfalt der Gaben des Heiligen Geistes! Der Weinberg: Das ist das zentrale Wort der Liturgie von heute, das Bild, das den Abschnitt aus Jesaia, den Antwortpsalm und das Matthäusevangelium verbindet. Heute klingt wieder einmal das Lied vom Weinberg in unseren Ohren, ein Lied der Liebe und ein Gleichnis vom Gericht. Jesaia besingt die Liebe Gottes, des Gutsherrn, zu seiner bevorzugten Pflanzung: „Was konnte ich noch für meinen Weinberg tun, das ich nicht für ihn tat?“ (Jes 5,4). Aber derselbe Prophet drückt auch die Enttäuschung Gottes über die wilden Trauben aus, über die physische und moralische Gewalt, die im Haus Israel wohnt (vgl. Jes 5,7 und 3,14). Und schließlich das Urteil: Gott ist bereit, dieses Land, das er bebaut hat, veröden zu lassen. Ohne seinen Schutz wird es wieder eine unwirtliche Wüste. 2. Aber gerade hier erhebt sich ein Ruf der Bestürzung und zugleich des Vertrauens: „Warum rissest du seine Mauern ein? Alle, die des Weges kommen, plündern ihn aus“ (Ps 80,13). Der Psalmist ruft inständig die Aufmerksamkeit Gottes zurück, er fleht um seine Gegenwart: „Gott der Heerscharen, wende dich uns wieder zu! Blick vom Himmel herab, und sieh auf uns! Sorge für diesen Weinstock und für den Garten, den deine Rechte gepflanzt hat“ (Ps 18,15-16). In diesem Aufschrei und den immer stärker werdenden Flehrufen vollzieht sich der Übergang von Jesaia zum Evangelium. Gottes Propheten als Prügelknaben der Menschen 3. In der Parabel des Matthäus ist der Weinberg nur mehr der Hintergrund des Dramas. In den Vordergrund treten die, die ihn pflegen. Eine neue Ungerechtigkeit rückt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit: nicht mehr die Ver- 1627 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Weigerung der Arbeit, sondern die Weigerung, die Früchte dem Herrn des Weinbergs abzuliefem. Das Vertragsverhältnis wird von den Winzern mißverstanden, die zur „Erntezeit“ {Mt 21,34) keinen anderen Herrn anerkennen als sich selbst. Mehr noch, die Winzer gehen sogar so weit, die Entsandten des Herrn zu prügeln, seine treuen Diener, die Propheten. Und als er ihnen seinen Sohn schickt, als endgültiges Wort, das überzeugen und vermitteln sollte, packten sie ihn, warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und brachten ihn um {Mt 21,39). Dem Sohn, dem die ganze Achtung zugestanden hätte {Mt 21,37), wird die Behandlung zuteil, die in Israel für Gotteslästerer gebräuchlich war. An diesem Punkt wird die Parabel eine Vorankündigung des Ostergeschehens. Es beginnt das Drama des Gottessohnes, des Bundes in seinem Blut {Mt 26,28). Jesus sagt von sich: „Der Stein, den die Bauleute verworfen habender ist zum Eckstein geworden“ (Mt 21,42). „Der Weinberg des Herrn ist das Haus Israel ...“ Durch das Ostergeheimnis wird klar, daß der Gott des Bundes sein Haus in der Menschengeschichte auf Christus baut: Der verworfene Stein wird auf Golgota zum Eckstein des göttlichen Bauwerks in der Geschichte der Welt. Von diesem Augenblicken wird das Kreuz der Beginn der Auferstehung durch die Kraft des Heiligen Geistes. 4. Liebe Brüder und Schwestern, in der Eucharistie, die wir feiern, wird die Stunde des Gottessohnes zur Stunde der Kirche, eines neuen Volkes, das in Christus seinen Eckstein hat. Zu diesem Volk gehören die drei jungen Menschen, die die Kirche heute zur Ehre der Seligen erhebt: Marcel Callo, Pierina Morosini und Antonia Mesina. Alle drei sind Laien, junge Menschen und Märtyrer! Als Kinder dieses unseres Jahrhunderts, das zwar schwierig ist, aber auch begeisternd, haben sie die Stunde des Gottessohnes geteilt, indem sie in der Welt eng mit ihm verbunden blieben. Freudig bewegt stellen wir sie dem christlichen Volk und allen Menschen guten Willens als „ausgewählte Knospen“, die der göttliche Landmann in unserer Zeit herangezogen hat durch ihre Familien, ihre Vereinigungen, besonders die Katholische Aktion und die C. A. J., durch die Arbeit im Haus und in der Fabrik und durch das Martyrium. Am ersten Sonntag der Synode, die zusammengekommen ist, um das Thema „Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt 20 Jahre nach dem Konzil“ zu überdenken, spricht die Tatsache, daß drei Laien die Ehre der Seligen erlangen, in besonderer Weise zu uns. Wir stellen sie allen als gläubige Laien vor, als junge und mutige „Bürger der Kirche und der Welt“, Brüder einer neuen Menschheit, freie und gewaltlose Erbauer einer ganz menschlichen 1628 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kultur, prophetisches Zeichen für die Kirche des dritten Jahrtausends, die zum Salz der Welt wird, dank auch der Gegenwart von heiligen Laien. 5. Ja, in seiner Barmherzigkeit hat der Herr stets seinem „Weinberg“ und seinem Volk eine Schar von Heiligen geschenkt. Sie verkündigen, wie groß der Mensch ist, wenn er sich vom Geist Gottes ergreifen und leiten läßt. Ich habe die Freude, heute Marcel Callo seligzusprechen, inmitten seiner Familie, seiner Diözese Rennes und zahlreicher Vertreter der C. A. J.. und der Pfadfinder. Er ist nicht von sich allein aus zur evangelischen Vollkommenheit gelangt. Eine einfache, tief christliche Familie hat ihn herangebildet. Dann traten Pfadfinderschaft und Christliche Arbeiterjugend an ihre Stelle. Gestärkt durch das Gebet, die Sakramente und eine apostolische Tätigkeit, die nach der Pädagogik dieser Bewegungen ausgerichtet war, hat er die Kirche zusammen mit seinen Brüdern, den jungen christlichen Arbeitern aufgebaut. In der Kirche wird man Christ und mit der Kirche baut man eine neue Menschheit auf. Marcel ist nicht sofort zur evangelischen Vollkommenheit gelangt. Hochtalentiert und voll guten Willens, kannte er auch langdauemde Kämpfe gegen den Geist der Welt, gegen sich selbst und gegen den Druck von Dingen und Menschen. Aber ganz offen für die Gnaden ließ er sich immer mehr von Gott führen, bis zum Martyrium. Die harte Prüfung hat seine Liebe zu Christus zur Reife gebracht. Aus dem Gefängnis schreibt er an seinen Bruder, der kurz zuvor zum Priester geweiht wurde: „Zü meinem großen Glück ist Er ein Freund, der mich keinen Augenblick verläßt und der mich zu stützen und zu trösten weiß. In schlimmen und bedrückenden Stunden kann man mit seiner Hilfe alles ertragen. Wie sehr muß ich Christus danken, daß er mir den Weg gewiesen hat, auf dem ich mich befinde.“'Ja, Marcel ist dem Kreuz begegnet. Zuerst in Frankreich. Dann — der Liebe seiner Familie und seiner Verlobten, der er zärtlich und keusch zugetan war, entrissen — in Deutschland, wo er der C. A. J. zusammen mit einigen Freunden neuen Schwung gibt. Mehrere dieser Freunde starben ebenfalls als Zeugen für Christus. Verfolgt von der Gestapo ging Marcel bis zum Letzten. Wie der Herr, so hat er die Seinen geliebt bis zum Äußersten und sein ganzes Leben ist Eucharistie geworden. Zur ewigen Freude Gottes gelangt, bezeugt er, daß der christliche Glaube die Erde nicht vom Himmel trennt. Der Himmel wird auf der Erde vorbereitet durch Gerechtigkeit und Liebe. Wenn man liebt, ist man schon „selig“. Oberst Tibodo, der Tausende von Gefangenen sterben sah, stand ihm am frühen Morgen des 19. März 1945 bei; er bezeugt mit Eindringlichkeit und Bewegung: Marcel hatte den Ausdruck eines Heiligen. 1629 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ob es gelegen oder ungelegen kommt — das Evangelium verkünden Die lebendige Botschaft, die das Mitglied der C. A. J., Marcel Callo, gibt, betrifft uns alle. Den jungen christlichen Arbeitern zeigte er die außerordentliche Ausstrahlung derjenigen, in denen Christus lebt, und die sich für die uneingeschränkte Befreiung ihrer Brüder hingeben. Den Christen der Diözese Rennes und in den Fußspuren der Gründerbischöfe Amand und Melaine, des seligen Yves Mahyeuc, des seligen Julien Manoir, des heiligen Louis Marie Grignion de Montfort, der seligen Jeanne Jugan, ruft Marcel Callo ins Gedächtnis, wie groß die geistliche Fruchtbarkeit der Bretagne sein kann, wenn sie im Glauben ihrer Väter zu leben weiß. An uns alle, Laien, Ordensleute, Priester und Bischöfe richtet er die allgemeine Aufforderung zur Fleiligkeit: eine Heiligkeit und geistige Jugend, die unser westliches Weltbild so sehr benötigt, um weiterhin das Evangelium zu verkünden — „gelegen oder ungelegen“! 6. Freut euch mit mir und mit der ganzen Kirche, Brüder und Schwestern der Diözese Bergamo, Einwohner von Piobbio und Albino, die ihr nach Rom gekommen seid zur Seligsprechung von Pierina Morosini. Die Wurzeln ihrer Religiosität kommen aus eurer Mitte. Aufgewachsen in einer Umgebung intensiven geistlichen Lebens in ihrer Familie, ist die selige Morosini Christus arm und bescheiden nachgefolgt, in der täglichen Sorge für viele Brüder. Nachdem sie entdeckt hatte, daß sie auch „heilig werden konnte, ohne ins Kloster zu gehen“, hat sie sich mit Liebe dem Leben in der Pfarrei, in der Katholischen Aktion und dem Apostolat der Berufungen geöffnet. Das persönliche Gebet, die tägliche Teilnahme an der hl. Messe und die geistliche Führung haben sie dazu gebracht, den Willen Gottes und die Erwartungen der Brüder zu verstehen und haben in ihr den Entschluß reifen lassen, sich privat dem Herrn in der Welt zu weihen. Zehn Jahre lang hat sie in einer Baumwollfabrik die Schwierigkeiten und Freuden einer Arbeiterin erlebt. Als Schichtarbeiterin legte sie den Weg zur Fabrik immer zu Fuß zurück. Die Mitarbeiterinnen bezeugen ihre Zuverlässigkeit in der Arbeit, ihre Freundlichkeit, vereint mit Zurückhaltung, und die Achtung, die man ihr als Frau und Gläubigen entgegenbrachte. Vor dreißig Jahren ereignete sich auf dem Heimweg ihr Martyrium als äußerste Konsequenz ihrer christlichen Treue. Ihre Schritte aber sind nicht zum Stillstand gekommen, sondern zeigen weiterhin all denen einen leuchtenden Weg, die Augen haben für die Faszination der evangelischen Herausforderungen. 1630 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 7. Freut euch auch mit mir, Bürger aus der Diözese Nuoro, von Orgosolo und von ganz Sardinien über die junge Antonia Mesina, die heute seliggesprochen wird. Ihr Martyrium ist vor allem der Punkt, an den eine bescheidene und freudige Hingabe an das Leben ihrer zahlreichen Familie gelangt ist. Es war ihr ausdauerndes Ja zum verborgenen Dienst im Haus, das sie auf ein totales Ja vorbereitete. Von klein an — es waren die ersten Nachkriegsjahre — hat Antonia die Härte ihrer Erde und die Großzügigkeit ihrer Menschen kennengelernt. Geführt von ihren Eltern, von der Lehrerin und dem Pfarrer hat sie sich mutig den Werten des Lebens und des Glaubens geöffnet; besonders in der Schule der Frauenjugend der Katholischen Aktion war sie menschlich und christlich tief verwurzelt mit ihrem Wunsch nach Reinheit und Hingabe. Im Alter von nur 16 Jahren geschah es, daß sie ihr heroisches Ja sagte zur Seligpreisung der Reinheit, die sie verteidigte bis zum äußersten Opfer. Das Bündel Holz, das sie zum Brotbacken im häuslichen Backofen gesammelt hatte, blieb an jenem Tag im Mai 1935 in den Bergen neben ihrem gemarterten Körper liegen, der von unzähligen Steinwürfen zerschunden war. An diesem Tag entfacht sich ein anderes Feuer, und es wird anderes Brot bereitet für eine viel größere Familie. Selig, weil „reinen Herzens“, werden Marcel, Pierina und Antonia euch anvertraut, Laien und Jugendliche als Zeugen einer Liebe, die auf dem Weg ist, die über das Menschliche hinausblicken und „Gott schauen“ kann (Mt 5,8); sie sind euch übergeben als Beispiel reifen Glaubens, der frei ist von Kompromissen, der sich der menschlichen und christlichen Würde der Person bewußt ist, als Hoffnungsgesang für die neuen Generationen, die der Heilige Geist weiterhin zur Radikalität des Evangeliums ruft. 8. Für den Weinberg des Herrn ist heute ein Festtag. In diesen neuen Seligen erfüllten sich die Worte Christi: „Ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, daß ihr euch aufmacht und Frucht bringt“ (Joh 15,16). Sie haben sich aufgemacht und die Frucht der Heiligkeit gebracht! Die Heiligkeit ist die Hauptberufung des ganzen Volkes Gottes: diese Seligen, diese Laien sind die Bestätigung und Verwirklichung. In der Heiligkeit jedes Getauften enthüllt sich die Festigkeit des Felsens, auf dem der göttliche Bau ruht. Das Ostergeheimnis — verkündet im heutigen Evangelium — ist unaufhörlich tätig in der Kraft des Geistes der Heiligkeit und bringt immer neue Heilige und Selige hervor. 1631 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Arbeiten im Weinberg erzeugt ansteckende Freude Durch den Geist zu lebendigen Felsen geworden: So hat man die seligeji Marcel, Pierina und Antonia gläubig gefunden in der Verteidigung der christlichen und menschlichen Werte; heute werden sie in den Rang der Verkündigung gebracht, der Verkündigung der Freude, welche aus der Verherrlichung Christi im eigenen Körper kommt (vgl. Phil 1,20). „Haltet fest am Wort des Lebens“ (Phil 2,16). So rufen sie ihre Botschaft mit der stillen Kraft ihres Martyriums und schreiben mit ihrem jungen Blut eine Hymne an Christus, den König und Herrn der Märtyrer von gestern, heute und von immer. 9. In den Fußspuren des Glaubensverkündigers und Märtyrers Paulus, treiben uns die neuen Seligen an, unsere Anstrengungen mit denen aller Gläubigen zu vereinen, um den Weinberg des Herrn Frucht bringen zu lassen: „Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist, darauf seid bedacht!“ (Phil 4,8). Mit dem heiligen Paulus erinnern sie uns an die Pflicht, alles Positive, das in jeder Kultur, in jeder historischen Situation und in jeder Person ist, anzunehmen. Mit dem heiligen Paulus fügen sie hinzu: „Was ihr gelernt und angenommen, gehört und an mir gesehen habt, das tut!“ (Phil 4,9). Die Einladung der drei Märtyrer spricht besonders eindringlich zu uns, die wir an der Synode teilnehmen. Ihr Zeugnis veranlaßt uns, mit erneuerter Aufmerksamkeit an die Rolle der Laien in der Kirche zu denken, an die Arbeit, zu der sie im Volk Gottes für das Heil der Welt berufen sind. Ihr Leben erinnert uns besonders daran, daß es über die besondere Berufung jedes einzelnen hinaus eine Berufung gibt, die allen gemeinsam ist — die Berufung zur Heiligkeit. Es ist jene Berufung, die das Vorrecht vor allen hat, denn von der Großherzigkeit der Antwort auf diese Berufung hängt die Echtheit und Fülle der Früchte ab, die jeder im Weinberg des Herrn bringen soll. Vergeht nicht den Weinberg! Weinberg des Herrn! Vergeht nicht den Eckstein! „Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in der Gemeinschaft mit Christus Jesus bewahren (Phil 4,7). 1632 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Geschichtliche und aktuelle Bedeutung des II. Nicaea-Konzils Botschaft an das historisch-theologische Symposium zur 12. Jahrhundertfeier in Istanbul vom 8. Oktober Herrn Prof. Walter Brandmüller Präsident der „Internationalen Gesellschaft zum Studium der Konzilsgeschichte“ Verehrter Herr Professor! Wir begehen in diesem Jahr die zwölfte Jahrhundertfeier des II. Konzils von Nicaea, das von allen christlichen Kirchen als das Siebte Ökumenische Konzil anerkannt und hochgehalten wird. Die „Internationale Gesellschaft zum Studium der Konzilsgeschichte“, die schon viel zur besseren Kenntnis der Konzilien und Synoden beigetragen hat, organisierte aus diesem Anlaß erfreulicherweise ein historisch-theologisches Symposium und wählte als Tagungsort die Stadt Konstantinopel, in deren Kaiserpalast am 23. Oktober 787 die Schlußsitzung jenes Konzils stattgefunden hat. Der Heilige Vater hat mit großer Freude vernommen, daß dieses von Seiner Heiligkeit, dem Ökumenischen Patriarchen Dimitrios I. geförderte wissenschaftliche Symposium im Rahmen der vom Ökumenischen Patriarchat organisierten Feierlichkeit zur Erinnerung an jenes Konzil steht, die auch eine Pilgerfahrt nach Nicaea mit einem gemeinsamen Gebet vor den Ruinen der antiken Sofien-Kirche vorsieht, in der im Jahre 787 jenes Konzil tagte. Es ist ein glückliches Zusammentreffen, daß dieses Symposium zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung der am 28. Oktober 1967 von Papst Paul VI. und vom Ökumenischen Patriarchen Athenagoras Unterzeichneten „Gemeinsamen Erklärung“ stattfmdet. In dieser „Gemeinsamen Erklärung“ steht: „Damit fruchtbare Kontakte zwischen der römisch katholischen und der orthodoxen Kirche eingeleitet werden können, geben der Papst und der Patriarch allen Bemühungen um Zusammenarbeit zwischen katholischen und orthodoxen Theologen im Bereich der Kirchengeschichte, der Tradition, der Patristik und der Liturgie ihren Segen und ihren pastoralen Beistand.“ (Tomos Agapes, Va-tican Phanar, 1958-1970, Rom-Istanbul 1971, S. 446). Das Programm des Symposiums in Konstantinopel umfaßt das Studium der wesentlichen historischen und theologischen Fragen, die zur Einberufung des II. Konzils in Nicaea geführt, seinen Ablauf und seine Dekrete bestimmt haben, die dem Streit um die Verehrung der Heiligenbilder ein Ende setzten. 1633 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Vorbereitet wurde es von mehr als 30 Wissenschaftlern aus ganz Europa, die sich in einer wissenschaftlichen Ökumene zusammengefunden haben. Die Ergebnisse ihrer Studien werden in der angesehenen und von Ihnen geleiteten Zeitschrift „Annuarium Historiae Conciliorum“ veröffentlicht. So stehen sie nicht nur den Spezialisten zur Verfügung, sondern allen, die das Lehramt des Siebten Ökumenischen Konzils, das für Kirche und Gesellschaft nach wie vor aktuell ist, näher kennenlemen wollen. Jenes Konzil verhalf der Kirche zur Wiederfindung einer rechten Lehre und ihrer Einheit, und das dank der Zusammenarbeit zwischen Papst Hadrian I. und Konstantinopel. An jenem Konzil nahmen 350 Bischöfe persönlich oder durch Delegierte teil, in erster Linie der Bischof der Kirche von Rom, die in den Konzilsakten als „die Kirche des heiligen Apostels Petrus“ bezeichnet wird (vgl. Mansi, Collectio amplissima conciliorum, XII, Concilium Nicaenum II., Prima actio, c. 994 A). Die große Bedeutung jenes Konzils,für die Lehre der Kirche wird durch sein feierliches Glaubensbekenntnis erhellt. Dort heiß es unter anderem; „Wir wahren alle geschriebenen oder mündlichen Traditionen, die uns unverändert überkommen sind. Dazu gehört die bildliche Darstellung in Übereinstimmung mit der Glaubenswahrheit, daß das Wort nicht symbolisch, sondern tatsächlich Mensch geworden ist; das dient sehr der Verkündigung des Evangeliums. Dinge, die sich gegenseitig erhellen, sind zweifellos von Bedeutung für das gegenseitige Verständnis.“ (vgl. Mansi, ebd. XIII, Septima actio, c. 378 BC). Das II. Vatikanische Konzil hat in seiner Konstituion Dei verbum auf die Lehre jenes antiken Ökumenischen Konzils zurückgegriffen (vgl. Nr. 7 f.). Das Symposium in Konstantinopel wird diese bedeutsamen theologischen Fragen in einer Weise vertiefen, daß sie der Kirche von heute von Nutzen sind. Damit ist es auch, wie der Heilige Vater während der Generalaüdienz vom vergangenen 23. September sagte, ein glückliches Präludium des in Freude erwarteten Besuches, den der Ökumenische Patriarch Dimitrios I. im kommenden Dezember in Rom abstatten wird (vgl. L’Osservatore Romano, 24.9.87, S. 4). Aus dieser Gesamtschau hofft der Heilige Vater auf reiche Früchte dieses wissenschaftlichen Symposiums und erteilt allen Teilnehmern seinen Apostolischen Segen. Agostino Casaroli Kardinalstaatssekretär 1634 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Melkiten können Bauleute des Dialogs sein Graßworte an die Repräsentanten der internationalen melkitisch-katholischen Vereinigung vom 10. Oktober Ich freue mich, heute morgen meinen lieben Bruder, seine Heiligkeit Maxi-mos Hakim, den katholischen griechisch-melkitischen Patriarchen von An-tiochia, Alexandrien und Jerusalem zu empfangen und mit ihm eine Gruppe von hochstehenden Persönlichkeiten der katholisch-melkitischen Gemeinschaft, die verstreut in zahlreichen Ländern der Erde leben. Sie vertreten hier die „Internationale melkitisch-katholische Vereinigung“, eine Vereinigung, die Sie zusammen mit Ihren Patriarchen und Bischöfen aufbauen wollten, um das melkitische Erbe lebendig zu erhalten, und die Einheit und Solidarität zwischen den Gläubigen, die in der ganzen Welt verstreut leben, und der Mutterkirche zu fördern. Das Phänomen der Auswanderung, zu oft Ursache von Leiden und Opfern, hat im Laufe der Jahre die zunehmende Zerstreuung Ihrer Kirche in viele Länder zur Folge gehabt und für zahllose Familien die Trennung von diesem Teil des Vorderen Orients, wo eure Kirche verwurzelt ist, wo sie sich entfaltet hat, und wo sie reiche .und tiefe Traditionen bewahrt. Bei der Integrierung in die Gesellschaft der verschiedenen Aufnahmeländer können die katholischen Melkiten die Vitalität und den Reichtum ihrer liturgischen und geistlichen Traditionen und eine ununterbrochene Anhänglichkeit an ihr Ursprungsland aufrechterhalten. In diesem Gebiet haben ja die Familien ihre Wurzeln, und vor allem befinden sich dort die alten Sitze der Apostel, in Alexandrien, in Antiochia und in Jerusalem, auf die die melkitische Kirche zurückgeht. Die Mutterkirche, die gleichzeitig Zeugen einer sehr reichen Geschichte ist, ist dort lebendig und aktiv. Sie ist Teil der orientalischen Kirchen, denen das Zweite Vatikanische Konzil seine Wertschätzung, sein Lob und seine Fürsorge ausgesprochen hat (vgl. Orientalium Ecclesiarum, Nr. 1). Kulturelle Verschiedenheit belebt das Streben nach Einheit Sie wissen, wie sehr diese ganze Region beständig meinem Geist nah und meinem Herzen lieb und teuer bleibt. Sie war die Wiege des Christentums; sie ist Quelle der Besorgnis, weil dort Brüder im Glauben, Brüder der Menschlichkeitsfamilie leben, die leiden und mit Angst und Bangen der Zukunft entgegensehen, besonders im Libanon. Das ist ein Bangen, das zweifelsohne die orientalischen Gläubigen in der Diaspora teilen. 1635 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die griechisch-melkitischen Katholiken können überall, aber vor allem im Vorderen Orient, Bauleute des Dialogs, des Verständnisses und des Friedens sein. Als Glieder der Universalkirche und reich an Geschichte ihrer Teilkirchen, können sie Förderer des gemeinsamen Handelns sein, zusammen mit denen, die anderen Teilkirchen des Orients und Okzidents angehören. Das Zweite Vatikanische Konzil hat ausdrücklich betont, daß die Verschiedenheit der Traditionen, fern davon, die Einheit der Christen zu beeinträchtigen, diese im Gegenteil noch hervorhebt (vgl. Orientalium Ec'clesiarum, Nr. 2). Besondere Aufgaben der Melkiten im Vorderen Orient Während hier in Rom die Bischöfe aus der ganzen Welt zusammengekommen sind, um über Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt nachzudenken, möchte ich mich besonders an Sie wenden und durch Sie an alle Laien der melkitischen Kirche, um sie zu ermuntern, über ihre Würde als Glieder der Kirche Gottes und die damit verbundenen Pflichten nachzudenken und in der ganzen Welt, und vor allem in der Region des Vorderen.Orients, authentische Zeugen des Evangeliums, zu sein. Das ist keine leichte Aufgabe, aber sie wird von Gottes Gnade unterstützt und ermöglicht. Ich bitte den barmherzigen Gott, Ihre Bemühungen zu segnen, und zusammen mit Ihnen vertraue ich Maria, der Jungfrau, Ihre Hoffnung an, die Ihnen, in Vereinigung mit Ihrer Kirche, sehr am Herzen liegen. Von ganzem Herzen erteile ich Ihnen meinen Apostolischen Segen, Ihnen, die Sie hier sind, Ihren Familien, den melkitischen Gemeinschaften, denen Sie angehören, und allen Gläubigen der katholischen Kirche des griechisch-melkitischen Ritus. Konzilien sind Ausdruck der Einheit Predigt am 25. Jahrestag der Eröffnung des:Zweiten Vatikanischen Konzils am 11. Oktober 1. „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen“ (Ps 22/23,1). Wie oft sagt die Kirche diese Worte! Heute möchte sie sie mit besonderer Dankbarkeit und gewillt zu neuem, vollkommenem Vertrauen aussprechen. Heute, am II. Oktober, ist ja der 25. Jahrestag des Beginns des Zweiten Vatikanischen Konzils. Und was war dieses Konzil anderes, als eine höchste Bestätigung der Liebe und wachsamen Sorge des Herrn, der der Gute Hirte seiner Kirche ist? 1636 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Zu passender Zeit hat er seine Diener, die Bischöfe der ganzen Welt, zusammengerufen. Sie nahmen den Appell des Petrus in der Person seines Nachfolgers Johannes XXTTT. an und kamen auf den vatikanischen Hügel, um einen neuen Dienst än der ihnen anvertrauten Herde auf sich zu nehmen. Es wurde wieder einmal klar, daß der Gute Hirte seine Herde „zum Ruheplatz am Wasser“ führt, wo die Seinen den Durst ihrer Seele stillen können. Es erwies sich, daß er für sie die „grünen Auen“ findet und den Tisch des Evangeliums in herzlicher, brüderlicher Gemeinschaft deckt. Wem es gegeben war, in den Jahren 1962 bis 1965 an den Arbeiten des Konzils in dieser Petersbasilika teilzunehmen, wird nie vergessen, welch ein Segen es ist, „im Haus des Herrn zu wohnen.“ Welch ein Segen es ist, im Geist der Wahrheit versammelt zu sein, der uns beständig alle Wahrheit lehrt und uns immer wieder neu jenen Trost empfinden läßt, den die Gegenwart Christi, des Guten Hirten, schenkt. „Dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht“ (Ps 22122,4). Den tradierten Inhalten wurden neue Formen gegeben 2. Ja, das Zweite Vatikanische Konzil war ein einzigartiger Augenblick, in dem die Kirche unserer Zeit die erleuchtende und beruhigende Gegenwart des Guten Hirten erfahren hat. Die grundlegende Bedeutung des großen kirchlichen Ereignisses, seine Motive, seine Ziele und seine Hoffnungen wurden in jener wunderbaren Ansprache Umrissen, die Papst Johannes XXIII. vor fünfundzwanzig Jahren genau an diesem Tag bei der feierlichen Eröffnung des Konzils hielt. „Die ökumenischen Konzilien“ — stellte er fest— „sind jedesmal, wenn sie zusammentreten, ein hochfeierlicher Ausdruck der Einheit Christi und seiner Kirche, und so führen sie dazu, die Wahrheit weltweit auszustrahlen; sie führen zur rechten Ausrichtung im persönlichen, häuslichen und sozialen Leben, zur Stärkung geistlicher Energien und leiten dazu an, sich zu den wahren und ewigen Gütern zu erheben ... Über allem andern hat das Konzil im Auge,, daß der geheiligte Schatz der christlichen Glaubenslehre bewahrt und in wirksamster Weise gelehrt wird.“ Und er erklärte dazu, „der christliche katholische und apostolische Geist in der ganzen Welt erwartet, ausgehend von dem erneuten klaren und ruhigen Festhalten an der ganzen Lehre der Kirche in ihrer Vollständigkeit und Präzision, wie sie noch immer in den Konzilsakten von Trient bis zum Ersten Vatikanum aufleuchtet, einen Sprung nach vorne, zu einer Vertiefung der Lehre und zur Gewissensbildung. Es ist notwendig, daß diese sichere und unveränderliche Lehre, die treu hochgehalten werden muß, vertieft uns in einer Weise dargeboten wird, die den Forderungen unserer Zeit 1637 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN entspricht. Zweierlei ist zu beachten: Einerseits ist da der Glaubensschatz selbst, das heißt, die Wahrheiten, die in unserer verehrungswürdigen Glaubenslehre enthalten sind, andererseits handelt es sich um die Form, in der sie verkündigt werden, wobei sie aber stets den gleichen Sinn und Gehalt bewahren müssen. Es wird notwendig sein, dieser Form viel Bedeutung beizumessen, und, wenn nötig, wird mit Geduld auf ihrer Ausarbeitung bestanden werden müssen. Man wird zu einer Art der Darstellung greifen müssen, die einem Lehramt, das vorrangig pastoralen Charakters ist, am besten entspricht.“ 3. Die Konzilsväter haben sich bemüht, nach dieser pastoralen Sicht ihre Arbeiten zu orientieren und haben der Kirche ein großartiges Ganzes von Lehren angeboten, die alle Aspekte des christlichen und kirchlichen Lebens irgendwie berühren und neues Licht auf die ewigen Wahrheiten des christlichen Mysteriums werfen. Wunderbar war der Reichtum an Faktoren, die zu den Arbeiten des Konzils selbst und der Ausarbeitung zusammenwirkten: 2860 Konzilsväter haben als Vertreter der Ortskirchen, die nun in allen Teilen der Welt präsent sind, teilgenommen. Auch andere christliche Kirchen und kirchliche Gemeinschaften wollten an diesem Ereignis teilnehmen und entsandten dazu ihre Beobachter. Es fehlte auch nicht an einer bedeutsamen Präsenz von katholischen Laienauditorert. Eine große Schar von Experten, etwa 400 Theologen, haben ihren wirksamen Beitrag dazu geleistet, den Problemen auf den Grund zu gehen und die Dokumente auszuarbeiten. So konnte das Konzil eine ungeheure Arbeit bewältigen. Es griff zurück auf den Schatz der überkommenen Glaubenslehre und entwarf zugleich auf der Basis dieses Gläubensschatzes ein umfassendes Programm zum Aggiornamento, das fast alle Bereiche des christlichen Handelns sowohl auf persönlicher wie auf Gemeinschaftsebene betrifft. So dürften sich die Konzilsaussagen in ihrer Gesamtheit, richtig begriffen und interpretiert im Zusammenhang mit dem vorausgehenden Lehramt , wohl das Aktionsprogramm für den Christen unserer Zeit nennen. Es ist jetzt nicht der Augenblick, auch nur annähernd eine Synthese von solch einem Reichtum zu versuchen. Dieser Aufgabe hat sich übrigens in gewissem Maß schon die Außerordentliche Bischofssynode 1985 gewidmet, die anläßlich des zwanzigsten Jahres nach Abschluß des Konzils einberufen wurde. 4. Es ist ein bezeichnendes Zusammentreffen, daß die heutige Liturgie von einem König spricht, der für seinen Sohn ein Festmahl bereitete. In diesem Festmahl dürfen wir in der Tat eine Analogie zur Konzilsversammlung fin- 1638 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN den. Der Unterschied besteht darin, daß die zum Konzil Geladenen gern kamen und sehr bereitwillig an diesem besonderen „Gastmahl“ des Sohnes Gottes teilnahmen, der durch die Kraft des Heiligen Geistes in der Gemeinschaft seiner Bischöfe, der Hirten der Kirche, anwesend sein will. Und hat nicht im übrigen das Konzil eine großartige Erhebung des Menschen in Christus oder — wie wir sagen könnten — ein besonderes „Königtum“ des Menschen als einen seiner Hauptpunkte gelehrt? Wie vielsagend gibt davon die dogmatische Konstitution Lumen gentium Zeugnis! „Christus“ — so sagt sie — „ist gehorsam geworden bis zum Tod. Deshalb wurde er vom Vater erhöht (vgl .Phil 2,8-9) und ging in die Herrlichkeit seines Reiches ein. Ihm ist alles unterworfen, bis er selbst sich und alles Geschaffene dem Vater unterwirft, damit Gott alles in allem sei (vgl. 1 Kor 15,27-28). Diese Gewalt teilte er seinen Jüngern mit, damit auch sie in königlicher Freiheit stehen und durch Selbstverleugnung und ein heiliges Leben das Reich der Sünde in sich selbst besiegen (vgl. Rom 6,12), aber auch Christus in den andern dienen und ihre Brüder in Demut und Geduld zu dem König hinführen, dem zu dienen herrschen bedeutet. Der Herr will ja sein Reich auch durch die gläubigen Laien ausbreiten, das Reich der Wahrheit und des Lebens, das Reich der Heiligkeit und der Gnade, das Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens. In diesem Reich wird auch die Schöpfung von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes (vgl. Rom 8,21) (Nr. 36). Es ist also wirklich „mit dem Himmelreich wie mit einem König, der die Hochzeit seines Sohnes vorbereitete“ (Mt 22,2). Und die angeführten Stellen aus der Konstitution Lumen gentium lassen sich in besonderer Weise auf die Synode anwenden, die ihre Hauptaufmerksamkeit dem Leben und der Berufung der Laien in der Kirche widmet. 5. So wollen wir denn an diesem Sonntag dem Herrn, dem Guten Hirten, danken für das Werk, das das vor fünfundzwanzig Jahren eröffnete Zweite Vatikanische Konzil unternommen hat. Im Lauf dieser Jahre hat die Kirche und haben einzelne Gemeinschaften in ihr viele Prüfungen erlebt. Manche Gläubigen mußten „in finsterer Schlucht wandern“ (vgl. Ps 22/23,4), mußten durch Schwierigkeiten gehen, die in ihnen Furcht und Bangen hervorrufen konnten. Doch der Psalmist sagt: „Ich fürchte kein Unheil, denn du bist bei mir“ (ebd.). Und der Apostel nimmt den gleichen Gedanken auf, wenn er an die Philipper schreibt: „Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt“ (Phil 4,13). Und in den folgenden Worten drückt er noch stärker aus, daß er sich ganz dem Herrn anvertraut, wenn er schreibt: „Gott ... wird euch durch Christus Jesus alles, was ihr nötig habt, aus dem Reichtum seiner Herrlichkeit schenken“ (Phil 4,19). 1639 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wahrhaftig, liebe Brüder und Schwestern, die nachkonziliare Kirche muß immer mehr eine Gemeinschaft werden, die in totalem Vertrauen lebt, nach dem Beispiel des Psalmisten, nach dem Beispiel des Apostels. 6. Wir können nicht umhin, uns noch einen anderen Umstand ins Gedächtnis zu rufen. Am Tag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils, dem 11. Oktober 1962, war nach dem damaligen liturgischen Kalender das Fest der Mutterschaft Mariens. Jetzt wird dieses Fest am 1. Januar als Oktavtag von Weihnachten gefeiert. Vergessen wir dieses liturgische, Zusammentreffen auch nicht im Hinblick auf die Tatsache, daß die 25. Wiederkehr dieses Ereignisses in das Marianische Jahr fallt. Hat nicht im übrigen das Konzil unsere Mariologie bereichert mit einem herrlichen Kapitel über die Muttergottes, die beständig im Geheimnis der Kirche gegenwärtig ist? Wer ist diese, die „selig ist, weil sie geglaubt hat“ (vgl. Lk 1,45) und die dem ganzen Gottesvolk vorausgeht auf dem Pilgerweg des Glaubens? (vgl. Lumen gentium, Nr. 58.63). Es ist die Mutter unseres Herrn und Mutter der Kirche! War nicht vom ersten Tag der Konzilsversammlung an Maria anwesend und beharrlich im Gebet in einem „vatikanischen Abendmahlssaal“ der neuen Zeit, so, wie sie bei den Aposteln im Abendmahlssaal in Jerusalem war im Augenblick der Herabkunft des Beistandes, des Geistes der Wahrheit? Die Analogien sind äußerst beredt. 7. Ein Abschluß dieser Betrachtung in der gleichen vatikanischen Basilika, die vor fünfundzwanzig Jahren Zeugen des Konzilsbeginns war, spreche ich mit den Worten der heutigen Liturgie den glühenden Wunsch aus, der an alle hier Anwesenden gerichtet ist und an alle jene, die die erste nachkonziliare Generation der Jünger Christi bilden: „Der Vater unseres Herrn Jesus Christus erleuchte die Augen unseres Herzens, damit wir verstehen, zu welcher Hoffnung wir berufen sind“ (Zwischengesang zum Evangelium; vgl. Eph 4,17-18). Ja, der Herr ist der wahre Hirte. Der Herr ist unser Hirte. Amen. 1640 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Arbeit katholischer Nachrichten-Agenturen beispielhaft Audienz anläßlich des CIC-Jubiläums am 15. Oktober Sehr geehrte Damen und Herren! Es freut mich sehr, Ihrer Bitte um eine Audienz heute in diesem Rahmen entsprechen zu können. Ich grüße und beglückwünsche Sie zur Feier des 25jährigen Bestehens des „Centrum Informationis Catholicum“ mit Sitz hier in Rom zur Jubiläumsfeier also der römischen Gemeinschaftsredaktion der katholischen Nachrichtenagenturen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und der religiösen Abteilung der Nachrichtenagentur der Niederlande. Ihre Vereinigung ist mit dem Beginn des II. Vatikanischen Konzils entstanden und hat nicht nur während seines Verlaufs, sondern auch in den nachfolgenden Jahren eine fruchtbare Tätigkeit im Mediensektor entfaltet. Als Zentrum zur Vermittlung von Nachrichten, Berichten und Kommentaren zwischen dem Heiligen Stuhl und den genannten Ländern Mitteleuropas leistet diese Einrichtung einen wichtigen Beitrag im Dienst und zur Förderung der sozialen Kommunikation. Gerade dieser hat das Konzil auch für den innerkirchlichen Bereich eine außerordentlich große Bedeutung zugewiesen und für sie sogar durch ein eigenes Dokument besondere Richtlinien erlassen. Eine solche unmittelbare, schnelle und zuverlässige Nachrichtenvermittlung in katholischer Trägerschaft und Verantwortung, wie Ihr Zentrum sie ermöglicht und garantiert, wäre für den gesamten Bereich der katholischen Kirche wünschenswert. Es gibt sie bisher nur noch in den USA. Seien Sie sich also dessen bewußt, ein nachahmenswürdiges Modell zu sein! Wenn auch die konkrete Gestaltung der sozialen Kommunikation dem Kulturraum der jeweiligen Adressaten angepaßt werden muß, so läßt sich doch vieles gemeinsam tun, was Kosten sparen und die Wirksamkeit erheblich vermehren könnte. Wie Ihre lobenswerte Initiative überregionaler Zusammenarbeit aus dem II. Vatikanischen Konzil erwachsen ist und ganz seinen Direktiven entspricht, so fällt nun Ihre jetzige Jubiläumsfeier mit der Bischofssynode zusammen, die sich mit der Aufgabe und Sendung der Laien in der Kirche befaßt. Sie wissen, welch hohe Erwartungen und Anforderungen die Konzilsväter an die verantwortungsbewußte Mitarbeit der Laien im Mediensektor gestellt haben und wie sie ihnen gerade diesen Bereich als eine wichtige Aufgabe für ihr christliches Apostolat dringlichst anempfohlen haben. Katholische Medienschaffende — und auch Ihre Nachrichtenagenturen — stehen mit in vorderster Linie des besonders von Laien zu erfüllenden Weltauftrags der Kirche. 1641 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Im Namen der Kirche danke ich Ihnen und Ihren Mitarbeitern für Ihre bisherige Tätigkeit auf diesem wichtigen Sektor. Zugleich ermutige ich Sie, darin im Geist des Konzils unermüdlich fortzufahren — allen Schwierigkeiten zum Trotz: fachgerecht, sachgerecht, in Liebe zur Wahrheit und zur Kirche und stets Ihrer großen Verantwortung bewußt. Mit besten persönlichen Wünschen für jeden einzelnen von Ihnen erteile ich Ihnen, Ihren Mitarbeitern, Freunden und Förderern wie auch Ihrer Familie, für Gottes besonderen Schutz und Beistand von Herzen meinen Apostolischen Segen. Auch die Finanzwelt ist dem Gewissen unterworfen Ansprache an Vertreter der Computer-Firma Nixdorf und leitende Angestellte von Bankinstituten am 17. Oktober Sehr geehrte Damen und Herren! Ein freundliches Willkommen entbiete ich Ihnen allen hier im Vatikan. Ich freue mich, daß es zu dieser Begegnung kommen kann. Sie vertreten hier eine bedeutende Pionierfirma auf dem Gebiet der Erfindung und Produktion von Computern sowie einen größeren Kreis potentieller Kunden aus dem Bereich von Geldinstituten. Die Tatsache, daß Sie für Ihr diesjähriges Seminar Rom gewählt haben — eine Stadt, die nicht gerade durch Computer berühmt geworden ist —, läßt mich darauf vertrauen, daß Ihr Interesse an diesem Besuch in Rom und im Vatikan wesentlich über den Sektor der Computerisierung und Automatisierung hinausgeht. Gewiß sind Sie auch gern bereit, zusammen mit mir in einigen Hinweisen die ethischen Implikationen zu bedenken, die gerade auch in der vorwiegend quantitativen Struktur von Arbeitsgeräten wie den Computern enthalten sind. Im Mai dieses Jahres sagte ich in Bottrop vor Arbeitnehmern und Arbeitgebern: „Die zentrale Frage lautet: Hat der Mensch noch Vorrang in der Welt der Maschinen und der modernen Kommunikation ...? Wem dienen in Wahrheit die Anstrengungen menschlichen Fortschritts und Forschern?“ {Ansprache am 2. Mai 1987). Und als ich im Jahre 1984 am Wirkungsort des heiligen Niklaus von Flüe in der Schweiz zum Thema „Verantwortung für den Frieden“ gesprochen habe, mußte ich von der Sache her auch die „mächtige Welt des Geldes“ in diese Verantwortung einbeziehen. Unter anderem habe ich damals betont: „Auch die Finanzwelt ist Menschenwelt, unsere Welt, unser aller Gewissen unterworfen; auch zu ihr gehören ethische Grundsätze. Wacht 1642 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN vor allem darüber, daß ihr mit eurer Wirtschaft und eurem Bankwesen der Welt Friedensdienste leistet und nicht — vielleicht indirekt — zu Krieg und Unrecht in der Welt beitragt!“ {Ansprache am 14. Juni 1984). Aber auch auf der untersten Ebene und gerade dort haben Sie als Bankkaufleute es mit dem Menschen zu tun; in all seiner Vielfalt, in seiner Risiko- oder Sparbereitschaft, mit seiner Vorsicht oder seinem Leichtsinn. Ich denke hier vor allem an die Kundenberatung und an Kreditgespräche, die heute einen wichtigen Kontakt einer Bank zum konkreten Leben ihrer städtischen oder ländlichen Umwelt darstellen. Diese Arbeit ist nicht nur personalintensiv, sondern auch unmittelbar mit ethischer, sozialer Verantwortung verbunden. Wie oft kommen Menschen in größte persönliche oder familiäre Schwierigkeiten, wenn der Schuldenberg, durch Leichtsinn oder durch tragische Umstände verursacht, sie zu erdrücken droht! Computer dürfen den menschlichen Spielraum nicht einengen Behalten Sie solche unmittelbaren Begegnungsmöglichkeiten mit den Menschen unbedingt bei; verdrängen oder entleeren Sie sie nicht durch Maschinen. Sonst können leicht — für Sie nicht immer wahrnehmbar — Kälte, Rücksichtslosigkeit und sogar Ungerechtigkeit im Umkreis Ihres an sich wertvollen und hilfreichen Wirkens zunehmen. Oder sollte einmal ein Computer erfunden werden, der liebt, der treu sein kann, der barmherzig ist und verzeiht? Doch wohl kaum! Aber gerade dies sind menschliche Akte, die die Möglichkeiten der Person in höchstem Maß ausloten. Hierin leuchtet die Würde des Menschen mit besonderer Helligkeit auf. Helfen Sie darum bewußt mit, daß diese Würde auch für Sie und Ihre Mitarbeiter bei Ihren beruflichen und geschäftlichen Aktionen möglichst deutlich den bestimmenden Horizont Ihrer Entscheidungen bildet. Ich danke Ihnen noch einmal für Ihr Kommen und wünsche Ihrem Romseminar und all Ihrem künftigen Wirken den gerechten Erfolg. Gott segne Sie und Ihre Familien! 1643 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ein großer Mann der Kirche, der Kultur und Wissenschaft Köndolenztelegramme zum Tode von Joseph Kardinal Höffher vom 18. Oktober An Frau Maria Höffner In inniger Anteilnahme an der Trauer über den Tod Ihres lieben Bruders, des verehrten und verdienten Kardinals Joseph Höffner, versichere ich Sie und alle Angehörigen des von mir so geschätzten Oberhirten meines besonderen Gedenkens im Gebet. Zusammen mit Ihnen erbitte ich dem hohen Verstorbenen Gottes Licht und ewigen Frieden in-seiner Herrlichkeit und erteile Ihnen und allen, die ihm im Leben und Wirken nahestanden, als Unterpfand besonderen göttlichen Beistandes von Herzen meinen Apostolischen Segen. ' IOANNESPAULUSPP.il An die deutsche Bischofskonferenz Mit tiefer Betroffenheit über die Nachricht vom Heimgang des hochverdienten Erzbischofs von Köln und langjährigen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Joseph Höffner, spreche ich Ihnen, allen Bischöfen sowie der ganzen Kirche in Ihrem Land meine aufrichtige Anteilnahme aus. Unser dankbares Gedenken gilt einem großen Mann der Kirche, der Kultur und Wissenschaft, der aus der Kraft eines unerschütterlichen Glaubens mit unermüdlicher Hingabe, in menschlicher Bescheidenheit und steter Liebenswürdigkeit seine vielseitige Begabung hochherzig in den Dienst der Menschen, der Ortskirche sowie der großen Aufgaben des Heiligen Stuhles und der Weltkirche gestellt hat. Möge der Herr seinem treuen Diener dieses verdienstvolle Leben und Wirken zum Wohl der Kirche und der menschlichen Gesellschaft, im besonderen auch für die dringlichen Anliegen der Menschen in den Ländern der Dritten Welt, mit seiner Gnade reich lohnen und ihm die ewige Vollendung und Erfüllung in seiner Herrlichkeit gewähren. IOANNES PAULUS PP. II 1644 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN An die Erzdiözese Köln Mit der Erzdiözese Köln trauere ich um den schmerzlichen Verlust Ihres großen und geliebten Erzbischofs Kardinal Joseph Höffner. Als sorgender Hirte und Mahner des Glaubens ging er seinen Gläubigen in beispielhafter Weise voran auf dem Weg treuer Nachfolge Jesu Christi, in opferbereiter Liebe zur Kirche und zu den Menschen, besonders den Benachteiligten und Hilfsbedürftigen. Nicht nur die Ortskirche, sondern die Weltkirche verliert in ihm einen mutigen Zeugen für Christus und eine vom Geist des Evangeliums geprägte christliche Lebensgestaltung in Familie und Gesellschaft. In aufrichtiger Anteilnahme am dankbaren Gedenken des verdienten Verstorbenen erbitte ich ihm den vom Herrn seinem treuen Diener verheißenen ewigen Lohn in Gottes Herrlichkeit und erteile meinen Mitbrüdem im Bischofs- und Priesteramt sowie allen Gläubigen der Erzdiözese Köln als Unterpfand reichen göttlichen Trostes von Herzen den Apostolischen Segen. IOANNES PAULUS PP. H Gott will die Menschen retten Predigt bei der Heiligsprechung von 16 Märtyrern von Nagasaki am 18. Oktober <43> <43> „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht... und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ (Mt 28,18-19). Heute hört die Kirche von neuem diese Worte Christi, die vom Evangelisten Matthäus überliefert werden. Sie sind von Jesus in Galiläa auf dem Berg gesprochen worden, wo sich die Apostel versammelt hatten. Es sind nicht einfach Abschiedsworte. Es sind Worte, die einen Sendungsauftrag enthalten. Christus geht weg, nachdem er seine messianische Aufgabe auf Erden erfüllt hat. Und zugleich bleibt er hier: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Der dritte Sonntag im Oktober wird Weltmissionssonntag genannt. An diesem Sonntag nimmt die ganze Kirche diese Worte Jesu mit besonderer Bewegung auf. Sie wird sich bewußt, durch und durch missionarisch zu sein; ganz und gar „in statu missionis“ zu sein. Und es kann nicht anders sein. Eben diese Tatsache ist vom letzten Konzil besonders hervorgehoben worden. 1645 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Hier auf dem Petersplatz hören heute die zur Synode versammelten Bischöfe mit besonderer Aufmerksamkeit diese Worte des missionarischen Auftrags. Die Synode betrifft die Sendung der Laien in der Kirche. Zum Missionssonntag wurden die Vertreter der Katecheten und Katechetinnen aller Länder und Kontinente eingeladen, vor allem aus den Missionsländern. Zusammen mit allen hier anwesenden Hirten der Kirche begrüße ich euch, liebe Brüder und Schwestern. Die missionarische Botschaft, die Christus auf dem Berg in Galiläa verkündet hat, ist in besonderer Weise zu euch gelangt und trifft euch weiterhin. Ihr seid es, die maßgeblich den missionarischen Charakter der Kirche verwirklichen. Vereint mit euren Bischöfen und Priestern habt ihr teil am aktuellen und immer neuen Werk der Evangelisierung der Welt. Auf euch beziehen sich die Psalmworte, die der Apostel Paulus auf die Verkünder des Evangeliums der ersten Generation angewandt hat: „Ihre Stimme war in der ganzen Welt zu hören und ihr Wort bis an die Enden der Erde‘ ‘ (Röm 10,18). Umkehr zum Glauben verlangt Sendung und Verkündigung 3. Vor etwa drei Jahrhunderten hörten die Märtyrermissionare, die die Kirche heute feierlich ins Buch der Heiligen einschreibt, diese Worte, als hätten sie ihnen gegolten. Unter ihnen waren auch Laien: ein Filipino und zwei Japaner. Heldenmütig setzten sie sich dafür ein, daß die Verkündigung des Evangeliums „bis an die Enden“ der Erde gelange. Diese Worte erklingen heute für euch, die ihr der Sache des Evangeliums in den Missionsländern dient. Ganz besonders für euch Laien; mit eurer Berufung und Sendung in der Kirche beschäftigt sich die Synode im Laufe dieser Wochen. Das Missionsapostolat der Laien ist Frucht eines Glaubens, der offen ist für das Zeugnis durch das Wort. „Wenn du mit deinem Mund bekennst: Jesus ist der Herr“ und in deinem Herzen glaubst: ,Gott hat ihn von den Toten auferweckt <44>, so wirst du gerettet werden“ {Röm 10,9). <44> „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht... und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ (Mt 28,18-19). Heute hört die Kirche von neuem diese Worte Christi, die vom Evangelisten Matthäus überliefert werden. Sie sind von Jesus in Galiläa auf dem Berg gesprochen worden, wo sich die Apostel versammelt hatten. Es sind nicht einfach Abschiedsworte. Es sind Worte, die einen Sendungsauftrag enthalten. Christus geht weg, nachdem er seine messianische Aufgabe auf Erden erfüllt hat. Und zugleich bleibt er hier: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Der dritte Sonntag im Oktober wird Weltmissionssonntag genannt. An diesem Sonntag nimmt die ganze Kirche diese Worte Jesu mit besonderer Bewegung auf. Sie wird sich bewußt, durch und durch missionarisch zu sein; ganz und gar „in statu missionis“ zu sein. Und es kann nicht anders sein. Eben diese Tatsache ist vom letzten Konzil besonders hervorgehoben worden. Wirst vielleicht nur du allein gerettet werden? Nein gewiß nicht. Denn „alle haben denselben Herrn; aus seinem Reichtum beschenkt er alle, die ihn anrufen ... Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden“ {Röm 10,12-13). Jeder! Die Rettung gilt für alle. Gott „will, daß alle Menschen gerettet werden“ {1 Tim 2,4). Die Ernte ist wirklich groß. Sie ist unermeßlich. Ihr, liebe Brüder und Schwestern, seid vom Herrn der Ernte berufen. Und eure Berufung und der Dienst haben keinen Preis. Sie sind unersetzbar. Hören wir noch einmal die drängenden Fragen, die der Apostel uns in dem 1646 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Brief an die Römer in bezug auf das missionarische Werk der ersten Generation der Kirche stellt. „Wie sollen sie nun den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie hören, wenn niemand verkündigt? Wie soll aber jemand verkündigen, wenn er nicht gesandt ist?“ {Röm 10,14-15). 4. Hören wir alle die Worte des Apostels. Hört sie vor allem ihr, Missionare und Missionarinnen, Ordensleute und Laien. Hört sie, ihr Katecheten und Katechetinnen. Diese Fragen des Apostels Paulus beziehen sich unmittelbar auf euch. Sie sind an euch gerichtet. Die Kirche unserer Zeit macht sich die Fragen ganz zu eigen, die in diesem Abschnitt des Römerbriefs enthalten sind. Der derzeitige Bischof von Rom trägt sie in seinem Herzen nach dem Beispiel des Apostels. Und als Antwort auf die Worte des Apostels verkündet er zusammen mit den hier anwesenden Synodenbischöfen den Lobpreis eurer Mission, den Lobpreis, den wir bereits im Alten Testament im Buch des Propheten Jesaja finden: „Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten!“ {Jes 52,7). In englischer Sprache sagte der Papst: 5. „Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, ... der eine frohe Botschaft bringt“ {Jes 52,7). Die heutige Heiligsprechung des seligen Lorenzo Ruiz und seiner Gefährten, die zwischen 1633 und 1637 in und um Nagasaki das Martyrium erlitten, ist eine beredte Bestätigung dieser Worte. Sechzehn Männer und Frauen legten durch ihr heroisches Leiden und Sterben Zeugnis ab für ihren Glauben an die Heilsbotschaft Christi, die zu ihnen gelangt war, nachdem sie seit den Zeiten der Apostel von Generation zu Generation verkündigt worden war. In ihrem Leiden kam ihre Liebe und Nachfolge Jesu zur Erfüllung und ihre sakramentale Gleichgestaltung mit Jesus, dem einzigen Mittler, wurde zur Vollendung gebracht. „Wenn wir nämlich ihm gleich geworden sind in seinem Tod, dann werden wir mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein“ {Röm 6,5). Diese Heiligen Märtyrer, nach Herkunft, Sprache, Rasse und sozialer Stellung verschieden, sind miteinander und mit dem ganzen Gottesvolk verbunden im Heilsgeheimnis Christi, des Erlösers. Zusammen mit ihnen singen auch wir, die wir hier mit den Synodenvätem aus fast jedem Land der Welt versammelt sind, dem Lamm das neue Lied aus dem Buch der Offenbarung 1647 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN des Johannes: „Würdig bist du, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen; denn du wurdest geschlachtet und hast mit deinem Blut Menschen für Gott erworben aus allen Stämmen und Sprachen, aus allen Nationen und Völkern, und du hast sie für ünsern Gott zu Königen und Priestern gemacht; und sie werden aufder Erde herrschen“ (Offb 5,9-10). Die Botschaft der Märtyrer von ihrer äußersten Treue zu Christus spricht zu Europa, dessen gemeinsames christliches Fundament von den Aposteln Petrus und Paulus gelegt wurde, zu Europa, das zweitausend Jahre lang ein Saatbeet für Missionare gewesen ist. Sie spricht zu den Philippinen, die für elf der neuen Heiligen der Ort der unmittelbaren Vorbereitung und Stärkung im Glauben waren — die Philippinen, die, wie ich 1981 in Manila bei der Seligsprechung der Märtyrer sagte, dazu berufen sind, aus solchen, denen das Evangelium verkündet wurde, nun selbst zu Verkündern des Evangeliums zu werden in der großen Aufgabe, den Völkern Asiens das Evangelium zu bringen. Möge diese Aufgabe der Evangelisierung in den philippinischen Familien ihren Anfang nehmen nach dem Beispiel von Lorenzo Ruis, dem Ehemann und Vater von drei Kindern, der zuerst mit den Dominikanern in Manila zusammenarbeitete und dann deren Martyrium in Nagasaki teilte, und der jetzt der erste Filipino ist, der heiliggesprochen wurde. Die heiligen Märtyrer sprechen zur Kirche in Japan, vor allem zur Erzdiözese Nagaski, zur Kirche in Taiwan und in Makao und zu allen, die in Asien Christus nachfolgen: mögen das Vorbild und die Fürbitte der neuen Heiligen helfen, die christliche Wahrheit und Liebe durch die Länge und Breite dieses ungeheuren Kontinents auszubreiten! In französischer Sprache sagte der Papst: 6. An diesem Weltmissionssonntag verkündigt die Kirche feierlich die Heiligkeit dieser Priester und Missionare aus dem Dominikanerorden, ihrer Mitarbeiter und zweier junger Frauen, die Mitglieder des Dritten Ordens des hl. Dominikus waren; sie alle wurden wegen ihrer Arbeit der.Glaubensverkündi-gung in Haft genommen und zu Tode gebracht. Im Verlauf der Bischofssynode über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt werden ein philippinischer Familienvater und zwei japanische Laien, die alle in der Katechese tätig waren, wegen ihrer restlosen Treue zu ihrer Taufghade geehrt, zugleich mit Ordensmännern aus dem Dominikanerorden, unter diesen der Franzose Guillaume Courtet. Die ganze Kirche Gottes freut sich über ihren Sieg. — Die Kirche in Italien, in Frankreich, in Spanien, in Taiwan, in Makao, in den Philippinen und in Japan ist erfüllt von Bewunderung, und Freude über die Frohe Botschaft, die 1648 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN durch das Leiden und Sterben dieser tapferen Jünger Jesu Christi, „des treuen Zeugen und Erstgeborenen der Toten“ (Ojfh 1,5), verkündigt wird. Durch das Zeugnis ihres Lebens, das sie aus Liebe zu Christus hochherzig darbrachten, sprechen die neuen Heiligen heute zur ganzen Kirche: sie ziehen sie mit und spornen sie an in ihrer Sendung zur Evangelisierung. In der Tat vollzieht sich die Sendung der Kirche, wie es im Konzilsdekret Ad gentes heißt, „durch das Wirken, kraft dessen sie im Gehorsam gegen Christi Gebot und getrieben von der Gnade und Liebe des Heiligen Geistes allen Menschen und Völkern in voller Wirklichkeit gegenwärtig wird, um sie durch das Zeugnis des Lebens, die Verkündigung, die Sakramente und die übrigen Mitteilungsweisen der. Gnade zum Glauben, zur Freiheit und zum Frieden Christi zu führen“ (Nr. 5). In spanischer Sprache sagte der Papst: 7. Die neuen Heiligen sprechen heute auch zu allen Missionaren, die, gedrängt durch den Auftrag Christi: „Geht zu allen Völkern“ (Mt 28,19), alle Wege der Welt durchwandert haben, um die Frohe Botschaft von der Erlösung allen Menschen zu bringen, besonders den am meisten Bedürftigen. Sie sprechen mit ihrer Botschaft und ihrem Martyrium zu den Katecheten, zu den Pastoralhelfem, zu den Laien, denen die Kirche in der gegenwärtigen Bischofssynode ihre besondere Aufmerksamkeit und Sorge widmet. Sie erinnern uns daran, daß „Sterben für den Glauben ein Geschenk ist, das einigen gegeben wird; den Glauben leben aber ist eine Berufung, die an alle gerichtet ist“ (Ansprache im Lunetapark in Manila, 18.2.81, Nr. 5). Die große dominikanische Familie und vor allem die Provinz vom hl. Rosenkranz, die die Vierhundertjahrfeier ihrer Errichtung begeht, nimmt heute mit berechtigtem Stolz unter ihre Heiligen auch diese Märtyrer auf, von denen einige besonders mit dem Kolleg Santo Tomäs in Manila verbunden waren. Dieses Zentrum, das sich inzwischen zur Universität entwickelt hat, trug, ebenso wie andere verdienstvolle kirchliche Institutionen, in bemerkenswerter Weise zur Einpflanzung und Entwicklung der Kirche im Fernen Osten bei. Die Missionare, die heute heiliggesprochen wurden, sprechen an diesem Gebetstag für die Mission zu allen treuen Christen und fordern sie auf, ihr missionarisches Bewußtsein neu zu beleben. „Alle Christgläubigen“, sagt uns das Konzil, „wo immer sie leben, müssen durch das Beispiel ihres Lebens und durch das Zeugnis des Wortes den neuen Menschen, den sie durch die Taufe angezogen haben, ... offenbaren“ (Ad gentes, Nr. 11). Jeder Getaufte muß sich also durch seine Berufung zur Heiligkeit gedrängt fühlen. Darin müssen die neuen Heiligen uns zum Vorbild dienen, daß wir mit unbegrenzter Hingabe 1649 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN dem Ruf Gottes folgen. Einer von ihnen, P. Lucas del Espirftu Santo, schrieb: „Ich betrachte es als größtes Glück, daß ich in Gesellschaft so großer Diener Gottes in dieses Land gesandt wurde. Einige von ihnen sind bereits in der ewigen Freude, andere sind dabei, einen großen Schatz vor seiner göttlichen Majestät zu erwerben“ (Brief an P. Miguel Ruiz OP, 28.9.1630). Der Papst beschloß die Predigt in Italienisch: 8. „Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn ... Er zeige uns seine Wege“ (Jes 2,3). So spricht der Prophet Jesaja in seiner Vision. Und diese Vision wird Wirklichkeit, als Christus, der Auferstandene, zusammen mit den Aposteln auf den Berg in Galiläa geht. Er sagt zu ihnen: „Geht... macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28,19-20). Dieses „alles“ ist das Evangelium der Liebe und des Friedens. Hat nicht Jesaja prophezeit, daß sie „Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen“ schmieden werden, weil die Menschen nicht mehr für den Krieg üben werden?“ (vgl. Jes 2,4). Er verkündete die Wege eines echten Fortschritts der Völker, bereits hier auf der Erde, und zugleich die Wege des ewigen Heils, das die Zukunft und endgültige Bestimmung des Menschen in Gott ist. 9. An euch alle wende ich mich deshalb, an euch, die ihr mich heute hier hört, und an euch alle, die ihr auf dem Feld der missionarischen Kirche in aller Welt unermüdlich arbeitet: euer Trost und eure Hoffnung sei das Evangelium der Liebe und des Friedens. „Kommt,... zum Haus des Gottes Jakobs ... kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn“ (Jes 2,3.5). Ja. Gehen wir unermüdlich! Christus geht mit uns! 1650 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Am Werk der Wissenschaft sich beteiligen Predigt zu Beginn des akademischen Jahres für die kirchlichen Universitäten am 20. Oktober 1. „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde“ {Mt 11,25). Mögen diese Worte, die — wie der Evangelist bemerkt — Christus sprach, als er „vom Heiligen Geist erfüllt, voll Freude“ war (vgl. Lk 10,21), für uns an diesem Tag der Eröffnung eines neuen akademischen Jahres zum Leitmotiv werden. Wir sind heute hier vereint beisammen, und ich spüre als Bischof der Kirche in Rom ein besonderes Bedürfnis nach dieser Gemeinschaft, nach dieser Eucharistiefeier, und daher empfinde ich zugleich eine besondere Freude über diesen Eröffnungstag. Das erste Wort dieses neu beginnenden Arbeitsjahres der kirchlichen Universitätsinstitute soll ein Wort Christi sein, nämlich dieses: „Ich preise dich, Vater ... “ 2. Die Worte der heutigen Liturgie enthalten ein Lob der Weisheit, der Vernunft und der Wissenschaft. Es wird vom Verfasser des Buches Jesus Sirach verkündet. Er hält sich einen Menschen vor Augen, der mit diesen Eigenschaften ausgestattet ist, die zugleich große Gaben Gottes sind. Der biblische Schriftsteller schreibt: „Viele loben seine Einsicht; sie wird niemals vergehen ... Von seiner Weisheit erzählt die Gemeinde, sein Lob verkündet das gesammelte Volk“ (Szr 39,9-10). Durch diese Worte der Liturgie werden wir alle aufgerufen, uns schöpferisch am großen Werk der Intelligenz, der Erkenntnis, der Wissenschaft und der Weisheit zu beteiligen. Alle zugleich: Professoren und Studenten, Lehrer und Schüler, jeder nach seiner Art. Der Aufruf ergeht neu zu Beginn eines jeden akademischen Jahres. 3. Doch Jesus, der den Vater, den Herrn des Himmels und der Erde, preist, spricht auch von Dingen, die „den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart“ sind (vgl. Mt 11,25). Der Apostel Paulus scheint noch weiter in dieser Richtung zu gehen, wenn er den Korinthern schreibt: „Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen“ (1 Kor 1,27). So steht an der Schwelle eines neuen akademischen Jahres ein besonderes Paradox vor uns. 1651 BOTSCHAFTEN. UND ANSPRACHEN Wir sind aufgerufen, am großen Werk des menschlichen Geistes mitzuwirken, am Bemühen der menschlichen Erkenntnis, Wissenschaft und Weisheit, zugleich aber werden wir gemahnt, nicht bei der menschlichen- Dimension dieses Werkes stehenzubleiben. Wir sind auf den Weg der „Kleinen“ des Evangeliums gerufen. Nach den Worten des Apostels wird gerade „das Törichte in der Welt“ gleichbedeutend mit Erwählung. 4. Die Zeit der Studien ist wie die Zeit der Vorbereitung auf das Priestertum bzw. auf die Ordensprofeß eine Zeit der gründlichen Auseinandersetzung mit diesem Paradox. Tatsächlich liegt nämlich kein großer Widerspruch vor. Es besteht kein Widerspruch zwischen all dem, was der Mensch mit seinem Verstand erkennen kann, und dem, was Gott darüber Hinäüs dem Menschen in seinem Wort sagen will. Er will es sagen, weil es ihm so gefallen hat (vgl. Mt 11,26). Christus sagt: „Mir ist von meinem’Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur den Väter, und niemand kennt den Vater, nür der Söhn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11,27). Wir sind also zu einer Erkenntnis aufgerufen, die Frucht der intellektuellen Arbeit, des Lernens ist — zugleich aber Frucht der Offenheit für das Geheimnis Gottes. Eine solche Erkenntnis bildet die Fülle der Weisheit. 5. Die heutige Liturgie enthält noch einen weiteren Aufruf, der mit dem vorigen gewissermaßen parallel läuft. Der Psalmist sagt: „Ich suche dich von ganzem Herzen. Laß mich nicht abirren von deinen Geboten! Ich berge deinen Spruch im Herzen, damit ich gegen dich nicht sündige ... Nach deinen Vorschriften zu leben freut mich mehr als großer Besitz“ (Ps 119,10-11.14). Bei dem großen Werk, das wir an der Schwelle des neuen Jahres beginnen, muß also der ganze Mensch beteiligt sein: Verstand und Herz; Verstand und Wille. Denn dieses Werk ist zugleich Unterweisung und Erziehung, Wissenschaft und Aszese. Zwischen beiden Aspekten müssen wir ein gesundes Gleichgewicht wahren. Wir müssen uns ständig um eine Synthese bemühen. 6. Eine solche Synthese ist anspruchsvoll und hat zugleich etwas Anziehendes. Man kann auf sie das Wort Jesu vom Joch an wenden: „Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht“ (Mt 11,29-30). 1652 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wieviel hat Jesus in diesen Worten gesagt! Wie tiefgründig hat er den Weg gekennzeichnet, auf den er uns ruft! • Die Synthese zwischen Weisheit und Demut ist das immerwährende Erbe der Jünger des Göttlichen Meisters: „Lernt von mir.“ 7. Was sollen wir uns also gegenseitig bei der heutigen Eröffnung des akademischen Jahres wünschen? Was sollten wir allen wünschen, die sich dem gleichen Bemühen an den verschiedenen kirchlichen Universitäten in allen Teilen der Welt widmen? Ich meine, es wäre alles in den Worten enthalten: „Lernt von mir.“ Das beginnende Schuljahr möge uns helfen, noch mehr Jünger Christi zu werden. Es möge uns allen helfen; den Lehrern und den Schülern, allen und jedem einzelnen. Jesus sagt: „Kommt alle zu mir.“ Brechen wir also auf, Ihm entgegen! Schreiben an Kardinalstaatssekretär Kardinal Agostino Casaroli anläßlich der Beisetzung von Kardinal Joseph Höjfner vom 21. Oktober Meinem verehrten Bruder Kardinal Agostino Casaroli Kardinalsstaatssekretär. Nach der Bekundung meiner tiefempfundenen Anteilnahme zum Heimgang des hochverehrten und verdienten Herrn Kardinals Joseph Höffner ist es mir ein aufrichtiges Anliegen, dem lieben Verstorbenen auch durch meine besondere Teilnahme an seinen Beisetzungsfeierlichkeiten im Hohen Dom zu Köln die letzte Ehre zu erweisen. Ihre Anwesenheit, sehr verehrter Herr Kardinalstaatssekretär, sei Ausdruck meiner persönlichen geistigen Verbundenheit im gemeinsamen Dankgebet zu Gott für alles, was er durch das Leben und Wirken dieses seines treuen Dieners den Menschen und der Kirche geschenkt hat. Wir verneigen uns in Verehrung vor seinem Lebenswerk als Mann des Glaubens und der Wissenschaft, vor dem uns gegebenen Beispiel treuer und konsequenter Christusnachfolge und hingebenden Dienstes zum Wohl der Menschen in Kirche und Gesellschaft. Von Gott, dem Herrn über Leben und Tod, erbitte ich in inniger Gebetsgemeinschaft mit allen, die seiner nun in Trauer und Dankbarkeit gedenken, den von Christus seinen treuen Dienern verheißenen Lohn. Möge der Herr dem verdienten verstorbenen Oberhirten seine geistliche Sorge und den 1653 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN unermüdlichen Einsatz für die ihm anvertrauten Gläubigen und die vielen ihm übertragenen Aufgaben durch seine ewige Vollendung und Erfüllung in Gottes Herrlichkeit vergelten und alle durch reiche Gnaden trösten und stärken, die ihm als Jünger Jesu Christi auf dem Weg des Glaubens folgen. Verbunden im Herrn erteile ich allen bei den Beisetzungsfeierlichkeiten anwesenden Brüdern und Schwestern von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 21. Oktober 1987 Die Liebe verbindet den Menschen mit Gott Predigt in der Messe zur Heiligsprechung des neapolitanischen Arztes Giuseppe Moscati am 25. Oktober 1. „Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid“ (Mt 25,34). Heute, am letzten Sonntag, der in die Zeit der Bischofssynode fällt, wendet sich Christus mit dieser Einladung an uns. Es spricht der ewige Sohn, dem der Vater „alles Gericht“ übergeben hat. Die angeführten Worte sind nämlich der Seite des Evangeliums entnommen, die vom Endgericht handelt, vor das wir alle am Ende der Zeit gerufen sind: „Und alle Völker werden vor ihm (dem Menschensohn) zusammengerufen werden, und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet“ (Mt 25,32). Der Abschnitt des Evangeliums, der heute verkündigt wurde, enthält nur den ersten Teil der Beschreibung des Gerichts. Er spricht von der endgültigen Erfüllung der menschlichen Berufung in Gott und zugleich von der vollen Verwirklichung des Sinnes, den das menschliche Leben hat: „Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist! “ (Mt 25,34). Am letzten Sonntag der Synode, deren Thema die Berufung und Sendung der Laien in der Kirche ist, möchte die Kirche dem ganzen Gottesvolk und besonders unseren Brüdern und Schwestern, den Laien, gleichsam aus der Herzmitte der heutigen Liturgie diese Einladung wiederholen: „Nehmt das Reich in Besitz!“ (vgl. Mt 25,34). 1654 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das Maß der Liebe bestimmt die Qualität der Gottesbeziehung 2. Diese Einladung ist zu gleicher Zeit ein Ruf zur Heiligkeit. Was ist Heiligkeit? Heiligkeit ist Einheit des Menschen mit Gott in der Kraft des Ostergeheimnisses Christi in der Kraft des Geistes der Wahrheit und der Liebe. Gerade davon spricht heute das Evangelium. Die Liebe hat die Macht, den Menschen mit Gott zu verbinden. Und diese endgültige Liebe reift durch die vielfältigen Werke der Nächstenliebe, die der Mensch im Lauf seines Lebens vollbringt: „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben ... ihr habt mir zu trinken gegeben ... ihr habt mich aufgenommen ... ihr habt mir Kleidung gegeben ... ihr habt mich besucht ... ihr seid zu mir gekommen“ (Mt 25,35-36). Wann? Wie? „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). In dieser Frage: „Wann ... wie? bemerken wir etwas wie ein Erstaunen. In der Antwort Christi wird das wunderbare Maß der Liebe sichtbar. Die Liebe hat immer und überall die Möglichkeit, Christus persönlich zu erreichen. Sie ist immer und überall fähig, den Menschen mit dem Herzen Gottes selbst zu verbinden. Und in diesem Herzen, wie in einem ewigen Feuer, wächst die „menschliche“ Liebe, die Liebe nach dem Maß der täglichen Werke des Menschen, über sich selbst hinaus. Sie gewinnt Anteil an Dem, der allein die Liebe in Fülle ist. 3. Die berühmten Worte des Apostels aus dem Brief an die Korinther, dessen 13. Kapitel als „das Hohelied der Liebe“ bekannt ist, sind in gewissem Sinn ein Kommentar zu den Worten Christi im Evangelium. Zuerst beschreibt der Apostel in wesentlichen Zügen die Liebe, die im Herzen des Menschen entsteht und bis zu ihrem vollen Maß heranreift, nämlich dem Maß Gottes selbst. Er schreibt: „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, läßt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allen stand“ (1 Kor 13,4-7). Und dann unterweist Paulus uns, daß diese Liebe „niemals aufhört“ (1 Kor 13,8). Sie geht mit jedem von uns bis vor das Angesicht des lebendigen Gottes, dann, wenn es uns gegeben sein wird, ihn „von Angesicht zu Angesicht“ zu schauen (1 Kor 13,12). Die Liebe wird uns gestatten, uns vor der unendlichen Majestät Gottes — der Heiligkeit ist, weil er die Liebe ist —, wiederzufinden. Nur die Liebe wird es uns möglich machen, dem, der „die Liebe ist“ (vgl. 1 Joh 4,8), ins Antlitz zu schauen. 1655 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 4. Heute lädt uns die Kirche zum Tisch des Wortes Gottes ein, um in seinem Licht noch einmal die größte und entscheidenste Berufung eines j eden von uns zu lesen. Vor allem die eines jeden und einer jeden von euch, liebe Brüder und Schwestern, die ihr im Lauf der letzten Tage und Wochen in gewissem Sinn die Haupthandelnden bei der großen Arbeit der Synode gewesen seid. Die Kirche stellt euch die Gestalt eines Mannes vor Augen, der, in dieser feierlichen Heiligsprechung zur Ehre der Altäre erhoben, zu allen Laien in der Kirche sagt: „Seht doch auf eure Berufung, Brüder!“ (1 Kor 1,26). Der Mann, den wir von heute an als Heiligen der ganzen Kirche anrufen, stellt sich uns als eine konkrete Verwirklichung des Ideals eines christlichen Laien dar. Giuseppe Moscati, Chefarzt eines Krankenhauses, hervorragender Forscher, Universitätsdozent der Physiologie, erfüllte seine vielen Aufgaben mit aller Hingabe und allem Emst, die diese schwierigen Berufstätigkeiten eines Laien erfordern. Unter diesem Gesichtspunkt ist Moscati ein Beispiel, das nicht nur bewundert, sondern nachgeahmt werden soll, vor allem von seiten derer, die in der Gesundheitsfürsorge arbeiten: Ärzte, Krankenpfleger und-pflegerinnen, freiwillige Helfer und alle, die direkt oder indirekt im Dienst an den Kranken und im weiten Bereich des Gesundheitsdienstes tätig sind. Er ist auch für die ein Beispiel, die seinen Glauben nicht teilen. 5. Aber es war gerade dieser Glaube, der seinem Einsatz neue Dimensionen und Qualitäten verlieh, jene, die für den echt christlichen Laien charakteristisch sind. Dank ihrer verbanden sich die beruflichen Aspekte in seinem Leben harmonisch zu einer Einheit und wurden als Antwort auf eine Berufung gelebt und daher als Zusammenarbeit mit dem Schöpfungs- und Erlösungsplan Gottes. Von seiner Veranlagung und seiner Berufung her war Moscati vor allem anderen und über allem anderen der Arzt, der Heilung bringen will: Es war für ihn eine zwingende und unumgängliche Notwendigkeit, den Menschen in ihren Bedürfnissen und Leiden zu helfen. Das Leiden eines Kranken traf ihn wie der Schrei eines Bruders, auf den hin ein anderer Bruder, nämlich der Arzt, in herzlicher Liebe zu Hilfe kommen mußte. Die Triebkraft in seiner ärztlichen Tätigkeit bestand für ihn nicht allein in der Berufspflicht, sondern in dem Bewußtsein, von Gott in die Welt gestellt zu sein, um nach seinen Plänen zu wirken, und daher die Liebe und den Trost zu bringen, welche die ärztliche Wissenschaft anbietet, um den Schmerz zu lindern und die Gesundheit wiederherzustellen. 1656 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 6. Eingedenk der Worte des Herrn: „Ich war krank, und ihr habt mich besucht“ {Mt 25,36), sah Moscati im Kranken, der in seiner Schwäche, seinem Elend, seiner Gebrechlichkeit und Unsicherheit hilfesuchend sich an ihn wandte, Christus selbst. Er sah den, der vor ihm stand, als Person, als Wesen, dessen Leib der Pflege bedurfte, aber auch als Wesen, in dem ein Geist wohnte, der ebenfalls Hilfe und Aufmunterung nötig hatte. „Denken Sie daran“, schrieb er an einen jungen Arzt, seinen Schüler, „daß Sie sich bei ihrer Beratung nicht nur mit dem Leib befassen dürfen, sondern die Seele beachten und sich geistig auf den Kranken einlassen müssen, und daß Sie sich nicht nur kühl zufriedengeben mit dem Rezept, das an den Apotheker geht.“ In der Tat sieht sich der Arzt nach seinen Worten „sehr oft Seelen gegenüber, bei denen es nicht mehr viel braucht, um zu den Grundsätzen zurückzukehren, die sie von den Vorfahren ererbt haben, Menschen, die von Ängsten gequält, eine Aufmunterung brauchen. Glücklich der Arzt, der das Geheimnis dieser Herzen verstehen kann und sie neu zu entzünden weiß. Glücklich wir Ärzte, zwar oft unfähig, eine Krankheit zu beseitigen, dennoch glücklich, wenn wir daran denken, daß wir außer dem Leib unsterbliche Seelen vor uns haben, denen gegenüber das Gebot des Evangeliums uns drängt, sie zu lieben wie uns selbst.“ Daher war die menschliche Wärme, mit der Moscati in großem Eifer die Kranken aufsuchte — besonders die ärmsten und verlassensten, im Hospital und in ihren Wohnungen —, von solcher Art, daß die Leute ihn suchten. Seine Erscheinung zeichnete sich aus durch jene achtungsvolle und feine Güte, die Jesus Christus ausstrahlte, wenn er über die Straßen Palästinas wanderte, Gutes tat und alle heilte (vgl. Apg 10,38). Moscati war also ein Wegbereiter und Vertreter jener Humanisierung der Medizin, die heute als notwendige Bedingung herausgestellt wird, um den Leidenden mit erneuerter Aufmerksamkeit hilfsbereit zu begegnen. 7. In seiner beständigen Gottverbundenheit fand Moscati das Licht, um die Krankheiten besser zu verstehen und zu diagnostizieren, und die Herzenswärme, um denen nahe zu sein, die in ihrem Leiden im Arzt jemanden erwarteten, der ihnen mit aufrichtiger Anteilnahme seinen Dienst leistet. Aus dieser tiefen und beständigen Beziehung zu Gott schöpfte er die Kraft, die es ihm möglich machte, in unbescholtener Redlichkeit und absoluter Geradheit in seiner schwierigen und komplexen Umwelt zu leben, ohne in irgendeiner Form einen Kompromiß zu schließen. Er war der Lehrer, der Chefarzt des Krankenhauses, der nicht vom Ehrgeiz nach besonderen Stellungen getrieben war; wenn diese ihm zuerkannt wurden, dann geschah es, weil seine 1657 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Verdienste nicht übersehen werden konnten. Und wenn er solche Posten bekleidete, dann wußte er sie mit absoluter Rechtschaffenheit und zum Wohl der andern auszuüben. Als ehrenhafter und von christlicher Konsequenz geleiteter Mann zögerte er nicht, Mißbräuche anzuzeigen, und setzte sich dafür ein, Praktiken und Systeme abzuschaffen, die der Berufsehre und der Wissenschaft abträglich und den Kranken zum Schaden waren, wie auch den Studenten, denen er sich verpflichtet fühlte, ihnen das Beste des eigenen Könnens zu übermitteln. Die Studenten sind die Ärzte von morgen. Dessen bewußt, dachte Moscati an die zukünftigen Ärzte und nahm auch öffentlich Stellung dafür, daß ihre berufliche Vorbereitung in keiner Weise beeinträchtigt wurde, eine Vorbereitung und Ausbildung, der er in seinem eigenen Beispiel Gestalt zu geben wußte. Der Tod ereilte ihn, als er eine Kranke besuchte. Wirklich, jeder Aspekt am Leben dieses Laienarztes erscheint uns beseelt von dem, was für das Christentum am meisten kennzeichnend ist: von der Liebe, die Christus seinen Nachfolgern als sein Gebot hinterlassen hat. Aus dieser seiner persönlichen Erfahrung vom zentralen Wert im Christentum hat er zahlreiche Spuren in seinen Schriften hinterlassen, Worte, die heute fast wie ein Testament klingen: „Nicht die Wissenschaft, sondern die Liebe hat die Welt umgewandelt“, schreibt er. „Nur wenige Menschen sind ihrer Wissenschaft wegen in die Geschichte eingegangen; aber alle können unvergänglich und ein Symbol für die Ewigkeit des Lebens bleiben, in dem der Tod nur eine Stufe ist, eine Umgestaltung zu höherem Aufstieg, wenn sie sich dem Guten widmen.“ 8. Wie sollte man in diesen Worten nicht fast ein Echo jener Seite des Evangeliums vernehmen, die wir heute gehört haben? „Ihr habt mir zu essen gegeben ... ihr habt mir zu trinken gegeben ... ihr habt mich aufgenommen ... ihr habt mir Kleidung gegeben ... ihr habt mich besucht Wann? Wie? Ich wünsche euch allen, liebe Brüder und Schwestern, hier auf dem Petersplatz versammelt oder in den verschiedenen Teilen der Welt verstreut, euch allen wünsche ich, daß ihr am Ende eures Lebens diese Fragen wiederholen ... und die gleiche Antwort von Christus erhalten könnt! „Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte (sagt der Prophet) ... und die Herrlichkeit des Herrn folgt dir nach ..." (Jes 58,8). Die Liebe „hört niemals auf.;„am größten ... ist die Liebe“ (1 Kor 13,8,14) Amen. 1658 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ein enges und fruchtbares Vertrauensverhältnis Ansprache an den neuen deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl, Dr. Paul Verbeek, am 26. Oktober Sehr geehrter Herr Botschafter! Aufrichtig danke ich Ihnen für die freundlichen Worte, mit denen Sie die Überreichung Ihres Beglaubigungsschreibens als neuer Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl begleitet und erläutert haben. Ich heiße Sie zu Ihrem Amtsantritt im Vatikan herzlich willkommen und beglückwünsche Sie zu dieser ehren-und verantwortungsvollen Aufgabe. 1. Unsere heutige erste Begegnung steht, wie Sie selbst hervorgehoben haben, noch ganz unter dem erlebnisstarken Eindruck meines diesjährigen Pa-storalbesuchs in der Bundesrepublik Deutschland. Hinzu kommt die tiefe Betroffenheit über den kürzlichen schweren Verlust des langjährigen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, des Erzbischofs von Köln, Kardinal Joseph Höffner. Beide Ereignisse verbinden mich in dieser Stunde in einer besonderen Weise mit der Kirche und den Menschen in Ihrem geschätzten Land. Sie veranlassen mich zu tiefer Dankbarkeit gegenüber der göttlichen Vorsehung, die auch diese Pastoraireise durch verschiedene deutsche Diözesen in Begleitung des Herrn Kardinals mit besonderem Segen bedacht und uns diesen verdienten Oberhirten der Kirche in solch außergewöhnlicher Schaffenskraft so lange erhalten hat. Unter seiner umsichtigen Führung und seinem vielfältigen paStoralen Wirken ist das Band zwischen den deutschen Ortskirchen und dem Heiligen Stuhl noch enger und fester geknüpft worden. Dafür schulden wir ihm alle bleibenden Dank. Zu Recht unterstreichen Sie in Ihrer Ansprache aber auch das „enge und fruchtbare Vertrauensverhältnis“, das zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Heiligen Stuhl insgesamt seit langem besteht. Ihre heutige Amtsübernahme setzt eine bereits bewährte Tradition beiderseitiger solidarischer Zusammenarbeit fort und bekräftigt die gemeinsame Bereitschaft, diese Beziehungen auch in Zukunft noch weiter zu entfalten und zu vertiefen. 2. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Staat und Kirche geschieht sowohl im Inneren Ihres Landes als auch im gemeinsamen Einsatz für die vordringlichen Anliegen der internationalen Völkergemeinschaft. Sie selbst haben diesbezüglich unter anderem auf die Sicherung des Weltfriedens, die Liri- 1659 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN derung der Not, besonders in den Ländern der Dritten Welt, die Verteidigung der Menschenrechte sowie den Schutz oder die Wiederherstellung einer sowohl physisch wie moralisch gesunden Umwelt des Menschen hingewiesen. Seien Sie dessen versichert, daß Ihre Regierung in der Verfolgung dieser wichtigen Anliegen der heutigen Menschheit im Heiligen Stuhl stets einen zuverlässigen Weggelahrten und hilfreichen Partner finden wird. Der Heilige Stuhl ermutigt und unterstützt im Rahmen seiner Möglichkeiten alle ernsthaften Bemühungen für eine bessere gerechtere Welt, für eine angemessene soziale und wirtschaftliche Entwicklung aller Völker sowie ein Zusammenleben der Menschen in Frieden und Freiheit. Durch ihre Botschaft und Sendung ist die Kirche fest davon überzeugt, daß der Aufbau einer menschenwürdigen Gesellschaft nur auf der Grundlage und durch Wahrung der elementaren sittlichen Werte möglich und erfolgreich sein kann. 3. Wie ich während meines letzten Pastoralbesuches betont habe, zeigt gerade die jüngere Geschichte Ihres Volkes, daß nur Menschen von großer sittlicher Kraft und Entschlossenheit imstande sind, moralischer und politischer Willkür, Unmenschlichkeit und Zerstörung wirksam Widerstand zu leisten. Der selige Rupert Mayer und auch der Bekennerbischof Kardinal von Galen stehen stellvertretend für alle, die sich — wo auch immer— im Namen Gottes oder der Menschlichkeit gegen sittliche Zügellosigkeit, Ungerechtigkeit und Unterdrückung mutig erheben. Sie sind für uns, so sagte ich, „Zeichen der Hoffnung und Verpflichtung für das von uns heute geforderte Zeugnis für Recht und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft, für die Verteidigung der immer wieder neu bedrohten Grundrechte des Menschen und seiner übernatürlichen Berufung, von der her alle menschlichen Belange ihr wahres Maß und Ziel erhalten“ {Ansprache auf dem Flughafen Köln/Bonn, 30. April 1987). Die kommenden Seligsprechungen der beiden Ordensfrauen Ulrika Nisch und Blandine Merten am Fest Allerheiligen fügen jener Schar von Zeugen für die wahre Würde und Größe des Menschen, die in der Bindung an Sittlichkeit und Religion, also letztlich an Gott, ihre tiefsten Wurzeln haben, noch zwei weitere Vorbilder aus Ihrem deutschen Volk hinzu. 4. Möge die heute in Ihrem Land bestehende verantwortungsbewußte Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche zu der gerade in unserer Zeit dringend geforderten sittlichen Erneuerung der Menschen und der Gesellschaft wirksam beitragen, ohne die eine erfolgreiche Bewältigung der die Menschheit bedrängenden Probleme nicht möglich sein wird. Die freundschaftlichen diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Heiligen Stuhl sind dafür eine wertvolle Voraussetzung und Hilfe. 1660 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Mit aufrichtigem Dank erwidere ich die mir von Ihnen übermittelten guten Wünsche des Herrn Bundespräsidenten. Zugleich erbitte ich Ihnen und Ihren Mitarbeitern in der Botschaft für Ihre wichtige Aufgabe Gottes Licht und Beistand und erteile Ihnen allen, auch Ihrer werten Familie, von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 26. Oktober 1987 Die Kirche hat eine Sendung in die Welt Predigt zum Abschluß der Bischofssynode am 30. Oktober 1. „Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und fragen nach dir“ (Mk 3,32) . Jesus antwortete: „Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder? Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder“ (Mk 3,33-35). Im Laufe dieses Monats Oktober im Marianischen Jahr haben wir versucht, miteinander diese wunderbare Antwort Christi zu betrachten. Das Zweite Vatikanische Konzil lehrt, daß Maria dem ganzen Gottesvolk auf dem Weg des Glaubens, der Liebe und der vollkommenen Verbundenheit mit Christus vorausgeht. Sie ist gerade darum das Urbild der Kirche, weil sie auf vollkommene Weise den Willen Gottes erfüllt hat. So ist sie als Mutter dem Fleisch nach, auch wie der Sohn sagt, auf vollkommene Weise Mutter dem Geist nach geworden. Diese Worte werden für uns, die wir hier in der Synode versammelt sind, wie auch für alle Brüder und Schwestern der ganzen Welt, stets ein bleibender Maßstab der christlichen Berufung bleiben: „Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter“ (Mk 3,35). 2. Heute, am letzten Tag der Synodenversammlung, möchten wir dem Guten Hirten danken, weil er uns aus allen Völkern herausgeholt hat, um uns ein neues Herz zu schenken und einen neuen Geist in uns zu legen (vgl. Ez 36,24.26). Dieser Geist, der zum Anfang der Kirche selbst gehört, zu ihren apostolischen Fundamenten und zu ihrer ganzen Tradition, hat sich mit neuer Klarheit und Macht in den Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Leben und die Berufung der Laien in der Kirche und in der Welt kundgetan. 1661 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Synode, deren Arbeiten wir heute abschließen, hat sich gerade in den Dienst dieses Geistes Christi gestellt. Es war ihre Aufgabe, für alle Glieder des Gottesvolkes einen wirksamen Beitrag zu leisten, um ihnen zu helfen, die Hinweise und Vorschriften, die das große Konzil unseres Jahrhunderts unter der Anregung des Geistes der Wahrheit und der Liebe der Kirche gegeben hat, in die Tat umzusetzen und zu leben. 3. Welches sind die Früchte, die wir heute zu diesem Altar tragen? Womit nahen wir uns dem, der der „lebendige Stein“ jenes Bauwerks ist, das zu errichten wir alle berufen sind, „um geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen?“ (vgl. 1 Petr 2,4-5). Vor allem müssen wir unserem Herrn, dem Guten Hirten, für die Tatsache danken, daß im Lauf der Synode die ganze Kirche selbst „hören“ und durch die einzelnen Interventionen ihre Wirklichkeit in der vielgestaltigen Einheit ihres Lebens und ihrer Sendung in gewissem Sinn „sehen“ und „erfahren“ konnte. Wir danken dafür, daß wir im Lauf der Synode nicht nur die Freude der Teilnahme der Laien als Auditoren hatten, sondern noch mehr, daß es uns im Verlauf der Synodendiskussionen möglich war, die Stimme der Geladenen, der Vertreter der Laien aus allen Teilen der Welt, aus den verschiedenen Ländern zu vernehmen, und daß wir von ihren Erfahrungen, ihren Ratschlägen und den aus ihrer Liebe zur gemeinsamen Sache hervorgehenden Vorschlägen Nutzen ziehen konnten. In gewissem Sinn ist dies eine neue, noch nie dagewesene Synodenerfahrung, und man möchte wünschen, daß sie zum Modell, zu einem Bezugspunkt für die Zukunft werden könnte. Wir danken dem Herrn auch dafür, daß wir während der Synode an Selig- und Heiligsprechungen von Männern und Frauen teilnehmen konnten, die in der Mehrzahl Laien waren: der hl. Giuseppe Moscati, einige der hl. Märtyrer von Japan, die sei. Marcel Callo, Pierina Morosini und Antonia Mesina. Schließlich danken wir Gott dafür, daß die Synode im Gedenken an die 25 Jahre zurückliegende Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils eines von dessen Hauptthemen und eine von seinen grundlegenden Weisungen wieder aufgreifen konnte. 4. In der Vorbereitung der jetzigen Synode hatte die außerordentliche Synode von 1985 besondere Bedeutung. In ihr hatte die Kirche sich die Aufgabe gestellt, sich selbst besser zu begreifen und ihre Berufung, ihre Sendung und ihre Natur, insofern diese Geheimnis und Gemeinschaft ist. Eine solche Reflexion mußte sich natürlich all denen zuwenden, die das Gottesvolk ausmachen. Wenn also damals die Natur des Bischofsamtes deutlich ins Licht gerückt wurde, so mußte man jetzt über die Laien nachdenken in dem Bewußt- 1662 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sein, daß sie eine sehr vielversprechende Hoffnung für die Kirche von heute darstellen. Wir danken dem Herrn, daß auch diese Synode, wie die vorausgegangenen, ihre Überlegungen im Geist der Treue zum Zweiten Vatikanischen Konzil fortsetzen konnte, in einer Haltung des Dienstes an der Wahrheit und im Dienst der Sendung unermüdlich bestrebt, den Anforderungen der Zeit zu entsprechen, ohne etwas zu entstellen und zu zerbrechen, und ohne irgendetwas am Erbe der Wahrheit und der Heiligkeit, das ihr vom Meister anvertraut wurde, anzutasten. Es war notwendig, diese Überlegungen anzustellen, damit die Leitlinien und Hinweise, die das Konzil uns hinterlassen hat, besser in Geist und Herz aufgenommen und dann konsequent und in Liebe in das praktische Leben aller Glieder des Gottesvolkes übersetzt würden. In dieser Perspektive hat die Synode es sich zur Aufgabe gemacht, die Gestalt des gläubigen Laien tiefer zu erfassen und Licht zu werfen auf seine außerordentliche Bedeutung und Aktualität in der heutigen Welt. Ausgangspunkt war die Lehre des Konzils über die Kirche in ihrer Wirklichkeit als „Geheimnis“, „Gemeinschaft“ und „Sendung“. Genau unter diesen drei Gesichtswinkeln wurde die Gestalt des gläubigen Laien, Mann und Frau, in den Brennpunkt gestellt. 5. Im Bereich der Kirche als Geheimnis ist der gläubige Laie zugleich mit allen anderen Getauften „Sohn Gottes“, „Glied des Leibes Christi“: „lebendiger Tempel des Geistes“, „Zeuge und Überbringer der ganzen Heilssendung“. Im Reichtum des Mysteriums wird seine ganze priesterliche, prophetische und königliche Würde sichtbar. Daraus erklärt sich seine Berufung zur Heiligkeit, sein Verlangen nach einer angemessenen Spiritualität, die Dringlichkeit einer in die Tiefe gehenden und ständig weitergeführten Bildung, die für ihn wie für alle anderen bestehende Notwendigkeit der Eucharistie und der Buße, sein täglicher Durst nach der kontemplativen Dimension. Der gläubige Laie ist vor allem ein echter Christ! Er wird immer daran denken müssen, daß er, um das zu sein, durch die Taufe in Christus begraben wurde, und daß für ihn von da an, wie der Apostel sagte, das Leben Christi ist, da er in Christus jeden menschlichen Wert in Fülle zurückerhält. 6. Im Bereich der Kirche als Gemeinschaft ist der gläubige Laie Glied jenes Bundesvolkes, das berufen ist, durch Jesus Christus im Heiligen Geist in Gemeinschaft mit Gott zu leben und das in Verbundenheit mit allen anderen Getauften. Er darf sich also nie in sich selbst verschließen und sich geistig von der Gemeinschaft isolieren, sondern muß in beständigem Austausch mit den 1663 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN anderen leben, mit lebendigem Sinn für Brüderlichkeit, in der Freude der gleichen Würde und im gemeinsamen Bemühen, den unendlichen Schatz des empfangenen Erbes Frucht bringen zu lassen. Der Geist des Herrn schenkt ihm, wie den andern, vielfältige Charismen, er regt ihn zu verschiedenen Diensten und Aufgaben an, er erinnert ihn daran — wie er auch die andern in bezug auf ihn daran erinnert —, daß alles das, was ihn auszeichnet, nicht ein Mehr an Würde, sondern eine besondere und zusätzliche Befähigung zum Dienst bedeutet. ; Die Eucharistie ist die Quelle und der Gipfel, das Zeichen und die Wirklichkeit, die Feststellung und die Prophezeiung dieser wunderbaren Blutsgemeinschaft im Leben des Auferstandenen. Die Kommunion des eucharistischen Leibes Christi bedeutet ja und schafft, d. h. baut die innere Gemeinschaft aller Gläubigen im Leibe Christi auf, der die Kirche ist (vgl. Lumen gentium, Nr. 10 u. 16). So bestehen die Charismen, die Ämter, die Aufgaben und Dienste des gläubigen Laien in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft. Sie sind einander ergänzende Reichtümer zugunsten aller, unter der weisen Führung der Hirten. , ,Weltcharakter ‘ ‘ bedeutet Missionsauftrag für die Laien 7. Schließlich nimmt der gläubige Laie im Bereich der Kirche und ihrer Sendung nicht nur an der Verantwortung des gesandten Missionars teil, sondern er zeichnet sich durch einen gerade ihm eigenen Auftrag zur Ausbreitung des Reiches Gottes aus. „Die Kirche“, so sagte Papst Paul VI. während des Konzils, „hat eine echte Sendung in die Welt.“ Sie gehört zu der ihr eigenen Natur und Sendung, deren Wurzel im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes verankert ist, und die sich in verschiedenen Formen durch ihre Glieder verwirklicht“ (Insegna-menti, X, 1972, 103). Die Verwirklichung dieser weltlichen Dimension, die als solche alle Getauften kennzeichnet, hat also eine Modalität der Ausführung, die dem gläubigen Laien als Besonderheit eigen ist. Das Konzil hat sie „Weltcharakter genannt. Die gläubigen Laien „leben in der Welt, d. h. in all den einzelnen irdischen Aufgaben und Werken und den normalen Verhältnissen des Familien- und Gesellschaftslebens, aus denen ihre Existenz gleichsam zusammengewoben ist “(Lumen gentium, Nr. 31). So arbeiten sie zusammen, um die volle Sendung der Kirche zu verwirklichen, die „nicht nur darin besteht, die Botschaft und Gnade Christi den Menschen nahezubringen, sondern auch darin, die zeitliche Ordnung mit dem Geist des Evangeliums zu durchdringen und zu vervollkommnen“ (Apostolicam actuositatem, Nr. 5). 1664 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Seht also den gläubigen Laien an die Fronten der Geschichte gestellt: in der Familie, der Welt der Kultur und der Arbeit, der wirtschaftlichen Güter der Politik, der Wissenschaft, der Technik, der sozialen Kommunikationsmittel; bei den großen Problemen des Lebens, der Solidarität, des Friedens, der Berufsethik, der Rechte der menschlichen Person, der Erziehung, der Religionsfreiheit. Die Synode konnte nicht jedes einzelne dieser komplexen Themen behandeln, sondern hat den gläubigen Laien in diesem seinem christlichen Handeln in der Welt beschrieben, begleitet und unterstützt von den gläubigen Hirten und den gläubigen Ordensmännem und Ordensfrauen in ihren verschiedenen Aufgaben innerhalb der gemeinsamen Sendung. 8. Besondere Aufmerksamkeit hat die Synode der Frau und der Jugend gewidmet, sicher nicht aus irgendwelchen beliebigen Gründen, sondern aus der tiefen Überzeugung heraus, daß sie zwei so umfassenden Teilen des Gottesvolkes, dem einen, der zeichenhaft auf die fruchtbare und sorgsame Mutterschaft der Kirche, dem anderen, der auf deren ewige Jugend hinweist, sorgfältig Überlegungen schuldet. Auch in dieser Hinsicht wurden tiefe und anregende Dinge gesagt. In den nächsten Monaten wird es meine Aufgabe sein, die geordnet zusammenzustellen und dem ganzen Gottesvolk vorzulegen. Wir wollen ja alle unsere Brüder im Episkopat, die durch die Synode vertreten waren, wie auch alle Priester, die Mitarbeiter im bischöflichen Dienst, und ebenso die männlichen und weiblichen Ordensfamilien in der ganzen Kirche an den Früchten dieser Arbeiten teilnehmen lassen. Noch einmal richte ich meinen Dank an alle, die zur Durchführung dieser Synode, zu ihrem erfolgreichen und geordneten Ablauf zusammengearbeitet haben. Einen besonderen Gruß richte ich an die Brüder im Bischofsamt, die aus irgendwelchen Gründen nicht dabeisein konnten. Mit ihnen fühlen wir uns in besonderer Gemeinschaft verbunden, und in Liebe denken wir daran, daß sie bei dieser Liturgiefeier kraft der Einheit im Glauben und in der Gnade, die durch dieses eucharistische Sakrament gewirkt wird, gegenwärtig sind. Ihnen und ihren Kirchen gilt mein liebevoller und herzlicher Gruß. 9. Das sind also in Kürze die Hauptfrüchte unserer gemeinsamen Arbeit im Lauf dieses Monats. Wir bringen sie nun zu dem, der der „lebendige Stein“ ist, um erneut zu bezeugen, daß auch wir „lebendige Steine“ sein möchten, mit denen in der Geschichte der Bau der Kirche errichtet wird, dazu bestimmt, bis in die Ewigkeit Bestand zu haben. 1665 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Bei dieser abschließenden Darbringung der Früchte unserer Synodenarbeit vereinen wir uns am Ende des Monats Oktober in besonderer Weise mit Maria, die uns auf dem Weg des bewußten Glaubens und der verantwortlichen Liebe vorausgegangen ist und uns geführt hat. Wir danken ihr auch für alle, die uns mit dem Gebet, vor allem dem Rosenkranzgebet, während der Arbeiten der Bisehofssynode über das Thema „Leben und Sendung der Laien in der Kirche und Welt“ unterstützt haben. 10. Wenn wir von hier Weggehen in alle Richtungen, in die verschiedenen Länder und Kontinente, in die Kirchen und Gemeinschaften, aus denen wir gekommen sind, dann wollen wir mit immer tieferer Überzeugung im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe — bekennen und verkünden, daß wir „ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk (sind), das Gottes besonderes Eigentum wurde“ (1 Petr 2,9). Wir wollen die wunderbaren Werke dessen verkünden, der uns aus der Finsternis in sein wunderbares Licht in Christus berufen hat (vgl. ebd.). Wir wollen also als solche, die Erbarmen gefunden haben, (vgl. 1 Petr 2,10), Gott, der „voll Erbarmen ist“ (vgl. Eph 2,4), vor allen Zeugnis geben; dem Vater, der „die Welt so sehr geliebt (hat), daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Amen. Alle Vorschläge sind Grundlage für das nachsynodale Dokument Ansprache zum Abschluß der Bischofssynode am 30. Oktober Geliebte im Herrn! 1. Wir danken Gott durch unseren Herrn Jesus Christus in der Liebe des Heiligen Geistes für diese siebte ordentliche Versammlung der Bischofssynode, die ihre Arbeit einem innerhalb des Heilsplans so wichtigen Thema wie die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt von heute gewidmet hat. In Wahrheit ist es recht, unseren Dank zum Herrn zu erheben für das Erlebnis brüderlicher Gemeinschaft, das uns in diesen so ausgefüllten Tagen beschie-den war, für die gegenseitige Bereicherung, die diese große Beratung einem jeden von uns gebracht hat, für die Früchte, die sich aus diesen unseren Arbeiten hoffentlich für das Wachsen des Reiches Gottes ergeben, das auf der Erde langsam heranreift. Gott, der mit seiner Güte unsere Mühe begleitet und be- 1666 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN fruchtet hat, möge nun auch eine reiche Ernte daraus zum Wohl seiner geliebten Kirche ersprießen lassen. Mein dankbares Gedenken gilt zugleich einem jeden von euch, geliebte Brüder, die ihr aus allen Teilen der Welt hergekommen seid und in diese Versammlung die reiche Erfahrung eures pastoralen Eifers eingebracht und im Verlauf dieser Wochen hochherzig die Kräfte eures Geistes und Herzens für die Ausarbeitung der verschiedenen eurer Überlegung anvertrauten Themen aufgewendet habt. Die Sorgen und Hoffnungen, die das Herz eines jeden bewegten, haben sich in die Herzen von uns allen übertragen, und so kam es, daß wir in diesen Tagen in besonders greifbarer Weise die „Sorge für alle Kirchen“ erleben durften, die im Herzen des Apostels brannte (2 Kor 11,28). Wenn ich jedem von euch danke, möchte ich, daß alle Kinder der Kirche wissen: der Gedanke an sie, an ihre Erwartungen und ihre Probleme waren beständig in der Synodenaula präsent und haben unsere Arbeiten begleitet. Um diesen Gedanken lebendig zu halten, war eine qualifizierte Vertretung der verschiedenen kirchlichen Gruppen anwesend. Auch diesen Personen, den männlichen und weiblichen Ordensleuten und Laien, den Fachleuten in den verschiedenen theologischen und anthropologischen Disziplinen gilt mein Dank und zugleich der erneute Ausdruck meiner herzlichen Verbundenheit. Eine große Beratung mit vielen Organisationsstrukturen 2. Es war wirklich eine große Beratung, die wir mit Gottes Gnade bei dieser Synodenversammlung durchführen konnten. Ihre Elemente finden sich in den Beiträgen und Texten verstreut, die den verschiedenen Abschnitten der Vorbereitung der Versammlung zuzuordnen sind. Ich möchte damit besonders auf die Lineamenta anspielen, die Anfang 1985 allen Einzelkirchen zugesandt wurden, auf die Empfehlungen, Bemerkungen und Antworten darauf, die nach und nach beim Sekretariat der Synode eintrafen, dann auf das Instru-mentum laboris, das auf Grundlage dieser Beiträge vorbereitet und der Überlegung der Bischöfe, ihrer Mitarbeiter und aller Gläubigen im Frühling dieses Jahres vorgelegt wurde. Ich möchte ferner hinweisen auf die verschiedenen Beiträge, die im Verlauf der Diskussion bei der Synode vorgelegt wurden, endlich auf die „propositiones“, in denen die Ergebnisse dieser Diskussion zusammengefaßt sind. Entsprechend dem Wunsch der Synodenväter werden alle Elemente, die auf diese Weise ans Licht kamen, die Grundlage für die Erarbeitung des nachsynodalen Dokumentes bilden, dessen Entwurf ich möglichst bald abfassen möchte. Die notwendigerweise begrenzte Zeit, in der die Synode versammelt war, hat es ihr nicht gestattet, selber ein Schlußdokument zusammenzustel- 1667 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN len. Es wird daher meine Sorge sein, entsprechend dem geäußerten Wunsch diese Aufgabe zu erfüllen, wobei ich mich des Rates des Synodensekretariats bedienen werde, unter Berücksichtigung auch gewisser „ Autorenrechte“, die der Synode selber zustehen. Kirche hat in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Gesichter Ich hoffe, daß man auf diese Weise voll dem Sinn dieser kollegialen Zusammenarbeit gerecht werden kann, die in dieser letzten Tagung der Synode so bezeichnend und eindrucksvoll zum Ausdruck kam. Das wesentliche Ziel, auf das wir alle hinarbeiten wollen, besteht im Dienst an der großen Familie Gottes, die die Kirche ist, jenes Volk Gottes, dessen überwiegenden Teil die Laien bilden. Bei der Vertiefung der verschiedenen Aspekte der Berufung und Sendung der Laien wird man freilich immer die vielfache Differenzierung der kirchlichen Gemeinschaft bedenken müssen, die gerade im Verlauf der Synode in den Worten der Redner so klar hervortrat. Dieser Dienst an der Kirche, am Volk Gottes, das auf den Straßen der Zeit der ewigen Heimat entgegengeht, ist in besonderer Weise eine Aufgabe von uns allen, die wir als Mitglieder des Bischofskollegiums in der Kirche das von den Aposteln überkommene Amt der Seelsorge ausüben. 3. Von den Vorschlägen für die Zukunft zum gegenwärtigen Augenblick zurückkehrend, möchte ich erneut all jenen meinen Dank aussprechen, die in unterschiedlicher Weise zur in dieser Synode geleisteten Arbeit beigetragen haben. Ich denke an erster Stelle an jene, die die Mühe ihrer Vorbereitung auf sich genommen haben. Erwähnt werden muß vor allem der vorherige und der jetzige Rat für das Sekretariat mit seinen Mitarbeitern und Beratern. Eine besondere Erwähnung verdient ferner, auch von diesem Gesichtspunkt aus, die außerordentliche Synodenversammlung von 1985: sie hat über die Früchte des II. Vatikanischen Konzils nachgedacht, 20 Jahre nach seinem Abschluß, und mit Recht ihre besondere Aufmerksamkeit der Rolle der Laien in der Kirche zugewandt und damit in den großen Linien das Schema der gründlicher zu behandelnden Dinge entworfen, nachdem dann die Vorbereitung der jetzigen Synode erfolgte. Das Hauptverdienst an den in diesen Tagen geernteten Früchten und folglich unser aller pflichtschuldiger besonderer Dank muß freilich den residierenden Bischöfen und den Bischofskonferenzen gelten, die die Problematik der Synode „vor Ort“ überprüft und entwickelt haben in Beratung mit den zuständigen Laienkreisen. Natürlich hatten an dieser Beratung auch die Priester sowie die 1668 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ordensmänner und Ordensfrauen einen großen Anteil, da sie ja in direktem Kontakt mit den Laien stehen: auch ihnen gilt mein Dank. Beraten in langen Sitzungen ist harte Arbeit Ein besonderes Gedenken möchte ich dem Päpstlichen Rat für die Laien widmen, der sich in den Prozeß der Vorbereitung sehr nachdrücklich eingeschaltet hat und sich dabei seiner besonderen Fachkenntnis bedienen konnte. Er hat einen besonderen Beitrag zur zentralen Thematik der Synode, zumal durch die Begegnung in Rocca di Papa im Mai dieses Jahres, geleistet. Dann erfülle ich gern die Pflicht, ausdrücklich all jenen zu danken, die, ohne Mühe zu scheuen, direkt zum Gelingen der Synode in diesen anstrengenden Sitzungen beigetragen haben. An erster Stelle gilt jenen all meine Hochachtung, die an der Synode teilgenommen haben, wegen der umfangreichen Arbeit und der einzigartigen Sorgfalt, die sie dem glücklichen Ablauf dieses kirchlichen Ereignisses gewidmet haben: den Vertretern der Bischofskonferenzen und der Orientalischen Kirchen, den von mir ernannten Mitgliedern, den Generaloberen der Ordensgemeinschaften und den Präfekten der Dikasterien der Römischen Kurie. Durch ihre tägliche hingebungsvolle Arbeit haben sie sichergestellt, daß die Synode fruchtbar verlaufen konnte. Unser Gedenken gilt auch den Priestern als Mitarbeitern der Bischöfe, und brüderlich umarmen wir aus der Feme jene würdigen Bischöfe, die aus verschiedenen Gründen verhindert waren, mit ihren übrigen Mitbrüdern an der Synode teilzunehmen. Ich muß und will ferner meinen tiefen Dank den drei delegierten Präsidenten aussprechen, den ehrwürdigen Brüdern Pironio, Lubachivsky und Vidal — und dabei zugleich an Kardinal Trin Van Can denken, der nicht mit uns bei der Synode sein konnte. Wertvolle Arbeit hat, wie alle gewiß anerkennen werden, der Generaldirektor, Kardinal Thiandoum, Erzbischof von Dakar, geleistet, der so dazu beigetragen hat, daß die Kirche Afrikas, einen eigenen Beitrag von großem Wert für einen frachtbaren Synodenverlauf einbrachte. Der Sondersekretär und seine Mitarbeiter, Priester und Laien, Männer und Frauen, verdienen alle das Lob, den Synodenteilnehmem mit großem Eifer und ganzer Treue eine ausgezeichnete Hilfe geboten zu haben. Schwierige Detailarbeit in den „circuli minores“ Ich spreche jetzt gewiß das Empfinden von euch allen aus, wenn ich dem Generalsekretär der Synode, Erzbischof Schotte, tief empfundenen Dank und all denen, die im Generalsekretariat der Bischofssynode mit ihm zusammengearbeitet haben: sie haben nicht nur die gemeinsame Arbeit der Väter sehr gut 1669 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN vorbereitet, sondern im Verlauf der Sitzungen auch wirksam mitgeholfen, daß das Werk glücklich vollendet werden konnte. Meinen Dank verdienen ferner die beigeordneten Sekretäre, die beiden Laien, ein Mann und eine Frau, die eigens dazu ernannt worden sind. Sie haben ihre Aufgabe beispielhaft erfüllt: sie haben den Hirten die Erwartungen und Hoffnungen der Laienschaft vorgetragen, für deren Glauben ein sehr solides und überzeugendes Zeugnis abgelegt. Gern nenne ich auch ausdrücklich die Moderatoren der „circuli minores“, die deren Arbeiten so weise zu leiten wußten, daß sich nicht nur alle frei äußern konnten, sondern daß auch die in den verschiedenen Interventionen der Synodalen geäußerten Meinungen zu einem ausgereiften kollegialen Konsens kamen. Einen Großteil der Arbeitslast haben freilich die Berichterstatter der „circuli minores“ übernommen: sie haben ihre Aufgabe mit größter Sorgfalt erfüllt und zu der Arbeit des Moderators sowie des Sondersekretärs in den verschiedenen Phasen ihre Hilfe beigetragen, um in Achtung vor den Meinungen und Erklärungen aller die Bildung eines synodalen Konsenses zu fordern. Sie haben für diese schwierige Aufgabe des Ausgleichs lange Stunden verwandt und dabei Opfergeist, Verantwortung gegenüber der Kirche und Fachwissen gezeigt. In ganz besonderer Weise möchte ich den Auditoren ein Dankeswort ausrich-ten — Männern und Frauen —, den Vertretern der Säkularinstitute und den Laien. Ihre Präsenz in der Aula und bei den „circuli minores“ hat dem Verlauf der Synode einen neuen und weiter reichenden Atem gegeben. Alle jene, die zu den Synodenvätem in der Aula gesprochen haben, sei es als speziell Beauftragte, sei es als Auditoren, haben die christliche Wirklichkeit so, wie sie ist, zur Sprache gebracht, und durch sie haben alle Laien der Welt sich vernehmbar gemacht. Das Zeugnis ihres Lebens, ihrer Pflichterfüllung und ihr Glaubensgeist war wirklich erhebend, und ihr Beitrag bleibt unvergeßlich. Jeder hat sich gemäß seiner Rolle unter Führung des Heiligen Geistes in die große Synodenfamilie eingefügt. Dank sei Gott für das Gelingen — Bitte, daß er das begonnene Werk vollende 4. Morgen werden wir in der Petersbasilika in Gemeinschaft des Geistes eine feierliche Eucharistie halten und erneut dem Herrn unseren Dank darbringen für alle Gaben, die er uns im Verlauf dieser Tage geschenkt hat. Im Hinblick auf diesen liturgischen Akt der Danksagung und als Vorbereitung auf ihn tauschen wir jetzt den Ausdruck unserer gegenseitigen Dankbarkeit aus, wobei wir uns wohl bewußt sind, daß „jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk von oben, vom Vater der Gestirne kommt, bei dem es keine 1670 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Veränderung und keine Verfinsterung gibt“ {Jak 1,17). Das Gute, das wir uns gegenseitig im Rahmen dieser Versammlung erweisen konnten, auch der Dienst, den wir der Kirche und der großen Sache des Laienapostolates erweisen durften, haben ihren Ursprung in Gott, in dem die letzte Quelle alles Guten liegt, das sich in Zeit und Raum offenbart. Wir wissen freilich auch, daß dieses Lob ihm nicht willkommen wäre, wenn nicht zugleich das anerkannt würde, was jeder Bruder und jede Schwester zur Erfüllung des Planes beigetragen hat, der von Ihm in seiner weisen Allmacht und vorsorglichen Liebe entworfen wurde. Sagen wir uns also gegenseitig Dank und vereinen wir zugleich unsere Stimmen, um unseren Dank Ihm, dem Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus darzubringen, und bitten wir ihn, „daß er, der das gute Werk begonnen hat, es auch vollende“ (vgl. Phil 1,6), zu seiner Ehre und zum Wohle aller, die er unserer pastoralen Sorge anvertraut hat. Möge die „synodalitas effectiva“ — wie wir analog formulieren können — die wir in diesen Tagen erfahren durften, sich in die Zeit hinein als „synodalitas affectiva“ verlängern und unsere Arbeiten begleiten, wenn wir durchführen, was der Herr unseren Herzen nahegelegt hat, die wir immer während des Verlaufs der verschiedenen Sitzungen, in die unsere Versammlung gegliedert war, wachsam hören wollten. Wir vertrauen diesen unseren Wunsch der Fürbitte der allerseligsten Jungfrau Maria an. Sie möge ihn ihrem Sohn vortragen und uns von Ihm alle notwendige Hilfe erwirken, die wir brauchen, wenn wir in der Zeit nach der Synode an die entsprechende und fruchtbare Durchführung des Ganzen Hand anlegen. Von der Liebe und Treue zu Christus geprägt Predigt in der Messe zur Seligsprechung von Br. Arnould Reche, Sr. Ulrika Nisch und Sr. Blandine Merten am 1. November 1. „Wir haben den Knechten unseres Gottes das Siegel auf die Stirn gedrückt“ (vgl. Offb 1,2). Am Fest Allerheiligen spricht die Liturgie durch das Bild aus der Offenbarung des Johannes zu uns. Wir sehen den Engel, der das Siegel des lebendigen Gottes hat, und eine große Schar „aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen, die „vor dem Thron und vor dem Lamm“ steht {Offb 7,9). Sie alle sind mit den Chören der Engel vereint im Lobgesang der Verherrlichung und der Danksagung. Söhne und Töchter aus allen Nationen und Generationen, Völkern und Sprachen verkünden die Freude des Heils, die sie für immer, durch das Lamm, in Gott gefunden haben. 1671 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ja, sie alle sind „aus der großen Bedrängnis gekommen“ (Offb 7,14). Heute läßt das Buch der Offenbarung des Johannes uns wieder die Wahrheit über ihr ganzes irdisches Leben lesen: die Wahrheit, die auf der Stirn der Diener Gottes als Siegel des ewigen Heiles leuchtet. Das Siegel der Heiligkeit! 2. Nur Gott kann das Siegel der Heiligkeit in das Herz des Menschen prägen. Die Liturgie des heutigen Festes verbindet die Vision dieses Siegels aus der Offenbarung des Johannes mit dem Evangelium von den acht Seligpreisungen. Was in Gott, dem dreimal Heiligen, seine endgültige Vollendung findet, steigt bis in die Dimension des menschlichen Lebens auf Erden herab. Es wird zum Weg, auf dem Gott selbst als wahrer Mensch gegangen ist. Es wird zum Weg derer, die vor Gott arm sind ... zum Weg der Demütigen, zum Weg derer, die traurig sind — derer, die nach der Gerechtigkeit dürsten —, derer, die barmherzig, reinen Herzens, Friedensstifter sind —, zum Weg derer, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen. Es ist der Weg, den Gott selbst als wahrer Mensch gegangen ist. Der Weg, den Christus gegangen ist. Und als er diesen Weg ging, hat er in das Leben des Menschen das Siegel der acht Seligpreisungen geprägt. Es ist das Siegel der Heiligkeit. 3. Die Kirche blickt heute anbetend auf Gott, den dreimal Heiligen. Zugleich sagt sie Dank für alle seine Söhne und Töchter, die mit dem Siegel der acht Seligpreisungen bezeichnet wurden, dem Siegel der Heiligkeit, die Christus an so viele Wege des Menschenlebens auf Erden gestellt hat. „Kommt zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid: Ich will euch erquicken“ {Mt 11,28). Was könnte für die Kirche schon hier auf Erden von größerer Erquickung sein als jenes, die Früchte der Heiligkeit in den Menschen wahrzunehmen? In ihren Söhnen und Töchtern, die Christus auf dem Weg der acht Seligpreisungen folgen? In französischer Sprache sagte der Papst: 4. Heute habe ich die Freude, unter den Jüngern Christi, die mit dem Siegel der Heiligkeit bezeichnet sind, Bruder Arnold seligzusprechen, ihn, der sich vom „Heiligen Geist, der heilig macht und der eins macht“, ergreifen ließ und der sagte: „Auf Erden muß man den Heiligen Geist vor allem im Herzen unseres Herrn suchen.“ Bei ihm nahm die Heiligkeit Gestalt an in einem Leben in Armut, in der Arbeit, die er in früher Jugend annahm, um seiner Familie zu helfen. Bis ins Erwachsenenalter entspricht der zukünftige „Bruder der christlichen Schulen“ 1672 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN voll und ganz seiner Berufung als Christ: trotz der Hindernisse geht er voran in seiner Ausbildung. Er lebt intensiv seinen Glauben und versteht es, daraus ein überzeugendes Zeugnis für seine Umgebung zu machen. Er ist arm, er ist bereit, Prüfungen anzunehmen, und ist glücklich, festen Schrittes dem Gottesreich entgegenzugehen. Schlichten Herzens entschließt Jules Reche sich für das Leben in einem Orden von Laienbrüdern. Zum Bruder Arnold geworden, entfaltet er seine natürlichen erzieherischen Fähigkeiten: er hat ein sicheres Urteil und zeigt sich als Beispiel der Ausgeglichenheit; er fordert seine Schüler auf, zugleich mit ihren Kenntnissen auch gute menschliche Beziehungen und ein anforderndes geistliches Leben zu entwickeln. Sein Einfluß hat seinen Grund ebensosehr in seiner beruflichen Tüchtigkeit wie in seiner hochherzigen Hingabe und seiner Glaubenstiefe. „Reinen Herzens“ zu sein, dem es gegeben ist „Gott zu schauen“, heißt für ihn: strenge Aszese, ein Gebetsleben, das seine Brüder beeindruckt hat, Hingabe seiner selbst in Vereinigung mit dem Leiden Christi, Vertrautheit mit dem Wort Gottes, das für ihn Nahrung ist; es ist das Glück, Gott zu dienen, die Haltung der Dankbarkeit, die er ein „echtes Gebet der Liebe“ nannte. Nach dem Zeugnis eines Exerzitanten schöpfte Bruder Arnold „seine Ruhe, seine Klugheit, sein Licht, sein Schweigen“ aus der beständigen Gegenwart des Heiligen Geistes in ihm. Wir rufen ihn an, er möge als Lehrer des geistlichen Lebens, der er im vorigen Jahrhundert war, heute seine Brüder unterstützen in ihrem Leben, das der Erziehung in jeder Form geweiht ist. Und wir bitten ihn, den jungen Menschen zu helfen, erwachsene Christen zu werden, die sich glücklich schätzen, Söhne Gottes zu sein und im Geist der Seligpreisungen die Gerechtigkeit und den Frieden zu suchen. In deutscher Sprache sagte der Papst: 5. Auch Schwester Ulrika Nisch aus der Ordensgemeinschaft der Kreuzschwestern von Ingenbohl gehört zu jener „großen Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen“, die „in weißen Gewändern“ vor Gottes Thron stehen. Auch sie kommt „aus der großen Bedrängnis“ eines harten und geprüften Lebens, in dem ihre Liebe und Treue zu Christus in einem überragenden Maß aufgeleuchtet sind. Darum trägt sie nun „das Siegel des lebendigen Gottes“ auf ihrer Stirn und darf der Gemeinschaft aller Seligen Gottes zugezählt werden (vgl. Ojfb 7). Wir dürfen Schwester Ulrika Nisch seligsprechen, weil sich an ihr in den einunddreißig Jahren ihres irdischen Weges die Bedingungen der Seligpreisungen des Evangeliums erfüllt haben. Wer ihr Leben kennt, weiß von der großen 1673 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Armut ihrer Kindheit, ihres Dienens an letzter Stelle, von den Prüfungen ihres kränklichen Leibes und einer zeitweiligen Dunkelheit im Beten. Diese harten Erfahrungen führten Schwester Ulrika zu jener Lauterkeit des Herzens, die in den kleinsten Dingen die gütige Vaterhand Gottes zu erblicken vermag und von ihm jede Stunde des Lebens in kindlicher Dankbarkeit entgegennimmt. Sie war wirklich „arm vor Gott“ (vgl. Mt 5,3). So fand die Liebe Gottes keinen Widerstand in ihrem Denken, Fühlen und Wollen: Sie hatte ein „reines Herz“, dem es schon zu Lebzeiten gegeben war, „Gott zu schauen“ in mystischer Vereinigung (vgl. Mt 5,8). Ihre Arbeit und ihre Nachtruhe begleitete ein fortwährendes Gebet; „alles ist ihr zum Gebet geworden“, bezeugt ein Beobachter voller Staunen. Ganz von Gott erfüllt, wurde Ulrika Nisch immer mehr ein Gefäß seiner Liebe, die all ihr äußeres Wirken durchdrang und die einfachsten Dienste für die Menschen ihrer Umgebung zu einer Kostbarkeit machten. In ihrer Gegenwart fühlten sich die Menschen „wie im Paradies“. Fürwahr: Sie ist selig, weil sie „keine Gewalt angewandt“, sondern allein der Macht einer „Liebe ohne Maß“ vertraut hat (vgl. Mt 5,5). So konnte Schwester Ulrika barmherzig sein, ohne zu verletzen; sie konnte geben, ohne zurückzufordern; sie konnte reich machen, obwohl sie selbst arm war (vgl. Mt 5,7). „Durch Schwester Ulrika bekam ich eine neue Seele“, bekennt eine Frau mit einem harten Lebensschicksal, die sich an der Seite der Ordensschwester wieder für Gott und die Menschen öffnen konnte. Gerade diejenigen, die bei unserer neuen Seligen wahre, selbstlose Liebe gefunden haben, sind die ersten gewesen, die dieses äußerlich unscheinbare Leben für wertvoll und groß angesehen haben. Sie haben erkannt, daß hier die Bedingungen der Seligpreisungen Jesu erfüllt waren. Der Herr selbst hat Schwester Ulrika Nisch das Siegel einer Seligen Gottes aufgeprägt. 6. An die Seite der seligen Schwester Ulrika Nisch stellt die Kirche heute noch eine weitere Ordensfrau, die selige Schwester Blandine Merten aus der Kongregation der Ursulinen in Ahrweiler-Calvarienberg. Die beiden neuen Seligen verbindet ihre gemeinsame Berufung auf dem sogenannten „kleinen Weg“ zur christlichen Vollkommenheit. „Der liebende Gott braucht nicht hohe außergewöhnliche Werke; er will nur Liebe“. Dieser Ausspruch von Schwester Blandine bietet uns den Schlüssel zum Geheimnis ihres heiligmäßigen Lebens. Was immer ihr als Schülerin, Lehrerin oder als Ordensfrau aufgetragen wurde, verrichtete sie mit ganzer Hingabe und Gewissenhaftigkeit. Tiefster Beweggrund dafür war ihre Liebe zu Gott und zu den Menschen. Ihre Frömmigkeit und Bescheidenheit, ihre 1674 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Sanftmut und ihre Reinheit ließen sie ihren Mitmenschen von früher Kindheit an als „Engel“ erscheinen. Schon von ihrem Elternhaus her von tiefer Religiosität geprägt, stellte Schwester Blandine die hl. Eucharistie, das Wort Gottes und das Gebet immer mehr in die Mitte ihres Lebens. Die treue Erfüllung ihrer Berufspflichten als Lehrerin verband sie mit einem unermüdlichen Streben nach persönlicher Heiligkeit. Dieses führte sie dazu, ihren Dienst für Gott und für die Menschen durch ein gottgeweihtes Leben im Kloster auf noch vollkommenere Weise verwirklichen zu wollen. Durch ihren Eintritt in die apostolisch tätige Ordensgemeinschaft der Ursulinen glaubte unsere neue Selige, der Jugend am besten bei ihrer gottgewollten Entfaltung helfen und sie zu einem Leben aus christlichem Geist anleiten zu können. Diesem Apostolat widmete sie sich auch als Ordensfrau mit dem ganzen Einsatz ihrer Kräfte. Sie selbst liebte es, dabei unbeachtet zu bleiben, wurde jedoch für alle zum Vorbild. In ihrem selbstlosen Dienst für den Nächsten vollzog Schwester Blandine zugleich ihre Hingabe an Gott, dem sie sich bei ihrer ewigen Profeß als Opfer angeboten hatte. Gott hat ihr mutiges Lebensopfer angenommen und sie schon nach elfjährigem Ordensleben durch ergeben ertragenes Leiden im Alter von nur fünfunddreißig Jahren zur Vollendung geführt. Schwester Blandine hat in ihrem Leben nichts Außergewöhnliches getan; aber ihre alltäglichen Aufgaben und Pflichten hat sie auf außergewöhnliche Weise erfüllt. Nach ihrem Tod sind ihr heiligmäßiges Leben und Wirken immer heller aufgeleuchtet, so daß die Kirche sie heute den Menschen als Selige feierlich zur Nachahmung vor Augen stellen kann: den Lehrerinnen und Lehrern, den Erziehern, den Ordensfrauen sowie allen Gläubigen, die in täglicher treuer Pflichterfüllung und tätiger Nächstenliebe still und verborgen Christus nachfolgen und so zur christlichen Vollkommenheit streben. Die beiden neuen Seligen, Schwester Ulrika Nisch und Schwester Blandine Merten, die die Kirche am heutigen Fest feierlich als Glieder jener unzähligen Schar aller Heiligen anerkennt, seien für uns fortan Fürsprecherinnen und Ermutigung, daß auch wir zur Herrlichkeit der Kinder Gottes gelangen. Zum Abschluß sagte der Papst wieder in italienischer Sprache: 7. „Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und seine Bewohner“ {Ps 24,1). „Das Fest Allerheiligen bestätigt und macht auf besondere Weise die Wahrheit der Worte des Psalmisten deutlich. Ja! Gott, der Schöpfer, hat den Menschen die Erde und die sichtbare Welt gegeben. Der Mensch ist Herr der Schöpfung geworden und hört nicht auf, es zu sein. Zugleich ist diese Erde, 1675 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN diese sichtbare Welt ein Raum, in dem sich dem Menschen die Heiligkeit als Ziel des Weges und letzter Sinn des Lebens auf Erden offenbart. Der Psalmist fragt sich: „Wer darf hinaufziehn zum Berg des Herrn, wer darf stehn an heiliger Stätte?“ (Ps 24,3). Die Kirche freut sich heute über die Glorie aller Heiligen. Sie freut sich über die Erhebung neuer Seliger. In der Tat, nichts offenbart deutlicher jenes „Siegel des lebendigen Gottes“, das dem Antlitz der Schöpfung aufgeprägt ist, als die Heiligkeit der Söhne und Töchter der Menschen. Wirklich: „Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt“! Wirklich und wahrhaftig. Amen! Die weite See prägt den Glauben Botschaft an den 18. Weltkongreß über das Meeresapostolat vom 1. November Meinem ehrwürdigen Bruder Kardinal Bernardin Gantin Präsident der Päpstlichen Kommission für die Seelsorge am Menschen unterwegs. „Preist den,Herrn, ihr Meere und Flüsse; lobt und rühmt ihn in Ewigkeit!“ (.Dan 3,78). Mit diesem Bittgebet sende ich euch und den anderen Kardinälen und Bischöfen, die bei diesem 18. Weltkongreß des Meeresapostolats anwesend sind, herzliche Grüße. Besonders grüße ich die zu dieser internationalen Versammlung in Mombasa (Kenia) zusammengekommenen Seefahrer, die in der Seelsorge Tätigen sowie die Kapläne des Meeresapostolats. Euer Programm, das ihr in bezug auf Gebet, Reflexion und Beratung aufgestellt habt, ist ein Punkt von außerordentlicher Bedeutung, um eurer besonderen Seelsorge für die Männer und Frauen, deren Leben und Arbeit mit dem Meer verbunden sind, weitere Anregung zu geben. Der Anteil, den die Kirche am geistlichen Wohlergehen der Seefahrer und ihrer Familien nimmt, drückt sich in hohem Maße in eurem Einsatz und der weisen Dienstleistung aus. Das Thema eures Kongresses „Das Meeresapostolat und die Würde der Meer resarbeit im Lichte von Laborem exercens“, bietet euren Studien und eurer Diskussion eine reiche Quelle. Die Hingabe, die Selbstaufopferung und die Bereitschaft rund um die Uhr, die der Dienst der Seefahrer mit sich bringt, ist ein Werk der Liebe, das die Nähe und das Mitgefühl Jesu selbst widerspie- 1676 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN geln, den das Evangelium oft in seinem Kontakt zu den Menschen, zu den Fischern, schildert, die am See von Galiläa lebten und arbeiteten. Anfang dieses Jahres hatte ich die Ehre, mich an die in Gdynia versammelten Seefahrer der Ostsee zu wenden. Dort erwähnte ich, daß das Meer Völker anspricht, die das Bedürfnis betrachten, einander zu begegnen und miteinander zu arbeiten. Es spricht von der Notwendigkeit der Solidarität sowohl unter Menschen als auch unter Nationen (vgl. Predigt in Danzig bei der Messe für die Werktätigen am 12.6.87in OR dt. Nr. 29, 1987). Solidarität ist ein Begriff, den die Seefahrer sehr gut verstehen. Sie ist ein wichtiger Aspekt des Meeresapostolats, das unzählige Gelegenheiten bietet, so vielen Menschen mit unterschiedlichem Glauben, Kultur und Hintergrund zu begegnen. Durch euch, die ihr in Mombasa versammelt seid, grüße ich die Seefahrer der Welt und ihre Familien. Ich denke dabei sowohl an die Fischer und Matrosen auf hoher See als auch an jene, die Seen und Flüsse befahren. Meere und Wasserwege haben einen entscheidenden Einfluß auf die Verwirklichung ihrer menschlichen und christlichen Berufung, auf die Bildung ihrer Persönlichkeit und Anschauung. Vielen helfen Macht und Weite der See dabei, in Verbindung zu Gott zu treten. Ich bete dafür, daß diejenigen, die auf dem Meer arbeiten, stets um ihre Familien Sorge tragen, von denen sie monatelang getrennt sind. Ich bete dafür, daß der Friede und die Liebe Christi in ihren Häusern herrschen und von einer Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens getragen sein mögen. Ich hoffe brennend, daß die Seefahrer immer mehr auf den christlichen Willkommensgruß der Seelsorger ansprechen, der ihnen an so vielen Häfen durch die Stella-Ma-ris-Zentren und das Meeresapostolat entboten wird, das heute oft in Zusammenarbeit mit dem Amt anderer christlichen Kirchen und Gemeinschaften ausgeübt wird. Möge Maria, der Meeresstem, unter deren gütigen Schutz ihr euer Apostolat gestellt habt, weiterhin Fürsprache für euch einlegen und dieses Apostolat fruchtbar machen. Ich bete zu Gott, daß er all diejenigen segne, die sich im Meeresapostolat einsetzen, und ebenso die Seefahrer und ihre Familien, denen ihre besondere Sorge gilt. Aus dem Vatikan, 1. November 1987 1677 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Selige und Heilige sind lebendiges Feuer Ansprache bei der Sonderaudienz zur Seligsprechung der Schwestern Blandine Merten und Ulrika Nisch am 2. November Liebe Brüder und Schwestern! In brüderlicher Verbundenheit begrüße ich euch zu dieser erneuten Begegnung hier im Vatikan. Sie gibt mir die willkommene Gelegenheit, euch allen noch einmal meine herzliche Mitfreude über die Seligsprechung zweier Mitbürgerinnen aus eurer Heimat zu bekunden. Schwester Ulrika Nisch und Schwester Blandine Merten, Küchenschwester die eine, Lehrerin die andere: beide selig, weil sie ihr Leben und Wirken der Liebe Gottes vorbehaltlos geöffnet haben, weil sie ihr von Gott erfülltes Herz an die suchenden, leidenden Mitmenschen an ihrer Seite verschenkt haben, weil sie die ihnen zugemessene, zuweilen harte Lebenslage, mit ganzer Kraft und Zuversicht angenommen und nach bestem Können für das Reich Gottes fruchtbar gemacht haben. An dieser Stelle möchte ich einem möglichen Mißverständnis zuvorkommen: Nicht ihre ärmliche Herkunft, nicht ihre schwache Gesundheit, nicht ihr Wirken an kaum beachteten Aufgaben haben sie zur Seligkeit geführt, sondern die geistige Kraft aus der Quelle unseres Glaubens, mit der beide diese widrigen Voraussetzungen bewußt angenommen und in wertvolles, erfülltes Leben umgewandelt haben. Sie sind nicht vor den beschwerlichen Bedingungen ihres Lebens geflüchtet, sondern haben diese mit Hilfe Gottes in Gebet und Opferbereitschaft gemeistert. Dabei haben sie sich nicht selbstzufrieden in ihre innere geistliche Welt zurückgezogen, sondern die reichen Schätze, die sich mit der Gnade Gottes in ihrem Herzen sammelten, nach dem Beispiel Christi großzügig weitergeschenkt. An ihrer Seite lebten bedrückte Menschen wieder auf und fühlten sich „wie im Paradies“; hier erfuhren sie. greifbar und konkret, welche Macht eine von Gott entzündete Liebe darstellt. Aus dem Kreis solcher reichbeschenkter Menschen kommen dann auch die ersten Zeugen, die von ihrer Erfahrung echter, selbstloser Liebe im Umgang mit Schwester Ulrika und Schwester Blandine berichten. Ihr Urteil ist die Grundlage für die kirchliche Bestätigung: Ja, diese beiden Leben haben bleibenden Wert vor Gott und eine beispielhafte Bedeutung für uns alle. Liebe Mitchristen! Als ich im Mai dieses Jahres vor dem Kaiserdom zu Speyer von den christlichen Wurzeln Europas und dem Weltfrieden, von Religionsfreiheit und Wiedervereinigung der Christen gesprochen hatte, habe ich bei den Zuhörern die Frage verspürt: Was kann ich, der einzelne, für diese großen Herausforderungen unserer Zeit tun? Kann ich überhaupt etwas dazu 1678 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN beitragen? Meine Antwort lautete damals: Ja, du, der einzelne, kannst etwas in Bewegung setzen, denn jeder gute Entschluß, jede bereite Übernahme einer Aufgabe beginnt immer beim einzelnen Menschen. So sehr die Einzelbemühungen dann auch gebündelt werden müssen, um sich im Großen auswirken zu können, so bleibt doch bestehen: „Das Ja einer einzelnen Person, mit Hochherzigkeit gegeben und im eigenen Lebensbereich treu durchgehalten, kann tatsächlich tiefgreifende Veränderungen zum Guten auf kirchlicher wie auf gesellschaftlicher Ebene einleiten und wirksam fördern“ {Ansprache vom 4. Mai 1987, Nr. 9). Selige und Heilige sind solche Menschen, die in ihrem persönlichen, zuweilen völlig verborgenen und bescheidenen Lebensbereich etwas in Bewegung setzen, die ein lebendiges Feuer entzünden, die begeistern können, und dies oft — wie bei unseren beiden Seligen von heute — ohne an solche Fernwirkungen auch nur zu denken. Bereits die unbeirrbare, treue Pflichterfüllung des Alltags kann solche weittragenden Folgen haben. Die Küchenschwester, die Hausfrau und die Mutter; die Lehrerin, der Redakteur, der Sozialarbeiter; der Handwerker, der Ingenieur, der Unternehmer; der Kaplan und der Bischof: Wir alle sollten unsere unmittelbaren Aufgaben und Pflichten ganz emstnehmen und sie gewissenhaft erfüllen. Denn jeder einzelne Handgriff, den wir tun, jedes Wort, das wir sprechen, kann aufbauen und helfen, kann Leben schaffen und Vorbild werden. Die meisten Forderungen, die wir an andere stellen, an den Nachbarn, den Kollegen, den Ehepartner, haben einen Anteil, der uns selbst betrifft: Du selbst bist jeweils der erste, auf den es ankommt. Ziehe andere mit, indem du selbst dein Leben möglichst wertvoll und segensreich machst. Das ist die ermutigende Botschaft gerade auch von Schwester Ulrika und Schwester Blandine. Übernehmen wir als Dank ihr Lebenszeugnis auch für unseren Aufgabenbereich! Das sei zugleich mein herzlicher Wunsch für euch alle — mit der Gnade Gottes und meinem besonderen Apostolischen Segen. 1679 BOTSCHAFTEN UND ANSPRA CHEN Notleidenden und bedrängten Kirchen helfen Ansprache an die Teilnehmer der Generalversammlung von „Kirche in Not“ am 6. November Liebe Kongreßteilnehmer von „Kirche in Not“! 1. In diesem Jahr des 40jährigen Bestehens des Werkes, das von Pater Weren-fried von Straaten kühn ins Leben gerufen wurde und jetzt von Pater Roger Ve-kemans geleitet wird, die ich beide sehr herzlich grüße, nehme ich einerseits teil an eurem Glück, sehr viel getan zu haben für die Kirche in Not und andererseits an eurem Bedauern darüber, nicht noch mehr haben tun zu können. Aber ich möchte vor allem, daß wir in diesen ersten Augenblicken unserer Begegnung Gott danken. Er ist es, der aus euch seine Werkzeuge der Barmherzigkeit gemacht hat. Er ist es, der die Herzen von hunderttausenden Christen für die Not ihrer Brüder und Schwestern geöffnet hat, die Opfer sozialen Ausschlusses, religiöser Verfolgung oder die zur Auswanderung gezwungen sind. 2. Ich halte es immer für angebracht, einen Zeitabschnitt wie den unseren in den Rahmen der 2000jährigen Kirchengeschichte zu stellen. Gibt es eine Zeit, in der die Jünger Christi, hier oder dort, keine Verdächtigungen, Verhaftungen, Verhöre, nicht Gelängnis und Tod wegen ihrer Zugehörigkeit zu Christus und zu seiner Kirche gekannt haben? Und diese lange Geschichte, angefüllt von Licht und betrüblichen Begebenheiten, zeigt uns, daß die christlichen Gemeinden, die im Besitz ihrer Freiheit waren, den notleidenden oder in ihrer Entwicklung behinderten Kirchen zu Hilfe gekommen sind. Wir wissen alle, daß der Apostel Paulus und seine ersten Gründungen (vgl. 1 Kor 16,1-5; Gal 2,10) gewissermaßen als erste die Hilfe für die Kirchen in Not angeregt hatten. Ihr seid im Kielwasser der Urkirche, der Kirche von jeher. Als ich euren Bericht zur Kenntnis nahm, habe ich mit Bewunderung festgestellt, daß euer Werk 115 Ländern religiöse Hilfe gewährt. Seid herzlichst beglückwünscht, liebe Kongreßteilnehmer, sowie die vielen, die sich dem Werk „Kirche in Not“ angeschlossen haben. Mit anderen Einrichtungen karitativer oder humanitärer Art, die ebenso bewunderungswürdig sind, garantiert ihr eine echte und notwendige Hilfe für die menschliche Person, wenn sie ihrer unantastbaren Rechte und der religiösen Freiheit beraubt oder davon bedroht ist. Euer Werk ist wesentlich pastoraler Art. 3. Bei diesen kurzen Treffen lege ich Wert darauf, zu verschiedenen Punkten meine Ermutigung auszusprechen; sie sind auch Gegenstand eurer Besorgnis. 1680 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Immer wachsam um Sachlichkeit besorgt, fahrt fort, die freien Länder in religiöser Hinsicht über die Gebiete der Welt zu informieren, in denen man zwar vorgibt, die Gewissensfreiheit zu garantieren, wo aber die konkrete Ausübung der Religionsfreiheit auf ein Minimum, wenn nicht gar auf nichts, reduziert ist. Ich wünsche, daß eure Zeitschrift, die schon sehr verbreitet ist, in der freien Welt noch besser bekannt werde und die unannehmbaren, unnormalen Zustände aufzeige: so viele geschlossene, mitunter zerstörte Kirchen, aufgelöste oder auf die Aufnahme einer verschwindend geringen Zahl von Priesteramtskandidaten beschränkte Seminare, regelwidrige Abschaffung von Lehrbüchern und Katechismusunterricht, Verbot von bildenden und apostolischen Bewegungen. Die freien Länder schätzen die Angriffe, die in dieser Weise gegen die Lebenskraft der Kirche, aber zugleich auch gegen die Achtung der Menschenrechte, das religiöse Suchen und die persönlichen und gemeinschaftlichen Beziehungen zu Gott geführt werden, nicht richtig ein. 4. Vielleicht könntet ihr, in vertrauensvoller und beständiger Verbindung mit der örtlichen katholischen Hierarchie eure Pastoralhilfe auf dieser Ebene ansetzen, in Hochachtung vor dem Gewissen und der Glaubensübersetzung. Muß man die Hoffnung aufgeben, es immer mehr anerkannt zu sehen, daß die Gläubigen, wenn sie in ihrer Glaubensüberzeugung geachtet werden, ohne weiteres Bürger sind, die ihr Land lieben und der gemeinsamen Sache dienen? Die Gläubigen in dieser Weise zu unterstützen, erfordert von eurer Seite viel Vorsicht, Vorbereitung, Klarheit, Glauben, Hoffnung. Aber den Kirchen in Not zu helfen, heißt das nicht auch, versuchen, die diskriminierenden Umstände, die so viele kirchliche Gemeinschaften belasten, zu mildern? 5. Schließlich hoffe ich, daß eure noble und delikate Arbeit, die wesentlich seelsorgerisch und nicht politisch ist, sich nicht nur in harmonischer Übereinstimmung mit den Bischöfen der betreffenden Länder abwickelt — wie ich soeben sagte —, sondern immer, wenn es wünschenswert ist, im Einklang mit den Päpstlichen Missionswerken und anderen Hilfsorganisationen. Ich denke an die Caritas und viele andere Gruppen, die versuchen, die Entwicklung der menschlichen Person und ganzer Völker zu fördern. In der Kirche des Herrn ist die Verschiedenheit der seelsorglichen, karitativen und humanitären Tätigkeiten rechtmäßig, ja bewundernswürdig. Ihre gegenseitige Ergänzung ist notwendig. Die Einheit und die Stärke der kirchlichen Tätigkeit leiten sich aus diesem Willen der brüderlichen Zusammenarbeit unter allen Getauften ab. Am Ende dieses familiären Gesprächs rufe ich von Herzen mit Innigkeit auf P. Werenfried van Straaten und P. Roger Vekemans, auf ihre direkten Mitar- 1681 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN beiter, auf die Teilnehmer an diesem Kongreß zum 40jährigen Bestehen, auf alle Wohltäter von Kirche in Not, neue und überreiche Gnade der Weisheit und göttlichen Kraft herab und den besonderen Schutz der Jungfrau Maria, Mutter Christi und Mutter der Kirche. Ehrfurcht vor der Umwelt lehren Ansprache an eine Studiengruppe der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften am 6. November Liebe Freunde! 1. Es ist für mich eine besondere Freude, die Teilnehmer an dieser Studienwoche zu begrüßen, die von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften zum Thema „Ein moderner Zugang zum Umweltschutz“ veranstaltet wird. Dieser Gegenstand verdient sorgsamste Aufmerksamkeit und ist in diesem Augenblick der Geschichte und der Entwicklung unserer modernen Welt von ungeheurer Bedeutung. Die Wissenschaft ist ein menschliches Werk und muß einzig auf das Wohl der Menschheit ausgerichtet sein. Auch die Technologie muß, als Übertragung der Wissenschaft auf die praktische Anwendung, nach dem Wohl der Menschheit trachten und darf nie dagegen arbeiten. Darum müssen Wissenschaft und Technologie von ethischen und moralischen Grundsätzen geleitet sein. Eine nur Gewinn erstrebende Theorie hat im letzten Jahrhundert eine Technologie entwickelt, die nicht immer auf die Umwelt Rücksicht genommen und zu sehr besorgniserregenden Situationen geführt hat, weil sie örtlich und weltweit nicht mehr gutzumachenden Schaden anrichtete. Ähnlich haben unangemessene landwirtschaftliche Anbaumethoden in vielen Ländern sowie der Energiebedarf weiterhin sehr ernste Einbrüche in die Waldbestände verursacht. Die nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt können nur dann an der Wurzel geheilt werden, wenn man die Menschen eine Haltung der Ehrfurcht vor der Umwelt lehrt, eine Haltung, die den rationellen Gebrauch der natürlichen Ressourcen sicherstellt, welche für die kommenden Generationen erhalten und an sie weitergegeben werden müssen. 2. Pläne für den rationellen Gebrauch der Ressourcen müssen den Einklang zwischen Natur und menschlichen Niederlassungen einschließen. Das wird 1682 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN durch Erziehung und durch stufenweise Planung geschehen, die aber auch dem ungeheuren Problem der Armut Rechnung trägt. 1983 führte die Akademie der Wissenschaften eine besondere Studie durch über den Schaden, der infolge der Zunahme von Kohlendioxyd und Verminderung der Ozonschicht verursacht wird. In den Entwicklungsländern, die im allgemeinen durch schlechtes Klima und ungünstige Witterungsbedingungen gekennzeichnet sind, besteht in den feuchten Tropen das brennende Problem der Vernichtung der Wälder und in den trockenen Tropen das der immer weiter vordringenden Wüste: Probleme, die die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung gefährden. Die Entdeckungen der Wissenschaft müssen genutzt werden, um eine große Ertragsfähigkeit des Landes in solcher Weise zu garantieren, daß für die einheimische Bevölkerung Nahrung und Unterhalt sichergestellt werden können, ohne die Natur zu zerstören. In den Industrieländern besteht das besorgniserregende Problem des übermäßigen Gebrauchs von gasförmigen, flüssigen oder radioaktiven Produkten. Unkluges Vorgehen hat der Natur sehr schweren Schaden zugefügt. Unkontrollierte Abfallbeseitigung hat zu saurem Regen, Spurensubstanzen in der Umwelt und zur Verseuchung der Meere, beispielsweise des Mittelmeeres, geführt. 3. Viele Menschen haben zur Verstärkung des Umweltschutzes beigetragen. Doch das Können und der gute Wille einzelner Fachexperten und Wissenschaftler vermögen das komplexe Problem nicht zu lösen. Weltweit müssen wirtschaftliche und moralische Änderungen auf Gruppen-, Gemeinschaftsund Regierungsebene ausgehandelt werden. Sie müssen interregionale und internationale Gespräche und Verträge einschließen. Grundlegend für dieses Unternehmen ist es, die Menschen hinsichtlich der Umwelt zu erziehen und eine Haltung des Verständnisses, der Achtung und echten gegenseitigen guten Willens zu schaffen. 4. Ich möchte allen hier Anwesenden danken, die ihr Fachwissen und ihren Enthusiasmus hier beigetragen haben. Ebenso danke ich den Vertretern der nationalen Körperschaften wie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, dessen Sitz in Nairobi ich 1985 besuchte. Auch den Experten möchte ich danken, die vorige Woche ein bedeutendes Arbeitstreffen zum Abschluß brachten. Sie erstatteten Bericht und hielten wissenschaftliche Diskussionen über „Aspekte der Anwendung von Gentechnik“: die Herstellung von Arzneimitteln und Impfstoffen und die Verbesserung der Emährungslage, besonders hinsichtlich der Entwicklungsländer. 1683 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Aussichten für die Gen-Therapie zur Behandlung von Krankheiten sind ebenfalls hoffnungsvoll und verdienen den Einsatz der Wissenschaft und das Können derer, die die Forschung durchführen. Doch in der Gen-Therapie ist äußerste Sorgfalt vonnöten, um zu vermeiden, daß die physische Unversehrtheit und das Leben der Betreffenden in Gefahr gebracht werden. Vor allem muß jeder Versuch oder jede Gefahr gestoppt werden, die unantastbare genetische Identität der menschlichen Person zu verändern. Schließlich richte ich bereits meinen Willkommensgruß an die Wissenschaftler, die nächste Woche eine Konferenz über ein bedeutendes Thema der modernen Astrophysik abhalten werden, nämlich über „Weitreichende Bewegungen im Universum“. Zwanzig Wissenschaftler werden versuchen, uns ein größeres Verständnis zu vermitteln über den Homogenitätsgrad auf breiter Skala im Weltraum, die Verteilung und Natur einer „verborgenen Masse“, die Frage, ob der Weltraum sich weiterhin ausweiten wird oder dazu bestimmt ist, in eine andere „Erscheinungsform“ zu fallen. Mögen Ihre Anstrengungen, die Sie als einzelner in Ihrem eigenen Fachbereich wie auch als Körperschaft in Verbindung mit den Tätigkeiten der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften unternehmen, gute Erfolge erzielen, da Sie ja für das Wohl der ganzen Menschheit arbeiten. Forschung nicht von der Ethik lösen Ansprache an die Teilnehmer des Kolloquiums der internationalen Stiftung „Nova Spes“ am 9. November Herr Kardinal, sehr geehrte Damen und Herren! 1. Ich freue mich wirklich, mich mit Ihnen als qualifizierten Vertretern der Wissenschaft und Forschung anläßlich des Kolloquiums zu treffen, das von „Nova Spes“ über die Beziehungen zwischen der wissenschaftlichen Forschung und den großen Problemen der heutigen Gesellschaft veranstaltet wurde. An alle richte ich meinen herzlichsten Willkommensgruß. Wenn Sie auch aus verschiedenen Ländern und Kulturen kommen, so bringen Sie doch das gemeinsame Forschen nach der Wahrheit auf den verschiedenen Gebieten der menschlichen Erfahrung zum Ausdruck. Vielen von Ihnen ist mit der Verleihung des Nobelpreises die hohe Anerkennung für die in den einzelnen Wissensbereichen vollbrachten Studien zuteilgeworden. Auch die Kirche ehrt Ihre Verdienste. 1684 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Mit lebhaftem Interesse habe ich die Informationen vernommen, die Sie mir über die Resultate Ihrer Gespräche geben wollten, und ich möchte wünschen, daß sich aus Ihrem einhelligen Bemühen wirksame Impulse ergeben, um die Ziele zu verfolgen, die allen um die Zukunft der menschlichen Gesellschaft Besorgten am Herzen liegen. 2. Ein Gemisch von vielversprechender Helle und drohenden Schatten charakterisiert das Bild der zeitgenössischen Gesellschaft. In der Freude über die wunderbaren Fortschritte, die die wissenschaftliche Forschung auf allen Sektoren des Wissens erreicht, ist die Kirche eins mit der ganzen Menschheitsfamilie. Sie kann jedoch auch gleichzeitig nicht umhin, über die negativen Entwicklungen besorgt zu sein, zu denen diese Forschung führen kann, wenn sie, losgelöst von der Ethik, auf die Technologie angewandt wird. Wenn die wissenschaftliche Forschung die moralischen Werte und die transzendente Bestimmung des Menschen außer acht läßt, leistet sie ihm keinen Dienst mehr, sondern stellt sich unvermeidlich seinem wahren Fortschritt entgegen. Das ist der Alarmruf, den von dem großen Areopag aus, den die Unesco darstellt, an die ganze Menschheit zu richten ich mich am 2. Juni 1980 verpflichtet fühlte: „Wir müssen“ — so sagte ich — „überzeugt sein vom Vorrang der Ethik gegenüber der Technik, vom Primat der Person gegenüber den Sachen, von der Überlegenheit des Geistes gegenüber der Materie. Die Sache des Menschen kommt voran“ — fügte ich hinzu —, „wenn sich die Wissenschaft mit dem Gewissen zusammenschließt.“ {Ansprache an den Exekutivrat der UNESCO, Paris, Nr. 22; in O.R. dt., Nr. 23, 1980). Diesen Zusammenschluß fördert die Kirche mit Mut und Beharrlichkeit. Auf meinen apostolischen Reisen durch die Welt empfinde ich es als Pflicht, die Kulturschaffenden, die Wissenschaftler, die der Universitätswelt Zugehörigen, die Künstler und die Intellektuellen dazu anzuregen, ihren Anstrengungen eine einzige gemeinsame Richtung zu geben: den Dienst am Menschen. 3. Um dem Menschen zu dienen, muß man vor allem von einer integralen Sicht seines Seins ausgehen, das heißt von einer Anthropologie, in der er als das betrachtet wird, was er wirklich ist, nämlich als Geschöpf Gottes, nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen, als Wesen, das fähig ist, das Unsichtbare zu erkennen; das sich nach dem Absoluten, nach Gott ausstreckt; das gemacht ist, um zu lieben, und das zu einer ewigen Bestimmung berufen ist. Der Mensch in seiner Würde darf nicht zu einem Mittel reduziert werden, das man als Werkzeug betrachten und manipulieren kann. Um dem Menschen zu dienen, muß im übrigen ein Modell der Gesellschaft verwirklicht werden, in dem jede Person angenommen, geachtet und geliebt 1685 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN wird. In dieser Hinsicht möchte ich an die Enzyklika Populorum progressio Papst Pauls VI. erinnern, nach deren Erscheinen wir gerade das zwanzigste lahr begehen: in ihr entwirft mein verehrter Vorgänger den Plan einer Gesellschaft, die daraufhinstrebt, die integrale Entwicklung des Menschen und die solidarische Entfaltung der ganzen Menschheit zu verwirklichen. Im Licht dieses Planes eines vollkommenen Humanismus konnte Papst Paul VI. behaupten: „Entwicklung ist der neue Name für Frieden“ (Nr. 76-80). 4. Meine Damen und Herren! Zum Aufbau dieser neuen Gesellschaft sind freie und verantwortungsbewußte Menschen notwendig. Es ist wahr, daß die wissenschaftliche Entwicklung heute Probleme löst, die man früher nicht einmal in Angriff zu nehmen wagte. Aber es ist auch wahr, daß sich trotz der wunderbaren Technologien die existentiellen Probleme vervielfältigt und verschlimmert haben. Der heutige Mensch fühlt sich nicht selten als Objekt des geschichtlichen Prozesses, anstatt als sein schöpferisches Subjekt. Deshalb erliegen viele der Angst, ziehen.sich in Hoffnungslosigkeit zurück, flüchten sich in Skepsis, verlieren sich im Hedonismus. Es ist dringend notwendig, dem Menschen zuzuerkennen, was seiner Würde als Person zusteht; man muß ihm helfen, zu denken, ihn anspomen, reife und verantwortungsbewußte Entscheidungen zu treffen. Die Stellung des Menschen in der technologischen Revolution und der Revolution der Informatik, die im Gang ist, muß verbunden sein mit dem Schutz der ethischen Werte, deren Verwalter und Subjekt er ist. Wenn die Kirche moralische Vorbehalte zum Beispiel gegenüber den Technologen geltend macht, die in der genetischen Technik und in der künstlichen Befruchtung Anwendung finden, dann tut sie es nicht, um die wissenschaftliche Forschung zu begrenzen oder aufzuhalten, sondern um das enorme wissenschaftliche Bemühen und die modernen Entdeckungen auf die Würde der Person, den Adel der Liebe, die Verteidigung des menschlichen Lebens hin zu orientieren. Es ist also notwendig, die Forderung zu unterstreichen, daß der technologische Fortschritt von sittlichen Normen geleitet wird, damit er im Dienst des Menschen bleibt. Zu diesem Zweck ist es nötig, die öffentliche Meinung der Welt zu sensibilisieren und alle schöpferischen und Forschungsenergien aufzubieten, um sie für die Lösung jener Probleme einzusetzen, die die Menschheit in unserer Zeit noch quälen. Es sind Probleme, auf deren Ernst und Dringlichkeit die Wissenschaftler mit wachsender Erkenntnis hinweisen. Ich denke an die immer dramatischer sich gestaltende Frage der Unterentwicklung, des Hungers in der Welt. Ich denke an die Angst der ganzen Menschheitsfamilie vor dem Drohen des technischen Krieges. 1686 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 5. Eine Verbindung aller lebendigen Kräfte der modernen Gesellschaft ist notwendig, um diese Ziele zu fordern. Die Absichten von „Nova spes“ begünstigen dieses tatkräftige Bündnis zwischen Religion, Wissenschaft, Kommunikation und Wirtschaft. Alle Komponenten der menschlichen Familie müssen mit Mut und Hoffnung mobilisiert werden, um den Menschen zu retten und seinen wahren Fortschritt zu fördern. Ich freue mich, meine ehrenwerten Damen und Herren, diese Gelegenheit wahrnehmen zu können, um erneut einen Appell an die gesamte wissenschaftliche Welt und an die Forscher auf jedem Feld menschlicher Tätigkeit zu richten: Gebt der Wissenschaft eine Seele, veredelt die Technik, indem ihr sie in den Dienst des Menschen stellt, fördert die Entwicklung jedes Menschen und des ganzen Menschen! Denen, die sich der Wissenschaft und der Forschung widmen, sage ich mit großem Vertrauen und großer Hoffnung: Wendet alle eure moralische Autorität an im Dienst des Menschen und zur Verteidigung des Friedens. Die Menschheit wird euch dafür dankbar sein. Die Geschichte wird euch als Wohltäter in Erinnerung behalten. Gott wird es euch vergelten. Und an Sie, die Teilnehmer an der Aktion von „Nova Spes“, richte ich ein Wort lebhafter Ermutigung: Suchen Sie unermüdlich Wege und Weisen zu finden, um Ihre Aktion immer wirksamer und Ihren Einsatz im Dienst der Menschheit immer nachhaltiger zu machen. Der Hl. Stuhl setzt sich, besonders durch die Päpstlichen Akademien der Wissenschaften und den Päpstlichen Rat für die Kultur, dafür ein, einen aktiven Dialog zwischen der Wissenschaft, der Kultur und den geistlichen Werten in Gang zu bringen. Ich ermuntere Sie, Ihre Bemühungen mit dieser Mission zu verbinden. Gott der Allmächtige, dem ich diese meine Wünsche anvertraue, unterstütze Sie in Ihrer Arbeit, helfe Ihnen in den unvermeidlichen Schwierigkeiten und vergelte Ihnen, was Sie im Dienst der Menschheit tun, die er in seiner Güte zu seiner Familie machen wollte. 1687 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kirchliche Universitäten müssen Antwort geben auf geistige Bedürfnisse Ansprache in der Päpstlichen Lateran-Universität anläßlich des 50jährigen Jubiläums am 9. November 1. Ich freue mich, heute Abend, am Fest der Weihe der Basilika des hl. Johannes im Lateran unter euch zu sein, während die ganze römisch-katholische Kirche Herz und Sinn im Zeichen der Einheit und Verbundenheit auf die Basilika richtet, die „Mutter und Haupt aller Kirchen der Stadt Rom und des Erdkreises“ ist. Der Anlaß meines Besuches ist der 50. Jahrestag der Errichtung dieses Sitzes, den mein großer Vorgänger Pius XI. an dieser Stelle wissen wollte, um durch die örtliche Lage und den namentlichen Bezug auf den Lateran die besondere Verbundenheit mit der Kirche Roms auszudrücken, die den „Vorsitz in der Liebe führt“ (Hl. Ignatius, Rom.., prol.). Herzlich grüße ich Seine Eminenz, den Hochwürdigsten Herrn Kardinal-Großkanzler, meinen Generalvikar für die Diözese Rom, die hier versammelten und zur alma mater in besonderer Beziehung stehenden Herrn Kardinäle, die Erzbischöfe, Bischöfe und Prälaten der römischen Kurie und des Vikariats; nicht wenige von ihnen waren einst Alumnen dieser Universität; ich begrüße den Rektor Magnificus Msgr. Pietro Rossano und mit ihm die gesamte akademische Körperschaft, die einstigen und jetzigen Studenten, die Angestellten, die für Wartung und reibungsloses Funktionieren zuständig sind. Mein Gruß gilt auch den Präsides und Vertretern der eingegliederten und angeschlossenen Institute, den sehr geehrten Gästen und den Handwerkern, die die Arbeiten ausführten und heute zu Recht hier anwesend sind. An dieser Stelle möchte ich auch den Wohltätern danken, die zur Vervollständigung und Verschönerung der Räume beigetragen haben. Dieser Jahrestag soll auch als Lehre und Anstoß dienen für die Aufgaben, die eure Universität und die anderen kirchlichen Universitäten hier in Rom erwarten. 2. Die Päpstliche Lateran-Universität ist mit dem Heiligen Stuhl und der Kirche Roms geschichtlich so eng verbunden, daß sie „Universität des Papstes“ genannt wird; ein Ehrentitel, der aber auch verpflichtet, Anforderungen stellt und Anstrengungen verlangt. Meine verehrten Vorgänger haben sich sehr dieser Universität angenommen; der Lauf ihrer Geschichte ist gezeichnet von persönlichen Interventionen der Päpste. Beschränken wir uns auf die jüngste Vergangenheit: Pius XI., wie ich 1688 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN schon andeutete, beschenkte sie mit diesem neuen Sitz und verlegte hierher das bis dahin zu Sant’ Appollinare gehörende Institutumutriusque iuris“. Pius XII., zuerst Student, dann Professor dieser Hochschule, gründete hier im Jahr 1957 das Pastoralinstitut, Johannes XXm. hielt Vorlesungen an der theologischen Fakultät, er gliederte ihr die Alfonsiana-Akademie an und verlieh ihr den Titel Universität; Paul VI. war Dozent im „Institutum utriusque iuris“ und billigte die Angliederung des Intituts für Religionswissenschaften „Ecclesia Mater“, des Instituts Augustinianum für das Studium der Patristik und des Instituts Claretianum für die Theologie des Ordenslebens. Ich selbst habe ihr das neue Institut für Studien über Ehe und Familie beigefügt, und um ihr Wachstum und ihre.Entwicklung zu fördern, habe ich die strukturellen Verbesserungen angeordnet, die wir heute sehen. All das ist ein Zeugnis der Aufmerksamkeit und des Vertrauens, das die Päpste in diese Einrichtung setzen. 3. Bei der feierlichen Einweihung des neuen Sitzes vor 50 Jahren sprach Pius XI. von zwei Hochschulen, einer materiellen und einer geistigen; die erste bestehend aus Strukturen, Mauern und Räumen, die zweite aus all der Begabung, dem Glauben und dem Fleiß derer, die hier arbeiten und unterrichten, studieren und lernen. Selbstverständlich steht die äußere, materielle Universität in ihrer Funktion im Dienst der inneren, geistigen, die sich zur Aufgabe gemacht hat, „zusammen mit allen Heiligen die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe“ des Geheimnisses Christi zu ermessen (Eph 3,18), in dem die „viellältige Weisheit Gottes“ verborgen ist {Eph 3,10). „Dich erkennen, mich erkennen!“ 4. Das geistige Athenäum hat zwei Pole: auf der einen Seite der Dreieinige Gott, der sich in Jesus Christus mitteilt und offenbart, und auf der anderen Seite der Mensch, freies und verantwortliches Geschöpf, im Zeitlichen verhaftet, doch auf das Ewige angelegt; er findet seine Erfüllung und sein letztes Ziel in der Vereinigung mit Gott. Es gibt also zwei große Richtungen der Forschung und des Wissens an den kirchlichen Universitäten: Gott in seiner ewigen und unausschöpfbaren Unendlichkeit von Licht und Liebe und in seinem in der Geschichte verwirklichten Heilsplan, und der nach seinem Bild geschaffene Mensch, jedoch Sünder, „das Vollkommenste in der gesamten Natur“ {Summa theol. I, q29, a.l), aber bedürftig der Sicherheit und des Lichtes, gleichsam „irgend eines göttlichen Wortes“, wie es die berühmte Intuition der Schule des Sokrates {Phädon, 85 d) formuliert. 1689 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Der hl. Augustinus faßt die Ziele theologischen Studiums und theologischer Forschung in bewundernswerter Weise in dem Wort zusammen: „Gott Du Ewiggleicher, gib, daß ich mich erkenne, möge ich dich erkennen!“ {Selbstgespräche 2,1). Das Studium und das Wissen der Fakultäten der kirchlichen Universitäten sind auf diese beiden Pole ausgerichtet: „dich erkennen, mich erkennen“. Sie zielen darauf hin, Lehrer und qualifizierte Personen auszubilden, die fähig sind, im Leben und in der christlichen Gemeinschaft Vermittler und Mitarbeiter an der Begegnung Gottes mit dem Menschen zu sein. Das Geheimnis Gottes erkennen: wie es in der Heilsgeschichte nach und nach geoffenbart, wie es durch die Anstrengungen des menschlichen Verstandes und des menschlichen Denkens in theologischem Forschen vertieft, wie es vom kirchlichen Lehramt definiert und dargestellt wurde, wie Wissen und Erkenntnis davon sich in der Geschichte ausbreiteten, wie es in Kontakt kommt mit dem einzelnen und der Gesellschaft in den verschiedenen Situationen des Lebens. Daraus ergibt sich das ganze Spektrum der biblischen Disziplinen, der Dogmatik, der Kirchengeschichte, der Moraltheologie, des Kirchenrechts, der Pastoral, der Liturgie und der Spiritualität. 5. Die zweite große Zielrichtung des kirchlichen Studiums sind die Tiefen des Menschen als des Empfängers der göttlichen Offenbarung, sein Streben, sein Suchen, seine geistliche Erfüllung, in einem Wort die via hominis, der Weg des Menschen, der sich hauptsächlich in der wissenschaftlichen, der philosophischen, anthropologischen und theologischen Forschung ausdrückt, um in die via Dei ad homines, den Weg Gottes zu den Menschen einzumünden, der zu Christus führt und von der Kirche verkündet wird. Das eine wie das andere Wissen, das über Gott und das über den Menschen, dient der Begegnung, die das Heil und die volle Erfüllung des Menschen ist. Dabei ist die Kirche Vermittlerin für die Welt und Dienerin. Das geistige Athenäum, auf das sich Pius XI. bezog, ist bemüht, die Wegbereiter dieser Begegnung, die Fachkräfte der verschiedenen Disziplinen und die Amtsträger heranzubilden. Das ist die vornehme und schwierige Aufgabe der kirchlichen Universitäten, deren Arbeit im Lehren und in der Forschung besteht und im Antwortgeben auf die geistigen Bedürfnisse der Menschen und der Kirche in der Welt von heute: Gründliche und gediegene Ausbildung getreu dem Wort Gottes, der Tradition und dem Lehramt der Kirche; beständige und kluge Forschung, um die tausend Reflexe der in der göttlichen Offenbarung, in der Schöpfung, im Menschen und in seinem Erdendasein verborgenen Wahrheit zu analysieren und zu entdecken; Antwortgeben auf die Fragen der Menschen, die unermüd- 1690 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN lieh gedrängt sind, „Gott zu suchen, und ihn höchstens ertasten können, ihn, der jedem von uns nahe ist“ (Apg 17,27); Aufmerksamkeit für die Sendung der Kirche in der heutigen Welt, die von der Dynamik der Geschichte und der Kultur aufgerufen ist, sich stets neuen Problemen zu stellen, die es im Licht des Wortes Gottes, das mit Liebe und Gelehrigkeit des Geistes erforscht wird, im Gebet klug zu lösen gilt. 6. Zu diesen, den kirchlichen Universitäten ureigenen Aufgaben, die in der Apostolischen Konstitution „Sapientia Christiana“ anklingen, kommen für euch die charakteristischen und traditionellen der Päpstlichen Lateran-Universität. Wenn man bedenkt, daß diese besonders an den Papst, Bischof von Rom und Hirte der Weltkirche, gebunden ist, so besteht kein Zweifel daran, daß die besondere Charakteristik dieser Universität über die vorbildliche und unbestreitbare Treue zum Apostolischen Stuhl hinaus, darin zu bestehen hat, daß sie — wie es stets der Fall war — eine klare Orientierung auf diejenigen Disziplinen aufweist, die die Einführung der christlichen Werte in die Wirklichkeit des gesellschaftlichen Lebens behandeln. Ich beziehe mich insbesondere auf die ausgezeichnete Tradition der juristischen Studien, die am „Institutum utriusque iuris“, das in sich das Studium des zivilen und des kanonischen Rechts in seiner vollständigen Dimension und in seiner aktuellen Gültigkeit vereint, einen charakteristischen Ausdruck gefunden hat. Eine Tradition, die sich in geschätzten internationalen Kolloquien zu erkennen gibt, muß in Ehren gehalten werden um des Dienstes an der Kultur und an der Kirche willen. In diesem Zusammenhang ist auch das Studium des Kanonischen Rechts zu erwähnen. Nach der Veröffentlichung des Codex Iuris Canonici im Jahr 1983, der in seinen Canones die reiche Botschaft des II. Vatikanischen Konzils aufgenommen hat, hat das Studium des Kirchenrechts wieder erfreulich zugenommen. Auch diese an der Lateran-Universität in Ehren stehende Tradition muß mit Eifer fortgesetzt werden, ist doch das Kanonische Recht ein Kompendium der angewandten Klugheit der Kirche, genährt von der Liebe und ausgerichtet auf das geordnete und harmonische Wachstum des Leibes Christi. Außerdem gibt es an dieser Universität seit 30 Jahren ein Pastoral-Institut mit einem bemerkenswerten Programm, das darauf abzielt, den Lebensraum des Menschen mit dem Licht und dem Geist des Evangeliums zu erfüllen und zu durchwürzen. Zudem ist an dieser Universität seit einigen Jahren das von mir gewünschte und gegründete Institut für Studien über Ehe und Familie an der Arbeit, um die Prinzipien des Glaubens und der katholischen Lehre über die Hauptthemen der Familie, der Weitergabe des Lebens und der menschlichen Erziehung wissenschaftlich zu erläutern und seelsorglich zu beleuchten. 1691 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 7. Durch die Ausrichtung ihrer Studien auf die Wirklichkeit des Lebens und die Förderung der anderen akademischen Disziplinen, wie Theologie und Philosophie, ist die Lateran-Universität befähigt, dem Verhältnis zwischen Glaube und Kultur in der heutigen Gesellschaft, dem Weg des Evangeliums zum Menschen, zu Gesellschaft und zeitgenössischer Erfahrung besondere Beachtung zu schenken. Bekanntlich ist der Mensch von heute in Rom wie in vielen Teilen der Welt, hauptsächlich der westlichen, wie eingetaucht in eine Kultur, die ihn abschirmt vom Licht der göttlichen Offenbarung. Sie stellt jedoch vor neue Probleme und schwierige Fragen. Die Wege der evangelischen Botschaft zu erkennen suchen; die Kultur, mehr noch die Kulturen, analysieren, um sie für das Wort Gottes zu öffnen; die Glaubensinhalte des christlichen Geheimnisses getreu den Anweisungen des Lehramtes auslegen, um sie in der Sprache der heutigen Kultur auszudrücken (das große hermeneutische Problem, das einen beachtlichen Teil der philosophischen und religiösen Überlegungen ausmacht); mit anderen Worten: der Dialog mit der Kultur im Hinblick auf ihre Evangelisierung, das sind Anliegen, die aus der einzigartigen Berufung dieser Universität herausragen. Es ist eine Universität, die in besonderer Weise in die Wirklichkeit der Kirche von Rom eingefügt, ja wie versenkt ist in diese Kirche, die unter vielen Gesichtspunkten immer mehr wie ein Mikrokosmos der Welt erscheint. Meine Mahnung lautet also: zeigt euch eurer Aufgabe gewachsen, im Studium, in der Treue gegenüber dem Lehramt, in der Hingabe an die Arbeit mit aller Ausdauer, mit Fleiß, Eintracht und Eifer bei der Erfüllung der täglichen Pflichten. Groß ist der Auftrag der Dozenten und hohe Anforderung stellt die Verantwortung an die Studierenden. Die Kirche braucht euch. Deshalb seid ihr alle, Universitätsleitung, Professoren, Studenten, Hilfspersonal, alle seid ihr aufgerufen, mitzuarbeiten, damit dieses Studienzentrum immer mehr zu einem tauglichen kulturellen Werkzeug des Heiligen Stuhles und der Kirche Roms wird, im Hinblick auf die Diözese sowie auf die Welt — damit es die vom Papst und der Kirche erwarteten Früchte bringe. Dazu vertraue ich es heute und in diesem Marianischen Jahr der Mutter Christi und der Mutter der Kirche an. Und es begleite euch jeden Tag bei eurer Arbeit mein väterlicher Segen in diesem ganzen akademischen Jahr, dessen offizielle Eröffnung zu erklären ich die Freude habe. 1692 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN FAO hat ihre Dringlichkeit nicht verloren Ansprache an die Delegierten der Generalversammlung der FAO am 13. November Herr Vorsitzender, Herr Generaldirektor, Exzellenzen, sehr geehrte Delegierten und Beobachter! 1. Ich bin sehr erfreut über diese Gelegenheit, Sie, die Vertreter und Experten der in der Emährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen zusammengeschlossenen Staaten und Organisationen, zu treffen. Ich heiße Sie willkommen, die Sie an der jetzt hier in Rom stattfindenden 24. Generalversammlung teilnehmen. Diese seit den Anfängen Ihrer Organisation im Jahr 1945 oft wiederholte Begegnung im Vatikan ist fast schon zur Tradition Ihrer Versammlungen geworden. Diesmal richte ich meine herzlichen besten Wünsche an den Herrn Generaldirektor Edouard Saouma, da er eine neue Amtsperiode antritt. Ich versichere Sie alle meiner Hochachtung für das Werk, das von Ihrer Organisation geleistet wird, und bekräftige das besondere Interesse des Heiligen Stuhls an dem, was zu Hunger und Unterernährung in der Welt in Beziehung steht, wie ich kürzlich in meiner Botschaft zum Weltemährungstag angedeutet habe. 2. Die Besorgnisse, die zur Gründung der FAO führten, haben seitdem nichts von ihrer Dringlichkeit verloren. Die Mitgliedsländer sind verpflichtet, das Niveau der Ernährung und des Lebensstandards ihrer Völker zu heben und die Produktion und Verteilung von Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Produkten zu verbessern und dabei mit besonderer Aufmerksamkeit auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse bei der Landbevölkerung zu achten. Vor allem hat sich die FAO das Ziel gesteckt, die Weltemährung zu sichern, so daß alle Völker zu jeder Zeit natürlichen und wirtschaftlichen Zugang zu den Nahrungsmitteln hätten, die sie brauchen. Wenn wir diese Ziele nennen, so heißt das zugleich, die weltumspannende Natur der in Angriff genommenen Aufgaben erkennen. Wie in anderen Bereichen menschlicher Tätigkeiten, so ist es auch in der Produktion, Bereitstellung und Verteilung von Nahrungsmitteln: sie erstrecken sich über die Grenzen einzelner Nationen, ja selbst Kontinente hinaus. Folglich müssen sich Ihre Bemühungen im Rahmen internationalen Verstehens, internationaler Zusammenarbeit und guten Willens bewegen. Wenn die Staaten nicht gewillt 1693 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sind, eine Haltung der Offenheit und Solidarität in der einen Menschheitsfamilie einzunehmen, werden Ihre Anstrengungen ernsten Hindernissen und Verzögerungen begegnen. Das ursprüngliche Ideal, die begeisternde Idee, die zur Errichtung der FAO führten, müssen beständig aufrechterhalten und bestärkt werden. Aus der moralischen Überzeugung, daß es sich von der ursprünglichen Absicht her um ein hohes Gut handelt, erwächst Ihnen die Kraft, deren Sie bedürfen, um mutig an die jeweiligen technischen und menschlichen Aufgaben heranzugehen. Wenn die Mitgliedsstaaten immer mehr diese Überzeugung teilen, werden sie den Mut zur Zusammenarbeit bei diesem großen Werk finden, die uralte Plage des Hungers von der Erdoberfläche zu verbannen. Die Ausdehnung und Vielfalt der weltweiten Tätigkeiten und technischen Hilfsprojekte in so vielen Entwicklungsländern sprechen deutlich davon, wie sehr die Welt Ihre Organisationen braucht. Darum ist zu hoffen, daß Ihre ständige Hingabe und Ihre weise Geschäftsführung die Mitgliedsstaaten im Hinblick auf die zu erreichenden Ziele fest zusammenschließen. Die Fähigkeit jeder internationalen Organisation zu wirksamem Handeln hängt weitgehend von der Kraft der übereinstimmenden Meinung und der Einheit der Absicht bei ihren Mitgliedern ab. Überfluß auf der einen Seite und Hunger auf der anderen 3. Wenn man den augenblicklichen Stand der Ernährungslage in der Welt betrachtet, ist man beeindruckt von dem in einigen Gebieten bestehenden bedeutenden Überschuß, vor allem an Getreide, und der in anderen Gegenden vorhandenen Krisensituation, weil es den Menschen an Nahrungsmitteln fehlt, bis zu einem solchen Grad, daß wirklich die Gefahr des Hungertodes besteht. Um dieser tragischen Situation zu begegnen, ist internationale Solidarität unbedingt und unausweichlich notwendig. Es besteht die Pflicht, jetzt und in Zukunft, Hilfsquellen verfügbar zu machen für jene, deren Leben und Wohl am meisten bedroht sind. Das gilt in besonderer Weise, weil die Weltproduktion die Bedürfnisse der augenblicklichen Weltbevölkerung übersteigt. Es läßt sich in der Tat objektiv voraussehen, daß in Zukunft ausreichend Nahrungsmittel selbst für eine zunehmende Weltbevölkerung produziert werden können. Der wissenschaftliche und technologische Fortschritt im Anbau und in der Nutzung der Hilfsquellen der Erde, die zu neuen und besseren Produkten führen, können diesen Überfluß garantieren. Obschon diese Aussicht hinsichtlich der Nahrungsmittelproduktion gültig ist, wenn wir diese im ganzen betrachten, so bleiben doch unmittelbare und empfindliche Mangelzustände in gewissen Ländern und Regionen bestehen im 1694 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Verhältnis zu ihrem derzeitigen Bevölkerungsstand, Defizite, die manchmal durch soziale und politische Faktoren verschärft werden. Die betroffenen Gebiete bedürfen der Hilfe von Experten, um ihre eigenen Hilfsquellen zum Wohl ihrer Bevölkerung zu entwickeln. Aber ihr unmittelbares Wohl hängt ebenso von der Einführung eines besseren VerteilungsSystems ab mit Verwendung von Lebensmittelüberschüssen für die dringende Not der Opfer von Dürre und Hunger. Es müssen ferner auch Wege weiterentwickelt werden, um die rechtmäßige Forderung der Erzeuger nach einem gerechten Preis für ihre Güter auszugleichen, wie auch, um die Leistungsfähigkeit der ärmeren Nationen zu unterstützen, damit sie dringend notwendige Güter bezahlen können. Dies ist ein komplexes Problem, das eine Neubesinnung auf Prioritäten sowohl von seiten der Industriestaaten wie auch der Entwicklungsländer erfordert. Die ganze internationale Gemeinschaft ist aufgerufen, ihre Anstrengungen auf die Frage des Ungleichgewichts im internationalen Handel zu richten. Vor allem braucht es eine neue Mentalität, die darauf abzielt, zu einer echten Form der Gerechtigkeit in den internationalen Beziehungen zu kommen, wobei die Interessen der weniger Mächtigen in rechtem Maß besser geschützt werden und die übermäßige Wahrung von Sonderinteressen durch ein aufrichtiges Streben nach dem wahren Gemeinwohl der gesamten Menschheitsfamilie ersetzt wird. 4. Mehr denn je ist es heute offensichtlich, daß Probleme im Bereich von Ernährung und Landwirtschaft im Zusammenhang mit der Wirtschaftslage der Welt insgesamt angegangen werden müssen. Konkrete Maßnahmen werden stark beeinträchtigt durch die Stärken und Schwächen, die Schwankungen und Krisen der Weltwirtschaft. Nur in diesem Zusammenhang ist es möglich, in einzelnen Ländern oder auf internationaler Ebene lebensfähige Wirtschafts-, Währungs-, soziale und politische Verfahren auf eine Formel und in Anwendung zu bringen. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für diese Tatsache sind die Schwierigkeiten, mit denen die Länder zu kämpfen haben, die mit gewaltigen äußeren Schulden belastet sind. Selbst wenn andere Bedingungen vorhanden sind, die ein wirkliches Wachstum begünstigen, sehen diese Länder ihren Fortschritt doch zum Stillstand gebracht durch ihre ungeheure Verschuldung mit der daraus resultierenden Erschöpfung aller Mittel infolge der Schuldentilgung. Der Emst der Herausforderung, die das Phänomen der internationalen Verschuldung an die Weltgemeinschaft stellt, veranlaßte kürzlich den Heiligen Stuhl dazu, ein von der Päpstlichen Kommission „Justitia et pax“ abgefaßtes Dokument über die ethischen Aspekte der internationalen Schuldenfrage zu veröffentlichen. Die Kirche ist davon überzeugt, daß die Wirtschaftsbezie- 1695 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN hungen nicht von moralischen und ethischen Bezügen getrennt werden können, denn im Kern allen menschlichen Tuns und Strebens steht die menschliche Person. In der Tat stehen ja, wie das Dokument hervorhebt, „Wirtschaftstrukturen und Finanzmechanismen im Dienst der menschlichen Person — und nicht umgekehrt“. Es drückt die Hoffnung aus, daß „die Beziehungen des Warenaustauschs und die damit verbundenen Finanzmechanismen verbessert werden können, ehe private oder kollektive Kurzsichtigkeit und Egoismen in unheilbare Konflikte ausarten“ {Im Dienste der menschlichen Gemeinschaft: ein ethischer Ansatz zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise, Einführung). Der Heilige Stuhl hegt in der Tat die Hoffnung, daß als Ergebnis von wachsendem Verantwortungsbewußtsein und zunehmender Solidarität unter den Nationen der Welt größere Anstrengungen gemacht werden, damit internationale Beziehungen und Hilfeleistungen nach den Grundsätzen wirklicher Gerechtigkeit und gegenseitiger Achtung Zustandekommen. 5. Als eine weitere ernste Frage, die Ernährung und Landwirtschaft betrifft, muß das drängende Problem des Umweltschutzes aus einer weltweiten Perspektive in Angriff genommen werden. In dieser Hinsicht hatte ich vor einigen Tagen Gelegenheit, mich an eine Versammlung zu wenden, die von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften über das Thema: „ein moderner Ansatz zum Umweltschütz“ veranstaltet war. Vor allem bereiten die Zunahme des Waldsterbens und der Wüstenzonen Sorge. „In Entwicklungsländern, die im allgemeinen durch ein schweres Klima und ungünstige Witterungsbedingungen gekennzeichnet sind, besteht in den feuchten Tropen das brennende Problem der Vernichtung der Wälder und in den trockenen Tropen das des immer weiteren Vordringens der Wüste, drohende Probleme für die Bevölke-rungsemährung. Die Entdeckungen der Wissenschaft müssen genutzt werden, um eine große Ertragsfähigkeit des Landes in solcher Weise zu garantieren, daß für die örtliche Bevölkerung Nahrung und Unterhalt sichergestellt werden können, ohne die Natur zu zerstören“ {Ansprache an die Päpstliche Akademie der Wissenschaften, 6. Nov. 1987, Nr. 2). Die Umwelt ist aber nicht nur in den Entwicklungsländern in Gefahr. „In Industrieländern besteht das beunruhigende Problem der Vergeudung von gasförmigen, flüssigen oder radioaktiven Produkten. Unkluges Vorgehen hat der Natur sehr schweren Schaden zugefügt. Unkontrolliertes Freiwerden von Abgasen hat zu saurem Regen geführt, zur Ablagerung von chemischen Überresten im Umfeld und zur Meeresverschmutzung“ {ebd.)- Sollen solche ernsten Probleme gelöst werden, ist ein umfassendes und weltweites Bemühen notwendig von seiten der Regierungen und der Industrie sowohl wie auch der er- 1696 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zieherischen und kulturellen Kräfte, unterstützt und ermutigt durch internationale Organisationen, die FAO eingeschlossen. Ebenso bieten Fortschritte in der Gentechnologie, die in manchen Fällen, auf die menschliche Genetik angewendet, Anlaß zu berechtigter Sorge werden können, nichtsdestoweniger die Hoffnung auf große Wohltaten für Entwicklungsländer, wenn sie nämlich in der Pflanzen- und Tiergenetik Anwendung finden. Wirklicher und wohltätiger Fortschritt auf diesen Gebieten wird nur erzielt werden, wenn der Sinn für weltweite gegenseitige Abhängigkeit und Solidarität zunimmt. Der Heilige Stuhl bringt seine Unterstützung der FAO zum Ausdruck bei deren Bemühungen, Richtlinien für die wirksame Anwendung der Pflanzengenetik anzubieten, vor allem, was die gegenseitige Mitteilung der Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen in freier und offener Art betrifft, und besonders zum Wohl für solche Gebiete, die am meisten dieser wissenschaftlichen und technischen Hilfe bedürfen. Den Geist der Hoffnung und Solidarität erneuern 6. Nach mehr als vier Jahrzehnten des Bestehens der Vereinten Nationen und der zwischenstaatlichen Organisationen, die mit ihnen verbunden sind, ist zu wünschen, daß der Geist der Hoffnung und der Solidarität, der die Gründungsmitglieder erfüllte, sich erneuere und zunehme und daß so die internationale Gemeinschaft immer mehr fähig werde, die Ziele des Friedens, der Freiheit und des sozialen Fortschrittes zu erreichen, die allein der Menschheit die Aussicht auf eine bessere Zukunft bieten. In dieser Hinsicht spielt die FAO eine bedeutende Rolle, und ihr besonderer Beitrag zur Wohlfahrt der Völker der Welt ruft nach der verantwortlichen Mitarbeit von seiten all der Staaten, die die in den Satzungen niedergelegten Ziele befürwortet haben. Von besonderem Wert ist die reichhaltige und aktuelle Dokumentation, die Sie über den Stand der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion in einzelnen Ländern der Welt bieten. Die Hilfe Ihrer Organisation im Erstellen von Programmen und Projekten für Regierungen und andere internationale Organisationen ist notwendig und wird geschätzt, ebenso Ihre Bemühungen, die angemessene Finanzierung für Projekte in Entwicklungsländern zu finden, nicht nur auf bilateraler Basis, sondern zunehmend auf einer weiteren, multilateralen Grundlage. Die wachsende Ausbreitung und Wirksamkeit der technischen Zusammenarbeit, die von der FAO unternommen wird, ist eine Wohltat für viele Länder, besonders insofern sie die Länder in ihrer Fähigkeit stärken, lokale Situationen zu analysieren und geeignete Programme und Projekte zur landwirt- 1697 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN schaftlichen Entwicklung zu entwerfen und anlaufen zu lassen. Ein spezieller Aspekt der Tätigkeit der FAO, der besonderes Lob verdient, ist die rechtzeitige Antwort auf die ernste Ernährungslage, die den afrikanischen Kontinent betroffen hat. 7. Mit dem Ausdruck der Hochschätzung des Heiligen Stuhls für die positiven so weit erzielten Erfolge möchte ich Sie, sehr geehrte Vertreter und Experten, des fortdauernden Interesses der Kirche an den Zielen und Tätigkeiten Ihrer Organisation versichern. Sie sorgt sich vor allem um das ganzheitliche Wohlbefinden der menschlichen Personen, die letzten Endes die Nutznießer Ihres Dienstes und Ihrer fachkundigen Hilfe sind. Ich flehe aufrichtig für Sie zum allmächtigen Gott um die Gaben der Weisheit, der Kraft und des Mitempfindens in der Erfüllung Ihrer hohen Aufgaben im Dienst der Menschheit. Möge die ganze internationale Gemeinschaft immer feinfühliger werden für die Bedürfnisse der Armen und Hungernden in der Welt, und möge sie sich bewußt werden, daß gemeinsames Handeln von seiten aller nicht länger hinausgeschoben werden darf. Gott schenke Ihnen seinen reichsten Segen. Humanisierung der Medizin: Pflicht der Gerechtigkeit Ansprache an die Teilnehmer der internationalen Tagung über „Humanisierung der Medizin“ am 13. November 1. Mit herzlicher Freude begrüße ich Sie, werte Damen und Herren, die Sie an der Tagung teilnehmen, die von der Päpstlichen Kommission für das Krankenapostolat zum Thema „Humanisierung der Medizin“ veranstaltet wird; ein grundlegendes Thema, dessen Bedeutung heute immer mehr in das Bewußtsein der Öffentlichkeit rückt. 2. Das Leben ist ein Geschenk Gottes. Der Mensch ist nicht Herr darüber, sondern verantwortlicher Verwalter. „Der Schöpfer der Welt hat den werdenden Menschen geformt, als er entstand; er kennt die Entstehung aller Dinge“ (2 Makk 7,23). Deshalb gehört der Mensch in allen seinen Lebensphasen Gott, demgegenüber er sich verbürgt für den Gebrauch, den er von dem großen Geschenk macht. Von hier kommt die hohe Würde der Medizin, die ihrer Definition nach Dienst am menschlichen Leben ist. Als solcher ist sie mit einer wesentlichen und unverzichtbaren Beziehung zum Menschen in seiner individuellen und 1698 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sozialen Dimension verbunden: Die Medizin dient dem Menschen, dem ganzen Menschen, jedem Menschen. Von dieser Wahrheit sind Sie tief überzeugt aufgrund einer sehr langen Tradition, die auf die intuitiven Erkenntnisse des Hippokrates selbst zurückgeht. Aber genau dieser Überzeugung entspringen Ihre Besorgnisse als Gelehrte, Wissenschaftler und Forscher hinsichtlich der Gefahren, denen die Medizin heute ausgesetzt ist. „Die neuen Grenzen nämlich, die der Fortschritt der Wissenschaft und dessen mögliche technische und medizinische Anwendungsformen gezogen haben, berühren den innersten und empfindlichsten Bereich des Lebens an seinem eigentlichen Ursprung und in seiner tiefsten Bedeutung“ (Dolentium hominum, Nr. 3). Auch von diesen Besorgnissen bewegt, haben Sie sich zu dieser Tagung zusammengefunden in dem Wunsch, den Beitrag Ihrer Sachverständigkeit anzubieten bei der Erarbeitung von Strategien, die für einen wirksameren Schutz und eine angemessenere Förderung des grundlegenden Geschenks des Lebens zweckmäßig erscheinen können. Vernünftigerweise konzentriert sich die Gliederung der im Symposion behandelten Themen, vom allgemeinen ins einzelne gehend, vor allem auf das Leben und das Recht auf Leben, dann auf den Menschen und die Gesundheit, schließlich auf den Menschen und die Medizin. Über den Menschen und die Gesundheit und den Menschen und die Medizin zu sprechen setzt in der Tat eine klare Begriffsvorstellung vom Leben, vom Recht auf das Leben und auf die Lebensqualität voraus. 3. Da ich natürlich nicht auf die Themen Ihres Symposions im einzelnen näher eingehen kann, möchte ich einige Überlegungen zum Hauptthema anstellen, um das sich alle anderen Probleme drehen: nämlich das der Humanisierung der Medizin. Mit diesem Thema trifft man den Kernpunkt selbst des Rechtes und der Pflicht, das Leben und seine Würde zu verteidigen und zu fördern. In der Tat kann es keine echte Förderung menschlichen Lebens geben ohne eine wachsende Humanisierung der Medizin, die über die einfache wissenschaftliche und technische Leistung hinausgeht. „Wissenschaft und Technik, kostbare Hilfen für den Menschen, wenn sie sich in seinen Dienst stellen und seine umfassende Entwicklung zum Wohl aller fördern, können nicht für sich allein den Sinn des Daseins und des menschlichen Fortschritts aufzeigen. Auf den Menschen hingeordnet, dem sie ihr Entstehen und ihr Wachstum verdanken, empfangen sie von der Person und ihren moralischen Werten her den Aufweis ihrer Zielsetzung und das Bewußtsein ihrer Grenzen“ (Kongregation für die Glaubenslehre: Instruktion über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung, Nr. 2). 1699 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ihre Arbeiten sehen einen organischen Ansatz der verschiedenen Probleme vor, die das Wissen vom Leben und vom Recht auf Leben betreffen, weiterhin Fragen, die sich mit der fortschreitenden Entwicklung der Pharmakologie stellen, die Erfordernisse, die von der Dringlichkeit, die Umwelt zu schützen, hervorgerufen werden; die Spannungen, die mit dem zunehmenden Ungleichgewicht zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern verbunden sind; die Möglichkeiten einer politischen Strategie für die Verteidigung und Förderung menschlichen Lebens auf der Erde. Es handelt sich um weitgefächerte und anregende Fragen, die zu vertiefen ich Sie aufrufe. Ich betone aber, daß die notwendige richtungweisende Norm fehlt, wenn die verschiedenen Argumente aufgegriffen werden, ungeachtet einer entsprechenden anthropologischen Sicht, die imstande ist, die Debatte zu Lösungen zu führen, die wahren Fortschritt bedeuten. Es gibt nämlich Formen wissenschaftlicher Entwicklung, die nicht mit dem echten Wohl des Menschen im Einklang stehen: der wissenschaftliche Fortschritt läuft in solchen Fällen auf einen menschlichen Rückschritt hinaus, der auch einen dramatischen Ausgang ankündigen kann. Gerade in dieser Hinsicht ist es notwendig, den Grundsatz zu betonen, daß nicht alles, was technisch möglich ist, auch moralisch und ethisch annehmbar ist. 4. Eine wirklich humanisierte Praxis der Medizin kann nicht gleichgültig bleiben angesichts einer wissenschaftlichen Forschung, die sich zum Selbstzweck macht und die Erfordernisse eines echten Dienstes am Menschen außer acht läßt. Auch das Studium des Lebens muß sich in Dienst am Leben umsetzen. Die Fragen, die von den wissenschaftlichen Experimenten, dem Verhältnis Bevölkerung — Ressourcen, der unheilbaren Krankheit aufgeworfen werden, sind drängender geworden, seit der technische Fortschritt die Zuhilfenahme von Lösungen und Vörgehensweisen erleichtert hat, die die Würde des Lebens und der menschlichen Person verletzen. Um dem Druck solcher Möglichkeiten zu widerstehen, ist es unerläßlich, über entsprechende anthropologische Bezugspunkte zu verfügen, zu deren Erarbeitung der interdisziplinäre Dialog und ganz besonders die Reflexion über die Gegebenheiten der christlichen Offenbarung beitragen können. Die zweitausendjährige Geschichte der Neuzeit zeigt an dieser Stelle, welche Hilfe das christliche Denken zu einer echten Humanisierung der Medizin geben kann; indem es jeden Menschen als Bruder zu erkennen gibt, begründet es den Dienst am Leben auf dem universalen Liebesgebot. Das hatte Dr. Giuseppe Moscati wohlverstanden, den ich zu meiner Freude am 25. Oktober heiligsprechen konnte. Er sagte: „Nicht die Wissenschaft, sondern die Liebe hat die Welt verändert...“ Als Universitätsprofessör, Chefarzt und 1700 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Forscher hat er aus erster Hand den Primat der Liebe im Dienst am Leben erfahren. Das Liebesgebot wurzelt im Naturgesetz der menschlichen Solidarität und schöpft Lebenskraft aus der Liebe selbst, die Gott ist. Nicht nur das, denn beim Einsatz, das Leben zu fördern, wird die Liebe auch zum aufbauenden Begegnungspunkt mit denen, die durch geheimnisvolle Lebensumstände die Botschaft Jesu nicht angenommen oder verstanden haben. Ein wenn auch oberflächlicher Blick auf die Geschichte der Medizin läßt einen besonderen Zusammenhang zwischen menschlichen und christlichen Werten feststellen, dank deren Zusammenwirken sich dieses reiche Erbe an Zivilisation und Fortschritt herausbilden konnte, das der Stolz Ihres Berufsstandes ist. Der Arzt als Experte besonderer menschlicher Feinfühligkeit 5. Insofern sie mit dem Menschen im kritischen Augenblick des Leidens in Berührung kommt, wenn er das dringende Bedürfnis verspürt, seine Gesundheit zu schützen, muß die ärztliche Kunst den, der sie ausübt, auf allen Ebenen zu einem Experten besonderer menschlicher Feinfühligkeit machen. Dies gilt natürlich im Beziehungsbereich mit dem einzelnen, wo Humanisierung u. a. Öffnung bedeutete gegenüber allem, was darauf vorbereiten kann, den Menschen, seine Innerlichkeit, seine Welt, seine Psychologie und seine Kultur zu verstehen. Diese Beziehung menschengerecht zu gestalten, bringt zugleich ein Geben und Empfangen mit sich, d. h., eine Gemeinschaft wird geschaffen, die volle Teilhabe ist. Nur so wird der Dienst auch Zeugnis, und indem er Dienst am Leben ist, wird er auch zum Ansporn, es zu lieben und seine wahre und tiefste Bedeutung in allen seinen Erscheinungsformen zu erfassen. Das bewahrheitet sich aber auch auf gesellschaftlicher Ebene: hier wird die Humanisierung erforderlich im direkten Einsatz des Sanitätspersonals — jedes einzelnen in seinem Bereich und seiner Zuständigkeit entsprechend —, gesundheitsfördernde Bedingungen zu schaffen, ungenügende Strukturen zu verbessern, die Ursachen so vieler Krankheiten zu beseitigen, die gerechte Verteilung der sanitären Mittel zu begünstigen und dahin zu wirken, daß die Gesundheitspolitik in der Welt nur das Wohl der menschlichen Person zum Ziel hat. 6. Die Humanisierung der Medizin erfüllt eine Pflicht der Gerechtigkeit, die nie ausschließlich anderen überlassen werden kann, erfordert sie doch den Einsatz aller. Der Wirkungsbereich ist sehr ausgedehnt. Er reicht von der Gesundheitserziehung zur Förderung und Verstärkung der Sensibilität auf seiten 1701 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der Verantwortlichen der Öffentlichkeit; vom direkten Einsatz am eigenen Arbeitsplatz zu jenen Formen der Mitarbeit auf Orts-, Landes- und internationaler Ebene, die durch so viele Organismen und Vereinigungen ermöglicht werden; diese haben unter ihren satzungsmäßigen Zielen den direkten oder indirekten Hinweis auf die Notwendigkeit, die Medizin immer menschengerechter zu gestalten. Die Kirche, die „den Dienst an den Kranken und Leidenden sehr stark als wesentlichen Teil ihres Auftrags“ empfindet (Dolentium hominum, Nr. 1) und auf den Menschen als „ihrem eigenen Weg“ blickt (vgl. Salvifici doloris, Nr. 3), ist besonders den Laien nahe — wie die jüngste Synode richtig herausgestellt und betont hat —, die sich für eine wachsende Humanisierung der Medizin einsetzen. Sie ist durch Einzelpersonen und Institutionen unmittelbar unter den Leidenden und im Gesundheitswesen tätig unter der hochherzigen Mitarbeit des Sanitätspersonals. Hier erhebt sich eine besondere und entscheidende Herausforderung an unsere Zeit: Wir können nicht untätig einer anhaltenden Situation Zusehen, in der ganze Völker an Krankheiten leiden, die die medizinische Wissenschaft bereits imstande ist zu bekämpfen und zu überwinden. Die Medizin humanisieren heißt, diese Herausforderung anzunehmen und sich hochherzig für den Aufbau einer Welt einzusetzen, in der für jeden Menschen die notwendigen Mittel gewährleistet sind zur vollen Entfaltung des grundlegenden.Talentes des Lebens, das in Gott, dem „Freund des Lebens“ (Weish 11,26) seinen Ursprung und seine endgültige Bestimmung hat. Indem ich Sie ermutige, alles in Ihrer Macht Stehende zu tun, um diese edlen Aufgaben zu erfüllen, rufe ich auf Sie und Ihre Arbeit den Segen des Allmächtigen herab, damit er Sie erleuchte und stärke. Freie Schulwahl muß dringend garantiert werden Ansprache an die Weltvereinigung ehemaliger Schüler und Schülerinnen katholischer Bildungsstätten am 14. November Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich heiße euch herzlich willkommen. Ihr seid die Träger der weltweiten Vereinigung ehemaliger Schüler und Schülerinnen katholischer Bildungseinrichtungen. Ihr seid zur 20-Jahrfeier der Gründung dieser Vereinigung nach Rom gekommen und könnt bei dieser Gelegenheit die Bilanz eines beachtli- 1702 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN chen Wirkens ziehen. Euer künftiges Engagement beinhaltet Initiativen einer immer wirksameren Antwort auf die zahlreichen Probleme der heutigen Gesellschaft. Doch seid ihr in erster Linie hierher gekommen, weil ihr vom Glauben gedrängt seid und eure Zustimmung zum päpstlichen Lehramt auf dem für die Zukunft der Kirche so bedeutsamen Gebiet der katholischen Bildungsstätten zum Ausdruck bringen wollt. Ich möchte auch unterstreichen, daß ich euer Wirken sehr schätze. Ich bin sicher, daß ihr euch auch weiterhin für das Wohl der Kirche einsetzen werdet, wie es in euren Statuten festgeschrieben ist. Ich vertraue euch und ermutige euer Tun. 2. Für eure Überlegungen in diesen Tagen möchte ich nur auf einen Wesenspunkt der katholischen Bildungsstätten hinweisen: Die katholischen Schulen bieten heute mehr denn je einen sehr wertvollen Dienst an der christlichen Gemeinschaft und an der gesamten Gesellschaft an, denn sie garantieren den Eltern die Freiheit der Erziehung, z. B. durch freie Schulwahl. Auf der letzten Bischofssynode, die sich mit Berufung und Sendung der Laien in der Welt von heute befaßte, wurde zurecht der Wert religiöser Erziehung in den Schulen für das Werk der Evangelisierung betont. Die katholische Schule leistet einen echten pastoralen Dienst. Die Konzilserklärung über die christliche Erziehung stellt klar heraus, daß die katholischen Bildungsstätten an sich Stätten der Evangelisierung und des seelsorglichen Wirkens sind (vgl. Gravissimum educationis, Nr. 8). Und dies nicht so sehr dank ihrer zusätzlichen oder außerschulischen Aktivitäten, sondern vielmehr kraft ihrer eigenen Natur und der ihr eigenen pädagogischen Funktion der Heranbildung christlicher Persönlichkeiten. Die katholische Schule ist auch ein Ort kultureller Meditation. Sie achtet die „Autonomie“ der Wissenschaft und bleibt dennoch der einfachen Erklärung des Evangeliums treu. Sie garantiert, ganz allgemein die aktive Präsenz einer katholischen Kultur in einer sehr verweltlichten Welt. 3. Wenn die katholischen Schulen auch künftig problemlos im Dienst der Gesellschaft stehen und auch die schwächeren Schichten unterstützen sollen, dann müssen die Eltern ohne jede Diskriminierung frei die Schule wählen können, in die sie ihre Kinder schicken wollen. Dazu könnt ihr in verschiedenen Fällen einen wachsamen und bestimmenden Beitrag leisten. Laßt mich eine Bitte aussprechen: Möge die Besonnenheit der katholischen Schulen immer mehr offenbar werden! Und dies dank ihrer ständigen Verbindung mit der jeweiligen Ortskirche, durch den besonderen Erziehungsstil, dank der Aufnahme armer und behinderter Kinder, dank einer Darstellung 1703 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN echter Werte, die den Menschen in seiner Gesamtheit sieht! Ich weiß, daß eure Vereinigung dieses Ziel anstrebt und beachtlich zur Verwirklichung dieser Vorstellungen beiträgt. Ich vertraue euch dem Herrn und seiner himmlischen Mutter an, euch und alle Freunde eures Verbandes, und erteile euch allen meinen Apostolischen Segen. Biblische Zusammenarbeit fördert das Verständnis Ansprache bei der Überreichung neuer Leitlinien für interkonfessionelle Zusammenarbeit bei der Bibelübersetzung am 16. November Eminenz, Lord Coggan, Bischof Ablondi, liebe Freunde in Christus! Voll Freude danke ich heute mit Ihnen dem Herrn für den Mut und den Trost, die er uns unerschöpflich durch seinen Heiligen Geist schenkt. Er läßt uns immer hochherziger dem Wort des Heils dienen. Das Beispiel Kardinal Beas und die Erinnerung an dessen neunzehnten Todestag, den wir heute begehen, hat Kardinal Willebrands eben in gebührender Weise wachgerufen. Für sehr viele Menschen war Kardinal Bea in den bedeutsamen und schwierigen Jahren nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ein zuverlässiger und fachkundiger Ratgeber. Vor allem auf dem Gebiet der biblischen Zusammenarbeit war seine verläßliche Führung spürbar. Schon vor der Promulgierung der Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung begrüßte Kardinal Bea den Wunsch nach einer solchen Zusammenarbeit, den der damalige Sekretär der Vereinigten Bibelgesellschaften, Oliver Beguin, ausgesprochen hatte. Nach einigen vorbereitenden Diskussionen schlug er diese Zusammenarbeit meinem Vorgänger Paul VI. vor, der ihr sofort zustimmte. Dann gingen die Vereinigten Bibelgesellschaften zusammen mit katholischen Experten an die Aufstellung von Leitprinzipien in der Absicht, den Menschen überall auf der Welt zu helfen, mit der Bibel vertraut zu werden und sich von ihrem Geist durchdringen zu lassen (vgl. Dei verbum, Nr. 25). Dies ist das Anliegen, das nun seit Jahrhunderten die Mitglieder Ihrer Vereinigung angeregt hat, sich mit Energie und Eifer auf diesem Feld einzusetzen. Es freut mich besonders, Sie, Lord Coggan, und Ihre Mitarbeiter zu begrüßen. Ich bin froh, daß die neu überarbeitete Fassung der Leitlinien nun fertiggestellt ist. Sie wird eine vollkommenere Zusammenarbeit zwischen den Bi- 1704 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN belgesellschaften in den verschiedenen Ländern und katholischen Ortskirchen bei der Erarbeitung und Verbreitung von Ausgaben der Heiligen Schrift ermöglichen. Wie diese Zusammenarbeit für geistliche Nahrung des christlichen Volkes sorgt, so trägt sie auch in hohem Maß zu unserem gegenseitigen Verständnis bei. Sie bringt die Christen einander näher und treibt das Anliegen der Einheit voran. In diesem Geist ist die Zusammenarbeit mit der katholischen Weltföderation für das Bibelapostolat gewachsen. In harmonischer Zusammenarbeit mit der Hierarchie der Kirche ist sie großmütig auf das gewaltige Programm eingegangen, das in der Dogmatischen Konstitution über die Göttliche Offenbarung enthalten ist, die sagt: „Die kirchlichen Vorsteher, ,bei denen die Lehre der Apostel ist‘, sollen die ihnen anvertrauten Gläubigen zum rechten Gebrauch der Heiligen Bücher, namentlich des Neuen Testamentes und in erster Linie der Evangelien, in geeigneter Weise anleiten durch Übersetzungen der heiligen Texte, die mit den notwendigen und wirklich ausreichenden Erklärungen versehen sind, damit die Kinder der Kirche sicher und mit Nutzen mit den Heiligen Schriften umgehen und von ihrem Geist durchdrungen werden. Darüber hinaus sollen mit entsprechenden Anmerkungen versehene Ausgaben der Heiligen Schrift geschaffen werden, die auch Nichtchristen gebrauchen können und die ihren Verhältnissen angepaßt sind. Die Seelsorger und die Christen jeden Standes sollen auf jede Weise klug für ihre Verbreitung sorgen“ (Dei verbum, Nr. 25). Ich möchte Sie in ihrem verdienstvollen Bemühen ermutigen, die Kenntnis des Wortes Gottes zu verbreiten. Wie das Konzil lehrt, stärken Kraft und Macht dieses Wortes die Kirche und geben jeder Seele Nahrung (vgl. ebd., Nr. 21). „Denn lebendig ist das Wort Gottes und kraftvoll“ (Hebr4,12). Es hat die Kraft, „aufzubauen und das Erbe in der Gemeinschaft der Geheiligten zu verleihen“ {Apg 20,32). Gott segne Sie alle bei Ihrem edlen Werk! 1705 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wirtschaftliches Denken ist an die Ethik gebunden Ansprache an die Delegierten der Diözesen Italiens und der christlichen Verbände beim Pastoralkongreß in Rom am 20. November Liebe Brüder und Schwestern! 1. Gern richte ich meinen herzlichen Gruß an euch alle, die Delegierten der Diözesen Italiens und der christlichen Verbände, da ihr in Rom zum Pastoralkongreß über das Thema „Menschen, neue Technologien und Solidarität: der Dienst der italienischen Kirche“ zusammengekommen seid. Ihr wollt das Dokument der Italienischen Bischofskonferenz über „Kirche und Arbeiter im Wandel“, das am vergangenen 17. Januar bei Gelegenheit der Tagung zum 5. Jahrestag von Laborem exercens veröffentlicht wurde, in die Praxis umsetzen. Das Marianische Jahr, das ihr heute früh mit einer eigenen Feier in der Basilika Santa Maria Maggiore ausgezeichnet habt, stellt uns zur Verehrung die Mutter des Erlösers vor, die die Kirche als „ihr Vorbild im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe“ betrachtet (Redemptoris Mater, Nr. 2). Sie tut das im Blick auf das Jahr 2000 und die ganze soziale und geschichtliche Problematik, die damit weitergeht. Euer Kongreß folgt in ganz kurzem Abstand auf die Bischofssynode, die der Kirche die Gnade eines vertieften und gemeinsamen Nachdenkens über Berufung und Sendung der gläubigen Laien geschenkt hat, die wie nie zuvor zu einem festen und hochherzigen Zeugnis in einer Zeit voll komplizierter und radikaler Wandlungen aufgerufen sind. So gesehen, verdient die Entscheidung für diesen Kongreß besondere Wertschätzung, weil er durch das Bemühen um Verständnis der für die neue nachindustrielle und um Information kreisende Gesellschaft spezifischen Probleme einmal einen originellen Beitrag zur Schaffung einer sozialen Kultur anbieten möchte, in der die Technologien im Dienst des Menschen stehen. Andererseits möchte er jeden Bereich des sozialen Lebens, und besonders die Arbeitswelt evangelisieren. 2. Was den heutigen sozialen Wandel angeht, ist einer der am meisten Besorgnis weckenden Punkte das Auseinanderklaffen zweier Lebensbereiche, die vielmehr ständig aufeinander einwirken müßten, nämlich der wirtschaftlichen und der ethischen Dimension. Wir stehen immer öfter vor sozialen Tatsachen und Erscheinungen, wo die Wirtschaft ihre Rationalität ohne jede ethische Rücksicht behauptet. Bei einer christlichen Sicht der Dinge wird dagegen betont, daß die Wirtschaft zwar wie jeder andere Bereich menschli- 1706 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN chen Handelns relative Autonomie besitzt, doch innerlich an die Ethik gebunden bleibt, die das universale Maß für das wahre Wohl des Menschen abgibt. In den Zielen also, die sie sich setzt, und in den Methoden, um sie zu erreichen, muß sie ständig die moralische Norm berücksichtigen. Es ist gewiß nicht leicht, ein positives Verhältnis zwischen Wirtschaft und Ethik konkret so aufzubauen, daß der gemeinsame Dienst zum Wachstum des Menschen garantiert wird. Betrachtet man die auf eurem Kongreß behandelten Themen, so kommt man weder an der enormen Kompliziertheit der heutigen Gesellschaft vorbei, noch an den Sorge bereitenden Widersprüchen, die dabei auftauchen: einerseits erleben wir das Vorherrschen rein wirtschaftlicher Grundsätze und konsumorientiertes Handeln; andererseits zeigt sich immer deutlicher die Unfähigkeit, eine gerechte Verteilung des Ertrags mit einer richtigen Einschätzung der Entwicklungsaussichten in Einklang zu bringen. Daher erweist sich eure Initiative als passend, denn sie möchte dem Bewußtsein in Kirche und bürgerlicher Gesellschaft die dringende Notwendigkeit nahebringen, sich wieder auf die ethisch-sozialen Werte als unausweichlichen Bezugspunkt der verschiedenen Ausrichtungen des wirtschaftlichen und politischen Handelns zu besinnen. Der Leitwert, der die richtige Weisung für eine passende Abstimmung der vielfältigen derzeitigen Tendenzen bei der menschlichen Arbeit in ihrem weitesten objektiven und subjektiven Sinn (vgl. Laborem exercens, Nr. 5-6) geben kann, ist der Wert der Solidarität. Als tief menschlicher Wert gewinnt die Solidarität in christlicher Sicht neues und volleres Gewicht und kann sogar als „das christliche Leben einigender Ausdruck“ empfohlen werden (Chiesa e lavoratori nel cambiamento, Nr. 29). Die Solidarität ist für uns Christen letztlich eine theologale Instanz, die letztlich in der Wirklichkeit des Geheimnisses der Gemeinschaft des dreieinigen Gottes ihr Fundament, ihren Grund und ihre entscheidende Norm besitzt: sie „setzt die Pflichten der Liebe im Sinn des Evangeliums wirksam in die Praxis um“ (ebd., Nr. 30). Man muß freilich auf die immer mögliche Gefahr achten, Solidarität zu einer abstrakten Idee zu machen, während es doch Aufgabe eines jeden Christen ist, sie in die konkreten Situationen zu überführen, um zu ihrer positiven Entwicklung beizutragen. Wirtschaftliche Effizienz und ethische Aspekte koordinieren 3. Es gibt tatsächlich nicht wenige Probleme, die das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Ethik betreffen und eine kräftige Betonung des Wertes der Solidarität besonders nötig zu haben scheinen. 1707 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN An erster Stelle steht hier die wachsende Ausrichtung der wirtschaftlichen Prozesse auf die Welt hin. Hier ist kritische Aufmerksamkeit auf die Auswirkungen des übernommenen Entwicklungsmodells nötig. Unannehmbar ist eine Haltung passiver Untätigkeit angesichts der perversen und letztlich auch wirtschaftlich unvernünftigen Auswirkungen von Prozessen, die die Dritte Welt schwer benachteiligen sowie Formen immer tieferen Ungleichgewichts und der Ungleichheit schaffen. Viel Aufmerksamkeit muß auch den Kosten der Auswirkung solcher Prozesse auf die natürliche Umwelt und den Auswirkungen gelten, die die Verfolgung bestimmter Produktivitätsniveaus auf das allgemeine Gleichgewicht und die Zukunft der Menschheit selbst schließlich hat. Unbedingt zu Sorge müssen uns zweitens auch gewisse Tendenzen veranlassen, die im Gegensatz zur Soziallehre der Kirche die wirtschaftlich-technologische Effizienz von der sozialen trennen, anstatt eine richtige Verbindung zu suchen. Auf dem Gebiet der Wirtschaft muß man über die Grundsätze wirtschaftlicher Vernunft hinaus notwendig auch die ethischen Grundsätze der Solidarität und der Gerechtigkeit im Hinblick auf das wahre Wohl des einzelnen und der Gemeinschaft beachten. Dies bedeutet, daß die moralischen und sozialen Forderungen der Solidarität nicht nur als bloße Korrekturen eines Wachstumsprozesses betrachtet werden dürfen, deren Logik sich ausschließlich auf Erwägungen wirtschaftlicher und technischer Art gründet; sie müssen vielmehr als integraler Teil des Prozesses selbst gelten, als Daten, von denen man nicht absehen kann. 4. Im Horizont dieser Überlegungen ist erneut die zentrale Stellung der Arbeit zu betonen (vgl. Laborem exercens, Nr. 1-3), wenn es um die umfassende Organisation des wirtschaftlichen Systems geht. Die neuen Technologien eröffnen in dieser Hinsicht neue und fruchtbare Aussichten, sie bestimmen aber auch das Hochkommen neuer Probleme bei der Beschäftigung und bei der Bewertung der Qualität einer Arbeit. Eine umfassende Steuerung des wirtschaftlichen Systems nach einer Logik der Solidarität muß unbedingt die Arbeitstätigkeit als grundlegendes Anliegen des Prozesses der Humanisierung berücksichtigen. Ich verhehle mir nicht die sich hier ergebenden komplexen Fragen, und ich bin mir bewußt, daß darauf ausgewogene Antworten gefunden werden müssen, die die gerechten Ansprüche der Wirtschaft nicht unterbewerten. Doch muß erneut der Grundsatz betont werden, nach dem der bloßen Produktivität gegenüber der Primat der Beschäftigung zukommt. Ich füge ferner hinzu, daß angesichts des Dramas einer wachsenden Arbeitslosigkeit die Arbeit immer mehr als ein „Gut, das man mit anderen teilen 1708 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN muß“, betrachtet und aufgefaßt werden muß: Man muß also neue Weisen der Verteilung der Arbeit und des Teilens ihrer Früchte ersinnen und schrittweise einführen. Den Wandel mit Weitblick und Verantwortung steuern 5. Das Thema wäre ohne Hinweis auf die Verantwortung der Politiker und wirtschaftlichen Führungskräfte nicht vollständig behandelt, vor allem angesichts der Krise, die den sogenannten Wohlstandsstaat sowie die Organe seiner Vertretung und Beteiligung getroffen hat. Angesichts der Kompliziertheit und Unumkehrbarkeit der derzeitigen Umwandlungsprozesse kann die Versuchung stark sein, auf die Führungsaufgaben, die den legitimen Garanten des Gemeinwohls zustehen, zu verzichten. Dagegen darf man „nicht alles einfach passiv auf sich zukommen lassen, sondern muß mit weitblickender Hartnäckigkeit und schöpferischer Weisheit den Wandel zu steuern suchen und dabei die wertvollsten menschlichen und wirtschaftlichen Mittel für die Forschung und Planung einsetzen“ (Chiesa e lavoratori nel cambiamento, Nr. 30). Die politische Macht muß daher dringend ihre Funktion voll zurückgewinnen, die darin besteht, die Voraussetzungen für eine Entwicklung der Wirtschaft als Dienst am Menschen zu schaffen, die wirtschaftlichen Entscheidungen weise auf Ziele der umfassenden Förderung der gesamten Menschheit hinzulenken und vor allem im Rahmen eines Wachstums der Gesellschaft in allen ihren Teilen den Schutz der Schwächsten zu übernehmen. 6. Aus diesen wenigen Hinweisen, die aus einer tiefen Sorge, jedoch auch von hoffnungsvollen Ausblicken herkommen, versteht man gut, welche pastora-len Aufgaben in nächster Zukunft die italienische Kirche und die gläubigen Laien erwarten. Eine davon scheint vor den anderen Vorrang zu haben, nämlich das Soziale in seinem Gesamtzusammenhang neu zu bedenken, um ein neues Verständnis zu versuchen und damit entsprechendere Vorschläge zum Handeln machen zu können. Soll das in einer Gesellschaft gelingen, die immer reichere Kenntnisse besitzt, aber vielleicht an Weisheit ärmer geworden ist, müssen die gläubigen Laien innerhalb ihrer täglichen Lebensverhältnisse die Pflicht spüren, sich die Kenntnis der Wahrheit über den Menschen und die sich daraus ergebenden bedingungslosen Forderungen anzueignen und zu verbreiten. „Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf ... Christus ... macht eben in der Offenbarung des 1709 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung (Gaudium etspes, Nr. 22). Das Zeugnis, zu dem die gläubigen Laien besonders aufgerufen sind, besteht vor allem in der Entdeckung und Verkündigung des theologischen und mithin anthropologischen Sinnes des sozialen Lebens, jenes Sinnes also und jener Zielsetzung, die Gott selber will und in seinem Heilsplan für jeden Menschen und die ganze Menschheit verfolgt. Ein solches Zeugnis findet seine sicherste Stütze in der Soziallehre der Kirche als konkreter und ständig angepaßter Ausdruck der Forderungen und Folgen, die sich in den unterschiedlichen geschichtlichen Situationen aus der Wahrheit vom Menschen ergeben. Der Bezug auf die Soziallehre der Kirche hilft auch besonders bei der Ausarbeitung einer neuen und echteren Sozialkultur, wo sich Freiheit und Mitverantwortung, Autonomie und gegenseitige Abhängigkeit, Wirksamkeit und Solidarität weise verbinden. Eine christlich geprägte Kultur wird im derzeitigen sozio-kulturellen Zusammenhang immer ein „Zeichen des Widerspruchs“ sein, denn sie schwankt ständig zwischen den beiden Polen des Individualismus und Kollektivismus, die oberflächlich entgegengesetzt werden, im Grunde aber Übereinkommen im fehlenden Verständnis für die transzendente Dimension der menschlichen Person. Dieses Schwanken gilt für die mehr spezifisch kulturellen wie auch für die wirtschaftlichen und politischen Äußerungen der Sozialkultur. Um eine derart neue Kultur des Sozialen wirksam vorlegen zu können, müssen die Christen notwendig eine wirksamere Fähigkeit zur Inkulturation ihres Glaubens in der komplexen und in ständiger Umwandlung befindlichen Wirklichkeit entwickeln, wie sie die heutige und künftige italienische Gesellschaft darstellt (vgl. Ansprache an den kirchlichen Kongreß in Loreto, Nr. 7). Bei dieser Aufgabe, die langen Atem braucht, spielen die Laienverbände eine bedeutsame Rolle, die im Bewußtsein des eigenen christlichen Reichtums und damit der eigenen unverkürzbaren Originalität Kraft und Schwung wiederfinden müssen, um in die Geschichte Seiten zu schreiben, die voll sind von tätiger Liebe und neuer kultureller, sozialer und pastoraler Kreativität zum Wohl der italienischen Nation. 7. Gern ergreife ich die Gelegenheit dieser Begegnung, um euch meine Wertschätzung auszusprechen und euch zu mahnen, hochherzig die Seelsorgsaufgaben in Gesellschaft und Arbeitswelt weiterzuführen, denen ihr bereits sehr viel von euch selbst geschenkt habt. Ich wünsche ferner, daß ihr euch auch in Zukunft weitergeben könnt zum Wöhle der Kirche, der verschiedenen Grup- 1710 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN pen von Arbeitern und der ganzen Nation. Möge Gott eure Vorsätze bekräftigen und sie reiche Früchte bringen lassen. Unterpfand dieser Wünsche ist der Apostolische Segen, den ich euch allen von Herzen erteile sowie auch all jenen in der italienischen Kirche, die eure Bestrebung teilen. Die Flüchtlinge haben Rechte Ansprache an die Vollversammlung des Päpstlichen Rates Cor Unum am 21. November Herr Kardinal! Liebe Brüder im Bischofsamt! Liebe Freunde von Cor Unum! 1. Es ist für mich eine große Freude, euch anläßlich eurer 16. Vollversammlung zu empfangen und euch auch in diesem Jahr wiederzusehen — treu der Mission, die der Papst euch anvertraut. Diese Treue ist weder statisch noch für immer festgelegt; sie ist Bewegung, Fortschritt und Weiterentwicklung der Aufgabe, die dem Päpstlichen Rat bei seiner Gründung anvertraut wurde. Seit mehreren Jahren habe ich mit besonderer Aufmerksamkeit die Studien und Aktivitäten verfolgt, die ihr unternommen habt, um die „christliche Nächstenliebe zu bewahren und zu rehabilitieren“, so wie ich es euch ans Herz gelegt habe. Es ist klar für euch — und ich bin euch dafür dankbar —, daß eure Tätigkeit durch theologisches Nachdenken gestärkt wird, was ich bereits vor sechs Jahren zum Ausdruck brachte: „Bemüht euch darum, die wahre Vorstellung von der Kirche immer mehr zu fordern, so wie Christus sie wollte und will... das heißt eine Kirche, die eine wahre Gemeinschaft der Nächstenliebe ist und uneigennützig sowohl die menschliche als auch die geistige Entwicklung aller anstrebt.“ 2. Eure Überlegungen haben euch in den vergangenen Jahren dazu geführt, besonders über die „Armen“ und „Vorliebe für die Armen“ nachzudenken. Im Hinblick auf diese Vollversammlung habt ihr als Thema gewählt: „Die Flüchtlinge“, die man oft als die Ärmsten der Armen ansehen kann. Ihr wißt, wie sehr diese leidgeprüften Brüder und Schwestern mir lieb und teuer sind, deren Zahl in unserer Zeit beunruhigende Ausmaße erreicht. Den Flüchtlingen, die ich erschüttert am 11. Mai 1984 im Flüchtlingslager von Phanat Nik-hom in Thailand besuchte, sagte ich folgendes: „Ich will, daß ihr wißt, daß 1711 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ich euch liebe. Wir sind wirklich Brüder und Schwestern, Mitglieder derselben Menschenfamilie, Söhne und Töchter desselben Vaters, der uns liebt. Ich will teilhaben an euren Leiden, euren Schwierigkeiten, eurer Not, damit ihr wißt, daß euch jemand liebt, Mitleid mit eurem Los hat und versucht, euch zu helfen, Linderung, Trost und Grund zur Hoffnung zu finden.“ Ja, ich werde nicht müde, die Sache der Flüchtlinge zu unterstützen und sie zu verteidigen; deshalb werde ich eure Überlegungen und Schlußfolgerungen, die mir euer Präsident, Kardinal Roger Etchegaray, mitteilen wird, mit großem Interesse prüfen. Die Arbeitsgruppe, die ihr im vergangenen Jahr über „die Flüchtlingslager in der Nähe der Grenzen“ einberufen habt, gibt klares Zeugnis eurer Kompetenz und von dem Dienst, den ihr für die Kirche und die Welt leistet. Ohne die Liebe wird alles eitel und leer 3. Die Flüchtlinge, ebenso wie all jene, die unter anderen Formen der Armut oder Ungerechtigkeit leiden, haben uns gegenüber Rechte. Das erste unter diesen Rechten besteht darin, daß wir ihnen verkünden und beweisen, daß Gott sie in seiner Liebe bevorzugt. Alle Dienste, die wir ihnen leisten, unser ganzer Einsatz an ihrer Seite — was sind sie wert, wenn uns die Liebe fehlt? Laßt uns nie vergessen, was uns der hl. Paulus sagt: „Hätte ich aber die Liebe nicht, wäre ich nichts. Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte, und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts“ (1 Kor 13,2-3). Wenn wir diesen Aufruf heute nicht mehr beherzigen, wie können wir dann überhaupt und auf glaubhafte Weise die Seligpreisungen verkünden? Die Liebe ist die treibende Kraft der ganzen sozialen und karitativen Pastoral, der „Diakonie der Nächstenliebe“, deren Förderung, Harmonisierung und — wenn es erforderlich ist — Koordinierung eure Aufgabe ist, wenn ihr euch in den Dienst der Ortskirchen stellt, damit eine „Zivilisation im Zeichen der Liebe“ aufgebaut werde. 4. Ich weiß, daß ihr an einem wichtigen Treffen zwischen der Kirche von Haiti und anderen Ortskirchen und deren Organisationen für die Entwicklungshilfe teilgenommen habt mit dem Ziel, sich gegenseitig besser kennenzulernen, die Initiativen zu verstehen und die Gemeinschaft in der Nächstenliebe zu ermöglichen. Ihr dient allen Ortskirchen Lateinamerikas mit euren Überlegungen, um auf diesem Kontinent die Katechese der Nächstenliebe erneuern zu helfen. In Übereinstimmung mit CELAM, die 9 Jahre Vorbereitung für die Feier des 500. Jahrestages seit dem Beginn der ersten Evangelisie- 1712 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN rang vorgesehen hat, setzt ihr euch zum Ziel, gewissermaßen diesen Weg der letzten 3 Jahre mitzugehen, die der Tugend der Nächstenliebe gewidmet sind. Es ist mein Wunsch, zusammen mit allen Verantwortlichen, daß diese Jahre Gelegenheit bieten für vertieftes Nachdenken über dieses Thema und entsprechende Kongresse, damit die Diakonie der Nächstenliebe in Lateinamerika darin ihre Inspiration und die 2. Evangelisierung ihre treibende Kraft finden möge. 5. Ja, liebe Freunde, unsere menschliche Natur hat das Empfinden, durch all die vielen Konflikte und Ungerechtigkeiten aus der Fassung gebracht zu sein. Euer Jahresbericht ruft diese zahlreichen Herausforderungen in Erinnerung, die sie verwirren. Sie sucht oft unbewußt ein Licht, einen Pol, auf den sie sich hinbewegen kann. Jünger Christi, durch die Gnade ist uns das Wissen zuteil geworden, in welche Richtung wir unsere Schritte lenken müssen: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,68). Ermutigt durch die Seligpreisungen, wollen wir den Weg einschlagen, der zum Gott der Liebe führt: er schließt all jene Tugenden ein, denen die Nächstenliebe Sinn und Leben gibt: die Gerechtigkeit, Voraussetzung für den Frieden, die Kraft, unsere Egoismen der Herrschsucht und Habsucht zu besiegen. Alle Kräfte fließen also in der Einheit und in der Solidarität zusammen; denn die Kirche ist — in Treue zu Christus — Gemeinschaft. Es möge euch der Herr befähigen, mit Freude den Dienst zu tun, der von euch verlangt wird. Möge er euch im Übermaß segnen! Freue dich, Tochter Zion Predigt bei der Göttlichen Liturgie im armenischen Ritus in der Basilika S. Maria in Trastevere am 21. November 1. „Juble und freue dich, Tochter Zion, denn siehe, ich komme und wohne in deiner Mitte“ (Sach 2,14). Mit diesen Worten wandte Gott sich durch den Mund des Propheten Sacharja an das Volk Israel. Wir wissen, wie er dieses sein Versprechen gehalten hat: Maria, die Bundeslade Gottes, wurde wirklich Wohnung Gottes inmitten seines Volkes. Der Leib der jungen Braut wurde weiter als der Himmel: dieser vermag ja die Herrlichkeit des Grenzenlosen nicht zu umfassen; ihr Schoß aber umschloß mit der Glut mütterlicher Liebe den, der sich nicht eingrenzen läßt. 1713 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wie oft besingt eure Liturgie, liebe Brüder und Schwestern der armenischen Kirche, in ergreifender Weise dieses wunderbare Mysterium! Und wie viele eurer heiligen Dichter wußten die Gipfel geistlicher Kontemplation zu erreichen, wenn sie — sei es auch im Unvermögen menschlicher Sprache — versuchten, einen Strahl der unendlichen göttlichen Weisheit aufleuchten zu lassen, die Fleisch geworden ist durch jene, die ihr gern die „göttliche Menschenfreundlichkeit“ nennt, die maßlose Liebe Gottes zu den Menschen. Einem, der in dieser Krone der heiligen Sänger Gottes einen auserlesenen Edelstein bildet, möchte ich heute abend zusammen mit euch zuhören, jenem, an den ich in meiner Enzyklika über die Mutter des Erlösers erinnern wollte: Gregor von Narek (vgl. Redemptoris Mater, Nr. 31). Er hat gut verstanden, wie geheimnisvoll jener Austausch zwischen Himmel und Erde war, der Maria zur Wohnung des Allerhöchsten gemacht hat, vor der man nur in freudigen, staunenden Lobpreis ausbrechen kann: „Sei gelobt, du lauterer Glanz — schreibt er —, denn das Kind, das keinen Vater hatte, liebkostest du, Mutter, als deinen Sohn. Auf deinen Armen trugst du das unbegrenzte, menschgewordene Sein und hobst es auf deinen Händen liebevoll zum Kuß an deine Lippen. Durch dich, Mutter Gottes, wurden auch wir in diese Gnade aufgenommen und dürfen unseren Gott,Vater“ nennen“ (Panegy-rikon an die hl. Jungfrau, Nr. 7). Der heilige Mönch Gregor ist der Dichter der menschlichen Armseligkeit, die sich zur Ähnlichkeit mit ihrem Herrn hatte erheben wollen. Nichtsdestoweniger sieht er auch, daß diese gleiche sündige Natur im Geheimnis der heiligen Jungfrau mit einer überaus herrlichen Würde bekleidet ist: „Denn dieses demütige Erdreich — so sagt er — wurde, als es den Herrn trug, dem Himmel ähnlich, der Gott trägt“ (JPanegy-rikon an die hl. Jungfrau, Nr. 3). Hier ist die Wurzel jener tiefen Liebe zum Menschen, zu allem, was menschlich ist, die der Christ wie einen kostbaren Schatz im Herzen trägt. Sie ermutigt ihn in seinen Anstrengungen für eine bessere und gerechtere Welt und gibt ihm eine Hoffnung, die imstande ist, jedem Leid zu begegnen. Nichts nämlich vermag der Kraft dessen zu widerstehen, der an einen Gott glaubt, der, indem er unsere Menschheit annahm, sie verwandelt und fähig gemacht hat, ihn selbst aufzunehmen. Jener Gott, der, wie die Liturgie singt, die wir heute feiern, „als göttlicher Baumeister nach der Vollendung eines neuen Werkes aus dieser Erde einen Himmel machte“. 2. Maria ist, wie das Jerusalem des Propheten Sacharja, die „Auserwählte“ Gottes. Sie ist das Zelt, das Brautgemach, in dem sich dieses außergewöhnliche Geheimnis des göttlichen Heilwirkens vollzieht. Der Mystiker betrachtet die erhabene Schönheit Marias: Sie ist ein „Engel, der aus den Menschen hervorgegangen ist, ein Cherubim, in einen sichtbaren Leib gekleidet, die Kö- 1714 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nigin des Himmels; sie ist klar wie Luft, rein wie das Licht, ein fleckenloses, getreues Abbild des Morgenstern am höchsten Punkt seiner Bahn“ (Buch der Gebete, LXXX, 1). Noch ehe es sich um die reinsten Züge der Jungfrau Israels handelt, ist hier die Schönheit des menschlichen Wesens gemeint, des vollendeten, vollkommenen Wesens, wiederhergestellt in seiner vollen Würde, wie sie aus dem Bild und Gleichnis dessen stammt, der die höchste Schönheit ist. Mit so erhabenen Ausdrücken, in denen die Theologie zur Poesie wird und zum Herzen spricht, erhebt euer Gregor von Narek ein unvergängliches Lied an die heilige Jungfrau, ein Erbe des Glaubens und der Kunst, das ein gemeinsamer Reichtum für alle Völker ist. 3. „Jungfrau Maria, du Unversehrte, die heilige Kirche verkündet dich als Mutter Gottes. Von dir wurde uns das Brot der Unsterblichkeit und der Kelch der Freude gegeben.“ Diese liturgische Antiphon läßt uns begreifen, wie die Muttergottes zutiefst mit dem eucharistischen Geheimnis, das wir feiern, verbunden ist: Sie ist es, die uns den gibt, der sich als Brot des Lebens darbietet. Die heutige Eucharistiefeier hat eine besondere Bedeutung, denn zum ersten Mal wird der Text verwendet, der auf die allen Armeniern, den katholischen und orthodoxen, gemeinsame Tradition zurückgeht. Er ist ein Zeichen, das tiefe gegenseitige Teilhabe sichtbar werden läßt, nicht nur im einen Glauben, sondern auch in der Weise, wie er zum Ausdruck gebracht wird. Ich möchte, daß er das Symbol für jene entschiedene Einstellung des Apostolischen Stuhls sei, die das Konzil so eindringlich betont hat, als es die mit Rom verbundenen Ostkirchen aufforderte, mutig an die Wiederentdeckung der echten Überlieferungen ihrer eigenen Identität zu gehen und, wo nötig, auf die ursprüngliche, reine Form zurückzugreifen, falls sie im Lauf der Jahrhunderte durch äußere Einwirkungen beeinträchtigt worden wäre (vgl. Orientalium Ecclesiarum, Nr. 6). Und das gilt in ganz besonderer Weise für euch, liebe Söhne Armeniens, die ich mit Freude in diesem berühmten Gotteshaus willkommenheiße, das der heiligen Jungfrau geweiht ist. Seid willkommen in diesem Jahr, das ich der Muttergottes weihen wollte, dem demütigen Mädchen aus Galiäa, das heute als Pilgerin der Liebe zu ihrer Verwandten Elisabeth vor uns steht. Einige von euch haben sich nicht gescheut, wie sie, eine lange Reise zu unternehmen, aus Frankreich, ja selbst aus dem so schwer geprüften Libanon, um heute hier zu sein und in dieser Versammlung durch die Fürbitte Marias, der Königin des Friedens, zum Gott des Lebens zu beten. Ich danke euch von Herzen für diese Geste der Gemeinschaft und des Glaubens. 1715 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 4. Eure von Leiden und Martyrium gekennzeichnete Geschichte ist eine kostbare Perle, auf die die gesamte Kirche stolz ist. Der Glaube an Christus, den Erlöser des Menschen, hat euch einen bewunderswerten Mut eingeflößt auf eurem Weg, der so oft dem Kreuzweg ähnlich ist und auf dem ihr entschieden weitergegangen seid mit dem Vorsatz, eure Identität als Volk und als Glaubende zu bewahren. Die christliche Gemeinschaft kann nicht auf den überaus reichen Beitrag eures Glaubenserbes verzichten. Wißt euch daher immer von der Kirche, der treuen und liebevollen Mutter, verstanden und unterstützt. Sie wünscht, daß eure Stimme weiterhin — wenn auch in der Diaspora — mit unveränderter Kraft ertönt. Eure Geschichte ist ganz vom Glauben durchzogen: ohne die Gegenwart Christi, des Herrn, als Bezugs- und Stützpunkt lassen sich eure Literatur und eure Kunst, ja selbst eure volkstümlichen Überlieferungen und sogar das Alphabet, das man gern für eine von oben her eurem hl. Kirchenlehrer Mesrob gegebene Inspiration ansieht, nur schwer begreifen. Die Liturgie ist der Ort, an dem dieser Glaube Verkündigung und Anbetung wird. Darum nimmt sie als Band der Gemeinschaft und Brüderlichkeit einen ganz besonderen Platz ein: in ihr singt die armenische Seele vor Gott ihr Dasein und ihre Leiden, vor allem aber das unerschütterliche Vertrauen, daß das Leben für immer den Tod besiegt hat. Es ist die Liturgie, in der eure Väter und eure Märtyrer gebetet haben, die Quelle, aus der sie den Mut zur Treue schöpften. Die Kirche wünscht, daß die armenische Gemeinschaft und alle ostkirchlichen Gemeinschaften, die in voller Verbundenheit mit diesem Sitz des Petrus stehen, sich bemühen, immer mehr Modell für das Echte zu werden unter Achtung und voller Würdigung der eigenen Identität, und daß sie als absolut erstrangige Aufgabe diese Identität wiederentdecken, wo sie etwa im Lauf der Zeit abgeschwächt oder verdunkelt worden wäre. Das wird eine äußerst wirksame Art sein, den Weg zu bereiten, der zur Einheit aller Christen in einem einzigen Glaubensbekenntnis und in der Teilhabe am selben Kelch führt. Eure Öffnung zur katholischen Gemeinschaft hin schränkt eure Identität als Armenier nicht ein, sondern stärkt sie und verlangt von euch, daß ihr sie in der ganzen Fülle ihrer Ausdrucksmöglichkeiten kundtut, zum Nutzen aller. Mein ehrerbietiges und liebevolles Gedenken richtet sich auch an die Brüder der armenischen apostolischen Kirche. Von ganzem Herzen wünsche ich, der schon begonnene Weg möge mit erneutem Aufschwung fortgesetzt werden können und immer neue Gelegenheiten zu Kontakt und herzlichem Austausch schaffen in zunehmendem Bewußtsein von dem, was uns eint, in gemeinsamem Zeugnis der Liebe und des Dienstes an den Brüdern. Vor allem ist mir 1716 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der Wunsch teuer, daß das gemeinsame Studium der Liturgie und ihrer notwendigen Anpassungen ein bevorzugtes Feld der Zusammenarbeit zwischen katholischen und orthodoxen Armeniern sein möge. 5. Liebe Brüder und Schwestern des armenischen Volkes, der Weg der Kirche ist der Weg der Einheit. Ohne den leidenschaftlichen Wunsch nach Einheit würden wir das Gebot Christi verraten, der von seinen Jüngern verlangt hat, eins zu sein nach dem Vorbild der heiligsten Dreifaltigkeit. Bitten wir einander um Verzeihung wegen des Mangels an Liebe, der uns in der Vergangenheit entzweit hat und uns manchmal vielleicht noch heute trennt und das nahtlose Gewand Christi zerreißt. Hören wir mit reumütigem Herzen die Worte eures und unseres heiligen Bischofs Nerses von Lambron, der schon im 12. Jahrhundert so aktuelle Worte schrieb: „Wir haben die Liebe verlassen, die das erste der Gebote und die Quelle des Guten ist, und wir haben uns mit der Feindseligkeit verbündet, die die Quelle aller Übel ist.“ Hier in der Eucharistie wird unsere Sünde offenkundig: Das Brot der Kommunion wird zum Zeichen der Trennung. „Wir haben die Gewohnheit — fahrt Nerses fort — „dieses Brot immer zur Ehre und zum Andenken Christi zu segnen: die Segnung ist eine, und der Name Christi, den wir, die verschiedenen Nationen in verschiedenen Sprachen aussprechen, ist einer ... Das Brot, das wir dank des einen gleichen Gebetes und der einen gleichen Segnung Christus nennen, das jeder von uns durch die Gnade des einen gleichen Geistes konsekriert hat, dieses Brot der einen und der andern, jetzt lassen wir es außer acht“ (Rede an die Synode, passim). Aus der Bedeutung der Eucharistie entspringt die Aufgabe unseres gemeinsamen Weges auf die volle Einheit hin, und hier, in der Eucharistie, sind wir sicher, daß sie in der Fülle der wiedergefundenen Glaubensgemeinschaft zustande kommt. 6. Heilige Mutter Gottes, die du am Pfingstfest im Abendmahlssaal die Ausgießung des Geistes empfingst, der in der Verschiedenheit seiner Flammen ein einziger ist, du, die du die Kleinen liebst, weil Gott auf deine Demut geschaut und dich aus Gnade erhoben hat, segne das armenische Volk! Grego-rios von Narek besingt dich als die, „die sich nicht opferte durch den Todesstoß eines Messers, sondern als Brandopfer darbrachte in einem mühevollen Leben“ (Panegyrikon an die heilige Jungfrau, Nr. 9): Wende deinen Blick auf die Erde Armeniens, auf seine Gebirge, in denen ungezählte Scharen von heiligen und weisen Mönchen lebten: auf seine Kirchen, Festungen, die sich aus dem Felsen erheben, durchdrungen vom Lichtstrahl der Dreifaltigkeit; auf seine Steinkreuze, Erinnerungen an deinen Sohn, dessen Leiden sich in dem der Märtyrer fortsetzt; auf seine Söhne und seine Töchter, die immer den Ge- 1717 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sang des Trishagion und dein Lob in ihrem Herzen tragen. Du bist ihre zärtliche Mutter; schütze sie auf den Straßen der Welt; halte die oft schmerzliche Erinnerung der Alten aufrecht, den Eifer von Männern und Frauen, vielfach nun Bürger in aller Welt; sporne die Wünsche und Hoffnungen der Jugend an, damit sie den Stolz auf ihren Ursprung hochhalten. Gib, daß, wohin immer sie gehen, sie auf ihr armenisches Herz hören, aus dessen Tiefe stets ein Gebet zu ihrem Herrn aufsteige, und daß ihr Herzschlag eine Hingabe an dich sei, die du deinen Schutzmantel um sie breitest. O liebe Jungfrau Maria, Mutter Christi und unsere Mutter! Alle werden in Christus lebendig Predigt bei der Seligsprechung der 85 englischen Märtyrer am 22. November 1. „Bist du der König ... ? Du sagt es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege“ {Joh 18,33.37). Am letzten Sonntag des liturgischen Jahres lesen wir diesen Dialog Christi mit Pilatus. Wir feiern heute nämlich das Christkönigsfest. Zugleich dürfen wir heute den Ritus der Seligsprechung von George Haydock und 84 weiteren englischen Märtyrern vollziehen. Märtyrer ist, wer wie Christus von der Wahrheit Zeugnis gibt. Mehr noch: Wer Zeugnis gibt von der Wahrheit selber, die Christus ist. Vor Pilatus sagte Christus: „Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“ (Joh 18, 37). Heute stehen Menschen vor uns, von denen man wirklich sagen kann, daß sie „aus der Wahrheit“ sind, Menschen, die die Stimme Christi gehört haben, des ersten und ewigen Zeugen für die Wahrheit. 2. Die englischen Märtyrer, die heute der Kirche vor Augen stehen, haben ihr Zeugnis für die Wahrheit mit dem Opfer ihres Lebens bekräftigt. Sie haben bis ans Ende an das Kreuz Christi geglaubt. Sie haben zugleich an die Macht der Auferstehung geglaubt. „Alle werden in Christus lebendig gemacht“, „durch den die Auferstehung der Toten kommt“ (i Kor 15,22.21). Die Märtyrer, deren Ruhm die Kirche heute verkündet, haben ihr Leben hingegeben, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen. Sie haben den Tod auf sich genommen, doch im Erleiden des Todes haben sie ihren Glauben an das Le- 1718 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ben bekannt; den Glauben an jenes Leben, das der Welt in der Auferstehung Christi geoffenbart wurde. So haben sie zugleich für das Leben Zeugnis abgelegt, das — durch das Werk Jesu Christi — mächtiger ist als der Tod. Das Zeugnis für die Wahrheit — und das Zeugnis für das Leben: das ist die volle Bedeutung des Martyriums nach dem Beispiel des gekreuzigten und auferstandenen Christus. Das Paschamysterium offenbart sein erlösendes Antlitz im Tod der Märtyrer um des Zeugnisses für die Wahrheit willen. In englischer Sprache sagte der Papst: 3. Unser Christkönigsfest verkündet, daß alle irdische Macht letztlich von Gott kommt, daß sein Reich unser erstes und letztes Anliegen und der Gehorsam gegen seine Gesetze wichtiger als jede andere Verpflichtung ist, wichtiger als jede Loyalität. Thomas More, dieser am meisten englische aller Heiligen, erklärte auf dem Schafott: „Ich sterbe als des Königs treuer Diener, doch an erster Stelle als Gottes Diener.“ So gab er Zeugnis für den Vorrang des Gottesreiches. Heute haben wir weitere 85 Märtyrer seliggesprochen. Sie stammen aus England, Schottland und Wales, einer aus Irland. Jeder einzelne entschied sich dafür, „an erster Stelle Gottes Diener zu sein. Sie nahmen aus Liebe zu Christus und seiner Kirche bewußt und freiwillig den Tod auf sich. Auch sie gaben dem Reich vor allem anderen den Vorzug. War als Preis der Tod gefordert, so wollten sie ihn mutig und freudig zahlen. Der selige Nicholas Postgate begrüßte seine Hinrichtung als „kurzen Weg zum Himmel“. Der selige Joseph Lambton ermutigte jene, die mit ihm sterben sollten, mit den Worten: „Laßt uns fröhlich sein, denn morgen, so hoffe ich, werden wir ein Frühstück im Himmel bekommen.“ Der selige Hugh Taylor, der den Tag seines Todes nicht wußte, sagte: „Wie glücklich müßte ich sein, wenn ich an diesem Freitag, an dem Christus für mich starb, den Tod für ihn auf mich nehmen dürfte.“ Er wurde tatsächlich an diesem Tag hingerichtet, Freitag, den 6. November 1585. Der selige Henry Heath, der 1643 starb, dankte dem Gerichtshof für seine Verurteilung, da sie ihm „die einzigartige Ehre verschaffte, mit Christus zu sterben.“ 4. Unter diesen 85 Märtyrern finden wir Priester und Laien, Gelehrte und Handwerker. Der Älteste stand in den 80er Jahren und der Jüngste war erst 24 Jahre alt. Unter ihnen befanden sich ein Drucker, ein Kellner, ein Stallknecht und ein Schneider. Was sie alle eint, ist ihr Lebensopfer im Dienste Christi, ihres Herrn. 1719 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Priester unter ihnen wünschten einzig, ihre Leute mit dem Brot des Lebens und dem Wort des Evangeliums zu nähren. Das bedeutete, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Doch für sie war dieser Preis gering, verglichen mit dem Reichtum, den sie ihren Leuten im heiligen Meßopfer schenken konnten. Die 22 Laien in dieser Gruppe von Märtyrern teilten voll die gleiche Liebe zur heiligen Eucharistie. Auch sie setzten wiederholt ihr Leben aufs Spiel bei der Zusammenarbeit mit ihren Priestern, wenn sie ihnen halfen, sie beschützten und unterbrachten. Laien und Priester wirkten zusammen, gemeinsam standen sie am Schafott, gemeinsam begrüßten sie den Tod. Auch viele Frauen, die in der heutigen Gruppe von Märtyrern nicht eingeschlossen sind, hatten für ihren Glauben zu leiden und starben im Gelangnis. Damit haben sie sich unsere unsterbliche Bewunderung und Erinnerung gewonnen. 5. Diese Märtyrer gaben ihr Leben für ihre Treue zur Autorität des Nachfolgers Petri, der allein der Hirte der ganzen Herde ist. Ferner gaben sie ihr Leben für die Einheit der Kirche hin, da sie den Glauben der Kirche teilten, der die Jahrhunderte hindurch unverändert geblieben ist, seit der Nachfolger des Petrus die Aufgabe bekam, „die Einheit der Herde Christi“ {Lumen gentium, Nr. 22) zu fördern und zu sichern. Dem Nachfolger des Petrus wurde von Christus die besondere Aufgabe übertragen, den Glauben seiner Brüder zu stärken. Die Märtyrer haben die Wichtigkeit dieses Petrusdienstes erfaßt, denn sie gaben lieber ihr Leben hin, als diese Glaubenswahrheit zu leugnen. Die Jahrhunderte hindurch hat dann die Kirche in England, Wales und Schottland sich von diesen Märtyrern anregen lassen, liebt weiter die heilige Messe und hängt treu dem Bischof von Rom an. Die gleiche Loyalität und Treue zum Papst zeigt sich heute, wo immer sich in der Kirche das Werk der Erneuerung gemäß den Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils und in Gemeinschaft mit der universalen Kirche ereignet. 6. Von zentraler Bedeutung bei dieser Erneuerung, zu der der Heilige Geist die Kirche aufruft, ist das Wirken für jene Einheit unter den Christen, für die Christus selber gebetet hat. Wir müssen uns alle darüber freuen, daß die Feindseligkeiten zwischen Christen, die die Zeit dieser Märtyrer so tief gekennzeichnet hat, vorbei und abgelöst sind durch brüderliche Liebe und gegenseitige Hochachtung. Vor 17 Jahren wurden 40 ruhmvolle Märtyrer heiliggesprochen. Damals betete die Kirche, das Blut der Märtyrer möge auf die Spaltungen zwischen den Christen heilend wirken. Heute dürfen wir nun mit Recht für den Fortschritt danken, der in den letzten Jahren auf eine vollere Communio zwischen Angli- 1720 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN kanern und Katholiken gemacht wurde. Wir freuen uns über das tiefere Verständnis, die breitere Zusammenarbeit und das gemeinsame Zeugnis, das durch die Kraft Gottes zustandegekommen ist. In den Tagen der Märtyrer, die wir heute ehren, gab es weitere Christen, die ebenfalls für ihren Glauben starben. Wir alle können heute ihr Opfer würdigen und achten. So wollen wir gemeinsam auf die große Aufgabe zugehen, vor der alle stehen, die in unserer Zeit das Evangelium zu predigen haben. Laßt uns kühn und einig sein im Bekenntnis zu unserem gemeinsamen Herrn und Meister Jesus Christus! In italienischer Sprache fuhr der Papst fort: 7. In der heutigen Liturgie steht die Person des Hirten im Vordergrund: „Der Herr ist mein Hirt“ (Ps 22,1). Die Gedanken des Psalmisten und des Propheten Ezechiel folgen den gleichen Spuren. Durch die Person des Hirten — des Guten Hirten — können wir uns am einfachsten die Wirklichkeit der Königsherrschaft Christi nahebringen. Bei ihm ist alles Herrschaft und Reich: sein Kommen, seine Geburt aus der Jungfrau durch das Wirken des Heiligen Geistes, sein Evangelium, sein Kreuz und seine Auferstehung. In all dem offenbart sich Christus, der König, als Erfüllung des Bildes vom Hirten, von dem Altes und Neues Testament tief geprägt sind. Der heilige Paulus führt uns in die endgültige Sicht dieser Herrschaft Christi ein, die die Geschichte der Menschheit erfüllt. Der Apostel schreibt: „Er muß herrschen, bis Gott ihm alle Feinde unter die Füße gelegt hat. Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod ... Wenn ihm dann alles unterworfen ist, wird auch er, der Sohn, sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott herrscht über alles und in allem“ (IKor 15,25-26.28). 8. Selig ihr Märtyrer! Ihr habt den Tod gewählt, um für die Wahrheit Zeugnis zu geben! Freut euch, denn seht, der Tod wird als „letzter Feind“ vernichtet durch Christus. Das Reich Gottes ist ein Reich der Wahrheit und des Lebens. Freut euch! Euer Zeugnis hat tiefe Spuren hinterlassen, in denen die Kirche in eurer Heimat wandelt — und zugleich in der ganzen Welt. Und diese Spuren führen auf das Reich zu, das keinen Untergang kennt. Freut euch! Durch euer Zeugnis bereitet sich die endgültige Vollendung der Welt in Christus vor, wenn Gott alles und in allem sein wird. Freut euch! 1721 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gott erleuchte unsere Schritte Schreiben an Dimitrios I. vom 25. November Seiner Heiligkeit Dimitrios I. Erzbischof von Konstantinopel, Ökumenischer Patriarch. „Die Gnade Jesu, des Herrn, sei mit euch!“ (1 Kor 16,23). Die liturgische Feier des Festes des heiligen Apostels Andreas, des Erstberufenen vom Herrn, des Bruders des Petrus, der die Apostel anführte, gibt uns wieder Gelegenheit, die Brüderlichkeit, die uns und unsere Kirchen gegenseitig verbindet, zum Ausdruck zu bringen. Die von Kardinal Willebrands geleitete Delegation wird Eurer Heiligkeit, Ihrer Heiligen Synode und dem ganzen Ökumenischen Patriarchat den Gruß der Kirche von Rom überbringen und an dem Gottesdienst teilnehmen, der unter Ihrem Vorsitz in der St. Georgs-Kirche stattfindet, in der auch ich selbst schon die Freude hatte, bei einer gleichen Gelegenheit anwesend zu sein. Sie wird für Sie die Gnade unseres Herrn Jesus Christus anrufen und unsere Gemeinschaft im Glauben bekunden. In diesem Jahr wird sogleich nach dem Fest des heiligen Andreas Ihr Besuch in Rom stattfinden, wo der heilige Petrus, der Bruder des Andreas, sein letztes Zeugnis für Christus abgegeben hat und wo seine apostolische Nachfolge ununterbrochen weitergeführt wird. Die Kirche von Rom wird Sie mit tiefempfundener Liebe empfangen. Im Gebet bitte ich den Herrn, er möge unsere Schritte erleuchten auf dem Weg, der uns zur vollen Gemeinschaft führt, damit wir zusammen am gleichen Altar seine Eucharistie feiern können. In dieser Freude und in Erwartung unserer erneuten Begegnung bringe ich Eurer Heiligkeit wiederum meine brüderliche Liebe im Herrn zum Ausdruck. Aus dem Vatikan, am 25. November 1987 Papst Johannes Paul II. 1722 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Maria ist Vorbild für die Christen Ansprache an die Teilnehmer des interkonfessionellen, von der Fokolar-Be-wegung veranstalteten Treffens am 26. November „Ich bin die Magd des Herrn“ (Lk 1,38). Ehrwürdige Brüder! 1. Nach Istanbul und London hat euch eure Pilgerfahrt dieses Jahr in das Zentrum Mariapoli in Castelgandolfo geführt. Heute heißt euch auch der Bischof von Rom herzlich willkommen. Ich begrüße Bischof Klaus Hemmerle, dem ich für die freundliche Vorstellung danke und mit ihm euch alle und auch alle Mitglieder eurer Gemeinschaften: „Gnade sei mit euch und Friede in Fülle“ (1 Petr 1,2). Eure Begegnung ist, wie alle von der Fokolar-Bewegung im Jahr 1987 organisierten Begegnungen — auf Maria hingeordnet, deren Person und Geheimnis ihr liebevoll vertieft, indem ihr sie als gelebtes Wort Gottes, als „Theotokos“ und Vorbild des Christen betrachtet. Tatsächlich hat sich in Maria die heilbringende, bräutliche Freundschaft Gottes in besonderer Weise verwirklicht. In ihr hat sich die Seligpreisung des Hörens auf höchste Weise erfüllt; sie ist der „heilige Ort“, an dem das Wort des Heiles Fleisch geworden ist und sich uns ständig darbietet; in ihr, der gesegneten Jungfrau und liebevollen Mutter, ist uns die Ikone der Kirche, als Pilgerin im Glauben, Botin der Hoffnung und Jüngerin der Liebe geschenkt. Die Kraft des Allerhöchsten, die sie überschattete, hat sie zur Mutter des Erlösers und der Erlösten gemacht. Als Magd des Herrn wird sie zur Dienerin der Einheit der Glaubenden und, als Vorbild eines jeden Glaubensweges ist sie mit ihrer betenden Gegenwart Stütze aller, die Gott mit aufrichtigem Herzen suchen. 2. Ehrwürdige Brüder in Erinnerung an die Begegnung vor fünf Jahren mit all jenen, die sich damals zu einem ähnlichen Anlaß im Zentrum Mariapoli zusammengefunden hatten, möchte ich nun in diesem Marianischen Jahr mit euch vertrauensvoll die Anrufung wiederholen: Regina Apostolorum et mater unitatis, ora pro nobis: bitte für uns, für die ganze Kirche deines Sohnes, die „ex maculatis immaculata“ (Hl. Ambrosius, Expos. Ev. Luc. 1,17), jeden Tag dazu berufen ist, sich zu erneuern und für das Heil der Welt zu blühen. Ihr vertraue ich meine herzliche Bitte an: möge eure ökumenische Pilgerfahrt, von der Kraft des Geistes gedrängt, stets ein Lobgesang auf die heiligste Dreifaltigkeit sein; ein Dienst zum Gedächtnis der Großtaten Gottes, die er in 1723 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der Geschichte aller christlichen Gemeinschaften vollbracht hat; ein vertrauensvoller Aufruf zur Umkehr und Versöhnung, damit der sehnliche Wunsch Christi in Erfüllung gehe: „So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich“ (Joh 17,23). „Ut sint consummati in unum.“ Amen! Emigranten nicht als Objekt betrachten Ansprache an die Mitglieder der Jahresversammlung der Päpstlichen Kommission für die Seelsorge am Menschen unterwegs am 26. November Ehrwürdige Mitbrüder im Bischofsamt und im Priestertum! 1. Ihr habt euch in diesen Tagen als Mitglieder der Päpstlichen Kommission für die Seelsorge am Menschen unterwegs zu eurer Jahresversammlung zu-sammengefünden. Es ist mir eine Freude, euch und die Experten, die mit euch zusammengearbeitet haben, herzlich willkommen zu heißen. Eure regelmäßigen Begegnungen sind zweifellos für eine bessere Abwicklung eurer Aktivitäten bedeutend und entsprechen als solche den klugen derzeit gültigen Vorschriften. Sie ermöglichen euch tiefschürfende Reflexionen über einen wirksamen Dienst der Kirche an den Umsiedlern, den Flüchtlingen und allen Kategorien von Personen, die vom umspannenden Phänomen der Bevölkerungsverschiebung betroffen sind, also auch an den Seeleuten, dem Personal der Fluglinien, den Nomaden, den Touristen und den Pilgern. 2. Sehr interessant ist mir das Thema erschienen, dem diesmal eure besondere Aufmerksamkeit gilt: „Die Mittel der sozialen Kommunikation und das Apostolat der menschlichen Mobilität.“ Die Kirche besteht, um die Frohbotschaft zu verkünden. Die Mittel der Kommunikation sind in ihrer Vielfalt auch Wege, die sich ihrer Evangelisierungstätigkeit und ihrem Bemühen um die Förderung des Menschen auftun. Ihre Verwendung im Bereich der menschlichen Mobilität erfordert eine aufmerksame Reflexion und entsprechende Methoden, die der besonderen Situation der Empfänger angepaßt sein müssen, und das um so mehr dann, wenn es sich um verstreute und an den Rand der Gesellschaft gedrängte Minderheiten handelt. Ich möchte daher an die Presse und an die anderen Formen der sozialen Kommunikation, welche die Gemeinden von Emigranten selbst geschaffen haben 1724 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN —in dem Bestreben, nicht nur die Vereinsamung zu überwinden, zu der sie oft von den öffentlichen Kommunikationsmitteln verurteilt werden, sondern auch um die Aufmerksamkeit auf die wirtschaftliche und kulturelle Rolle zu lenken, die sie in ihrem Lebens- und Arbeitsbereich spielen —, ein Wort der Wertschätzung und der Ermutigung richten. Ein ebensolches Wort der Ermutigung soll der Presse und den anderen Formen der sozialen Kommunikation gelten, deren Ziel die Information, Bildung und Ausbildung der Emigranten ist. 3. Auf vielfältige Weise können die Medien zur Förderung der Grundrechte der Menschen beitragen, welche die schwierige Erfahrung der Eingliederung in ein fremdes Land machen. Ihr Recht, in ihrer Sprache regelmäßig Informationen über ihr Herkunftsland zu erhalten, ist von lebenswichtiger Bedeutung. Sie dürfen nicht einfach als Empfänger von Informationen oder als Objekte betrachtet werden, die der örtlichen Gesellschaft angepaßt und von ihr assimiliert werden müssen; man soll vielmehr in ihnen Menschen sehen, die zu kultureller Kommunikation und zu kulturellem Schaffen fähig sind. Es ist daher wichtig, den Emigranten den Zugang zu den Mitteln der sozialen Kommunikation und die Mitwirkung an ihrer Gestaltung auf allen Ebenen zu gewährleisten, damit sie in den lebendigen Kreislauf der Gesellschaft Eingang finden, an der teilzuhaben sie gekommen sind. Aufgabe der Kommunikationsmittel ist es ebenfalls, dem Emigranten einerseits zum Verständnis der Gesellschaft zu verhelfen, die ihn aufgenommen hat, und andererseits diese zu einer verständnisvollen Haltung den Erfordernissen und kulturellen Ausdrucksformen des Emigranten gegenüber anzuregen, um auf diese Weise das gegenseitige Verstehen und das Zusammenwirken zu erleichtern. In diesem Zusammenhang möchte ich an das erinnern, was Paul VI. in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 1971 feststellte: „Wer in der öffentlichen Meinung das Gefühl der Verbrüderung unter den Menschen verbreitet, das keine Grenzen kennt, bereitet bessere Tage für die Welt vor... Wer dazu beiträgt, in jedem Menschen, ungeachtet seiner somatischen, ethnischen und rassischen Merkmale ein der eigenen Natur gleiches Wesen zu entdecken, verwandelt die Erde — Mittelpunkt von Spaltungen, Gegensätzen, Hinterlist und Rache — in einen Ort gezielter Arbeit und menschenwürdiger Zusammenarbeit“ (Insegnarnenli, Bd. VIII, 1970, S. 1430f.). 4. Im Licht so anregender Möglichkeiten bringe ich meine herzlichsten Wünsche für eure Beschlüsse während dieser Vollversammlung zum Aus- 1725 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN druck und bitte den Geist, eure Arbeit zu lenken. Ich bete auch, daß Jesus während dieser Tage die brüderlichen Bande unter euch stärke. Der allmächtige Gott mache eure Arbeit fruchtbar. Darum bitte ich ihn durch die Fürsprache der Gottesmutter, die während ihres irdischen Lebens die Erfahrung des Verlassens der Heimat und der Emigration in ein fremdes Land machte. Euch allen spende ich meinen Segen. Gotteserfahrung muß den Weg für das Zeugnis öffnen Ansprache an Rektoren marianischer Heiligtümer am 26. November Liebe Herren Rektoren der Marienheiligtümer! 1. Mit großer Freude empfange ich euch bei dieser Sonderaudienz anläßlich eures internationalen Treffens über das Thema: „Die marianischen Heiligtümer auf dem Glaubensweg des pilgernden Gottesvolkes.“ Vor allem grüße ich Herrn Kardinal Luigi Dadaglio, Präsident des Zentralkomitees für das Marianische Jahr. Mit ihm grüße ich auch Bischof Francesco Maria Franzi, Präsident des Marianischen Verbandes von Italien. Sodann richtet sich mein Gruß an euch und alle eure Mitbrüder im Priesteramt, die mit euch den Dienst an den Heiligtümern versehen, die die Volksfrömmigkeit in vielen Gegenden Italiens und der Welt zu Ehren der heiligen Jungfrau errichtet hat. Euch allen ist bekannt, wie der neue Codex des Kirchenrechts die Bedeutung und den Wert der Heiligtümer im Leben der Christen unterstreicht (vgl. Can. 1230-1234) und deren Seelsorgsprogramm zusammenfaßt: „In Heiligtümern sollen den Gläubigen die Heilmittel in reicherem Maß angeboten, das Wort Gottes eifrig verkündet, das liturgische Leben, vor allem durch die Feier der Eucharistie und Buße, gefördert und die anerkannten Formen der Volksfrömmigkeit gepflegt werden (Can. 1234, par. 1). 2. In diesen Tagen habt ihr über die Verantwortlichkeiten nachgedacht, die sich aus eurem kirchlichen Auftrag ergeben. Er bringt gewiß schwierige Aufgaben mit sich, aus denen aber auch tiefe geistliche Freude und Trost entspringen. Kehrt also, erfüllt von heiligem Eifer, an die euch anvertrauten Stätten der marianischen Frömmigkeit zurück, und tut euer Bestes, damit sie wirklich Gotteshäuser seien, in denen die Gläubigen in besonderer Weise die Erfahrung des Übernatürlichen machen können; wo sie stets eine zuverlässige und bildende Katechese erhalten, die voll in die Botschaft des Evangeliums eingebunden und vom ständigen Lehramt der Kirche erhellt ist; wo sie 1726 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN schließlich durch Bußsakrament, geistliche Leitung und eucharistische Kommunion reichlich aus den Quellen der Gnade und des göttlichen Trostes schöpfen können, um bereit zu sein, den Schwierigkeiten des Lebens zu begegnen und mutig den christlichen Glauben in ihrer sozialen Umwelt zu bekennen. 3. Das Heiligtum ist Haus Marias, Wohnstätte des Glaubens, wo der Herr beständig von der heiligen Jungfrau empfangen und unaufhörlich der Welt geschenkt wird. Die Gläubigen kommen dorthin mit sicherer Intuition, um in Marias Glauben Kraft für den eigenen Glauben zu suchen (vgl. Redemptoris Mater, Nr. 27). Wenn sie in ihr Haus eintreten, finden sie immer, wie die Sterndeuter aus dem Osten in Betlehem, „das Kind und Maria, seine Mutter“ {Mt 2,11), sie knien nieder und beten es an. Diese Gotteserfahrung darf sich aber nicht im Heiligtum erschöpfen. Sie muß eine entscheidende Wende herbeiführen und einen neuen Weg öffnen für das Zeugnis im täglichen Leben. Zu einer solchen Deutung des Pilgerweges fordert die Heilige Schrift selbst auf. In ihr wird die Wallfahrt zum Heiligtum als Kennzeichen des geistlichen Lebens gesehen (vgl. Dtn 16,16), als freudiges Gemeinschaftserlebnis (vgl. Ps 84,122), an dem jährlich auch Jesus mit seinen Eltern teilnahm (vgl. Lk 2,41-42). Sie führt hin zum Herrn, um sein Angesicht neu zu suchen und die Freude seines Hauses zu erfahren, das eine schattenhafte Gestalt jenes endzeitlichen Tempels ist, in dem die unmittelbare Anschauung Gottes ein Glück ohne Ende schenken wird. Es wird im Hause Gottes ein Tag ohne Untergang sein, der besser ist als tausend andere (vgl. Ps 84,11). Die Erfahrung im Gotteshaus — mit seiner Geschichte, seinen Erinnerungen, seiner Gnade und seinem Glanz — erregt das Staunen des Pilgers, weckt Glaubensfreude sowie den Vorsatz, neue Wege einzuschlagen, und, wie die Hirten (ZA 2,17) und die Apostel, allen zu erzählen, was man gesehen und gehört hat (Apg 4,20). 4. Liebe Rektoren, ihr seid, wie Josef, die Hüter des Hauses Marias. Ihr öffnet seine Tür allen, die kommen, um das große Zeichen des göttlichen Erbarmens zu sehen. Durch Wort, Liturgie und Sakramente führt ihr sie ins Herz des Gotteshauses. Bei diesem Dienst ist euer Glaubenszeugnis, euer Zeugnis als Jünger Christi und Diener Marias von besonderem Wert. Ich bin euch im Gebet nahe und begleite euch in eurem kirchlichen Dienst mit meinem Segen, den ich von Herzen auch allen euren Mitarbeitern erteile. 1727 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gemeinsam für diese Welt beten Ansprache an den Ökumenischen Patriarchen Dimitrios I. vom 3. Dezember Eure Heiligkeit! „Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn“ (Ps 118,26). Dieser Segenswunsch des Psalmisten scheint mir durchaus passend, um den Gefühlen Ausdruck zu verleihen, die ich an diesem ersten Tag Ihres Besuches bei der Kirche Roms und bei ihrem Bischof hege. Sie kommen zu uns im Namen des Herrn. Wir heißen Sie im Namen des Herrn willkommen. In ihm sind wir Brüder durch die Gnade der Taufe und des Priestertums. Liebe Brüder im Herrn, seien Sie herzlich willkommen. Mit freudigem Herzen nehme ich Sie auf, die Sie als Pilger zu den Gräbern der heiligen Apostel und Märtyrer Petrus und Paulus kommen und mit Ihrem Besuch dem Dienst der Liebe, der Einheit und des Friedens gerecht werden. Vor acht Jahren hatte ich das große Glück, in Ihrer Residenz auf dem Phanar mit Ihnen den Friedenskuß austauschen zu können. Der Empfang, den Sie mir mit Ihrer Kirche damals bereiteten, war so sehr von Achtung und herzlicher Liebe gekennzeichnet, daß ich ihm ein lebhaftes und dankbares Andenken bewahre. Diese Erinnerung vermehrt meine Freude, Sie heute in unserer Mitte begrüßen und Ihnen die gleiche Liebe und Achtung bezeugen zu können. Von derselben brüderlichen Liebe beseelt, wollen wir während dieser Tage gemeinsam für das Wohl unserer Kirchen beten und auch dafür, daß unser gemeinsamer Herr Ihnen die Gnade einer vollkommenen Gemeinschaft im Glauben und in der Liebe schenke. Auch werden wir es nicht versäumen, gemeinsam für diese Welt zu beten, in die wir gesandt sind und die Gott so sehr geliebt hat, daß er seinen einzigen Sohn für ihre Rettung hingab (vgl. Joh 3,16-17). Gemeinsam werden wir versuchen, den Erfordernissen der gegenwärtigen Stunde gerecht zu werden, indem wir uns, dem Willen des Herrn entsprechend, der Erleuchtung durch seinen Geist öffnen. In der Gewißheit, mit der Hilfe Gottes rechnen zu können, damit Ihr Besuch Früchte für seine Ehre trage, heiße ich Eure Heiligkeit, Ihre Eminenzen, die Metropoliten, die Sie begleiten, sowie die ehrwürdigen Diakone und die geschätzten Laien, die mit Ihnen gekommen sind, nochmals im Namen des Herrn herzlich willkommen. 1728 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Zwölfhundertjahrfeier des II. Konzils von Nizäa Apostolisches Schreiben „Duodecimum Saeculum“ an die Bischöfe der katholischen Kirche vom 4. Dezember Liebe Brüder im Bischofsamt! Gruß und Apostolischen Segen! 1. Das 1200-Jahr-Jubiläum des II. Konzils von Nizäa war Gegenstand zahlreicher kirchlicher und akademischer Gedenkfeiern, an denen sich auch der Heilige Stuhl beteiligt hat <45>. Mit der Veröffentlichung einer Enzyklika Seiner Heiligkeit des Patriarchen von Konstantinopel und der Heiligen Synode <46> wurde des Ereignisses gleichfalls in feierlicher Form gedacht; gerade diese Initiative hebt das theologische Gewicht und die ökumenische Bedeutung jenes siebenten und letzten Konzils hervor, das sowohl von der katholischen wie von der orthodoxen Kirche anerkannt wird. Die von diesem Konzil bezüglich der Erlaubtheit der Bilderverehrung in der Kirche definierte Lehre verdient nicht nur wegen des Reichtums ihrer geistlichen Früchte, sondern auch wegen der Forderungen, die sie an den Gesamtbereich der sakralen Kunst stellt, besondere Aufmerksamkeit. <45> 2. Der damalige Patriarch Tarasios von Konstantinopel, in dessen Händen die Vorbereitung und Leitung des II. Nizänums lag, schrieb an Papst Hadrian I., dem er vom Verlauf des Konzils berichtete: „Nachdem wir alle Platz genommen hatten, setzten wir Christus als ,unser1, Haupt ein. Auf einem Thronsessel lag nämlich das heilige Evangelium als eindringliche Ermahnung an uns alle, die wir zugegen waren: ,Urteilt und entscheidet gerecht!1 113. Daß Christus selbst zum Vorsitzenden der Konzilsversammlung bestimmt wurde, die in seinem Namen und unter seiner Vollmacht zusammentrat, war in der Tat ein vielsagendes Zeichen, mit dem deutlich gemacht werden sollte, daß die Die Bedeutung, die das II. Konzil von Nizäa der Frage der Überlieferung, vornehmlich der ungeschriebenen Überlieferung beimißt, stellt für uns Katholiken wie für unsere orthodoxen Brüder die eindringliche Aufforderung dar, nochmals gemeinsam den Weg der Tradition der ungeteilten Kirche zu durchlaufen und in ihrem Licht die Mißhelligkeiten, die die Jahrhunderte der Trennung zwischen uns aufgehäuft haben, neuerlich zu prüfen, um schließlich im Sinne des Gebets Jesu zum Vater (Joh 17,11.20-21), die volle Gemeinschaft in der sichtbaren Einheit wiederzuerlangen. 1729 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Einheit der Kirche nur im Gehorsam gegenüber ihrem einen Herrn verwirklicht werden könne. 3. Kaiserin Irene und Kaiser Konstantin VI., die das Konzil einberiefen, hatten meinen Vorgänger Hadrian I. eingeladen als „wahren obersten Priester, der in der Nachfolge und auf dem Stuhl des heiligen und verehrungswürdigsten Apostels Petrus den Vorsitz innehat“ <47>. Hadrian ließ sich jedoch von dem Erzpriester der Römischen Kirche und vom Abt des griechischen San-Sa-ba-Klosters in Rom vertreten. Um tatsächlich die Repräsentation der Gesamtkirche (und damit den universalen Charakter der Kirchenversammlung) sicherzustellen, mußten auch die östlichen Patriarchate zur Teilnahme eingeladen werden <48>. Da sich ihre Territorien aber bereits unter islamischer Herrschaft befanden, sandten die Patriarchen von Alexandria und Antiochia einen gemeinsamen Brief und der Patriarch von Jerusalem ein Synodalschreiben an Tarasios; beide Schreiben wurden auf dem Konzil verlesen <49>. <47> Das Konzil begrüßte in den Delegierten des Papstes Mitglieder „der heili- gen Römischen Kirche des Apostels Petrus“12 und des „Apostolischen Stuhls“13 und machte sich damit den Sprachgebrauch der Römischen Kirche Es war damals allgemein anerkannte Bestimmung, daß die Beschlüsse eines ökumenischen Konzils nur dann Gültigkeit besitzen sollten, wenn der Bischof von Rom daran mitgearbeitet und die östlichen Patriarchen sie einstimmig gebilligt hatten <50>. In diesem Verfahrensablauf wurde die Rolle der Römischen Kirche als unersetzlich anerkannt <51>. So stimmte das II. Nizänum der Erklärung des Diakons Johannes zu, nach welcher die von den „Bilderstürmern“ (Ikonoklasten) im Jahr 754 in Hiereia abgehaltene Synode nicht rechtmäßig gewesen sei: „denn der damalige römische Papst bzw. die ihm zur Seite stehenden Bischöfe haben weder persönlich noch durch Vertreter oder durch eine Enzyklika an dieser Synode mitgewirkt, wie es das Gesetz der Konzilien vorschreibt, und ähnlich haben „die Patriarchen des Ostens, das heißt von Alexandria, Antiocheia und der heiligen Stadt mit ihren jeweiligen Bischöfen nicht ihre Zustimmung zu den Beschlüssen erteilt“ <52>. Im übrigen erklärten die Konzilsväter des II. Nizänums, daß sie dem von Papst Hadrian an die Kaiserin und den Kaiser gesandten Schreiben „folgten, es annahmen und billigten“ ebenso wie den an den Patriarchen gerichteten Brief. Die beiden Schreiben wurden lateinisch und in griechischer Übersetzung verlesen, und alle Anwesenden wurden ersucht, einzeln ihre Zustimmung zu geben". zu eigen14. Und auch Patriarch Tarasios anerkannte, als er meinem Vorgänger im Namen des Konzils schrieb, in ihm den Nachfolger des göttlichen Apostels Petrus, „dessen Stuhl eure brüderliche Heiligkeit als Erbe erhalten hat“, und, 1730 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „ausgestattet mit dem höchsten Priesteramt, rechtmäßig und nach dem Willen Gottes die heilige hierarchische Ordnung leitet“. Von entscheidender Bedeutung im Verlauf des Konzils, scheint, als dieses sich für die Wiedereinführung der Bilderverehrung aussprach, jener Augenblick gewesen zu sein, wo man einstimmig den Vorschlag der römischen Gesandten annahm, inmitten dieser Versammlung ein ehrwürdiges Bild aufstellen zu lassen, dem die Konzilsväter ihre Verehrung erweisen könnten. Das letzte sowohl von der katholischen wie von der orthodoxen Kirche anerkannte ökumenische Konzil ist ein großartiges Beispiel für das „Zusammenwirken oder die „Synergeia“ zwischen dem Römischen Stuhl und einer Konzilsversammlung. Es hat somit seinen Platz in der von der Ekklesiologie der Väterzeit vertretenen Auffassung von Gemeinschaft, die sich auf die Überlieferung stützt, wie das Zweite Vatikanische Konzil mit Recht anschaulich klar machte. II 5. Das II. Konzil von Nizäa hat „die schriftliche und die ungeschriebene kirchliche Überlieferung“ feierlich zur maßgebenden Richtschnur für den Glauben und die Disziplin der Kirche erklärt. Die Konzilsväter bekräftigen ihren Willen, „sämtliche, sowohl schriftlichen wie ungeschriebenen, geheiligten Überlieferungen der Kirche unversehrt zu bewahren. Eine dieser Überlieferungen ist eben auch die Schaffung gemalter Bilder, die sich an das Evangelium der Verkündigung hält“. Gegen die Bewegung der Bilderstürmer, die sich insbesondere auf der Pseudo-Synode von Hiereia im Jahr 754 gleichfalls auf die Heilige Schrift und auf die Tradition der Kirchenväter berufen hatte, beschloß und bestätigte das II. Konzil von Nizäa das eingesetzte Recht und die Erlaubtheit der Bilderverehrung gemäß „der göttlich inspirierten Lehre unserer heiligen Väter und der Überlieferung der katholischen Kirche“. Die Konzilsväter des II. Nizänums verstanden als „Überlieferung der Kirche“ die Überlieferung der sechs vorangegangenen orthodoxen Konzilien und der orthodoxen Kirchenväter, deren Lehre in der Kirche allgemeine Gültigkeit besitzt. So hat das Konzil ausdrücklich parädosis als wesentliche Glaubenswahrheit definiert, der zufolge die christliche Botschaft „traditio“, Überlieferung, ist. Insofern die Kirche aber in zeitlicher und räumlicher Hinsicht vorangeschritten ist, hat dementsprechend auch ihr Verständnis von der Tradition oder Überlieferung, deren Verkünderin sie ist, die Stufen einer Entwicklung durchlaufen, deren Erforschung für den ökumenischen Dialog und für jede theologische Untersuchung und Reflexion eine verpflichtende Aufgabe darstellt. 1731 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 6. Bereits der hl. Paulus lehrt uns, daß die parädosis für die erste Christengeneration in der Verkündigung des Christusereignisses und seiner Bedeutung für die Gegenwart besteht: der Verkündigung Christi, der durch die Kraft des Heiligen Geistes das Heil wirkt (vgl. 1 Kor 15,3-8; 11,2). Die Überlieferung der Worte und Taten des Herrn ist dann in den vier Evangelien zusammengestellt worden; die in ihnen erfaßte Überlieferung ist aber keineswegs vollständig (vgl. Lk 1,1; Joh 20,30; 21,25). Diese ursprüngliche Überlieferung heißt „apostolisch“ (vgl. 2 Thess 2,14-15; Jud 17; 2 Petr 3,2). Sie betrifft nicht nur das „Gut der gesunden Lehre“ (vgl. 2 Tim 1,6.12; Tit 1,9), sondern auch Weisungen für das sittliche Betragen und Regeln für das Leben der Gemeinde (vgl. 1 Tim 4,1-7; 1 Kor 4,17; 11,16; 14,33). Die Kirche liest und erforscht die Heilige Schrift im Licht einer „Norm des Glaubens“, und zwar jenes lebendigen Glaubens, der treu an der Lehre der Apostel festhält. Was aber die Kirche seit jeher geglaubt und befolgt hat, gilt für sie mit Recht als „apostolische Überlieferung. Der hl. Augustinus sagte später: „Von dem, woran die Gesamtkirche festhält und was nicht erst von den Konzilien beschlossen wurde, sondern was schon immer befolgt wurde, glaubt man ganz zu Recht, daß es nur von der Autorität der Apostel überliefert worden sein kann“. In der Tat haben die in den großen theologischen Streitfragen des 4. und 5. Jahrhunderts von den Vätern gefaßten und vorgetragenen Stellungnahmen sowie die zunehmende Bedeutung von Synoden einzelner Regionen oder der Gesamtkirche allmählich aus jener „apostolischen Überlieferung“ die „Überlieferung der Väter“ bzw. die „kirchliche Überlieferung“ werden lassen, die als Erklärung der apostolischen Überlieferung zu verstehen ist. So beruft sich der hl. Basileios der Große, um seine Trinitätstheologie zu begründen, sowohl auf die Lehren, „die darüber für uns von der Schrift gesammelt worden sind, als auch auf jene, die wir in ungeschriebener Form von der Überlieferung der Väter empfangen haben“; dabei hebt er die zweifache Herkunft der Lehre der Kirche hervor: „Die einen Berichte haben wir aus der schriftlich weitergegebenen Lehre, die anderen Mitteilungen über das Geheimnis aber haben wir aus der Überlieferung der Apostel übernommen“. Das II. Konzil von Nizäa, das im Zusammenhang mit der Bildertheologie passenderweise den hl. Basileios anführt, beruft sich zugleich auf die Autorität der großen orthodoxen Kirchenlehrer, wie den hl. Johannes Chrysostomos, den hl. Gregorios von Nyssa, den hl. Kyrillos von Alexandreia und den hl. Gregorios von Nazianz. Die Bedeutung der „ungeschriebenen — das heißt also nicht in der Heiligen Schrift enthaltenen — Überlieferungen“ für den Glauben hat der hl. Johannes Damaskenos unterstrichen, als er erklärte: „Wenn euch jemand ein Evangelium verkündet, das von dem, welches die heilige katholische Kirche von den heiligen Aposteln, Vätern und Konzilien empfangen 1732 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und bis zum heutigen Tag bewahrt hat, verschieden ist, schenkt ihm kein Gehör“. 7. Uns zeitlich näher ist das II. Vatikanische Konzil, das die Bedeutung jener „Überlieferung, die von den Aposteln stammt“, in volles Licht gerückt hat. „Denn die Heilige Schrift ist Gottes Rede, insofern sie unter dem Anhauch des Heiligen Geistes schriftlich aufgezeichnet wurde. Die Heilige Überlieferung aber gibt das Wort Gottes, das von Christus dem Herrn und vom Heiligen Geist den Aposteln anvertraut wurde, unversehrt an deren Nachfolger weiter“. „Was von den Aposteln überliefert wurde, umfaßt alles, was dem Volk Gottes hilft, ein heiliges Leben zu führen und den Glauben zu mehren“. „Die Heilige Überlieferung und die Heilige Schrift bilden den einen, der Kirche überlassenen heiligen Schatz des Wortes Gottes... Die Aufgabe aber, das geschriebene oder überlieferte Wort Gottes verbindlich zu erklären, ist nur dem lebendigen Lehramt der Kirche anvertraut, dessen Vollmacht im Namen Jesu Christi ausgeübt wird“. Durch eine ebensolche Treue gegenüber dem gemeinsamen Schatz der auf die Apostel zurückgehenden Überlieferung bemühen sich die Kirchen heute, die Ursachen ihrer Meinungsverschiedenheiten und Entzweiung aufzuhellen und gleichzeitig nach Wegen für deren Überwindung zu suchen. III 8. Der schreckliche „Bilderstreit“, der das Byzantinische Reich unter den isaurischen Kaisern Leon HL und Konstantin V. zwischen 730 und 780 und neuerlich unter Leon V. zwischen 814 und 843 erschütterte, läßt sich hauptsächlich mit der theologischen Frage erklären, die von Anfang an seinen Kern- und Angelpunkt bildete. Ohne die stets als möglich vorhandene Gefahr eines Wiederauflebens von heidnischen Gewohnheiten der Götzendienerei zu übersehen, hat die Kirche die bildliche Darstellung — in Form gemalter Bilder oder Plastiken — des Herrn, der seligen Jungfrau Maria, der Märtyrer und der Heiligen erlaubt, um dadurch Gebet und Andacht der Gläubigen zu unterstützen. Für alle war klar, was der hl. Basileios in die Formel gefaßt hatte, die dann das II. Konzil von Nizäa wieder aufgriff: „die Verehrung des Bildes gilt seinem Urbild“. Im Westen hatte Papst Gregor der Große den didaktischen Charakter der Bilder in den Kirchen sehr herausgestellt: „Das Bild in den Kirchen soll nämlich dazu benützt werden, damit die des Lesens Unkundigen wenigstens durch Betrachtung der Bilder an den Wänden das lesen können, was sie in den Büchern zu lesen nicht vermögen“; er vergaß freilich nicht, auf den wahren Grund die- 1733 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ser Betrachtung hinzuweisen, nämlich „daß die Gläubigen aus dem Anblick des Geschehens die Glut gläubiger Erschütterung und Reue erfahren und sich allein in Anbetung der allmächtigen Heiligen Dreifaltigkeit demütig verneigen“. In diesem geschichtlichen Zusammenhang erlebte vor allem im Rom des 8. Jahrhunderts die Verehrung der Bilder von Heiligen eine Blüte, aus der wunderbare Kunstwerke hervorgegangen sind. Die Bewegung der Bilderstürmer aber, die mit der verbindlichen Überlieferung der Kirche gebrochen hatte, betrachtete die Bilderverehrung als eine Rückkehr zum Götzendienst. Keineswegs widerspruchsfrei und unzweideutig untersagten ihre Anhänger die Darstellung Christi und die Anbringung religiöser Bilder überhaupt; sie erlaubten aber weiterhin Bilder nichtreligiösen Inhalts, insbesondere Bilder des Kaisers mit den ihnen entgegengebrachten Ehrfurchtsbezeigungen. Die Grundlage der Beweisführung der Bilderfeinde war christologischer Natur. Wie soll man Christus malen können, der in seiner Person die göttliche und die menschliche Natur vereint, ohne die beiden Naturen miteinander zu vermischen oder voneinander zu trennen? Seine unbegreifliche göttliche Natur darzustellen, ist unmöglich; ihn aber nur in seiner Menschennatur zu zeigen, bedeute, ihn zu spalten, die göttliche Natur in ihm von seiner menschlichen Natur zu trennen. Die Wahl des einen oder des anderen dieser Wege würde zu den beiden einander entgegengesetzten chri-stologischen Häresien, dem Monophysitismus und dem Nestorianismus, führen. Denn wenn einer vorgäbe, Christus in seiner göttlichen Natur darzustellen, müßte er notgedrungen dessen menschliche Natur verbergen; stellte er aber nur das Bild eines Menschen dar, würde nicht offenbar, daß er auch Gott ist. 9. Diese von den Bilderstürmern aufgeworfene, von Verwirrung gekennzeichnete Schwierigkeit ging weit über die Frage der Opportunität einer christlichen Kunst hinaus; sie zog nämlich die ganze christliche Auffassung von der Wahrheit der Menschwerdung Gottes und damit auch der engen Beziehung zwischen Gott und Welt, zwischen Gnade und Natur in Zweifel; kurz gesagt, es wurde die Besonderheit des „Neuen Bundes“, den Gott in Jesus Christus mit den Menschen geschlossen hat, in Frage gestellt. Die Verteidiger des Bilderkultes haben das sehr wohl erkannt: nach einer Äußerung des Patriarchen Germanos von Konstantinopel, einem bedeutenden Opfer der Häresie des Ikonoklasmus, wurde der gesamte „göttliche Heilsplan, soweit er das Fleisch (bzw. die Fleischwerdung) betrifft“, in Frage gestellt. Denn das menschliche Antlitz des Gottessohnes, „der das Ebenbild des unsichtbaren Gottes ist“ (Kol 1,15), sehen heißt auch das fleischgewordene Wort (vgl. Joh 1,14), das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt (vgl. Joh 1,29), se- 1734 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN hen. Die Kunst kann also die Gestalt und das Bild des menschlichen Antlitzes Gottes wiedergeben und den Betrachter zu dem unaussprechlichen Geheimnis dieses Gottes hinführen, der um unseres Heiles willen Mensch geworden ist. So hat auch Papst Hadrian geschrieben: „Die in den Kirchen verbleibenden heiligen Bilder werden von allen Gläubigen verehrt, damit durch ein sichtbares Antlitz durch geistliche Anziehung unser Geist zur unsichtbaren Majestät der Gottheit getragen wird, durch die Betrachtung des Bildes, auf dem die fleischliche Natur dargestellt ist, die der Sohn Gottes um unseres Heiles willen annehmen wollte. So verehren und preisen wir zugleich, indem wir ihn im Geist verherrlichen, unseren Erlöser im Himmel, denn — so steht geschrieben — ,Gott ist Geist1, und darum verehren wir im Geiste seine göttliche Natur“. Das n. Konzil von Nizäa hat deshalb feierlich die überlieferte Unterscheidung bestätigt zwischen der „Vefehrung im Sinne echter Anbetung (latreia), die nach unserem Glauben nur der göttlichen Natur gebührt“, und der „Ehrenbezeigung“ (timetikeproskynesis), die den Bildern erwiesen wird, weil „jemand, der ein Bild verehrt, die auf diesem Bild dargestellte Person verehrt“ . Die bildliche Darstellung Christi umfaßt den ganzen Glauben in der Wirklichkeit der Inkarnation und in ihrer unerschöpflichen Bedeutung für die Kirche und die Welt. Wenn also die Kirche von ihr Gebrauch macht, so deshalb, weil sie davon überzeugt ist, daß Gott, der sich in Jesus Christus geoffenbart hat, die fleischliche Natur und die ganze sichtbare Welt, also den Menschen mit seinen fünf Sinnen, wirklich und wahrhaftig erlöst und geheiligt hat, damit er der sein könne, „der nach dem Bild seines Schöpfers erneuert wird, um ihn zu erkennen“ (Kol 3,10). IV 10. Das II. Konzil von Nizäa hat also die Überlieferung bestätigt, nach welcher „ehrwürdige und heilige Bilder in Farben, in Mosaik und aus anderem geeigneten Material in den heiligen Kirchen Gottes, auf liturgischen Gefäßen und Gewändern, an den Wänden und auf Tafeln, in den Häusern und auf den Straßen angebracht und aufgestellt werden dürfen. Das gilt sowohl für die Darstellung unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus wie für Bilder unserer unbefleckten heiligen Jungfrau und Gottesmutter (Theotokos), der verehrungswürdigen Engel und aller heiligen und frommen Männer“. Die Lehre dieses Konzils hat sowohl im Osten wie im Westen die kirchliche Kunst gefördert und sie zu Werken von großer Schönheit und Erhabenheit inspiriert. 1735 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Im besonderen aber haben die griechische Kirche und die slawischen Kirchen, gestützt auf die Werke großer Theologen auf der Seite der Bilderverehrer, wie den hl. Nikephoros von Konstantinopel und den hl. Theodoros Studi-tes, den Bilderkult als einen wesentlichen Bestandteil der Liturgie, ähnlich der Feier des Wortes, angesehen. Wie uns das Lesen gegenständlicher Bücher das lebendige Wort des Herrn aufnehmen läßt, so erlaubt die Darbietung eines gemalten Bildes den Betrachtern, durch das Anschauen zu den Heilsgeheimnissen zu gelangen. „Was dort mit Hilfe von Papier und Tinte herausgearbeitet wird, wird auf dem Bild durch verschiedene Farben und andere Stoffe zum Ausdruck gebracht“. Die Römische Kirche im Westen hat sich, ohne nachzulassen, durch ihren ständigen Einsatz zu Gunsten der Bilderverehrung ausgezeichnet, vor allem in einem höchst kritischen Augenblick, als zwischen 825 und 843 sowohl das Byzantinische wie das Frankenreich das II. Nizänum feindselig ablehnten. Auf dem Konzil von Trient schließlich hat die katholische Kirche erneut die bestehende Lehre bestätigt, um einer neuen Form des Ikonoklasmus, die damals auftauchte, wirksam entgegenzutreten. In der jüngsten Vergangenheit hat das II. Vatikanische Konzil mit ruhiger Besonnenheit die beständige Haltung der Kirche im Hinblick auf die Bilder und auf die sakrale Kunst im allgemeinen erneuert. 11. Seit einigen Jahrzehnten ist ein zunehmendes Interesse für die Theologie und Spiritualität der orientalischen Ikonen festzustellen; das ist ein Beweis für ein wachsendes Bedürfnis nach einer geistlichen Sprache, wie sie die echte Kunst verwendet. In diesem Zusammenhang muß ich meine Brüder im Bischofsamt auffordern, sehr sorgfältig zu beachten, was das Konzil vorschreibt: „Der Brauch, in den Kirchen den Gläubigen heilige Bilder zur Verehrung darzubieten, werde nicht angetastet“, und sich darum zu bemühen, daß mehr Kunstwerke von echter kirchlicher Würde und Qualität entstehen. Den Gläubigen unserer Tage soll und kann, so wie den Gläubigen früherer Zeiten, in ihrem Gebet und in ihrem geistlichen Leben durch die Betrachtung von Kunstwerken geholfen werden, die das Mysterium auszudrücken, aber keinesfalls zu verbergen versuchen. Das ist der Grund, warum heute wie in der Vergangenheit der Glaube der notwendige Inspirator der kirchlichen Kunst ist. Die Kunst um der Kunst willen, die auf niemanden als auf ihren Schöpfer verweist und keine Verbindung mit der göttlichen Welt herstellt, hat im christlichen Bildverständnis keinen Platz. Jede Form sakraler Kunst muß nämlich, unabhängig davon, welchen Stil sie sich angeeignet hat, den Glauben und die Hoffnung der Kirche ausdrücken. Die gesamte Tradition des heiligen Bildes 1736 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN beweist, daß sich der Künstler bewußt sein muß, einen Auftrag im Dienst der Kirche zu erfüllen. Als wahre christliche Kunst gilt schließlich jene, die durch die sinnliche Wahrnehmung die intuitive Erkenntnis bewirkt, daß der Herr selbst in seiner Kirche gegenwärtig ist, daß die Ereignisse der Heilsgeschichte unserem Leben Sinn und Richtung geben und daß schließlich die uns verheißene Herrlichkeit unser Dasein bereits verwandelt. Die sakrale Kunst muß also bestrebt sein, uns eine sichtbare Synthese aller Dimensionen unseres Glaubens zu bieten. Die Kunstwerke der Kirche müssen danach trachten, die „Sprache“ der Inkarnation zu sprechen und mit den Elementen der Materie auf den hinzuweisen, der „in der Materie Wohnung nehmen wollte, um durch die Materie mein Heil zu erwirken“, wie es in der schönen Formulierung des hl. Johannes Damaskenos heißt. Diese Wiederentdeckung des christlichen Bildes wird auch dazu beitragen, daß sich die Menschen bewußt werden, wie dringend notwendig es ist, entschieden aufzutreten gegen die entpersönlichenden und nur zu oft entwürdigenden Wirkungen jener zahlreichen Bilder, die unser Leben in der Werbung und in den Massenmedien beeinflussen. Denn jenes Bild lenkt den Blick des unsichtbaren Schöpfers auf uns und eröffnet uns den Zugang zu der Wirklichkeit der geistlichen und eschatologischen Welt. 12. Geliebte Brüder, wenn wir uns auf die Aktualität der Lehre des siebenten ökumenischen Konzils besinnen, so will mir scheinen, daß wir von ihm zu unserer vorrangigen Aufgabe der Glaubensverkündigung angehalten werden. Die zunehmende Säkularisierung der heutigen Gesellschaft zeigt deutlich, daß diese immer gleichgültiger wird für geistig-geistliche Werte, für das Geheimnis unseres Heils in Christus Jesus, für die Wirklichkeit der zukünftigen Welt. Unsere verbindliche Überlieferung, die wir voll und ganz mit den orthodoxen Brüdern teilen, lehrt uns aber, daß die in den Dienst des Glaubens gestellte Sprache der Schönheit das Herz der Menschen zu erreichen vermag und sie innerlich den erkennen läßt, den wir äußerlich darzustellen wagen: Jesus Christus, den Sohn Gottes, der Mensch geworden ist und der „derselbe ist gestern, heute und in Ewigkeit“ (Hebr 13,8). Allen zusammen und jedem einzelnen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen. Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter, zum Gedächtnis an den hl. Johannes Damaskenos, Priester und Kirchenlehrer, am 4. Dezember 1987, im zehnten Jahr meines Pontifikats. 1737 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Anmerkungen 1 Besonders mit dem Schreiben, das der Kardinalstaatssekretär am 8. Oktober 1987 anläßlich des Symposions in Istanbul an den Präsidenten der Internationalen Gesellschaft für die Geschichte der Konzilien richtete (vgl. L,Osservatore Romano 12.-13. Oktober 1987). 2 Epi te 120 Oepeteio apo tes syncleoseos tes en Nikala Hagias z, Oikomenikes Synodoy (787-1987), Fanar, 14. September 1987. 3 J. D. Mänsi, Sacrorum Conciliorum nova et amplissima Collectio (= Mansi) XIII, 59 C. 4 Mansi XII, 985 C. 5 Vgl. Mansi XII, 1007. 1086 und Monumenta Germaniae Historica (= MGH), Epistulae V (Epistulae Karolini Aevi, t.3), S. 29, 30-33. 6 Vgl. Mansi XII, 1127-1136 und 1135-1145. 7 So der Priester Johannes als Vertreter der östlichen Patriarchen, Mansi XII, 990 A und XIII, 4 A. 8 Vgl. Mansi XII, 1134. 9 Mansi XIII, 208 E-209 A. 10 Mansi XII, 1085 C. 11 vgl. Mansi XII, 1085-1111. 12 Mansi XII, 994 A, 1041 D, 1114 B; XIII, 157 B, 204 B, 366 A. 13 Mansi XII, 1086 C. 14 Vgl. Brief Hadrian I. an Karl d. Gr., in: MGH, Epistulae (Epistulae Merowingici et Karolini Aevi, t.I), S. 587,5. 15 Mansi XIII, 463 B-C. 16 Vgl. Mansi XIII, 200. 17 Vgl. Quartum anathema, in: Mansi XIII, 400. 18 Horos, in: Mansi XIII, 377 B-C. 19 Ebd., 377 C. 20 Vgl. Irenäus, Adversus haereses 1,10,1; 1,22,1; in: Sources Chret iennes (= SCh) 264, SS. 154-158; 308- 310; Tertullian, Depraescriptione 13,16, in: Corpus Christianorum, Series La-tina (= CChl), 1, S. 197- 198; Origenes, Peri Archon, Vorwort 4,10, in: SCh 252, SS. 80-89. 21 De Baptismo IV 24,31; in: Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum (= CSEL) 51, S. 259. 22 Über den Heiligen Geist, VII 16,21.32; IX 22,3; XXIX 71,6; XXX 79,15; in; SCh 17bis, S. 298, 300, 322, 500, 528. 23 Ebd., XXVII 66,1-3, S. 478-480. 24 Vgl. Horos, in: Mansi XIII, 378 E. 25 Bilderrede, IH,3, in: PG 94, 1320-1321; B. Kotter, Die Schriften des Johannes von Damas-kos, Bd. III(Contraimaginumcalumniatoresorationes tres), in: „Patristische TexteundStudien“ 17, Berlin/New York, 1975, HI,3, S. 72-73. 26 Dogmatische Konstitution Dei verbum, Nr. 9. 27 Ebd., Nr. 8. 28 Ebd., Nr. 10. 29 Überden Heiligen Geist, XVHI 45,19, in: SCh 17bis, S. 406; Nicaenum II, Horos, in: Mansi XIII, 377 E. 30 Briefe des hl. Gregor d. Gr. an Bischof Serenus von Marseille, in: MGH, Gregorii I Papae Registrum Epistularum, H,l, lib. IX, 208. S. 195, und 11,2, lib. XI,10, SS. 270-271; oder in: CChl. 140 A, lib. IX,209, S. 768 und lib. XI,10, SS. 874-875. 1738 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 31 Vgl. Theophanes, Chronographia ad anmim 6221, ed. C. de Boor, I, Leipzig, 1883, S. 404 oder PG 108,821 C. 32 Brief Hadrians I. an die Herrscher, in: Mansi, XII, 1062 C-D. 33 Horos, in: Mansi XIII, 377 E. 34 Ebd., 377 D. 35 Theodoros Studites, Antirrheticus, 1,10, in: PG 99, 339 D. 36 Vgl. Brief Hadrians an Karl d. Gr., in: MGH, Epistulae V (Epistulae Karolini Aevi, t.HI), SS. 5-57; oder PL 98, 1248-1292. 37 Vgl. Konstitutionen Sacrosanctum Concilium, 111,1; 1235; 128; Lumen gentium, 51; 67; Gaudium et spes, 62; und auch Codex Iuris Canonici can. 1255 und 1276. 38 Sacrosanctum Concilium, 122-124. 39 Ebd., 125. 40 Bilderrede I 16, in: PG 94, 1246 A; und ed. Kotter, I 16, S. 89. Integrität des Lebens verteidigen Ansprache an den Verband katholischer Juristen Italiens am 5. Dezember Sehr geehrte Herren! 1. Es freut mich, Sie in Audienz zu empfangen anläßlich Ihrer nationalen Tagung über die juristischen Probleme der Biomedizin. Allen entbiete ich meinen herzlichen Willkommensgruß. Das Thema, das Sie in diesem Jahr für Ihre Überlegungen gewählt haben, unterstreicht die unbestrittene Tatsache, daß sich infolge der Fortschritte in der Medizin heute neue und schwerwiegende Probleme im juristischen Bereich stellen. Die Entwicklungen der biomedizinischen Forschung haben eine immer vollständigere Kenntnis des menschlichen Genoms ermöglicht. Heute versucht man, die Karte und die Abfolge dieses biologischen Mikrokosmos aufzuzeichnen, der der genetische Schlüssel ist. Aus dieser Kenntnis erwachsen neue Möglichkeiten zur Vorbeugung und Behandlung von Erbkrankheiten. Jedoch ergeben sich daraus auch neue Probleme ethischer und juristischer Bedeutung, zu denen man notwendigerweise Stellung nehmen muß. Im besonderen wird es notwendig sein, angemessene juristische Schranken zu errichten, damit keine am menschlichen Erbgut inspirierte Selektion von Menschen geschieht und nicht der Abbruch des embryonalen oder fötalen Lebens aufgrund einer vorliegenden genetischen Schädigung oder einer Erbkrankheit eingeführt wird. Außerdem können keine soziale oder wissenschaftliche Zweckmäßigkeit und keine ideologische Motivierung je einen Eingriff auf das menschliche Genom 1739 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN rechtfertigen, der nicht der Therapie, d. h. der natürlichen Entwicklung des Menschen dient. 2. Die juristische Ordnungsgebung kann diesen Problemen gegenüber nicht gleichgültig bleiben, denn sie ist ihrem Wesen nach dazu berufen, die Grundrechte der Person zu bestimmen und die Mittel zu ihrem Schutz und ihrer Förderung aufzuzeichnen. Zugleich kann die juristische Wissenschaft nicht umhin, sich die Verteidigung der genetischen Identität jedes bereits geborenen oder noch werdenden Menschen zu Herzen zu nehmen. Sie würde einer ihr aufgetragenen Pflicht nicht nachkommen. Das bürgerliche Empfinden und noch mehr die Lehre des Evangeliums verpflichten uns heute mehr denn je, dafür zu sorgen, daß das Recht mittels der Gesetze jeder menschlichen Person Hilfe leistet, und um so klarer und entschiedener, je zerbrechlicher und schutzloser das Leben des einzelnen ist angesichts der wachsenden technologischen Macht. Die Verteidigung der Integrität und der Würde der Person ist gewiß und vor allem Aufgabe des einzelnen Menschen und jedes Bürgers, der aufgerufen ist, in sich selbst das Geschenk des Lebens zu achten, das ihm nicht gehört. Jedoch auch die juristische Ordnungsgebung wird sich den Schutz dieses Geschenkes zur Pflicht machen müssen, denn es ist der vorrangige und grundlegende Wert jeder menschlichen Gemeinschaft. <53> <53> Die neuen Fronten der Medizin sind nicht nur die der Genetik und der künstlichen Fortpflanzung. Vielversprechende Aussichten haben sich im Bereich der praktischen Anwendung der Medizin eröffnet: Im Gesundheitsschutz, in der Behandlung von Krankheiten, in der Pflege von Schwerkranken und Sterbenden. Auch in diesen Bereichen zeichnen sich jedoch die Gefahren ideologischer und kultureller Pressionen ab, die im Widerspruch stehen zur Achtung der menschlichen Person und den Zielen der ärztlichen Hilfe selbst. Das Fortschreiten einer konsumorientierten Kultur die, wie sie die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs eingeführt hat, jetzt die der Euthanasie fordert und immer deutlicher das Experimentieren am Menschen rechtfertigt, ohne die geschuldete Achtung vor der Integrität des Subjekts zu berücksichtigen, ist ein alarmierendes Zeichen, das die Ärzteschaft nicht allein ohne die Hilfe des Gesetzes in Angriff nehmen kann. Wenn es wahr ist, daß das Gesetz nicht gleichgültig bleiben kann gegenüber eventuellem Mißbrauch, der in der uneingeschränkten Anwendung der Medizin getrieben wird, so ist genau so wahr, daß die Gesetze eine spürbare Hilfe für all jene Wissenschaftler und Therapeuten sein müssen, die sich dafür ein-setzen, die Krankheit zu bekämpfen und die Schmerzen und Leiden der Kran- 1740 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ken zu lindern und somit einen Dienst am Menschen leisten, der alle Hochachtung und Anerkennung verdient. 4. Recht und Medizin sind zwei althergebrachte Disziplinen, zwei wissenschaftliche Welten, die ihrem Wesen und Ursprung nacheinander nützlicherweise begegnen können in der Suche nach Mitteln, Strukturen und Hilfen, die geeignet sind, die Verteidigung, Förderung und den Fortschritt des Menschen, des ganzen Menschen und jedes einzelnen Menschen, zu gewährleisten. Damit sich ihre Begegnung jedoch nicht auf einen unfruchtbaren Zusammenstoß oder einen enttäuschenden Kompromiß reduziert, wird es notwendig sein, daß sowohl die medizinische Wissenschaft als auch das Recht auf einen dritten, höheren Pol Bezug nehmen, den einer angemessenen Anthropologie, die ihren erhellenden Mittelpunkt in der Ontologie der menschlichen Person hat: von hier entspringen die ethischen Werte, an die sich jede Aktivität halten muß, insbesondere wenn sie direkt auf den Schutz und die Förderung des Menschen ausgerichtet ist. Der christliche Glaube, der die Würde des Menschen im Licht des menschgewordenen Wortes betrachtet, öffnet dieser Anthropologie weitere Horizonte von transzendentaler Größe. Sehr geehrte Herren, mit dem Wunsch, daß Ihre Überlegungen in den genannten Perspektiven Erleuchtung und Anregung für angemessene Folgerung im juristischen Bereich finden mögen, bitte ich Gott um seinen Beistand für Ihre Arbeiten und segne Sie von Herzen. Als Schwesterkirchen wiedererkannt Predigt während der Vesper in der Basilika Santa Maria Maggiore am 5. Dezember 1. Die liturgische Zeit des Advents stärkt unseren Glauben in die zweite Ankunft Christi. Während wir auf seine glorreiche Rückkehr warten, sind wir aufgerufen, unsere Gedanken der Zukunft zuzuwenden. In gewisser Weise ist es ein Warten auf denjenigen, von dem die antike messianische Hoffnung Kunde bringt. Die Propheten verkündeten sie, um den Armen Freude und Kraft zu schenken, die durch die Jahrhunderte hindurch im Vertrauen an seine Macht von ihm ihre Befreiung erwarteten. Unter diesen Armen ist jene auserwählt gewesen, die bestimmt war, in ihrem jungfräulichen Schoß den Messias 1741 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zu empfangen und ihn zur Welt zu bringen — den Sohn, der, wesensgleich dem Vater, für uns Mensch wurde. Wir feiern den Lobgesang derer, die sich „Magd des Herrn“ (Lk 1,38) nannte, und verwirklichen, was sie prophetisch in ihrem Danklied verkündete: „Siehe von nun an preisen mich selig alle Geschlechter“ (Lk 1,48). Die Jungfrau Maria ist diejenige, die gläubig den Messias angenommen hat, ihn der Welt schenkte und ihn treu bis zum Kreuz begleitete. Maria betete mit den Aposteln und bereitete sich vor auf die Herabkunft des Hl. Geistes für die Geburt der Kirche. Sie hat verstanden, wie groß die Hoffnung ist, zu welcher wir durch Gott berufen sind (vgl. Eph 1,18). 2. Dies Warten voller Hoffnung führte Maria zur befreienden Entdeckung der Armut als Geisteshaltung gerade derjeniger, die sich vorbereiten, zu empfangen. Er, „der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen“ (vgl. 2 Kor 8,9). Indem wir uns vorbereiten, die Feste der Geburt und der Erscheinung unseres Erlösers zu feiern und indem wir im Glauben auf die „Offenbarung Jesu Christi, unseres Herrn, warten“ (1 Kor 1,7), haben wir die Gewißheit, daß unsere Armut überhäuft sein wird „vom Reichtum seiner Herrlichkeit“ (vgl. Eph 3,16) und daß „die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll“ (Röm 8,18). Die Kirche verkündet die Hoffnung auf das Ende von Armut und Leiden Die Kirche, Dienerin Gottes für seine Herrlichkeit und Dienerin der Menschen für ihr Heil, nimmt diese große Hoffnung auf und verkündet sie, indem sie unermüdlich ihre eigenen Leiden und ihre eigene Armut ihrem Herrn anbietet, dessen „Kraft (sich) in der Schwachheit erweist“ (2 Kor 12,9). Wenn im Laufe der Jahrhunderte manchmal schwerwiegende Divergenzen zwischen den Christen des Orients und des Okzidents das Zeugnis der einen Kirche Christi geschwächt haben, so sind sie jetzt voller Reue und Verlangen nach Einheit. Wir haben heute einen neuen Beweis dafür, daß Gott Mitleid mit uns hat und die Gebete aller jener erhört, die ohne Unterlaß für die Einheit aller Christen seiner Kirche beten. Der katholischen und orthodoxen Kirche ist die Gnade zuteil geworden, sich als Schwesternkirchen wiederzuerkennen auf dem Weg zur vollen Gemeinschaft. Ich freue mich, in diesen Tagen in Rom meinen geliebten Bruder, den ökumenischen Patriarchen Dimitrios I. von Konstantinopel, wiederzusehen, der jetzt meine Predigt fortführen wird. <54> <54> Heiligkeit, indem ich Sie mit tiefer Liebe und großer Achtung empfange, begrüße ich in Ihrer Person die gesamte orthodoxe Kirche. 1742 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Was euch anbetrifft, liebe Brüder und Schwestern, weiß ich, daß ihr meine Freude teilt und in der Begegnung dieses Abends ein Zeichen seht,- das der Herr uns gibt, um die Hoffnung seiner Kirche zu erfüllen. Verpflichtet zur Einheit der Christen Predigt während der hl. Messe im Beisein des Ökumenischen Patriarchen Di-mitrios I. am 6. Dezember „Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße für unseren Gott!“ (Jes 40,3). 1. Diese Einladung, die der Prophet einst an die des Landes verwiesenen Israeliten richtete, legt die Liturgie heute auf unsere Lippen für alle Jünger Christi, die sich auf das Fest seiner Geburt und seiner Epiphanie vorbereiten in hoffnungsvoller Erwartung auf seine Wiederkunft. In diesen glücklichen Tagen des Besuches Eurer Heiligkeit bei der Kirche von Rom und ihrem Bischof, und zumal jetzt, da uns die Freude des gemeinsamen Gebetes mit dieser Gemeinde am Grab des Apostels Petrus beschieden ist, klingen diese Worte des Propheten neu auf und laden uns ein zum Danken und zu noch größerem Gehorsam gegenüber dem Willen Christi und zu einer unerschütterlichen Hoffnung auf seine Liebe. „Bereitet für den Herrn einen Weg durch die Wüste.“ Tief ergriffen über das Ausmaß von Angst und Leid, das die Menschen so oft erdulden, und im Bewußtsein der Sendung zu Einheit und Frieden, die der Herr seiner Kirche anvertraut hat, trafen meine Vorgänger Johannes XXIII. und Paul VI. mit den Vätern des Zweiten Vatikanischen Konzils die Entscheidung, sich persönlich im Einklang mit der ganzen katholischen Kirche für eine Versöhnung aller Christen in der Einheit des Glaubens und der Liebe zu verpflichten, damit die Kirche Christi mit größerer Treue ihrer Sendung, der Welt das Heilsevangelium zu verkünden, nachkommen kann. Der Geist Gottes, der ihnen diesen weisen Entschluß eingab, erleuchtete auch das Herz Ihres bedeutenden und verehrten Vorgängers auf dem Sitz von Konstantinopel, Seiner Heiligkeit Patriarch Athenagoras I., und erfüllt es mit Weisheit, Hoffnung, tiefer Liebe und dem aufrichtigen Verlangen, für die Wiederherstellung der vollen kirchlichen Gemeinschaft zu arbeiten, damit die Kirche in vollkommener Schönheit erstrahle. Der Herr hatte jene auserwählt, die seine Werkzeuge bei der Ausführung dieser Aufgabe sein sollten. Der Herr hat zwischen den Kirchen des 1743 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ostens und des Westens wieder Beziehungen der Liebe und des Friedens aufgenommen, damit sie ihm bald und wieder gemeinsam den Weg auf der Erde bereiten könnten. 2. Das Erbe, das uns diese Pioniere, diese großen Diener Gottes und der Kirche, hinterlassen haben, spornt uns vor allem an, Gott Dank zu sagen: „Gepriesen sei der Gott und Vater Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater des Erbarmens und der Gott allen Trostes“ (2 Kor 1,3). Indem ich meinen Dank ausspreche, möchte ich einige große und bedeutsame Ereignisse auf dem von unseren Kirchen in den letzten Jahrzehnten gemeinsam zurückgelegten Weg in Erinnerung rufen. Angeregt vom Vorhaben Papst Johannes’ XXIII. besuchte sein Nachfolger, Papst Paul VI., als Pilger die Heiligen Stätten, wo unser Herr sein Blut vergossen hat, „um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“ (Joh 11,52). Seine Heiligkeit, Patriarch Athenagoras I., traf sich dort mit ihm, und beide Pilger vereinigten sich zum gemeinsamen Gebet, nach jahrhundertelangem Fremdsein und Schweigen. Am 7. Dezember 1965 — morgen sind es 22 Jahre seit diesem Ereignis — brachten Paul VI. und Athenagoras in einer feierlichen Erklärung ihren Willen zum Ausdruck, aus der Erinnerung und aus der Geschichte der Kirche, die gegenseitig im Jahre 1054 ausgesprochenen Exkommunikationen zu tilgen. Im Juli 1967 besuchte Paul VI. die Kirche von Konstantinopel und ihren verehrten Hirten, während einige Monate später, am 26. Oktober, Patriarch Athenagoras I. in dieser Basilika von Papst Paul VI. selbst und von den damals mit ihm zu einer Synode versammelten Bischöfen empfangen wurde. Bald nach der Eröffnungsfeier meines pastoralen Dienstes auf dem Sitz des Petrus fühlte ich mich zu der unmißverständlichen Erklärung veranlaßt, daß „das Eintreten der katholischen Kirche für die ökumenische Bewegung unwiderruflich ist“ (22. Oktober 1978, AAS LXX, 1978, S. 977). Dieselben Empfindungen erfüllten mich, als ich im November 1979 die Freude hatte, Sie an Ihrem Patriarchalsitz im Phanar wiederzusehen. Wir konnten damals gemeinsam den unmittelbaren Beginn des theologischen Dialogs zwischen der katholischen und der orthodoxen Kirche verkünden und die Namen der Mitglieder der gemischten katholisch-orthodoxen Kommission, die mit diesem Dialog beauftragt waren, öffentlich bekanntgeben. Die Mitglieder der Kommission haben seitdem mit großer Fachkenntnis, Beharrlichkeit und Loyalität, die allen bekannt ist, gearbeitet, und die Kommission konnte schon zwei Dokumente ausarbeiten, die für die Fortsetzung des Dialogs sehr bedeutsame Aussagen enthalten. 1744 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3. In dieser feierlichen Stunde und in diesen gnadenreichen Tagen kommen Sie, Heiligkeit, in Begleitung würdiger Metropoliten Ihres Synods und anderer Mitglieder Ihrer Kirche im Zeichen brüderlicher Liebe hierher, um erneut mit mir den Friedenskuß auszutauschen und damit Ihrem aufrichtigen Verlangen Nachdruck zu verleihen — das Sie ja ebenfalls seit Ihrer Erwählung auf den Patriarchalsitz von Konstantinopel ausgesprochen haben —, zur fortschreitenden Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft zwischen unseren Kirchen beizutragen. Ich habe nur einige bedeutsame Schritte auf unserem gemeinsamen Weg in Erinnerung gerufen und vergesse durchaus nicht all das, was dank der unsichtbaren Gnade des Heiligen Geistes in unseren Kirchen und bei unseren gegenseitigen Beziehungen durch das Gebet, das dem Evangelium entsprechende Zeugnis in den Pfarreien und Glaubensgemeinschaften — zumal in Klöstern —, durch Zusammenarbeit und Begegnungen auf örtlicher Ebene, durch regelmäßige Besuche zwischen Rom und Konstantinopel anläßlich unserer Patronsfeste und viele weitere Kontakte in zahlreichen Formen mit allen orthodoxen Kirchen Wirklichkeit geworden ist. Wir müssen Gott wirklich danken, der durch Ihren heutigen Besuch und die Gaben, die wir auf diesem unserem Weg, den wir erneut gemeinsam gehen, empfangen haben, unsere Hoffnung für den noch zurückzulegenden Weg stärkt. Da wir für die Gläubigen unserer Kirchen und für die Welt nichts anderes als „Knechte umJesu willen“ {2 Kor A,5) sein wollen, sind wir bereit und entschlossen, für sie und mit ihnen „den Weg des Herrn“ (Jes 40,3) zu bereiten. Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat die katholische Kirche den Plan Christi für seine Kirche gründlich untersucht und daher viel besser die Wirklichkeit der Gemeinschaft verstanden, die die in der Welt vorhandenen Einzelkirchen in Einheit verbindet. Diese eingehende Untersuchung ist ein wichtiger Beitrag für unser Bemühen um Wiederaufnahme der vollen Gemeinschaft zwischen uns. Im Verlauf der ersten Jahrhunderte unserer Geschichte hat jeder von uns den eigenen Weg im Auge behalten und doch gleichzeitig unsere Gemeinschaft im Glauben und im sakramentalen Leben bewahrt — trotz der Schwierigkeiten, die es in unseren Beziehungen hätte geben können. In dieser Zeit wurde dem Sitz von Rom nicht nur ein Ehrenprimat zugesprochen, sondern auch eine wirkliche Verantwortung beim Vorsteheramt in der Liebe — um die Worte des hl. Ignatius von Antiochien zu verwenden — und in der Förderung der Aufrechterhaltung der Gemeinschaft zwischen allen Kirchen. Ich bin mir bewußt, daß aus sehr unterschiedlichen Gründen und gegen den Willen der einen sowohl wie der anderen das, was ein Dienst sein sollte, sich in ganz anderem Licht darstellen konnte. Doch wie Sie wissen, fühle ich mich gerade in dem Wunsch, dem Willen Christi wahrhaft 1745 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zu gehorchen, als Bischof von Rom berufen, diesen Dienst auszuüben. Daher bitte ich im Hinblick auf diese vollkommene Gemeinschaft, die wir wieder aufnehmen wollen, inständig den Heiligen Geist, er möge uns sein Licht schenken und alle Hirten und Theologen unserer Kirche erleuchten, damit wir — natürlich gemeinsam — Lösungen finden, die es ermöglichen, diese Sendung sowohl von den einen als auch von den anderen als Dienst der Liebe anzuerkennen. Ich bitte Eure Heiligkeit, mit mir und für mich zu beten, damit er, der uns „in die ganze Wahrheit führen wird“ (Joh 16,13), uns immer die Gesten und Haltungen, die Worte und Entscheidungen eingibt, die uns eine Erfüllung dessen gestatten, was Gott für seine Kirche will. Das Zweite Vatikanische Konzil wünschte, daß man bei den Bemühungen um eine Wiederaufnahme der vollen Gemeinschaft mit den Ostkirchen „die Art der vor der Trennung zwischen ihnen und dem Römischen Stuhl bestehenden Beziehungen gebührend berücksichtigt“ (Unitatis redintegratio, Nr. 14). Diese Beziehungen erkannten die Fähigkeit der Ostkirchen in vollem Ausmaß an, „sich nach ihren eigenen Ordnungen zu regieren“ (ebd., Nr. 16). Ich möchte Eurer Heiligkeit versichern, daß der Sitz von Rom, der auf all das, was mit der Überlieferung der Kirche verbunden ist, sehr bedacht ist, diese Überlieferung der Ostkirche voll wahren will. 4. In diesen Augenblicken der Sammlung wollen wir vor dem Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit anbetend verweilen und bitten, daß ihre Gnade uns in unserer Schwachheit und Armut durchdringe und uns helfe bei unserer Sendung, die der Kirche und der Welt so große Hoffnung bringt. Mit Hilfe des Größten unter den Propheten, den das heilige Evangelium uns eben vorgestellt hat, möge uns der Geist Gottes besser eine der grundlegenden Haltungen verstehen lassen, die der Herr von uns erwartet. Wir nehmen diese Einladung im Blick auf die uns eigene pastorale Aufgabe an, doch sie gilt jedem Diener der Kirche und jedem Gläubigen gemäß seiner Berufung. Mit dem heiligen Propheten Johannes dem Täufer haben wir die Gewißheit des ständigen Kommens Gottes innerhalb der Geschichte der Menschheit. Wie er wollen wir den Weg des Herrn bereiten. Wie er wollen wir auf Christus als den einzigen Befreier von Sünde, Leid und Tod hinweisen, der gekommen ist, „um unsere Schritte auf den Weg des Friedens zu lenken“ (Lk 1,79); denn die Christen in Ost und West müssen, jetzt gemeinsam und mit stärkerer Liebe, der Welt in Wort und Tat sagen, daß der Herr gekommen ist, daß er auf dem Weg der Menschen kommt und kommen wird. Angesichts einer so großen und bedeutenden Verantwortung erbitte ich für uns, geliebter Bruder, für unsere Brüder im Bischofsamt und für alle an Christus Glaubenden die Gnade der Demut, denn wir sind „es nicht wert, ihm die 1746 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Schuhe auszuziehen“ (vgl. Mt 3,11), den wir verkünden. Erinnern an diese Sendung und Haltung nicht die herrlichen „Deisis“ der Ikonen und Fresken in den Basiliken des Ostens und Westens, wo der hl. Prophet Johannes der Täufer Christus, seinem Herrn, zugewandt, mit der Hand und durch die demütige Bewegung seines ganzen Wesens auf ihn hinweist? Auf diesen „Deisis“ sehen wir auch die Mutter des Erlösers in der gleichen Demutshaltung, und auch sie weist hin auf ihren Sohn und Herrn und wiederholt uns unablässig: „Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2,5). Gestern abend durften wir gemeinsam zu ihr in der Basilika Santa Maria Maggiore beten, die zu Ehren der Gottesmutterschaft der Jungfrau erbaut wurde. Bei dieser Eucharistiefeier bitte ich sie um Fürsprache bei ihrem göttlichen Sohn. Wir haben gemeinsam das Lob Gottes gesungen und gemeinsam sein Wort gehört. Gemeinsam bitten wir auch um die Gnade, dem Evangelium treu zu bleiben. Trotz dieses Zeugnisses der Gemeinschaft werden wir noch nicht aus dem gleichen Kelch trinken können; dies bekümmert uns und gießt Bitterkeit in unser Herz. Erhalte Christus uns auf die Fürbitte seiner heiligen unbefleckten Mutter den Frieden und die Hoffnung. Möge er unseren Schmerz zum Antrieb für eine unermüdliche Arbeit werden lassen, bald die volle Gemeinschaft zwischen uns wieder herzustellen und gemeinsam im Land der Menschen „einen Weg für unseren Gott“ (Jes 40,3) zu bereiten! Amen. Mutter aller Menschen Gebet an der Mariensäule auf dem Spanischen Platz in Rom am Fest der Immaculata am 8. Dezember 1. „Die selige Jungfrau ging den Pilgerweg des Glaubens ... und bewahrte ihre Vereinigung mit dem Sohn auf1 (Lumen gentium, Nr. 58). „Im Hinblick auf die Verdienste ihres Sohnes auf erhabene Weise erlöst... hat sie durch dieses hervorragende Gnadengeschenk bei weitem den Vorrang vor allen anderen Kreaturen... Zugleich ist sie zusammen mit allen Menschen verbunden“ (ebd., Nr. 53). Indem Maria der „Typus der Kirche“ geworden ist, ist sie uns allen auf diesem Weg „vorangegangen“, der Jesus Christus ist (ebd., Nr. 63). 2. Lesen wir diese Worte der Konzilskonstitution noch einmal an der Mariensäule auf dem Spanischen Platz in Rom. 1747 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Hier vereinigen und kreuzen sich die Straßen unserer Stadt. An diesem Platz gehen täglich Tausende von Menschen vorbei — Römer sowie Fremde, die aus ganz Italien und der ganzen Welt kommen. Sie gehen in verschiedene Richtungen, mit all ihren vielen Problemen, auf der Suche nach den verschiedensten Zielen. Hier an der Mariensäule führen alle Wege der Menschen — so verschieden der eine vom anderen ist — zu ihr hin, die allen auf dem Pilgerweg des Glaubens „vorangeht“... Schließen wir uns auf dem Pilgerweg des Glaubens der Unbefleckten Jungfrau an? Gehen wir den Weg mit ihr zusammen? Dies ist die Frage, die die Kirche im Marianischen Jahr an uns alle stellt. An die Römer richtet ihr Bischof diese Frage — hier an der Mariensäule auf dem Spanischen Platz. 3. Alle Straßen führen nach Rom, und von Rom führen alle Straßen in die ganze Welt. Es sind die Straßen — die vielseitigen Straßen der ganzen Menschheit, die in dieser Zeit lebt —jetzt, am Ende des zweiten Jahrtausends nach Christus. Es sind aber auch die Wege der Kirche. Die Kirche begegnet einem in Rom bei der Erbschaft der heiligen Apostel, auf den Spuren des Petrus, dem Christus einen besonderen Dienst im Vergleich zur ganzen Kirche aufgetragen hat. Unsere Mutter! Unbefleckte Jungfrau auf dem Spanischen Platz! Sei Hüterin all dieser Wege: der Wege der Kirche und der Welt; der Wege der Kirche zur Welt hin und der Wege der Welt hin zur Kirche. In deiner Person ist die Kirche „schon zur Vollkommenheit gelangt, in der sie ohne Makel und Runzel ist“ (.Lumen gentium, Nr. 65). Aber dennoch müssen wir in unserer irdischen Wanderschaft unaufhörlich „die Sünde besiegen, um in der Heiligkeit zu wachsen“ (ebd., Nr. 65). „Richten wir die Augen folglich auf dich“ {ebd., Nr. 65), auf dich, Unbefleckte Jungfrau, auf dich, Mutter der Kirche, auf dich, Mutter aller Menschen: Stern unseres Adventes! Morgenstern der ewig währenden Herrlichkeit des Menschen in Gott! Nimm unsere Liebe, unsere Verehrung und unser Vertrauen an! 1748 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Den Obdachlosen ein Heim geben Brief an Kardinal Roger Etchegaray, Präsident der Päpstlichen Kommission „Iustitia et Pax“, vom 8. Dezember An unseren verehrten Bruder Roger Kardinal Etchegaray, Präsident der Päpstlichen Kommission „Iustitia et Pax“. Da das internationale Jahr für die Obdachlosen, wie es die Vereinten Nationen für dieses Jahr 1987 gewünscht haben, herannaht, habe ich es für nützlich gehalten, daß die Kirche getreu ihrer Sendung und Verpflichtung, den Armen das Evangelium des Heiles und der Befreiung zu verkünden (vgl. Mt 28,28-30; Lk 4,71; Jes 61,1-2), sich über das schwere Wohnungsproblem einige Gedanken macht und eine sorgfältige Prüfung anstellt, um zu erfahren, wie die kirchlichen Gemeinschaften dieses Problem heute sehen und sachgerechte Lösungen zu finden suchen. Die Ergebnisse, die Sie, Herr Kardinal, mir unterbreitet haben, sind gewiß ermutigend, doch sie stellen unbestreitbar nur wenig dar angesichts des Umfangs der Bedürfnisse von Millionen Menschen, die heute ohne Dach über dem Kopf leben oder ohne ein Haus, das diesen Namen verdient. Diese Ergebnisse sind jedenfalls eine Anregung zu noch größerem Bemühen, denn das Wirken für jene, die in Wohnungsnot sind, entspringt dem Geist der „Werke der Barmherzigkeit, nach denen wir durch Christus, den Herrn, gerichtet werden“ (vgl. Mt 25,31-46). Könnten wir als Christen einem solchen Problem ausweichen oder es ignorieren, da wir doch wissen, daß das Haus „eine notwendige Vorbedingung dafür ist, daß der Mensch zur Welt kommen, wachsen und sich entwickeln kann, daß er arbeiten und erziehen, auch sich selbst erziehen kann, damit die Menschen untereinander jene tiefere und grundlegende Einheit aufbauen können, die man Familie nennt“ (Insegnamenti, n, 1979, S. 681)? Im Verlauf der letzten Jahre hat sich das Wohnungsproblem infolge der Vermehrung der Bevölkerung, zumal in den Städten, aber auch infolge des Ortswechsels aus Gründen der Arbeit und wegen der Suche nach besseren Lebensbedingungen ungewöhnlich verschärft. Die Auswirkungen liegen vor aller Augen: die Schaffung von Riesenstädten, das Entstehen von Randzonen mit unmenschlichen Lebensbedingungen, Randdasein und Elend. Mit Recht hat mein verehrter Vorgänger Paul VI. von der Urbanisierung als von einem neuen und sehr wichtigen Problem gesprochen, weil es „die gewohnten Lebensweisen und Strukturen des Daseins umstürzt: die Familie, die Nachbarschaft und selbst die Kreise christlicher Gemeinschaft. Damit schafft sie neu- 1749 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN es Elend, das so oft die Würde des Menschen erniedrigt oder verdunkelt (Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens, Nr. 10). In diesem Gefüge neu entstehender Formen der Armut bilden jene, die keine Unterkunft haben, eine Gruppe von Armen, die noch ärmer sind als die anderen, und denen wir helfen müssen. Wir sind überzeugt, daß eine Wohnung weit mehr ist als ein bloßes Dach über dem Kopf, und daß der Mensch dort, wo er sein Leben lebt und gestaltet, auch irgendwie seine tiefste Identität und seine Beziehungen zu anderen aufbaut. Die Kirche, die „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten teilt“ (Gaudium et spes, Nr. 1), empfindet es als ernste Pflicht, sich mit denen zu vereinen, die sich selbstlos einsetzen, um konkrete und dringende Lösungen für das Wohnungsproblem zu finden, und damit den Obdachlosen die Aufmerksamkeit und Sorge zugewendet wird, die die öffentlichen Autoritäten ihnen schulden. In der Tat, gerade die Aufmerksamkeit, die diese dem schwerwiegenden Problem und den zwischen Umwelt, Wohnverhältnissen, sozialen Dienstleistungen und dem notwendigen Raum für die Ausübung des religiösen Lebens bestehenden Beziehungen entgegenbringen, läßt erkennen, ob die Grundsätze der sozialen Ethik gebührend berücksichtigt werden. Die Spekulationen um Baugelände und um die Errichtung von Wohnungen, die Verwahrlosung ganzer Viertel oder ländlicher Zonen, wo es an angemessenen Wegen, Wasser oder Elektrizität, an Schulen und notwendigen Transportmitteln für den Personenverkehr fehlt, sind, wie man weiß, einige der offenkundigsten Übel, die eng mit dem umfassenderen Problem der Wohnungsverhältnisse verbunden sind. In diesem Sinn sind die Katholiken, die im öffentlichen Leben Verantwortung tragen, und jene, denen das Wohnungsproblem am Herzen liegt, besonders die Verwaltungen auf örtlicher Ebene angesprochen, zur Einleitung von Maßnahmen beizutragen, die der Lage der am meisten Notleidenden abhelfen kann, sowie die Hindernisse zu beseitigen, die davon abhalten, in wirtschaftlicher, juridischer und sozialer Hinsicht konkrete Wege ausfindig zu machen, um für die Lösung dieser Probleme die günstigsten Voraussetzungen zu schaffen. Wie können wir behaupten, es sei wirklich ein internationales Jahr der Obdachlosen begangen worden ,wenn dann nichts oder doch nur sehr wenig geschehen ist; wenn, im ganzen gesehen, alles sich in einigen Feiern erschöpft, die keinerlei sichtbare Verbesserung schaffen? Nach gewissen neueren Schätzungen wird die junge Bevölkerung zu Beginn des kommenden Jahrhunderts ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung umfassen. Welches werden ihre Lebensbedingungen sein, wenn schon heute Mil- 1750 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN lionen von Menschen obdachlos leben? Und wie soll man mit so vielen jungen Verlobten und Ehepaaren nicht herzliches Mitleid empfinden, die ihrer Liebe und ihrer berechtigten Unabhängigkeit unmöglich unbeschwerte und volle Festigkeit geben können, weil es an Wohnungen fehlt oder diese zu teuer geworden sind? Herr Kardinal, beim Durchsehen der Berichte über das Wirken und Eingreifen der Ortskirchen, der katholischen Hilfsorganisationen und so vieler eifriger Christen, die manches zu einem guten Ende geführt haben, kann ich mich nur freuen, daß sie auf diesem Gebiet ein konkretes Zeugnis für die Liebe und Sorge um die obdachlosen Mitmenschen gegeben haben. All das ruft uns die tröstlichen Worte Jesu in Erinnerung und läßt uns sie aufs neue bedenken: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ {Mt 25,40). Er wurde ja in einem Stall geboren und von den liebevollen Händen seiner Mutter, der allerseligsten Jungfrau „in eine Krippe gelegt, weil in der Herberge kein Platz für sie war“ (vgl. Lk 2,7); er war ein Flüchtling, fern von Heimat und Elternhaus, und das schon in den frühesten Tagen seiner Kindheit. In diesem Gedanken, den ich zugleich betend als Anrufung an die heilige Familie von Nazaret richte, spreche ich Ihnen und all jenen, die an der Redaktion des Dokumentes mitgewirkt haben, meine Wertschätzung und Anerkennung aus und erteile Ihnen aus ganzem Herzen als Unterpfand überreicher himmlischer Gaben und Tröstungen meinen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 1987 Iohannes Paulus PP. II Die Spiritualität des Ostens weitertragen Grußwort an die Angehörigen des Orientalischen Institutes vom 8. Dezember Dieses Treffen mit Euch aus Anlaß der Gründung des Orientalischen Institutes vor 70 Jahren ist mir eine Freude, heute, zum Abschluß dieses der Jungfrau Maria geweihten Festtages, nach der Begegnung mit der römischen Bevölkerung zu Füßen der Immaculata auf dem Spanischen Platz; und der Eucharistiefeier in der Basilika S. Maria Maggiore. Mein Gruß gilt den Kardinälen Simon Lourdousamy und William W. Baum sowie den Erzbischöfen und Bischöfen, die sich hier eingefunden haben. Herzlich grüße ich den Rektor, P. Gino Piovesana SJ, die Professoren, Stu- 1751 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN denten und ehemaligen Studenten, die hier anwesend sind; ich freue mich, die neuen kürzlich umgebauten Räumlichkeiten in Augenschein nehmen zu können. Über diese Begegnung mit Euch freue ich mich sehr, eine Begegnung im Namen der Jungfrau und Gottesmutter, der Theotokos, die im Osten und im Westen in dem tiefen Glauben verehrt wird, der aus der Lehre der Kirchenväter und den feierlichen Erklärungen der ersten Konzilien der Kirche stammt. Vor dem Bild der Jungfrau Maria, die auf Grund ihres Glaubens und ihres Gehorsams den Sohn Gottes auf Erden gebar, fühlen wir uns in der Hoffnung gestärkt, daß der Geist der Brüderlichkeit und Einheit zwischen Osten und Westen Antrieb und Gnade erhält für eine immer intensivere und fruchtbarere Gemeinschaft. Ich muß an dieser Stelle heute unbedingt hinzufügen, daß diese Hoffnung erneut gewachsen und größer geworden ist durch den Besuch seiner Heiligkeit, des Patriarchen Dimitrios I. von Konstantinopel mit den Vertretern seiner Patriarchensynode. Vor unseren Augen steht noch seine Gestalt und im Herzen bewundern wir weiter seine tiefe Spiritualität. Bekanntlich wurde das Orientalische Institut von meinem Vorgänger Benedikt XV. gegründet, der es der Kongregation für die Ostkirchen angliederte als notwendiges Studienzentrum, von dem die Theologie, die Spiritualität und das Leben des christlichen Ostens auf die ganze katholische Kirche ausstrahlen kann. Pius XI. wollte dem Institut neue und stärkere Bedeutung geben; er verlegte es an seinen jetzigen Sitz, verband es wegen der Affinität einiger Lehrlacher mit dem Bibelinstitut und vertraute es der Gesellschaft Jesu an. 2. Wir müssen heute anerkennen, daß die Vorausschau meiner Vorgänger in unserer Zeit aufs neue und in einem umfassenderen Sinn Bestätigung gefunden hat. Das Orientalische Institut wird sich hierin zu weiterem Engagement ermutigt fühlen können. Es sei vor allem an die Weisung erinnert, die aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil hervorgegangen ist, das eine bessere Kenntnis der großen geistlichen Schätze gewünscht hat, die in der gemeinsamen Tradition des Westens und Ostens enthalten sind. Das große theologische Erbe des Ostens muß als substantieller Teil der symmetrischen Reflexion über die Offenbarungstatsachen rezipiert werden; daraus wird man für jedes theologisches Traktat reiche Anregungen und vielversprechende Ausblicke gewinnen können. Die Kenntnis der orientalischen Kirchen und ihrer Lehrer erscheint damit als ein einzigartig weites Feld, das für die konstante systematische Forschung offen ist, zum Dienst an allen christlichen Gemeinschaften. Bei diesem Auftrag hatte und hat dieses akademische Institut eine besondere Funktion wahrgenommen, die sich als einzigartig fruchtbringend für ein immer besseres Verstehen mit den 1752 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN orientalischen Barchen erwiesen hat. Dies ist daher ein deutliches und qualifiziertes Zeichen für einen Dialog, der stets weitergeführt wird in der Zielperspektive der vollständigen Einheit. Es ist außerdem bekannt, daß heute aus vielfältigen Gründen der Zugang von Menschen aus dem Osten in den Westen zugenommen hat. Das wirft unabweisbar dringende pastorale Probleme für das Seelenheil dieser Brüder und Schwestern auf. Daher empfiehlt es sich, auch auf praktischem Gebiet die Wissensvermittlung über das Erbe des Ostens in das Curriculum der theologischen Studien für die Seelsorger einzufügen. Drittens ist es angebracht, an die intensive Zusammenarbeit zu erinnern, die das Orientalische Institut mit seiner Fakultät für Kirchenrecht für die Revision des östlichen Kirchenrechts und die Veröffentlichung der Quellen leistet. 3. Daher möchte ich bei dieser Gelegenheit den Kongregationen für die Orientalischen Kirchen und für das katholische Biidungswesen erneut dafür meine Anerkennung aussprechen, daß sie die Arbeit des Institutes weithin gefördert haben und noch fördern. Zugleich spreche ich Euch, den Patres der Gesellschaft Jesu und Euren Mitarbeitern an diesem Institut, mein dankbares Vertrauen aus. Eure zahlreichen Publikationen verschaffen dem Institut Ansehen, nicht nur aufgrund der Kenntnis der Geschichte der Theologie, der Spiritualität und der Liturgie des Ostens, sondern auch wegen des intensiven Bemühens um deren Verbreitung aus pastoraler und ökumenischer Intention im ganzen Westen. Pius XI. hat Euch und Eure Vorgänger als „tüchtige Ruderer“ für den obersten Steuermann der gesamten Kirche bezeichnet, denn Ihr ward zur größeren Ehre Gottes bereit, die Last einer unermüdlichen Arbeit auf Euch zu nehmen, die öfters von stillen, dem Herrn jedoch wohlbekannten Opfern gezeichnet war. Die ganze Arbeit und die Aufgabe des Orientalischen Institutes vertraue ich nun der hl. Jungfrau an. Das Beispiel Mariens und ihre Fürbitte mögen Geist und kirchliche Berufung all derer, die hier wirken, unterstützen. Die Gottesmutter möge in diesem hier geleisteten Dienst gegenwärtig sein, wie sie in der Kirche gegenwärtig ist, die als Pilgerin in dieser Welt im Dienst am Glauben unterwegs ist. Sie möge mit der Hoffnung, die nie enttäuscht, jedes hochherzige Bemühen stärken. Ihnen allen erteile ich meinen Segen. 1753 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Radikale Befreiung von der Sünde Homilie am Fest der Unbefleckten Empfängnis der seligen Jungfrau Maria am 8. Dezember 1. „Wo bist du? ich geriet in Furcht, weil ich nackt bin und versteckte mich .“(Gen 3,9-10). Die Liturgie des Festes von der Unbefleckten Empfängnis verweist uns zunächst auf das Buch Genesis. Unbefleckte Empfängnis bedeutet den Beginn des neuen Lebens in der Gnade. Sie bedeutet die radikale Befreiung der Menschen von der Sünde. Vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis an war Maria von der Erbschaft des ersten Adams befreit. Die heutige Liturgie zeigt uns vor allem Adam und den Beginn dieses Erbes, das dann zu einem Erbe der Sünde und des Todes geworden ist. Da steht also Adam vor uns, der zunächst in aller Schlichtheit Gott wandelte, nach der Sünde aber möchte er sich vor Gott verbergen: „Ich habe dich kommen hören ... und versteckte mich.“(ebd.). Tatsächlich ist die Wirklichkeit der Sünde mächtiger. Adam wurde sich dessen bewußt. Darauf gründete seine Angst und seine Scham. Vor den Augen Gottes kann sich ja nichts verbergen — weder das Gute noch das Böse. Vor den Augen Gottes konnte sich auch die Sünde des ersten Menschen nicht verbergen. 2. Auch wenn wir uns Nazareth in Galiläa zuwenden, wenden wir uns der Gegenwart Gottes zu, denn Gott ist überall und seine Gegenwart umfaßt alles. Doch in diesem Augenblick und in besonderer Weise ist Gott dort in Nazareth, im Haus der Jungfrau Maria. Bei den Worten der göttlichen Botschaft ist sie verwirrt, doch ihre Furcht ist anders als die im Buch Genesis: „Ich hörte dich kommen ... und habe mich versteckt.“ Auch Maria hört in den Worten Gabriels die Stimme Gottes, doch sucht sie, sich nicht zu verbergen. Sie geht diesen Worten in Schlichtheit und gänzlicher Hingabe entgegen. Sie geht Gott, der sie besucht, entgegen und kehrt gleichzeitig tief in sich selbst ein. „Sie überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe.“(Zi: 1,29). Die Jungfrau fragt sich und als sie mit Hilfe der Erklärung des göttlichen Boten verstanden hat, antwortet sie: „Mir geschehe, wie du gesagt hast.“(L£ 1,38). <55> <55> Die Liturgie des heutigen Festes stellt uns beide Bilder vor Augen. Wir erkennen in ihnen den grundlegenden Kontrast zwischen Sünde und Gnade. Die Entfernung von Gott und die Rückkehr zu Gott — Zurückweisung und Heil. 1754 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Es gelingt uns nicht, diesen Kontrast würdig zu beschreiben. Kein sichtbares Bild und keine vernehmbare Schilderung kann das Böse der Sünde wiedergeben, aber auch nicht die Schönheit der Gnade und das Gut der Heiligkeit. Die Liturgie führt uns daher wie die ganze Offenbarung durch das Sichtbare zum Unsichtbaren. Dies ist der Weg, auf dem der Mensch ständig demjenigen begegnen möchte, der „in unzugänglichem Licht wohnt“ ( 1 Tim 6,16). Und doch wird auf diesem Weg, den uns die Liturgie des heutigen Festes veranschaulicht, völlig der Unterschied klar zwischen dem, was im Buch Genesis im 3. Kapitel geschrieben steht, und dem, was wir im Lukasevangelium lesen. Der Unterschied wird sogar zum Gegensatz: Wir stehen vor der Vollendung jener „Feindschaft“, von der die folgenden Worte sprechen: „Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachkommen und ihren Nachwuchs.“ (Gen 3,15). Diese Worte aus dem Buch Genesis künden an, was sich in dem Evangelium erfüllt, daß jene „Frau“ vor dem göttlichen Boten steht und hört: „Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden.“ (Lk 1,35). Maria aber antwortet: „Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ (Lk 1,38). 4. Auf diese Weise läßt uns die Liturgie des heutigen Festes das Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis verstehen. Sie tut es zunächst anhand des Bildes von der Sünde am Anfang der Menschheitsgeschichte — im Bild der Erbsünde — und dann in den Worten, die die Jungfrau von Nazareth im Augenblick der Verkündigung gehört hat: „Sei gegrüßt, du Begnadete!“ {Lk 1,28). Doch die Logik der göttlichen Offenbarung, die zugleich die Logik des Wortes Gottes ist, reicht in der heutigen Liturgie weiter zurück. Im Brief des Apostel Paulus an die Epheser lesen wir: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns ... vor der Erschaffung der Welt erwählt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott.“ (vgl. Eph 1,3 f.). Wenn wir uns daher dem Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis Mariens nähern wollen, müssen wir die Schwelle der Erbsünde, von der wir im Buch Genesis lesen, überschreiten. Mehr noch: Wir müssen die Schwelle der Menschheitsgeschichte überschreiten und darüber hinausgelangen. Wir müssen uns vor den Anfang aller Zeit, „vor die Erschaffung der Welt“ versetzt fühlen und in die unerforschliche „Sphäre“ Gottes selber eintreten, gewissermaßen in die „reine Dimension der Erwählung von Ewigkeit her“, von der wir alle in Jesus Christus, dem ewigen Sohn und Wort, das in der Fülle der Zeit Fleisch wurde, umfangen sind. 1755 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Eine Gemeinschaft in Liebe, Gerechtigkeit und Freiheit bilden Ansprache beim Besuch des argentinischen Staatspräsidenten Raul Alfonsfn im Vatikan am 11. Dezember 1. Mit lebhafter Genugtuung heiße ich heute morgen den Inhaber des höchsten öffentlichen Amtes in Argentinien sowie die Persönlichkeiten in seiner Begleitung willkommen. Bei dieser Begegnung erinnere ich mich an die beiden Gelegenheiten, bei denen ich argentinischen Boden betreten durfte. Zum ersten Mal im Juni 1982, als ich als Botschafter des Friedens zu einem in der Geschichte des Landes besonders schwierigen Augenblick zugegen sein wollte. Der zweite Besuch — in diesem zu Ende gehenden Jahr — bot mir die Möglichkeit der Begegnung mit den mir so lieben Menschen des ganzen Landes; diese Erinnerung steht mir noch lebhaft vor Augen. Es waren Tage reichen geistlichen und menschlichen Erlebens, die gemeinsam in tieferlebten Feiern des Glaubens und der Hoffnung begangen wurden; in jenen Tagen brachten die Argentinier ihr tiefes religiöses Empfinden zum Ausdruck, das in einem Ruf nach Frieden und Gerechtigkeit aus ihren Herzen strömte. Dieser Besuch war eine Dankwallfahrt zum Herrn für das Geschenk des Friedens, der wiederhergestellt und gesichert wurde zwischen den beiden Bruder-Nationen Argentinien und Chile, deren Beziehungen ernstlich gestört waren durch den Streit um das Gebiet im Süden. Die Menschen in beiden Ländern, die mich in jenen Tagen während meiner Pilgerfahrt kreuz und quer im amerikanischen „Cono Sur“ begleitet haben, waren beredte Zeugen des festen Willens, den Frieden zu bewahren, der die beiden Völker beseelt und Gestalt annahm im geltenden Friedens- und Freundschaftsvertrag. 2. Zudem hatte in Argentinien schon der Prozeß der vollständigen Wiederherstellung der demokratischen Institutionen begonnen, der — ich hatte Gelegenheit, dies bei meiner Begegnung mit den Repräsentanten des politischen Lebens zu unterstreichen — „einen besonders günstigen Augenblick dafür darstellt, daß die Argentinier sich immer mehr der Tatsache bewußt werden, daß sie alle zu verantwortlicher Beteiligung am öffentlichen Leben aufgerufen sind, jeder einzelne an seinem Platz“ (Nr. 3). Die Bischöfe Argentiniens haben ihrerseits in pastoraler Sorge unablässig — in ihrem Zuständigkeitsbereich — zu solidarischem und gemeinsamem Bemühen ermutigt zur Über- 1756 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Windung der Schwierigkeiten, die dem Willen entgegenstehen, eine Gemeinschaft zu bilden, die zur Grundlage hat die Suche nach Wahrheit, die Liebe und die Gerechtigkeit sowie die Berufung zur Freiheit. In einem kürzlich veröffentlichen Dokument bekräftigen die Bischöfe: „Wir müssen anerkennen, daß der Rechtsstaat hier bei uns, den man weiterentwickeln muß, einer größeren Wertschätzung für die Freiheit forderlich ist, einem größeren Respekt vor der legitimen Autorität, einer tatsächlichen Beteiligung auf verschiedenen Ebenen, der Möglichkeit zu einer echten Modernisierung und einem solidarischen Verhalten in einer Nation, die endgültige Wege zur Versöhnung sucht, ohne diese schon gefunden zu haben.“ 3. Die Zukunft stellt gewiß eine große Herausforderung dar für die kreativen Fähigkeiten der Argentinier und ihren Willen zur Verständigung. Deshalb ist es um so notwendiger, daß sie mit „neuen Augen“ — inspiriert durch die moralischen Werte, die ihr geschichtliches Werden geprägt haben — ihre eigenen Wurzeln erkennen und auf ihrem Weg offen für die Hoffnung voranschreiten. Diese Hoffnung gewinnt noch mehr Festigkeit, wenn wir die bereits erreichten Ziele auf dem Hintergrund der historischen Vergangenheit der Republik sehen. In der Tat ließ sich Argentinien seit seiner Entstehung leiten vom entschlossenen Willen, alle Immigranten aufzunehmen. Die Vorfahren der heutigen Argentinier schufen ein großes und großzügiges Land, in dem jeder Bürger eine menschenwürdige Existenz finden konnte. Dazu leitete sie die Hoffnung, eine blühende und gerechte nationale Gemeinschaft zu schaffen — gegründet auf Gott, „Quelle aller Vernunft und Gerechtigkeit“ {Präambel der Verfassung). 4. Heute ist besonders notwendig ein gemeinsames Bewußtsein, das sich auf diese Prinzipien gründet. In der Tat, die Welt der Gegenwart — durchzogen von so vielen Spannungen und Ungleichgewichten — ist auf der Suche nach der Verwirklichung von Modellen gesellschaftlichen Zusammenlebens, von festen und bewährten Prinzipien, die die Menschheitsfamilie in Einheit zusammenzuhalten vermögen. Auf nationaler Ebene bemühte sich Argentinien von Anfang an, dieses Zusammenleben von Rassen und Völkern Wirklichkeit werden zu lassen; möge seine ursprüngliche Idee daher noch volle Aktualität besitzen und die Mitwirkung aller bei den gemeinsamen Bemühungen lohnen, alles in ihrer Macht Stehende dazu beizutragen, auch in unseren Tagen die Erfahrung von Bürgersinn Frucht tragen zu lassen, die im vergangenen Jahrhundert ihren Anfang nahm. Wir sind uns darüber im Klaren, daß diese so große Aufgabe eine Zeit voller Probleme durchmacht. Deshalb ist ein großes soziales Verantwortungsbe- 1757 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN wußtsein auf allen Ebenen notwendig; es ist unabdingbar, daß dies ein jeder erkennt und für das Gemeinwohl des ganzen Landes arbeitet. 5. So war es mein Wunsch, mich jüngst während meiner Apostolischen Reise wiederholt zur Versöhnung der Argentinier zu äußern. Dazu veranlaßte mich die Überzeugung, daß man gemeinsame Punkte der Verständigung und des Konsenses suchen muß, um die Differenzen zu überwinden. Für Ihren Teil begleitet und inspiriert die Kirche in Argentinien — aufgrund der ihr eigenen Sendung — diesen Prozeß der Annäherung und Brüderlichkeit auf allen Ebenen. Man darf nicht vergessen, daß viele Probleme, die das soziale Leben (einschließlich des politischen) betreffen, im Grunde mit der moralischen Ordnung zu tun haben. Deshalb gibt die Kirche mit ihrem evangelisierenden und erzieherischen Wirken den Beziehungen der Menschen untereinander ihre Würde, fordert das Zusammenleben der Bürger in der Gesellschaft und gibt Richtlinien für ein Leben in Freiheit im Rahmen von Gerechtigkeit und wechselseitigem Respekt. Zum Schluß möchte ich daraufhinweisen, daß dieser schwierigen Aufgabe, Werte zu bilden, eine verbreitete säkularistische Haltung entgegensteht, die den Menschen dazu führt, sich ausschließlich auf sich selbst zu beziehen und seine transzendente Dimension zu vergessen. So entsteht eine unbestreitbare Gleichgültigkeit — sowohl im Hinblick auf das Gemeinwohl, was ich zuvor betont habe, wie auch gegenüber der geschichtlichen und fortdauernden Identität eines Volkes. Logische Konsequenz ist die Verdunkelung jener ursprünglichen Grundlage gemeinsamer Werte; dadurch wird die Zukunft unsicher, und es wird schwierig, gemeinsame Ziele vorzugeben, die die Beteiligung aller zu wecken vermögen. Herr Präsident, am Ende dieser Begegnung möchte ich erneut meinem lebhaft empfundenen Dank für ihren Besuch Ausdruck geben; in ihrer Person ehre ich ganz Argentinien, und bitte Gott, seine Gaben über allen Bürgern in reichem Maße zu verteilen, besonders aber Weisheit und Klugheit, damit sie einem Heute Gestalt zu geben vermögen, das auf die Zukunft gerichtet ist — zum Wohl aller Menschen. 1758 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Maria ist Sitz der Weisheit Predigt bei der Eucharistiefeier für römische Studenten am 15. Dezember 1. „Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brust dich genährt hat“ (Lk 11,27). So hat „eine Frau aus der Menge“ gerufen, weil sie ihre Bewunderung für alles zum Ausdruck bringen wollte, was Jesus tat und lehrte. In den Worten der Frau überträgt sich die Bewunderung für den Sohn auf die Mutter. Die Frau ist sich besonders bewußt, daß Mensch sein, „Menschensohn“ — wie Jesus gewöhnlich von sich sagte — bedeutet, von einer Frau, von einer Mutter geboren sein. Wir sind uns alle dessen bewußt, doch diese „Frau aus der Menge“ ist es, wie jede Frau, in besonderer Weise. Die Seligpreisungen des Menschensohnes! Die Seligpreisung der Mutter im Sohn! 2. Diese „Frau aus der Menge“ weiß vielleicht nicht, daß sie beim Aussprechen dieser Worte die prophetische Ankündigung Marias im Magnifikat erfüllt: „Von nun an preisen mich selig alle Geschlechter“ (Lk 1,48). Die „Frau aus der Menge“, deren Ausruf im Lukasevangelium festgehalten wird, gehört zur ersten Generation derer, die die Mutter des Erlösers „selig“ genannt haben. <56> <56> Seither sind zahlreiche Generationen mit der gleichen Seligpreisung auf den Lippen und im Herzen vorübergegangen. Zum christlichen Gebet gehört der Gruß des Engels bei der Verkündigung, ferner der Gruß Elisabeths bei der Heimsuchung: „Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes“ (Lk 1,42). Dieses am meisten marianische Gebet unter allen, die wir verrichten, ist zugleich tief christozentrisch. Maria ist um ihres Sohnes willen gesegnet. Gerade in ihm hat uns der ewige Vater gesegnet mit allem geistlichen Segen (vgl. Eph 1,3): — uns alle, alle Menschen und in einem bestimmten Sinn alles Geschaffene; doch sie, die Mutter, wurde von ihm in besonderer Weise gesegnet; — in ihm, dem Sohn, hat der Vater „uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig ... leben“ (Eph 1,4); — uns alle hat er erwählt, doch sie, Maria, wurde in besonderer Weise erwählt. Sie ist gesegnet um ihres Sohnes willen, um des Wortes willen, das in 1759 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ihr „Fleisch angenommen hat“. Sie, die Jungfrau von Nazaret, gehört unzertrennlich zum Geheimnis der Menschwerdung, zur Wahrheit über den Gott mit uns. 4. Sie wird in diesem Geheimnis in keiner Weise „verdunkelt“ oder „aufgesogen“. Nein! Die „Frau aus der Menge“ hatte recht, wenn sie die Mutter um des Sohnes willen ehrte. Die Mutterschaft Marias bedeutet die Fülle und den Gipfel ihres fraulichen Ich und ihrer menschlichen Persönlichkeit. Wenn, nach dem Wort des Konzils, der Mensch als Person „sich selbst nur durch die aufrichtige Flingabe seiner selbst vollkommen finden kann“ (Gaudium: et spes, Nr. 24), dann gelten diese Worte in besonderer Weise von Maria. „Die aufrichtige Hingabe ihrer selbst“ trifft bei ihr mit der „Fülle der Gnade“ zusammen, wie der göttliche Bote in Nazaret verkündet. Gabriel sagt: „Sei gegrüßt, du Begnadete“ (Lk 1,28). Maria antwortet: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Durch die aufrichtige Hingabe ihrer selbst, ihres fraulichen Ich, wird Maria Mutter des ewigen Wortes. „Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brust dich genährt hat“. 5. Es ist bezeichnend, daß Jesus auf diesen Ruf „einer Frau aus der Menge“ antwortet: „Selig sind vielmehr die, die das Wort Gottes hören und es befolgen“ (Lk 11,28). Wollte er so vielleicht die Aufmerksamkeit von seiner irdischen Mutter ablenken? Vielleicht dem Anschein nach. Doch im Grund hat der Sohn Marias in seiner Antwort noch deutlicher erklärt, warum sie gesegnet ist. Warum ihre menschliche Mutterschaft gesegnet ist. Denn das Wort über „jene, die das Wort Gottes hören und es befolgen“, gilt ja erst recht von ihr, von Maria. Ist nicht ihre Mutterschaft die Frucht gerade ihres Hörens auf das Wort Gottes? Die Frucht seiner vollen Befolgung? Und sagt nicht der Evangelist von ihr: „Sie bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen?“ (Lk 2,51). Maria — Virgo audiens, die hörende Jungfrau. Maria — Höhepunkt der Empfänglichkeit für das Wort und den Geist, der sich im Wort als Liebe und Gabe ausdrückt. 6. Auf die Worte der „Frau aus der Menge“ antwortet Jesus in der Mehrzahl: „Selig ... die, die das Wort Gottes hören und es befolgen.“ Jesus bestätigt die an seine Mutter gerichtete Seligpreisung. Er stellt Maria in einem gewissen Sinn in die Gemeinschaft, mitten unter uns, die wir durch das 1760 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Hören des Wortes Gottes Gemeinschaft werden; mitten unter das Volk Gottes, die Kirche. Das n. Vatikanische Konzil ist der in dieser Antwort enthaltenen Empfehlung gefolgt. Das Hauptdokument des konziliaren Lehramtes, die Konstitution Lumen gentium, stellt Maria als im Geheimnis Christi und der Kirche präsent dar. In der gleichen Richtung ist auch die Enzyklika Redemptoris Mater geschrieben. Sie möchte die Art und Weise, das derzeitige Marianische Jahr zu leben, als Vorbereitung auf das Ende des zweiten und den Anfang des dritten Jahrtausends seit der Geburt Jesu hin orientieren. Leitfaden dieses Jahres sind die Worte aus Lumen gentium, die in der Enzyklika mehrfach wiederholt werden: Maria ist „der Typus der Kirche unter der Rücksicht des Glaubens, der Liebe und der vollkommenen Einheit mit Christus“ (Lumen gentium, Nr. 63). 7. Diese Worte bilden sozusagen eine Aktualisierung, eine Weise, in unserer Zeit die ewige Wahrheit vom Advent gegenwärtig zu setzen. Im Geist dieser Worte begegnen wir uns auch heute, an einem Abend des Advent, im Milieu der römischen Universitäten mit den Professoren und Studenten, deren Präsenz in der Petersbasilika mir sehr willkommen ist. Mein herzlicher Gruß gilt den Rektoren der Universitäten, den lieben Professoren und ihren Mitarbeitern, sowie dem anwesenden Personal eines jeden akademischen Instituts. Einen herzlichen Gruß richte ich auch an die Studenten und Studentinnen der Universitäten, die an dieser Feier teilnehmen. Allen gilt mein Willkommen bei dieser liturgischen Begegnung, die uns wie üblich kurz vor dem Weihnachtsfest vereint. 8. Wir alle möchten diese liturgische Begegnung gemeinsam als „Weitergehen“ unserer Pilgerfahrt unter der Führung der Jungfrau von Nazaret erleben. Um die Liturgiefeier noch besser auf die hier Versammelten abzustimmen, schauen wir auf die Mutter Gottes als j ene, die die Kirche „Sitz der Weisheit4 4 nennt. 9. Der Begriff der Weisheit ist für uns besonders beredt. Die Liebhaber der Wissenschaft wurden doch einst als „Freunde der Weisheit (philo—sophoi) bezeichnet, und diese Definition liegt unserer ganzen Kultur und Zivilisation zugrunde. Es ist freilich zu bemerken, daß die bedeutendsten Philosophen (wie z. B. Aristoteles der Stagyrite) zwischen Wissen und Weisheit unterschieden haben. Das Wissen befaßt sich mit den Objekten der Natur, die vom Verstand durch die Sinne erkannt werden: es betrachtet die sichtbare Welt. 1761 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Weisheit aber erfaßt die letzten Gründe aller Dinge. Sie gibt Antwort auf die Frage nach der ersten Ursache und dem letzten Ziel. So gestattet dem Menschen die Weisheit, sich selber innerhalb des gesamten Universums bis auf den Grund zu definieren. Sie gestattet ihm ferner, den grundlegenden Sinn seiner Existenz herauszufinden. 10. Diese uralte Unterscheidung gilt für die gesamte Lehre von der Erkenntnis, auch für die Philosophie vom Sein, die Metaphysik. Sie wurde vom christlichen Denken aufgegriffen und im Licht der biblischen Offenbarung vertieft. Die Unterscheidung bleibt zu allen Zeiten aktuell. Doch für unsere Zeit muß man festhalten, daß zwar ein gigantischer Fortschritt im Bereich des Wissens erzielt wurde, im Bereich der Weisheit dagegen geschah eine erhebliche Trübung. Darauf bezieht sich die bezeichnende Aussage des Konzils in der Konstitution Gaudium et spes: „In unserer Zeit hat (der Mensch) mit ungewöhnlichem Erfolg besonders die materielle Welt erforscht und sich dienstbar gemacht. Immer jedoch suchte und fand er eine tiefe Wahrheit... Unsere Zeit braucht mehr als die vergangenen Jahrhunderte diese Wahrheit, damit humaner wird, was Neues vom Menschen entdeckt wird. Es gerät nämlich das künftige Geschick der Welt in Gefahr, wenn nicht weisere Menschen entstehen“ {Gaudium et spes, Nr. 15). Daher lebt der heutige Mensch oft ohne einen bestimmten Horizont. Manchmal erfahrt er sogar spürbar das Fehlen einer Antwort auf die Frage nach dem grundlegenden Sinn des Lebens. Unsere heutige Begegnung im Advent möchte auf diese Situation des heutigen Menschen Bezug nehmen, und gerade deswegen scharen wir uns um Maria, die die Kirche unter dem Titel „Sitz der Weisheit“ anruft. 11. Die Weisheit, von der Aristoteles gesprochen hat, ist nicht die gleiche wie die, welche die Liturgie heute verkündet, zumal in der ersten Lesung. Das Buch Jesus Sirach enthält die offenbarte Wahrheit über die Weisheit. Was der griechische Philosoph gelehrt hat, ist nicht das Gleiche wie die Wahrheit der Offenbarung, steht aber zu ihr nicht im Gegensatz. Es bildet gewissermaßen ein menschliches Korrelat zu dieser göttlichen Wahrheit. Man kann auch sagen, es ist ein Zugehen auf sie. „Kommt zu mir, die ihr mich begehrt, sättigt euch an meinen Früchten! ... Mein Andenken reicht bis zu den fernsten Generationen... Wer auf mich hört, wird nicht zuschanden, wer mir dient, fallt nicht in Sünde. Wer mich ans Licht hebt, hat ewiges Leben“ (Sir 24,19-20.22). 1762 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 12. Wenn man diese Worte hört, kann man kaum die Überzeugung zurückweisen, daß die Weisheit hier personifiziert wird. Diese Weisheit ist zugleich eine Eigenschaft und ein Subjekt. Sie ist eine Eigenschaft Gottes und zugleich mit ihm identisch. Sie ist Gott und hat personalen Charakter. Und in dieser Gestalt als Person äußert die Weisheit den Wunsch, zum Menschen zu kommen, zu den Söhnen und Töchtern Israels hinabzusteigen, um sich ihnen direkter mitteilen zu können: „Kommt her ... eßt... trinkt...“ Man meint, sich schon im Vorhof des Evangeliums zu befinden. Im Alten Testament liegt nämlich noch ein Schleier über dem ewigen Geheimnis Gottes. Doch der Schleier wird fortgenommen, und der Evangelist Johannes wird wie ein letztes Echo dieser Weisheitsliteratur einfach schreiben: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott... Alles ist durch das Wort geworden... In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen“ (Joh 1,14). Endlich: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt ... und wir haben ... gesehen ...“ (Joh 1,14). 13. „Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brust dich genährt hat!“ Im Zusammenhang der heutigen Liturgie wird uns klar, warum die Kirche Maria „Sitz der Weisheit“ nennt. Die Weisheit ist in ihr „Fleisch geworden“: „Du wirst empfangen ... und gebären“ (Lk 1,31). Für uns, die wir hier versammelt sind, für uns, deren Berufung im Leben mit der Förderung der Wissenschaft verbunden ist, mit der Kenntnis all ihrer vielen heutigen Spezialgebiete, — für uns, die wir zugleich zur Weisheit berufen sind, die letzten Gründe suchen und uns ständig nach dem tiefen Sinn der Wissenschaften fragen, — für uns enthält die heutige Liturgie die Antwort: Die Weisheit ist Person. Sie ist das Wort und der Sohn. Sie ist auch der Sohn der Jungfrau. Maria ist als Mutter des Wortes der Sitz dieser Weisheit. 14. Und diese Weisheit spricht in Maria und durch Maria: „Kommt alle zu mir ... sättigt euch an meinen Früchten“ ... eßt... trinkt. „Wer auf mich hört, der wird nicht enttäuscht, und wer meine Werke tut, sündigt nicht.“ „Heilige, Herr, diese Gaben, die wir zum Altar bringen, und auf die Fürsprache der seligen Jungfrau Maria mach unsere Herzen zu einer würdigen Wohnung für deine Weisheit. Durch Christus, unseren Herrn.“ (Gabengebet). 1763 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Regel im vollständigen Gehalt befolgen Ansprache an das Generalkapitel der Mönche und Nonnen des Trappistenordens am 17. Dezember 1. Sehr gern entspreche ich eurem Wunsch, die ihr dem Nachfolger des Petrus als Söhne und Töchter eure Liebe und treue Anhänglichkeit bezeigen wollt, und empfange euch heute, liebe Brüder und Schwestern des Zisterzienserordens der strengen Observanz bei der außergewöhnlichen Gelegenheit eurer zur gleichen Zeit stattfindenden beiden Generalkapitel. Besonders freue ich mich, in euch die Äbte, Äbtissinnen und berufenen Vertreter von ungefähr 150 Klöstern zu begrüßen, in denen, über die ganze Welt verbreitet, mehr als fünftausend Mönche und Nonnen vereint sind. Alle Mitglieder eurer großen Familie haben jetzt ihre Augen auf euch gerichtet und sind mit dem Herzen bei euch. Sie erwarten von euch Entscheidungen, die ihnen helfen, ihre herrliche Berufung, die ihnen zuteil geworden ist, in immer größerer Glaubwürdigkeit zu leben. Das Zweite Vatikanische Konzil legt ja im Dekret Perfectae caritatis Nachdruck auf die hervorragende Stelle, die das vollständig kontemplative Leben im Mystischen Leib Christi einnimmt. Die Mitglieder dieser Gemeinschaften „bringen Gott ein erhabenes Lobopfer dar und schenken dem Volk Gottes durch überreiche Früchte der Heiligkeit Licht, eifern es durch ihr Beispiel an und lassen es in geheimnisvoller apostolischer Fruchtbarkeit wachsen. So sind sie eine Zier der Kirche und verströmen himmlische Gnaden“ (Nr. 7). 2. Mönche und Nonnen, das regelmäßige, beharrliche Gebet ist die Mitte eures kontemplativen Lebens, Ausdruck eurer Liebe zu Gott und den Menschen. In Schweigen und Einsamkeit lebt ihr es in Klöstern, die ihr nur selten verlaßt, geschützt durch die Disziplin der Klausur, zu der ihr euch frei entschieden habt wegen des großen geistlichen Vorteils, den sie verschafft. Ihr nehmt freudig eine große Lebensstrenge auf euch, denn sie ist eine mächtige Hilfe, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, und sie verbindet euch inniger mit Christus. Zisterzienser der strengen Observanz, ihr alle, die ihr dem hl. Bernhard folgt, bemüht euch, die Benediktinerregel in ihrem vollständigen Gehalt zu befolgen. Ihr sucht Gott in der Nachfolge Christi, unter Führung der Obern, gemäß der Charta Caritatis, die, von der Kirche ordnungsgemäß bestätigt, die Einzelheiten eures Lebens bestimmt. Söhne und Töchter des hl. Benedikt, ihr seid überzeugt davon, daß nichts dem Werk Gottes vorgezogen werden darf. Durch die Feier des göttlichen Offizi- 1764 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ums bringt ihr ihm das Lobopfer dar und tretet fürbittend für die Welt ein. Die lectio divina aber ist durch die Meditation des Wortes Gottes für euch Quelle des Gebetes und Schule der Kontemplation. Die Charta Caritatis betont ferner die brüderliche Liebe, die euch verbindet. Ihr seid besorgt darum, „daß niemand im Hause Gottes beunruhigt oder betrübt werde“ (hl. Benedikt), und daß jedes Kloster ein Ort sei, an dem man die Erfahrung macht, daß es „gut und schön ist, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen“ (vgl. Ps 133,1). 3. Mönche und Nonnen, ihr gehört zur gleichen geistlichen Familie und teilt dasselbe geistliche Erbe, das zu bewahren eure Pflicht ist. Ihr arbeitet zusammen und helft euch gegenseitig, wobei ihr die jeweiligen Eigengesetzlichkeiten und die von der Kirche getroffenen Bestimmungen berücksichtigt. In diesem Geist hat der Heilige Stuhl in Treue zu dem, was das Konzil über die Stellung der Frau in der heutigen Welt lehrt, von 1970 an, dem weiblichen Zweig eures Ordens gestattet, sein eigenes Generalkapitel zu haben, um die Fragen zu behandeln, die ihn im besonderen betreffen, und vor allem, um seine eigene Gesetzgebung zu erarbeiten und abzufassen. Seit einigen Jahren habt ihr, den Bestimmungen des Motu proprio Ecclesiae sanctae entsprechend, beiderseits daran gearbeitet, die Entwürfe zu euren Konstitutionen soweit fertigzustellen, daß ihr sie dem Heiligen Stuhl zur Approbation vorlegen könnt. Als diese Aufgabe zum Abschluß kam, habt ihr die Initiative ergriffen, eure beiden Generalkapitel nach Rom einzuberufen, und zwar in getrennten Sessionen, aber mit Kontaktmöglichkeiten, um die letzten Klarstellungen der für die beiden Zweige grundlegenden Elemente zu erleichtern. Ich hoffe mit euch, daß die in dieser Weise niedergelegten Entwürfe, den erforderlichen Bedingungen entsprechend, dann als Normen für das Leben sowohl der Mönche wie der Nonnen dienen können. 4. Ihr beendet eure Arbeiten im Advent, in einem Augenblick, in dem die Kirche sich auf unmittelbare Weise darauf vorbereitet, den Erlöser aufzunehmen. Diese Zeit ist ganz von der Gegenwart Marias, Mutter Gottes und strahlenden Bildes der Kirche, erfüllt, die der hl. Bernhard glühend und kindlich verehrte. Diese Frömmigkeit hat sich vollständig im Erbe eures Ordens erhalten. Ich bitte euch, allen euren Brüdern und Schwestern in euren Klöstern, besonders den Kranken und Schwachen, meinen Gruß, meine herzliche Ermunterung und meinen Segen zu bringen. Ich bitte die Jungfrau Maria, euch in eurem Christus und der Kirche geweihten Leben zu führen und beizustehen. Ich segne euch im Namen des Herrn. 1765 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ein immergrüner Baum der Zuversicht Ansprache an die Delegation, die dem Papst einen 28 Meter hohen Tannenbaum als Geschenk Kärntens überbrachte, am 19. Dezember Durch den Weihnachtsbaum, den Sie aus Ihrer Heimat in Kärnten hierher zum Vatikan gebracht haben, fühlen wir uns alle reich beschenkt. Schon seit einigen Tagen ragt dieser prächtige Nadelbaum auf dem Petersplatz in den römischen Himmel. Unter staunender Anteilnahme vieler Passanten ist er von fleißigen Händen festlich geschmückt worden. Nun bildet er zusammen mit dem ehrwürdigen Obelisken aus Ägypten und der Kuppel der Peterskirche einen wundersamen Dreiklang. Auf der Spitze des Baumes funkelt ein Stern, ebenso auf dem Obelisken: Es ist der „Stern der Hoffnung“, das Licht der Frohen Botschaft von unserem Heil. Auf der Spitze des Obelisken ragt das siegreiche Kreuz Christi empor, das sich auch hoch über der Kuppel des Michelangelo wiederfindet. Ein gutgewachsener Baum war wohl zu allen Zeiten für den Menschen ein Lebewesen mit dichter Symbolsprache. In vieler Hinsicht überragt er das kleine Menschenwesen: Tief am Boden verwurzelt, wächst er hoch hinauf dem Himmel entgegen. Sein Lebensrhythmus umfaßt mehrere Menschenalter. Und für den auf die Natur angewiesenen Menschen ist er bis heute eine Quelle vielfältiger Güter zum Überleben gewesen. In den Ländern Mittel- und Nordeuropas, wo alle Laubbäume im stürmischen Herbst ihr Blätterkleid verlieren und im kalten Winter dunkel und fast wie tot dastehen, hat der Nadelbaum eine besondere Symbolkraft erhalten: Er trägt sein grünes Kleid auch unter Schnee und Eis, in Sturm und Kälte — ein eindrucksvolles Zeichen der Hoffnung, daß uns die belebende Sonne bald wieder ihre wärmenden Strahlen zusendet. Einen solchen immergrünen Baum der Zuversicht und frohen Erwartung haben Sie uns gebracht; nun steht er bereit, um die große Weihnachtskrippe an seiner Seite zu behüten und dabei mitzuhelfen, daß die vielen, vielen Besucher des Petersplatzes die hohe Bedeutung der heiligen Menschwerdung Gottes erkennen und zur wahren Festfreude gelangen. Die staunenden Augen von Kindern und Erwachsenen aus aller Welt, die in den nächsten Wochen über die glitzernden Girlanden und Kugeln hinaufgleiten bis zum leuchtenden Stern auf der Spitze, stellen wohl den schönsten Dank dar für alle, die sich um dieses besondere Weihnachtsgeschenk verdient gemacht haben. Vertreter von all diesen Menschen Ihrer Heimat in Kärnten sind hier zugegen. Sie alle möchte ich ganz herzlich grüßen; ich nenne vor allem die Vertreter der Diözese Gurk mit ihrem verdienten Bischof, die werten Vertreter des Landes 1766 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kärnten unter der Führung des stellvertretenden Landeshauptmannes sowie die Mitglieder der Chorgemeinschaften, die diese Tage noch zusätzlich mit ihren weihnachtlichen Liedern verschönen. Ihnen allen, zusammen mit ihren Helfern in der Heimat, spreche ich meinen innigen Dank aus für diesen tiefempfundenen Beitrag zum Fest der Geburt des Herrn hier in Rom. Nehmen Sie meine besten Weihnachtswünsche mit zu Ihren Familien und Gemeinden, wo allenthalben in diesen Tagen Christbäume und Krippen aufgestellt werden. Einen besonderen Gruß, verbunden mit besten Genesungswünschen, richte ich über Sie an den auf so tragische Weise erkrankten Landeshauptmann, Herrn Leopold Wagner. Mögen die kommenden Festtage bei uns allen den Glauben an Gottes barmherzige Nähe und treue Vorsehung neu beleben und bestärken, auf daß uns daraus eine tiefe, Seele und Leib durchwärmende Freude geschenkt werde. Dafür erteile ich Ihnen und allen Ihren Lieben in der Heimat von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. Begegnung in Liebe läßt Wahrheit besser erkennen Weihnachtsansprache an die Kardinäle und alle Mitarbeiter der Römischen Kurie am 22. Dezember Meine Herren Kardinäle, ehrwürdige Brüder im Bischofs- und Priesteramt, liebe Laien! 1. Aufrichtig danke ich dem Herrn Kardinaldekan für die Glückwünsche, mit denen er den Empfindungen eines jeden von euch bei dieser traditionellen und immer willkommenen Begegnung Ausdruck gegeben hat. Sie haben unsere gemeinsame Aufmerksamkeit auch auf die besondere Bedeutung gelenkt, die dieser jährlichen Gelegenheit zukommt. In der Tat treffen wir uns an der Weihnachtsvigil des Marianischen Jahres. Wenn jedes Jahr bei diesem Anlaß unsere Herzen demjenigen entgegenschlagen, der in Betlehem aus dem reinsten Schoß Marias geboren wird, und wir uns gegenseitig wünschen, dieses zentrale Ereignis der Geschichte durch die Aufnahme des fleischgewordenen Wortes in uns gebührend zu begehen, dann hat unser Treffen in diesem Marianischen Jahr einen beosnderen Charakter und gibt unserer weihnachtlichen Besinnung ein eigenes Gepräge. Das Marianische Jahr bereitet uns ja darauf vor, in diesem Advent des dritten Jahrtausends Christus entgegenzugehen, das Geheimnis seiner Menschwerdung er- 1767 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN neut zu erleben, indem wir Maria folgen, die uns auf diesem Weg des Glaubens vorangeht. Sie war die erste Dienerin des Wortes. Als Mitglieder der Römischen Kurie sind wir uns bewußt, dem Geheimnis der Menschwerdung zu dienen, von dem die Kirche als Leib ihren Ausgang genommen hat. In Maria, sagt Augustinus, „würdigte der eingeborene Sohn Gottes sich, die Verbindung mit der menschlichen Natur einzugehen, damit er, das makellose Haupt, sich mit einer makellosen Kirche vereine“ (Serm. 191,3; PL 38,1010). Von Maria wird Christus, das Haupt, geboren, dem von da an die Kirche, sein Leib, unlösbar verbunden ist. Der ganze Leib wird geboren. Und wir, die wir Diener dieses mystischen Leibes sind und täglich den eucharistischen Leib Jesu als Nahrung empfangen, bekunden in diesem Jahr tiefste Freude über die besondere Gegenwart der Mutter Gottes im Geheimnis Christi und der Kirche, in das wir in eigener Weise eingefügt sind. 2. Wie wir wissen, hat das Zweite Vatikanische Konzil eine große Synthese zwischen der Mariologie und der Ekklesiologie vollzogen. Das Marianische Jahr folgt dieser Synthese und Inspiration des Konzils, auf daß die Kirche sich vor allem durch die Anwesenheit der Gottesmutter erneuere, die, wie die Väter lehrten, Modell, Typus der Kirche ist. Das Konzil hat eine lichtvolle Interpretation dieser Anwesenheit der Jungfrau im göttlichen Heilsplan geboten: gerade als Werkzeug und Weg der Fleischwerdung des Wortes in der menschlichen Natur und seines Kommens zu uns ist Maria „mit der Kirche auf das Innigste verbunden. Die Gottesmutter ist, wie schon der heilige Ambrosius lehrte, der Typus der Kirche unter der Rücksicht des Glaubens, der Liebe der vollkommenen Einheit mit Christus“ (Lumen gentium, Nr. 63). In der Enzyklika Redemptoris Mater habe ich diesen Gedanken entwickelt und geschrieben: „Die Wirklichkeit der Menschwerdung findet gleichsam ihre Fortsetzung im Geheimnis der Kirche, des Leibes Christi. Und an die Wirklichkeit der Menschwerdung wiederum kann man nicht denken, ohne sich auf Maria, die Mutter des menschgewordenen Wortes, zu beziehen“ (Nr. 5). Maria, mit Christus verbunden; mit der Kirche verbunden. Und die Kirche findet in ihr das höchste und vollkommenste Bild ihrer eigenen Sendung, die jungfräulich und mütterlich zugleich ist. Die Väter und Lehrer der frühen Kirche haben diesen zweifachen Aspekt stark unterstrichen. Noch Augustinus sagt zum Beispiel bewundernd: „Er ist der Schönste von allen Menschen, der Sohn der heiligen Maria, der Bräutigam der heiligen Kirche, die er seiner Mutter ähnlich machte: denn er machte sie sowohl uns zur Mutter, wie er sie sich als Jungfrau bewahrte“ (Serm. 195,2; PL 38,1018). Die Jungfrau Maria ist wegen ihrer göttlichen Mutterschaft Urbild der Kirche, und wie Maria muß und will die Kirche Mutter und Jungfrau sein. Die 1768 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kirche lebt von diesem echten „marianischen Profil“, dieser marianischen Dimension, die das Konzil nach den Aussagen der Kirchenväter und der östlichen und westlichen Theologie so zusammengefaßt hat: „Die Kirche wird, in dem sie Marias geheimnisvolle Heiligkeit betrachtet, ihre Liebe nachahmt und den Willen des Vaters getreu erfüllt, durch die gläubige Annahme des Wortes Gottes auch selbst Mutter: Durch Predigt und Taufe nämlich gebiert sie die vom Heiligen Geist empfangenen und aus Gott geborenen Kinder zum neuen und unsterblichen Leben. Auch sie ist Jungfrau, da sie das Treuewort, das sie dem Bräutigam gegeben hat, unversehrt und rein bewahrt und in Nachahmung der Mutter ihres Herrn in der Kraft des Heiligen Geistes jungfräulich einen unversehrten Glauben, eine feste Hoffnung und eine aufrichtige Liebe bewahrt!“ {Lumen gentium, Nr. 64). Als Mutter des Wortes geht Maria dem pilgernden Gottesvolk voran 3. Dieses marianische Profil ist ebenso — wenn nicht noch mehr — grundlegend und charakteristisch für die Kirche wie das apostolische und von Petrus geprägte Profil, mit dem es zutiefst verbunden ist. Auch unter diesem Aspekt der Kirche geht Maria dem pilgernden Gottesvolk voran. Maria ist diejenige, die, dazu bestimmt, Mutter des Wortes zu sein, beständig und vollständig in der Sphäre der göttlichen Gnade lebte und unter ihrem belebenden Einfluß blieb. Sie war Spiegel und Transparenz des Lebens Gottes selbst. Als Makellose, Gnadenvolle wurde sie von Gott für die Menschwerdung des Wortes vorbereitet, und stand ununterbrochen unter dem Wirken des Heiligen Geistes. Sie war das „Ja“, war im Vollsinn das „Mir geschehe“ dem gegenüber, der sie „vor Erschaffung der Welt“ erwählt hatte (Eph 1,4). Sie ist es in Gelehrigkeit, in Demut, im Antworten auf die leisesten Anregungen der Gnade geblieben, und wir können wohl sagen, daß sie so im doppelten Sinn Mutter geworden ist durch die volle Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes: „Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter“ (vgl. Mk 3,35). Die göttliche Mutterschaft, das einzigartige und höchste Privileg derer, die immer Jungfrau blieb, muß in dieser Perspektive als erhabenste Krönung der Treue Marias gegenüber der Gnade gesehen werden. Die marianische Dimension der Kirche ergibt sich aus der Ähnlichkeit der Aufgaben gegenüber dem ganzen Christus. Darauf nämlich läßt sich in besonderer Weise das Wort Jesu anwenden: „Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter“ (ebd.). Auch die Kirche lebt, wie Maria, in der Gnade, fügsam gegenüber dem Heiligen Geist, in dessen Licht sie die Zeichen und Erfordernisse der Zeit deutet, und in voller Gelehrigkeit 1769 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gegenüber der Stimme des Geistes schreitet sie auf dem Weg des Glaubens voran. In diesem Sinn geht die marianische Dimension der Kirche der Petrusdimension voraus, wenn sie mit dieser auch eng verbunden ist und sie ergänzt. Maria, die Makellose, hat den Vortritt vor jedem anderen, selbstverständlich auch vor Petrus und den Aposteln: nicht nur, weil Petrus und die Apostel der unter der Sünde geborenen Menge des Menschengeschlechts entstammen und zur Kirche gehören, die „aus Sündern geheiligt ist“, sondern auch, weil ihr dreifaches Amt auf nichts anderes abzielt als darauf, die Kirche nach jenem Ideal der Heiligkeit zu formen, das in Maria bereits vorgeformt und vorgestaltet ist. Ein zeitgenössischer Theologe hat es gut ausgedrückt, wenn er sagt: „Maria ist,Königin der Apostel, ohne apostolische Vollmachten für sich in Anspruch zu nehmen. Sie hat anderes und mehr“ (H. U. von Balthasar, Neue Klarstellungen, Einsiedeln 1979, S. 114). Von einzigartiger Bedeutung ist unter diesem Gesichtspunkt die Anwesenheit Marias im Abendmahlssaal, wo sie die Apostel in ihrem Gebet unterstützt, indem sie mit ihnen und für sie in Erwartung des Heiligen Geistes betet. Dieses Band zwischen den beiden Charakterisierungen der Kirche, nämlich dem marianischen und dem Petrusprofil, ist also eng, tief und komplementär, wenn auch das erstere dem anderen sowohl im Plan Gottes wie der Zeit nach vorausgeht, höher ist und den Vorrang hat und reicher ist an persönlichen und gemeinschaftsbezogenen Implikationen für die einzelnen kirchlichen Berufungen. In diesem Licht lebt die römische Kurie, sie muß darin leben, wir alle müssen darin leben. Gewiß, die Kurie steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Petrusprofil. Ihrer Eigenart, ihrer Konstitution und ihrer Sendung nach ist sie zu seinem Dienst bestimmt. Die Kurie dient dem Leib der Kirche, und, sozusagen an den Scheitelpunkt gestellt, bietet sie dem Nachfolger des Petrus in seinem Dienst an den einzelnen Kirchen ihre Mitarbeit an. Und darum ist es in diesem Dienst am meisten und unumgänglich notwendig, die marianische Dimension ihres Dienstes an Petrus zu bewahren und zu stärken. Maria geht auch uns allen voran, die wir in der Kurie dem Geheimnis des menschgewordenen Wortes dienen, wie sie der ganzen Kirche vorangeht, für die wir leben. Möge sie uns helfen, diesen Reichtum, der für uns, ich möchte sagen, lebensnotwendig und entscheidend ist, immer besser zu entdecken und immer glaubwürdiger zu leben. Möge sie uns helfen, uns bewußt in diese Symbiose zwischen der marianischen und der apostolisch petrinischen Dimension einzufügen, aus der die Kirche täglich Orientierung und Rückhalt empfangt. Die Aufmerksamkeit Marias und ihrem Beispiel gegenüber führe zu ein wenig mehr Liebe, feiner Aufmerksamkeit und Gelehrigkeit gegenüber der Stimme 1770 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN des Heiligen Geistes, damit die innere Hingabe eines jeden von uns im Dienst des Petrusamtes noch zunehme. 4. Im Licht der Leitidee des Marianischen Jahres, die die Lehre des Zweiten Vatikanums in der Darstellung Marias als Führerin des pilgernden Gottesvolkes auf seinem Glaubensweg fortsetzt, möchte ich jetzt bei einigen besonders hervortretenden Ereignissen des zu Ende gehenden Jahres verweilen, nämlich bei der Bischofssynode, den zahlreichen Selig- und Heiligsprechungen und dem Besuch des Ökumenischen Patriarchen Dimitrios I. von Konstantinopel. Die Bischofssynode hat das Gesamtbild der Kirche gezeigt Vor allem die Bischofssynode: Zwei Monate nach dem Abschluß der Arbeiten sehen wir immer klarer, daß sich aus den Beiträgen und Arbeiten der Synodenväter das Gesamtbild der Kirche ergeben hat: wie sie lebt, wie sie arbeitet, wie sie betet, wie sie leidet, wie sie kämpft, wie sie Christus nachfolgt. Die Synode hat wirklich das Bild dieses auf Erden pilgernden Volkes dargeboten und darum auch jenes Teils des Gottesvolkes, den die Laien in dem ihnen eigenen, kennzeichnenden Bereich darstellen. Auf diesem Pilgerweg ist es noch immer die Muttergottes, die ihren Kindern vorangeht bei ihrer Aufgabe, „in der Verwaltung und gottgemäßen Regelung der zeitlichen Dinge das Reich Gottes zu suchen“ im Geist der Seligpreisungen {Lumen gentium, Nr. 31). Die marianische Präsenz in der Sendung der Laien, auf ihrem Glaubensweg, ist die Linie, die jenes Große Ereignis bestimmt und erläutert. Je größer der Abstand von der Synode im vergangenen Oktober wird, um so besser läßt sich ihr positives Resultat feststellen, nicht nur insofern sie die Lehre der großen Dokumente des Zweiten Vatikanums bestätigt hat, sondern auch, weil sie die Ekklesiologie der Gemeinschaft als notwendigen Kontext betonte, um die Rolle der Laien in der Kirche zum Heil der Welt einzuordnen. Zu diesem Ergebnis hat die Mitarbeit der Laien selbst wirksam beigetragen, sei es, weil jeder der Synodenväter ihre Stimme vertrat, sei es, weil die Laien, Männer und Frauen, durch ihre bemerkenswerte und qualifizierte Vertretung bei der Synode aktiven Beitrag leisteten, in den Vollversammlungen sprachen und in den „circuli minores“ intensiv zusammenarbeiteten. So kam ein wirklich universales Bild der verschiedenen Wirklichkeiten zustande, die die wahre Gestalt der Kirche von heute darstellen. Wie bei den vorausgegangenen Synoden wird es meine Pflicht sein, den Hinweisen, die sich in diesen unvergeßlichen Tagen ergeben haben, Folge zu leisten. Einstweilen unterstreiche ich bei unserer heutigen Begegnung mit Freude, daß dieser Reichtum und diese Vielfalt der Ergebnisse das Zeichen dafür sind, 1771 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN daß die Kirche wirklich offen ist für die Stimme des Geistes, unterwegs auf dem Weg des Glaubens und der Liebe und immer mehr ihrer Verantwortlichkeit vor Gott und vor der Welt bewußt. Maria ist auf diesem Weg der Laien anwesend, um sie zu führen, wie sie uns alle dem Kommen Christi entgegenfuhrt. 5. Das Zweite Vatikanum hat die Gottesmutter ferner als diejenige gezeigt, in der die Kirche bereits ihr Endziel erreicht hat: „Im Himmel schon mit Leib und Seele verherrlicht, (ist sie) Bild und Anfang der in der kommenden Weltzeit zu vollendenden Kirche“ (Lumen gentium, Nr. 68). Diese Aussage faßt zusammen, was die dogmatische Konstitution über die Kirche bereits erklärt hatte, als sie den „endzeitlichen Charakter der pilgernden Kirche und ihre Einheit mit der himmlischen Kirche“ (vgl. Nr. 7) und „die allgemeine Berufung zur Heiligkeit in der Kirche“ (Nr. 5) behandelte. In der „Fülle der Zeit“ stellt Maria in der Gnade ihrer unbefleckten Empfängnis in sich den Heilsplan Gottes wieder her, den die Sünde zerrüttet hatte, und mit ihrem heiligsten Leib — Arche des neuen und ewigen Bundes — in den Himmel aufgenommen, herrscht sie schon mit Christus in der seelisch-leiblichen Einheit ihrer Person. Sie ist also nach Christus, dem „Erstgeborenen der Toten“ (Offb 1,5; vgl. Kol 1,18), diejenige, die der Kirche auf dem Weg zur endzeitlichen Vollendung der Heiligkeit vorangeht, und die sie in dieser Fülle ohne Ende erwartet. Bei ihr aber befinden sich, in Erwartung der Auferstehung, schon alle jene, die nach dem Urteil der Kirche schon im Himmel sind. Sie haben in sich selbst den Plan Gottes verwirklicht und den „Erfolg“ jeder menschlichen Existenz erreicht: das Erlangen der innigsten Verbundenheit mit Christus (vgl. Lumen gentium, Nr. 49). Die Heiligen und Seligen zeigen die auch heute noch aktuelle Berufung der Kirche zur Heiligkeit Den Gedanken in diesem Marianischen Jahr zur Königin aller Heiligen erhoben, erinnere ich nun an die zwei Heiligsprechungen und die elf Seligsprechungen, die, 1987 in so großer Zahl, vielleicht in außergewöhnlicherer Weise als sonst gezeigt haben, wie real, wahr und aktuell die allgemeine Berufung der Kirche zur Heiligkeit ist, wobei die ethnische und berufliche Pluralität gut sichtbar wurde. Ja, die neuen Heiligen und Seligen gehören verschiedenen Berufungen im Gottesvolk an: unter ihnen sind Kardinäle, wie Marcello Spinola y Maestre (28.3.) und Andrea Carlo Ferrari (10.5.); Bischöfe wie Michael Kozal (14.6.) 1772 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und Jurgis Matulaitis (28.6.); Priester und Ordensmänner, wie Manuel Domingo y Sol (29.3.), Rupert Mayer (3.5.), Pierre-Francois Jamet (10.5.) und Jules Amould Reche (1.11.); Laien, Männer und Frauen, wie Lorenzo Ruiz (18.10.), Giuseppe Moscati (25.10.) und viele andere aus allen Berufen und Handwerken, auch den bescheidendsten; ein Zeugnis, das in verschiedensten Verhältnissen gegeben wurde von Hirten und Dienern der Kirche, von Ärzten, Erziehern und Verkündern des Evangeliums. Nicht selten handelte es sich um das schwerste und erhabenste Zeugnis, nämlich das des Martyriums, wie hei den drei Karmelitinnen von Guadalajara (29.3.), bei Edith Stein (1.5.) und Karolina Kozka (10.6.), bei Marcel Callo, Pierina Morosini und Antonia Mesina (4.10.), bei den 16 Märtyrern von Japan (18.10.) und den 85 englischen Märtyrern (22.11.). Im übrigen hat ein guter Teil der neuen Heiligen und Seligen in unserem Jahrhundert gelebt, sie sind uns Zeitgenossen. Wahrhaftig, die Heiligen sind noch unter uns und beweisen, daß die Kirche auch heute noch zur Heiligkeit berufen ist und, angeregt und geführt von Maria, hochherzig auf diesen Ruf antwortet. Sie gehören auch verschiedenen Nationen der verschiedenen Kontinente an: Frankreich, Spanien, Deutschland, Italien, Großbritannien, Polen, Litauen, Japan, Philippinen und Chile: die letzten Seligsprechungen und Heiligsprechungen hatten also universale Bedeutung auch vom geographischen Gesichtspunkt aus. 6. In dieser Hinsicht betrachte ich es als eine Gnade des Herrn, daß ich, wiederholten Bitten der Ortsbischöfe entgegenkommend, einige dieser Glaubenshelden in der sozialen Umwelt, in der sie gelebt haben, zur allgemeinen Verehrung der Kirche vorstellen konnte. So war es mir bei einigen der apostolischen Reisen dieses Jahres gegeben, nämlich im Fall von Schwester Teresa de los Andes in Santiago de Chile (3.4.), von Schwester Teresa Benedetta del-la Croce in Köln (1.5.), Pater Mayer in München, Bayern (3.5.), Karolina Kozka in Tarnow (10.6.) und Bischof Kozal in Warschau (14.6.). Die apostolischen Reisen sind Ausführung des Auftrages Christi Die immer häufigere Möglichkeit, die heroische Heiligkeit von Söhnen und Töchtern der Kirche im Verlauf meiner Besuche in den verschiedenen Ländern der Welt öffentlich zu proklamieren, bestätigt mir, daß diese Reisen einen besonderen Dienst auf dem Pilgerweg des Gottesvolkes darstellen, das heißt, dieser Pilgerschaft zum endgültigen Reich Christi, bei der Maria der Kirche an den verschiedenen Orten der Erde vorangeht. Denn die Reisen 1773 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sind, mit der Hilfe Gottes, die konsequente Ausführung des Auftrags Christi: „Geht hinaus in die ganze Welt!“ (Mk 16,15) und dessen, was gerade dem Petrus aufgetragen ist: „Stärke deine Brüder!“ (Lk 22,32). Sie haben eine noch größere Ausstrahlungskraft gerade bei der Ausübung des so hohen und feierlichen Amtes, der Kirche die echten Beispiele der ihr eigenen Heiligkeit zur Nachahmung vorzustellen. Sie geben darüber hinaus vor der Welt die Probe dafür ab, daß die Heiligkeit allen Völkern, in allen Kulturen und in allen Breiten möglich ist. 7. Die Enzyklika Redemptoris Mater hat, dem Konzil folgend, unterstrichen, daß die Pilgerschaft der Kirche, bei der die Muttergottes ihr vorausgeht, einen offensichtlich ökumenischen Zug aufweist. Für die getrennten Brüder der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften des Abendlandes hebt das Dokument hervor, wie sie auf dem Weg des Glaubens, für den Maria ein Beispiel ist, zusammen voranschreiten können, ja es auch zu tun wünschen. Ein erfreuliches Vorzeichen dafür erblickt es in der Tatsache, daß diese Kirchen „in grundlegenden Punkten des christlichen Glaubens, auch was die Jungfrau Maria betrifft, mit der katholischen Kirche übereinstimmen“ {Redemptoris Mater, Nr. 30). Die Enzyklika unterstreicht dann auch die Übereinstimmung von historischen, theologischen, liturgischen und künstlerischen Zeugnissen der orthodoxen Kirche und der alten Ostkirchen hinsichtlich ihrer theologisch tiefen und menschlich feinstimmigen Verehrung der Theotokos (ebdNr. 31-33). In diesem Licht gewinnt das Kommen Seiner Heiligkeit des Ökumenischen Patriarchen Dimitrios I. nach Rom vom vergangenen 3. bis 7. Dezember eine besondere Bedeutung. Ich hatte die große Freude, ihn in brüderlicher Liebe und mit der ihm geschuldeten Ehre im Vatikan zu empfangen. Es war ein Besuch kirchlicher Gemeinschaft, eine Erwiderung jenes Besuches, den ich dem Ökumenischen Patriarchat zum Fest des hl. Andreas 1979 abgestattet hatte mit der ausdrücklichen Absicht, zur Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft zwischen Katholiken und Orthodoxen beizutragen. Das Ereignis hat der weiteren Reifung des Verständnisses zwischen Katholiken und Orthodoxen seit dem Konzil voll Rechnung getragen, wie auch den Resultaten des positiven theologischen Dialogs, der im Gang ist. So konnten wir bei der Eucharistiefeier in der Petersbasilika zusammen beten, und im Geist dieses Marianischen Jahres haben wir auch in der Basilika Santa Maria Maggiore miteinander beten können. In seiner Marienpredigt hat Patriarch Dimitrios hervorheben wollen, wie „unsere beiden Schwesterkirchen die Jahrhunderte hindurch die Glut der Frömmigkeit zur hochverehrten Person der ganz heiligen Gottesmutter unauslöschlich wachgehalten haben“. Dies ist 1774 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ein starkes Band gemeinsamer Traditionen, das uns vereint. Wenn auch im Lauf der Zeit Unterschiede zustande gekommen sind, die gewiß im Dialog geklärt werden, so bildet doch „das gemeinsame dogmatische und theologische Erbe, das sich um die Person der ganz heiligen Gottesmutter entfaltet hat, eine Achse der Einheit und der Wiedervereinigung der beiden getrennten Teile“. Um die ganze positive Bedeutung dieser Aussicht zu unterstreichen, wollte Patriarch Dimitrios vorschlagen, daß „das Thema Mariologie im theologischen Dialog zwischen unseren Kirchen einen zentralen Platz einnehme und sowohl vom christologischen wie auch vom anthropologischen und besonders vom ekklesiologischen Gesichtspunkt aus untersucht werde für die volle Wiederherstellung unserer kirchlichen Gemeinschaft, um die wir beten, für die wir uns einsetzen und auf die wir voll großer Erwartung blicken“. Dieser Gedanke trifft unmittelbar die Aussichten der Enzyklika Redemptoris Mater. Das freut mich zutiefst, und ich gebe der Überzeugung Ausdruck, daß auch in diesem Punkt der Besuch des Patriarchen einen tiefgreifenden, positiven Impuls in den Beziehungen zwischen Katholiken und Orthodoxen gegeben hat. Die Begegnung in Liebe läßt uns die Wahrheit besser erkennen und in Hoffnung leben. Ehre sei Gott! Die Kirche soll wieder mit „zwei Lungen“ atmen, mit Orient und Okzident Das Interesse, ich möchte sagen, der Enthusiasmus den dieser Besuch hervorgerufen hat, veranlaßt mich, den Wunsch zu wiederholen, daß die Kirche „wieder ganz mit ,zwei Lungen1, atmet: mit Orient und Okzident... Dies ist heute mehr denn je notwendig... Es wäre für die pilgernde Kirche auch der Weg, ihr Magnifikat vollkommener zu singen und zu leben“ (.Redemptoris Mater, Nr. 34). <57> <57> Am Schluß unseres Treffens möchte ich gern die Gelegenheit benutzen, um offiziell die nicht mehr ferne Veröffentlichung einer Enzyklika zum Gedenken an das zwanzigste Jahr nach dem Erscheinen des Rundschreibens Po-pulorum progressio von Paul VI. anzukündigen. Populorum progressio hat eine grundlegende Etappe im Leben der Kirche in unserer Zeit gekennzeichnet und hat tiefreichenden Widerhall in der öffentlichen Meinung geweckt. Diese Enzyklika hat ein neues Zeichen gesetzt für die lebendige Präsenz der Kirche in den dramatischen Situationen der Entwicklung und des Friedens in der Welt. Indem die kommende Enzyklika an die fortdauernde Aktualität jenes großen Dokumentes erinnert, beabsichtigt sie auch, die neue Thematik aufzugreifen und auf die neuen Probleme einzugehen, die, den gleichen Gegenstand betreffend, sich dem Bewußtsein des heutigen Menschen stellen; sie 1775 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN möchte also die Linie von Populorum progressio fortsetzen und ihre Idee weiterverfolgen. Die Kirche ist darum bemüht, ,, mit den Menschen unserer Zeit zusammenzugehen“ Auch dies unterstreicht, wie sehr es der Kirche darum zu tun ist, mit den Menschen unserer Zeit zusammenzugehen. Deshalb vertraue ich diese Enzyklika, die mir so sehr am Herzen liegt, schon jetzt der heiligen Jungfrau an, damit das Schreiben in der Gesellschaft Antwort finde und neue, konkrete Entschlüsse zur internationalen Zusammenarbeit für die brüderliche Verständigung unter den Nationen und für die Förderung der wahren Entwicklung gemäß dem Plan Gottes wachrufe. 9. In dieser Sicht, die wir in unserem Geist lebendighalten müssen, spreche ich heute erneut meinen Dank und meine Segenswünsche zu Weihnachten aus. Sie gelten euch allen, die ihr in jedem Rang und jedem Grad dem Heiligen Stuhl in der Römischen Kurie, der Diözese Rom im Vikariat und der Vatikanstadt wirksame und geschätzte Mitarbeit leistet. Sie gelten den Päpstlichen Vertretern und dem diplomatischen Personal, das sie in ihrer Sendung unterstützt, und sie erstrecken sich auch auf eure Lieben, mit einem besonderen Gedanken an die Familien, die ein Leid zu tragen haben, körperlich oder geistig. Jesus, der kommt, möge allen seine Gnade und seinen Frieden bringen. Das Christkind, das wir, wie die Hirten und die Magier in den Armen seiner Mutter finden, ist das Licht der Welt und das Licht unseres Lebens: „Er ist Licht unserem Geist“, wie der hl. Augustinus sagt (Quaest. Evangeliorum 1,1; PL 35,1323). Sein Licht leite den Dienst, den wir dem Geheimnis der Menschwerdung leisten, in das in besonderer Weise sie, seine und unsere Mutter, die Mutter der Kirche einbezogen ist. Sie wird uns an der Hand nehmen und uns helfen, in unserem kirchlichen Dienst, in dem sie uns immer „vorausgeht“, treu zu sein. In jener Liebe, die unmittelbar vor den Festtagen besonders tief und stark ist, segne ich euch alle. 1776 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ich verkünde euch eine große Freude Predigt in der Mittemachtsmesse am 24. Dezember 1. „Ich verkünde euch eine große Freude“ {Lk 2,10). Diese Stimme kam aus der Höhe. Sie durchdrang die tiefe Nacht und erreichte die Hirten, die auf den Feldern bei Betlehem waren. Heute läßt die Kirche diese Stimme an allen Orten der Erde ertönen: Ich verkünde euch eine große Freude. Die im Lukasevangelium beschriebene Nacht wird in dieser Liturgie durch das Zeugnis über die Nacht in der Verheißung des Propheten Jesaja vorbereitet: „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf1 {Jes 9,1). Das Zeugnis über die Nacht bei Jesaja wird vom Evangelium bestätigt. Es enthüllt deren Sinn und vertieft sie zugleich. „Das Neue Testament ist im Alten vorbereitet — das Alte im Neuen erfüllt.“ So schreibt der hl. Augustinus, wenn er von der Beziehung zwischen dem Alten und dem Neuen Testament spricht (vgl. Quaest. in Hept. 2,73). Wie gewaltig ist jedoch bereits das Zeugnis des Jesaja über die Nacht von Betlehem! „Über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.“ 2. „Ich verkünde euch eine große Freude.“ So spricht der Engel zu den Hirten, die im ersten Augenblick erschrocken sind: „Sie fürchteten sich sehr“ {Lk 2,9). Deshalb sagt er ihnen sogleich: „Fürchtet euch nicht; denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll“ (Lk2,10). Ja, dem Volk, „das im Dunkel lebt“ wie „denen, die im Land der Finsternis wohnen“. Die Stimme des Boten verkündet Freude mitten in der Nacht. Es ist die Freude des Geschöpfes. Es ist die Freude der Zeit, die nach den Plänen Gottes ihre Fülle erreicht. Deshalb hat der Prophet Jesaja nicht die Hirten, sondern die Schnitter auf dem Felde vor Augen: „Man freut sich, wie man sich freut bei der Ernte“ {Jes 9,2). Und so haben sich auch die Hirten auf den Feldern von Betlehem gefreut. Ernte bedeutet Reife. Sie bedeutet die Fülle der Zeit. 3. In der Tat, die Zeit ist reif. Bis zur Botschaft dieser seligen Nacht ist die Geschichte Israels und des Menschen herangereift. Mit dieser Geburt ist die 1777 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Geschichte des Menschen zur Reife gelangt — und zwar nach den Plänen Gottes. „Ich verkünde euch eine große Freude... Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren“ — so der Evangelist Lukas (Lk 2,10-11). Und dies sind die Worte des Propheten Jesaja: „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt... Man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater von Ewigkeit, Fürst des Friedens“ (Jes 9,5). Welcher Reichtum an Namen! Die Mutter des Kindes aber, das in jener Nacht zu Betlehem geboren wird, weiß nur eines: „Du sollst ihm den Namen Jesus geben“ {Lk 1,31). Dasselbe weiß Josef, der Zimmermann, dessen „Verlobte“ Maria war. 4. Welcher Reichtum an Namen im Buch des Propheten! Mit welcher Weite sucht er auszudrücken, wer dieses Kind sein wird, dieser Sohn, der in der Fülle der Zeit geboren wird, der in der Nacht von Betlehem außerhalb der Stadt geboren wird, „weil in der Herberge kein Platz für sie war“ {Lk 2,7). Er wird geboren und „in eine Krippe gelegt“ {ebd.), die für Tiere bestimmt ist. Trotzdem sagt Jesaja: „Seine Herrschaft ist groß, und der Friede hat kein Ende. Auf dem Thron Davids (herrscht er über sein Reich)“ {Jes 9,6). Maria selbst hatte bei der Verkündigung gehört: „Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird ... in Ewigkeit herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben“ {Lk 1,32). 5. Dies alles ist wunderbar. Wunderbar ist das Zeugnis der Liturgie, die aus dem Propheten und aus dem Evangelium schöpft. Wunderbar ist dieses Zusammentreffen von Gegensätzen, die einander ausschließen müßten — die sich aber im Tiefsten begegnen. Sie treffen in der Tiefe göttlicher Vorsehung zusammen. Die Nacht von Betlehem hat bereits ihr Licht gefunden. Die Hirten sind bereits zum Stall gekommen. Und siehe, über diesem Ereignis stehen noch einmal die Worte des Propheten, der ausruft: „Die eifernde Liebe des Herrn der Heere wird das vollbringen“ {Jes 9,6). <58> <58> Die eifernde Liebe? Eifersüchtig kann die Liebe eines Menschen sein, dem es, auch als Liebendem, nicht gelingt, die Grenzen des eigenen „Ichs“ zu überschreiten. Aber kann die Liebe Gottes eifersüchtig sein? Wovon will diese Nacht von Betlehem sprechen? Legt sie nicht etwa Zeugnis ab von Gott, der „die Grenzen seines göttlichen Ichs überschritten hat“? Von 1778 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gott, der hier in der Krippe der Tiere liegt als Kind, in Windeln gewickelt (vgl. Lk 2,7)? Eifersüchtige Liebe? Was bedeutet das? Wer gibt uns darauf Antwort? 7. Antworte du, Maria. Du weißt es jetzt schon besser als jeder andere Mensch, schon in der Nacht von Betlehem, in der Stunde der Geburt. Du weißt es schon jetzt, und du wirst es voll und ganz wissen. Du wirst ganz und gar die Wahrheit der „eifersüchtigen Liebe“ Gottes, deines Sohnes, kennen, der „sich für uns hingegeben hat, um uns von aller Schuld zu erlösen“ (vgl. Tit 2,14). Eifersüchtige Liebe? Sag du es, Jesaja... Ist es nicht vielleicht jene Liebe, die sich restlos gibt und ohne Grenze? Diese Liebe ist heute nacht in die Welt gekommen. Ich verkünde euch eine große Freude! In ihm war das Leben Weihnachtsbotschaft 1987 vom 25. Dezember 1. „Und das Wort war bei Gott... Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war das Leben“ (Joh 1,1b.3-4). „Und das Wort war Gott“ (Joh 1,1c). Heute, am Weihnachtstag, schaut die Kirche mit dem Adlerauge des vierten Evangelisten auf das undurchdringliche Geheimnis Gottes. Heute öffnen sich tief Auge und Ohr unseres Glaubens. Hören wir zusammen mit dem Apostel die Worte vom Himmel: „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt“ (Apg 13,33; Hebr 1,5). Dieses „Heute“ ist der „Tag“ der göttlichen Ewigkeit; er währt länger als jedes Maß unserer irdischen Zeit. Und die ganze Kirche ruft voller Freude: „Gott von Gott, Licht vom Licht. Gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater.“ „Heute habe ich dich gezeugt, mein Sohn bist du.“ Von diesem Vater und von diesem Sohn geht der Geist aus: der göttliche Hauch des Vaters und des Sohnes, die Liebe, die ungeschaffene Gabe, das unendlich tiefe Band der Dreifaltigkeit. 2. Gott — und die Welt. Obgleich in sich selbst nicht ewig, ruht die Welt auf ewig in Gott. Sie ruht in dir, Gottessohn und ewiges Wort, „Erstgeborener der ganzen Schöpfung“ 1779 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN {Kol 1,15). Der Vater führt dich heute in die Welt ein. Dich führt er ein, das ewige Wort, der du „der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens“ bist (Hebr 1,3). Dich, den Sohn, der „das All durch sein machtvolles Wort trägt“ (ebd.). Dich führt der Vater heute in die Welt ein. Heute „ist das Wort Fleisch geworden und ist gekommen, um unter uns zu wohnen“ {Joh 1,14), damit die Hirten von Betlehem ein Kind sähen, das in Windeln gewickelt ist und in einer Krippe liegt, weil in der Herberge kein Platz für es war... Und so „haben wir seine Herrlichkeit gesehen“. Wir sahen „die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater“ {Joh 1,14) an allen Tagen seines Lebens auf Erden, in der gesamten Wahrheit des Evangeliums: seinen Worten und Taten, dann im Garten Getse-mani und am Kreuz auf Golgota und schließlich in seinem leeren Grab und den folgenden Erscheinungen, dem Zeugnis, daß er auferstanden war. Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, „die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ {Joh 1,14). „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt“. Das „Heute“ der göttlichen Ewigkeit wird gegenwärtig im täglichen „Heute“ des Sohnes auf Erden. 3. Göttlicher Sohn, ewige Weisheit, bis zum Ende hast du es ausgekostet, bei den Menschenkindern zu sein und „auf dem Erdenrund zu spielen“ (vgl. Spr 8,3), so bist du ihr „Immanuel“ geworden — „Gott mit uns“ (vgl. Mt 1,23). Ewiges Wort, das Fleisch geworden und gekommen ist, um unter uns zu wohnen, göttlicher Sohn, von einer Frau geboren wie jeder von uns, heute schaut die Kirche auf dich mit den Augen von Seele und Leib, mit den Augen des Glaubens und des Herzens. Und dies ist unser menschliches „Heute“, das „Heute“ der Welt, die vergeht, das „Heute“ der Geschichte. Heute schaut die Kirche auf dich, das Kind auf dem Arm Marias. „Heute“ hast du hier auf Erden eine Mutter! Du Unfaßbarer, eines Wesens mit dem Vater: durch die Kraft des ewigen Geistes hast du dich vom mütterlichen Schoß der Jungfrau im Augenblick der Verkündigung umfassen lassen. Heute läßt du dich von ihren Händen halten, von ihren Armen umfangen und trinkst an ihrer Mutterbrust wie jedes Menschenkind! Du Unfaßbarer, zu dem der ewige Vater sich neigt und spricht: „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt“, und der dich so von Ewigkeit her umfangt, im undurchdringlichen Geheimnis der dreifältigen Gottheit. Du Unfaßbarer, zu dem sich die irdische Mutter neigt und spricht: Mein Sohn bist du! Ich armseliges Menschenkind habe dich zur Welt gebracht im Gehorsam vor dem Heiligen Geist. Dein Name ist „Jesus“: „Gott ist es, der rettet“. 1780 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 4. Durch die Mutter kommst du in unsere Welt, trittst du ein in die Geschichte des Menschen. Diese Mutter ist die Tochter Zion, die das Erbe Israels, ihres Volkes, in sich trägt. In ihrer Person erfüllt sie die Sehnsucht so vieler Mütter jenes Volkes. In ihr ist die Welt, die ihren Gott erwartet, in ihr die Schöpfung, dem Schöpfer ganz und gar geöffnet. In ihr ist die Geschichte des Menschen von allen Orten der Erde. Die Geschichte des Menschen beginnt immer wieder neu im Schoß jeder Mutter, inmitten des ganzen Reichtums der Sprachen, Kulturen und Rassen. Die Geschichte des Menschen erreicht in der Mutterschaft dieser einzigartigen Mutter den Gipfel des göttlichen Geheimnisses, das auf ewig mit dem Wort verbunden bleibt, das Fleisch geworden ist: mit dem Sohn Marias. 5. Ja, der Gipfel des göttlichen Geheimnisses, das kein menschlicher Fortschritt erreichen, dem kein Maß menschlicher Vollkommenheit gleichen kann. Der Gipfel des göttlichen Geheimnisses: „Allen, die an seinen Namen glauben, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden“ (Joh 1,12). Er gab ihnen Macht, daß sie nicht aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren werden (vgl. Joh 1,13). Eine solche Macht hat ihnen derjenige gegeben, zu dem der Vater von Ewigkeit her spricht: „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt.“ Derjenige, der für uns und unser Heil vom Vater „ausging“, im Schoß der Jungfrau Maria Fleisch angenommen hat und Mensch geworden ist. 6. Werden es die Menschen verstehen, diese Macht an sich wirken zu lassen? Werden sie es verstehen, die außerordentliche Möglichkeit, die ihnen im Kind von Betlehem geboren ist, anzunehmen, die Möglichkeit nämlich, die Grenzen ihrer Endlichkeit zu überschreiten, die traurige Glanzlosigkeit ihrer Egoismen, um so zur Herrlichkeit des göttlichen Lebens zu gelangen, das Fülle des Lichtes, der Freude und der Liebe bedeutet? Diese Frage hat sich jeder Generation der Geschichte gestellt. Mit besonderer Intensität stellt sie sich aber in unserer Zeit, in der Ära der Technologie. Denn niemals wie heute ist der Mensch versucht, sich für selbstgenügend zu halten und dazu fähig, sich mit eigenen Händen sein Heil zu verschaffen. <59> <59> Deshalb erhebt die Kirche am heutigen Weihnachtsfest erneut und mit größerer Kraft als zuvor ihre Stimme, um das unerhörte Geheimnis zu verkünden und dem heutigen Menschen den „wundersamen Tausch“ wieder anzubieten zwischen seiner Endlichkeit und der Fülle eines Gottes, der ihm in der zerbrechlichen Natur eines Kindes entgegengekommen ist, das in armselige 1781 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Windeln gewickelt und von den sorgenden Händen der Mutter in eine Krippe gelegt ist. Die Kirche erhebt ihre Stimme und lädt auch die Menschen von heute ein, ihre Schritte nach Betlehem zu lenken, um jenem Kind zu begegnen und auf seinem Antlitz das Lächeln eines Gottes zu entdecken, der aus jedem von einer Frau Geborenen sein Kind machen will, in seinem göttlichen Sohn, dem ewigen Wort, durch den alles geschaffen ist, was existiert. Alle sollen Kinder Gottes im Sohn, alle Brüder und Schwestern der einen Familie Gottes sein. Das ist die Wahrheit von Weihnachten, das ist seine bleibende Botschaft: Alle Söhne und Töchter im Sohn! Amen. Sollicita Cura Apostolisches Schreiben zur Errichtung eines Berufungsgerichts beim Vikariat Rom vom 26. Dezember Das ernste Anliegen, für die Bedürfnisse der Christgläubigen der Diözese Rom sowie der kirchlichen Amtsbezirke in der Provinz Latium entsprechend den gewandelten Zeitverhältnissen zu sorgen, hat dazu geführt, daß in neuerer Zeit öfter bei den Gerichten der Diözese Rom neue Strukturen und Verfahrensweisen eingeführt wurden. Als im Jahre 1938 in Italien Regionalgerichte für die Nichtigkeitserklärung von Ehen eingerichtet wurden, ist auch beim Vikariat Rom ein Gericht erster Instanz für die kirchliche Region Latium eingerichtet worden, das allerdings nur für die Nichtigkeitserklärung von Ehen zuständig war; für die übrigen Rechtsfalle bestanden ja eigene Gerichte in den einzelnen Diözesen der Region. Dann wurde dem regionalen Gericht auch die Behandlung jener Fälle in zweiter Instanz übertragen, die in erster Instanz bei den regionalen Gerichten für Neapel und Cagliari (Sardinien) behandelt worden waren. Es blieb diesen freilich immer die Möglichkeit, sich für das Urteil zweiter Instanz direkt an die römische Rota zu wenden. Als Berufungsinstanz für die in erster Instanz beim regionalen Gerichtshof der Diözese Rom erledigten Fälle wurde ein Apostolisches Gericht bei der römischen Rota bestimmt (1). Als aber dann die von den regionalen Gerichten Italiens in erster Instanz behandelten Fälle „derart häufig vor das Apostolische Gericht der römischen Rota gebracht wurden, daß dieses zu einer entsprechenden Erledigung seiner Arbeiten nicht mehr in der Lage war“, wurde durch ein päpstliches Rescript Pius’ XII. vom 16. Oktober 1951 zeitweise untersagt, Fälle zur Nichtigkeitserklärung der Ehe, die von den regionalen kirchlichen Gerichten Italiens in erster Instanz erledigt worden waren, für die zweite Instanz der rö- 1782 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN mischen Rota nach can. 1599, Par. 1,1 des Codex des Kirchenrechts von 1917, dem can. 1444, Par. 1,1 des neuen Codex entspricht, vorzulegen. Zugleich wurde im Vikariat Rom — wie im Rescript zu lesen ist — „ein weiteres Gericht erster Instanz als Berufungsgericht eingesetzt, dem immer jene Fälle in zweiter Instanz vorzulegen sind, die beim Gericht erster Instanz des Vikariats Rom erledigt worden sind, ferner die Fälle aus den Regionen Neapel und Ca-gliari, die an das Vikariat Rom als Berufungsinstanz überwiesen werden“ (2). Nach 15 Jahren wurde durch Rescript von Papst Paul VI. vom 10. Februar 1969 die erwähnte Untersagung aufgehoben und festgelegt: „Die Fälle zur Nichtigkeitserklärung der Ehe, die in erster Instanz beim Gericht des Vikariats Rom erledigt worden sind, können zur Berufung entweder an die römische Rota oder an das Gericht zweiter Instanz bei der gleichen Diözese eingereicht werden“ (3). Schließlich wurde durch die Apostolische Konstitution „Vicariae potestatis“ vom 6. Januar 1977 das Vikariat Rom neu geordnet, und Papst Paul VI. setzte zwei verschiedene Gerichte ein, das ordentliche Gericht der Diözese Rom und das Gericht der Region Latium für die Fälle der Nichtigkeitserklärung von Ehen. Das Berufungsgericht des Vikariats Rom aber wurde aufgehoben; dem Gericht der Region Latium wies er die Aufgabe zu, die Fälle der Nichtigkeitserklärung von Ehen in der Region Latium zu behandeln, sowie in zweiter Instanz als Berufungsgericht die Fälle der Nichtigkeitserklärung von Ehen, die in erster Instanz in den Regionen Neapel und Cagliari erledigt worden sind; endlich bestimmte er, daß sowohl vom Gericht für die Region Latium für Ehefälle als auch vom ordentlichen Gericht der Diözese Rom für andere Fälle an die römische Rota Berufung eingelegt werden könne(4). Alle diese Änderungen der Normen wollten in angemessener Weise dem Anliegen einer guten Rechtsprechung unter den verschiedenen Umständen dienen. Nun haben sich wieder neue Verhältnisse und pastorale Notwendigkeiten ergeben. Vor allem möchten wir, daß das Apostolische Gericht der römischen Rota immer mehr in seiner Aufgabe als Instanz für die ganze Kirche hervortritt und diese wirksamer wahmehmen kann. Es soll daher von der Aufgabe als Berufungsinstanz für alle Fälle, die in erster Instanz vom Gericht der Region Latium erledigt worden sind, entlastet werden. Daher haben wir aus dem gleichen Grund wie oben nach Anhören des höchsten Gerichts der Apostolischen Signatur, der römischen Rota und einer von uns eingesetzten Kommission, aber auch der Bischofskonferenz der Region Latium kraft unserer höchsten und apostolischen Autorität das Folgende beschlossen: a) Im Vikariat Rom wird ein Berufungsgericht, verschieden von den anderen dort vorhandenen Gerichten, eingesetzt, dem in zweiter Instanz die Fälle vorzulegen sind, die in erster Instanz entschieden worden sind 1783 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN — vom Gericht der Region Latium bei Nichtigkeitserklärung einer Ehe, — von den Gerichten der Region Neapel und Cagliari bei Nichtigkeitserklärung einer Ehe, — vom Gericht der Diözese Rom und denen anderer Diözesen der Region Latium für die übrigen Fälle. Unbeschadet bleibt die Möglichkeit, in zweiter Instanz bei der römischen Rota Berufung einzulegen nach can. 1444, Par. 1,1. Daher ist das Gericht der Region Latium, das in erster Instanz die Fälle der Nichtigkeitserklärung einer Ehe behandelt, nicht mehr Berufungsinstanz für die Fälle, die von den Gerichten der Regionen Neapel und Cagliari behandelt worden sind. b) Der Kardinalvikar übt bei diesem Gericht von Rechts wegen die Rolle des Vorsitzenden aus; ist er verhindert oder abwesend, oder ist sein Amt unbesetzt, so tritt sein Stellvertreter ein. c) Der Gerichtsvikar, die beigeordneten Gerichtsvikare, die Richter, die Verteidiger des Ehebandes und der Promotor Iustitiae werden vom Papst für eine bestimmte Zeit auf Vorschlag des Kardinalvikars und nach Anhören der Bischofskonferenz der Region Latium ernannt. d) Das Gericht hat seine eigene Verwaltung. Alle diese Beschlüsse treten am 1. September 1988 mit allen rechtlichen Wirkungen in Kraft, und alles Entgegenstehende, auch wenn es besonders erwähnt werden müßte, ist aufgehoben. Ubergangsnormen: 1. Die erwähnten Fälle der Gerichte der Regionen Neapel und Cagliari, die in zweiter Intanz bisher beim „Gericht der Region Latium für die Nichtigkeitserklärung von Ehen“ behandelt wurden, werden dem neuen Gericht übertragen, wenn am 1. September 1988 die Schwierigkeiten nach den Normen des Rechtes noch nicht ausgeräumt sind; übertragen werden können auch Fälle, die noch bei der Beweisaufnahme stehen, wenn beide Teile und der Verteidiger des Ehebandes zustimmen. 2. Fälle, die in erster Instanz vom Gericht der Region Latium für die Nichtigkeitserklärung von Ehen entschieden worden und deren Akten bereits nach can. 1682, Par. 1 der römischen Rota übergeben worden sind, sollen nur dann dem neuen Gericht vorgelegt werden, wenn über die Schwierigkeit noch keine Einigung erzielt wurde und wenigstens ein Teil darum bittet, der andere Teil aber sowie der hochwürdigste Dekan der römischen Rota sich einig geworden sind. 3. Die gleiche Norm soll mit entsprechender Anpassung für die Nicht-Ehe-fälle gelten, die vom ordentlichen Gericht der Diözese Rom entschieden worden sind und bei der römischen Rota als Berufungsinstanz verhandelt werden. 1784 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 4. Die Nicht-Ehefalle, die in erster Instanz von den Gerichten der Diözesen Latiums abgeschlossen worden sind und am 1. September 1988 in zweiter Instanz beim ordentlichen Gericht der Diözese Rom vorliegen, sollen dem neuen Gericht übertragen werden, wenn man sich nach Maßgabe des Rechtes über die Schwierigkeiten noch nicht einig geworden ist; sie können übertragen werden, wenn man noch bei der Beweisaufnahme steht und beide Teile sowie das genannte Gericht der Diözese Rom zustimmen. Liegt aber das Dekret über den Abschluß des Falles bereits vor, so muß jenes Gericht das Urteil fällen, bei dem der Fall begonnen worden ist. Diese Normen treten am 1. September 1988 in Kraft. Was wir nun in diesem Motu proprio verfügt haben, soll nach unserem Befehl Geltung haben und gültig sein. Entgegenstehendes aber ist, auch wenn es besonders erwähnt sein müßte, aufgehoben. Gegeben zu Rom bei St. Peter am 26. Dezember 1987, im zehnten Jahr unseres Pontifikates. Joannes Paulus P.P. II Anmerkungen 1 Papst Pius XI., Apostl. Schreiben Motu proprio.Qua cura: AAS 30 (1938), S. 410-413. 2 AAS 46 (1954), S. 614-615. 3 X. Ochoa, Leges Ecclesiae post Codicem iuris canonici editae, vol. IV, Rom 1974, coli. 5475-5476, n. 3716. 4 AAS 69 (1977), S. 15-17. 36 Familien des Neukatechumenats in verschiedene Teile der Welt ausgesandt Ansprache am Fest der heiligen Familie am 27. Dezember Liebe Freunde! Ich danke euch sehr für diesen Besuch heute in Castel Gandolfo, an einem so wichtigen Tag der weihnachtlichen Festzeit. Das Weihnachtsfest wird mit hochfestlicher Liturgie begangen sowie mit großer Freude und starker Beteiligung des Volkes. Aber vielleicht machen wir uns doch alle zu wenig klar, was Weihnachten eigentlich meint. Weihnachten ist der Anfang einer Mission, der Mission Gottes unter den Menschen. Gottes Sohn, als Menschensohn von der Frau geboren, wird vom 1785 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN himmlischen Vater gesandt und kommt zur Welt, um eben diese Mission zu erfüllen. Und nun folgt auf Weihnachten unmittelbar das Fest der Heiligen Familie. Das ist sehr bezeichnend, denn es besagt, daß diese Mission Gottes, die durch die Fleischwerdung des göttlichen Wortes — des Sohnes — eine menschliche geworden ist, daß diese Mission in erster Linie der Familie anvertraut wurde. Ich sehe bei diesem Treffen, wie in eurem Neukatechumenalen Weg nicht Einzelpersonen diese Mission übernehmen, sondern die Familie als ganze. Ich sehe darin eine Aktualisierung, eine Verwirklichung dieses bedeutsamen Ereignisses, das zur Heilsgeschichte gehört, zur Geschichte der göttlichen Mission inmitten der ganzen Menschheitsfamilie, unter den Menschen, für das Menschengeschlecht. Und ich wünsche euch, daß ihr in erster Linie inmitten eurer Familien teilhabt an dieser göttlichen Mission, die der Heiligen Familie anvertraut ist; im Leben eurer Familien, in der ihr das in Treue leben wollt, was Gott selbst mit der menschlichen Familie gewollt hat, und was er uns in der heiligen Familie von Nazareth vor Augen stellt. Nun ruft euch diese Mission hinaus ,,ad extra“. Mission bedeutet zu gehen, in der Jüngerschaft unterweisen; bedeutet das, was Jesus am Ende seiner messia-nischen Mission auf dieser Erde zu den Jüngern gesagt hat. Das Zweite Vatikanische Konzil bemerkt zurecht, daß diese Zwölf für das ganze neue Israel stehen, zu dem natürlich die Familien gehören, die die Keimzelle jeden Volkes, des alten wie des neuen Israels sind. Also sind die Familien notwendig in ihre Mission miteinbezogen. So versuchen wir, diesen Aspekt wieder zu entdecken; denn vielleicht war er ein wenig verborgen. Er wurde nicht genügend gewürdigt; nicht genügend in die Tat umgesetzt. Auch wenn es viele gute Traditionen der christlichen Familie in der Kirche gibt, so ist dieser missionarische Charakter doch eine gewisse Neuigkeit. Und der innere Antrieb eurer Bewegung — oder besser gesagt eures „Weges“ — sucht gerade diese missionarische Neuheit der Familie wiederzuentdecken: die Kirche „in statu missionis“, im Status der Mission, die missionarische Ausrichtung der ganzen Kirche; die Familie „in statu missionis“, im lebendigen Vollzug ihrer missionarischen Sendung. Ich wünsche feuch, daß ihr euch auf den Weg macht. Gehen bedeutet, sich in Bewegung setzen — und daß ihr gut vorwärtskommt auf den Straßen, die ihr im Neukatechumenalen Weg gefunden habt. Und ich möchte allen Anwesenden einen Segen geben, denjenigen, die sich auf eine Mission in fernen Ländern vorbereiten; „fern“ vielleicht nicht immer im geographischen, sehr oft 1786 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN aber im geistlichen Sinn, das heißt fern vom Glauben, fern von der christlichen Sicht des Lebens. Seht, das ist die Mission der Familie. Um eine fernstehende Familie, eine, die sich vom Glauben entfernt hat, wieder in die Nähe zu führen, dazu braucht man die Anwesenheit der Familie, das Zeugnis der Familie und das Apostolat der Familie. 1787 Enzyklika SOLLICITUDO REI SO CIALIS an die Bischöfe und Priester, an die Ordensgemeinschaften, an alle Söhne und Töchter der Kirche, an alle Menschen guten Willens Zwanzig Jahre nach der Enzyklika Populorum Progressio 30. Dezember 1987 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Verehrte Mitbrüder, liebe Söhne und Töchter, Gruß und Apostolischen Segen! I. Einleitung 1. Die Sorge der Kirche um die soziale Frage mit dem Ziel einer wahren Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft, welche die menschliche Person in allen ihren Dimensionen achten und fördern soll, hat sich stets in verschiedenster Weise bekundet. Eine der bevorzugten Formen, hierzu beizutragen, war in letzter Zeit das Lehramt der römischen Päpste. Ausgehend von der Enzyklika Rerum Novarum von Leo XIII. als bleibendem Bezugspunkt hat es diesen Problemkreis immer wieder behandelt, wobei es einige Male die Veröffentlichungen der verschiedenen sozialen Dokumente mit dem Jahresgedenken dieses ersten Dokumentes zusammenfallen ließ. <60> <60> In diesem bedeutenden Gebäude der Soziallehre nimmt die Enzykli- Dabei haben es die Päpste nicht versäumt, in solchen Stellungnahmen auch neue Aspekte der Soziallehre der Kirche zu behandeln. So hat sich, angefangen mit dem hervorragenden Beitrag Leos XIII. und durch die folgenden Beiträge des Lehramtes bereichert, nunmehr ein zeitgemäßes Lehrgebäude gebildet, das sich in dem Maße entwickelt, wie die Kirche aus der Fülle der von Jesus Christus offenbarten Wahrheit <61> und mit dem Beistand des Heiligen Geistes (vgl. Joh 14, 16.26; 16, 13-15) die Ereignisse deutet, die sich im Verlauf der Geschichte zutragen. Sie sucht auf diese Weise die Menschen dahinzuführen, daß sie auch mit Hilfe rationaler Reflexion und wissenschaftlicher Erkenntnis, ihrer Berufung als verantwortliche Gestalter des gesellschaftlichen Lebens auf dieser Erde entsprechen. ka Populorum Progressio4, die mein verehrter Vorgänger Paul VI. am 26. März 1967 veröffentlichte, einen besonderen Platz ein. 1790 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN schrieben werden könnten. Dieselbe Kommission veranstaltete zum 20. Jahrestag eine Gedenkfeier, an der ich selbst teilgenommen und die Schlußansprache gehalten habe.5 Und nun erachte ich es, auch in Anbetracht der Antworten auf den erwähnten Rundbrief, für angebracht, zum Abschluß des Jahres 1987 der Thematik von Populorum Progressio eine eigene Enzyklika zu widmen. 3. Ich möchte damit hauptsächlich zwei Ziele von nicht geringer Bedeutung verfolgen: Einerseits will ich diesem historischen Dokument von Paul VI. und seinen Lehraussagen meine Wertschätzung bekunden; andererseits möchte ich in der Linie meiner verehrten Vorgänger auf dem Stuhl Petri die Kontinuität, aber zugleich die ständige Erneuerung der Soziallehre bekräftigen. In der Tat, Kontinuität und Erneuerung bestätigen den bleibenden Wert der Lehre der Kirche. Diese doppelte Eigenart ist ein charakteristisches Zeichen ihrer Lehre im sozialen Bereich. Sie ist einerseits konstant, weil sie sich gleichbleibt in ihrer Grundidee, in ihren „Leitprinzipien“, in ihren „Urteilskriterien“, in ihren wesentlichen „Richtlinien für das konkrete Handeln“6 und vor allem in ihrer lebendigen Verbindung mit der Botschaft des Herrn; sie ist andererseits immer neu, weil sie die notwendigen und ratsamen Anpassungen erfährt, die vom Wandel der geschichtlichen Bedingungen und vom unaufhörlichen Fluß der Ereignisse nahegelegt werden, in dem das tägliche Leben der Menschen und Gesellschaften verläuft. <62> <62> Ich bin der Überzeugung, daß die Lehraussagen der Enzyklika Populorum Progressio, die sich an die Menschen und die Gesellschaft der sechziger Jahre richteten, auch heute, am Ende der achtziger Jahre, ihre ganze Kraft eines Appells an das Gewissen beibehalten. Darum möchte ich im Bemühen, die wesentlichen Züge der heutigen Welt aufzuzeigen, und immer unter dem Leitgedanken der „Entwicklung der Völker“, die ja bei weitem noch nicht abgeschlossen ist, jenen Ruf weitertragen mit der Absicht, ihn mit jenen Verwirklichungen zu verbinden, die in der geschichtlichen Stunde von heute möglich sind, einer Stunde, die ja ebenso dramatisch ist wie jene vor zwanzig Jahren. Die Zeit verläuft zwar, wie wir wissen, immer nach demselben Rhythmus; heute jedoch hat man den Eindruck, als unterliege sie einer stetigen Beschleunigung, vor allem wegen der Vielzahl und Verflochtenheit der Ereignisse, in deren Mitte wir leben. Infolgedessen hat die Gestalt der Welt im Laufe der letzten zwanzig Jahre, trotz einiger grundlegender Konstan- 1791 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ten, bedeutsame Veränderungen erfahren und weist darum völlig neue Aspekte auf. Die heutige Zeit, die kurz vor dem Beginn des dritten christlichen Jahrtausends von einer verbreiteten Erwartung, fast eines neuen „Advents“7, geprägt ist, die in irgendeiner Weise alle Menschen berührt, bietet die Gelegenheit, die Lehre jener Enzyklika zu vertiefen, um auch die Auswirkungen für die Zukunft zu erkennen. Die vorliegenden Überlegungen verfolgen das Ziel, mit Hilfe einer theologischen Analyse der heutigen Wirklichkeit die Notwendigkeit eines umfassenderen und differenzierteren Begriffes von Entwicklung hervorzuheben, wie er von der Enzyklika vorgeschlagen wurde. Außerdem sollen einige Formen der Verwirklichung aufgezeigt werden. 1792 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN II. Das Neue an der Enzyklika Populorum Progressio 5. Schon bei seinem ersten Erscheinen erweckte das Dokument von Papst Paul VI. die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung gerade wegen seiner Neuheit. Man konnte darin mit großer Klarheit die genannten Merkmale von Kontinuität und Erneuerung innerhalb der Soziallehre der Kirche konkret feststellen. Die Absicht, die zahlreichen Aspekte dieser Unterweisung durch ein aufmerksames erneutes Lesen der Enzyklika zu entdecken, soll darum die vorliegenden Überlegungen durchgehend bestimmen. Zuvor aber möchte ich mich mit dem Datum jener Veröffentlichung befassen: dem Jahr 1967. Die Tatsache selbst, daß Papst Paul VI. in jenem Jahr den Entschluß faßte, eine eigene Sozialenzyklika herauszugeben, lädt dazu ein, das Dokument in seiner Beziehung zum II. Vatikanischen Konzil zu betrachten, das ja am 8. Dezember 1965 abgeschlossen worden war. 6. In dieser Folge müssen wir mehr als eine bloß zeitliche Nähe sehen. Die Enzyklika Populorum Progressio stellt sich in gewissem Sinne als ein Dokument dar, in dem die Lehren des Konzils Anwendung finden. Und das nicht so sehr, weil sie sich fortwährend auf die Konzilstexte bezieht,8 als vielmehr deshalb, weil sie der Sorge der Kirche entspringt, die die gesamte Konzilsarbeit — und in besonderer Weise die Pastoralkonstitution Gaudium et Spes — beseelt hat, als sie nicht wenige Themen der kirchlichen Soziallehre zusammenhängend behandelte. Wir können darum sagen, daß die Enzyklika Populorum Progressio als Antwort auf den Konzilsappell gelten kann, mit dem die Konstitution Gaudium et Spes beginnt: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände“.9 Diese Worte geben das Gmndmotiv an, das jenes bedeutende Dokument des Konzils beseelt, wenn es zu Beginn die Situation des Elends und der Unterentwicklung feststellt, in der Millionen und Millionen von Menschen leben. Elend und Unterentwicklung sind, mit anderen Worten, die „Trauer und Angst“ von heute, „besonders der Armen“; vor diesem breiten Hintergrund von Leiden und Schmerz will das Konzil Horizonte von „Freude und Hoffnung“ eröffnen. In dieselbe Richtung zielt die Enzyklika von Paul VI. in voller Treue zum Geist des Konzils. 1793 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 7. Aber auch in der Themenfolge nimmt die Enzyklika im Anschluß an die große Tradition der Soziallehre der Kirche in direkter Weise jene neue Darstellung und reiche Synthese wieder auf, die das Konzil vor allem in der Konstitution Gaudium et Spes erarbeitet hat. Was die Inhalte und Themen betrifft, welche die Enzyklika erneut aufgreift, sind vor allem folgende zu nennen: das Bewußtsein von der Pflicht, die die Kirche als „Expertin in Menschlichkeit“ hat, „die Zeichen der Zeit zu erforschen und im Licht des Evangeliums zu deuten“;10 das ebenso tiefe Bewußtsein ihrer Sendung zum „Dienen“, die sich von der Aufgabe des Staates unterscheidet, auch wo sie sich um konkrete Anliegen der Menschen kümmert;11 der Hinweis auf die schreienden Unterschiede in den Lebensbedingungen dieser Personen;12 die Bestätigung der Lehre des Konzils, die in Treue zur jahrhundertealten Tradition der Kirche die „Bestimmung der irdischen Güter für alle“ vertritt;13 die Würdigung von Kultur und technischer Zivilisation, die zur Befreiung des Menschen beitragen,14 ohne ihre Grenzen zu übersehen;15 schließlich, im Rahmen des Themas der Entwicklung, das der Enzyklika eigen ist, die Betonung der „schweren Verpflichtung“ der stärker entwickelten Nationen, „den Ländern auf dem Wege der Entwicklung beizustehen.16 Der Begriff von Entwicklung selbst, wie ihn die Enzyklika vorlegt, entstammt unmittelbar der Sichtweise, unter der die Pastoralkonstitution dieses Problem angeht.17 Aus diesen und weiteren ausdrücklichen Bezügen zur Pastoralkonstitution folgt, daß sich die Enzyklika alsAnwendung der Soziallehre des Konzils auf die spezifische Frage von Entwicklung und Unterentwicklung der Völker darstellt. <63> <63> Die soeben vorgenommene kurze Analyse hilft uns, das Neue an der Enzyklika besser zu ermessen. Man kann es in drei Punkten zusammenfassen. Der erste Punkt besteht in der Tatsache selbst, daß von der höchsten Autorität der katholischen Kirche ein Dokument herausgegeben wird, das sich an die Kirche selbst und zugleich „an alle Menschen guten Willens“ richtet18 und das eine Frage behandelt, die auf den ersten Blick rein ökonomischer und sozialer Natur ist: die Entwicklung der Völker. Der Begriff „Entwicklung“ ist dem Wortschatz der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften entnommen. In dieser Hinsicht folgt die Enzyklika Populomm Progressio direkt der Enzyklika Return Novarum, die von der „Lage der Arbeiter“ handelt.19 Oberflächlich betrachtet, könnten beide Themen als außerhalb der berechtigten Anliegen der Kirche als religiöser Institution erscheinen; dies gilt sogar noch mehr für den Begriff „Entwicklung“ als für jenen der „Lage der Arbeiter“. 1794 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Dem Dokument Pauls VI. muß man das Verdienst zuerkennen, daß es im Anschluß an die Enzyklika von Leo XIII. den ethischen und kulturellen Charakter der mit der Entwicklung verbundenen Problematik unterstrichen hat und ebenso die Berechtigung und Notwendigkeit eines Beitrages der Kirche auf diesem Gebiet. Hiermit hat die Soziallehre der Kirche ein weiteres Mal bewiesen, daß es zu ihrem Wesen gehört, das Wort Gottes auf das Leben der Menschen und der Gesellschaft sowie auf die damit verbundenen irdischen Wirklichkeiten anzuwenden, indem sie „Leitprinzipien“, „Urteilskriterien“ und „Richtlinien für das konkrete Handeln“ vorlegt.20 Im Dokument Pauls VI. finden sich alle diese drei vorwiegend auf die Praxis, das heißt, auf das sittliche Verhalten, bezogenen Elemente. Wenn sich also die Kirche mit der „Entwicklung der Völker“ befaßt, darf sie nicht angeklagt werden, den besonderen Bereich ihrer Kompetenz und erst recht ihre vom Herrn empfangene Sendung überschritten zu haben. 9. Das zweite Neue an Populorum Progressio ist die Weite des Horizontes, mit dem sie an das herangeht, was man gemeinhin als die „Soziale Frage“ bezeichnet. Die Enzyklika Mater et Magistra von Papst Johannes XXIII. war zwar schon in diesen erweiterten Horizont eingetreten,21 und das Konzil hat es ihr mit seiner Pastoralkonstitution Gaudium et Spes gleichgetan;22 trotzdem war die soziale Verkündigung der Kirche noch nicht dahin gelangt, mit voller Klarheit auszusagen, daß die Soziale Frage ein weltweites Ausmaß erlangt hat,23 noch hatte sie aus dieser Aussage und der zugehörigen Analyse eine „Richtlinie für das konkrete Handeln“ geformt, wie es Papst Paul VI. in seiner Enzyklika tut. Eine solche ausdrückliche Stellungnahme bietet einen großen Reichtum an Inhalten, die nun aufgezeigt werden sollen. Zunächst muß ein mögliches Mißverständnis ausgeräumt werden. Die Feststellung, daß die „Soziale Frage“ eine weltweite Dimension angenommen hat, bedeutet in keiner Weise, daß ihre Wirkkraft erloschen sei oder sie ihre Bedeutung auf nationaler oder örtlicher Ebene eingebüßt habe. Es bedeutet im Gegenteil, daß die Probleme an den Arbeitsstätten oder in der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung eines bestimmten Landes oder einer Region nicht als verstreute Inseln ohne Verbindung untereinander gesehen werden dürfen, sondern daß sie in wachsendem Maße von Faktoren abhängen, die jenseits der regionalen oder nationalen Grenzen liegen. Leider sind die Länder, die sich in wirtschaftlicher Hinsicht noch entwik-keln müssen, viel zahlreicher als die Industrieländer. Die Menschenmengen, die an den vom Fortschritt bereitgestellten Gütern und Dienstleistun- 1795 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN. gen nicht teilhaben können, sind sehr viel zahlreicher als jene, die darüber verfügen. Wir stehen also vor dem schweren Problem ungleicher Verteilung der lebensnotwendigen Mittel, die ursprünglich für alle Menschen bestimmt waren, sowie auch der Vorteile, die sich daraus ergeben. Und das geschieht nicht etwa aufgrund der Verantwortung der benachteiligten Völker und schon gar nicht durch eine Art von Schicksalsergebenheit als Folge von Naturbedingungen oder der gesamten Umstände. Wenn die Enzyklika Pauls VI. erklärt, daß die Soziale Frage eine weltweite Dimension erlangt habe, will sie damit vor allem auf ein moralisches Faktum hinweisen, das sein Fundament in der objektiven Analyse der Wirklichkeit hat. Nach den eigenen Worten der Enzyklika muß sich ein jeder dieses Faktums bewußt werden,24 weil es direkt das Gewissen, die Quelle der sittlichen Entscheidungen, berührt. In diesem Zusammenhang besteht das Neue an der Enzyklika nicht sosehr in der historisch gesehenen Aussage von der weltweiten Bedeutung der Sozialen Frage als vielmehr in der moralischen Bewertung dieser Tatsache. So haben die politisch Verantwortlichen und auch die Bürger der reichen Länder ganz persönlich, vor allem wenn sie Christen sind, nach dem Grad ihrer jeweiligen Verantwortung die sittliche Verpflichtung, bei ihren persönlichen wie öffentlichen Entscheidungen diese weltweite Beziehung, diese gegenseitige Abhängigkeit zwischen ihrem Verhalten und dem Elend und der Unterentwicklung so vieler Millionen von Männern und Frauen, in Betracht zu ziehen. Mit noch größerer Genauigkeit gibt die Enzyklika Pauls VI. diese moralische Verpflichtung „als Pflicht zur Solidarität“ wieder;25 auch wenn sich in der Welt inzwischen vieles geändert hat, behält diese Aussage heute dieselbe Kraft und Gültigkeit wie damals, als sie niedergeschrieben wurde. Ohne diesen moralischen Gesichtspunkt zu verlassen, besteht das Neue der Enzyklika andererseits auch in der grundsätzlichen Aussage, daß sich der Begriff der Entwicklung selbst deutlich ändert, wenn man sie im Hinblick auf die weltweite gegenseitige Abhängigkeit betrachtet. Wahre Entwicklung darf nicht in der bloßen Anhäufung von Reichtum und einem wachsenden Angebot von Gütern und Dienstleistungen bestehen, wenn dies nur auf Kosten der Unterentwicklung der Massen und ohne die geschuldete Rücksicht für die soziale, kulturelle und geistige Dimension des Menschen erreicht wird.26 <64> <64> Als dritter Punkt bereichert die Enzyklika die kirchliche Soziallehre im allgemeinen und den Begriff der Entwicklung im besonderen durch be- 1796 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN achtliche neue Elemente. Diese Neuheit wird in einem Satz sichtbar, der im Schlußabschnitt des Dokumentes steht und als Zusammenfassung seines Inhaltes wie auch als sein geschichtliches Kennzeichen angesehen werden kann: „Entwicklung ist der neue Name für Friede“.27 In der Tat, wenn die soziale Frage eine weltweite Dimension erlangt hat, dann darum, weil die Forderung nach Gerechtigkeit nur auf dieser Ebene erfüllt werden kann. Sich um eine solche Forderung nicht zu kümmern, könnte bewirken, daß auf seiten der Opfer der Ungerechtigkeit die Versuchung zu einer gewalttätigen Antwort aufbricht, wie es am Beginn vieler Kriege geschieht. Die Bevölkerungen, die von der gerechten Verteilung der Güter, welche ursprünglich für alle bestimmt sind, ausgeschlossen werden, könnten sich fragen: Warum sollten wir nicht all denen mit Gewalt antworten, die uns zuerst mit Gewalt begegnen? Und wenn man die Lage im Licht der Aufteilung der Welt in ideologische Blöcke betrachtet — wie sie bereits im Jahre 1967 bestand — und die daraus folgenden Auswirkungen und wirtschaftlichen wie politischen Abhängigkeiten bedenkt, wird diese Gefahr noch viel größer. Dieser ersten Überlegung zum dramatischen Inhalt jener Formulierung der Enzyklika schließt sich eine weitere an, auf die das Dokument selbst bereits hinweist:28 Wie soll man die Tatsache rechtfertigen, daß ungeheure Geldsummen, die dazu bestimmt sein könnten und müßten, die Entwicklung der Völker voranzubringen, stattdessen für die Bereicherung von einzelnen und Gruppen oder für die Erweiterung der Waffenarsenale sowohl in den Industrieländern wie in den Entwicklungsländern verwendet werden und so die wahren Prioritäten auf den Kopf stellen? Das wiegt noch schwerer, wenn man die Schwierigkeiten berücksichtigt, die nicht selten den direkten Weg der Gelder behindern, die dafür bestimmt sind, den not-leidenden Ländern Hilfe zu bringen. Wenn „Entwicklung der neue Name für Friede“ ist, dann sind der Krieg und die militärischen Vorbereitungen dazu der größte Feind einer allseitigen Entwicklung der Völker. Darum sind wir im Licht jenes Wortes von Papst Paul VI. aufgefordert, den Begriff der Entwicklung zu überprüfen, der gewiß nicht mit jenem übereinstimmt, der sich darauf beschränkt, die materiellen Bedürfnisse durch ein wachsendes Angebot von Gütern zu befriedigen, ohne auf die Leiden der Mehrheit der Menschen zu achten, und den Egoismus von einzelnen oder ganzer Nationen zum Hauptmotiv macht. Daran erinnert in scharfer Weise der Jakobusbrief: „Woher kommen die Kriege bei euch, woher die Streitigkeiten? Doch nur vom Kampf der Leidenschaften in eurem Innern. Ihr begehrt und erhaltet doch nichts“ (Jak 4,1 f.). 1797 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Demgegenüber wäre in einer anderen Welt, die von der Sorge um das Gemeinwohl der ganzen Menschheit geleitet ist, das heißt, von der Sorge um die „geistige und menschliche Entwicklung aller“ statt von der Sorge um den persönlichen Vorteil, der Friede möglich als Frucht einer „vollkommeneren Gerechtigkeit unter den Menschen“.29 Auch dieses neue Element der Enzyklika hat einen bleibenden und aktuellen Wert, wenn man die heutige Mentalität bedenkt, die so sensibel ist für die enge Verbindung zwischen der Beachtung von Gerechtigkeit und der Errichtung eines wahren Friedens. 1798 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN III Das Bild der heutigen Welt 11. Die grundlegende Lehraussage der Enzyklika Populorum Progressio hatte wegen ihres neuartigen Charakters ein starkes Echo gefunden. Der soziale Kontext, in dem wir heute leben, ist freilich nicht mehr völlig identisch mit dem vor zwanzig Jahren. Darum möchte ich mich nun in einem kurzen Überblick mit einigen Merkmalen der heutigen Welt beschäftigen, um die Lehre der Enzyklika Pauls VI. zu vertiefen, und zwar immer unter dem Gesichtspunkt der „Entwicklung der Völker“. 12. Die erste Tatsache, die hervorgehoben werden muß, besteht darin, daß die damals so lebhaften Hoffnungen auf Entwicklung heute weit entfernt von ihrer Verwirklichung erscheinen. Die Enzyklika machte sich hierin keine Illusionen. Ihre starke und bisweilen dramatische Sprache beschränkte sich darauf, den Ernst der Lage zu betonen und die Gewissen aller dringend zu verpflichten, zu einer Lösung beizutragen. In jenen Jahren bestand ein gewisser Optimismus hinsichtlich der Möglichkeit, den wirtschaftlichen Rückstand der armen Völker ohne allzu große Anstrengungen aufzuholen, sie mit Infrastrukturen zu versehen und ihnen beim Prozeß der Industrialisierung zu helfen. In jenem geschichtlichen Kontext proklamierte die Organisation der Vereinten Nationen über die Anstrengungen jedes einzelnen Landes hinaus zwei aufeinanderfolgende Entwicklungsdekaden?0 So wurden einige bilaterale und multilaterale Maßnahmen ergriffen, um zahlreichen Nationen beizustehen, von denen einige seit längerer Zeit unabhängig waren, andere aber — der größere Teil — eben erst als Staaten aus dem Prozeß der Entkolonisierunggeborenwaren. Die Kirche fühlte sich ihrerseits verpflichtet, die Probleme dieser neuen Situation tiefer zu bedenken, um diese Bemühungen mit ihrem religiösen und humanen Geist zu unterstützen und ihnen so eine „Seele“ und einen wirksamen Impuls zu geben. 13. Man kann nicht sagen, daß diese verschiedenen religiösen, humanitären, wirtschaftlichen und technischen Initiativen vergebens gewesen seien; denn sie haben doch einige Ergebnisse erzielen können. Aber aufs Ganze gesehen und in Anbetracht der verschiedenen Faktoren kann man nicht leugnen, daß die gegenwärtige Weltsituation unter diesem Gesichtspunkt der Entwicklung eher einen negativen Eindruck bietet. 1799 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Hierfür möchte ich die Aufmerksamkeit zunächst auf einige allgemeine Indikatoren lenken, ohne einige andere mehr spezifischer Art zu übergehen. Ohne mich in eine Analyse von Zahlen oder Statistiken einzulassen, genügt es, die Wirklichkeit einer unzähligen Menge von Männern und Frauen, Kindern, Erwachsenen und alten Menschen, von konkreten und einmaligen menschlichen Personen also, zu sehen, die unter der unerträglichen Last des Elends leiden. Viele Millionen sind ohne Hoffnung, weil sich ihre Lage in vielen Teilen der Welt fühlbar verschlechtert hat. Angesichts dieser Dramen von völligem Elend und größter Not, in denen so viele unserer Brüder und Schwestern leben, ist es der Herr Jesus Christus selbst, der an uns appelliert (vgl. Mt 25, 31-46). 14. Die erste negative Feststellung, die es zu machen gilt, ist das Fortbestehen und oft sogar die Verbreiterung des Grabens zwischen dem sogenannten entwickelten Norden und dem unterentwickelten Süden. Diese geographische Sprechweise ist nur eine erste Orientierung; denn man darf nicht übersehen, daß die Grenzen zwischen Reichtum und Armut quer durch die verschiedenen Gesellschaften selber verlaufen, und dies sowohl in den Industrieländern als auch in den Entwicklungsländern. Wie es nämlich soziale Ungleichheiten bis zu den Stufen des Elends auch in reichen Ländern gibt, so beobachtet man entsprechend in den weniger entwickelten Ländern nicht selten Zeichen von Egoismus und Zurschaustellung von Reichtum, die ebenso empörend wie skandalös sind. Dem Überfluß an Gütern und Dienstleistungen, die in einigen Teilen der Welt, vor allem im entwickelten Norden, zur Verfügung stehen, entspricht im Süden ein unannehmbarer Rückstand. Und gerade in dieser geopoliti-schen Zone lebt der größere Teil der Menschheit. Wenn man die ganze Reihe der verschiedenen Sektoren — Erzeugung und Verteilung von Lebensmitteln, Hygiene, Gesundheitswesen und Wohnung, Trinkwasserversorgung, Arbeitsbedingungen, vor allem jene für Frauen, Lebenserwartung sowie andere wirtschaftliche und soziale Indikatoren — ins Auge faßt, ergibt sich ein enttäuschendes Gesamtbild, sei es in sich selbst betrachtet oder in bezug auf die entsprechenden Daten der stärker entwickelten Länder. Das Wort „Graben“ kommt einem dabei spontan wieder auf die Lippen. Vielleicht ist dies nicht der angemessene Ausdruck, um die wahre Realität wiederzugeben, insofern er den Eindruck eines statischen Phänomens vermitteln könnte. Dies aber ist nicht so. Im Fortschritt der Industrieländer und der Entwicklungsländer hat es in diesen Jahren eine unterschiedliche Beschleunigung gegeben, die zu noch breiteren Abständen führt. So gelan- 1800 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gen die Entwicklungsländer, vor allem die ärmsten unter ihnen, allmählich in die Lage eines sehr schweren Rückstandes. Hinzufügen muß man noch die Unterschiede in Kultur und Wertsystemen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die nicht immer mit dem jeweiligen Grad wirtschaftlicher Entwicklung übereinstimmen, aber dazu beitragen, weitere Abstände zu schaffen. Es sind diese Elemente und Aspekte, welche die Soziale Frage noch viel komplexer machen, eben weil sie eine weltweite Dimension erlangt hat. Wenn man die verschiedenen Teile der Welt beobachtet, wie sie durch die wachsende Breite eines solchen Grabens voneinander getrennt sind, und dabei feststellt, daß jeder von ihnen einer eigenen Richtung mit eigenen Initiativen zu folgen scheint, versteht man, warum man im allgemeinen Sprachgebrauch von verschiedenen Welten innerhalb unserer einen Welt spricht: Erste Welt, Zweite Welt, Dritte Welt und manchmal sogar Vierte Welt.31 Solche Ausdrücke, die gewiß nicht beanspruchen, alle Länder erschöpfend zu klassifizieren, erscheinen doch bezeichnend: Sie sind Zeichen eines verbreiteten Gefühls, daß die Einheit der Welt, mit anderen Worten, die Einheit des Menschengeschlechtes, ernstlich bedroht ist. Jenseits seiner mehr oder weniger objektiven Bedeutung verbirgt dieser Wortgebrauch zweifellos einen moralischen Inhalt, dem gegenüber die Kirche als „Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug... für die Einheit der ganzen Menschheit“,32 nicht gleichgültig bleiben kann. 15. Das hier beschriebene Bild wäre allerdings unvollständig, fügte man den wirtschaftlichen und sozialen Indikatoren der Unterentwicklung nicht weitere ebenso negative und sogar noch besorgniserregendere Faktoren, angefangen im kulturellen Bereich, hinzu. Es sind folgende: der Analphabetismus, die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, zu höheren Ausbildungsstufen zu gelangen, die Unfähigkeit, am. Aufbau der eigenen Nation teilzunehmen, die verschiedenen Formen von Ausbeutung oder wirtschaftlicher, sozialer, politischer und auch religiöser Unterdrückung der menschlichen Person und ihrer Rechte, die Diskriminierungen jeder Art, insbesondere jene überaus bösartige, die sich auf den Rassenunterschied gründet. Wenn man manche dieser Mißstände auch in Gebieten des entwickelteren Nordens beklagt, so sind sie doch in den Entwicklungsländern ohne Zweifel häufiger, langfristiger und schwerer zu beseitigen. Man muß außerdem hervorheben, daß in der heutigen Welt unter den anderen Rechten oft auch das Recht auf unternehmerische Initiative unterdrückt wird. Und doch handelt es sich um ein wichtiges Recht nicht nur für den einzelnen, sondern auch für das Gemeinwohl. Die Erfahrung lehrt 1801 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN uns, daß die Leugnung eines solchen Rechtes oder seine Einschränkung im Namen einer angeblichen „Gleichheit“ aller in der Gesellschaft tatsächlich den Unternehmungsgeist, das heißt, die Kreativität des Bürgers als eines aktiven Subjektes, lähmt oder sogar zerstört. Als Folge entsteht auf diese Weise nicht so sehr eine echte Gleichheit als vielmehr eine „Nivellierung nach unten“. Anstelle von schöpferischer Eigeninitiative kommt es zu Passivität, Abhängigkeit und Unterwerfung unter den bürokratischen Apparat, der als einziges „verfügendes“ und „entscheidenes“ — wenn nicht sogar „besitzendes“ — Organ der gesamten Güter und Produktionsmittel alle in eine Stellung fast völliger Abhängigkeit bringt, die der traditionellen Abhängigkeit des Arbeiterproletariers vom Kapitalismus gleicht. Das ruft ein Gefühl von Frustration oder Resignation hervor und bringt die Menschen dazu, sich aus dem Leben der Nation zurückzuziehen, indem viele zur Auswanderung gedrängt werden und ebenso eine Form von „innerer“ Emigration gefördert wird. Eine solche Lage wirkt sich auch auf die „Rechte der Einzelnationen“ aus. In der Tat geschieht es öfters, daß eine Nation ihres Subjektcharakters beraubt wird, das heißt, ihrer „Souveränität“, die ihr in wirtschaftlicher, politisch-sozialer und in gewisser Weise auch kultureller Beziehung zukommt, weil in einer staatlichen Gemeinschaft alle diese Dimensionen des Lebens miteinander verbunden sind. Man muß ferner betonen, daß keine gesellschaftliche Gruppe, wie zum Beispiel eine politische Partei, das Recht hat, das Führungsmonopol an sich zu reißen; denn das führt zur Zerstörung des wahren Subjektcharak-ters der Gesellschaft und der Bürger als Personen, wie es bei jedem Totalitarismus geschieht. In einer solchen Situation werden der Mensch und das Volk zu „Objekten“, trotz aller gegenteiligen Erklärungen und verbaler Beteuerungen. An diesem Punkt sollte man hinzufügen, daß es in der heutigen Welt noch viele weitere Formen der Armut gibt. Verdienen nicht der Mangel oder der Entzug gewisser anderer Güter ebenfalls diesen Namen? Lassen nicht etwa die Leugnung oder die Einschränkung der Menschenrechte — ich nenne zum Beispiel das Recht auf Religionsfreiheit, das Recht, am Aufbau der Gesellschaft teilzunehmen, die Freiheit, Vereinigungen zu bilden, Gewerkschaften zu gründen oder Initiativen im wirtschaftlichen Bereich zu ergreifen — die menschliche Person ebenso, wenn nicht sogar noch mehr, verarmen als durch die Entbehrung materieller Güter? Und ist eine Entwicklung, die nicht diese Rechte voll bejaht, wirklich eine Entwicklung in menschlicher Dimension? 1802 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN So ist, kurz gesagt, die Unterentwicklung unserer Tage nicht nur wirtschaftlicher Art, sondern erstreckt sich auch auf den kulturellen, politischen und einfach menschlichen Bereich, wie die Enzyklika Populorum Progressio schon vor zwanzig Jahren betont hat. Darum müssen wir uns an dieser Stelle fragen, ob die so traurige Wirklichkeit von heute nicht wenigstens zum Teil das Resultat einer zu engen, das heißt, überwiegend wirtschaftlichen Auffassung von Entwicklung ist. 16. Man muß klar aussprechen, daß sich die Gesamtlage trotz der lobenswerten Anstrengungen, die in den letzten zwanzig Jahren von den Industrieländern, von den Entwicklungsländern sowie von den internationalen Organisationen unternommen worden sind, um einen Ausweg aus dieser Situation oder wenigstens ein Heilmittel gegen einige ihrer Symptome zu finden, erheblich verschlimmert hat. Die Verantwortung für eine solche Verschlechterung ist bei verschiedenen Ursachen zu suchen. Man muß hinweisen auf die zweifellos schwerwiegenden Unterlassungen der Entwicklungsländer selber und insbesondere jener Personen, die dort die wirtschaftliche und politische Macht in Händen halten. Das darf uns aber nicht dazu verleiten, die Verantwortung der Industrieländer zu übersehen, die nicht immer, wenigstens nicht in erforderlichem Maße, die Verpflichtung erkannt haben, den Ländern, die von der Welt des Wohlstandes ausgeschlossen sind, zu der sie selber gehören, Hilfe zu leisten. Auf jeden Fall muß man das Bestehen wirtschaftlicher, finanzieller und sozialer Mechanismen anprangern, die, obgleich vom Willen des Menschen gelenkt, doch fast automatisch wirken, wobei sie die Situation des Reichtums der einen und der Armut der anderen verfestigen. Solche Mechanismen, von den stärker entwickelten Ländern in direkter oder indirekter Weise gesteuert, begünstigen durch die ihnen eigene Wirkweise die Interessen derer, die über sie verfügen, erdrücken oder lenken aber schließlich vollständig die Wirtschaftsordnungen der weniger entwickelten Länder. Es wird notwendig sein, diese Mechanismen später einer sorgfältigen Analyse in ethisch-moralischer Hinsicht zu unterziehen. Die Enzyklika Populorum Progressio sah bereits voraus, daß mit solchen Systemen der Reichtum der Reichen zunehmen und das Elend der Armen verfestigt werden konnte.33 Eine Bestätigung dieser Voraussage war das Auftreten der Vierten Welt. 17. Sosehr sich die Weltgesellschaft in mancher Beziehung gespalten zeigt, wie jene bekannten Ausdrücke einer Ersten, Zweiten, Dritten und Vierten 1803 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Welt es dartun, bleibt doch die wechselseitige Abhängigkeit dieser Welten stets sehr eng. Klammert man von dieser Abhängigkeit die ethischen Forderungen aus, so führt das gerade für die Schwächsten zu traurigen Konsequenzen. Die gegenseitige Abhängigkeit ruft durch eine Art von innerer Dynamik und unter dem Druck von Mechanismen, die man geradezu als entartet bezeichnen muß, sogar in den reichen Ländern negative Wirkungen hervor. Im Innern dieser Länder findet man, wenn auch in geringerem Umfang, sehr ausgeprägte Formen von Unterentwicklung. Darum sollte es unbestritten sein, daß die Entwicklung entweder allen Teilen der Welt gemeinsam zugute kommt oder einen Prozeß der Rezession auch in jenen Gegenden erleidet, die bisher einen ständigen Fortschritt zu verzeichnen hatten. Diese Tatsache ist besonders aufschlußreich für das Wesen echter Entwicklung: Entweder nehmen alle Nationen der Welt daran teil, oder sie ist tatsächlich nicht echt. Unter den typischen Kennzeichen von Unterentwicklung, die in wachsendem Maße auch die entwickelten Völker betreffen, gibt es zwei, die in besonderer Weise eine dramatische Situation offenbaren. An erster Stelle steht die Wohnungskrise. In diesem Internationalen Jahr der Menschen ohne Wohnung, das die Organisation der Vereinten Nationen beschlossen hat, richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Millionen von Menschen ohne angemessene oder sogar ohne jegliche Wohnung, um die Gewissen aller aufzurütteln und eine Lösung für dieses schwere Problem zu finden, das eine Reihe von negativen Folgen im individuellen, familiären und gesellschaftlichen Bereich hat.34 Wohnungen fehlen überall; dies ist größtenteils eine Folge der stets zunehmenden Verstädterung.35 Sogar die stärker entwickelten Völker bieten den traurigen Anblick von einzelnen und Familien, die im wahrsten Sinne des Wortes um das Überleben kämpfen und dabei ohne Wohnung sind oder in einer derart elenden Behausung leben müssen, daß sie den Namen einer Wohnung nicht verdient. Die Wohnungsnot, die in sich selbst schon ein ziemlich schweres Problem darstellt, muß als Zeichen und Synthese einer ganzen Reihe von wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder einfach menschlichen Unzulänglichkeiten angesehen werden. In Anbetracht der Ausdehnung des Phänomens kann man sich leicht davon überzeugen, wie weit wir noch vom wirklichen Fortschritt der Völker entfernt sind. 18. Ein weiteres Kennzeichen, das die große Mehrheit der Nationen betrifft, ist das Phänomen der Arbeitslosigkeit und der Unterbeschäftigung. 1804 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Niemandem entgeht, wie aktuell und stets schwieriger sich dieses Problem in den industrialisierten Ländern darstellt.36 Wenn es in den Entwicklungsländern wegen ihres hohen Bevölkerungszuwachses und der Menge junger Menschen bereits alarmierend wirkt, scheinen in den Ländern starker wirtschaftlicher Entwicklung die Quellen der Arbeit selbst abzunehmen und, statt zuzunehmen, verringern sich so die Möglichkeiten für eine Beschäftigung. Auch diese Erscheinung mit ihrer Reihe von negativen Folgen auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene, von der Abwertung der Person bis zum Verlust der Selbstachtung, die sich jeder Mann und jede Frau schuldet, drängt uns dazu, die Art der im Laufe der letzten zwanzig Jahre angestrebten Entwicklung ernsthaft in Frage zu stellen. Hierbei erweist sich als höchst angebracht die folgende Überlegung der Enzyklika Laborem Exer-cens: „Dabei ist hervorzuheben, daß das entscheidende Element und gleichzeitig der beste Prüfstein eines solchen Fortschritts im Geist der Gerechtigkeit und des Friedens, wie ihn die Kirche verkündet und unaufhörlich vom Vater aller Menschen und Völker erbittet, gerade die ständige Aufwertung der menschlichen Arbeit ist, sei es unter dem Gesichtspunkt ihrer objektiven Zielsetzung, sei es im Hinblick auf die Würde des Subjekts jeder Arbeit, die der Mensch ist“. Demgegenüber „werden wir unvermeidlich von einer erschütternden Tatsache ungeheuren Ausmaßes schmerzlich berührt“, daß es nämlich „Scharen von Arbeitslosen und Unterbeschäftigten... gibt, eine Tatsache, die zweifelsfrei bezeugt, daß im Innern der einzelnen politischen Gemeinschaften wie auch in den Beziehungen zwischen ihnen auf kontinentaler und globaler Ebene hinsichtlich der Organisation der Arbeit und der Beschäftigung irgend etwas nicht funktioniert, und zwar gerade in den entscheidenden und sozial wichtigen Punkten“.37 Wie das erstgenannte, so bedeutet auch dieses zweite Phänomen wegen seines universalen Charakters und seiner sich gleichsam fortpflanzenden Tendenz ein in seiner negativen Auswirkung höchst aufschlußreiches Zeichen für den Zustand und die Qualität jener Entwicklung der Völker, vor der wir heute stehen. 19. Ein weiteres Phänomen, ebenfalls typisch für die letzten Jahre — auch wenn es nicht überall auftritt —, ist zweifellos genau so bezeichnend für die wechselseitige Abhängigkeit zwischen entwickelten und unterentwickelten Ländern. Es ist das Problem der internationalen Verschuldung, dem die Päpstliche Kommission Iustitia et Pax dieses Jahr ein eigenes Dokument38 gewidmet hat. 1805 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Man muß an dieser Stelle die enge Verbindung eines solchen Problems, dessen wachsendes Gewicht die Enzyklika Populomm Progressio bereits vorausgesehen hatte,39 mit der Frage nach der Entwicklung der Völker deutlich aussprechen. Der Grund, der die Entwicklungsländer veranlaßte, das Angebot einer Fülle von bereitstehenden Kapitalien anzunehmen, war die Hoffnung, sie in Entwicklungsprojekte investieren zu können. Darum kann man die Bereitstellung von Kapitalien und ihre Annahme in Form von Darlehen durchaus als einen Beitrag zur Entwicklung selbst ansehen. Das ist an sich ein wünschenswerter und berechtigter Vorgang, wenn er vielleicht auch unvorsichtig und manchmal überstürzt in die Wege geleitet worden ist. Seitdem sich aber die Lage in den Schuldnerländern ebenso wie auf dem internationalen Finanzmarkt geändert hat, hat sich das Instrument, das bestimmt war, die Entwicklung voranzutreiben, in einen Mechanismus verwandelt, der das Gegenteil bewirkt: sei es, weil die Schuldnerländer, um dem Schuldendienst nachzukommen, sich verpflichtet sehen, Kapitalien auszuführen, die notwendig wären, um ihren Lebensstandard zu heben oder wenigstens zu halten, sei es, weil sie aus demselben Grund keine neuen Kredite erhalten können, die sie dringend bräuchten. Durch diesen Mechanismus ist das Mittel, das zur Entwicklung der Völker bestimmt war, zu einer Bremse geworden, in gewissen Fällen sogar zur Ursache einer verschärften Unterentwicklung. Diese Feststellungen müssen dazu drängen — wie das kürzlich erschienene Dokument der Päpstlichen Kommission Iustitia et Pax sagt — ,40 über den ethischen Charakter der wechselseitigen Abhängigkeiten der Völker nachzudenken und in der Linie der vorliegenden Betrachtung die ebenfalls von ethischen Prinzipien bestimmten Erfordernisse und Bedingungen der Zusammenarbeit zur Entwicklung zu bedenken. 20. Wenn wir an diesem Punkt die Ursachen eines solchen schweren Rückstandes im Prozeß der Entwicklung untersuchen, wie er im Gegensatz zu den Hinweisen der Enzyklika Populorum Progressio, die so viele Hoffnungen geweckt hatte, eingetreten ist, richtet sich unsere Aufmerksamkeit in besonderer Weise auf die politischen Ursachen der heutigen Situation. Weil wir uns dabei vor einem Bündel zweifellos komplexer Faktoren befinden, ist es nicht möglich, hier zu einer vollständigen Analyse zu gelangen. Wir dürfen jedoch ein besonders entscheidendes Faktum der politischen Situation, die den geschichtlichen Abschnitt prägt, der auf den Zweiten Weltkrieg folgt, und den Verlauf der Entwicklung der Völker stark beeinflußt, nicht verschweigen. 1806 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wir meinen damit die Existenz zweier entgegengesetzter Blöcke, die allgemein mit den gebräuchlichen Namen von Ost und West, oder auch Orient und Okzident, bezeichnet werden. Der Grund für diese Namengebung ist nicht einfach nur politischer, sondern, wie man sagt, auch weltpolitischer Art. Denn jeder dieser beiden Blöcke neigt dazu, rings um sich her weitere Länder oder Ländergruppen sich anzugleichen oder anzuschließen. Dieser Gegensatz ist zuallererst politischer Art, insofern jeder der beiden Blöcke seine eigene Identität in einem System gesellschaftlicher Organisation und Machtausübung findet, das dazu neigt, das jeweils andere auszu-schiießen. Seinerseits hat der politische Gegensatz seine Wurzeln in einem tieferen ideologischer Art. Im Westen besteht nämlich ein System, das sich historisch an den Prinzipien des liberalistischen Kapitalismus orientiert, wie er sich im vergangenen Jahrhundert mit der Industrialisierung entwickelt hat; im Osten dagegen besteht ein System, das sich am marxistischen Kollektivismus orientiert, der entstanden ist aus einer Interpretation der Lage der proletarischen Klassen, wie sie im Licht einer besonderen Geschichtsdeutung vorgenommen wurde. Indem sich j ede der beiden Ideologien auf zwei so unterschiedliche Auffassungen vom Menschen, von seiner Freiheit und seiner gesellschaftlichen Rolle bezieht, vertreten sie in Vergangenheit und Gegenwart auf wirtschaftlicher Ebene entgegengesetzte Formen der Arbeitsorganisation und der Eigentumsstrukturen, insbesondere was die sogenannten Produktionsmittel betrifft. Es war unvermeidlich, daß der ideologische Gegensatz durch die Entwicklung von miteinander ringenden Systemen und Machtzentren und mit je eigenen Formen von Propaganda und Indoktrination zu einem wachsenden militätischen Gegensatz führte und so zwei Blöcke bewaffneter Macht entstehen ließ, von denen jeder die Vorherrschaft des anderen mißtrauisch fürchtet. Die internationalen Beziehungen mußten ihrerseits die Auswirkungen dieser „Logik der Blöcke“ und der jeweiligen „Einflußsphären“ notwendigerweise zu spüren bekommen. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden, hat die Spannung zwischen den beiden Blöcken die ganzen folgenden vierzig Jahre beherrscht, indem sie bald den Charakter eines „kalten Krieges ", bald den eines „ Stellvertreterkrieges “ durch die Ausnutzung örtlicher Konflikte annahm oder mit der Drohung eines offenen und totalen Krieges die Herzen in Unruhe und Angst hielt. Wenn sich auch eine solche Gefahr gegenwärtig weiter entfernt zu haben scheint, ohne freilich völlig verschwunden zu sein, und wenn man auch zu einem ersten Abkommen über die Zerstörung einer Kategorie von Atom- 1807 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN waffen gekommen ist, so bleiben doch die Existenz und der Gegensatz der Blöcke immer noch eine reale und beunruhigende Wirklichkeit, die weiterhin die Weltlage bestimmt. 21. Das zeigt sich mit besonders negativer Auswirkung in den internationalen Beziehungen, die die Entwicklungsländer betreffen. Die Spannung zwischen Ost und West ist ja eigentlich, wie bekannt, nicht ein Gegensatz zwischen zwei unterschiedlichen Graden von Entwicklung, sondern eher zwischen zwei Auffassungen von der Entwicklung der Menschen und Völker, die beide unvollkommen sind und als solche eine tiefgreifende Korrektur erfordern. Dieser Gegensatz wird dann in jene Länder eingeführt und trägt so zur Verbreiterung des Grabens bei, der bereits auf wirtschaftlicher Ebene zwischen Nord und Süd besteht und die Folge des Abstandes der entwickelten von der weniger entwickelten Welt darstellt. Das ist einer der Gründe, warum die Soziallehre der Kirche eine kritische Etaltung gegenüber dem liberalistischen Kapitalismus wie dem kollektivistischen Marxismus einnimmt. Und in der Tat, von der Entwicklung her gesehen, stellt sich die spontane Frage: Auf welche Weise oder in welchem Maße lassen diese beiden Systeme Veränderungen oder Anpassungen zu, so daß eine echte und umfassende Entwicklung des Menschen und der Völker in der heutigen Gesellschaft begünstigt oder gefördert würde? Solche Veränderungen und Anpassungen sind für die Sache einer gemeinsamen Entwicklung aller dringend und unerläßlich. Die eben erst unabhängig gewordenen Länder, die für ihre Anstrengungen, eine eigene kulturelle und politische Identität zu erlangen, den wirksamen und selbstlosen Beitrag der reicheren und entwickelteren Länder nötig hätten, sehen sich in ideologische Konflikte hineingezogen — und manchmal sogar von ihnen überwältigt —, die im Innern des Landes unvermeidliche Spaltungen erzeugen und in gewissen Fällen sogar wahre Bürgerkriege entfesseln. Dies auch deswegen, weil die Investitionen und Entwicklungshilfen oft ihrem eigentlichen Zweck entzogen und dazu mißbraucht werden, Gegensätze zu vertiefen, außerhalb und sogar gegen die Interessen der Länder, die dadurch gefördert werden sollten. Viele von ihnen werden sich immer mehr der Gefahr bewußt, zu Opfern eines Neokolonialismus zu werden, und versuchen, sich herauszuhalten. Ein solches Bewußtsein hat, wenn auch unter Schwierigkeiten, Schwankungen und gelegentlichen Widersprüchen, die internationale Bewegung der blockfreien Länder hervorgebracht, die, was ihre positive Ausrichtung betrifft, das Recht jedes Volkes auf seine Identität, auf seine Unabhängigkeit und Sicherheit sowie, auf der Grundlage von Gleichheit und Solidarität, das 1808 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Recht zur Nutzung der Güter, die für alle Menschen bestimmt sind, in wirksamer Weise vertreten möchte. 22. Nach diesen Erwägungen gelingt es leicht, einen klareren Überblick über das Bild der letzten zwanzig Jahre zu bekommen und besser zu verstehen, daß die Kontraste im Norden der Welt, das heißt, zwischen Ost und West, wahrlich nicht die geringste Ursache für den Rückstand oder den Stillstand des Südens sind. Anstatt sich zu selbständigen Nationen zu entwickeln, die sich um den eigenen Weg zur gerechten Teilhabe an den für alle bestimmten Gütern und Dienstleistungen bemühen, werden die Länder auf dem Wege der Entwicklung zu Rädern eines Mechanismus, zu Teilen einer gewaltigen Maschinerie. Das geschieht oft auch auf dem Gebiet der sozialen Kommunikationsmittel: Weil diese meistens von Zentren im Norden der Welt aus geleitet werden, berücksichtigen sie nicht immer in gebührender Weise die eigenen vorrangigen Anliegen und Probleme dieser Länder, noch achten sie ihr kulturelles Antlitz, sondern drängen ihnen nicht selten ein entstelltes Bild vom Leben und vom Menschen auf und entsprechen so nicht den Anforderungen einer echten Entwicklung. Jeder der beiden Blöcke birgt auf seine Weise in sich die Tendenz zum Im-penalismus, wie man dies allgemein nennt, oder zu Formen eines Neokolonialismus: eine naheligende Versuchung, in die man nicht selten fällt, wie selbst die jüngste Geschichte noch lehrt. Diese anormale Situation, die Folge eines Krieges und einer Besorgnis, die von Motiven der eigenen Sicherheit über das berechtigte Maß hinaus ins Unermeßliche gesteigert ist, ertötet den Aufschwung zu solidarischer Zusammenarbeit aller für das Gemeinwohl des Menschengeschlechtes, zum Schaden vor allem der friedensbereiten Völker, die dadurch in ihrem Recht, Zugang zu den für alle Menschen bestimmten Gütern zu erlangen, blockiert sind. So gesehen, ist die gegenwärtige Spaltung der Welt ein direktes Hindernis für eine wirkliche Veränderung der Bedingungen der Unterentwicklung in den Ländern auf dem Wege der Entwicklung oder in jenen weniger entwickelten. Die Völker finden sich allerdings nicht immer mit ihrem Los ab. Ferner scheinen nunmehr die Bedürfnisse einer Wirtschaft selber, die von den Militärausgaben sowie von Bürokratismus und innerer Leistungsschwäche erstickt wird, Prozesse zu begünstigen, die jenen Gegensatz der Blöcke mildern und den Beginn eines fruchtbaren Dialogs und einer echten Zusammenarbeit für den Frieden erleichtern. 1809 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 23. Die Feststellung der Enzyklika Populorum Progressio, daß die zur Verfügung stehenden Mittel und Investitionen, die für die Waffenproduktion vorgesehen sind, verwendet werden müßten, um das Elend der darbenden Bevölkerungen zu mildern,41 macht den Appell, den Gegensatz zwischen den beiden Blöcken zu überwinden, noch dringender. Praktisch dienen heute solche Mittel dazu jedem der beiden Blöcke zu ermöglichen, Vorteile gegenüber dem anderen zu erringen und so die eigene Sicherheit zu garantieren. Diese Einstellung, ein Fehler von Anfang an, erschwert es den Nationen, die in historischer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht die Möglichkeit besitzen, eine Führungsrolle zu übernehmen, ihrer Verpflichtung, sich den Völkern solidarisch zu erweisen, die ihre volle Entwicklung anstreben, hinreichend nachzukommen. Es ist angebracht, an diesem Punkt darauf hinzuweisen — und es sollte nicht als Übertretung erscheinen —, daß eine Führungsrolle unter den Nationen nur von der Möglichkeit und Bereitschaft gerechtfertigt werden kann, umfassend und großzügig zum Gemeinwohl beizutragen. Eine Nation, die mehr oder weniger bewußt der Versuchung nachgäbe, sich in sich selbst zu verschließen und der Verantwortung nicht nachzukommen, die sich aus ihrer Überlegenheit im Verbund der Nationen ergibt, würde in schwerwiegender Weise ihre eindeutige ethische Pflicht verletzen. Das ist leicht zu erkennen in einer geschichtlichen Situation, in der der gläubige Mensch die Fügungen der göttlichen Vorsehung wahrnimmt, die gewillt ist, sich der Nationen für die Verwirklichung ihrer Pläne zu bedienen wie auch „die Pläne der Völker zunichte zu machen“ (vgl. Ps 33,10). Wenn der Westen den Eindruck macht, sich in Formen einer wachsenden egoistischen Isolierung zurückzuziehen, und der Osten seinerseits aus fragwürdigen Gründen die eigene Verpflichtung zu ignorieren scheint, den Einsatz für die Erleichterung des Elends der Völker mitzutragen, handelt es sich nicht nur um einen Verrat an den berechtigten Erwartungen der Menschheit, der unvorhersehbare Folgen ahnen läßt, sondern um ein echtes Versagen vor einer moralischen Verpflichtung. 24. Wenn bereits die Produktion von Waffen in Anbetracht der wahren Notwendigkeiten der Menschen und des erforderlichen Einsatzes von geeigneten Mitteln, um ihnen zu genügen, ein schwerer Mißstand in der heutigen Welt ist, so ist dies ebenso der Handel mit solchen Waffen. Was diesen angeht, so muß man hinzufügen, ist das moralische Urteil sogar noch strenger. Bekanntlich handelt es sich hierbei um ein Geschäft ohne Grenzen und dazu fähig, sogar die Mauern der Blöcke zu überwinden. Es versteht sich darauf, die Trennungslinie zwischen Ost und West und vor allem jene zwi- 1810 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sehen Nord und Süd zu überschreiten und sogar, was noch schwerwiegender ist, in die verschiedenen Strukturen der südlichen Zone der Erde einzudringen. So befinden wir uns vor einem seltsamen Phänomen: Während Wirtschaftshilfen und Entwicklungspläne auf das Hindernis unüberwindlicher Barrieren von Ideologien sowie von Steuer- und Handelsgesetzen stoßen, fließen Waffen jeglicher Herkunft fast ungehindert in alle Teile der Welt. Und jedermann weiß — wie das kürzlich erschienene Dokument der Päpstlichen Kommission Iustitia et Pax über die internationale Verschuldung hervorhebt42 —, daß in gewissen Fällen die Gelder, die von der entwickelten Welt als Darlehen gegeben werden, in der unterentwickelten Welt zum Erwerb von Waffen benutzt werden. Wenn man all dem die weithin bewußte furchtbare Gefahr hinzufügt, die von den unglaublich angewachsenen Vorräten an Atomwaffen; ausgeht, scheint dies die logische Konsequenz zu sein: Statt sich um eine echte Entwicklung zu sorgen, die alle zu einem „humaneren“ Leben führen könnte — wie es sich die Enzyklika Populorum Progressio erhofft hatte43 —, scheint sich das Bild der heutigen Welt, einschließlich der Wirtschaft, schneller und schneller auf eine tödliche Vernichtung hinzubewegen. Die Folgen dieser Lage der Dinge zeigen sich in der Zunahme einer Plage, die typisch und bezeichnend ist für die Ungleichgewichte und Konflikte der heutigen Welt: die Millionen von Flüchtlingen, denen Kriege, Naturkatastrophen, Verfolgungen und Diskriminierungen aller Art Heim, Arbeit Familie und Vaterland geraubt haben. Die Tragödie dieser Menschenmengen spiegelt sich im niedergeschlagenen Antlitz der Männer, Frauen und Kinder wider, die in einer geteilten und ungastlich gewordenen Welt keine Heimstatt mehr finden können. Man darf auch nicht die Augen schließen vor einerweiteren schmerzhaften Plage der heutigen Welt: vor dem Phänomen des Terrorismus, verstanden als Vorsatz, unterschiedslos Menschen zu töten und Güter zu zerstören und gerade so ein Klima des Schreckens und der Unsicherheit zu schaffen, oft auch verbunden mit Geiselnahme. Auch wenn man als Motivation dieser unmenschlichen Praxis irgendeine Ideologie oder die Errichtung einer besseren Gesellschaft anführt, sind terroristische Akte niemals zu rechtfertigen. Das sind sie noch weniger, wenn solche Beschlüsse und Taten, durch die es manchmal zu wahren Blutbädern kommt, sowie manche Entführungen unschuldiger Menschen außerhalb der Konflikte einem propagandistischen Zweck zum Vorteil der eigenen Sache dienen sollen oder wenn sie, was noch schlimmer ist, als Ziel an sich gewollt sind, so daß man allein darum tötet, um zu töten. Angesichts von so viel Entsetzen und Leid behalten jene Worte stets ihren Wert, die ich vor einigen Jahren ausgesprochen 1811 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN habe und hier noch einmal wiederholen möchte: „Das Christentum verbietet die Wege des Hasses einzuschlagen sowie das Mittel des Mordes an wehrlosen Personen und die Methode des Terrorismus zu benutzen“.44 25. An dieser Stelle muß auch an das Problem der Bevölkerungsentwicklung erinnert werden und an die Weise, darüber heute nach den Maßstäben zu reden, die Paul VI. in seiner Enzyklika45 aufgezeigt und die ich selbst im Apostolischen Schreiben Familiaris Consortio46 ausführlich dargelegt habe. Unleugbar gibt es, vor allem im Süden unseres Planeten, ein derartiges demographisches Problem, daß es Schwierigkeiten für die Entwicklung bereitet. Es ist aber angebracht, gleich hinzufügen, daß sich dieses Problem im Norden mit umgekehrten Vorzeichen darstellt: Was hier Sorgen macht, ist der Abfall der Geburtenziffer mit Auswirkungen auf die Altersstruktur der Bevölkerung, die sogar unfähig wird, sich biologisch zu erneuern. Auch dieses Phänomen ist von sich aus geeignet, die Entwicklung zu behindern. Wie es ungenau ist zu behaupten, solche Schwierigkeiten kämen nur vom Bevölkerungswachstum her, so ist es auch nicht erwiesen, daß jegliches Bevölkerungswachstum unvereinbar sei mit einer geordneten Entwicklung. Andererseits erscheint es sehr alarmierend, in vielen Ländern auf Initiative ihrer Regierungen die Propagierung von systematischen Kampagnen zur Geburtenkontrolle festzustellen, und das im Gegensatz nicht nur zur kulturellen und religiösen Identität der Länder selbst, sondern auch zum Wesen einer echten Entwicklung. Oft geschieht es, daß diese Kampagnen unter Druck zustande kommen und durch Kapital aus dem Ausland finanziert werden, ja, daß wirtschaftliche und finanzielle Hilfe und Unterstützung ihnen manchmal sogar untergeordnet werden. In jedem Fall handelt es sich um einen absoluten Mangel an Respekt vor der Entscheidungsfreiheit der betroffenen Personen, Männer und Frauen, die nicht selten unerträglichem Druck, auch wirtschaftlicher Art, ausgesetzt sind, um sie für diese neue Form der Unterdrückung gefügig zu machen. Gerade die ärmsten Völker erleiden diese Mißhandlungen; und es endet mitunter damit, daß die Tendenz zu einem gewissen Rassismus geweckt oder die Anwendung gewisser Formen von Eugenetik gefördert werden, die gleichermaßen rassistisch sind. Auch diese Vorgänge, die auf das energischste zu verurteilen sind, sind Zeichen eines irrigen und entarteten Begriffes: von echter menschlicher Entwicklung. 1812 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 26. Ein solches vorwiegend negatives Bild der realen Situation der Entwicklung in der Welt von heute wäre nicht vollständig, wenn nicht auch das gleichzeitige Vorhandensein von positiven Aspekten aufgezeigt würde. Das erste positive Merkmal ist das wache Bewußtsein sehr vieler Männer und Frauen von der eigenen Würde und der eines jeden Menschen. Dieses Bewußtsein kommt zum Beispiel in der überall auflebenden Sorge um die Achtung der Menschenrechte und in einer entschiedeneren Zurückweisung ihrer Verletzungen zum Ausdruck. Ein deutliches Zeichen dafür ist die Zahl der privaten Vereinigungen, einige von weltweiter Bedeutung, die in jüngster Zeit dafür entstanden sind; fast alle bemühen sich darum, mit großer Sorgfalt und lobenswerter Objektivität das internationale Geschehen in diesem so delikaten Bereich zu verfolgen. Auf dieser Ebene muß man den Einfluß anerkennen, den die Erklärung der Menschenrechte ausübt, die vor ungefähr vierzig Jahren von der Organisation der Vereinten Nationen verkündet worden ist. Ihr Vorhandensein als solches und ihre fortschreitende Annahme von seiten der internationalen Gemeinschaft sind ein Zeichen für ein Bewußtsein, das sich immer mehr durchsetzt. Dasselbe muß man, immer im Bereich der Menschenrechte, auch von den anderen Rechtsmitteln derselben Organisation der Vereinten Nationen oder anderer internationaler Organe sagen.47 Das Bewußtsein, von dem wir hier sprechen, meint nicht nur die einzelnen Personen, sondern auch die Nationen und Völker, die als Körperschaften mit bestimmter kultureller Identität für die Wahrung, freie Handhabung und Förderung dieses kostbaren Erbes besonders aufgeschlossen sind. Gleichzeitig breitet sich in der durch alle Art von Konflikten entzweiten und verworrenen Welt die Überzeugung von einer tiefen wechselseitigen Abhängigkeit aus und folglich auch die Forderung nach einer Solidarität, die diese aufgreift und auf die moralische Ebene überträgt. Mehr als in der Vergangenheit werden sich die Menschen heute dessen bewußt, durch ein gemeinsames Schicksal verbunden zu sein, das man vereint gestalten muß, wenn die Katastrophe für alle vermieden werden soll. Aus der tiefen Erfahrung von Sorge und Angst sowie von Fluchtmitteln wie den Drogen, die für die Welt von heute charakteristisch sind, erhebt sich allmählich die Einsicht, daß das Gut, zu dem wir alle berufen sind, und das Glück, nach dem wir uns sehnen, ohne die Anstrengung und den Einsatz aller, niemanden ausgeschlossen, und ohne konsequenten Verzicht auf den eigenen Egoismus nicht erreicht werden können. Hier fügt sich auch als Zeichen für die Achtung vor dem Leben — trotz aller Versuchungen, es zu zerstören, von der Abtreibung bis zur Euthanasie — die gleichzeitige Sorge um den Frieden ein und wiederum das Bewußtsein 1813 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN davon, daß dieser unteilbar ist: Er gehört entweder allen oder niemandem; ein Friede, der immer mehr die strenge Beachtung der Gerechtigkeit und folglich die gerechte Verteilung der Früchte wahrer Entwicklung fordert.48 Unter die positiven Zeichen der Gegenwart muß man auch das wachere Bewußtsein von der Begrenztheit der verfügbaren Grundstoffe zählen; ferner die Notwendigkeit, die Unversehrtheit und die Rhythmen der Natur zu achten und bei der Planung der Entwicklung zu berücksichtigen, ohne diese bestimmten demagogischen Auffassungen von ihr zu opfern. Wir bezeichnen dies heute als Sorge flir die Umwelt. Es ziemt sich, auch den Einsatz von Personen in Regierung, Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften, in der Wissenschaft und im internationalen Leben anzuerkennen, die sich — oft von religiösem Glauben inspiriert — darum bemühen, mit nicht geringen persönlichen Opfern und mit Hochherzigkeit die Übel der Welt zu überwinden, und alles daran setzen, daß immer mehr Männer und Frauen sich der Wohltaten des Friedens und einer Lebensqualität erfreuen können, die diesen Namen verdient. Dazu tragen in nicht geringem Maße die großen internationalen und einige regionale Organisationen bei, deren vereinte Anstrengungen Initiativen von größerer Wirksamkeit ermöglichen. Auch durch diese Beiträge ist es einigen Entwicklungsländern trotz der Last zahlreicher negativer Voraussetzungen gelungen, eine gewisse Selbstversorgung in der Ernährung oder eine Stufe der Industrialisiemng zu erreichen, die es ihnen gestattet, in Würde zu überleben und der aktiven Bevölkerung Arbeitsplätze zu beschaffen. Darum ist nicht alles negativ in der Welt von heute, und es könnte auch nicht anders sein, weil doch die Vorsehung des himmlischen Vaters sogar über unseren täglichen Sorgen mit Liebe wacht (vgl. Mt 6,25-32; 10, 23-31; Lk 12, 6-7. 22-30); die positiven Werte, die wir aufgezeigt haben, bezeugen sogar eine neue moralische Besorgtheit, vor allem hinsichtlich der großen Menschheitsprobleme wie der Entwicklung und des Friedens. Diese Tatsache veranlaßt mich, die Überlegungen nun auf die wahre Natur der Entwicklung der Völker zu lenken, im Einklang mit der Enzyklika, deren Jubiläum wir feiern, und als Würdigung ihrer Lehre. 1814 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN TV Die wahre menschliche Entwicklung 27. Der Blick, den wir auf Einladung der Enzyklika auf die Welt von heute richten, läßt uns vor allem erkennen, daß die Entwicklung kein gradliniger, fast automatischer und von sich aus grenzenloser Prozeß ist, als ob das Menschengeschlecht unter gewissen Bedingungen auf eine Art unbegrenzter Vollkommenheit zueilen könnte.49 Eine solche Auffassung, die eher mit einem Begriff von „Fortschritt“ verbunden ist, der von philosophischen Überlegungen aufklärerischer Natur geprägt ist, als mit einem Begriff von „Entwicklung“,50 wie er in spezifisch wirtschaftlich-sozialem Sinn gebraucht wird, erscheint heute ernsthaft in Frage gestellt, und das besonders nach der tragischen Erfahrung der beiden letzten Weltkriege, der geplanten und teilweise durchgeführten Vernichtung ganzer Völker sowie der drohenden atomaren Gefahr. An die Stelle eines einfältigen Optimismus mechanistischer Art ist eine begründete Sorge um das Schicksal der Menschheit getreten. 28. Gleichzeitig ist aber auch die „ökonomische“ oder „ökonomistische“ Auffassung selbst, die mit dem Wort „Entwicklung“ verbunden ist, in eine Krise geraten. Tatsächlich erkennt man heute besser, daß die reine Anhäufung von Gütern und Dienstleistungen, auch wenn sie zum Nutzen der Mehrheit erfolgt, nicht genügt, um das menschliche Glück zu verwirklichen. Folglich bringen auch nicht die zur Verfügung stehenden vielfältigen echten Errungenschaßen, die in jüngster Zeit durch Wissenschaft und Technik hervorgebracht worden sind, einschließlich der Informatik, die Befreiung von jeglicher Form von Knechtschaft. Im Gegenteil, die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, daß die gesamte Menge der Hilfsquellen und Möglichkeiten, die dem Menschen zur Verfügung gestellt worden ist, wenn sie nicht von einer sittlichen Grundeinstellung gelenkt und auf das wahre Wohl des Menschengeschlechts hingeordnet wird, sich leicht gegen den Menschen richtet, um ihn zu unterdrücken. Eine betrübliche Feststellung aus der jüngsten Zeit sollte höchst lehrreich sein: Neben dem Elend der Unterentwicklung, das nicht geduldet werden kann, finden wir eine Art von Überentwicklung, die gleichermaßen unannehmbar ist, weil sie, wie die erste, im Gegensatz zum wahren Wohl und Glück steht. Denn diese Überentwicklung, die in einer übertriebenen Verfügbarkeit von jeder Art materieller Güter zugunsten einiger sozialer Schichten besteht, macht die Menschen leicht zu Sklaven des „Besitzens“ und des unmittelbaren Genießens, ohne eine andere Perspektive als die 1815 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Vermehrung oder den ständigen Austausch der Dinge, die man schon besitzt, gegen andere immer perfektere. Das ist die sogenannte Konsumgesellschaft oder der Konsumismus, der so viele „Verschwendung“ und „Abfälle“ mit sich bringt. Ein Gegenstand, den man besitzt und der von einem anderen, noch perfekteren, übertroffen wird, wird beiseitegeschoben, ohne seinen möglichen bleibenden Wert in sich selbst oder zugunsten eines anderen, ärmeren Menschen zu berücksichtigen. Wir alle greifen mit den Händen die traurigen Auswirkungen dieser blinden Unterwerfung unter den reinen Konsum: vor allem eine Form von krassem Materialismus und zugleich eine tiefgehende■ Unzufriedenheit, weil man sofort erkennt, daß man — wenn man nicht gegen die Flut der Reklame und das ständige verlockende Angebot von Produkten gefeit ist — um so mehr haben möchte, je mehr man besitzt, während die tieferen Wünsche unerfüllt bleiben oder vielleicht schon erstickt sind. Die Enzyklika Papst Paul VI. hat auf den heute so oft betonten Unterschied zwischen „Haben“ und „Sein“51 hingewiesen, den zuvor schon das II. Vatikanische Konzil mit treffenden Worten ausgedrückt hatte.52 Das „Haben“ von Dingen und Gütern vervollkommnet von sich aus nicht die menschliche Person, wenn es nicht zur Reifung und zur Bereicherung ihres „Seins“, das heißt, zur Verwirklichung der menschlichen Berufung als solcher, beiträgt. Gewiß, der Unterschied zwischen „Sein“ und „Haben“ sowie die Gefahr, die einer reinen Vermehrung oder Auswechselung von Dingen, die man besitzt, im Hinblick auf den Wert des „Seins“ innewohnt, muß nicht unbedingt zu einer Antinomie werden. Eine der größten Ungerechtigkeiten in der Welt von heute besteht gerade darin: Nur relativ wenige sind es, die viel besitzen, und viele jene, die fast nichts haben. Es ist die Ungerechtigkeit der schlechten Verteilung der Güter und Dienstleistungen, die ursprünglich für alle bestimmt sind. So ergibt sich folgendes Bild: Da gibt es jene — die wenigen, die viel besitzen —, die nicht wirklich zu „sein“ imstande sind, weil sie durch eine Umkehrung der Hierarchie der Werte vom Kult des „Habens“ daran gehindert werden; und dann diejenigen — die vielen, die wenig oder nichts besitzen —, die wegen der Entbehrung der elementaren Güter ihre grundlegende menschliche Berufung nicht zu verwirklichen vermögen. Das Übel liegt nicht im „Haben“ als solchem, sondern in der Art und Weise des Habens, die auf die Qualität und die Rangordnung der besessenen Güter keine Rücksicht nimmt: Qualität und Rangordnung, wie sie sich aus der Unterordnung der Güter und aus deren Verfügbarkeit für das „Sein“ des Menschen und seine wahre Berufung ergeben. 1816 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Damit ist nachgewiesen, daß sich die Entwicklung, wenn sie auch eine notwendige wirtschaftliche Dimension besitzt, weil sie ja der größtmöglichen Zahl der Erdenbewohner die zum „Sein“ unerläßlichen Güter zur Verfügung stellen muß, dennoch nicht in dieser Dimension erschöpft. Wenn sie auf diese beschränkt wird, wendet sie sich gegen diejenigen, die man damit fördern möchte. Die Merkmale einer umfassenden, „menschlicheren“ Entwicklung, die imstande ist — ohne die wirtschaftlichen Erfordernisse zu leugnen —, sich auf der Höhe der wahren Berufung von Mann und Frau zu halten, sind von Paul VI. beschrieben worden.53 29. Eine nicht nur wirtschaftliche Entwicklung mißt und orientiert sich an dieser Wirklichkeit und an dieser Berufung des Menschen in seiner gesamten Existenz, das heißt, an einer Art von Maßstab, der ihm selbst innewohnt. Er braucht ohne Zweifel die geschaffenen Güter und die Produkte der Industrie, die sich durch den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt ständig entfaltet. Und während die immer neue Verfügbarkeit von materiellen Gütern auf die notwendigen Bedürfnisse antwortet, eröffnet sie zugleich neue Horizonte. Die Gefahr des konsumistischen Mißbrauchs und das Auftreten von künstlichen Bedürfnissen dürfen keineswegs die Wertschätzung und den Gebrauch der neuen Güter und Hilfsquellen, die uns zur Verfügung gestellt werden, verhindern. Wir müssen darin vielmehr ein Geschenk Gottes und eine Antwort auf die Berufung des Menschen sehen, die sich in Christus voll verwirklicht. Um aber die wahre Entwicklung zu erreichen, darf man den genannten Maßstab nicht aus den Augen verlieren: Er ist enthalten in der besonderen Natur des Menschen, der von Gott nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen worden ist (vgl. Gen 1, 26), in seiner körperlichen wie geistigen Natur, im zweiten Schöpfungsbericht symbolisiert durch die zwei Elemente der Erde, aus der Gott den Leib des Menschen formt, und des Lebensatems, der in seine Nase eingehaucht wird (vgl. Gen 2,1). Der Mensch erhält so eine gewisse Verwandtschaft mit den anderen Geschöpfen. Er ist berufen, sie zu gebrauchen, sich um sie zu kümmern, und ist — immer nach dem Genesisbericht (2,15) — in den Garten versetzt mit der Aufgabe, ihn zu bebauen und zu hüten, über allen anderen Geschöpfen, die von Gott seiner Herrschaft unterstellt sind (vgl. Gen 1, 25-26). Gleichzeitig aber muß der Mensch dem Willen Gottes ergeben bleiben, der ihm die Grenzen für den Gebrauch und die Beherrschung der Dinge vorschreibt (vgl. Gen 2,16-17), so wie er ihm auch die Unsterblichkeit verheißt 1817 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN (vgl. Gen 2, 9; Weish 2, 23). Darum hat der Mensch, da er Bild Gottes ist, auch eine echte Verwandtschaft mit Gott. Auf der Grundlage dieser Lehre kann Entwicklung nicht nur im Gebrauch, in der Beherrschung und im wahllosen Besitz der geschaffenen Dinge und der Produkte des menschlichen Fleißes bestehen, sondern vielmehr in der Unterordnung des Besitzes, der Herrschaft und des Gebrauchs unter die göttliche Ebenbildlichkeit des Menschen und unter seine Berufung zur Unsterblichkeit. Dies ist die transzendente Wirklichkeit des menschlichen Seins, an der von Anfang an ein Menschenpaar, Mann und Frau (vgl. Gen 1, 27), teilhat und die somit grundsätzlich sozial ausgerichtet ist. 30. Der Begriff der Entwicklung ist also nach der Heiligen Schrift nicht rein „weltlich“ oder „profan“, sondern erscheint auch, obgleich mit einem sozio-ökonomischen Schwerpunkt, als der moderne Ausdruck einer wesentlichen Dimension der Berufung des Menschen. Der Mensch ist ja nicht gleichsam unbeweglich und statisch geschaffen. Die erste Beschreibung, die die Bibel von ihm gibt, zeigt ihn gewiß als Geschöpf und Abbild, das in seiner inneren Wirklichkeit von seinem Ursprung und der den Menschen begründenden Ähnlichkeit bestimmt ist. Dies alles aber senkt in das menschliche Sein, in Mann und Frau, den Keim und die Anforderung einer grundlegenden Aufgabe, die es zu erfüllen gilt, sei es von jedem einzeln oder als Paar. Die Aufgabe besteht darin, „über die anderen Geschöpfe zu herrschen“, „den Garten zu bestellen“; eine Aufgabe, die im Rahmen des Gehorsams gegenüber dem göttlichen Gesetz und somit in der Achtung vor dem empfangenen Abbild zu verwirklichen ist, dem offensichtlichen Fundament jener Herrschermacht, die ihm für seine Vervollkommnung zuerkannt ist (vgl. Gen 1,26-30; 2,15 ff.; Weish 9,2-3). Wenn der Mensch Gott gegenüber ungehorsam ist und es ablehnt, sich seiner Macht zu unterwerfen, dann lehnt sich die Natur gegen ihn auf und erkennt ihn nicht mehr als ihren „Herrn“ an, weil er das göttliche Abbild in sich verdunkelt hat. Der Aufruf zum Besitzen und Gebrauchen der geschaffenen Mittel bleibt immer gültig; aber nach dem Sündenfall wird der Vollzug schwierig und leidvoll (vgl. Gen 3, 17-19). Das folgende Kapitel der Genesis zeigt uns nämlich die Nachkommenschaft von Kain, die „eine Stadt“ erbaut, den Hirtenberuf ausübt und sich mit den Künsten (der Musik) und der Technik (der Metallurgie) beschäftigt, während man zugleich beginnt, „den Namen des Herrn anzurufen“ (vgl. Gen 4,17-26). Die Geschichte des Menschengeschlechts, wie sie von der Heiligen Schrift beschrieben wird, ist auch nach dem Sündenfall eine Geschichte ständiger 1818 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN konkreter Taten, die sich — durch die Sünde immer in Frage gestellt und gefährdet — wiederholen, sich vervollkommnen und ausbreiten als Antwort auf die göttliche Berufung, die von Anfang an dem Mann und der Frau zuerkannt (vgl. Gen 1, 26-28) und dem von ihnen empfangenen göttlichen Abbild eingeprägt ist. Es ist wenigstens für diejenigen, die an das Wort Gottes glauben, naheliegend, daraus zu folgern, daß die „Entwicklung“ von heute als ein Moment der Geschichte gesehen werden muß, die mit der Schöpfung begonnen hat und wegen der Untreue gegenüber dem Willen des Schöpfers ständig gefährdet ist, vor allem durch die Versuchung zum Götzendienst, die aber doch grundsätzlich dem Gesetz ihres Anfangs entspricht. Wer den schwierigen, aber auch beglückenden Auftrag zurückweisen wollte, das Los des ganzen Menschen und aller Menschen zu verbessern, und dies unter dem Vorwand der Last des Kampfes und der ständigen Anstrengung zur Überwindung der Schwierigkeiten oder sogar wegen der Erfahrung des Mißerfolges und des Rückfalls auf den Ausgangspunkt, der würde dem Willen des Schöpfers untreu. Unter dieser Hinsicht habe ich in der Enzyklika Labo-rem Exercens auf die Berufung des Menschen zur Arbeit hingewiesen, um zu unterstreichen, daß immer der Mensch die Hauptperson der Enwick-lung ist.54 Jesus Christus selbst hebt im Gleichnis von den Talenten die strenge Behandlung dessen hervor, der die empfangene Begabung zu verbergen wagte: „Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du hast doch gewußt, daß ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe... Darum nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat“ (Mt 25, 26-28). Uns, die wir die Gaben Gottes empfangen, um sie Frucht bringen zu lassen, kommt es zu, zu „säen“ und zu „sammeln“. Wenn wir es nicht tun, wird uns auch das genommen, was wir haben. Das tiefere Verständnis dieser strengen Worte kann uns veranlassen, mit mehr Entschlossenheit die heute für alle dringliche Verpflichtung auf uns zu nehmen, an der vollen Entwicklung der anderen mitzuwirken: an der „Entwicklung des ganzen Menschen und aller Menschen“.55 31. Während der Glaube an Christus, den Erlöser, das Wesen der Entwicklung von innen her erhellt, weist er uns auch den Weg bei der Aufgabe der Zusammenarbeit. Im Brief des heiligen Paulus an die Kolosser lesen wir, daß Christus der „Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ ist und „alles durch ihn und auf ihn hin geschaffen ist“ (1,15-16). Denn jedes Ding „hat in ihm Bestand“, weil „Gott mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen sollte, um durch ihn alles zu versöhnen (1, 20). 1819 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN In diesen göttlichen Plan, der von Ewigkeit her in Christus, dem vollkommenen „Ebenbild“ des Vaters, beginnt und in ihm als dem „Erstgeborenen der Toten“ (Kol 1,15.8) seinen Höhepunkt findet, fügt sich unsere Geschichte ein, die von unserem persönlichen wie gemeinschaftlichen Bemühen gekennzeichnet ist, die menschliche Lage zu bessern und die auf unserem Weg immer wieder entstehenden Widerstände zu überwinden, indem wir uns so auf die Teilnahme an jener Fülle vorbereiten, die „in ihm wohnt“ und die er „seinem Leib, der die Kirche ist“, mitgeteilt hat (ebd. 1,18; vgl. Eph 1, 22-23), während die Sünde, die uns stets bedrängt und unsere menschlichen Unternehmungen beeinträchtigt, durch die von Christus gewirkte „Versöhnung“ besiegt und entgolten worden ist (vgl. Kol 1, 20). Hier weitet sich der Blick. Der Traum von einem unbegrenzten „Fortschritt“ kehrt wieder, doch radikal verwandelt durch eine neue Sicht, die der christliche Glaube eröffnet hat, indem er uns versichert, daß ein solcher Fortschritt nur möglich ist, weil Gott Vater von Anfang an beschlossen hat, den Menschen an seiner Herrlichkeit teilhaben zu lassen im auferstandenen Herrn Jesus Christus, in dem wir „durch sein Blut die Erlösung, die Vergebung der Sünden haben“ (Eph 1,7). In ihm hat er die Sünde besiegen und für unser höheres Wohl dienstbar machen wollen,56 das unendlich übersteigt, was immer der Fortschritt verwirklichen könnte. Während wir uns inmitten der Dunkelheiten' und Mängel der Unterent-wicklungund der Überentwicklung abmühen, können wir also sagen, daß eines Tages „dieses Vergängliche sich mit Unvergänglichkeit und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit bekleidet“ (1 Kor 15, 54), wenn der Herr „seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt“ (ebd. 24) und alle Werke und Handlungen, die des Menschen würdig sind, eingelöst werden. Diese Sicht des Glaubens zeigt ferner gut die Gründe auf, die die Kirche veranlassen, sich mit der Problematik der Entwicklung zu befassen, sie als eine Verpflichtung ihrespastoralen Dienstes zu betrachten und alle dazu anzuregen, über die Natur und die Merkmale der wahren menschlichen Entwicklung nachzudenken. Mit ihrem Einsatz möchte sie sich einerseits in den Dienst des göttlichen Planes stellen, der darauf abzielt, alle Dinge auf die Fülle hinzuordnen, die „in Christus wohnt“ (vgl. Kol 1,19) und die er seinem Leib mitgeteilt hat; andererseits möchte sie dadurch ihrer grundlegenden Berufung entsprechen, „Sakrament“ oder „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ zu sein.57 Einige Kirchenväter haben sich durch diese Sicht inspirieren lassen, um ihrerseits eine eigene Auffassung vom Sinn der Geschichte und der menschlichen Arbeit darzulegen, die auf ein Ziel ausgerichtet ist, das sie übersteigt, 1820 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und stets durch ihre Beziehung zum Werk Christi bestimmt ist. Mit anderen Worten, man kann in der patristischen Lehre eine optimistische Sicht von der Geschichte und der Arbeit finden oder vom bleibenden Wert der echten menschlichen Werke, insofern sie von Christus erlöst und für das verheißene Reich bestimmt sind.58 So gehört zur ältesten Lehre und Praxis der Kirche die Überzeugung, daß sie selbst, ihre Amtsträger und jedes ihrer Glieder durch ihre Berufung dazu angehalten sind, das Elend der Leidenden, ob nah oder fern, nicht nur aus dem „Überfluß“, sondern auch aus dem „Notwendigen“ zu lindern. Angesichts von Notfällen kann man nicht einen Überfluß an Kirchenschmuck und kostbare Geräte für die Liturgie vorziehen; im Gegenteil, es könnte verpflichtend sein, solche Güter zu veräußern, um den Bedürftigen dafür Speise und Trank, Kleidung und Wohnung zu geben.59 Wie schon bemerkt wurde, wird uns hier — im Rahmen des Rechts auf Eigentum — eine „Rangfolge der Werte“zwischen „Haben“ und „Sein“ angegeben, besonders wenn sich das „Haben“ einiger zum Schaden des „Seins“ von so vielen anderen auswirken kann. In seiner Enzyklika steht Papst Paul VI. auf der Linie dieser Lehre, wobei er sich von der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes anregen läßt.60 Meinerseits möchte ich ihre schwerwiegende Bedeutung und Dringlichkeit noch besonders unterstreichen. Vom Herrn erbitte ich für alle Christen die Kraft, diese Lehre treu in die Praxis übertragen zu können. 32. Die Verpflichtung, sich für die Entwicklung der Völker einzusetzen, ist nicht nur von individueller und noch weniger von individualistischer Art, als ob es möglich wäre, sie mit den isolierten Anstrengungen der einzelnen zu erreichen. Es ist eine Pflicht für alle und jeden, für Mann und Frau, für Gesellschaften und Nationen, im besonderen aber für die katholische Kirche und für die anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, mit denen wir zur Zusammenarbeit auf diesem Gebiet voll bereit sind. Wie wir Katholiken die christlichen Brüder einladen, sich an unseren Initiativen zu beteiligen, so erklären wir uns in diesem Sinne auch bereit, an den ihrigen mitzuarbeiten, indem wir die an uns gerichteten Einladungen annehmen. Bei diesem Bemühen um die ganzheitliche Entwicklung des Menschen können wir vieles auch zusammen mit den Gläubigen der anderen Religionen tun, wie es übrigens an verschiedenen Orten bereits geschieht. Die Zusammenarbeit für die Entwicklung des ganzen Menschen und jedes Menschen ist ja eine Pflicht aller gegenüber allen und muß zugleich den vier Teilen der Welt, Ost und West, Nord und Süd, oder, um den heute üblichen Ausdruck zu verwenden, den verschiedenen „Welten“ gemeinsam 1821 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sein. Wenn man sie dagegen nur in einem Teil oder nur in einer „Welt“ zu verwirklichen sucht, dann geschieht dies auf Kosten der anderen; und dort, wo Entwicklung beginnt, nimmt sie gerade deswegen, weil die anderen ignoriert werden, übertriebene Ausmaße an und entartet. Auch die Völker oder Nationen selbst haben ein Recht auf ihre eigene volle Entwicklung, die natürlich, wie gesagt, die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte beinhaltet, aber auch die entsprechende kulturelle Identität und die Öffnung zum Transzendenten hin umfassen muß. Nicht einmal die Notwendigkeit der Entwicklung darf als Vorwand genommen werden, um anderen den eigenen Lebensstil oder den eigenen religiösen Glauben aufzuzwingen. 33. Ebenfalls wäre ein Entwicklungstyp nicht wirklich des Menschen würdig, der nicht auch die persönlichen und gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Menschenrechte, die Rechte der Nationen und Völker eingeschlossen, achten und fördern würde. Heute erkennt man vielleicht mehr als früher und mit größerer Klarheit den inneren Widerspruch einer Entwicklung, die allein auf die wirtschaftliche Seite beschränkt bleibt. Eine solche ordnet die menschliche Person und ihre tieferen Bedürfnisse allzu leicht den Erfordernissen der wirtschaftlichen Planung oder des alleinigen Profits unter. Die innere Verbindung zwischen wahrer Entwicklung und Achtung der Menschenrechte offenbart noch einmal deren moralischen Charakter. Die wahre Förderung des Menschen, die im Einklang mit der wesentlichen und geschichtlichen Berufung jedes einzelnen steht, erreicht man nicht, indem man nur ein Übermaß an Gütern und Dienstleistungen nutzt oder über perfekte Infrastrukturen verfügt. Wenn Einzelmenschen und Gemeinschaften nicht die moralischen, kulturellen und geistigen Erfordernisse gewissenhaft respektiert sehen, die auf der Würde der Person und auf der eigenen Identität einer jeden Gemeinschaft, angefangen bei der Familie und den religiösen Gesellschaften, gründen, dann wird sich alles übrige — Verfügbarkeit von Gütern, Überfluß an technischen Hilfsmitteln für das tägliche Leben, ein gewisses Niveau materiellen Wohlstandes — als ungenügend und langfristig als verachtenswert erweisen. Das bestätigt der Herr eindeutig im Evangelium, wo er die Aufmerksamkeit aller auf die wahre Rangfolge der Werte lenkt: „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber seine Seele verliert?“ (Mt 16, 26). Echte Entwicklung nach den eigenen Erfordernissen des menschlichen Wesens, ob Mann oder Frau, Kind, Erwachsener oder Betagter, schließt, in 1822 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN erster Linie bei allen, die sich an diesem Prozeß aktiv beteiligen und dafür verantwortlich sind, ein lebendiges Bewußtsein ein vom Wert der Rechte aller und eines jeden sowie von der Notwendigkeit, das Recht eines jeden auf den vollen Gebrauch der Hilfen, die von Wissenschaft und Technik ange-boten werden, zu achten. Im inneren Bereich einer jeden Nation erhält die Achtung aller Menschenrechte eine große Bedeutung: besonders das Recht auf Leben in jedem Stadium seiner Existenz; die Rechte der Familie, insofern sie die soziale Grundgemeinschaft oder „Zelle der Gesellschaft“ ist; die Gerechtigkeit in den Arbeitsverhältnissen; die Rechte, die dem Leben der politischen Gemeinschaft als solcher innewohnen; die Rechte aus der transzendenten Be-mfung des Menschen, angefangen beim Recht auf Freiheit, den eigenen religiösen Glauben zu bekennen und zu praktizieren. Auf internationaler Ebene, in den Beziehungen zwischen den Staaten oder — nach dem geläufigen Sprachgebrauch — zwischen den verschiedenen „Welten“, muß die Identität eines jeden Volkes mit seinen geschichtlichen und kulturellen Eigenschaften voll geachtet werden. Ebenso unerläßlich ist es, wie schon die Enzyklika Populorum Progressio gewünscht hat, jedem Volk das gleiche Recht zuzugestehen, „mit am Tisch des gemeinsamen Mahles zu sitzen“,61 statt wie Lazarus draußen vor der Tür zu liegen, während „die Hunde kommen, um seine Geschwüre zu lecken“ (vgl. Lk 16, 20.21). Sowohl die Völker als auch die einzelnen Personen müssen sich der grundsätzlichen Gleichheit erfreuen,62 auf der zum Beispiel die Charta der Organisation der Vereinten Nationen beruht: eine Gleichheit, die das Fundament des Rechtes aller auf Teilnahme am Prozeß einer vollen Entwicklung ist. Um von solcher Art zu sein, muß sich die Entwicklung im Rahmen von Solidarität und Freiheit vollziehen, ohne jemals die eine oder die andere, unter welchem Vorwand auch immer, zu opfern. Der moralische Charakter der Entwicklung und seine notwendige Förderung werden besonders herausgestellt, wenn alle Erfordernisse, die sich aus der dem menschlichen Geschöpf eigenen Ordnung von Wahr und Gut herleiten, auf das strengste beachtet werden. Der Christ, der dazu angeleitet worden ist, im Menschen das Abbild Gottes zu sehen, das zur Teilnahme an der Wahrheit und am Guten berufen ist, die Gott selbst darstellt, versteht ferner den Einsatz für die Entwicklung und ihre Verwirklichung nicht unabhängig von der Beachtung und dem Respekt vor der einzigartigen Würde dieses „Abbildes“. Mit anderen Worten, die wahre Entwicklung muß sich auf die Liebe zu Gott und zum Nächsten gründen und dazu beitragen, die Beziehungen zwischen den 1823 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN einzelnen und der Gesellschaft zu fördern. Das ist die „Zivilisation der Liebe“, von der Papst Paul VI. so oft gesprochen hat. 34. Der moralische Charakter der Entwicklung kann auch nicht von der Achtung vor den Geschöpfen absehen, welche die sichtbare Natur bilden, die die Griechen in Anspielung auf die Ordnung, von der sie geprägt ist, „Kosmos“ nannten. Auch diese Wirklichkeiten verlangen Achtung, und zwar in einer dreifachen Hinsicht, über die aufmerksam nachzudenken sich lohnt. Die erste besteht darin, daß es angemessen ist, sich zunehmend dessen bewußt zu werden, daß man nicht ungestraft von den verschiedenen lebenden oder leblosen Geschöpfen — Naturelemente, Pflanzen, Tiere — rein nach eigenem Gutdünken und entsprechend den eigenen wirtschaftlichen Erfordernissen Gebrauch machen kann. Im Gegenteil, man muß der Natur eines jeden Wesens und seiner Wechselbeziehung in einem geordneten System wie dem Kosmos Rechnung tragen. Die zweite Überlegung gründet sich hingegen auf die noch eindringlichere Feststellung von der Begrenztheit der natürlichen Hilfsquellen, von denen sich einige, wie man sagt, nicht regenerieren. Diese Quellen mit absolutem Verfügungsanspruch zu benutzen, als ob sie unerschöpflich wären, bringt ihr Fortbestehen nicht nur für die gegenwärtige Generation, sondern vor allem für die künftigen in ernste Gefahr. Die dritte Überlegung bezieht sich unmittelbar auf die Folgen, die eine gewisse Art von Entwicklung auf die Lebensqualität in den Industriegebieten hat. Wir wissen alle, daß ein direktes oder indirektes Ergebnis der Industrialisierung immer häufiger die Verschmutzung der Umwelt ist, mit schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung. Ein weiteres Mal wird dadurch deutlich, daß sich die Entwicklung, der Wille zur Planung, der sie lenkt, der Gebrauch der Hilfsquellen und die Art und Weise, sie zu verwerten, nicht von der Beachtung der moralischen Forderungen lösen dürfen. Eine davon verlangt ohne Zweifel Grenzen für den Gebrauch der sichtbaren Natur. Die vom Schöpfer dem Menschen anvertraute Herrschaft ist keine absolute Macht noch kann man von der Freiheit sprechen, sie zu „gebrauchen oder zu mißbrauchen“ oder über die Dinge zu verfügen, wie es beliebt. Die Beschränkung, die der Schöpfer selber von Anfang an auferlegt hat, ist symbolisch in dem Verbot enthalten, „von der Frucht des Baumes zu essen“ (vgl. Gen 2,16-17); sie zeigt mit genügender Klarheit, daß wir im Hinblick auf die sichtbare Natur nicht nur biologischen, sondern auch moralischen Gesetzen unterworfen sind, die man nicht ungestraft übertreten darf. 1824 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Eine richtige Auffassung von Entwicklung kann nicht von solchen Überlegungen hinsichtlich des Gebrauchs der Naturdinge, der möglichen Erneuerung der Hilfsquellen und der Folgen einer ungeordneten Industrialisierung absehen, die unser Gewissen erneut auf die moralische Dimension der Entwicklung hinlenken.63 1825 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN V Eine theologische Analyse der modernen Probleme 35. Im Lichte dieses wesentlichen moralischen Charakters der Entwicklung sind auch die Hindernisse zu betrachten, die sich ihr entgegenstellen. Wenn es während der Jahre seit der Veröffentlichung der Enzyklika Pauls VI. keine Entwicklung gegeben hat — oder sie nur in geringem, unregelmäßigem, wenn nicht geradezu widersprüchlichem Maße stattgefunden hat —, können die Gründe dafür nicht nur wirtschaftlicher Natur sein. Wie bereits angedeutet, sind dabei auch politische Motive im Spiel. Die Entscheidungen, die die Entwicklung der Völker vorantreiben oder hemmen, sind ja gewiß Faktoren von politischem Charakter. Um die oben genannten entarteten Mechanismen zu überwinden und sie durch neue, gerechtere zu ersetzen, die dem Gemeinwohl der Menschheit mehr entsprechen, bedarf es eines wirksamen politischen Willens. Leider muß man aber nach einer Analyse der Situation feststellen, daß dieser bisher unzureichend gewesen ist. In einem pastoralen Dokument wie dem vorliegenden wäre aber eine Analyse, die sich ausschließlich auf wirtschaftliche und politische Ursachen der Unterentwicklung (und analog auch der sogenannten Überentwicklung) beschränken würde, unvollständig. Es ist deshalb erforderlich, die Ursachen moralischer Natur zu ermitteln, die auf der Ebene des Verhaltens der Menschen als verantwortliche Personen wirken, um den Fortgang der Entwicklung zu hemmen und ihre Vollendung zu verhindern. Wenn wissenschaftliche und technische Hilfsmittel zur Verfügung stehen, die zusammen mit den notwendigen und konkreten politischen Entscheidungen endlich dazu beitragen sollen, die Völker auf den Weg zu einer echten Entwicklung zu bringen, dann erfolgt die Überwindung der hauptsächlichen Hindernisse ebenfalls nur durch wesentlich moralische Entschlüsse, welche sich für die Glaubenden, besonders für Christen, mit Hilfe der göttlichen Gnade an den Prinzipien des Glaubens orientieren. 36. Deshalb ist zu betonen, daß eine in Blöcke geteilte Welt, die von starren Ideologien gestützt werden und wo statt gegenseitiger solidarischer Abhängigkeit verschiedene Formen von Imperialismus vorherrschen, nur eine Welt sein kann, die „Strukturen der Sünde“ unterworfen ist. Die Summe der negativen Faktoren, die sich in einem Sinne auswirken, der zu einem echten Bewußtsein vom umfassenden Gemeinwohl und von der Aufgabe, diese zu fördern, im Gegensatz steht, macht den Eindruck, in 1826 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Personen und Institutionen eine Barriere zu schaffen, die nur schwer zu überwinden ist.64 Wenn die heutige Situation Schwierigkeiten unterschiedlicher Natur zuzuschreiben ist, so ist es nicht verfehlt, von „Strukturen der Sünde“ zu sprechen, die, wie ich im Apostolischen Schreiben Reconciliatio et Paenitentia festgestellt habe, in persönlicher Sünde ihre Wurzeln haben und daher immer mit konkreten Taten von Personen Zusammenhängen, die solche Strukturen herbeiführen, sie verfestigen und es erschweren, sie abzubauen.65 Und so verstärken und verbreiten sie sich und werden zur Quelle weiterer Sünden, indem sie das Verhalten der Menschen negativ beeinflussen. „Sünde“ und „Strukturen der Sünde“ sind Kategorien, die nicht oft auf die Situation der Welt von heute angewandt werden. Man gelangt aber nicht leicht zu einem tieferen Verständnis der Wirklichkeit, wie sie sich unseren Augen darbietet, wenn man der Wurzel der Übel, die uns bedrängen, nicht auch einen Namen gibt. Man kann gewiß von „Egoismus“ und von „Kurzsichtigkeit“ sprechen; man kann auf „falsche politische Einschätzungen“, auf „unkluge wirtschaftliche Entscheidungen“ hinweisen. In jeder dieser Wertungen bemerkt man jedoch ein Echo ethisch-moralischer Natur. Die Lage des Menschen ist derartig, daß eine tiefere Analyse von Taten und Unterlassungen der Personen erschwert wird, wenn man nicht in der einen oder anderen Weise Urteile oder Bezüge ethischer Natur miteinschließt. Diese Wertung ist an sich positiv zu sehen, vor allem wenn sie daraus sämtliche Folgen zieht und sich auf den Glauben an Gott und auf sein Gesetz gründet, das das Gute vorschreibt und das Böse verbietet. Darin besteht der Unterschied zwischen der Art von sozialpolitischer Analyse und dem ausdrücklichen Hinweis auf die „Sünde“ und auf „Strukturen der Sünde“. Bei dieser letzteren Sichtweise kommen der Wille des dreimal heiligen Gottes, sein Plan mit den Menschen, seine Gerechtigkeit und sein Erbarmen mit ins Spiel. Gott, der reich ist an Erbarmen, der Erlöser der Menschen, der Herr und Geber des Lebens, fordert von den Menschen bestimmte Verhaltensweisen, die sich auch in Handlungen oder Unterlassungen gegenüber dem Nächsten ausdrücken. Hierin liegt ein Bezug auf die „zweite Tafel“ der Zehn Gebote (vgl. Ex 20, 12-17; Dt 5, 16-21); durch deren Nichtbeachtung beleidigt man Gott und schadet dem Nächsten, wobei man Abhängigkeiten und Hindernisse in die Welt einführt, die viel weiter reichen als die Taten selbst und die kurze Lebensspanne des einzelnen Menschen. Sie wirken sich auch auf den Prozeß der Entwicklung der Völker aus, dessen Verzögerung oder zu langsames Voranschreiten auch in diesem Licht zu beurteilen ist. 1827 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 37. An diese allgemeine Analyse religiöser Natur können sich nun einige mehr ins einzelne gehende Überlegungen anschließen, um zu bemerken, daß die bezeichnendsten Handlungen und Verhaltensweisen, die im Gegensatz zum Willen Gottes und zum Wohl des Nächsten stehen, sowie die „Strukturen“, die sie herbeiführen, heute vor allem zwei zu sein scheinen: auf der einen Seite die ausschließliche Gier nach Profit und auf der anderen Seite das Verlangen nach Macht mit dem Vorsatz, anderen den eigenen Willen aufzuzwingen. Jeder dieser Verhaltensweisen kann man, um sie noch treffender zu kennzeichnen, die Qualifizierung hinzufügen: „um jeden Preis“. Mit anderen Worten, wir stehen vor einer Absolutsetzung menschlicher Verhaltensweisen mit allen ihren möglichen Folgen. Auch wenn beide Haltungen an sich voneinander getrennt werden können, weil die eine ja ohne die andere zu existieren vermag, finden sie sich doch in dem Bild, das sich unseren Augen darbietet, unauflöslich verbunden, mag auch die eine oder die andere vorherrschen. Dieser doppelten sündhaften Haltung verfallen offensichtlich nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Nationen und Blöcke. Das begünstigt noch mehr das Entstehen von „Strukturen der Sünde“, von denen ich gesprochen habe. Wenn man gewisse Formen eines modernen „Imperialismus“ im Licht dieser moralischen Kriterien betrachten würde, könnte man entdecken, daß sich hinter bestimmten Entscheidungen, die scheinbar nur von Wirtschaft oder Politik getragen sind, wahrhafte Formen von Götzendienst verbergen: gegenüber Geld, Ideologie, Klasse oder Technologie. Mit dieser Analyse wollte ich vor allem die wahre Natur des Bösen aufzeigen, mit der wir es bei der Frage der Entwicklung der Völker zu tun haben: Es handelt sich um ein moralisches Übel, die Frucht vieler Sünden, die zu „Strukturen der Sünde“ führen. Das Böse so zu erkennen bedeutet, auf der Ebene menschlichen Verhaltens den Weg genau anzugeben, den man gehen muß, um es zu überwinden. 38. Es ist ein langer und umständlicher Weg, weil er zudem noch unter ständiger Bedrohung steht, sei es durch die innere Zerbrechlichkeit menschlicher Vorsätze und Taten, sei es durch die Wandelbarkeit der äußeren, oft nicht vorhersehbaren Umstände. Auf jeden Fall muß man den Mut haben, diesen Weg aufzunehmen und, wenn einige Schritte getan sind oder ein Teil der Wegstrecke durchschritten ist, ihn bis zum Ende zu gehen. Im Rahmen solcher Überlegungen enthält die Entscheidung, sich auf den Weg zu machen oder den Weg fortzusetzen, vor allem einen moralischen Wert, den gläubige Männer und Frauen als von Gottes Willen gefordert 1828 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN anerkennen, dem einzigen wahren Fundament einer Ethik mit absoluter Verpflichtung. Es ist zu wünschen, daß auch die Männer und Frauen, die keinen ausdrücklichen Glauben haben, davon überzeugt sind, daß die Hindernisse, die einer vollen Entwicklung entgegenstehen, nicht nur wirtschaftlicher Natur sind, sondern von Grundhaltungen abhängen, die sich für den Menschen als absolute Werte darstellen. Deshalb ist zu hoffen, daß alle, die im einen oder anderen Maße für ein „menschlicheres Leben“ gegenüber ihren Mitmenschen verantwortlich sind, seien sie von einem religiösen Glauben inspiriert oder nicht, sich vollkommen Rechenschaft geben über die dringende Notwendigkeit einer Änderung der geistigen Haltungen, welche die Beziehungen eines jeden Menschen mit sich selbst, mit dem Nächsten, mit den menschlichen Gemeinschaften, auch den entferntesten, sowie mit der Natur bestimmen, und zwar aus der Kraft höherer Werte wie des Gemeinwohls oder, um den glücklichen Ausdruck der Enzyklika Populorum Pro-gressio aufzugreifen, der vollen Entwicklung „des ganzen Menschen und aller Menschen“.66 Für die Christen wie für alle, die die genaue theologische Bedeutung des Wortes „Sünde“ anerkennen, heißt die Änderung des Verhaltens oder der Mentalität oder der Lebensweise in biblischer Sprache „Umkehr“ (vgl. Mk 1,15; Lk 13, 3.5; Jes 30,15). Diese Umkehr betrifft im einzelnen die Beziehung zu Gott, zur zugezogenen Schuld, zu ihren Folgen und darum auch zum Nächsten als Individuum oder in Gemeinschaft. Gott, in „dessen Händen die Herzen der Mächtigen sind“67 und aller anderen, ist es, der die „Herzen aus Stein“ nach seiner eigenen Verheißung und durch das Wirken seines Geistes „in Herzen aus Fleisch“ umzuwandeln vermag (vgl. Ez 36, 26). Auf dem Wege zur ersehnten Umkehr und zur Überwindung der moralischen Hindernisse für die Entwicklung kann man bereits das wachsende Bewußtsein der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen den Menschen und den Nationen als positiven und moralischen Wert hervorheben. Daß Männer und Frauen in verschiedenen Teilen der Welt Ungerechtigkeiten und Verletzungen der Menschenrechte, begangen in fernen Ländern, die sie vielleicht niemals besuchen werden, als ihnen selbst zugefügt empfinden, ist ein weiteres Zeichen einer Wirklichkeit, die sich in Gewissen verwandelt hat und so eine moralische Qualität erhält. Vor allem die Tatsache der gegenseitigen Abhängigkeit wird als entscheidendes System von Beziehungen in der heutigen Welt mit seinen wirtschaftlichen, kulturellen, politischen und religiösen Faktoren verstanden und als moralische Kategorie angenommen. Wenn die gegenseitige Abhängigkeit 1829 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN in diesem Sinne anerkannt wird, ist die ihr entsprechende Antwort als moralisches und soziales Verhalten, als „Tugend“ also, die Solidarität. Diese ist nicht ein Gefühl vagen Mitleids oder oberflächlicher Rührung wegen der Leiden so vieler Menschen nah oder fern. Im Gegenteil, sie ist die feste und beständige Entschlossenheit, sich für das „Gemeinwohl“ einzusetzen, das heißt, für das Wohl aller und eines jeden, weil wir alle für alle verantwortlich sind. Eine solche Entschlossenheit gründet in der festen Überzeugung, daß gerade jene Gier nach Profit und jener Durst nach Macht, von denen bereits gesprochen wurde, es sind, die den Weg zur vollen Entwicklung aufhalten. Diese Haltungen und „Strukturen der Sünde“ übewindet man nur — neben der notwendigen Hilfe der göttlichen Gnade — mit einer völlig entgegengesetzten Haltung: mit dem Einsatz für das Wohl des Nächsten zusammen mit der Bereitschaft, sich im Sinne des Evangeliums für den anderen zu „verlieren“, anstatt ihn auszubeuten, und ihm zu „dienen“, anstatt ihn um des eigenen Vorteils willen zu unterdrücken (vgl. Mt 10, 40-42; 20, 25; Mk 10, 42-45; Lk 22, 25-27). 39. Die Übung von Solidarität im Innern einer jeden Gesellschaft hat ihren Wert, wenn sich ihre verschiedenen Mitglieder gegenseitig als Personen anerkennen. Diejenigen, die am meisten Einfluß haben, weil sie über eine größere Anzahl von Gütern und Dienstleistungen verfügen, sollen sich verantwortlich für die Schwächsten fühlen und bereit sein, Anteil an ihrem Besitz zu geben. Auf derselben Linie von Solidarität sollten die Schwächsten ihrerseits keine rein passive oder gesellschaftsfeindliche Haltung einnehmen, sondern selbst tun, was ihnen zukommt, wobei sie durchaus auch ihre legitimen Rechte einfordern. Die Gruppen der Mittelschicht ihrerseits sollten nicht in egoistischer Weise auf ihrem Eigenvorteil bestehen, sondern auch die Interessen der anderen beachten. Positive Zeichen in der heutigen Welt sind das wachsende Bewußtsein für die Solidarität der Armen untereinander, ihre Initiativen gegenseitiger Hilfe, die öffentlichen Kundgebungen im gesellschaftlichen Leben, wobei sie nicht zu Gewalt greifen, sondern die eigenen Bedürfnisse und ihre Rechte angesichts von Unwirksamkeit oder Korruption staatlicher Stellen deutlich machen. Kraft ihres Auftrages aus dem Evangelium fühlt sich die Kirche an die Seite der Armen gerufen, um die Berechtigung ihrer Forderungen zu ermitteln und zu deren Erfüllung beizutragen, ohne den Blick für das Wohl der einzelnen Gruppen im Rahmen des Gemeinwohls aller zu verlieren. Derselbe Maßstab wird analogerweise auf die internationalen Beziehungen angewandt. Die wechselseitige Abhängigkeit muß sich in eine Solidarität verwandeln, die auf dem Prinzip gründet, daß die Güter der Schöpfung 1830 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN für alle bestimmt sind: Was menschlicher Fleiß durch Verarbeitung von Rohstoffen und Arbeitsleistung hervorbringt, muß dem Wohl aller in gleicher Weise dienen. Indem die stärkeren und reicheren Nationen jeglichen Imperialismus und alle Absichten, die eigene Hegemonie zu bewahren, überwinden, müssen sie sich für die anderen moralisch verantwortlich fühlen, bis ein wirklich internationales System geschaffen ist, das sich auf die Grundlage der Gleichheit aller Völker und auf die notwendige Achtung ihrer legitimen Unterschiede stützt. Die wirtschaftlich schwächeren Länder oder jene, deren Menschen gerade noch überleben können, müssen mit Hilfe der anderen Völker und der internationalen Gemeinschaft in den Stand versetzt werden, mit ihren Schätzen an Menschlichkeit und Kultur, die sonst für immer verloren gehen würden, auch selbst einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Die Solidarität hilft uns, den „anderen“ — Person, Volk oder Nation — nicht als irgendein Mittel zu sehen, dessen Arbeitsfähigkeit und Körperkraft man zu niedrigen Kosten ausbeutet und den man, wenn er nicht mehr dient, zurückläßt, sondern als ein uns „gleiches“ Wesen, eine „Hilfe“ für uns (vgl. Gen 2,18.20), als einen Mitmenschen also, der genauso wie wir am Festmahl des Lebens teilnehmen soll, zu dem alle Menschen von Gott in gleicher Weise eingeladen sind. Hieraus folgt, wie wichtig es ist, das religiöse Gewissen der Menschen und Völker zu wecken. So sind Ausbeutung, Unterdrückung und Vernichtung der anderen ausgeschlossen. Bei der gegenwärtigen Teilung der Welt in einander entgegengesetzte Blöcke ballen sich solche Tendenzen in der Gefahr von Krieg und der übertriebenen Sorge um die eigene Sicherheit zusammen, oft auf Kosten der Autonomie, der freien Entscheidung und sogar der territorialen Integrität der schwächeren Nationen, die in die sogenannten „Einflußzonen“ oder „Sicherheitsgürtel“ einbezogen sind. Die „Strukturen der Sünde“ und die Sünden, die dort einmünden, widersetzen sich mit gleicher Radikalität dem Frieden wie der Entwicklung, weil Entwicklung nach dem bekannten Ausdruck der Enzyklika Papst Paul VI. „der neue Name für den Frieden“ ist.68 Auf solche Weise wird Solidarität, wie wir sie vorschlagen, der Weg zum Frieden und zugleich zur Entwicklung. Der Weltfriede ist in der Tat nicht denkbar ohne die Anerkennung von seiten der Verantwortlichen, daß die wechselseitige Abhängigkeit schon von sich aus die Überwindung der Politik der Blöcke, den Verzicht auf jede Form von wirtschaftlichem, militärischem oder politischem Imperialismus und die Verwandlung des gegenseitigen Mißtrauens in Zusammenarbeit fordert. Und diese ist gerade der ureigene Akt der Solidarität zwischen Einzelpersonen und Nationen. 1831 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Der Wahlspruch des Pontifikats meines verehrten Vorgängers Papst Pius XII. lautete: Opus iustitiaepax — der Friede, die Frucht der Gerechtigkeit. Heute könnte man mit derselben Genauigkeit und der gleichen Kraft biblischer Inspiration (vgl. Jes 32,17; Jak 3,18) sagen: Opus solidarietatispax — Friede, die Frucht der Solidarität. Das von allen so sehr ersehnte Ziel des Friedens wird gewiß mit der Verwirklichung der sozialen und internationalen Gerechtigkeit erreicht werden, aber auch mit der Übung jener Tugenden, die das Zusammenleben fördern und das Leben in Einheit lehren, um gemeinsam, im Geben und Nehmen, eine neue Gesellschaft und eine bessere Welt zu schaffen. 40. Die Solidarität ist zweifellos eine christliche Tugend. Bereits in der vorangegangenen Darlegung war es möglich, zahlreiche Berührungspunkte zwischen ihr und der Liebe auszumachen, dem Erkennungszeichen der Jünger Christi. Im Licht des Glaubens strebt die Solidarität danach, sich selbst zu übersteigen, um die spezifisch christlichen Dimensionen des völligen Ungeschuldetseins, der Vergebung und der Versöhnung anzunehmen. Dann ist der Nächste nicht mehr nur ein menschliches Wesen mit seinen Rechten und seiner grundlegenden Gleichheit mit allen, sondern wird das lebendige Abbild Gottes, des Vaters, erlöst durch das Blut Jesu Christi und unter das ständige Wirken des Heiligen Geistes gestellt. Er muß also, auch als Feind, mit derselben Liebe geliebt werden, mit der ihn der Herr liebt, und man muß für ihn zum Opfer bereit sein, auch zum höchsten: „das Leben für die eigenen Brüder geben“ (vgl. Joh 3,16). Das Bewußtsein von der gemeinsamen Vaterschaft Gottes, von der Brüderlichkeit aller Menschen in Christus, der „Söhne im Sohn“, von der Gegenwart und dem lebenschaffenden Wirken des Heiligen Geistes wird dann unserem Blick auf die Welt gleichsam einen neuen Maßstab zu ihrer Interpretation verleihen. Jenseits der menschlichen und naturgegebenen Bindungen, die schon so fest und eng sind, zeigt sich im Licht des Glaubens ein neues Modell der Einheit des Menschengeschlechtes, an dem sich die Solidarität in letzter Konsequenz inspirieren muß. Dieses höchste Modell der Einheit, ein Abbild des innersten Lebens Gottes, des Einen in drei Personen, bezeichnen wir Christen mit dem Wort „Gemeinschaft“ (communio). Eine solche ausgesprochen christliche Gemeinschaft, die mit der Hilfe des Herrn sorgfältig gepflegt, erweitert und vertieft wird, ist die Seele der Berufung der Kirche, um „Sakrament“ im bereits angegebenen Sinne zu sein. Die Solidarität muß deshalb zur Verwirklichung dieses göttlichen Planes sowohl auf individueller wie auch auf nationaler und internationaler Ebene 1832 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN beitragen. Die „entarteten Mechanismen“ und die „Strukturen der Sünde“, von denen wir bereits besprochen haben, können nur durch die Übung jener menschlichen und christlichen Solidarität überwunden werden, zu der die Kirche einlädt und die sie unermüdlich fördert. Nur auf diese Weise können sich viele positive Energien zum Vorteil für die Entwicklung und den Frieden voll entfalten. Viele von der Kirche heiliggesprochene Menschen bieten wunderbare Zeugnisse einer solchen Solidarität und können uns als Beispiel in den gegenwärtigen schwierigen Umständen dienen. Unter allen möchte ich an den hl. Petrus Claver erinnern mit seinem Dienst an den Sklaven von Cartagena de Indias (Kolumbien) oder an den hl. Maximilian Kolbe, der sein Leben für einen ihm unbekannten Gefangenen im Konzentrationslager von Auschwitz-Oswiecim hingegeben hat. 1833 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN VI. Einige besondere Orientierungen 41. Die Kirche hat zum Problem der Unterentwicklung als solchem keine technischen Lösungen anzubieten, wie bereits Papst Paul VI. in seiner Enzyklika betont hat.69 Sie legt ja keine wirtschaftlichen und politischen Systeme oder Programme vor, noch zieht sie die einen den anderen vor, wenn nur die Würde des Menschen richtig geachtet und gefördert wird und ihr selbst der notwendige Raum gelassen wird, ihren Dienst in der Welt auszuüben. Aber die Kirche ist auch „erfahren in den Fragen, die den Menschen betreffen“,70 und diese Erfahrung veranlaßt sie, ihre religiöse Sendung notwendigerweise auf die verschiedenen Bereiche auszudehnen, in denen Männern und Frauen wirken, um im Einklang mit ihrer Würde als Person das stets begrenzte Glück zu suchen, das in dieser Welt möglich ist. Nach dem Beispiel meiner Vorgänger muß ich wiederholen, daß nicht auf ein „technisches“ Problem reduziert werden darf, was, wie die echte Entwicklung, die Würde des Menschen und der Völker berührt. Durch eine solche Reduzierung würde die Entwicklung ihres wahren Inhalts beraubt; man würde so die Menschen und Völker verraten, denen sie dienen soll. Aus diesem Grunde hat die Kirche heute wie vor zwanzig Jahren und auch in Zukunft ein Wort zu sagen zur Natur, zu den Bedingungen, den Anforderungen, den Zielen einer echten Entwicklung und ebenso zu den Hindernissen, die sich dieser entgegenstellen. Indem sie das tut, erfüllt die Kirche ihren Verkündigungsauftrag, da sie ihren Hauptbeitrag zur Lösung des drängenden Problems der Entwicklung leistet, wenn sie die Wahrheit über Christus, über sich selbst und über den Menschen verkündet und auf eine konkrete Situation anwendet.71 Als Mittel zur Erreichung dieses Zieles benutzt die Kirche ihre Soziallehre. Um in der heutigen schwierigen Lage eine richtige Problemstellung wie auch die beste Lösung der Fragen zu fördern, kann es eine große Hilfe sein, die „Summe von Leitprinzipien, von Urteilskriterien und von Richtlinien für das konkrete Handeln“, die die kirchliche Lehre vorlegt,72 genauer zu kennen und mehr zu verbreiten. Man wird so unmittelbar bemerken, daß die Fragen, vor denen wir stehen, vor allem moralischer Natur sind und daß weder die Analyse des Entwicklungsproblems an sich noch die Mittel zur Überwindung der gegenwärtigen Schwierigkeiten von einer solchen wesentlichen Dimension abse-hen dürfen. 1834 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die kirchliche Soziallehre ist kein „dritter Weg“ zwischen liberalistischem Kapitalismus und marxistischem Kollektivismus und auch keine mögliche Alternative zu anderen, weniger weit voneinander entfernten Lösungen: Sie ist vielmehr etwas Eigenständiges. Sie ist auch keine Ideologie, sondern die genaue Formulierung der Ergebnisse einer sorgfältigen Reflexion über die komplexen Wirklichkeiten menschlicher Existenz in der Gesellschaft und auf internationaler Ebene, und dies im Licht des Glaubens und der kirchlichen Überlieferung. Ihr Hauptziel ist es, solche Wirklichkeiten zu deuten, wobei sie prüft, ob diese mit den Grundlinien der Lehre des Evangeliums über den Menschen und seine irdische und zugleich transzendente Berufung übereinstimmen oder nicht, um daraufhin dem Verhalten der Christen eine Orientieiung zu geben. Sie gehört daher nicht in den Bereich der Ideologie, sondern der Theologie und insbesondere der Moraltheologie. Ihre Soziallehre vorzutragen und zu verbreiten ist Teil des Verkündigungsauftrages der Kirche. Und weil es sich um eine Lehre handelt, die darauf abzielt, das Verhalten der Personen zu beeinflussen, ergibt sich daraus auch „der Einsatz für die Gerechtigkeit“ je nach Auftrag, Berufung und Lage des einzelnen. Die Durchführung des Verkündigungsauftrages im sozialen Bereich, der ein Aspekt der prophetischen Dimension der Kirche ist, umfaßt auch die Offenlegung der Übel und Ungerechtigkeiten. Doch ist die Klarstellung angebracht, daß Verkündigung wichtiger ist als Anklage, und daß diese nicht von jener absehen darf, da sie nur von dort ihre wahre Berechtigung und die Kraft einer höchsten Motivation erhält. 42. Die kirchliche Soziallehre muß sich heute mehr als früher einer internationalen Sicht in der Linie des II. Vatikanischen Konzils,73 der jüngsten Enzykliken74 und besonders derjenigen, an die wir hier gerade erinnern,75 öffnen. Es wird deshalb nicht überflüssig sein, deren Themen und charakteristische Weisungen, die das Lehramt in diesen Jahren aufgegriffen hat, in diesem Licht erneut zu überprüfen und zu vertiefen. Ich möchte hier auf eines davon besonders hinweisen: auf die Option oder vorrangige Liebe für die Armen. Dies ist eine Option oder ein besonderer Vorrang in der Weise, wie die christliche Liebe ausgeübt wird; eine solche Option wird von der ganzen Tradition der Kirche bezeugt. Sie bezieht sich auf das Leben eines jeden Christen, insofern er dem Leben Christi nachfolgt; sie gilt aber gleichermaßen für unsere sozialen Verpflichtungen und daher auch für unseren Lebensstil sowie für die entsprechenden Entscheidungen, die hinsichtlich des Eigentums und des Gebrauchs der Güter zu treffen sind. 1835 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Heute muß angesichts der weltweiten Bedeutung, die die Soziale Frage erlangt hat,76 diese vorrangige Liebe mit den von ihr inspirierten Entscheidungen die unzähligen Scharen von Hungernden, Bettlern, Obdachlosen, Menschen ohne medizinische Hilfe und vor allem ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft umfassen: Es ist unmöglich, die Existenz dieser Menschengruppen nicht zur Kenntnis zu nehmen. An ihnen vorbeizusehen würde bedeuten, daß wir dem „reichen Prasser“ gleichen, der so tat, als kenne er den Bettler Lazarus nicht, „der vor seiner Tür lag“ (vgl. Lk 16, 19-31).77 Unser tägliches Leben wie auch unsere Entscheidungen in Politik und Wirtschaft müssen von diesen Gegebenheiten geprägt sein. In gleicher Weise dürfen die Verantwortlichen der Nationen und internationalen Einrichtungen, die ja verpflichtet sind, die wahre menschliche Dimension immer an die erste Stelle ihrer Programme zu setzen, nicht vergessen, dem Phänomen der wachsenden Armut Vorrang zu geben. Anstatt abzunehmen, vervielfacht sich leider die Zahl der Armen, nicht nur in den weniger entwickelten, sondern auch, was ebenso skandalös erscheint, in den stärker entwickelten Ländern. Man muß sich noch einmal das kennzeichnende Prinzip der christlichen Soziallehre vergegenwärtigen: Die Güter dieser Welt sind ursprünglich für alle bestimmt.78 Das Recht auf Privateigentum ist gültig und notwendig; es entwertet aber dieses Prinzip nicht: Auf ihm liegt in der Tat eine „soziale Hypothek“,79 das heißt, darin erkennt man eine soziale Funktion als innere Qualität, die genau auf dem Prinzip der allgemeinen Bestimmung der Güter gründet und von dorther gerechtfertigt ist. Auch darf man bei diesem Einsatz für die Armen jene besondere Form der Armut nicht vergessen, wie sie der Entzug der Grundrechte der Person, insbesondere des Rechtes auf Religionsfreiheit bis zum Recht auf freie wirtschaftliche Initiative, darstellt. 43. Die aufrüttelnde Sorge für die Armen — die nach einer aufschlußreichen Formulierung „die Armen des Herrn“80 sind — muß auf allen Ebenen in konkrete Taten einmünden, bis schließlich eine Reihe von notwendigen Reformen mit Entschlossenheit erreicht ist. Es hängt von den einzelnen örtlichen Situationen ab, die dringlichsten Reformen herauszufinden und die Art und Weise festzulegen, sie zu verwirklichen; man darf dabei aber nicht jene Reformen vergessen, die von der Situation des oben beschriebenen internationalen Ungleichgewichtes gefordert werden. Diesbezüglich möchte ich hier besonders erwähnen: die Reform des internationalen Handelssystems, das durch Protektionismus und einen wachsenden Hang zu 1836 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zweiseitigen Vereinbarungen belastet ist; die Reform des Weltwährungsund -finanzsystems, das heute als nicht ausreichend erkannt ist; die Frage des Transfers von Technologie und ihrer angemessenen Verwendung; die Notwendigkeit einer Überprüfung der Struktur der bestehenden internationalen Organisationen im Rahmen einer internationalen Rechtsordnung. Das internationale Handelssystem diskriminiert heute oft die Produkte der in den Entwicklungsländern entstehenden Industrien, während es die Produzenten von Rohstoffen entmutigt. Es besteht unter anderem eine Art von internationaler Arbeitsteilung, bei der die mit niedrigen Kosten hergestellten Produkte einiger Länder, in denen es keine wirksamen Arbeitsgesetze gibt oder die zu schwach sind, sie anzuwenden, in anderen Teilen der Welt mit beträchtlichen Gewinnen zugunsten der Firmen mit einem solchen Produktionssystem, das keine Grenzen kennt, verkauft werden. Das Weltwährungs- und -finanzsystem ist heute gekennzeichnet durch eine übergroße Fluktuation der Wechselkurse und Zinssätze zum Schaden der Zahlungsbilanz und der Verschuldungssituation der armen Länder. Der Technologietransfer bildet heute eines der Hauptprobleme des internationalen Austausches zusammen mit den Schäden, die sich daraus ab leiten. Nicht selten werden unterentwickelten Ländern notwendige Technologien verwehrt oder nutzlose angeboten. Die internationalen Organisationen scheinen nach Meinung vieler an einem Punkt ihrer Existenz zu stehen, an dem ihre Funktionsabläufe, die laufenden Kosten und ihre Wirksamkeit eine aufmerksame Prüfung und eventuelle Korrekturen erfordern. Offensichtlich wird ein so heikler Prozeß nicht ohne die Mitarbeit aller verwirklicht werden können. Er setzt die Überwindung der politischen Rivalitäten sowie den vollständigen Verzicht voraus, diese Organisationen, deren einzige Berechtigung das Gemeinwohl ist, mißbrauchen zu wollen. Die bestehenden Institutionen und Organisationen haben gut für die Völker gewirkt. Die Menschheit braucht jedoch heute, angesichts einer neuen und schwierigeren Phase ihrer echten Entwicklung, für den Dienst an den Gesellschaften, den Wirtschaften und den Kulturen der ganzen Welt einen höheren Grad internationaler Ordnung. 44. Die Entwicklung erfordert auf seiten der betroffenen Länder selbst vor allem Unternehmungsgeist.81 Jedes Land muß nach seinen eigenen Verantwortlichkeiten handeln, ohne alles von den bessergestellten Ländern zu erhoffen, und in Zusammenarbeit mit den anderen, die in derselben Lage sind. Jedes Land muß den Raum der eigenen Freiheit, soweit wie möglich, entdecken und ausnutzen. Jedes sollte sich die Fähigkeit verschaffen zu 1837 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Initiativen, die den eigenen sozialen Bedürfnissen entsprechen. Jedes sollte sich auch Rechenschaft geben über die wirklichen Bedürfnisse sowie über die Rechte und die Pflichten, durch die es gehalten ist, solche Bedürfnisse zu befriedigen. Die Entwicklung der Völker setzt ein und verwirklicht sich am besten, indem sich jedes einzelne Volk um die eigene Entwicklung in Zusammenarbeit mit den anderen bemüht. Wichtig ist ferner, daß gerade auch die Entwicklungsländer die Selbstverwirklichung eines jeden Bürgers durch den Zugang zu einer höheren Kultur und zu einem freien Informationsfluß fördern. Alles, was der Alphabetisierung und der Grundausbildung, die jene vertieft und vervollständigt, nach den Vorschlägen der Enzyklika Populorum Progressio82 dienen kann — Ziele, die in so vielen Teilen der Welt noch weit von ihrer Verwirklichung entfernt sind —, ist ein unmittelbarer Beitrag zu einer echten Entwicklung. Um diesen Weg einzuschlagen, müssen diese Länder die eigenen Prioritäten ermitteln und die eigenen Bedürfnisse unter den besonderen Lebensbedingungen der Bevölkerung, in ihrer geographischen Umwelt und bei ihren kulturellen Traditionen erkennen. Einige Nationen müßten die Nahrungsmittelproduktion steigern, um stets das Notwendige für die Ernährung und zum Leben zur Verfügung zu haben. Es gibt in der heutigen Welt — wo der Hunger so viele Opfer, besonders unter den Kindern, fordert — Beispiele von weniger stark entwickelten Nationen, denen es doch gelungen ist, das Ziel der Selbstversorgung in der Ernährung zu erreichen und sogar Exportländer von Nahrungsmitteln zu werden. Andere Nationen brauchen die Reform einiger ungerechter Strukturen und insbesondere der eigenen politischen Institutionen, um korrupte, diktatorische und autoritäre Regime durch demokratische Ordnungen der Mitbeteiligung zu ersetzen. Das ist ein Prozeß, von dem wir wünschen, daß er sich ausbreite und verstärke; denn die „Gesundheit“ einer politischen Gemeinschaft — insofern sie sich ausdrückt in der freien und verantwortlichen Teilnahme aller Bürger am öffentlichen Leben, in der Rechtssicherheit sowie in der Achtung und Förderung der Menschenrechte — ist die notwendige Bedingung und sichere Garantie der Entwicklung „jedes Menschen und aller Menschen“. 45. Das hier Ausgeführte kann nicht verwirklicht werden ohne die Zusammenarbeit aller, besonders der internationalen Gemeinschaft, und im Rahmen einer Solidarität, die alle umfaßt, angefangen bei denen, die am äußersten Rande stehen. Aber gerade auch die Entwicklungsländer haben die Pflicht, Solidarität unter sich selbst und mit den am meisten betroffenen Ländern der Welt zu üben. 1838 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wünschenswert ist zum Beispiel, daß Nationen derselben geographischen Zone Formen der Zusammenarbeit vereinbaren, die sie von mächtigeren Produzenten weniger abhängig machen; daß sie ihre Grenzen für die Produkte ihrer eigenen Zone öffnen und die eventuelle Ergänzungsfähigkeit ihrer Produkte überprüfen; daß sie sich zusammenschließen, um sich Dienstleistungen zu schaffen, die der einzelne allein nicht bereitstellen kann; und daß sie die Zusammenarbeit auf den Währungs- und Finanzbereich ausdehnen. Die wechselseitige Abhängigkeit ist in vielen dieser Länder bereits eine Wirklichkeit. Sie anzuerkennen, um sie noch wirkungsvoller zu machen, stellt eine Alternative zur übermäßigen Abhängigkeit von den reicheren und mächtigeren Ländern im Sinne der erwünschten Entwicklung dar, ohne sich gegen jemanden zu stellen, sondern nur, um die eigenen Möglichkeiten weitestgehend zu entdecken und auszuschöpfen. Die Entwicklungsländer derselben geographischen Zone können und müssen — wie bereits mit verheißungsvollen Ergebnissen begonnen — neue regionale Organisationen aufbauen, die sich an den Kriterien von Gleichheit, Freiheit und Mitbeteiligung im Verbund der Nationen ausrichten. Die universale Solidarität erfordert als unerläßliche Voraussetzung die Autonomie und freie Verfügbarkeit über sich selbst, auch im Innern solcher Zusammenschlüsse, wie sie eben genannt wurden. Zugleich aber fordert sie die Bereitschaft, die notwendigen Opfer für das Wohl der ganzen Weltgemeinschaft aufsichzunehmen. 1839 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN VII. Schluß 46. Völker und Einzelpersonen trachten nach der eigenen Befreiung: Die Suche nach ihrer vollen Entwicklung ist Zeichen ihrer Sehnsucht, die vielfältigen Hindernisse zu überwinden, die sie daran hindern, ein „menschlicheres Leben“ zu führen. In den letzten Jahren, im Zeitraum nach der Veröffentlichung der Enzyklika Populorum Progressio, hat sich in einigen Bereichen der katholischen Kirche, besonders in Lateinamerika, eine neue Weise verbreitet, die Probleme des Elends und der Unterentwicklung anzugehen; sie erhebt die Befreiung zur Grundkategorie und zum ersten Handlungsprinzip. Die positiven Werte, aber auch die Fehlentwicklungen und die Gefahren, die mit dieser Form theologischer Reflexion und Arbeit verbunden sind, hat das kirchliche Lehramt in entsprechender Weise aufgezeigt.83 Es ist richtig hinzuzufügen, daß Streben nach Befreiung von jeder Form der Knechtschaft von Mensch und Gesellschaft ein edles und berechtigtes Anliegen ist. Darauf zielt gerade die Entwicklung hin oder, besser gesagt, die Befreiung und Entwicklung, wenn man die enge Verbindung zwischen diesen beiden Vorgängen berücksichtigt. Eine rein wirtschaftliche Entwicklung vermag den Menschen nicht zu befreien; im Gegenteil, sie versklavt ihn schließlich nur noch mehr. Eine Entwicklung, die nicht die kulturelle, transzendente und religiöse Dimension der Menschen und der Gesellschaft umfaßt, trägt in dem Maße, wie sie die Existenz solcher Dimensionen nicht anerkennt und die eigenen Ziele und Prioritäten nicht an ihnen ausrichtet, noch weniger zu einer echten Befreiung bei. Die menschliche Person ist nur dann ganz frei, wenn sie zu sich selbst gekommen ist und in der Fülle ihrer Rechte und Pflichten lebt; dasselbe läßt sich von der Gesellschaft als Ganzer sagen. Das Haupthindernis, das es für eine wahre Befreiung zu überwinden gilt, sind die Sünde und die Strukturen, die sie schrittweise hervorbringt, wenn sie sich vermehrt und ausbreitet.84 Die Freiheit, „zu der Christus uns befreit hat“ (vgl. Gal 5,1), spornt an, uns zu Dienern aller zu bekehren. So konkretisiert sich der Weg der Entwicklung und der Befreiung in der Übung von Solidarität oder in Taten der Liebe und des Dienstes am Nächsten, besonders an den Ärmsten: „Denn wo die Wahrheit und die Liebe fehlen, endet der Befreiungsprozeß im Tod einer Freiheit, die jede Stütze verloren hat“.85 1840 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 47. Im Rahmen der traurigen Erfahrungen der letzten Jahre und des gegenwärtigen vorwiegend negativen Bildes muß die Kirche die Möglichkeit der Überwindung der Hindernisse, die sich der Entwicklung durch ein Zuviel oder ein Zuwenig entgegenstellen, sowie die Hoffnung auf eine echte Befreiung mit ganzer Kraft betonen. Diese Hoffnung und diese Möglichkeit gründen letzlich im Wissen um jene göttliche Verheißung, die dafür garantiert, daß die gegenwärtige Geschichte nicht in sich selbst geschlossen bleibt, sondern offen ist für das Reich Gottes. Die Kirche hat Vertrauen auch zum Menschen, obwohl sie auch die Bosheit kennt, zu derer fähig ist; denn sie weiß, daß — trotz der Erbsünde und der Sünden, die ein jeder begehen kann — in der menschlichen Person ausreichende Qualitäten und Energien vorhanden sind und es in ihr ein fundamentales „Gutsein“ (vgl. Gen 1,31) gibt, weil der Mensch Ebenbild des Schöpfers ist und im Einfluß des erlösenden Wirkens Christi steht, der „jedem Menschen nahe ist“,86 und weil das mächtige Wirken des Heiligen Geistes „die Erde erfüllt“ (Weish 1,7). Weder Verzweiflung noch Pessimismus oder Passivität sind deshalb zu rechtfertigen. Auch wenn es bitter klingt, muß man sagen, daß man, wie durch Egoismus und übersteigertes Verlangen nach Gewinn und Macht, angesichts der bedrängenden Nöte von ungezählten Menschen im Bereich der Unterentwicklung auch durch Angst, Unentschlossenheit und im Grunde durch Feigheit sündigen kann. Und wir sind alle aufgerufen und sogar verpflichtet, uns der furchtbaren Herausforderung des letzten Jahrzehntes des zweiten Jahrtausends zu stellen; und das auch weil die andrängenden Gefahren alle bedrohen: eine Weltwirtschaftskrise, ein Krieg ohne Grenzen, ohne Sieger und Besiegte. Angesichts einer solchen Bedrohung gilt die Unterscheidung zwischen reichen und armen Personen oder Ländern wenig, wenn auch die größere Verantwortung bei dem liegt, der mehr hat und mehr kann. Aber eine solche Motivation ist weder die einzige noch die hauptsächliche. Auf dem Spiel steht vielmehr die Würde der menschlichen Person, deren Verteidigung und Förderung uns vom Schöpfer anvertraut ist und deren verantwortliche Schuldner in strenger Weise alle Männer und Frauen in jeder Lage der Geschichte sind. Das heutige Weltbild scheint dieser Würde nicht zu entsprechen, wie bereits viele mehr oder weniger klar erkennen. Jeder ist aufgerufen, seinen Platz in diesem friedlichen Kampf einzunehmen, den es mit friedlichen Mitteln zu führen gilt, um die Entwicklung zusammen mit dem Frieden zu erreichen sowie auch die Natur selbst und unsere Umwelt zu retten. Auch die Kirche fühlt sich ganz und gar auf diesen Weg gesandt, auf dessen glücklichen Ausgang sie hofft. 1841 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Deshalb möchte ich mich nach dem Beispiel von Papst Paul VI. in seiner Enzyklika Populorum Progressio87 schlicht und demütig ah alle wenden, an Männer und Frauen ohne Ausnahme, daß sie, überzeugt vom Ernst des gegenwärtigen Augenblickes und der jeweiligen Verantwortung eines jeden — mit ihrem persönlichen und familiären Lebensstil, durch die Art des Gebrauchs ihrer Güter, durch ihr Mitwirken als Bürger, mit ihrem Beitrag zu den wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen und mit ihrem Einsatz auf nationaler und internationaler Ebene — die von Solidarität und vorrangiger Liebe zu den Armen inspirierten Maßnahmen verwirklichen. So fordert es der Augenblick, und so fordert es vor allem die Würde der menschlichen Person, unzerstörbares Ebenbild des Schöpfers, identisch in einem jeden von uns. In diesem Einsatz müssen die Söhne und Tochter der Kirche Beispiel und Leitbild sein, da sie nach dem Programm, das Jesus selbst in der Synagoge von Nazaret verkündet hat, dazu berufen sind, „den Armen eine gute Nachricht zu bringen,... den Gefangenen die Entlassung zu verkünden und den Blinden das Augenlicht,... die Zerschlagenen in Freiheit zu setzen und auszurufen ein Gnadenjahr des Herrn“ (Lk 4,18-19). Man muß hierbei die den Laien, Männern und Frauen, vorwiegend übertragene Rolle unterstreichen, wie es bei der kürzlich beendeten Synodenversammlung erneut ausgesprochen wurde. Ihnen kommt es zu, mit christlichem Engagement die irdischen Bereiche zu beleben und sich darin als Zeugen und Mitarbeiter des Friedens und der Gerechtigkeit zu erweisen. Im besonderen möchte ich mich an alle wenden, die durch das Sakrament der Taufe und dasselbe Glaubensgbekenntnis an einer wahren, wenn auch noch unvollkommenen, Gemeinschaft mit uns teilhaben. Ich bin sicher, daß die Sorge der dieses Schreiben Ausdruck gibt, wie auch die Motivationen, die es beseelen, ihnen vertraut sein werden, weil sie vom Evangelium Jesu Christi inspiriert sind. Wir können darin eine neue Einladung finden, einstimmig Zeugnis zu geben von unseren gemeinsamen Überzeugungen über die Würde des Menschen, der von Gott erschaffen, von Christus erlöst, vom Heiligen Geist geheiligt und in diese Welt gerufen ist, um hier ein Leben zu führen, das dieser Würde entspricht. Ich richte diesen Aufruf in gleicher Weise an jene, die mit uns das Erbe Abrahams, „unseres Vaters im Glauben“ (vgl. Röm 4,11 f.),88 und die Tradition des Alten Testamentes teilen, die Juden also, sowie an jene, die wie wir an den gerechten und barmherzigen Gott glauben, die Moslems, und richte ihn ebenso an alle Anhänger der großen Weltreligionen. Die Begegnung vom 27. Oktober des vergangenen Jahres in Assisi, der Stadt des hl. Franziskus, um zu beten und sich für den Frieden zu engagie- 1842 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ren — ein jeder in Treue zu seinem eigenen religiösen Bekenntnis —, hat allen gezeigt, wie sehr der Friede und, als seine notwendige Bedingung, die Entwicklung eines „jeden Menschen und aller Menschen“ auch ein religiöse Frage sind und wie die volle Verwirklichung beider von der Treue zu unserer Berufung als gläubige Männer und Frauen abhängt, weil sie eben zuallererst von Gott abhängt. 48. Die Kirche weiß wohl, daß kein zeitliches Werk mit dem Reich Gottes gleichzusetzen ist, sondern alle Werke nur ein Spiegelbid und in einem gewissen Sinne eine Vorwegnahme der Herrlichkeit jenes Reiches darstellen, das wir am Ende der Geschichte erwarten, wenn der Herr wiederkommt. Aber diese Erwartung dürfte niemals eine Entschuldigung dafür sein, sich nicht für die Menschen in ihrer konkreten persönlichen Lage und ihrem gesellschaftlichen Leben zu interessieren, und dies auf nationaler.wie auf internationaler Ebene; denn diese beeinflußt jene, vor allem heute. Nichts von dem, was man durch die solidarische Anstrengung aller und mit Hilfe der Gnade Gottes in einem bestimmten Augenblick der Geschichte verwirklichen kann und muß — auch wenn es unvollkommen und nur vorläufig ist —, um das Leben der Menschen „menschlicher“ zu gestalten, wird verloren oder vergeblich sein. Das lehrt uns das II. Vatikanische Konzil in einem wunderbaren Text der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes: „Alle guten Erträgnisse der Natur und unserer Bemühungen nämlich, die Güter menschlicher Würde, brüderlicher Gemeinschaft und der Freiheit müssen im Geist des Herrn und gemäß seinem Gebot auf Erden gemehrt werden; dann werden wir sie wiederfinden, gereinigt von jedem Makel, lichtvoll und verklärt, dann nämlich, wenn Christus dem Vater „ein ewiges, allumfassendes Reich übergeben wird ...“. Hier auf Erden ist das Reich schon im Geheimnis da“.89 Das Gottesreich wird heute besonders gegenwärtig in der Feier des Sakramentes der heiligen Eucharistie, des Opfers des Herrn. In dieser Feier werden die „Früchte der Erde und der menschlichen Arbeit“ — Brot und Wein — auf geheimnisvolle, aber reale und substantielle Weise durch das Wirken des Heiligen Geistes und die Worte des Priesters in den Leib und das Blut des Herrn Jesus Christus verwandelt, des Sohnes Gottes und des Sohnes Marias, durch den das Reich des Vaters mitten unter uns gegenwärtig geworden ist. Die Früchte dieser Welt und das Werk unserer Hände — Brot und Wein — dienen dem Kommen des endgültigen Reiches, da der Herr sie durch seinen Geist in seine Person aufnimmt, um sich selbst und uns mit ihm in der Erneuerung seines einzigen Opfers dem Vater darzubieten, welches das Gottesreich vorwegnimmt und sein endgültiges Kommen ankündigt. 1843 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Durch die Eucharistie als Sakrament und Opfer vereinigt uns so der Herr mit sich selbst und untereinander mit einem stärkeren Band als jede rein natürliche Einigung und, so geeint, sendet er uns in die ganze Welt, um mit Glauben und Werken von Gottes Liebe Zeugnis zu geben, wodurch er das Kommen seines Reiches vorbereitet und, wenn auch in den Schatten der Zeit, vorwegnimmt. Wir alle, die an der hl. Eucharistie teilnehmen, sind dazu aufgerufen, durch dieses Sakrament den tieferen Sinn unseres Handelns in der Welt für Entwicklung und Frieden zu entdecken und hier die Kräfte zu empfangen, um uns immer großherziger nach dem Beispiel Christi, der in diesem Sakrament „stets das Leben für seine Freunde gibt“ (vgl. Joh 15,13), einzusetzen. Unser persönliches Engagement wird wie dasjenige Christi und nach dem Maß seiner Einheit mit dem seinigen nicht nutzlos, sondern ganz gewiß fruchtbar sein. 49. In diesem Marianischen Jahr, das ich ausgerufen habe, damit die katholischen Gläubigen immer mehr auf Maria schauen, die uns auf der Pilgerschaft des Glaubens vorangeht90 und mit mütterlicher Sorge bei ihrem Sohn, unserem Erlöser, für uns eintritt, möchte ich ihr und ihrer Fürsprache den schwierigen Augenblick der heutigen Welt anvertrauen sowie die Anstrengungen, die man oft unter großen Opfern macht und noch machen wird, um zu einer wahren Entwicklung der Völker beizutragen, wie sie von meinem Vorgänger Papst Paul VI. vorgestellt und verkündet worden ist. Wie die christliche Frömmigkeit es immer getan hat, empfehlen wir der Allerseligsten Jungfrau die schwierigen Situationen der einzelnen, damit sie diese ihrem Sohne vorlege und von ihm erreiche, daß sie erleichtert und verändert werden. Aber ebenso unterbreiten wir ihr auch die gesellschaftlichen Situationen und die internationale Krise selbst mit ihren beunruhigenden Aspekten von Elend, Arbeitslosigkeit, Ernährungsmangel, Rüstungswettlauf, Mißachtung der Menschenrechte, Situationen oder Gefahren von be-grentzten oder totalen Konflikten. All dies wollen wir mit kindlichem Vertrauen vor ihre „barmherzigen Augen“ stellen, wobei wir noch einmal in Glaube und Hoffnung die alte marianische Antiphon beten: „Heilige Gottesmutter, verschmähe nicht unser Gebet in unseren Nöten, sondern errette uns jederzeit aus allen Gefahren, o du glorwürdige und gebenedeite Jungfrau“. Die allerseligste Jungfrau Maria, unsere Mutter und Königin, ist jene, die sich an ihren Sohn wendet und sagt: „Sie haben keinen Wein mehr“ (Joh 2, 3), und sie ist es auch, die Gott, den Vater, preist, weil „er die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht, die Hungernden mit seinen 1844 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gaben sättigt und die Reichen leer ausgehen läßt“ (Lk 1,52-53). Ihre mütterliche Sorge gilt den persönlichen und sozialen Aspekten des menschlichen Lebens auf der Erde.91 Vor der Allerheiligsten Dreifaltigkeit vertraue ich Maria alles an, was ich in dieser Enzyklika dargelegt habe und lade alle ein, darüber nachzudenken und sich mit Taten für die Förderung der wahren Entwicklung der Völker einzusetzen, wie es auf so deutliche Weise das Tagesgebet der gleichnamigen Messe ausdrückt: „Allmächtiger Gott, du hast die vielen Völker durch gemeinsamen Ursprung miteinander verbunden und willst, daß sie eine Menschheitsfamilie bilden. Die Güter der Erde hast du für alle bereitgestellt. Gib, daß die Menschen einander achten und lieben und dem Verlangen ihrer Brüder nach Gerechtigkeit und Fortschritt entgegenkommen. Hilf jedem, seine Anlagen recht zu entfalten. Laß uns alle Trennung nach Rasse, Volk und Stand überwinden, damit in der menschlichen Gesellschaft Recht und Gerechtigkeit herrschen“.92 Das erbitte ich zum Schluß im Namen aller Brüder und Schwestern, denen ich zum Zeichen des Grußes und guter Wünsche meinen besonderen Segen erteile. Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 30. Dezember 1987, im 10. Jahr meines Pontifikates. 1845 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Anmerkungen 1 LEO XIII., Enzyklika Rerum Novarum (15. Mai 1891): Leonis XIII P.M. Acta, XI (Rom 1892) 97-144. 2 PIUS XI., Enzyklika Quadragesimo Anno (15. Mai 1931): AAS 23 (1931) 177-228; JOHANNES XXIII., Enzyklika Mater et Magistra (15. Mai 1961 ):AAS53 (1961)401-464; PAUL VI., Apost. Schreiben Octogesima Adveniens (14. Mai 1911)-. AAS 63 (1971) 401-441; JOHANNES PAUL II., Enzyklika Laborem Exercens (14. September 1981): AAS 73 (1981) 577-647. Auch Pius XII. hat zum fünfzigsten Jahrestag der Enzyklika Leos XIII. eine Radiobotschaft (1. Juni 1941) verlesen: AAS 33 (1941) 195-205. ' 3 Vgl. II. VATIKANISCHES KONZIL, Dogm. Konst, über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 4. 4 Paul VI., Enzyklika Populorum Progressio (26. März 1967): AAS 59 (1967) 257-299. 5 Vgl. L’Osservatore Romano, 25. März 1987. 6 Vgl. Kongr. für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Li-bertatis Conscientia (22. März 1986), 72: AAS 79 (1987) 586; PAUL VI., Apost. Schreiben Octogesima Adveniens (14. Mai 1971), 4: AAS 63 (1971) 403 f. 7 Vgl. EnzyklikaRedemptorisMater (25. März 1987), 3: AAS 79 (1987) 363 f.; Homilie in der Messe am 1. Januar 1987: L’Osservatore Romano, 2. Januar 1987. 8 Die Enzyklika Populorum Progressio zitiert neunzehnmal die Dokumente des II. Vatikanischen Konzils; allein sechzehn Zitationen beziehen sich auf die Pastoralkonst. über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes. 9 Gaudium et Spes, 1. 10 Ebd., 4: vgl. Enzyklika Populorum Progressio, 13: a.a.O., S. 263-264. 11 Vgl. Gaudium et Spes, 3: Enzyklika Populorum Progressio, 13: a.a.O., S. 264. 12 Vgl. Gaudium et Spes, 63; Enzyklika Populorum Progressio, 9: a.a.O., S. 261 f. 13 Vgl. Gaudium et Spes, 69; Enzyklika Populomm Progressio, 41: a.a.O., S. 269. 14 Vgl. Gaudium et Spes, 57; Enzyklika Populorum Progressio, 41: a.a.O., S. 277. 15 Vgl. Gaudium et Spes, 19; Enzyklika Populorum Progressio, 41: a.a.O., S. 277 f. 16 Vgl. Gaudium et Spes, 86; Enzyklika Populorum Progressio, 48: a.a.O., S. 281. 17 Vgl. Gaudium et Spes, 69; Enzyklika Populorum Progressio, 14-21: a.a.O., S. 264-268. 18 Vgl. den Titel der Enzyklika Populorum Progressio: a.a.O., S. 257. 19 Die Enzyklika Rerum Novarum Leos XIII. hat als Hauptthema „Die Lage der Arbeiter“: Leonis XIII. P.M. Acta, XI (Rom 1892) 97. 20 Vgl. Kongr. für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Li-bertatis Conscientia (22. März 1986), 12-.AAS 79 (1987) 586; PAUL VI., Apost. Schreiben Octogesima Adveniens (14. Mai 1971), 4: AAS 63 (1971) 403 f. 21 Vgl. Enzyklika Mater et Magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961) 440. 22 Gaudium et Spes, 63. 23 Enzyklika Populorum Progressio, 3: a.a.O., S. 258; vgl. auch ebd., 9: a.a.O., S. 261. 24 Vgl. ebd., 3: a.a.O., S. 258. 25 Ebd., 48: a.a.O., S. 281. 26 Vgl. ebd., 14: a.a.O., S. 264: „Die Entwicklung beschränkt sich nicht auf einfaches wirtschaftliches Wachstum. Wahre Entwicklung muß umfassend sein, muß sich auf die Förderung jedes Menschen und des ganzen Menschen beziehen“. 27 Ebd., 87: a.a.O., S. 299. 28 Vgl. ebd., 53: a.a.O., S. 283. 29 Vgl. ebd., 76: a.a.O., S. 295. 1846 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 30 Die Dekaden meinen die Jahre 1960-1970 und 1970-1980; wir befinden uns jetzt in der dritten Dekade (1980-1990). 31 Der Begriff „Vierte Welt“ wird nicht nur gelegentlich für die sogenannten weniger fortgeschrittenen Länder, sondern auch und vor allem für die Gebiete großer und äußerster Armut der Länder mit mittlerem und hohem Einkommen verwandt. 32 II. VATIKANISCHES KONZIL, Dogm. Konst, über die Kirche Lumen Gentium, 1. 33 Vgl. Enzyklika Populomm Progressio, 33: a.a.O., S. 273. 34 Bekanntlich hat sich der Heilige Stuhl der Feier dieses Internationalen Jahres angeschlossen mit einem besonderen Dokument der Päpstlichen Kommission Justitia et Fax: Was hast du mit deinem obdachlosen Bruder gemacht? — Die Kirche zur Wohnungskrise (27. Dezember 1987). 35 Vgl. PAUL VI., Apost. Schreiben Octogesima Adveniens (14. Mai 1971), 8-9: AAS 63 (1971) 406-408. 36 Die kürzliche Veröffentlichung der Vereinten Nationen Etüde sur l’Economie mondiale 1987 enthält die letzten diesbezüglichen Daten (vgl. S. 8-9). Der Prozentsatz der Arbeitslosen in den entwickelten Ländern mit Marktwirtschaft ist von 3% der Arbeitskräfte im Jahre 1970 auf 8% im Jahre 1986 gestiegen. Sie betragen jetzt 29 Millionen. 37 Enzyklika Laborem Exercens (14. September 1981), 18: AAS 73 (1981) 624-625. 38 Im Dienst der menschlichen Gemeinschaft: Ein ethischer Ansatz zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise (27. Dezember 1986). 39 Enzyklika Populomm Progressio, 54: a.a.O., S. 283 f.: „Die Entwicklungsländer werden dann nicht mehr Gefahr laufen, von Schulden erdrückt zu werden, deren Abzahlung ihren ganzen Gewinn verschlingt. Zinsen und Laufzeit der Anleihen können so geregelt werden, daß es für die einen wie die anderen erträglich ist, indem man zwischen den verlorenen Darlehen, den nicht oder nur wenig verzinsten Anleihen und der Laufzeit der Amortisation einen Ausgleich schafft“. 40 Vgl. die „Einführung“ zum Dokument Im Dienst der menschlichen Gemeinschaft: Ein ethischer Ansatz zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise (27. Dezember 1986). 41 Vgl. Enzyklika Populomm Progressio, 53: a.a.O., S. 283. 42 Im Dienst der menschlichen Gemeinschaft: Ein ethischer Ansatz zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise (27. Dezember 1986), III.2.1. 43 Vgl. Enzyklika Populomm Progressio, 20-21: a.a.O., S. 267 f. 44 Homilie bei Drogheda, Irland (29. September 1979), 5: AAS 71 (1979), II, 1079. 45 Vgl. Enzyklika Populomm Progressio, 37: a.a.O., S. 275 f. 46 Vgl. Apost. Schreiben Familiaris Consortio (22. November 1981), besonders 30: AAS 74 (1982) 115-117. 47 Vgl. Droits de l’homme. Recueil d’instruments intemationaux, Nations Unies, New York 1983. JOHANNES PAUL II., Enzyklika Redemptor Hominis (4. März 1979), 17: AAS 71 (1979) 296. 48 Vgl. II. VATIKANISCHES KONZIL, Pastoralkonst. über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, 78: PAUL VI., Enzyklika Populomm Progressio, 76: a.a.O., S. 294 f.: „Das Elend bekämpfen und gegen die Ungerechtigkeit angehen, heißt, zusammen mit der Verbesserung der Le- . bensverhältnisse den menschlichen und geistigen Fortschritt aller und somit das Gemeinwohl der Menschheit zu fördern. Den Frieden schafft man Tag für Tag, in der Beobachtung einer von Gott gewollten Ordnung, die eine vollkommenere Gerechtigkeit unter den Menschen herbeiführt“. 49 Vgl. Apost. Schreiben Familiaris Consortio (22. November 1981), 6: AAS 74 (1982) 88: „Die Geschichte ist nicht einfach ein notwendiger Fortschritt zum Besseren, sondern vielmehr ein Ereignis der Freiheit, ja ein Kampf zwischen Freiheiten“. 50 Aus diesem Grunde wurde es vorgezogen, im Text dieser Enzyklika statt des Wortes „Fortschritt“ das Wort „Entwicklung“ zu gebrauchen, wobei aber versucht wurde, dem Wort „Entwicklung“ einen volleren Sinn zu geben. 1847 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 51 Enzyklika Populomm Progressio, 19: a.a.O., S. 266 f: „Mehr haben ist also weder für die Völker noch für die einzelnen des letzte Ziel. Jedes Wachstum ist ambivalent.. Das ausschließliche Streben nach Besitz wird so ein Hindernis für das Wachsen im Sein und steht im Gegensatz zu seiner wahren Größe: Für die Nationen wie für die einzelnen ist die Habsucht das deutlichste Zeichen für moralische Unterentwicklung“; vgl. auch von PAUL VI., Apost. Schreiben Octogesima Adveniens (14. Mai 1971), 8: AAS 63 (1971) 407 f. 52 Vgl. Pastoralkonst. über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, 33; PAUL VI., Ansprache an das Diplomatische Korps (7. Januar 1965): AAS 57 (1965) 232. 53 Vgl. Enzyklika Populorum Progressio, 20-21: a.a.O., S. 267 f. - 54 Vgl. EnzyklikaLaborem Exercens (14. September 1981), 4: AAS 73 (1981), 584 f: PAUL VI., Enzyklika Populorum Progressio, 15: a.a.O., S. 265. 55 Enzyklika Populorum Progressio, 42: a.a.O., S. 278. 56 Vgl. Exsultet, Missale Romanum, ed. typ. altera 1975, S. 272: „O wahrhaft heilbringende Sünde des Adam, du wurdest uns zum Segen, da Christi Tod dich vernichtet hat. O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden!“ 57 II. VATIKANISCHES KONZIL, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, 1. 58 Vgl. z.B. BASILIUS d. Gr., Regulae fusius tractatae, interrogatio XXXVII, 1-2: PG 31, 1009-1012; THEODORET VON KYROS, De Providentia, Oratio VII: PG 83, 665-686; AUGUSTINIUS, De Civitate Del, XIX, 17: CCL 48, 683-685. 59 Vgl. z.B. JOHANNES CHRYSOSTOMUS. In Evang. S. Mathaei, hom. 50, 3-4: PG 58, 508-510; AMBROSIUS, De Officiis Ministrorum, lib. II, XXVIII, 136-140: PL 16,139-141; POSIDIUS, Vita S. Augustini Episcopi, XXIV: PL 32, 53 a. 60 Enzyklika Populorum Progressio, 23: a.a.O., S. 268. „Wer aber die Güter der Welt hat und seinen Bruder Not leiden sieht und sein Herz gegen ihn verschließt, wie kann da die Liebe Gottes in ihm bleiben?“ (7 Joh 3,17). Es ist bekannt, mit welcher Entschiedenheit die Kirchenväter gelehrt haben, welche Haltung die Besitzenden gegenüber den Notleidenden einzunehmen haben. In der vorausgehenden Nummer hatte der Papst die Nr. 69 der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes das II. Vatikanischen Konzil zitiert. 61 Vgl. Enzyklika Populorum Progressio, 47: a.a.O., S. 280: „...eine Welt, wo die Freiheit nicht ein leeres Wort ist, wo der arme Lazarus an derselben Tafel mit dem Reichen sitzen kann“. 62 Vgl. ebd., 47: a.a.O., S. 280: „Es geht darum, eine Welt zu bauen, wo jeder Mensch ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der Abstammung ein volles menschliches Leben führen kann, frei von Versklavung von seiten der Menschen ...“; vgl. auch II. Vatikanisches Konzil, Patoralkonstitu-tion über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, 29. Diese fundamentale Gleichheit ist eines der Grundmotive, mit dem sich die Kirche immer jeder Form von Rassismus widersetzt hat. 63 Vgl. Homilie in Val Visdende, Norditalien (12. Juli 1987), 5:L’OsservatoreRomano. 13-14. Juli 1987; PAUL VI., Apostolisches Schreiben Octogesima Adveniens (14. Mai 1971), 21: AAS 63 (1971) 416 f. 64 Vgl. II. VATIKANISCHES KONZIL, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, 25. 65 Apostolisches Schreiben Reconciliatio et Paenitentia (2. Dezember 1984), 16: „Wenn die Kirche von Situationen der Sünde spricht oder bestimmte Verhältnisse und gewisse kollektive Verhaltensweisen von mehr oder weniger breiten sozialen Gruppen oder sogar von ganzen Nationen und Blöcken von Staaten als soziale Sünden anklagt, dann weiß sie und betont es auch, daß solche Fälle von sozialer Sünde die Frucht, die Anhäufung und die Zusammenballung vieler personaler Sünden sind. Es handelt sich dabei um sehr persönliche Sünden dessen, der Unrecht erzeugt, begünstigt oder ausnutzt; der, obgleich er etwas tun könnte, um gewisse soziale Übel zu vermeiden, zu beseitigen oder wenigstens zu begrenzen, es aus Trägheit oder Angst, aus komplizenhaften Schweigen oder gehei- 1848 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN mer Beteiligung oder aus Gleichgültigkeit doch unterläßt; der Zuflucht sucht in der behaupteten Unmöglichkeit, die Welt zu verändern, und der sich den Mühen und Opfern entziehen will, indem er vorgebliche Gründe höherer Ordnung anführt. Die wirkliche Verantwortung liegt also bei den Personen. Eine Situation — ebenso wie eine Institution, eine Struktur, eine Gesellschaft — ist an sich kein Subjekt moralischer Akte; deshalb kann sie in sich selbst nicht moralisch gut oder schlecht sein ‘‘-.AAS 77(1985) 217. 66 Enzyklika Populorum Progressio, 42: a.a.O., S. 278. 67 Vgl. Liturgia Horarum, Feria III Hebdomadae IIIac Temporis per annum, Preces ad Vesperas. 68 Enzyklika Populorum Progressio, 87: a.a.O., S. 299. 69 Vgl. ebd., 13; 81: a.a.O., S. 263 f.; 296 f. 70 Vgl. ebd., 13: a.a.O., S. 263. 71 Vgl. Eröffnungsrede bei der Dritten Generalkonferenz der Lateinamerikanischen Bischöfe (28.Januar 1979): AAS 71 (1979) 189-196. 72 Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Libertatis Conscientia (22. März 1986), 72: AAS 79 (1987) 586; PAUL VI., Apostolisches Schreiben Octogesima Adveniens (14. März 1971), 4: AAS 63 (1971) 403 f. 73 Vgl. Pastoralkonstutition über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, Teil II, 5. Kapitel, 2. Abschnitt: „Der Aufbau der internationalen Gemeinschaft“ (83-90). 74 Vgl. JOHANNES XXIII., Enzyklika Mater et Magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961) 440; Enzyklika Pacem in Terris (11. April 1963), Teil IV: AAS 55 (1963) 291-296; PAUL VI., Apostolisches Schreiben Octogesima Adveniens (14. Mai 1971), 2-4: AAS 63 (1971) 402-404. 75 Vgl. Enzyklika Populorum Progressio, 3; 9: a.a.O., S. 258; 261. 76 Ebd., 3: a.a.O., S. 258. 77 Enzyklika Populorum Progressio, 47: a.a.O., S. 280; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Libertatis Conscientia (22. März 1986), 68: AAS 19 (1987) 583 f. 78 Vgl. II. VATIKANISCHES KONZIL, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, 69; PAUL VI., Enzyklika Popsdorum Progressio, 22; a.a.O., S. 268; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Libertatis Conscientia (22. März 1986), 90: AAS 79 (1987) 594; THOMAS VON AQUIN, Summa Theol. Ila Ilae, q. 66, art. 2. 79 Vgl. Eröffnungsrede bei der Dritten Generalkonferenz der Lateinamerikanischen Bischöfe (28. Januar 1979): AAS 71 (1979) 189-196; Ansprache an eine Gruppe von polnischen Bischöfen zum Ad-limina-Besuch (17. Dezember 1987), 6: L'Osservatore Romano, 18. Dezember 1987. 80 Denn der Herr wollte sich mit ihnen indentifizieren (Mt 25, 31-46) und nahm sich in besonderer Weise ihrer an (vgl. Ps 12, 6; Lk 1, 52 f.). 81 Enzyklika Populorum Progressio, 55: a.a.O., S. 284: „Aber gerade diesen Männern und Frauen muß man helfen; sie muß man überzeugen, daß sie selbst ihr Vorankommen in die Hand nehmen und schrittweise die Mittel dazu erwerben müssen“; vgl. Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, 86. 82 Enzyklika Populorum Progressio, 35: a.a.O., S. 274: „Deshalb ist die Grundausbildung die erste Stufe eines Entwicklungsplanes“. 83 Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über einige Aspekte der „Theologie der Befreiung“ Libertatis Nuntius (6. August 1984), Einführung: AAS 76 (1984) 876 f. 84 Vgl. Apostolisches SchreibenReconciliatio etPaenitentia (2. Dezember 1984), 16: AAS 77 (1985) 213-217; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Libertatis Conscientia (22. März 1986), 38; 42: AAS 79 (1987) 569; 571. 1849 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 85 Kogregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Li-bertatis Conscientia (22. März 1986), 24: AAS 79 (1987) 564. 86 Vgl. Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, 22; JOHANNES PAUL II., Enzyklika Redemptor Hominis (4. März 1979), 8: AAS 71 (1979) 272. 87 Enzyklika Populorum Pregressio, 5: a.a.O., S. 259: „Wir sind der Meinung, daß sie (die Päpstliche Kommission Justitia et Pax) mit Unseren katholischen Söhnen und den christlichen Brüdern alle Menschen guten Willen vereinen kann und soll“: vgl. auch 81-83, 87: a.a.O., S. 296-298; 299. 88 Vgl. II. VATIKANISCHES KONZIL, Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra Aetate, 4. 89 Gaudium et Spes, 39. 90 Vgl. II. VATIKANISCHES KONZIL, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, 58: JOHANNES PAUL II., Enzyklika Redemptoris Mater (25. März 1987), 5-6:AAS 79 (1987) 365-367. 91 Vgl. PAUL VI., Apostolisches Schreiben Marialis Cultus (2. Februar 1974), 31:AAS 66 (1974) 148 f.; JOHANNES PAUL II., Homilie im Heiligtum Unserer Lieben Frau von Zapopan, Mexiko (30. Januar 1979), 4: AAS 71 (1979) 230. 92 Tagesgebet der Messe „Für den Fortschritt der Völker“: Missale Romanum ed. tip. altera (1975) 820. 1850 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Aus seiner Fülle haben wir alles empfangen Predigt zum Jahresabschluß in der römischen Kirche „II Gesü“ am 31. Dezember 1. „Te Deum laudamus“. Dich, Gott, loben wir. Am letzten Tag des Jahres 1987 kommen wir wie gewohnt in dieses römische Gotteshaus zum „Te Deum“. „Te Deum laudamus“, Hymnus der Verehrung, Lobpreis. Der Mensch ist zu diesem Lobpreis berufen. Zusammen mit der ganzen Schöpfung lebt er zur Ehre des Schöpfers. Und im Namen aller anderen Geschöpfe erweist er dem Ehre, von dem alles kommt und zu dem alles zurückkehrt. Der Mensch leiht sich die Stimme der Geschöpfe, wie es die heutige Liturgie tut — und zugleich bietet er ihnen die Stimme des eigenen Herzens. „Singt dem Herrn ein neues Lied,/ singt dem Herrn, alle Länder der Erde!/ Singt dem Herrn und preist seinen Namen,/ verkündet sein Heil von Tag zu Tag!“ (Ps 96,1-2). „Der Himmel freue sich, die Erde frohlocke,/ es brause das Meer und alles, was es erfüllt./ Es jauchze die Flur und was auf ihr wächst./ Jubeln sollen alle Bäume des Waldes“ (Ps 96,11-12). Der Mensch spricht im Namen aller Geschöpfe. Und gleichzeitig ist es, als überließe er ihnen seine Stimme: damit sie sprechen, damit sie mit all ihrem Reichtum, dem Reichtum des Makro- und des Mikrokosmos, sprechen von all dem, wovon der Mensch sprechen sollte, dem in gewissem Sinn die Worte fehlen. Es ist notwendig, daß der Mensch am letzten Tag des Jahres auf besonders tiefe Weise das fühlt, was unaussprechlich ist. Es ist notwendig, daß man sich vor den hinstellt, der über allem steht, der unaussprechlich ist. Te Deum laudamus. Opus laudis. 2. „Te Dominum confitemur“. Dich, Herr, preisen wir. Der Mensch bekennt gleichzeitig diesen Gott, weil er selbst es ihm gegeben hat, ihn zu erkennen. Er selbst hat sich ihm offenbart. Die Strophen des „Te Deum“ sind zugleich ein Bekenntnis der Wahrheit über Gott, über den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist — so wie der Mensch diese Wahrheit dank der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus kennt. Am letzten Tag des Kalenderjahres kommen wir also hier zusammen, um diesen Gott zu bekennen, der sich im Menschen seiner Schöpfung geöffnet 1851 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN hat, diesen Gott, der durch Jesus Christus in die Geschichte des Menschen eingetreten ist und seine Nähe, seine Gegenwart bis zum Äußersten geführt hat. Das Geheimnis des Immanuel. „Und das Wort ist Fleisch geworden/ und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). „Allen aber, die ihn aufnahmen,/ gab er Macht, Kinder Gottes zu werden“ {Joh 1,12). Die Strophen des Hymnus hallen wider mit dem ganzen Inhalt des Geheimnisses der Menschwerdung. Die Eucharistie führt uns in ihre eigene Wirklichkeit ein durch die Vollmacht des sakramentalen Zeichens. 3. So, mit den Augen und dem Herzen voll der göttlichen Wirklichkeit, wollen wir noch einmal auf dieses Jahr zurückblicken, das kurz vor seinem Abschluß steht — auf die Zeit, die vergeht — aus dem Blickwinkel dessen, von dem alles kommt und zu dem alles zurückgeht. Geben nicht das rechte Maß für einen solchen Rückblick die Worte des Evangelisten: „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade“ {Joh 1,16)? Gott ist ganz Heiligkeit. Und er ist ganz Gnade, d. h. Geschenk. In ihm gibt es weder „zuvor“ noch „danach“. Tatsächlich gibt es in ihm keine Zeit. Er ist die Ewigkeit und die Fülle. Dagegen ist die Welt und der Mensch zusammen mit der Welt dem Wandel unterworfen. Gott, der Mensch geworden ist, hat in seiner Heilssendung das Zeitmaß angenommen. Dies ist das Maß der Menschwerdung. Das Wort, das Fleisch geworden ist, ist die göttliche Fülle der Heiligkeit und der Gnade — und zusammen nimmt es in sich den Rhythmus der Menschheitsgeschichte auf, den Rhythmus der Geschichte. In ihm wird die Geschichte zur Heilsgeschichte. Ihre Erklärung findet sich genau in diesen Worten des Johannesevangeliums: „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade“ {Joh 1,16). 4. Wir alle, gemeinsam und als einzelne, haben empfangen. Wie sind also die Tage dieses Jahres verflossen, das durch dieses Flußbett der Heilsökonomie der Menschwerdung fließt? Gnade über Gnade ... Tag für Tag ... Es ist Notwendig, daß jeder sich diese Frage stellt. Jeder und jede. Jedes Jahr schreibt ein neues Kapitel der Geschichte der menschlichen Seelen, die vor den Augen der Welt verborgen und nur Gott allein bekannt sind. Und deshalb prägt sich jedes Kapitel dieser Geschichte gleichzeitig in das göttliche Buch des Lebens ein. Gleichzeitig lebt es im Bewußtsein eines und einer jeden. Jeder muß sich die Frage über die aus seiner Fülle empfangenen Gnade stellen, aus der Fülle des Geheimnisses der Menschwerdung, aus der Hochherzigkeit des Immanuel — die Frage nach der „Tag für Tag“ 1852 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN empfangenen Gnade: Gnade über Gnade. Dies ist der verborgene Rhythmus unseres Lebens in Gott. 5. Und gleichzeitig sind wir „alle“ gemeint: die gesamte Stadt Rom, die ganze Kirche in Rom als das besondere Erbe der Apostel, die Kirche, an die das „Petrusamt“ gebunden ist: der Dienst des Petrus zugunsten der Universalität und zugunsten der Einheit, das Amt der Liebe. Die Kirche in Rom muß sich selbst immer mit dem Maß dieser weltweiten Gemeinschaft messen, in deren Mitte der Herr sie gestellt hat, indem er seine Apostel hierher sandte: zuerst Petrus und dann Paulus... Deshalb darf diese römische Kirche sich selbst nicht nur mit ihren eigenen Augen betrachten, sondern zugleich mit den Augen all derer, die auf sie blicken. Und sie haben das Recht dazu. Sie haben das Recht, zu schauen und haben das Recht, zu fordern. Die Kirche von Rom muß viel von sich selbst verlangen. Das „Petrusamt“ ist nicht nur ein Vorrang. Es ist vor allem ein Dienst: „Diener der Diener“. 6. Was willst du dem Herrn sagen, an diesem letzten Tag des Jahres 1987, du, Kirche in Rom? Du, Kirche der Apostel, der Märtyrer, der Heiligen... Kirche der Sünder? ... Kirche von Rom, sage Dank für die göttliche Gegenwart, die so reich an Geschenken ist, in all deinen Pfarreien. Ja, mit euch, liebe Brüder und Schwestern, möchte ich dem Herrn meine tiefe • Dankbarkeit ausdrücken, weil ich in den Gemeinden, die von mir während dieses Jahres besucht wurden, den großen spirituellen Eifer feststellen konnte, der sie beseelt. Ich erinnere mich mit Freude an die Gruppen der Katecheten, die Vereinigungen, die Bewegungen des Laienapostolats und der Spiritualität wie auch an die Organisationen für die karitativen Werke und an die pastoralen Aktivitäten zugunsten der Kranken, der Alten, der Außenseiter und der Ausländer in Not. In jeder Pfarrei habe ich mit Freude die Zusammenarbeit der Priester und der Laien gesehen, die herzlich bestrebt waren, allen Raum zu bieten, wo der Glaube mit Würde gefeiert und die Liebe mit Hingabe geübt werden. Während du den Lobhymnus anstimmst, Kirche von Rom, bitte den Allmächtigen Vater, seine Gnade möge die Diözesansynode, die mit der nächtlichen Feier der Pfingstvigil in ihre Vörbereitungsphase eingetreten ist, zu einem guten Ende führen. Sie ist eine große Aufgabe und eine edle Anstrengung, die Gott anzuvertrauen ist, damit alle Gläubigen Roms an diesem bedeutenden und grundlegenden kirchlichen Ereignis teilhaben und zum allgemeinen Wachstum im Glauben und im Dienst an den Brüdern beitragen. 1853 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kirche von Rom, preise den Herrn für die tiefe Erfahrung kirchlicher Gemeinschaft, die in der Versammlung der Bischofssynode verwirklicht wurde. Sie hat ein ausgezeichnetes Zeugnis davon abgelegt, daß das Nachdenken und Arbeiten gemäß den Grundsätzen des Glaubens uns immer zur Einheit des „einen Herzens und der einen Seele“ (Apg 4,32) führt. Kirche von Rom, preise den Geber alles Guten, der dir und der Kirche von Konstantinopel das kostbare Geschenk gewährt hat, mit dem Besuch des Ökumenischen Patriarchen Dimitrios I. den Dialog der Liebe, der uns brüderlich auf die Einheit schreiten läßt, bewußt und kreativ zu vertiefen. In diesem Jahr, das besonders Maria geweiht ist, bitte sie um den mütterlichen Schutz auf deinem Weg, damit dein Glaube und deine Liebe gestärkt werden und dir ein lebendiges Erbarmen und frohes Wirken vergönnt seien. 7. Wir beenden das Jahr. Aus der Tiefe des Geheimnisses der Menschwerdung hören wir nicht auf, bis auf den Grund die Perspektiven der menschlichen Zeit zu sehen, die ständig vergeht und sich immer eneuert und fortwährend ihre Vollendung vor Gott erwartet. Wie es im Psalm der heutigen Liturgie heißt: „Vor dem Herrn, wenn er kommt,/ wenn er kommt, um die Erde zu richten./ Er richtet den Erdkreis gerecht/ und die Nationen nach seiner Treue“ (Ps 96,13). „Als Richter, so glauben wir, kehrst du einst wieder, singen wir im „Te Deum. Und weiter: „Dich bitten wir denn, komm deinen Dienern zu Hilfe, die du erlöst mit deinem kostbaren Blut. Die endgültige Konsequenz des Geheimnisses der Menschwerdung. Das endgültige Wort des Immanuel: das Blut, mit dem er uns erlöst hat. Das menschliche Blut, das er von seiner jungfräulichen Mutter empfangen hat, als er Mensch wurde. Die Kirche der Apostel, der Märtyrer, der Heiligen, die Kirche der Sünder ... die römische Kirche der antiken Traditionen lobpreise ihren Herrn! Aus einer Fülle schöpfen wir immer „Gnade über Gnade“. Und die Gnade ist mächtiger als die Sünde: „Wo jedoch die Sünde mächtig wurde,/ da ist die Gnade übergroß geworden“ (Rom 5,20). <65> <65> Liebe Brüder und Schwestern! Wir gehen durch die Hinfälligkeit all dessen, was menschlich ist, was vergeht, hindurch und auf den einen zu, der die unvergängliche Fülle, der die Liebe ist! 1854 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Chorgesang ein wichtiger Dienst Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Kongresses der „Pueri Cantores“ am 31. Dezember Liebe jungen Sänger der internationalen Vereinigung der „Pueri Cantores“! Morgen werden wir die große Freude haben, den ersten Tag des Jahres 1988 gemeinsam zu erleben, gemeinsam die heiligste der Mütter zu feiern, die Mutter des Herrn, die Mutter des Volkes der Getauften. Aber ich wußte von eurem großem Wunsch, schon heute mit dem Papst zusammenzutreffen. Ich wünschte es auch. Nun sind wir alle sehr glücklich! Ich für meinen Teil bin erfreut, eure 10.000 Gesichter zu sehen, so lebendig, ausdrucksvoll, freudig, transparent, ernst, aber, wie ich meine, auch schalkhaft. Zuerst beglückwünsche ich euch dazu, einer Schola, einem Knabenchor, einer Singschule anzugehören. Diese kirchlichen Institutionen sind sehr alt. Ich bin sicher, daß es in euren Heimatstädten Straßen oder Plätze gibt, die danach benannt sind. Wie interessant wäre es für euch, die lange Geschichte eurer Schule des liturgischen Gesangs zu kennen. Sodann ermuntere ich euch von Herzen zu eifrigem Singen und zur Pflege dieser heiligen Melodien: der unvergleichlichen Gregorianik, der Poly-phonie alter oder moderner Inspiration, in euren Kathedralen, euren Basiliken oder Stiftskirchen, in euren Gotteshäusern in Stadt und Land. Ohne die Werke der profanen Musik zu unterschätzen, habt ihr das Privileg, für Gott zu singen, die Heilsereignisse zu feiern, die Christus vollbracht hat, stets begleitet von seiner Mutter und unserer Mutter. Ihr entzückt nicht nur die Ohren eurer Zuhörer. Ihr laßt sie mit Gott in Verbindung treten. Ihr tragt in den gottesdienstlichen Versammlungen dazu bei, die Sehnsucht nach einer stärkeren Verbundenheit mit ihm, wie mit allen Menschen und Völkern, die er liebt, zu fordern. Eure Berufung, liebe jungen Sänger, ist verwurzelt in der Überlieferung der Schrift und der Kirchenväter, des hl. Augustinus vor allem. Eine Tradition, die einlädt, ohne Unterlaß den Herrn zu feiern: „Lobt ihn mit dem Schall der Hörner, lobt ihn mit Harfe und Zitter ... lobt ihn mit Flöten und Saitenspiel!“ (Ps 150). Aber die menschliche Stimme, allein und vor allem mit anderen vereint, drückt vor Gott noch besser die Freude der Anbetung, das Leid, die Reue, das Vertrauen, die Liebe aus. Was ich euch schließlich als letztes anvertraue, ist ein Aufruf, fortzufahren im Dienst der heiligen Liturgie und andere junge Menschen zu ermutigen, 1855 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sich euren Chören und Singschulen anzuschließen. Hört auch diese Überzeugung des Papstes: wenn einige unter euch wirklich die Stimme des Herrn hören, werden sie nach und nach in sich den Entschluß reifen lassen, ihm ganz zu gehören. Ich bete in dieser Intention. Liebe jungen Sänger, zusammen mit euren Bischöfen und Priestern, zusammen mit euren Chorleitern, die ich von ganzem Herzen beglückwünsche, sende ich euch aus in die ganze Welt. Ja, ich vertraue euch die Verantwortung an, großherzig zur Würde und Schönheit des Gottesdienstes beizutragen. Allen, sowie euren lieben Eltern, erteile ich in Liebe meinen Apostolischen Segen. Der Papst hat seine Ansprache in Französisch begonnen und sagte dann auf Italienisch: Liebe Buben und Mädchen des Internationalen Pueri-Cantores-Verbandes! Ich bin sehr erfreut über diese Begegnung, die der von morgen vorangeht und sie gleichzeitig ankündigt, wenn wir zusammen am ersten Tag des Jahres 1988 die Mutter des Herrn, die Jungfrau Maria feiern, in deren Namen jedes neue Jahr beginnt. Das Lächeln auf euren Gesichtern, die Frische eurer Stimmen, der Einklang eures Gesanges schenken der Seele Freude und bereiten sie somit auf das Gebet vor. Liebe Buben und Mädchen, ich möchte die große Anerkennung zum Ausdruck bringen, die euch die Kirche für euren Dienst der Liturgie entgegenbringt. Die Würde und der Ablauf von religiösen Feiern hängen zum großen Teil von eurem Gesangsbeitrag ab, der also immer bestrebt sein muß, dem Ritus zu entsprechen, in den er eingefügt ist. Mein Wunsch wäre es, daß der Gottesdienst in jeder Kathedrale, jeder Pfarrei und jeder anderen Kirche durch die klaren Stimmen eurer Altersgenossen erhebend gestaltet und verschönert würde. Seid euch der Verantwortung bewußt, den Teilnehmern an der heiligen Liturgie zum Verständnis zu bringen, wie schön es ist, singend mit der Kirche und für die Kirche zu beten. Mögen all jene, die an den von euch belebten Feiern teilnehmen, den Ansporn verspüren und so das Herz für das Wirken des Gottes der Heiligkeit und der Liebe öffnen. Mit diesem Wunsch, liebe Buben und Mädchen, erteile ich euch meinen Segen. 1856 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN In englischer Sprache: Es ist mir eine große Freude, euch heute aus Anlaß des 23. Internationalen Kongresses der „Pueri Cantores“ zu begrüßen. Ich grüße euch ganz persönlich und im Namen jener, die zu schätzen wissen, was ihr durch den sakralen Gesang zur Schönheit der Liturgie beitragt. Ich hoffe, ihr erkennt, wie sehr ihr die christliche Gemeinschaft unterstützen könnt — nicht nur dadurch, daß ihr die Ohren eurer Zuhörer erfreut, sondern indem ihr ihre Herzen anrührt. Singend drückt ihr die Freude und Sorge, Bitte und Reue, die Hoffnung und Liebe des Volkes Gottes im Gebet aus. Ich wünsche euch von Herzen Mut und alles Gute, und in der Liebe Christi unseres Erlösers erteile ich euch und euren Angehörigen meinen Apostolischen Segen. In deutscher Sprache sagte der Papst: Einen herzlichen Willkommengruß richte ich auch an die zahlreichen jungen Sänger aus den deutschsprachigen Ländern. Ihr seid hier in Rom zu eurem 23. Internationalen Kongreß zusammengekommen und beschenkt uns zu diesem Anlaß mit eurem frohen und gekonnten Gesang. Weihnachtszeit ist hohe und festliche Zeit für euer Singen im Dienst an der Kirche und allen Menschen guten Willens. Ja, euer Chorgesang ist ein wichtiger Dienst für die Liturgie in euren Kirchen und Domen und wird von den Christen mit Dankbarkeit und breiter Zustimmung aufgenommen. Für euch selbst kann dieses Singen sogar zu einem persönlichen Gebet werden, wenn ihr die Worte beherzigt, die euren Melodien zugrundeliegen und wenn ihr sie mit Hilfe der Musik euren ganzen Leib und eure ganze Seele erfassen laßt. Euch allen gilt meine brüderliche Ermutigung und mein aufrichtiger Segenswunsch für euer Leben, Lernen und Singen im neuen Jahr 1988. 1857 IV Ad-limina-Besuche AD-LIMINA-BES XJCHE Die Heilsbotschaft in ihrer Fülle leben und für die letzten Beweggründe der Hoffnung in Christus Rechenschaft geben Ansprache an die Bischöfe von Äquatorial-Guinea anläßlich ihres Ad-limina-Besuches am 20. November Geliebte Mitbrüder im Bischofsamt! 1. Diese Begegnung mit euch bereitet mir große Freude, wollt doch ihr, die Hirten von Äquatorial-Guinea, mit diesem eurem Besuch „Ad limina Aposto-lorum“ auf ganz besondere Weise eure innige Verbundenheit im Glauben und in der Liebe mit dem Stuhl Petri zum Ausdruck bringen. So spreche ich euch also meinen herzlichsten brüderlichen Gruß und gleichzeitig meinen Dank für euer Kommen nach Rom aus, das mit seiner ekklesia-len Bedeutung einen Ansporn und eine geistliche Bereicherung für euch selbst und für eure Gemeinden darstellt; für sie ist dieser durch das Zeugnis der Apostel Petrus und Paulus geheiligte Ort der Mittelpunkt der Katholizität und das Zeichen der Einheit unter uns allen, die wir den gleichen Glauben an Christus Jesus bekennen. Auch danke ich für die liebenswürdigen Worte, die Erzbischof Rafael Maria Nze Abuy als Vorsitzender der Bischofskonferenz in euer aller Namen an mich gerichtet hat und versichere euch nochmals meiner herzlichen Liebe, die auch allen Priestern und Ordensleuten, den Pastoralassistenten und den Gläubigen eurer Diözese gilt. 2. Im Verlauf der Einzelaudienzen mit euch konnte ich mich von eurer Treue zur Kirche und eurer Mitwirkung aus der Gnade überzeugen, die ihr zur Erfüllung eurer Sendung von Christus empfangen habt und die euren bischöflichen Dienst beseelen muß. Ich betrachte daher eure Sorgen auch als die meinen, teile eure Schmerzen und die Opfer, die ihr aus Liebe zur Kirche bringt und nehme an euren Freuden und Hoffnungen für eine vielversprechende Zukunft Anteil. Für all das danke ich dem Herrn und freue mich, daß er euch „für treu gehalten und in seinen Dienst genommen hat“ (i Tim 1,12). Ich erinnere mich jenes unvergeßlichen 18. Februars 1982, den ich in Äquatorial-Guinea mit den Söhnen und Töchtern jenes Landes verbringen konnte. Dieser Pastoralbesuch bleibt mit unvergeßlich, sowohl wegen der Kundgebungen herzlicher Liebe und Verbundenheit, die mir zuteil wurden, als auch wegen des Zeugnisses für den lebendigen Glauben und die Liebe, dessen Aus-: druck die Feier der Eucharistie in Bata war. 1861 AD-LIMINA-BES UCHE 3. Den Berichten über den Stand eurer Diözesen, die ihr dem Apostolischen Stuhl übermittelt habt, konnte ich entnehmen, daß die Kirche in Äquatorial-Guinea sich nachhaltig für eine Evangelisierung einsetzt, die alle Schichten der Bevölkerung erreicht. Nach meinem Pastoralbesuch erfuhren eure Gemeinden eine Bereicherung dank der Errichtung der Kirchenprovinz Malabo und der neuen Diözese Ebebiyin, die einer besonderen pastoralen Notwendigkeit entgegenkommen will und gleichzeitig einen Aufruf zu einer vertieften Evangelisierung eures Volkes darstellt. Die Evangelisierung, die in euren Gebieten vor fast vierhundert Jahren ihren Anfang nahm, erhielt mit der Ankunft der Claretianer-Patres und der Schwestern von der Unbefleckten Empfängnis einen entscheidenden Impuls und dank der Zusammenarbeit mit den Katechisten gelang ihnen eine nachhaltige christliche und menschliche Bildung und Ausbildung der Bürger von Äquatorial-Guinea. Eine äußerst harte Prüfung stellten für die Hirten und die Gläubigen jene langen, nunmehr bereits weit zurückliegenden Jahre dar, in denen es der katholischen Kirche ernstlich verwehrt wurde, ihrer Sendung — der Verkündigung des Evangeliums und der Begleitung ihrer Söhne und Töchter bei ihrem Wachstum im Glauben, ihrer Ausdauer in der Hoffnung und ihrer praktischen Verwirklichung der Nächstenliebe — nachzukommen. Ich weiß, daß eure Aufmerksamkeit und Sorge dem pastoralen Dienst für euer geliebtes Volk mit seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart gilt. In diesem Sinn ist die Geschichte ein qualifizierter Zeuge für den wertvollen Beitrag, den die Kirche zum ganzheitlichen Wachstum eurer Nation geleistet hat, fordert sie doch ihre Söhne und Töchter unablässig heraus, neue Menschen in der Gerechtigkeit, der Wahrheit und der Liebe zu sein. Auch bildet sie das soziale Gewissen der Gläubigen, fördert ihren aktiven Einsatz für das Gemeinwohl , lehrt alle, ihren Egoismus zu überwinden, stärkt die Einheit der Familie und pflegt die Werte, die diese in sich trägt. 4. Innerhalb dieses hoffnungsvollen Horizonts darf man nicht die wertvolle Mitarbeit übersehen, die euren Gemeinden dank der missionarischen Solidarität verschiedener spanischer Ordensgemeinschaften zuteil wurde, deren Mitglieder sich freiwillig zur Verfügung stellten und im Unterrichtswesen (FERE) mit 164 Ordensleuten sowie in der Gesundheitsfürsorge (FERS) mit 39 Ordensleuten tätig sind. Im Zug dieser neuen Evangelisierung ist es nun angebracht, den verkündeten Glauben mit dem konsequenten Zeugnis des christlichen Lebens zu beseelen. In der Mitte eurer Hirtensorge müssen insbesondere die Jugend und die Kinder stehen, die, wenn sie in den christlichen Grundsätzen gefestigt sind, den 1862 AD-LIMINA-BESUCHE älteren Generationen Ansporn und Hoffnung und zugleich eine Kraft sein können, die sie zum Einsatz für den Aufbau einer besseren Zukunft anregt. Aus euren Frühjahrberichten ergeben sich einige Schwerpunkte eurer pasto-ralen Bemühungen, die Ermutigung und auch eine ausgeglichene Reflexion verdienen, damit ihr der ihnen innewohnenden Problematik im Hinblick auf die bestmögliche Lösung mittels entsprechender Initiativen begegnen könnt. Es gefällt mir, daß ihr den Priester- und Ordensberufungen besondere Aufmerksamkeit schenkt, ebenso der christlichen Bildung der Familie und der Jugend und dem karitativen Wirken, in der Absicht, auf diese Weise und vom Evangelium ausgehend eine Antwort auf die wachsenden Notwendigkeiten eures edlen Landes geben zu können. 5. Das Problem der Priester- und Ordensberufe ist Gegenstand eurer vordringlichen Sorge, wißt ihr doch um seine nachhaltigen Auswirkungen auf die Gegenwart und die Zukunft der Kirche. Ohne eine genügende Anzahl von Berufungen wäre die gesamte Evangelisierung gefährdet. Eure Sorge um dieses wichtige Problem muß drei grundlegende Aspekte berücksichtigen: die sorgfältige Suche nach Kandidaten für das Priestertum und das gottgeweihte Leben; ihre entsprechende religiöse und menschliche Vorbereitung und ihre sorgsame Begleitung, damit es ihnen nicht an Ausdauer mangele. In diesem Zusammenhang ergibt sich die Notwendigkeit der Erstellung eines wohldurchdachten Planes für die Pastoral der geistlichen Berufungen, die den Familien, den Schulen, der Jugend und den apostolischen Bewegungen und kirchlichen Vereinigungen besondere Aufmerksamkeit zuwendet. Für die Erfüllung dieser Aufgabe solltet ihr gut vorbereitete und hochherzige Priester einsetzen, die sich ihr in erster Linie, im Rahmen eines diözesanen und nationalen Programmes widmen. Große Sorgfalt und Hingabe verdienen die Seminare und Bildungszentren, die, wie immer wieder in den vom Apostolischen Stuhl herausgegebenen Unterweisungen betont wird, Zentren für eine gesamtheitliche Ausbildung der Person sein müssen, die auf soliden spirituellen, moralischen und intellektuellen Grundlagen beruht und verbunden ist mit gesunder Disziplin und Opferbereitschaft. Ohne diese Voraussetzungen wäre es unmöglich, den Erwartungen der Kirche von heute gerecht zu werden, die in den zukünftigen Animatoren ihrer Gemeinden Lehrer des Glaubens und der Liebe sehen möchte. Mit besonderer Befriedigung verfolge ich die vielversprechende Zunahme der Berufungen in euren Diözesen, mit der bereits die Schwierigkeiten der letzten Zeit überwunden wurden. Die bereits funktionierenden Knabensemi- 1863 AD-LIMINA-BES UCHE nare sind eine Freude für die Gegenwart und eine Hoffnung für die Zukunft. In dieser Sache möchte ich euch zu weiteren Bemühungen ermuntern und die Schwesterkirchen zur Solidarität anspornen, damit euer Plan zu Gründung eines nationalen Priesterseminars verwirklicht werden kann. 6. Bei dieser Berufspastoral sind wir uns aber auch bewußt, daß das Problem weit über, die zahlenmäßige Zunahme der Kandidaten hinausreicht. Als vorrangige Aufgabe ist die solide Bildung und die weiterführende Begleitung der zum Priester- und Ordensleben Berufenen zu betrachten. Der Priester, „aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt“, wie uns der Brief an die Hebräer (5,1) lehrt, muß Vorbild im Gebet und Vollzieher der liturgischen Handlung sein. Als Führer und Erzieher im Glauben, Vater aller, insbesondere der Bedürftigsten, und mutiger Diener der Sache des Evangeliums soll er die Gemeinde dahin führen, Gott den Kult der ganzen Kirche darzubringen. Da ihr, liebe Mitbrüder im Bischofsamt, in ehrlicher Freundschaft euren Priestern sehr nahe seid und ihre Freuden und Schwierigkeiten teilt, baut ihr eine festgefügte Gemeinschaft auf, die ein Beispiel für eure Gläubigen und eine solide Grundlage für die Nächstenliebe ist. <66> <67> <66> Als Hirten jenes Teiles des Volkes Gottes, das euch anvertraut ist, sollt ihr auch der Familienpastoral besondere Aufmerksamkeit schenken. Die Familie, die „kleine Hauskirche“, muß Gegenstand eures besonderen Interesses und Einsatzes sein. Sie ist der geeignete Boden für die Aussaat des Samens des Evangeliums und das Milieu, in dem Eltern und Kinder gleichsam als lebendige Zellen das Ideal des Dienstes an Gott und an den Mitmenschen in sich aufnehmen. Die Ehe, auf der die Familie gegründet ist, ist eine Lebens- und Liebesge-meinschaft; sie wurde vom Schöpfer für die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes eingesetzt und hat eine nicht nur irdische,' sondern auch ewige Bestimmung (vgl. Gaudium et spes, Nr. 48). Bemüht euch deshalb um die Verteidigung ihrer Einheit und Unauflöslichkeit. Unterlaßt es auch nicht, das Grundrecht des Menschen zu verkünden: das Recht, geboren zu werden. Im Zusammenhang mit der Familie als ein Ort der Glaubenserziehung möchte ich eure Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der religiösen Erziehung in der Schule lenken. Den Umständen und Möglichkeiten der einzelnen Gemeinden entsprechend müßt ihr für das weite, der Evangelisierung offenstehende Gebiet der ganzheitlichen Erziehung des Menschen Sorge tragen. Ich weiß um die Grenzen, die euren Bemühungen für die Errichtung von Schulen und Ausbildungszentren gesetzt sind, also von Einrichtungen, die erforderlich wären, 1864 AD-LIM1NA-BES UCHE um den Bedürfnissen der Bevölkerung eures Landes gerecht zu werden; ich rufe daher die Schwesterkirche auf, ihren Möglichkeiten entsprechend zur Erziehung und menschlichen Förderung der Jugend eures edlen Landes beizutragen. 8. Die Jugend soll im Rahmen eurer pastoralen Anliegen einen besonderen Platz einnehmen. Die Kirche muß alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Jugendlichen Christus näher zu bringen. Es ist notwendig, mit ihnen zusammenzusein, ihnen hohe und erhabene Ideale mitzuteilen und sie fühlen zu lassen, daß Christus das Sehnen ihres Herzens erfüllen kann. All das muß als entsprechende und systematische Katechese programmiert werden. Ich weiß, daß ihr bestrebt seid, euren Gläubigen eine stufenweise Evangelisierung zu vermitteln, die ihr christliches Leben formen soll; Ich ermuntere euch, eure Bemühungen auf einem für die Kirche so lebenswichtigen Gebiet fortzusetzen und zu verdoppeln, da eure christlichen Gemeinden nur dank einer tiefschürfenden Katechese fähig sein werden, die Heilsbotschaft in ihrer Fülle zu leben und sowohl als Einzelpersonen als auch gemeinschaftlich für die letzten Beweggründe ihrer Hoffnung in Christus Rechenschaft zu geben. <68> <68> Geliebte Brüder, ich würde gerne noch viel länger mit euch Zusammensein, um diese Augenblicke der Freude und der Gemeinschaft zu verlängern. Euer Ad-limina-Besuch ist ein Beweis für eure herzliche Verbundenheit mit dem Nachfolger Petri. Möge diese Begegnung das unter euch, den Bischöfen und Führern der Kirche in Äquatorial-Guinea, bestehende Band vertiefen und stärken, damit euer Wirken sich immer nachhaltiger und erfolgreicher gestalte, zum Wohl eurer kirchlichen Gemeinden. Zuletzt erteile ich euch noch einen besonderen Auftrag: Überbringt euren Priestern, Ordensleuten, Seminaristen, in der Pastoral Tätigen und allen Angehörigen eurer Diözesen den Gruß und den Segen des Papstes, der an alle denkt und mit großer Liebe und lebendiger Hoffnung für euch betet. In diesem Marianischen Jahr vertraue ich euch dem Schutz der imbefleckten Jungfrau, der Patronin der guineanischen Nation an und erteile euch als Unterpfand der ständigen Hilfe Gottes von ganzem Herzen meinen Segen. 1865 AD-LIMINA-BES UCHE Niemandem das Evangelium vorenthalten Ansprache beim Ad-limina-Besuch der Bischöfe von Äthiopien am 15. Mai Meine lieben Brüder in unserem Herrn Jesus Christus! 1. Gern heiße ich euch, die Mitglieder der Bischofskonferenz von Äthiopien, bei diesem frohen Anlaß eures Ad-limina-Besuches willkommen. Wir sind heute in Einheit versammelt in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes und der Liebe zu Christus, der für immer der Eckstein (vgl. Eph 2,20) und der Hirte und Hüter unserer Seelen bleibt (vgl. 1 Petr 2,25). Kardinal Paulos hat mir in eurem und im Namen all eurer Priester, Ordensleute und Laien seine tiefe Verbundenheit ausgesprochen. Das schätze ich sehr, und ich möchte diese Gelegenheit benutzen, um die enge kirchliche Gemeinschaft zu betonen, die zwischen den Katholiken von Äthiopien und dem Sitz des Petrus besteht. Der ganzen Kirche in Äthiopien möchte ich die Worte des heiligen Paulus wiederholen: „Wir danken Gott für euch alle, sooft wir in unseren Gebeten an euch denken; unablässig erinnern wir uns vor Gott, unserem Vater, an das Werk eures Glaubens, an die Opferbereitschaft eurer Liebe und an die Standhaftigkeit eurer Hoffnung auf Jesus Christus, unseren Herrn“ (7 Thess 1,2-3). 2. Jeder von euch ist in der Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri und in der Gnade des Heiligen Geistes aufgerufen, seinen Dienst zum Aufbau und zum Wachstum des Leibes Christi zu leisten. Durch eure treue Predigt des Evangeliums, die Verwaltung der Sakramente und euer liebevolles Ausüben der Autorität dient ihr dem eurer Sorge anvertrauten Volk Gottes. Eure kollegiale Gemeinschaft mit dem Nachfolger des Petrus ist das Werk des Heiligen Geistes. Gemeinsam bekennen wir „einen Herrn, einen Glauben, eine Taufe“ {Eph 4,5) in der gemeinsamen Feier der göttlichen Liturgie, die in zwei verschiedenen Riten ihren Ausdruck findet. Wir sind eins in der brüderlichen Liebe der Kinder Gottes und gehen gemeinsam unseren Pilgerweg zur himmlischen Heimat. Wir sind uns auch immer bewußt, daß unsere Einheit in der Kirche ihre Quelle hat in der Einheit der heiligsten Dreifaltigkeit. Denn die dogmatische Konstitution des II. Vatikanischen Konzils über die Kirche stellt fest: „Die ganze Kirche erscheint als das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk“ {Lumen gentium, Nr. 4). 3. Die lange Geschichte des Christentums in eurem Land hat Zeiten großen Glanzes und außerordentlicher Lebenskraft ebenso wie Zeiten der Prüfung 1866 AD-LIMINA-BES UCHE und des Leidens um eures Glaubens willen gekannt. Ihr habt eine wunderbare Geschichte von heiligmäßigen Männern und Frauen, die sich zu jeder Zeit als standfeste Zeugen des Glaubens bewährt haben, und zumal die Klöster Äthiopiens waren für viele Generationen von Christen Zentren der Bildung und der Kultur. Derzeit bestehen bei euch an kirchlichen Jurisdiktionszentren ein Metropolitansitz, zwei Eparchien, fünf Apostolische Vikariate und eine Apostolische Präfektur. Obwohl die katholische Kirche nur einen kleinen Teil der Gesamtbevölkerung ausmacht, seid ihr besonders aktiv bei den sozialen Diensten sowie im Erziehungs- und Gesundheitswesen. Ein klares Zeugnis dafür war die hochherzige Hilfe, die Agenturen der katholischen Kirchen den zahlreichen Opfern der Hungersnot, die kürzlich euer Land heimgesucht hat, zur Verfügung gestellt haben. Auch die Ortskirche und besonders die Missionare setzen sich intensiv dafür ein, die Folgen dieser Hungersnot wieder auszugleichen. Sie arbeiten für den sozialen Fortschritt in Schulen, Hospitälern und Apotheken sowie in einer Fülle von Entwicklungsprojekten. Ich bete und erwarte ernsthaft, daß die Regierung Äthiopiens den Missionaren alle notwendigen Hilfen zur Weiterführung dieses Dienstes für euer Land zur Verfügung stellt, so wie ihr keine Mühe scheuen werdet, äthiopisches Personal auszubilden, das in Zukunft ihr Apostolat übernehmen kann. Die ganze Gemeinschaft der Gläubigen steht im Dienst der Verkündigung 4. Meine lieben Brüder: Ich möchte die vielen mutigen Initiativen hervorheben, die ihr für die Verkündigung des Evangeliums unternommen habt. Als Hirten der Kirche in Äthiopien seid ihr in zwei Richtungen tätig geworden: nach innen und nach außen. Einerseits habt ihr euch mit großem seelsorglichen Eifer den katholischen Gläubigen gewidmet, sie mit Wort und Sakrament genährt und in ihrer Mitte die Aufgabe des Guten Hirten erfüllt. Andererseits habt ihr zusammen mit eurem Klerus, den Ordensleuten und Laien, die große Aufgabe der Evangelisierung nicht zu kurz kommen lassen und die Frohbotschaft vom Heil den Vielen verkündet, die von Christus noch nicht gehört oder ihn noch nicht angenommen haben. Ich ermuntere bei dieser Gelegenheit alle eure Bemühungen zur Evangelisierung, die nach den Worten Papst Pauls VI. in dem Apostolischen Schreiben über die Evangelisierung in der Welt von heute „das grundlegende Programm ist, das der Herr für seine Kirche gewollt hat“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 61). Besonders seid ihr, meine Brüder, dafür verantwortlich, die am besten für die Verkündigung der Botschaft des Evangeliums in einer Gesellschaft mit vielen Religionen geeigneten Mittel zu wählen. Die Kirche hegt tiefe Achtung für die 1867 AD-LIMINA-BES UCHE nichtchristlichen Religionen, die ja „lebendiger Ausdruck der Seele breitester Gruppen“ sind {ebd., Nr. 53). Da der Heilsplan all jene mit einschließt, die den Schöpfer anerkennen, besteht zwischen Christen und Nichtchristen eine tiefe Grundlage für ein gegenseitiges Verständnis und eine friedliche Koexistenz. Den nichtchristlichen Religionen gegenüber bekräftigt die Kirche nicht nur ihre Bereitschaft zum Dialog, sondern auch zur Verkündigung des Evangeliums. „Weder die Achtung und Wertschätzung für diese Religionen noch die Vielschichtigkeit der aufgeworfenen Fragen können für die Kirche eine Aufforderung darstellen, diesen Nichtchristen die Verkündigung Jesu Christi vorzuenthalten“ {ebd.). Der Herr fordert seine Anhänger deutlich auf, alle Menschen zu seinen Jüngern zu machen, sie zu taufen und sie die Beobachtung aller Gebote zu lehren (vgl. Mt 28,19-20). 5. Gern höre ich, daß der ökumenische Dialog zwischen den verschiedenen christlichen Gruppen in Äthiopien gekennzeichnet ist durch gemeinsames Gebet und Zusammenarbeit im sozialen Bereich. Ähnlich nehme ich gern zur Kenntnis, daß ihr als Bischofskonferenz ein Dokument über die ökumenischen Beziehungen in eurem Land vorbereitet. Betonen möchte ich, daß die Kirche nach der Lehre des U. Vatikanischen Konzils „sich mit jenen, die durch die Taufe der Ehre des Christennamens teilhaft sind ... aus mehrfachem Grunde verbunden weiß“ {Lumen gentium, Nr. 15). Das gilt besonders für den Weg, auf dem Katholiken und Orthodoxe sich eins wissen in der Liebe und im Lobpreis Mariens, der Mutter Christi und der Kirche. In meiner jüngsten Enzyklika über die selige Jungfrau Maria im Leben der pilgernden Kirche habe ich besonders die lange Tradition der koptischen und äthiopischen Marienverehrung erwähnt und ausgeführt, daß „die koptischen und äthiopischen Traditionen durch den hl. Cyrill von Alexandrien in diese Betrachtungsweise des Geheimnisses Marias eingeführt worden sind und sie ihrerseits in reichen poetischen Werken gefeiert haben“ {Redemptoris Mater, Nr. 31). <69> <69> Was das innere Leben der Kirche in eurem Land angeht, so möchte ich euch meiner vollen Unterstützung und meines Verständnisses angesichts der Schwierigkeiten versichern, die eure Gemeinden durchmachen. Ich muß unbedingt den demütigen und hingebungsvollen Dienst eurer Brüder im Priestertum, der Welt- und Ordenspriester erwähnen sowie den der zahlreichen Missionare, die alle einen wichtigen Beitrag zur Evangelisierung und zur sozialen Entwicklung eurer örtlichen Gemeinden leisten. Ich danke dem allmächtigen Gott für ihr Wirken. 1868 AD-LIMINA-BES UCHE Ich bin mir bewußt, daß derzeit eine dringende Notwendigkeit für eine ausgeglichenere Verteilung der Priester in eurem Land besteht. Ich spreche daher die Hoffnung aus, daß allen Priestern die Seelsorge für alle Gläubigen am Herzen liegt, wo immer sie sich aufhalten, und daß sie mit Erlaubnis oder Ermunterung ihres eigenen Bischofs bereit sind, ihren Dienst in anderen Gebieten, Missionen oder Tätigkeiten zu leisten, in denen sich der Priestermangel besonders bemerkbar macht (vgl. Presbyterium Ordinis, Nr. 10). Ebenso ermuntere ich alle Ordensoberen zu immer noch engerer Zusammenarbeit mit den Bischöfen zur besseren Koordinierung der Tätigkeiten sämtlicher Priester und Ordensleute beim geistlichen Dienst für euer Volk. Eine besondere Anerkennung verdient die Evangelisierung durch Laienkatechisten in den Dörfern und kleinen Gemeinden. Die Katechisten bilden Kinder und Erwachsene im Glauben heran, bereiten die Katechumenen vor und leiten die Gemeinde beim Gebet. Möge der Heilige Geist sie stärken, und mögen sie bei euch und euren Priestern die Ermunterung und Hilfe finden, die sie verdienen. 7. Liebe Brüder in Christus: wenn ich mit euch gemeinsam über das derzeitige Leben der Kirche in Äthiopien nachdenke, stelle ich mit Dankbarkeit gegen den allmächtigen Gott fest, wie viele von euren Gläubigen häufig zu den Sakramenten hinzutreten. Besonders freut es mich, daß das Sakrament der Barmherzigkeit und Vergebungsbereitschaft des Herrn, das Bußsakrament, in hoher Achtung steht. Zumal eure Jugendlichen möchte ich zum Empfang dieses Sakramentes ermuntern, denn es ist eine Quelle der Versöhnung und des Friedens mit Gott, mit sich selber und dem Nächsten. Durch die Katechese aber mögen die Gläubigen zu einer noch höheren Wertschätzung der Wichtigkeit aller Sakramente für ihr geistliches Wachstum hingeführt werden. Ein weiterer Aspekt des inneren Lebens der Kirche, den ich mit euch bedenken möchte, ist das Ehesakrament. Die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute sagt klar: „Diese innige Vereinigung als gegenseitiges Sichschenken zweier Personen wie auch das Wohl der Kinder verlangen die unbedingte Treue der Gatten und fordern ihre unauflösliche Einheit“ (Gaudium et spes, Nr. 48). Die Gemeinschaft der Ehe ist immer gekennzeichnet durch ihre Einheit, aber auch durch ihre Unauflöslichkeit. Ferner betont die Kirche deutlich, daß der Liebesgemeinschaft in der Ehe radikal die Polygamie widerspricht, die „in direkter Weise den Plan Gottes, wie er am Anfang offenbart wurde, (leugnet); denn sie widerspricht der gleichen personalen Würde von Mann und Frau, die sich in der Ehe mit einer Liebe schenken, die total und eben deshalb einzig und ausschließlich ist“ (Familiaris consortio, Nr. 19). 1869 AD-L1M1NA-BESUCHE Wir müssen immer darauf bedacht sein, die Gläubigen daran zu erinnern, daß die Liebe von Mann und Frau ein Teilhaben am Leben und an der Liebe Gottes selber ist. Deshalb betont die Kirche die Würde der Ehe und die ernsthafte Verantwortung bei der Weitergabe menschlichen Lebens. Sie betrachtet es als ihre Pflicht, „das menschliche Leben, ganz gleich, in welcher Lage und in welchem Stadium der Entwicklung es sich befindet, mit allen Mitteln zu fördern und gegen alle Angriffe zu verteidigen“ (Familiaris consortio, Nr. 30). 8. Meine lieben Brüder im Bischofsamt: Ich versichere euch meiner geistlichen Verbundenheit mit allen Menschen Äthiopiens bei ihrer Hoffnung auf Frieden, nationale Harmonie und Entwicklung. Ich bete innig darum, daß ihr zu euren verantwortungsvollen pastoralen Aufgaben im Glauben erneuert, in der Hoffnung gefestigt und in eurer pastoralen Liebe gestärkt zurückkehrt. Ich empfehle euch Maria, der erhabenen Tochter Sion, die all ihren Kindern helfend zur Seite steht. In der Liebe zu Jesus, ihrem Sohn, erteile ich meinen Apostolischen Segen euch und allen, die eurer pastoralen Sorge anvertraut sind. Klare und eindeutige Verkündigung des Glaubens Ansprache an die Bischöfe Belgiens bei ihrem Ad-limina-Besuch am 24. April Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Ich danke euch herzlich für die Gedanken, denen ihr durch euren Vorsitzenden, den lieben Kardinal Danneels, Ausdruck gegeben habt. Ich erinnere mich auch, wie ihr mich in jedem eurer Bistümer empfangen habt: in Mecheln und Brüssel, in Antwerpen, in Ypern in der Diözese Brügge, in Gent, Namur und Lüttich, nicht zu vergessen die Diözesen Hasselt und Doornik, die ich während der Eucharistiefeier in Koekelberg gegrüßt habe. Heute empfange ich hier voll Freude die Bischöfe und Weihbischöfe Belgiens. Euer Besuch ad limina Apostolorum, an den Gräbern der Apostel, fallt in die Osterwoche, die uns die ersten Zeugnisse des Petrus über die Auferstehung Jesu in Erinnerung ruft und unser Hirtenamt unter das Zeichen der österlichen Erneuerung stellt. Die Angehörigen unserer Diözesen werden in diesen heiligen Tagen aufgefordert, sich von dem „alten Sauerteig“ zu reinigen und 1870 AD-LIMINA-BES XJCHE das Bekenntnis des Glaubens bei ihrer Taufe zu erneuern: mögen sie zu einem „neuen Teig“ werden und sich für ein Leben engagieren, das vom Geist Christi verwandelt wird „in Aufrichtigkeit und Wahrheit“ (vgl. 1 Kor 5,6-8). 2. Genau auf der Linie unserer Begegnung in Mecheln (vgl. Ansprache an die belgische Bischofskonferenz am 18. Mai 1985, Nr. 3, in: O. R. dt., 14.6.85, S. 12) habt ihr die Kirche in Belgien zu einer Neuevangelisierung aufgerufen, um auf das aktuelle Bedürfnis der Glaubenserziehung und des missionarischen Zeugnisses zu antworten. Von ganzem Herzen ermutige ich euch auf diesem Weg. Bereits im Dezember 1985 habt ihr ein Dokument für die Pasto-ralarbeit vorgelegt, das die wichtigsten Aufgaben im Hinblick auf eine bessere Kenntnis, Ausstrahlung, Feier und Belehrung des Glaubens im persönlichen Leben des einzelnen, in Familie und Gesellschaft umreißt. Aus den Reaktionen, die dieses Dokument beim einzelnen und bei Organisationen, hervorgerufen hat, habt ihr gerade Bilanz gezogen. Wie ihr bei der Verbreitung dieser Aufgaben — wart ihr doch vor allem um Verständlichkeit besorgt — ausdrücklich bemerkt habt, stellen die eingegangenen Vorschläge keinen Pastoralplan dar, der ohne weiteres übernommen werden könnte. Es handelt sich um spontane Reaktionen, die sowohl das Interesse vieler Christen als auch ihre hochherzige Bereitschaft bekunden, an der Evangelisierung mitzuarbeiten; es handelt sich außerdem um ihre Fragen und selbst abweichende Meinungen hinsichtlich der Prioritäten der Wege, die eingeschlagen werden sollen. Das wird natürlich seitens der Bischöfe bestimmte Erläuterungen und exakte Klarstellungen erfordern. Unverzüglich habt ihr bereits ein „Glaubensbuch“ veröffentlicht, das die Gläubigen über den Reichtum des Glaubens belehren und ihnen helfen kann, den Glauben an die junge Generation weiterzugeben und in einer verständlichen Sprache auch dem Glauben Fernstehende in ihn einzuführen. So legt ihr auf Landesebene ein erstes Instrument zur weiteren Erwägung vor, das sich dem großen, von der Bischofssynode von 1985 für die Weltkirche vorgeschlagenen und bereits in Durchführung befindlichen Vorhaben anschließt: der Erstellung eines Katechismus oder Kompendiums der gesamten katholischen Glaubens- und Sittenlehre (vgl. Schlußbericht, n,B,a,4). Wie sollte man sich da nicht über eure Initiative freuen können, die auf ein tiefes Bedürfnis eurer Kirche antwortet? Ohne erschöpfend zu sein, bietet dieses „Glaubensbuch“ ein zusammenhängendes Ganzes, das abgestimmt ist auf das Glaubensbekenntnis, das Gebet, die Sakramente und das christliche Handeln. Ich wünsche ihm viel Erfolg. 1871 AD-LIMINA-BESUCHE Leben und Lehre sollen in stimmigem Einklang sein Der Papst hatte seine Ansprache auf Flämisch begonnen und setzte sie nun auf Französisch fort: 3. Es sei mir nämlich gestattet, heute den Akzent auf die Notwendigkeit der klaren und eindeutigen Verkündigung des Glaubens zu legen. Das Apostolische Schreiben Evangelii nuntiandi hat treffend die Ausgewogenheit aufgezeigt, die es in der Konzeption der Evangelisierung, in ihrem Inhalt und in den Methoden ihrer Verwirklichung zu wahren gilt. Dieses Dokument bleibt ein unentbehrlicher Bezugspunkt. Die zu verkündende Botschaft betrifft ja das ganze Leben des Menschen als Einzelperson und als Mitglied einer Gemeinschaft (vgl. Evangelii nuntiandi, Nr. 29). Sie strebt eine Erneuerung der Menschheit (ebd., Nr. 18), der Kulturen an (ebd., Nr. 20). Ihr Ziel ist eine tiefgehende und umfassende Befreiung von der Sünde (ebd., Nr. 30). Sie ruft zu einer Umkehr auf. Sie wurzelt im Zeugnis, das für den Vater gegeben wird (ebd., Nr. 26), im Heil in Jesus Christus (ebd., Nr. 27), im Wirken des Heiligen Geistes, was zum Bereich der Offenbarung gehört, was den Augen des Menschen, der sich allein seinem Verstand, allein seinen Kräften überließ, nicht natürlich und selbstverständlich erschienen ist. Diese Botschaft wird durch das Zeugnis weitergegeben. Das Zeugnis des Lebens ist immer notwendig, und das Apostolische Schreiben besteht auf diesem Zeugnis (vgl. Nr. 21,41), das die Authentizität des gelebten Glaubens besiegelt und seine Ausstrahlung wirksamer und dauerhafter garantiert mit mehr Respekt vor der freien Zustimmung und dem Pluralismus, der eure Gesellschaft kennzeichnet. Eine große Zahl eurer Landsleute zeigt sich sehr empfänglich für diesen Gesichtspunkt, und das in einem Maße, daß sie manchmal die Bedeutung der Erstverkündigung, sodann der exakten und systematischen Verkündigung, der Predigt, der Katechese, der liturgischen Verkündigung bagatellisieren, die von Evangelii nuntiandi jedoch nachdrücklich unterstrichen wurde (vgl. Nr. 42,42,44). Ebenso stellt das Apostolische Schreiben Catechesi tradendae, ohne die lebendige Erfahrung und die Ortho-praxie irgendwie gering zu schätzen (Nr. 22), mit aller Klarheit fest, daß die Glaubensunterweisungen der Lehre entsprechend und systematisch sein müssen, auf das Wesentliche gerichtet und hinreichend vollständig (Nr. 21). Ist das nicht gewährleistet, wird sich das schönste Zeugnis als unwirksam erweisen, wenn es nicht erklärt, begründet und durch eine klare, eindeutige Verkündigung der Lehre des Herrn Jesus und seiner Kirche dargelegt wird. Das Zeugnis muß sich auf eine Überzeugung stützen, die den Geist nährt (vgl. Evangelii nuntiandi, Nr. 22). 1872 AD-LIMINA-BES UCHE 4. Das ist heutzutage um so notwendiger, weil unsere Zeitgenossen in einer pluralistischen Gesellschaft durch ihre kulturelle Offenheit und durch die Möglichkeiten der Massenmedien — Gegebenheiten, die an sich positiv sind — allen Meinungsströmungen und allen üblichen Verhaltensweisen ausgesetzt sind, die ihre Gesinnung und ihr praktisches Verhalten beeinflussen. Wer Christ bleiben will, muß die Gründe zum Glauben und die Motive für die sittlichen Forderungen begreifen und im Hinblick auf sie durch Gottes Gnade und das Zeugnis der anderen zu einer persönlichen Überzeugung gelangen. Wie ich vor den Vertretern der christlichen Laien in Lüttich darlegte, steht die Festigung der christlichen Identität nicht im Gegensatz zur Suche, zu dem langsamen Fortschritt, den der Glaubende oder der Mensch, der auf dem Weg zum Glauben ist, in seiner Erfahrung kennenlemen kann. Sie respektiert seine Freiheit. Sie respektiert die Freiheit, die Ausdrucksweise und den Beitrag der anderen. Aber der Glaube setzt die Erforschung der ganzen Wahrheit voraus, in demütiger Zustimmung zum Lehramt der Kirche, die von Christus den Auftrag erhalten hat, das Glaubensgut zu bewahren und darzulegen. Der Glaube ist bestrebt, sich in klaren Überzeugungen auszudrücken, sie furchtlos zu vertreten, sie so in die Praxis umzusetzen, daß sie im Respekt vor den anderen zur Erneuerung der Gesellschaft beitragen, an der jeder teilnehmen soll. Christus ist es, der uns auffordert, Licht der Welt, Salz der Erde, ein Sauerteig im Teig zu sein, der ihn aufgehen läßt. Das Eigentümliche des Zeugnisses besteht ja gerade darin, daß es ein Aufruf an die Gewissen ist, der nicht mit Zwang oder Propaganda verschwimmt, der deswegen aber nicht die Hilfe außer acht läßt, die das kollektive Zeugnis und die Institution, in der es sich verkörpert, darstellt. Denn schließlich geben wir durch die Liebe zu den Personen und die Sorge um eine brüderliche Solidarität mit allen im Guten von einem Evangelium Zeugnis, das den wahren Bedürfnissen und tiefsten Erwartungen des menschlichen Herzens entspricht, das aber nicht mit dem Zustand der Sitten zu einer bestimmten Zeit oder in einem bestimmten gesellschaftlichen Milieu verschmilzt. Vergessen wir niemals das Gebet Jesu für seine Jünger am Abend seines Erdenlebens: Vater, ich bitte nicht, daß du sie aus der Welt nimmst, sondern daß du sie vor dem Bösen bewahrst. Sie sind in der Welt, aber sie sind nicht von der Welt (vgl. Joh 17,11.14.15). Ich weiß, daß das wohl eure Hirtensorge ist. Ihr habt das gerade bewiesen, als ihr an die absolute Achtung des menschlichen Lebens erinnert und zugleich die Notwendigkeit von Maßnahmen festgestellt habt, um die Annahme des Lebens zu fördern. Alle anderen Bereiche des Familien- und sozialen Lebens können so Gegenstand klärender Stellungnahmen sein, die hilfreich sind für die Gewissensbildung. Und diese sittliche Unterweisung muß, wenn sie sich an Christen wendet, in den Rahmen eines auf Gott bezogenen Lebens gestellt werden, der ihr ihren ganzen Sinn und ihre Kraft gibt. 1873 AD-L1MINA-BES UCHE Auch die Schule ist Ort intensiver Katechese 5. Bei dieser ständigen Weiterbildung im Glauben und in den christlichen Sitten tragt ihr mit Recht Sorge dafür, euch an die Erwachsenen sowie an die Jugendlichen und an die Kinder zu wenden. Die Erzieher sollten sich nicht entmutigen lassen, in der Schule bzw. in der Jugendseelsorge eine wirklich gute Einführung in den Glauben mit der notwendigen Vertiefung zu geben. Der Religionsunterricht an den Schulen behält seine entscheidende Bedeutung, wenn man nicht zulassen will, daß sich in einer geistigen Wüste religiöse Unwissenheit ausbreitet. In dem Maße, wie die Familien diese Anstrengung zu wenig unterstützen und die Jugendlichen von einer Atmosphäre der Unsicherheit bzw. Gleichgültigkeit umgeben sind, ist das gewiß eine schwierige Aufgabe. Sie verdient jedoch vermehrte Anstrengungen, was den Lehrinhalt, die Lehrmethode (Pädagogik) sowie das Zeugnis und das Gebet betrifft, die die Unterweisung begleiten müssen. Aktive Gläubige müssen den Funken überspringen lassen 6. Ich denke auch an das christliche Volk in seiner Gesamtheit. Die starke und intensive Teilnahme dieses Volkes an den Eucharistiefeiem während meines apostolischen Besuches in Belgien machte die tatsächliche Lebendigkeit eurer christlichen Gemeinden offenbar, das Festhalten eines großen Teiles eurer Landsleute am Evangelium, ihr Vertrauen in die Kirche, ihre Freude am gemeinsamen Gebet, ihren guten Willen, ihrem Glauben gemäß zu leben. Die Neuevangelisierung, die ihr unternehmt, darf sich weder über diese heutige Wirklichkeit noch über die christliche Vergangenheit hinwegsetzen, die sie genährt hat und an die ich euch in Mecheln erinnert habe. Sie darf sich nicht damit zufrieden geben, ihre Bemühungen einer Elite vorzubehalten, die überzeugter und engagierter erscheint. Ohne diese Elite unbeachtet zu lassen, muß die Seelsorge versuchen, wieder an die Masse der Gläubigen, manchmal nur mehr Wenig-Gläubigen, heranzukommen, die leider oft die religiöse Praxis teilweise ganz aufgegeben haben, die aber dem Glauben gegenüber nicht gleichgültig sind. Namentlich bei Anlässen, die der Feier von Sakramenten gelten, kommt es darauf an, in diesen Menschen den Glauben — den Glauben an einen persönlichen Gott — neu zu wecken, ihnen die Freude am Gebet zurückzugeben, ihnen Anregung für'christliches Engagement nach ihren Möglichkeiten zu machen. Sie müssen auf ihrem Weg eine Kirche antreffen, die sie liebt, sie aufnimmt, sie offen macht für eine tiefere Sicht. In jedem Fall muß die Kirche missionarisch bleiben und sich um diejenigen kümmern, die fernstehen. 1874 AD-LIMINA-BESUCHE 7. In eurem in drei Teile gegliederten Entwurf räumt ihr mit Recht der Feier des Glaubens ihren vollen Platz ein. Diese sollte nicht den festlichen Aspekt vernachlässigen, den viele wiederentdecken; sie muß vor allem würdig und vom Sinn für das Heilige und die Anbetung durchdrungen sein, „die innere und geistliche Teilnahme, die lebendige und fruchtbringende Teilnahme am österlichen Geheimnis Jesu Christi“ (vgl. Synode 1985, Schlußbericht, II,B,b,l) fordern , in das Lob und die Fürbitte die Darbringung des Lebens und die inständige Bitte für die Sorgen der Zeit einbringen, während sie auf das Heil gerichtet bleibt, das durch Jesus Christus von Gott kommt. Ich ermuntere euch, den eu-charistischen Sonntagsgottesdienst um das Opfer Christi als Höhepunkt des christlichen Lebens und Mittelpunkt des Lebens der Gemeinde darzustellen. Und ich ermahne die Hirten und die Gläubigen, sich immer besser der notwendigen Bekehrung und Versöhnung mit Gott bewußt zu werden in einer Feier jenes Sakraments, das ganz persönliche Schritte in sich schließt. Diese Feiern werden um so mehr Gewicht bekommen, als die Christen den Weg zum persönlichen oder gemeinschaftlichen Gebet in ihrem täglichen Leben wiederfinden. 8. Die Evangelisierung, von der wir sprechen, ist das Werk aller Glieder der Kirche, der Bischöfe, Theologen, Priester, Ordensmännerund Ordensfrauen, der erwachsenen und jugendlichen Laien. Während eures vorangegangenen Ad-limina-Besuches hatten wir an die besondere Verantwortung der Theologen in Verbindung mit dem Lehramt der Bischöfe erinnert. Heute denke ich angesichts der bevorstehenden Synode, die den Laien gewidmet sein wird, im besonderen an diese. Ich weiß, daß sie immer mehr ihren Platz als Getaufte und Gefirmte bei den Aufgaben der christlichen Gemeinde wahrnehmen. Darüber freue ich mich. Darüber hatten wir in Antwerpen, in der Kirche Unserer Lieben Frau von Laeken in Brüssel und in Lüttich ausführlich gesprochen. Wir hatten auch die Rolle der Laien hervorgehoben bei der geistlichen Belebung des sozialen Lebens durch ihr persönliches oder gemeinschaftliches Zeugnis, durch ihr christliches Handeln. Eure Gläubigen sind mit Recht um die Förderung der Gerechtigkeit, der Entwicklung und des Friedens bemüht. Sie müssen sich um die dringenden Probleme ihrer Zeit und ihres Landes kümmern, zum Beispiel um das Schicksal der zahlreichen Arbeitslosen, der Einwanderer und der Flüchtlinge. Die Inspiration muß immer aus dem Glauben und aus der Nächstenliebe schöpfen — nach dem Vorbild der Seligpreisungen, die vom Geist der Armut, von Sanftmut und Stärke geprägt sind. Was das Apostolat im eigentlichen Sinne betrifft, so wird es nicht mit der sozialen Förderung verwechselt werden können: es hat die Evangelisierung der Menschen und durch die Menschen die Verbesserung der Strukturen, dem Reich Gottes entsprechend, zum Ziel. 1875 AD-LIMINA-BES UCHE Die Prägung der Persönlichkeit erfolgt über die Familie 9. Ich brauche hier nicht auf die Familienpastoral zurückzukommen. Euerm Arbeitsdokument räumt ihr mit Recht einen breiten Raum ein. Ich wünsche, daß sich eure Landsleute diesen ernsten Einsatz richtig bewußt machen. Zweifellos ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen die Familie manchmal weit entfernt von der Verwirklichung des Planes Gottes für sie; das gilt besonders für den Bereich der Ehevorbereitung, der Treue der Ehegatten, der täglich gelebten Liebe, der Annahme des Lebens, der Wahrnehmung der Erziehungsaufgabe, der Atmosphäre von Gebet und Glauben. Aber gerade die christlichen Familien müssen da ein unvergleichliches Zeugnis geben. Denn die Ausgeglichenheit der Personen, die Qualität des Lebens in der Gesellschaft und in der Kirche nehmen ihren Weg zweifellos über die moralische und geistliche Erneuerung der Familie, über die Art und Weise, wie die Ehe gelebt wird. Mit Befriedigung habe ich die auf der Familie basierende Pasto-ralinitiative zur Kenntnis genommen, die ihr im nächsten Jahr beginnen sollt. 10. Der Mangel an Priester- und Ordensberufen und die Schwierigkeiten, auf die ihr stoßt , wenn ihr den wenigen und sehr verstreuten Seminaristen eine angemessene und solide Ausbildung vermitteln wollt, stellen für euch quälende Sorgen dar. Im Jahr 1982 hatte ich auf den Ruf gedrängt. Ich weiß, daß diese Probleme für euch Gegenstand von Überlegungen sind. Ich möchte in diesem Punkt auch eure Hoffnung stärken. Viele Länder haben in den letzten Jahren die Erfahrung beachtlicher Fortschritte gemacht, was die Zahl und die Eignung derer betrifft, die ihr ganzes Leben dem Dienst Gottes und seiner Kirche widmen. Der Heilige Geist kann eine Erneuerung hervorrufen, die nach menschlicher Sicht unvorhersehbar erschien. Aber wir müssen Priester und Gläubige davon überzeugen, wir müssen mit allen unseren Kräften, in einer mutigen pastoralen Bemühung um Berufungen, dafür arbeiten und beten. 11. Das, liebe Brüder im Bischofsamt, sind einige Richtlinien für die Neuevangelisierung, die euch am Herzen liegt. Alle belgischen Christen sind, wie ich sagte, jeder an seinem Platz, daran beteiligt, aber uns, uns Bischöfen hat der Herr die apostolische Sendung anvertraut, den Weg abzustecken, die Marschroute zu klären und, wenn nötig, die Fallen und Zweideutigkeiten kenntlich zu machen, besser noch die Ziele zu beleuchten, die Kräfte zu stärken, geistliche Nahrung zu bieten, die tiefe Gemeinschaft in der Diözese, unter den verschiedenen christlichen Gemeinschaften des Landes und mit der Universalkirche sicherzustellen. Eine Vielzahl sozialer Veränderungen mag die Entfaltung des Glaubens und der religiösen Praxis belastet haben, aber die 1876 AD-LIMINA-BES UCHE wahren Ursachen sind geistlicher Art. Bitten wir den auferstandenen Herrn, auf dieser Ebene die innere Kraft neu zu stärken, deren die Priester, die Ordensleute und die Gläubigen eurer Diözesen bedürfen. Von ganzem Herzen segne ich sie und segne ich euch zusammen mit ihnen. Die Sehnsucht des Menschen richtet sich auf Gott Ansprache an die Ordinarien der Berliner Bischofskonferenz beim Ad-limi-na-Besuch am 27. November Liebe Mitbrüder im Bischofsamt! 1. In der Gewißheit unserer tiefen Verbundenheit als Glieder des Bischofskollegiums und unserer inneren Einheit in Christus, der uns auch gegenwärtig auf dem Weg des Gottesvolkes voranschreitet, empfange ich euch heute, am Ende eures Ad-limina-Besuches, gemeinsam hier im Vatikan, dem Ort des bleibenden Glaubenszeugnisses des Apostels Petrus und seiner Nachfolger. Euch allen gilt mein brüderlicher Gruß. Zu Beginn gedenken wir auch jener Mitbrüder, die an unserer Begegnung nicht teilnehmen, und besonders des verdienten Bischofs Schaffran, der aus Altersgründen die Bürde seines Amtes in der Leitung der Diözese Dresden-Meißen nun jüngeren Händen überläßt. Mit Freude grüße ich in euch ferner die Priester, die Ordensleute und alle katholischen Männer, Frauen und Jugendlichen, die euch, den Oberhirten der Berliner Bischofskonferenz, anvertraut sind. Mit besonderer Anteilnahme habe ich im Juli dieses Jahres euer Katholikentreffen in Dresden verfolgt und mit meinem Gebet begleitet. Ich möchte euch und allen daran Beteiligten einen herzlichen Glückwunsch aussprechen für die umsichtige Vorbereitung dieses Treffens, für die beeindruckende Teilnahme aller Gruppen eurer Ortskirche in gläubigem Selbstbewußtsein und beispielhafter geistlicher Freude, für die festliche und zuversichtliche Darstellung unseres Glaubenslebens, das niemanden bedroht, sondern sich auch dem glaubensfernen Mitmenschen in der Liebe Christi öffnet. Gegen Atheismus und Materialismus die Existenz Gottes bezeugen 2. Die Situation eurer Ortskirche ist davon geprägt, daß ihr in einer Umwelt lebt, die Gott oft nicht kennt oder wieder vergessen hat. So ist es eine eurer wichtigsten Aufgaben, euch zusammen mit den anderen Christen eures Landes um jene grundlegende Evangelisierung zu bemühen, die „die Bekehrung 1877 AD-LIMINA-BES UCHE von den Götzen zu Gott“ bewirkt, damit die Menschen „dem lebendigen und wahren Gott dienen“ können (vgl. 1 Thess 1,9). Es ist ja unsere gemeinsame Überzeugung, daß sich die tiefste und wahre Sehnsucht des Menschen letztlich auf Gott richtet, der allein Wahrheit, Leben und Freiheit in Fülle ist. Der euch umgebende Atheismus und Materialismus hat viele Gesichter. Es bedrängt euch ein alle gesellschaftlichen Bereiche beanspruchender weltanschaulicher Atheismus, der Religion für verkehrtes Denken hält. Es bedrängt euch noch mehr der auch anderswo verbreitete praktische Alltagsmaterialismus, der das Herz stumpf und die Augen blind macht. Mehr und mehr setzt sich jedoch bei nachdenklichen Menschen die Erkenntnis durch, daß eine Weltanschauung, die die Wirklichkeit Gottes aus dem Leben des Menschen und der Gesellschaft ausklammert, auch nicht den wahren irdischen Bedürfnissen des Menschen und den großen Problemen von Gegenwart und Zukunft gerecht werden kann. Laßt euch darum als kleine Kirche in eurem Land nicht entmutigen! Ihr habt in eurer Gesellschaft eine wichtige und unersetzliche Aufgabe: Seid Zeugen des lebendigen Gottes! Helft durch euer Lebens- und Glaubenszeugnis, daß andere Zugang gewinnen können zu den Quellen des Lebens, die uns das Evangelium Christi so reich erschließt! Ihr dürft gewiß sein, daß andere Ortskirchen in vergleichbarer Situation mit Aufmerksamkeit auf euer missionarisches Zeugnis schauen, um daraus für sich selbst Anregung und Ermutigung zu schöpfen. 3. Wahrhaft Zeugnis ablegen für Gottes heilvolle Gegenwart kann aber nur, wer selbst bereit ist zu ständiger Umkehr und Heiligung des Lebens. Die Wirksamkeit eures Glaubenszeugnisses nach außen wird von der Intensität abhängen, mit der sich alle Gläubigen auf den Ruf Jesu Christi einlassen, der gesagt hat: „Ihr sollt vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist“ (.Mt 5,48). Und der Apostel Paulus wiederholt diese Aufforderung mit den Worten: „Das ist es, was Gott (von euch) will, eure Heiligung“ (1 Thess 4,3). Wir können der Welt nur dann etwas bringen, wenn wir uns zuvor vom Herrn ergreifen und zu neuen Menschen umwandeln lassen. Dafür wird ein Schwerpunkt eures pastoralen Wirkens und Lebens in euren Gemeinden und Familien in dem Bemühen bestehen müssen, die lebendige Verbindung mit Jesus Christus, unserem Herrn, zu festigen und zu vertiefen. „Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“, sagt der Herr (Joh 15,5). Schon die Beschränkung der äußeren Mittel und Möglichkeiten zwingt dazu, daß ihr euch auf die wesentlichen seelsorglichen Aufgaben konzentriert. Sorgt dafür, daß in allen kirchlichen Lebensäußerungen jene tiefe Christusverbundenheit und Geisterfülltheit die Quelle allen Handelns bleibt. Sie kann der Kirche auch in einer Minderheitensituation überzeugende Strahlkraft und 1878 AD-LIMINA-BES UCHE unerschütterliche Hoffnung verleihen. Ich stimme voll jenem Grundsatz zu, den ihr in eurem vielbeachteten Pastoralbrief vom 8. September des vergangenen Jahres an eure Priester und Diakone aufgestellt habt: „Christen, deren Glauben das ganze Leben durchformt, werden wie ein positives Ferment in jeder Gesellschaft wirken, auch in der unsrigen“ (Pastoralbrief der Bischöfe in der DDR vom 8. September 1986). Mit Freude blicke ich auf die auch in eurer Mitte sich bildenden geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen, die, vom Heiligen Geist angeregt, der Kirche neue Lebenskräfte schenken. Die letzte Bischofssynode hat sie in einer besonderen Weise gewürdigt und ermutigt. Dankbar sehe ich die verhältnismäßig zahlreichen geistlichen Berufungen bei euch, die der Kirche helfen, Gott „im Geist und in der Wahrheit anzubeten“ (vgl. Joh 4,23). Ich habe durch euch erfahren vom kraftvollen Glaubenszeugnis so vieler junger Christen, die in Ausbildung und Beruf treu zu Christus und zur Kirche stehen. Die Erfahrung solcher sichtbaren Früchte des Geistes dürfen euch dankbar und zuversichtlich werden lassen. 4. Der grundlegende Weg, auf den die Kirche gerufen ist, ist der Mensch, und zwar der Mensch in all seinen konkreten Lebensbedingungen. Überall dorthin — so dürfen wir im Glauben wissen — ist euch Christus bereits vorangegangen. Ja, es stimmt, was Sie verehrter Herr Kardinal, in der Predigt beim Hauptgottesdienst in Dresden gesagt haben: „Dieses Stück Welt — eure Heimat — ist wahrhaft keine gottlose Welt. Daher ist für uns Christen dieses Land ein Zuhause, weil Christus in ihm wohnt.“ In eurem bereits zitierten Pastoralbrief habt ihr in lobenswert klarer und doch auch differenzierender Sprache euren Mitchristen und vor allem den Seelsorgern die geistigen und praktischen Wege in diese „Welt“ erschlossen und Kriterien für ein unbefangenes und zugleich selbstbewußtes Vorgehen in den einzelnen Lebensbereichen entwickelt. Zu brüderlicher Solidarität mit den Menschen bereit sein Die Kirche muß den Menschen in seinen Sehnsüchten und Hoffnungen, in seinen Ängsten und Nöten, in seiner ganzen Widersprüchlichkeit zu verstehen suchen. Das ist nur möglich, wenn die Hirten und Mitarbeiter der Kirche in brüderlicher Solidarität das Leben der Menschen ihres Landes teilen und sich mit ihnen verbunden wissen. Das umfangreiche caritative Werk eurer Kirche ist ein sprechendes Zeugnis dieser Solidarität mit den Armen und Kranken, den Hilflosen und Leidenden, zu der uns die Liebe Christi drängt. Es wird nicht leicht sein, angesichts des Rückgangs der caritativen Ordensberufe, die- 1879 AD-LIMINA-BES UCHE se Häuser und Werke als Stätten christlicher Diakonie in jedem Fall weiterzuführen. Mit dem Dank für jene, die bisher dieses große Werk getragen haben, verbindet sich die Hoffnung, daß sich viele Laienchristen mögen berufen wissen, hier ihrem Glauben im Dienst der Caritas einen überzeugenden Ausdruck zu geben. Dabei ermutige ich euch, auch neue Nöte des heutigen Menschen in den Blick zu nehmen, die sich aus den modernen Lebensbedingungen mit ihrem Trend zur Isolierung und Schwächung des einzelnen in manchen Bereichen ergeben. Eure Gemeinden werden so für die Gescheiterten, für die im Leben zu kurz Gekommenen und Benachteiligten, für die in mancherlei Hinsicht „Schwachen“ Zufluchtsstätten der Menschlichkeit und praktischer Solidarität. Öffnet die Tore der Kirche weit für alle, die nach der Liebe unseres Erlösers Ausschau halten. Schenkt auch jenen Aufmerksamkeit und Zuwendung, die vielleicht im Vorraum der Kirche stehenbleiben und sich noch nicht zu einem vollen Ja zu Christus entscheiden können. Auch ihnen gilt das Wort des Herrn: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen“ (Mt 11,28). Schließlich gehört zu dem der Kirche aufgetragenen Dienst auch der Einsatz für die Würde des Menschen. So werden die Hirten der Kirche auch weiterhin dort ihre Stimme mahnend erheben, wo unveräußerliche Rechte des Menschen in Gefahr sind; sie werden auch für den Schutz des vorgeburtlichen Lebens eintreten, für den freien Wirkungsraum der Kirche besonders auch in der Unterweisung und Begleitung der Jugend. In diesem Zusammenhang unterstütze ich ausdrücklich die ebenfalls von euch in Dresden vorgetragene Bitte, daß eure Christen „in Zukunft, und zwar auf ganz normalem Wege wie so viele katholische Christen anderer Länder, nach Rom pilgern können, um dem Heiligen Vater zu begegnen“. Ihr werdet aber auch in den Bereichen die Hilfe der Kirche anbieten, in denen sie vom Evangelium Christi her einen Beitrag für das Gemeinwohl der Gesellschaft und der in ihr lebenden Mitbürger leisten kann. Die Christen in eurem Land möchten zu Recht ihre Begabungen und Fähigkeiten in eure Gesellschaft einbringen, ohne dabei jedoch ihre Glaubensüberzeugung verleugnen zu müssen. So wird eine Kirche, die in Wort und Tat die Menschenfreundlichkeit Gottes bezeugt und selbst praktiziert, die Herzen der Menschen mehr und mehr für die Annahme des menschgewordenen Gottessohnes Jesus Christus bereiten. Liebe Mitbrüder! Möge Gott, unser treuer und barmherziger Vater, euch bei eurem nicht leichten Hirtendienst stützen und führen und euer Herz mit der Freude am Herrn reich füllen. Er erhöre unser Gebet, das wir am Ende unserer brüderlichen Begegnung mit den Worten der Liturgie an ihn richten wollen: „Herr, unser Gott, wir haben uns im Namen deines Sohnes versammelt und rufen zu dir: „... mach uns hellhörig für unseren Auftrag in dieser Zeit 1880 AD-LIMINA-BES UCHE und gib uns die Kraft, ihn zu erfüllen“ (Oration der 1. Wo. im Jahreskreis). Das erbitte ich euch, euren Mitarbeitern und allen Gläubigen in euren Seel-sorggebieten mit meinem besonderen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 27. November 1987 Vertiefung des Glaubens und Erneuerung der Gesellschaft Ansprache beim Ad-limina-Besuch der Bischöfe der Elfenbeinküste am 20. Februar Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Ich weiß, daß ihr den Dienst, den ihr als Bischöfe der Kirche an der Elfenbeinküste ausübt, ständig in Verbundenheit mit dem Nachfolger Petri erfüllt. Dafür liefert ihr mir oft den Beweis, und ihr habt es mir soeben durch die Stimme eures Vorsitzenden, des lieben Kardinals Bernard Yago, zum Ausdruck gebracht. Euer Ad-limina-Besuch stellt eine besondere Zeit geistlicher Besinnung auf diese Gemeinschaft im apostolischen Glauben dar, der von den Aposteln Petrus und Paulus nach Rom gebracht und durch die Jahrhunderte von der Kirche gelebt worden ist, die sie hier gegründet haben. Er verleiht den Verbindungen und dem Austausch von Beziehungen mit dem Hl. Stuhl über das Leben eurer Kirche anschauliche Gestalt. Seid willkommen in diesem Haus! Wollt ihr, daß wir zu Beginn Gott für alles danken, was er in eurem Land verwirklicht hat? In acht Jahren wird man das Hundertjahr-Jubiläum der Ankunft der ersten Missionare aus der Gesellschaft der Afrikamissionen in eurem Land begehen. Und seitdem — in weniger als hundert Jahren — hat die Kirche mit ihren wesentlichen Strukturen, mit einheimischen Bischöfen festen Fuß gefaßt. Sie ragt empor wie die neue Kathedrale von Abidjan, die ich zu meiner Freude einweihen konnte, bereit, sich der Zukunft zu stellen. Sie nimmt neben anderen Gruppen muslimischer oder traditioneller Religion einen wichtigen Platz in der Nation ein. Der Heilige Geist hat die Seelen und die Sitten vieler eurer Landsleute geprägt, und das Christentum gehört fortan zum Kulturgeflecht der Bewohner der Elfenbeinküste. Wir danken Gott für alle, ob Missionare — und ihre Hilfe ist noch immer sehr wertvoll — oder einheimische Bewohner der Elfenbeinküste, die im Hinblick auf dieses Ergebnis unerschrocken und geduldig gesät haben. 1881 AD-LIMINA-BESUCHE Ihr seid dem Herrn auch dafür dankbar, daß er es eurem Land gewährt hat, die Zeit der Erringung der nationalen Unabhängigkeit in Frieden, Toleranz und Wohlergehen, in Harmonie mit der Kultur der Vorväter und unter Öffnung für die modernen Erfordernisse von Einheit und wirtschaftlichem Fortschritt zu erleben. Die Autorität des Bischofs ist verbunden mit Dienstbereitschaft 2. Ich bitte den Heiligen Geist, euch bei der Ausübung eures Hirtenamtes beständig sein Licht und seine Kraft zu schenken. Wie euch bei eurer Bischofsweihe gesagt wurde, seid ihr in der ganzen Region, die euch anvertraut ist, verantwortlich für die Verkündigung des Wortes Gottes; verantwortlich für die Feier der Liturgie, für die Anleitung zum Gebet und für die Vorbereitung auf die Sakramente in einer Weise, daß sie dem christlichen Volk würdig erteilt werden; verantwortlich zudem für die organische Einheit der Diözese, ihrer für Hilfe, Bildung und Apostolat zuständigen Stellen. Dafür habt ihr die Autorität des Bischofs empfangen. Nach dem Evangelium ist eine solche Autorität mit der inneren Bereitschaft des Dieners verbunden, der sein Leben, seine Zeit, seine Kräfte und sein Herz für seine Schafe hingibt; und gestärkt wird diese Autorität durch das Beispiel, das ihr ihnen bietet, um sie dadurch in der Heiligkeit des Lebens zu schulen, daß ihr euch als „Vorbilder für die Herde —forma gregis ex animo“ — (1 Petr 5,3) erweist. Dieses Hirtenamt erfordert natürlich eine möglichst häufige Anwesenheit bei den in euren Diözesen verstreuten Gemeinden und eine väterliche Aufmerksamkeit für ihre menschlichen und religiösen Lebensbedingungen. Insbesondere ist es nötig, daß ihr eure Priester, die in der Stadt oder im Busch die Last des Tages und der Hitze tragen, besucht oder empfangt, anhört, beratet und ermutigt. 3. Zusammen mit ihnen habt ihr im Zusammenwirken mit dem Heiligen Geist, der in den Herzen wirkt, eine ungeheure Aufgabe zu erfüllen. Wenn der Baum eurer Kirche seine Wurzeln tiefer in den Grund senken soll, muß er auch seine Aste ausbreiten, um die reichlicheren Früchte zu tragen. Ich spreche hier von der Evangelisierung, die fortgesetzt werden muß. In manchen Diözesen scheint sie weniger Fortschritte gemacht zu haben. Mehr als die Hälfte der Bewohner der Elfenbeinküste hat tatsächlich noch nie eine anfängliche Glaubensverkündigung kennengelemt oder erhalten. Ich weiß, daß die entgegenstehenden Schwierigkeiten komplexer Natur sind, daß sich Aufnahme und Aufkeimen unserer Macht entziehen, denn das hängt von der Freiheit der Personen und von der Gnade ab. Zumindest muß die missionari- 1882 AD-LIMINA-BESUCHE sehe Verkündigung die Priorität wahren, und jene, die die Gnade besitzen, Christen zu sein, wissen, daß sie sich darum kümmern, daß sie sich daran beteiligen müssen. Gleichzeitig kommt es ebenso darauf an, daß ihr den Glauben der Katechumenen und der Getauften mit allen euch zur Verfügung stehenden Mitteln vertieft: Jugend- und Erwachsenenkatechese, Liturgie, Versammlungen, Bewegungen — und all dies mit der gebotenen Inkulturation. Ohne diese tiefgehende religiöse Bildung würden der Glaube und die religiöse Praxis oberflächlich und anfällig bleiben, die christliche Durchdringung der althergebrachten Bräuche und Gewohnheiten könnte nicht stattfinden, die Menschen würden geistig zwischen allen Lehrmeinungen hin- und hergerissen werden, sektiererische Gruppen würden die Gläubigen anziehen und der Kirche entfremden, der von Achtung getragene Dialog mit den anderen Religionen wäre mit Fallen und Gefahren verbunden. Vor allem könnten die Getauften nicht der religiösen Gleichgültigkeit, dem Materialismus und dem Neuheidentum widerstehen, die bestimmte moderne Denkweisen, insbesondere in den Konsumgesellschaften, die auch bei euch im Entstehen begriffen sind, mit sich bringen. Ein tiefer, engagierter Glaube wird es nicht versäumen, den Versuch zu machen, das Verhalten der Menschen im beruflichen und sozialen Leben, ja sogar das Gefüge der Gesellschaft zu erneuern. Die Christen leisten ihren Beitrag zur Bekämpfung der Ungerechtigkeiten, zur Hebung des Lebensniveaus benachteiligter Personen oder Gruppen, zur Erziehung zu Ehrenhaftigkeit, Selbstlosigkeit, zum Frieden, zur Toleranz, zur Nächstenliebe, zu korrekten Sitten. Es handelt sich dabei um eine sittliche Aufgabe von erstrangiger Bedeutung zum Wohl des Vaterlandes. Euch als Bischöfe kommt es zu, ihr Anregung und Unterstützung zu geben bei ständiger Wahrung eurer Freiheit, die die Freiheit der Kirche in ihrer prophetischen Rolle ist und unter Beibehaltung der Unterscheidung zwischen dieser pastoralen Funktion und den Zielsetzungen politischer Programme und Mächte. Die großen Anforderungen verlangen eine gründliche Priesterausbildung 4. Die gesamte Arbeit, von der wir eben gesprochen haben, hängt von der Anzahl und der Qualität der in der apostolischen Arbeit Tätigen ab, die mit euch Zusammenarbeiten: Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen, Katecheten und andere Laien. Was den Klerus betrifft, sind verschiedene Initiativen Anlaß für euch gewesen, zu einer Überprüfung des Lebens anzuregen, die auf seine Qualifikation und auf eine geistliche Erneuerung abzielte: Goldenes Priesterjubiläum des ersten Priesters der Elfenbeinküste, Rene Kouassi; 25jähriges Bestehen des 1883 AD-LIMINA-BES UCHE Priesterseminars von Anyama; 13. Jahreskongreß des Klerus der Elfenbeinküste, gefolgt von eurem Hirtenbrief. Ich ermuntere euch lebhaft, die ständige Weiterbildung eurer Priester zu fordern und ihre theologische und pastorale Bildung auf den heutigen Stand zu bringen sowie für eine regelmäßige geistliche Erneuerung Sorge zu tragen. Es geht um ihre apostolische Kraft bei der Weiterführung der Evangelisierung, um ihre Fähigkeit, den komplexen Problemen zu begegnen, und um die Heiligkeit ihres Priesteramtes. Entscheidend ist vor allem, die künftigen Priester auf ihren Dienst vorzubereiten. Ich weiß, wie sehr vielen .von euch die Verbesserung der theologischen und spirituellen Ausbildung an den Priesterseminaren am Herzen liegt. Es ist ein Anliegen, das häufig das Thema der Arbeiten eurer Bischofskonferenz und der Versammlung der Höheren Oberen bildet, die zur Zusammenarbeit mit euch bereit sind. In Anbetracht der Wichtigkeit dessen, was auf dem Spiel steht, fordere ich euch auf, für diese Ausbildungstätigkeit eure besten Priester zur Verfügung zu stellen und darüber zu wachen, daß die geistlichen Leiter, die die Seele der Seminare bilden, entsprechend ausgebildet sind. Gleichzeitig seht ihr natürlich die Notwendigkeit, die Pastoral der Priester-und Ordensberufe zu entfalten, ihr einen neuen Anstoß zu geben und sie auf diözesaner und nationaler Ebene zu koordinieren. Das setzt ein Nachdenken der Kirche über die Stellung des Priestertums voraus, das alle Glieder der Kirche, einschließlich der Laien, der Familienväter und -mütter und der Jugendlichen betrifft. Das Ordensleben erfordert ganz besondere Voraussetzungen 5. Ein ähnliches geistiges Erwachen sollte auch im Hinblick auf das geweihte Leben in den Ordenskongregationen bzw. Säkularinstituten vertieft und ausgeweitet werden. Haben etwa das christliche Volk und die Kandidaten in den Ordensinstituten vor allem die Hilfe erkannt, die sie für das Apostolat und die Förderung des Menschen leisten, ohne hinreichend den echten Wert und die unvergleichliche Schönheit einer totalen Weihe an Gott, an die Nachfolge Christi zu entdecken, mit dem das Ordensleben sie wie mit dem göttlichen Bräutigam verbindet? Überflüssig zu wiederholen, daß dieses Zeugnis der ganzen Kirche zugute kommen und sie bei der praktischen Anwendung der Seligpreisungen in besonderer Weise zur Heiligkeit führen würde. Man kann sich freilich nicht eine anspruchsvolle Grundausbildung für die Anwärter auf das Ordensleben nach einer spezifischen Spiritualität ersparen. Ich bezweifle nicht, daß die für das konzentrierte Vorgehen der Ordensmänner und Ordensfrauen zuständigen Stellen, so wie sie erneuert worden sind, dazu beitragen, zusammen mit euch diesem Ersuchen nachzukommen. 1884 AD-LIMINA-BESUCHE Das Engagement der „Basis “ ist auf breiter Ebene zu fördern 6. Muß man in diesem Jahr der Bischofssynode, die den Laien gewidmet sein wird, nicht den Beitrag eurer Laien bei der Evangelisierung und in der Unterstützung der christlichen Gemeinden hervorheben? Schon seit langem entfalten die verschiedenen Zweige der katholischen Aktion in euren Diözesen eine beachtliche Tätigkeit, deren Früchte auch von der Ausbildung ihrer Mitglieder und davon abhängen, daß sie von gut vorbereiteten kirchlichen Assistenten begleitet werden. Andere jüngere Vereinigungen, die zwar weniger an die Strukturen der Pfarrei gebunden sind, die aber eine neue Dynamik zeigen und eine an bestimmte Empfindsamkeiten und bestimmte Bedürfnisse richtig angepaßte nachhaltige Wirkung mit sich bringen, werden ohne Zweifel auch einen erfreulichen Beitrag zur geistlichen Erneuerung der Gläubigen leisten können, unter der Voraussetzung, daß sie die den Bischöfen zustehende Rolle der Unterscheidung und Koordinierung akzeptieren. Wie in vielen afrikanischen Ländern spielen bei euch die Katecheten natürlich eine große Rolle für die Glaubensunterweisung der Katechumenen, für die Veranstaltung von Gebetsversammlungen und die Betreuung des christlichen Lebens in vielen kleinen Gemeinden, wo der Priester nicht oft anwesend sein kann. Die religiöse Zukunft hängt großenteils davon ab, wie die Jugendlichen — die bei euch eine eindrucksvolle Masse darstellen — sich die Glaubensüberzeugungen aneignen, sie in einem Milieu, das ihnen dafür nicht mehr ethische Orientierungen und die Unterstützung der Umgebung von früher bietet, leben und sich voll Vertrauen in die Kirchengemeinden werden eingliedern können. Das ist ein immenser Bereich, der die Kinder, die Heranwachsenden und vor allem die Studenten umfaßt, die sich mit allen möglichen neuen Strömungen und Fragen konfrontiert sehen. Ihr habt es nicht versäumt, allgemeine Initiativen zu ergreifen; dazu gehört euer Hirtenbrief über die Erziehung und in jüngster Zeit euer Schreiben an die Jugend. Ich ermutige euch vor allem in euren Bemühungen, die darauf abzielen, für alle christlichen Jugendlichen die Möglichkeit eines soliden Religionsunterrichts und einer ihnen angemessenen christlichen Betätigung zu erwirken. Die Familie als Keimzelle der Gesellschaft muß Ziel der Pastoral sein 7. Die Evangelisierung und das christliche Leben, die Entfaltung von Berufungen sind auf die Gründung wahrhaft christlicher Familien angewiesen, die das Vorbild, die Forderungen und die Gnade der christlichen Ehe annehmen. Ich weiß, daß es Schwierigkeiten gibt, zunächst wegen des Umfangs mancher alter Bräuche, dann auch wegen des Zerfalls der Familien, die durch die auf 1885 AD-LIMINA-BESUCHE Vergnügen und Individualismus ausgerichtete moderne Gesellschaft einer schweren Prüfung ausgesetzt sind. Man wird der Krise nur Herr werden durch eine dynamische, gut begründete Familienpastoral“, die sich auf Familienverbände stützt, die wiederum auf diözesaner und nationaler Ebene koordiniert sind. Das „Direktorium der Familienpastoral“, das ihr 1984 veröffentlicht habt, entspricht auf höchst angemessene Weise diesem Bedürfnis. Ich wünsche mit euch, daß es jetzt konkrete und wirksame Anwendung Findet. 8. Ich weiß auch um die anderen Bereiche, wo ihr aufgerufen seid, eine pasto-rale Wirksamkeit zu entfalten: u. a. gehören dazu die Unterstützung aller Armen, Leidenden oder am Rand der Gesellschaft Lebenden, besonders unter den Emigranten, die heiklen Beziehungen zum Islam, die Haltung, die gegenüber der Masse von Sekten anzunehmen ist, die Entwicklung der Medien. Die von uns hervorgehobenen Punkte stellen bereits ein ansehnliches Maß mühsamer Anstrengungen dar, wenn man die begrenzten apostolischen Kräfte sieht, über die ihr verfügt, selbst wenn man an die Priester und Ordensfrauen aus anderen Ländern denkt, die sich, so hoffe ich, als großzügig erweisen. Aber ich bin ebenso sicher, daß alle diese Herausforderungen bestanden werden können, dank des Glaubens und der Bestimmung, die euch beseelt, dank der Solidarität und des Geistes der Einheit, an deren Stärkung euch gelegen sein wird, dank des Heiligen Geistes, der denen, die zu ihm beten und nach dem Willen Gottes suchen, niemals seine Hilfe verweigert. Ja, die Kirche der Elfenbeinküste hat die Möglichkeit und die Pflicht, Sauerteig und Licht für alle eure Landsleute zu sein. Die Jungfrau Maria, der ihr eben erst eine Kirche in Abidjan geweiht habt, möge Fürbitte für euch einlegen! Gott gebe euch seinen Frieden und seine Kraft! Ich bleibe euch nahe, die ihr mir zweimal Gelegenheit zum Besuch eures Landes gegeben habt. Und ich erteile euch, liebe Brüder im Bischofsamt, allen euren Mitarbeitern, den Priestern und Emigranten der Elfenbeinküste, den Ordensmännern und Ordensfrauen, den Getauften und den Katechume-nen von ganzem Herzen meinen Apostolischen Segen. 1886 AD-LIMINA-BESUCHE Würde und Verantwortung der Laien anerkennen Ansprache beim Ad-limina-Besuch der Bischöfe der Region von Liverpool am 30. Mai Liebe Brüder in unserem Herrn Jesus Christus! 1. Ich begrüße euch herzlich anläßlich eures Ad-limina-Besuches. Eure Anwesenheit hier erinnert an die Universalität und Verschiedenheit des Volkes Gottes und dient dazu, die Bande der Einheit, der Liebe und des Friedens zu stärken, die uns miteinander bei unserer pastoralen Aufgabe sowohl in der Universalkirche als auch in euren Ortskirchen verbindet. Während der Vorbereitungszeit für die kommende Bischofssynode befassen sich unsere Gedanken natürlich mit der Rolle und Mission der Laien eurer Diözesen. Ich kenne sie als Menschen, die in ihrem katholischen Glauben und ihrer Ergebenheit dem Stuhle Petri gegenüber fest verwurzelt sind. Dieser Glaube beruht auf dem Zeugnis der Märtyrer, wie derjenigen, die im nächsten November seliggesprochen werden sollen. Dieser Glaube bezieht auch aus den Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils neue Energien. Das rege Leben eurer Kirchen ist auch ein Lob für das gute Beispiel und die harte Arbeit, die ihr Bischöfe und eure Priester leistet: Ihr habt euch die Ermahnung des Konzils, „die Würde und Verantwortung der Laien der Kirche anzuerkennen und zu fördern“ ... (Lumen gentium, Nr. 37) zu Herzen genommen. Meine Anerkennung für diese Führungsrolle, die euch die Liebe, den Respekt und die bereitwillige Zusammenarbeit eurer Landsleute verschafft hat! Die Heilsmission Christi wirkt in Zeit und Ewigkeit 2. Die Würde und Verantwortung des Laienapostolats sind eng mit dem Ziel der Mission der Kirche verbunden, wie sie im Konzilsdekret Apostolicam actuositatem beschrieben wird, nämlich „das Reich Christi zur Ehre Gottes unseres Vaters über die ganze Erde zu verbreiten und alle Männer und Frauen an der Erlösung und am Heil teilhaftig werden zu lassen, um durch sie die richtige Beziehung der ganzen Welt zu Christus herzustellen“ (Nr. 2). Das Dekret sagt weiter, daß diese Mission beides umfaßt, nämlich unser ewiges Heil und die Erneuerung der gesamten zeitlichen Ordnung (vgl. Nr. 5). Diese grundsätzlich religiöse Mission ist nur fruchtbar, solange sie in Christus verwurzelt ist, der sagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben ... denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5). Diei Einheit mit Christus beginnt mit der Taufe und wird von den übrigen Sakramenten, 1887 AD-LIMINA-BES UCHE vor allem der Eucharistie, und von Gebet, Selbstverleugnung und der Übung der Tugend getragen. Sie wird auch durch Frömmigkeitsübungen unterstützt, die eine so wichtige Rolle im Leben der Kirche gespielt haben. Gebete wie Rosenkranz und Kreuzweg sowie Wallfahrten und Formen der Volksfrömmigkeit, die unsere Liebe zu Gott, zur heiligen Jungfrau, den Engeln und Heiligen ausdrücken — das alles bereichert unser geistliches Leben und sollte in Harmonie mit der Reform der heiligen Liturgie ermutigt werden. Das kommende Marianische Jahr bietet eine besondere Gelegenheit, die Frömmigkeit im Leben der Ortskirchen zum Ausdruck zu bringen und zu erneuern. 3. Es ist der Wille Christi, daß das Leben eines wahren Jüngers durch tätige Liebe und Dienst am Nächsten gekennzeichnet sei. Diese Liebe kann eine Umgestaltung der Welt bewirken und steht als ein Zeichen für das kommende Königreich. Die Menschen in euren Diözesen beweisen diese Liebe und diesen Dienst am Nächsten durch den großzügigen Einsatz für ihre Familie, bei der Ausübung ihrer sozialen und beruflichen Pflichten, bei ihrer aktiven Teilnahme an der Entwicklung der Gesellschaft sowie auch in Form von direkter Arbeit für die Kirche. Als Einzelpersonen bekleiden einige von ihnen wichtige Stellen im öffentlichen Leben. Gemeinsam als Kirchengemeinschaft arbeiten sie harmonisch mit ihren Hirten zusammen, um Christus der Welt der Arbeit, den besonders Bedürftigen, den Armen und Leidenden und heute besonders den Arbeitslosen und völkischen Minderheiten nahezubringen. Sie sind großzügig in der sozialen und karitativen Hilfe sowohl in ihrer Heimat wie im Ausland und auch in der Unterstützung ausländischer Missionen sowie ihrer eigenen Pfarreien und Schulen. Unter eurer Anweisung und Führung erreichen sie sogar andere Kirchen und kirchliche Gemeinschaften, besonders ihre anglikanischen Brüder und Schwestern. Das alles unternehmen sie mit einer Wirksamkeit, die die gegenwärtigen Zahlen Lügen straft. Sie bilden das echte Ferment in der Gesellschaft, der sie angehören (vgl. Lumen gentium, Nr. 31). 4. Auf Grund dieser Würde und Verantwortung, die dem Laienapostolat in der Welt eignet, ist es besonders wichtig, daß wir als Bischöfe Wege suchen, den Glauben der Menschen zu vertiefen und sie zu ermutigen, in ihrer christlichen Lebensweise zu beharren. Die Gläubigen sind das „Salz und Licht“ für die Welt (vgl. Mt 5,13-14), solange sie selbst ein solides Wissen um die Heilswahrheiten der Offenbarung besitzen, die von der Kirche geglaubt und gelehrt werden, und ein tieferes Bewußtsein vom spirituellen Ausmaß ihrer normalen Tätigkeiten im zeitlichen Bereich, seien sie mehr herausragender oder bescheidener Art. Es geht darum, das Transzendente in den sonst weltlichen 1888 AD-LIMINA-BESUCHE Tätigkeiten zu Hause und in der Pfarrei, am Arbeitsplatz und in der Schule zu erkennen und einzusehen, daß alles, was wir als Gläubige sagen und tun, das eine höchste Ziel hat, nämlich die Heiligkeit. Lumen gentium beschreibt das folgendermaßen: „Alle Christusgläubigen jeglichen Standes oder Ranges (sind) zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen... Durch diese Heiligkeit wird auch in der irdischen Gesellschaft eine menschliche Weise zu leben gefordert“ (Nr. 40). In unserer materialistischen und säkularisierten Welt kann man dieses höchste Ziel leicht vergessen, wenn der Glaube nicht durch Gebet und Belehrung beständig genährt wird, was uns in geistlicher Hinsicht und in der Kenntnis des Glaubens vertieft und zur Reife kommen läßt und unser Sendungsbewußtsein klärt. Impuls für jeden Christen, Konzepte zu konkretisieren Deshalb möchte ich euch in eurem Einsatz für die christliche Ausbildung, für pastorale Führung und Einübung ins Apostolat ermutigen. Das beginnt zu Hause bei der Familie und geht auf Pfarr- und Diözesanebene weiter. Das beinhaltet Erziehungsprogramme und Möglichkeiten zu geistiger Einkehr und Erneuerung. Ich empfehle euch und euren Leuten vor allem die pastorale Sorge für zukünftige Eheleute, für Familien, einzelne Elternteile und die Jugend. Ich möchte auch die katholischen Schulen und alles, was mit ihnen zusammenhängt, erwähnen. Diese Schulen erfüllen eine besondere Aufgabe, indem sie eine Ausbildung und ein Programm bieten, das wirklich katholisch ist und das das höchste Ziel der Kirche widerspiegelt, nämlich das der persönlichen Heiligkeit im Hinblick auf die Heiligung der Welt. Besonders die jungen Leute sollten das Ziel eurer pastoralen Tätigkeit sein, da die heutige Gesellschaft und Kultur ihnen so viele leere Versprechungen bietet und so wenig Anleitung für ein fruchtbares Leben. Sie müssen fähig sein, in der Kirche Christus und sein Evangelium zu finden als eine überzeugende, aber herausfordernde Antwort auf ihre Fragen. Sicherlich spiegelt die gestiegene Anzahl der Gläubigen, die in den Pfarreien und kirchlichen Gemeinschaften als Laien tätig sind, ihren Wunsch wider, aktiver am geistigen und sakramentalen Leben der Kirche teilzunehmen. Es ist aber wichtig, das Wissen und die besondere Berufung der Laien nicht zu trüben, nämlich die Berufung, das Zeugnis für das Evangelium in das Herz der Gesellschaft und der Kultur zu bringen. Wo diese in der Seelsorge tätigen, Nichtgeweihten, beim Aufbau der Ortskirchen im Glauben und Dienen wirksam sind, sollte ihr Wachstum sorgfältig vorausgeplant werden, wobei immer eine geeignete Ausbildung für die, die damit befaßt sind, vorausgehen sollte. 1889 AD-LIMINA-BES UCHE Wie uns Apostolicam actuositatem lehrt, wird die Gnade Gottes mit den Jahren immer größer und erlaubt einem jeden von uns ein klareres Verständnis der Begabungen, die er uns gegeben hat, und hilft die Charismen, die wir für das Wohl unserer Brüder und Schwestern erhalten haben, wirksamer auszuüben (vgl. Nr. 30). Wir selbst sind als Bischöfe mit unseren Priestern ein Leben lang zu christlicher Weiterbildung berufen. Durch ständige Bekehrung müssen auch wir zur Fülle der Reife in der Heiligkeit des Lebens wachsen. Liebe Brüder, ich freue mich mit euch über die Gaben, die Gott euren Ortskirchen gewährt hat. Ich teile auch eure Hirtensorgen: „Sorgt als Hirten für die euch anvertraute Herde Gottes“ (1 Petr 1,2). Möge der Herr euch und eure Priester, die Ordensleute und die Laien in dem Maß segnen, in dem ihr selbst sucht, zum eigenen Heil und zum Heil der Welt in der Heiligkeit zu wachsen. Ich empfehle euch Maria, der Mutter Christi und der Kirche, und erteile euch aus ganzem Herzen meinen Apostolischen Segen. Atheistischer Säkularismus und unterdrückter-Humanismus sind neue bedeutende Bedrohungen für die Glaubenden Ansprache an die Bischöfe von England und Wales anläßlich des Ad-limi-na-Besuches am 23. November Liebe Brüder! L Ich begrüße euch heute liebevoll in unserem Herrn Jesus Christus. Durch euch möchte ich auch die Priesterschaft, die Ordensleute und Laien der Ortskirchen begrüßen, die die Provinz Birmingham und die Provinz Cardiff im Fürstentum Wales vertreten. Es ist mir eine besondere Freude, euch hier anläßlich der Seligsprechung von fünfundachtzig Märtyrern aus England, Wales und Schottland willkommen zu heißen. Ihr Zeugnis vom katholischen Glauben ist Teil einer langen Geschichte der Treue zum Stuhle Petri, was euer eigener Ad-limina-Besuch bestätigt. Diese Märtyrer legen vom tiefen Geheimnis der kirchlichen Gemeinschaft, die uns vereinigt, Zeugnis ab. Indem wir sie ehren, bestätigen wir und feiern wir nochmals jene von Christus gestiftete Gemeinschaft des Lebens, der Liebe und der Wahrheit, die von ihm als Werkzeug der Erlösung für alle gebraucht wird (vgl. Lumen gentium, Nr. 9). Die meisten von ihnen waren Priester oder Laien, die Priestern zur Seite standen. Sie erlitten das Martyrium, 1890 AD-LIMINA-BESUCHE weil sie versuchten, das Wort Gottes und die Sakramente zu ihren katholischen Landsleuten zu bringen, die die Überzeugung mit ihnen teilten, daß die Bande der vollen kirchlichen Gemeinschaft es wert sei, in einer so unruhigen Zeit Strafe und sogar den Tod zu riskieren. Wir freuen uns heute mit den übrigen christlichen Brüdern und Schwestern in eurem Land, daß wir nun auch, nach so vielen Jahrhunderten in der Lage sind, nach voller Gemeinschaft mit gegenseitiger Achtung und Wertschätzung zu streben. Durch den Tod legen diese Märtyrer ein heroisches Zeugnis von der alles verzehrenden Liebe ab, die ihren Ursprung in Christus hat und die in seinem Leib stets für die Rettung der Welt tätig ist. Wie der hl. Paulus lehrt: „Caritas Christi urgetnos.“ (2 Kor 5,14) drängt uns die Liebe Christi. Die Gläubigen dürfen nicht nur um ihr eigenes Heil, sondern müssen um das Heil aller Brüder und Schwestern und der ganzen Menschheit besorgt sein. Diese ausströmende Liebe ist auf die Gemeinschaft hingeordnet, von der ich gesprochen habe: der Gemeinschaft mit Gott und der Gemeinschaft miteinander, einer „Einheit des Geistes durch den Frieden“ (Eph 4,3). 2. Heute ruft uns diese Liebe im besonderen dazu auf, jenen Katholiken unser ganz besonderes Interesse entgegenzubringen, die von der Ausübung des Glaubens abgefallen sind, für den die Märtyrer ihr Leben hergaben. Überall in der Welt finden wir Menschen, die an der kirchlichen Gemeinschaft, zu der sie in der Taufe berufen wurden, nicht aktiv Anteil nehmen oder nicht mehr nach den Lehren der Kirche leben. In Ländern wie dem euren wird durch die Glaubenspraxis das Leben nicht mehr aufs Spiel gesetzt. Vielmehr ist es das Ausharren mitten in all den Bedrängnissen des modernen Lebens, die die Menschen in Versuchung bringen, ihren Glauben aufzugeben. Einige möchten sich selbst durch die Behauptung rechtfertigen, daß man auch abseits der Kirche ein guter Christ sein kann. Mit der Schrift und der Tradition müssen wir jedoch auf dem unzerstörbaren Band beharren, das zwischen Christus und seiner Kirche, zwischen dem Bräutigam und der Braut, zwischen dem Kopf und den Gliedern, zwischen der Mutter und ihren geistigen Kindern besteht. Um die Situation einiger unserer Brüder und Schwestern zu verstehen, müssen wir zum Gleichnis vom Sämann im Evangelium zurückkehren, das unser Herr selbst den Jüngern vor Augen führt, als sie ihn nach der Bedeutung des Samens fragen, der auf den Weg, auf felsigen Boden, in die Dornen oder auf guten Boden fallt (vgl. Mt 13). Christus erzählt ihnen, daß der Samen das Wort Gottes ist, das, wenn es gehört, aber nicht verstanden wird, vom Bösen unfruchtbar gemacht werden kann. Ebenso kann man zu Fall kommen, wenn man um des Wortes Willen bedrängt oder verfolgt wird; schließlich kann es 1891 AD-LIMINA-BESUCHE auch von den Sorgen dieser Welt und dem trügerischen Reichtum erstickt werden und keine Frucht bringen (Mt 13,18-23). Diese Lehre ist eine zeitlose Einsicht in unsere Schwächen und Sündhaftigkeit und sollte uns allen eine Mahnung zur Wachsamkeit, Ausdauer und konstanten Umkehr der Herzen sein. 3. In unseren Tagen müssen wir die Gesellschaft, zu der wir gehören, im Lichte des Gleichnisses verstehen lernen. In mancher Hinsicht ist es eine entchristianisierte Gesellschaft, die sich nicht der Hoffnung hingeben kann, fernab von dem biblischen Fundament, worauf sie gebaut wurde, auf wirklich fruchtbare und sittliche Weise weiterzubestehen. Atheistischer und agnosti-scher Säkularismus und eine verarmte Menschlichkeit umgeben Gläubige mit Unglauben. Die rettende Wahrheit der in der Lehre und sakramentalen Gemeinschaft verkörperten Offenbarung wird oft durch individuelle religiöse Gefühle oder eine unbestimmte illusorische Suche nach dem Göttlichen oder Heiligen ersetzt. Heute ist dies die Situation vieler, die von der Praxis ihres Glaubens abgefallen sind. Der Samen des göttlichen Wortes fällt, um mit dem Bild des Gleichnisses zu sprechen, weiterhin auf den Weg, auf felsigen Boden, in die Dornen, aber auch auf guten Boden. Für andere ist die Beendigung der aktiven Teilnahme an der Kirche das Ergebnis einer bewußten oder auch unbeabsichtigten entfremdenden oder schmerzvollen Erfahrung, die sie mit einigen Mitgliedern der Kirchengemeinschaft oder ihren Dienern gemacht haben. Für andere wiederum liegt der Grund der Entfremdung oder sogar der Feindseligkeit in einem Mangel an Verständis oder in der mangelnden Annahme der Entwicklungen in der Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Außerdem dürfen wir es nicht versäumen, die vielen Menschen zu erwähnen, die einfach aus Trägheit oder Gleichgültigkeit wegtreiben. 4. Liebe Brüder und geistige Erben der Märtyrer, die ihr Leben hingaben, damit andere ihren katholischen Glauben ausüben konnten: In der Nachfolge Christi, des guten Hirten aller, müssen wir, die wir auch Hirten sind, auf die Suche nach diesen Schafen gehen. Ich weiß, daß ihr diese meine Sorge teilt, die ich auf meinen Pastoraireisen als Aufruf an die vom Glauben abgefallenen Katholiken geäußert habe. Ich ermuntere euch, mit den Bemühungen fortzufahren, die ihr und viele von euren Brüdern im Bischofsamt diesbezüglich unternommen habt. Für jene von uns, die der Herr als Hirten berufen hat, ist diese Verpflichtung ganz besonders wichtig. Der Ritus der Bischofsweihe macht dies klar, wenn der erwählte Bischof über seinen Entschluß befragt wird, als guter Hirte die verlorenen Schafe zu suchen und sie in der Herde des Herrn zu versammeln. Obschon unsere Erwartungen oft enttäuscht werden können, 1892 AD-LIMINA-BESUCHE sollten wir über die Zusicherung des Herrn froh sein, daß „im Himmel mehr Freude herrschen wird über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren“ (Lfc 15,7). Was kann uns eine größere Freude sein, als Brüder und Schwestern zu sehen, die zu den Sakramenten der Buße und der Eucharistie zurückkehren und wieder „an der Lehre der Apostel und an der Gemeinschaft festhalten, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2,42). 5. Zugleich rufen wir in Erinnerung, daß das Werk der Evangelisierung, das sich auf die nichtpraktizierenden Katholiken erstreckt, eine grundlegende Pflicht des ganzen Gottesvolkes ist (vgl. Apostolicam actuositatem, Nr. 35). Die gesamte Kirche ist an der Evangelisierung beteiligt; jede Bemühung um Evangelisierung ist ein zutiefst kirchliches Tun (vgl. Evangelii nuntiandi, Nr. 60). Daher, liebe Brüder, sind wir nicht allein. Unsere Sorge um die nichtpraktizierenden Katholiken wird von unseren Priestern geteilt, die diese Abwesenheit jener Gläubigen und die negative Wirkung dieser Abwesenheit auf die Ortskirchen aus erster Hand bezeugen. Ebenso betroffen sind die Gläubigen, von denen viele zutiefst leiden, weil ihre Ehepartner, ihre Verwandten, ihre Freunde und insbesondere ihre Kinder vom Glauben abgefallen sind. So viele unserer Brüder und Schwestern bitten mich zu beten, daß ihre Lieben zur Kirche zurückkehren mögen. Sie haben recht, denn das Gebet ist das wirksamste Mittel, um mit der Gnade Gottes die Herzen zu bewegen. Ich bitte euch dringend, mit mir die Kranken und Leidenden, deren Gebet beim Herrn von besonderer Wirkung ist, zu ermuntern, für dieses Ziel zu beten. Unser Gebet muß mit liebevollem Eifer und mit einem Geist der Versöhnung erfüllt sein, sodaß den verlorenen Schafen der Heimweg bereitet wird. Wenn unsere kirchliche Gemeinschaft nicht liebevoll oder einladend ist, so verfehlen wir unsere Sendung, das sichtbare Sakrament der Einheit und des Friedens in der Welt zu sein (vgl. Lumen gentium, Nr. 9). Wie dem auch sei, wir können darauf vertrauen, daß Gott es trotz unserer Schwächen nicht versäumen wird, unsere Bemühungen zu segnen, die verlorenen Herzen und Seelen zu suchen und sie zur vollen und tätigen Gemeinschaft mit Christus und seiner Kirche zurückzuführen. Ich möchte ganz besonders unsere Priester erwähnen, die unsere notwendigen Helfer und Ratgeber im seelsorglichen Dienst, unsere Brüder und Freunde sind (vgl. Presbyterorum ordinis, Nr. 7). Möglicherweise haben sie zuweilen das Gefühl der Hilflosigkeit, vor allem dann, wenn sie allein in abgelegenen Pfarrgemeinden arbeiten. Wichtig ist, daß sie für ihr Amt die brüderliche Unterstützung ihrer Bischöfe und des gesamten Presbyteriums erfahren. Wie bescheiden oder scheinbar vereinzelt dieser pastorale Dienst auch sein mag, so 1893 AD-LIMINA-BESUCHE ist es doch ein kirchlicher Dienst, der „durch institutioneile Beziehungen, durch unsichtbare Bande und die verborgenen Wurzeln der Gnadenordnung eng verbunden ist mit der Glaubensverkündigung der ganzen Kirche“ (Evan-gelii nuntiandi, Nr. 60). Möge ihnen das Beispiel der Märtyrer, die wir ehren, deren Eifer und Selbsthingabe über Jahrhunderte hinweg immer noch zu uns sprechen, Mut geben! Liebe Brüder, mögen diese Märtyrer und alle Heiligen Englands und Wales Fürsprache für euch, eure Priesterschaft, die Ordensleute und die Laien einle-gen. Möge Maria, die Mutter der Kirche, euch auf eurer Pilgerfahrt des Glaubens ein leitender Stern sein. Möge Christus, der gute Hirt, euch in eurer Liebe zueinander und zu allen Schafen bestärken, vor allem zu denen, die weit weg sind von ihrer geistigen Heimat. Als Unterpfand der Freude und des Friedens Christi erteile ich euch von Herzen meinen Apostolischen Segen. Nehmt die Armut in der Erwartung der Fülle an — Gebt Antworten wahrer Hoffnung Ansprache an die Bischöfe der Region Frankreich-Mitte anläßlich ihres Ad-li-mina-Besuches am.12. Januar Liebe Mitbrüder im Bischofsamt! 1. Eure Pilgerfahrt zu den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus geht nunmehr ihrem Ende zu. Diese Besuche erlauben den Bischöfen aus aller Welt, ihre Einheit mit der Kirche Roms kundzutun und mit dem Nachfolger Petri und seinen Mitarbeitern zu sprechen. So kommen die kollegialen Bande zum Ausdruck, die zwischen uns ungeachtet aller geographischen Entfernungen und ungeachtet der verschiedenen pastoralen Situationen, in denen ihr lebt, bestehen. Die Gruppe eurer apostolischen Region ist die erste der französischen Bischöfe, die ihren Ad-limina-Besuch abstattet. Es freut mich, euch hier zu empfangen, nachdem ihr mich kürzlich im Lauf einer apostolischen Reise in Ars und Lyon empfangen habt, die mir sehr lebhaft in Erinnerung geblieben ist und von der ihr gesagt habt , daß sie eine eindrucksvolle Erfahrung für die Christen eures Landes darstellte. Ihr seid nach Rom, zu Petrus, dem Haupt des Apostelkollegs und zu seinem derzeitigen Nachfolger gekommen und diese Pilgerfahrt ist für euch eine 1894 AD-LIMINA-BES VCHE wohltuende Atempause, gestattet sie euch doch, ohne Vernachlässigung eurer Ortskirche gelassen eine Bilanz der in ihr herrschenden Lage zu ziehen. Ohne die zahlreichen und verschiedenartigen Punkte aufzugreifen, die der Bericht eurer Region anführt und die wir bei den Einzelaudienzen besprechen konnten, möchte ich mich dieser ersten gemeinsamen Begegnung bedienen, Um euch einige allgemeine Überlegungen vorzulegen. Es ist meine Absicht, mit euren Mitbrüdem, denen ich im Lauf der nächsten Woche und Monate in rascher Aufeinanderfolge begegnen werde, auf verschiedene Einzelheiten der Pastoral zurückzukommen. Wie vor fünf Jahren — und ohne daß es während dieser Zeit, wie ihr festgestellt habt, nennenswerte Veränderungen gegeben hätte — wolltet ihr auch diesmal die Situation ohne jede Verschönerung darlegen; ihr habt hervorgehoben, was euch beunruhigt und habt auf die positiven Zeichen hingewiesen, die euer Vertrauen auf die Zukunft und eure Dankbarkeit rechtfertigen. 2. So beschreibt ihr die Lebensbedingung der Kirche, die der Pilgerfahrt, des immerwährenden Exodus. Gott hat mit seinem Aufruf und seinen Gaben ein Volk gebildet, doch muß sich dieses Volk auf den Weg machen, muß eine schwierige Strecke zurücklegen, muß die Erfahrung des Hungers machen, die nur durch die Freizügigkeit der Gnade gemildert wird und muß seine Lebensweise den Worten des Bundes entsprechend gestalten, den Gott mit ihm schließt. Ist es notwendig, auf einer Erklärung dieser Analogie zu bestehen? Ihr habt aufgezeigt, wo die Schwierigkeiten liegen, denen die menschliche Wirklichkeit eurer Region im gegenwärtigen Kontext begegnet; ihr habt gezeigt, daß das Volk Gottes der Prüfung der zahlenmäßigen Abnahme derer ausgesetzt ist, die sich voll und ganz zu ihm bekennen und daß die Lebenskraft des Glaubens und die Treue zu den ethischen Forderungen im Schwinden sind. Dennoch könnt ihr, wenn ihr an die Priester, Ordensleute und Laien bei den verschiedenen Gelegenheiten denkt, bei denen sie sich versammeln, eine echte Dynamik, feste Überzeugungen und eine erstaunliche Einsatzbereitschaft feststellen. Das ist die mit Widersprüchen behaftete Lage der Kirche, wie sie der abschließende Bericht der außerordentlichen Synode von 1985 beschrieben hat: „Bei ihrer irdischen Pilgerfahrt ist die Kirche ein messianisches Volk und nimmt in sich bereits die neue Schöpfung vorweg. Dennoch bleibt sie die Kirche, der Sünder angehören, die heilig und stets zu läutern ist, die sich inmitten der Verfolgungen der Welt und der Tröstungen Gottes stets auf dem Weg zum Reich Gottes befindet. In diesem Sinn sind in der Kirche allzeit das Geheimnis des Kreuzesund das der Auferstehung gegenwärtig.“ (II,B,3; vgl. Lumen gentium, Nr. 8f.). 1895 AD-LIMINA-BES UCHE 3. Ja, in diesem Augenblick der Geschichte, in dem einander unablässig die Prüfungen der Jünger begegnen, die Christus nachfolgen, und die positiven Elemente, die alle Wegweiser zum Reich Gottes sind, betrachtet ihr den Reichtum und die Armut eurer Diözesen. Im Lauf meines Besuches in Frankreich im Oktober hatte ich den Eindruck, die Christen nähmen heute gerne den Reichtum ihres Erbes zur Kenntnis. Es handelt sich nicht um eine mehr oder weniger nostalgische Rückkehr zur Vergangenheit als solcher, sondern vielmehr darum, die lebendige Erinnerung an jene wiederzubeleben, die das christliche Volk aufgebaut haben und es noch immer beseelen. Wir beschränken uns hier darauf, der apostolischen Dynamik des hl. Martin, der demütigen Treue der hl. Bernadette und so vieler anderer lebendiger Steine zu gedenken, die sich im Lauf der Generationen um Christus, den Eckstein, gesammelt haben: die Erbauer des christlichen Hauses, in dem nach wie vor viele eurer Landsleute wohnen, sind sehr zahlreich. Auf den Spuren der großen Pioniere, der herausragenden Zeugen und zahllosen Christen, ist die Kirche heute in der Gesellschaft gegenwärtig. Sie ist mittels ihrer Pfarreien und sehr verschiedenartigen Gemeinschaften, mittels der Bewegungen und Dienste aktiv. Sie. verkündet das Evangelium, feiert die Sakramente des Neuen Bundes, dient den Armen und nimmt die Fremden auf. Priester, Ordensleute und Laien arbeiten gemeinsam und entdecken neue Möglichkeiten für ein gemeinsames Tragen von Verantwortungen und für eine ständige Zusammenarbeit in den kürzlich errichteten Räten, die es zu festigen und zu erweitern gilt. 4. Dennoch ist das Feld sehr ausgedehnt, die Arbeiter sind nicht sehr zahlreich und die Ernte scheint spärlich zu sein. Zur Erstellung des Berichtes für euren Ad-limina-Besuch habt ihr beunruhigende Zahlen aufgegriffen. Der Klerus altert und die Zahl der Berufungen ist nach wie vor gering. Taufen und sakramentale Eheschließungen sind im Rückgang. Die Jugendlichen, die den Katechismusunterricht besuchen, sind weniger denn je trotz aller Bemühungen der zahlreichen und eifrigen Katechisten. Wir stehen hier einem konkreten Ausdruck echter Armut gegenüber. Wenn ich von dieser für euch schmerzlichen Lage spreche, denkt man an Jesus, der bewegt den Menschenmassen ohne Hirten gegenüberstand (vgl. Mt 9,36) und einen Aufruf an die Stadt Jerusalem richetete, die sich nicht um ihn sammeln wollte (vgl. Mt 23, 37). Aber der Herr hat nichtsdestoweniger seine Kirche gegründet und sie seiner Gegenwart versichert (vgl. Mt 28,20). „Allein aufgrund seines Erbarmens hat er uns gerettet durch das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geist.“ (Tit 3,5). 1896 AD-LIMINA-BESUCHE 5. Die Kirche trägt verborgene Reichtümer in sich, die Gaben Gottes, für deren Ermittlung eine Wertung soziologischer Art nicht ausreichend ist. Sie ist „in Christus gleichsam das Sakrament, d. h. Zeichen und Werkzeug für die innerste Vereinigung mit Gott wie für die Vereinigung der ganzen Menschheit unter sich“, lautet die wichtige Formulierung des II. Vatikanischen Konzils (Lumen gentium, Nr. 1). Wenn sie Zeichen sein will, muß sie heute ihre Armut annehmen und sich mehr denn je der Gnade Christi überantworten, der gestorben und auferstanden ist, in Erwartung einer Fülle, die das freie Geschenk des Heils sein wird und für die es keinen gemeinsamen Maßstab mit unseren Erfolgen oder Mißerfolgen gibt. Ihr seid Hirten einer Herde, die alle gerne zahlreicher, einmütiger und treuer sehen möchten; dennoch dürft ihr nicht den Mut verlieren. Wiederholt wurde festgestellt, daß eine große Zahl eurer Mitbürger sich als der Kirche; angehörend bezeichnet und die Taufe empfangen hat. Unterlaßt es auch weiterhin nicht, sie zur Entfaltung der in der Tiefe ihres Seins verborgenen Gaben aufzurufen und den vollen Sinn ihres Lebens durch die Wahrheit und die Gegenwart Christi zu entdecken. Die Gesellschaft erwartet von der Kirche — auf vielleicht unklare, aber authentische Art—die Einladung an den Menschen, er möge seine Schwäche und seine Sünde überwinden, um seine volle Würde wiederzuerlangen; sie erwartet auch von der Kirche Antworten der Hoffnung auf die Ängste unserer Zeit. <70> <70> Ihr beseelt dieses Werk der Evangelisierung und laßt an ihm die Priester, Diakone, Ordensleute und Laien teilhaben; die letzteren nehmen auch sehr wesentliche Aufgaben auf sich. Manche verspüren deren Last sehr nachdrücklich. Ich weiß, daß euer persönliches Wirken als Bischöfe an erster Stelle steht. Ihr habt verstanden, daß es notwendig ist, euch möglichst weitgehend selbst einzusetzen; ihr predigt, ermutigt, gebt Weisungen und versammelt die Menschen um euch. Ihr feiert mit dem Volk Gottes das Opfer Christi als Danksagung und zum Einswerden in seiner Liebe. Ihr ruft in der Firmung den Heiligen Geist herab. Ihr entsendet in die Mission und verbindet so Mission und „com-munio“, dem Beschluß eurer Bischofskonferenz entsprechend. Ihr selbst seid mit euren Pastoralbesuchen, euren zahlreichen Begegnungen und Feiern in euren Diözesen die ersten Träger der Evangelisierung. Ihr antwortet dem Aufruf des Apostel Paulus an Timotheus: „Verkünde das Wort, tritt dafür ein ... in unermüdlicher und geduldiger Belehrung ... Du aber ... ertrage das Leiden, verkünde das Evangelium, erfülle treu deinen Dienst.“ (2 Tim 4,2.5). Mit diesem Wirken unterstützt ihr das Wirken aller anderen, die an der Sendung der Kirche teilhaben, begründet im Wesentlichen die Bande der Zusammenarbeit mit den Priestern und Laien und nähert euch jenen, die am Rand stehen. 1897 AD-LIMINA-BES UCHE Mit eurem missionarischen Wirken vervielfacht ihr den Aufruf zur Nachfolge Christi, insbesondere im Priestertum, im gottgeweihten Leben und im Diakonat. Ich weiß, daß ihr mit euren Mitarbeitern zahlreiche Initiativen ergreift, um die Lebenskraft der christlichen Gemeinde zu gewährleisten; die Ehevorbereitung und die Unterstützung der christlichen Eheleute in ihrem Leben als Paar und als Eltern; die Erweckung und Koordinierung der Bewegungen; die Sorge um die Qualität der Erziehung in den katholischen Schulen; die Neuordnung der territorialen Strukturen; die intellektuelle und geistliche Bildung und Ausbildung der Priester und Laien, vor allem im Hinblick auf die Katechese und die Belebung der Liturgie; Hilfe für jene, die sich um den Fortschritt im Gebetsleben bemühen; die Reflexion über die grundlegenden Lebensfragen, die sich heute stellen; die Solidarität mit den Ärmsten — seien sie nun in der Nähe oder in der Feme — im Geist echter Nächstenliebe; die Beziehungen zu den anderen Kirchen. Einige Diözesen bereiten sich auf eine Synode vor, um ihre Sendung zu überdenken und sie durch die Annahme der Anrufe des Herrn zu fördern. Ich kann heute nicht länger über diese zahlreichen Aktionen sprechen, möchte jedoch zu ihnen ermutigen, indem ich den Geist der Liebe und der Wahrheit bitte, sie fruchtbar werden zu lassen. <71> <71> Ihr sät reichlich. Oft muß man sich damit abfinden, die Ernte nicht reifen zu sehen und anderen die Sorge um sie zu überlassen (vgl. Joh 4,37). Es ist jedoch eine gmndlegende Überzeugung, daß Gott es ist, der keimen läßt; über alle feststellbaren Ergebnisse hinaus gilt, daß der Same nicht unfruchtbar bleiben kann, daß das Wort Gottes die Erde befruchtet (vgl. Jes 55,11) und daß Jener, der sein Leben für das Heil der Welt hingeben wollte, uns versichert, daß das Samenkorn, das stirbt, reiche Frucht bringt (vgl. Joh 12,24). Überbringt allen Mitgliedern eurer Diözese, die mit euch auf dem Acker des Herrn arbeiten, als Ermutigung und Gruß des Bischofs von Rom die Botschaft der Hoffnung, die auf Christus gegründet ist. Sagt den Priestern, euren ersten Mitarbeitern und dem ganzen Volk Gottes das Gebet des hl. Paulus: „Der Gott Jesu Christi, unseres Herrn... erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr berufen seid“ (Eph 1,17 f.). Während das Marianische Jahr herannaht, das uns auf das große Jubiläum des Jahres 2000 vorbereiten wird, mfe ich mit euch Maria an, die treueste Dienerin des Herrn, die Jungfrau, die der Welt den Erlöser schenkte und bitte Gott, er möge euch und euren Diözesen die Fülle seines Segens schenken. 1898 AD-LIMINA-BESUCHE Das Werk der Evangelisierung muß vom Gebet begleitet und unterstützt werden Ansprache an die französischen Bischöfe der Region Nord bei ihrem Ad-limi-na-Besuch am 22. Januar Liebe Brüder im Episkopat! 1. Ich bin sehr glücklich, euch empfangen zu dürfen, wie ihr mich in Frankreich empfangen habt. Unsere Einzelgespräche haben mich ein wenig mit euren verschiedenen Diözesen vertraut gemacht. So bitte ich den Herrn, jeden einzelnen von euch in seiner Verantwortung als Hirte einer Teilkirche zu unterstützen oder in den Diensten, die ihr auf regionaler Ebene, in den nationalen Kommissionen oder an der Spitze der Bischofskonferenz ausübt, deren Präsident ich besonders begrüße. Ich habe den zusammenfassenden Bericht über eure Region zur Kenntnis genommen, von dem euer Sprecher gerade die wesentlichen Punkte hervorgehoben hat. Ich danke euch dafür, daß ihr mir diesen klaren und präzisen Blick auf das Ganze vermittelt habt. 2. Ihr habt zunächst die menschlichen Verhältnisse eurer großen, weit ausgestreckten Region Nord unter verschiedenen Aspekten untersucht. Ihr habt euch die Schwierigkeiten des Lebens und die „Pole des Elends“ zu Herzen genommen: die Krisen in mehreren Bereichen der Industrie und Landwirtschaft sowie die damit verbundene Sorge um die Zukunft; die verbreitete Arbeitslosigkeit und die schwierige Lage der Arbeiter, inbesondere der eingewanderten und zunehmend „neuen Armen“, die kulturellen Wandlungen, die Zerbrechlichkeit der Familien und das Unbehagen der Jugendlichen. Diese Aufmerksamkeit für die sozialen Wirklichkeiten ist wichtig und notwendig, seid ihr doch die Hirten dieser konkreten Welt. Der Hirte aber muß seine Gläubigen kennen und sich mit ihren Sorgen und Hoffnungen solidarisch machen. Ihr pflegt diese Sympathie als Abgesandte Christi, der sie zur Fülle des Heiles einlädt. Die Präsenz eurer christlichen Laien aber sollte die des Sauerteiges sein. Welche besondere Rolle hat also die Kirche in diesem menschlichen Kontext zu spielen? 3. Ihr untersucht dann weiter die kirchlichen Situationen. Negativ schildert ihr „Pole des Unglaubens“, eine ideologische Explosion, die Folgen einer fortgeschrittenen Säkularisation, ferner weit ausgedehnte Lebensbereiche, wo der Glaube nicht mehr zählt oder man sich um die christliche Ethik wenig kümmert, ein Nachlassen in der religiösen Praxis, einen Rückgang der Be- 1899 AJD-LIMINA-BESUCHE Werbung um die Taufe, die Katechese und die kirchliche Eheschließung. Einige bemerken, daß die Christen zur Minderheit geworden sind, und alle weisen auf die quälende Frage des Mangels oder der Überalterung der Priester hin. Doch geht ihr auf diese Situation mutig zu. Ihr stellt angepaßte oder prioritäre Pastoralpläne auf, von denen ich mehrere Konstanten behalten habe: die Unterstützung der Apostolatsbewegungen, der Katholischen Aktion oder anderer in der Absicht, ein gewisses Nachlassen des Engagements und des „militanten“ Geistes aufzufangen; die Entwicklung einer Katechese, die die Kinder und ihre Eltern erfaßt, die Erneuerung der Pfarreien; dieBerufspastoral; die Mitverantwortung der Priester, Ordensleute und Laien, um „gemeinsame Kirche aufzubauen“; die Vorbereitung auf die großen Etappen der Sakramente im Stil eines Katechumenats; die besondere Betreuung der Jugend und der Familie, das Zeugnis im Arbeitermilieu; die Öffnung für die universale Kirche und die Perspektiven der Entwicklung und schließlich für euch selbst das vermehrte Bemühen um die Durchführung der pastoralen Visitationen am Ort. Im Ganzen wollt ihr euren Kurs auf die Evangelisierung ausrichten, ohne die dazu gehörende Ausbildung zu vernachlässigen. All das, liebe Brüder, ist bedeutsam und muß weitergeführt werden. Die außerordentliche Synode von 1985 hat erneut die Evangelisierung als Hauptpflicht der Bischöfe, Priester, Diakone und aller Christen nachdrücklich betont (vgl. Schlußbericht, II, B, 2). Sie hat ferner die Sendung der Kirche zum Dienst an den Armen und für die Förderung des Menschen betont (vgl. Schlußbericht, II, D, 6). Wir müssen also ohne Unterlaß nach den für diese Pastoral am besten geeigneten Mitteln suchen und sie entschlossen einsetzen. Ich möchte bei euren Mitbrüdem aus den anderen Regionen auf mehrere dieser Punkte zurückkommen. Wenn ich heute einen anderen Aspekt hervorhebe, dann möchte ich damit die eben genannten keineswegs geringer werten. Doch braucht es zur Verwirklichung dieser Pastoralpläne einen gewissen Hauch des Geistes als Quelle einer neuen Dynamik. Es braucht eine Inspiration, die das ursprünglich Christliche in der Aktion, die Identität des Apostels und den Charakter seines Zeugnisses im Hinblick auf das Absolute bewahrt. Es muß immer und überall die Verbindung mit Gott und die Teilhabe an seiner Gnade gewahrt werden. Dies ist eine Frage der Rückkehr zu den Quellen in Lehre und Spiritualität, die aber vor allem auf gelebter Gebetserfahrung beruht. Wie sollen wir in unseren Kirchen den Geist des Gebetes entwickeln? Wir stehen hier vor einer wirklich grundlegenden Forderung unserer Sendung als Bischöfe. 4. Ihr seid eurerseits voll von der erstrangigen Wichtigkeit einer Pastoral des Gebetes überzeugt, wie ich in mehreren eurer diözesanen Berichte festgestellt habe. 1900 AD-LIM1NA-BES UCHE Bei jedem Bemühen um Evangelisierung ist irgendwie das Gebet beteiligt, oder es geht ihm voraus. Als Jesus die Selbstverleugnung begründen wollte, sagte er: „Wenn einer von euch einen Turm bauen will, setzt er sich dann nicht zuerst hin und rechnet, ob seine Mittel für das ganze Vorhaben ausreichen?“ (Lk 14,28). Man könnte ebenso fragen: Wenn einer von euch ein großes pasto-rales Projekt durchführen will, kniet er sich dann nicht zuerst hin, um dieses Unternehmen mit dem Geist Gottes zu beginnen und auszuführen? Dies ist eure Überzeugung und eure persönliche Erfahrung, ich zweifle auch nicht daran, daß ihr in euren Predigten und bei euren pastoralen Begegnungen oft darauf zurückkommt. Den größten Teil eurer Zeit führt ihr den Vorsitz beim Gebet und vor allem bei der Eucharistiefeier. Bei meiner Pilgerreise nach Frankreich waren die Höhepunkte ebenfalls die großen Versammlungen des christlichen Volkes zum Gebet. Jesus hat uns das ständige Gebet als ein Gebot aufgetragen (vgl. Lk 11,9-13; 18,1; 21,36). Bei unserer Bischofsweihe hat uns der weihende Bischof gefragt: „Wollt ihr ohne Unterlaß für das Volk Gottes beten und die priesterliche Aufgabe des Bischofs wie es sich ziemt erfüllen?“ Aber wie sollen wir Meister des Gebetes erwecken? Wie sollen wir das christliche Volk befähigen, selbst besser zu beten? Wie ihm verständlich machen, daß dies von wesentlicher Bedeutung ist? <72> <72> Wir müssen es davon überzeugen, daß das Gebet unerläßlich ist, ganz einfach deswegen, weil wir es mit dem Werk Gottes und nicht mit unserem eigenen zu tun haben. Wir müssen es nach seiner Inspiration und daher mit seinem Heiligen Geist vollbringen, und nicht nach unserem eigenen Empfinden. Es geht darum, aus den Quellen zu schöpfen, die nicht jene sind, aus denen die Welt ihre Kraft schöpft. Wir finden unsere Kraft in der Gnade Gottes, und unsere Methoden lassen sich von der Liebe im Sinn des Evangeliums bestimmen. Ja, nur die Gnade läßt uns das Werk des Heiles gut vollbringen, wozu die Bekehrung der Menschen gehört; nur der Geist Gottes macht uns klar, was Sünde ist und schenkt uns das Verlangen, herauszukommen. Er führt zum Glauben oder zur Versöhnung mit Gott. Wir geben unser Zeugnis als Appell, der die Freiheit achtet, und Gott allein kann das Innere bewegen. Ebenso läßt nur die Gnade das Werk der Gemeinschaft gelingen, die wir in der Kirche aufbauen wollen, denn „grundsätzlich ist damit die Gemeinschaft mit Gott durch Jesus Christus im Heiligen Geist gemeint“ (Schlußdokument der Synode 1985, II, C, 1). Es ist auch selbstverständlich, daß nur die Gnade zur Heiligkeit führt. Die Synode, die das II. Vatikanische Konzil feiern und aktualisieren wollte, hat nicht verfehlt, auf diesen geistlichen Neubeginn hinzuweisen: „Gerade 1901 AD-LIMINA-BESUCHE heute, wo sehr viele Menschen eine innere Leere und geistliche Krise spüren, muß die Kirche den Sinn für Buße, Gebet, Anbetung, Opfer, Selbsthingabe, Liebe und Gerechtigkeit nach Kräften erhalten und fördern.“ (Schlußdokument II, A, 4). Meine kürzliche Pilgerreise in Frankreich verfolgte den gleichen Sinn: bevorzugte Aufmerksamkeit für die Quellen der Heiligkeit, denn die Heiligen zeigen uns den Weg der echten Erneuerung. Muß ich noch darauf hinweisen, welche Meister des Gebetes der heilige Franz von Sales und Johanna von Chantal gewesen sind? Sie haben ebenso viele Laien wie gottgeweihte Menschen inspiriert. Eins der Ziele meiner Enzyklika Dominum et vivificantem war es, neues Verlangen nach dem Gebet zu erwecken: „Der göttliche Lebenshauch, der Heilige Geist, drückt sich in seiner einfachsten und gewöhnlichsten Form im Gebet aus und macht sich darin vernehmbar ... Das Gebet wird durch das Wirken des Heiligen Geistes ein immer reiferer Ausdruck des neuen Menschen, der dadurch am göttlichen Leben teilnimmt.“ (ebd. Nr. 65). 6. Unsere Gläubigen müssen zum Verständnis der Wohltaten des Gebetes hingeführt werden. Die Erfahrungen von Assisi am 27. Oktober 1986 sind hier bezeichnend. Wir haben weder über den Frieden diskutiert, noch unsere religiösen Überzeugungen miteinander verglichen. Die Vertreter der großen Religionen der Welt haben sich nur alle gleichzeitig Gott zugewandt, und wie ich am 10. Januar den Diplomaten erklärt habe, wandelt dieses demütige und selbstlose Gebet bereits das Herz des Menschen. Es weckt eine Dynamik, die den Menschen zur Wahrheit seines Seins hinführt, ihn von seinen Leidenschaften befreit und ihm Geistund Herz öffnet. Ja, das echte Gebet ist weit davon entfernt, den Menschen auf sich selbst zu konzentrieren oder die Kirche selbstbezogen zu machen; es macht vielmehr zur Sendung und zum echten Apostolat bereit. In Lourdes haben die französischen Bischöfe im Jahre 1973 eine bemerkenswerte Gewissenserforschung zum Gebet vorgenommen (vgl. Eine Kirche, die feiert und betet, Le Centurio, 1974). Sie haben dabei einige Feststellungen getroffen bzw. Fragen gestellt. „Die Kirche engagiert sich nicht zu viel, aber sie kann sich schlecht engagieren ... (Sie) muß sich in Gemeinschaft mit den Menschen engagieren wie Christus, ohne dieses Engagement einzuschränken. Bedingung ist nur, daß sie sich in die Einsamkeit mit Gott zurückzieht, daß sie betet“. Aus dieser Studie ergab sich der Wunsch, auf diözesaner Ebene solle die Pastoral des Gebetes nachdrücklicher in Erwägung gezogen werden (vgl. S. 103 f.). Paul VI. schloß seinerseits die Ansprache an die französischen Bischöfe 1977 mit den Worten: „Die Kirche in Frankreich muß das Verhältnis 1902 AD-LIMINA-BES UCHE zwischen Aktion und Kontemplation tiefer bedenken und besser ins Gleichgewicht bringen.“ (Ansprache an die Bischöfe der Region Ost vom 5. Dezember 1977). Heute gehen zahlreiche Unternehmungen in diese Richtung. Die meisten Diözesen haben die Gebetsinitiativen gefördert und „Räume“ für das Gebet geschaffen. Man bemüht sich, zum Gebet hinzufuhren, und eben dies möchte ich ermuntern. 7. Im übrigen stellt ihr überall eine Erneuerung des Gebetes fest, auch wenn sie erst begrenzte Kreise betrifft. Man spricht immer mehr von einer Rückkehr zum „Religiösen“, zum Heiligen. Man hat auf diesem Gebiet zahlreiche Untersuchungen angestellt, um den Wert oder zuweilen auch die Zweideutigkeiten festzustellen. Es stimmt, daß dies vor allem die Ablehnung einer nur auf das Nützliche eingestellten, anonymen Gesellschaft bedeutet, die ihren Lebenssinn verloren hat, und damit ein Suchen nach dem Geschenk, nach einem persönlichen Verhältnis und nach dem Sinn des Lebens bedeuten kann. Es kann darin auch der Wunsch nach Kreativität, nach Fest und Feier zum Ausdruck kommen. Es kann eine Relation gegen die Entsakralisierung sein, die auch die Christen betroffen hat, wenn sie sich allzu viel vom Betrachten zurückziehen wollten. Es kann aber auch zu einer falschen „Mystik“ entarten, zu einer Suche nach magischer Wirkung und zur Zuflucht in okkulte Mächte. Man kann wenigstens vermuten, daß diese Rückkehr zum Heiligen das Unbefriedigtsein angesichts einer in ihrem praktischen Materialismus oder in ihren wissenschaftlichen Errungenschaften verschlossenen Welt sichtbar macht. Die Hirten müssen das aufgreifen und in Achtung vor der jeweiligen Freiheit eine solche Evangelisierung fördern, denn hier liegen Chancen für einen Fortschritt im Gebet. Möchte es uns gelingen, den personalen Charakter Gottes aufzuzeigen, den man tastend sucht, dazu die selbstlose Verfügbarkeit des Gebetes, das auf den Willen Gottes achtet und sich so mit dem kindlichen Gebet Christi verbindet. Erleichtert wird das Gebet noch durch eine Wertschätzung des Reichtums der Volksfrömmigkeit, die man freilich unbedingt noch mehr für den trinitari-schen Glauben und für die Gemeinschaft mit der Kirche und für die wahre Liebe öffnen muß, wie ich es euren Mitbrüdern aus der Region Provence-Mittelmeer 1982 gesagt habe. Doch gibt es heute eine weitere Chance, die der in der katholischen Kirche und in anderen kirchlichen Gemeinschaften zahlreichen Gebetsgruppen, die spontan und unvorhergesehen entstanden sind. Das Gebet kann sich dort in klassischer Weise entfalten; es wird durch Äußerungen großer Begeisterung 1903 AD-LIMINA-BES UCHE genährt. Mehr als ein Bischof hat diese Bewegung nach einem eingehenden Begutachten bejaht. Man muß ja immer darüber wachen, daß hinter dieser Form des Gebetes auch die echte Liebe steht, seine kirchliche Qualität in Zusammenhang mit den Dienern der Sakramente deutlich gewahrt wird und die Pflichten der Liebe und Gerechtigkeit nicht zu kurz kommen. Im übrigen soll die Dynamik und Hochherzigkeit dieser Gruppen die anderen Initiativen bei der Animation der Pfarrgemeinschaften nicht behindern. Doch mit entsprechender Unterscheidung kann man von einer zur rechten Zeit geschenkten Gnade sprechen, die die Kirche heiligen und den Geschmack am Gebet neu wecken will, um zugleich mit dem Heiligen Geist den Sinn für das Gnadenhafte, für freudiges Lob und das Vertrauen auf die Fürbitte zu fördern und zu einer neuen Quelle der Evangelisierung zu werden (vgl. die Ansprache an die Bischöfe der Region Süd von 1982). Wir müssen noch weiter blicken und alle unsere Diözesanen für die Notwendigkeit des Gebetes aufgeschlossen machen, selbst die Fernstehenden, die das Gebet aufgegeben haben oder im Glauben schwach geworden sind. Das Beispiel der Bekehrung des Charles de Foucauld, deren Jahrhundertfeier wir bald begehen, ist hier kennzeichnend. 8. Praktisch gilt es, die verschiedenen Formen des Gebetes zu fördern in der Überzeugung, daß jeder Christ und die Kirche selbst ein Tempel des Heiligen Geistes ist und daher aufgerufen. ist, das ständige Gespräch mit Ihm zu pflegen. Am Ende meiner Homilie zur Seligsprechung von P. Chevrier habe ich die Kirche Frankreichs aufgerufen: „Denke an den Heiligen Geist, der in dir wohnt und in dir täglich einen neuen geistlichen Frühling erwecken kann, wenn du es wirklich verlangst.“ (4. Oktober 1986, Nr. 7). Viele Christen wären noch mehr zu einem persönlichen Gebet in ihrem täglichen Leben fähig, sei es in der Form des Gebetes, der Schriftbetrachtung, der Anbetung oder des Rosenkranzes. Es liegt an uns, an unseren Priestern und Erziehern, sie auf diesem Weg zu ermuntern, ihnen zu helfen, wie sie dem Gebet entsprechend Zeit widmen und ihnen zeigen, wie sie die Voraussetzungen dafür schaffen können. So werden sie aus ihrem Leben leichter eine geistige Opfergabe machen, wie es für das Priestertum eines jeden Gläubigen charakteristisch ist. Natürlich erneuert sich der Sinn für das Gebet auch in der lebendigen Teilnahme an der Liturgie. Betont' daher vor euren Priestern und ihren Mitarbeitern im liturgischen Dienst, daß sie die Würde der Feier und Gesten, die Qualität der Lesungen, die Schönheit des Schmucks und des Gesanges noch steigern. Es muß hier ein Klima geschaffen werden, das auch bei aller Einfachheit dazu hilft, sich in die Gegenwart des Herrn zu versetzen, sein Wort aufzunehmen 1904 AD-LIMINA-BESUCHE und seine Gegenwart in seinem mystischen Leib anzubeten. Es gilt, sowohl die äußerliche Teilnahme wie die innere und geistliche am Paschamysterium Jesu Christi zu pflegen. Die Synode von 1985 hat es unterstrichen: „Die Liturgie muß sehr klar den Sinn für das Heilige fördern und ihn aufleuchten lassen. Sie muß vom Geiste der Ehrfurcht vor Gott, der Anbetung und seiner Verherrlichung durchtränkt sein.“ (SchlußberichtIL, B, b, 1). Auch wenn einige Gläubige mit dem liturgischen Gebet wenig vertraut scheinen, ist es gerade dies, was sie mehr oder weniger bewußt erwarten, um sich Gott zuzuwenden. Die Teilnahme an der sonntäglichen Eucharistiefeier ist derart wichtig, daß ich bei Gelegenheit darauf zurückkommen werde. 9. Worauf ich aber abschließend bestehen möchte, ist dies, daß alle Aspekte der Pastoral vom Geist des Gebetes gekennzeichnet und erhöht werden müssen. Ich kann das hier nur eben in Erinnerung rufen. Auch die Katechese muß dem Gebet weiten Raum lassen. Zu ihrem Inhalt gehört nicht nur der Sinn für das Gebet, und nicht nur das, was in der Offenbarung entdeckt worden ist, muß sich im Gebet ausdrücken; der Katechet selbst muß vielmehr das Beispiel eines Mannes oder einer Frau geben, die beten, ja noch mehr: er/sie muß möglichst weitgehend mit den Wahrheiten des Glaubens zugleich die Frucht der eigenen geistlichen Erfahrung übermitteln, die von ihm/ihr her ausstrahlt. Ähnlich ist die lehrmäßige und pastorale Bildung der Erwachsenen, auf die ihr alle großen Wert legt, unabtrennbar von einer geistlichen Bildung, wie euer Regionalbericht ja betont. Ihr stellt fest, daß selbst die wenig praktizierenden Christen an den großen Schwerpunkten ihres Lebens zu den Sakramenten hinzutreten. Natürlich leidet ihr darunter, daß sie die Sakramente mit einem mangelhaften Glauben erbitten, doch die Vorbereitung auf diese Sakramente, die einen Teil des Lebens eurer Priester beansprucht, ist zugleich eine wunderbare Gelegenheit, das Gebet neu zu entdecken. Jene, die bei christlichen Bewegungen mitmachen, müssen das Gebet ebenfalls zum Herzen ihres apostolischen Bemühens machen, denn der im Gebet gereinigte Glaube läßt sie erst die Welt hoffnungsvoll als Ort des möglichen Heiles erblicken, wo Gott durch seinen Geist bereits präsent ist. Zugleich schärft es ihren kritischen Sinn, der es vermeidet, das Reich Gottes mit der Gleichförmigkeit der Welt zu verwechseln. Ohne dies würde „der Kampf ‘ zu einer rein menschlichen Aktion, die auf kirchlicher Ebene ferner steril wäre oder verschwinden würde. Glücklicherweise haben viele von euren Apostolatsbewegungen die Notwendigkeit des Gebetes, der Schriftlesung, der Sakramente der Eucharistie und der Versöhnung sowie der Einkehrtage und Exerzitien neu entdeckt. 1905 AD-LIMINA-BESUCHE Ein weiterer Kristallisationspunkt ist ferner der der Berufungen zum Priester- und Ordensstand, der euch stark beschäftigt. Die pastoralen Pläne für Berufungen werden natürlich unfruchtbar bleiben, wenn ein Klima des Gebetes fehlt. Gewiß genügt Frömmigkeit allein nicht, um für das Dienstpriestertum brauchbar zu werden, aber man kann nicht Priester werden wollen, noch sich gebührend darauf vorbereiten, wenn es nicht zu einem persönlichen und häufigen Dialog mit dem lebendigen Gott kommt. Die Berufung ist die Frucht einer geistlichen Erfahrung. Ich kenne den Fall eines eurer Mitbrüder, der sein Seminar vor allem erneuert hat mit Jugendlichen, die ein Pfarrer jede Woche versammelte, um sie in der Lehre auszubilden und in ein anspruchsvolles Gebetsleben einzuführen. Ist das nicht ein kostbarer Hinweis für das bedrückende Problem des Nachwuchses? In Ars habe ich genügend daraufhingewiesen, daß die geistliche Ausbildung das ganze Leben der Seminaristen prägen und das Gebet unseren ganzen Dienst als Priester und Bischöfe begleiten muß. Die Instimte des gottgeweihten Lebens aber werden in dem Maße blühen, wie ihr Gebetsleben blüht. Das Gebet muß dann vor allem in der Familie gepflegt werden, wo die Kinder schon im zartesten Alter lernen können, sich gemeinsam mit ihren Eltern an Gott zu wenden. Wir werden diesen Punkt bei den jungen Familien nie genug betonen können. Wie ihr in euren Berichten bemerkt habt, hat die Pfarrei viele Funktionen, auf die ich bald zurückkommen werde. Sie muß auch und vor allem ein Ort des Gebetes sein; sie muß die Feiern und das Gebet in Sammlung und Anbetung, zumal vor dem allerheiligsten Sakrament fördern. Dies hängt zum Teil auch vom Beispiel der Priester und vom Klima ab, das in der Kirche herrscht. <73> <73> Nicht nur die Kirche bekommt vom Gebet Anregung für alle ihre pastoralen, missionarischen und ökumenischen Tätigkeiten; durch das Zeugnis des Gebets leistet die Kirche der ganzen Gesellschaft einen hervorragenden Dienst, braucht doch die Welt mehr denn je Innerlichkeit. Sämtliche Bereiche des menschlichen Lebens scheinen heute vom Jagen nach Profit, nach Vergnügen und vom Lärm der Medien erfüllt zu sein. Der Mensch braucht ebenfalls längere Zeiten des Schweigens, interessenungebundene Kontemplation und echte personale Beziehungen. Das Gebet aber erfüllt diese Bedürfnisse in ihrer tiefsten Dimension. Es öffnet für das Absolute und führt zur Liebe. Möchten wir doch, liebe Brüder, unter den ersten sein, die zum Gebet hinführen. Das Marianische Jahr, das bald beginnt, wird eine gute Gelegenheit bieten, unser christliches Volk mit der Jungfrau Maria in die Haltung des Gebetes einzuüben, wofür sie das vollkommenste Vorbild ist. 1906 AD-LIMINA-BES UCHE Ich bitte den Heiligen Geist, er möge euch mit seinem Licht und mit seiner Kraft erfüllen, und ich erteile euch aus ganzem Herzen meinen Apostolischen Segen. Mit euch aber segne ich zugleich alle eure Diözesanen. Die Moral dient der Würde der Person Ansprache an die französischen Bischöfe der Region Südwest bei ihrem Ad-limina-Besuch am 6. Februar Liebe Brüder im Episkopat! 1. Ich schätze das Vertrauen, in dem ihr mit mir eure Sorgen als Hirten und eure Hoffnungen austauschen wollt. Ihr habt in eurem Regionalbericht und in der Ansprache eures Präsidenten die konstanten Elemente genannt, die bei aller Verschiedenheit eurer zehn Diözesen gemeinsam sind, die sich am Atlantik entlang von Mittelfrankreich nach Süden, von Poitiers bis Bayonne erstrecken. Ihr sprecht von schwer zu meisternden Herausforderungen und von neuen dynamischen Entwicklungen, ferner von durchgeführten Bemühungen, mitten in der Welt den Glauben zu bezeugen und ebenso die christlichen Gemeinschaften anzuregen. Ich mache mir die besondere Aufmerksamkeit zu eigen, die ihr dem Problem des Glaubens der Jugend, dem Dienst eurer Priester und den Berufungen schenkt. Ich ermuntere euch ferner, eure Christen auf ihre verantwortlichen Aufgaben vorzubereiten, nämlich mit ihnen eine neue Evangelisierung zu fördern, und die lebendigen Kräfte der Diözesen in Organen, wie den Synoden, zusammenzufassen, wobei ihr immer eure Aufgabe des Annehmens und der Unterscheidung wahmehmt, wenn es um Treue und Gemeinschaft geht. Zu der brüderlichen Zusammenarbeit, die ihr unter euch aufgebaut habt, beglückwünsche ich euch. Ihr habt gesagt, ihr empfindet ein Gefühl der Armut; ich will mit euch glauben, daß es sich um eine Armut im Sinn des Evangeliums handelt, die auf das Wachstum blickt, das Gott eurer Saat schenken wird, und ich lade euch ebenfalls ein, weiter in Hoffnung den Samen auszustreuen. Ich kann jetzt nicht mit euch alle Themen ansprechen, die oft die gleichen sind wie in anderen Regionen. Besonders ist mir aufgefallen, was ihr zur gegenwärtigen Lage der Familie feststellt. „Die Probleme, die sich bei Familie und Ehe stellen, scheinen die dringendsten und schwerwiegendsten zu sein wegen der Auswirkung, die sie auf Gesellschaft und Kirche haben.“ (euer Bericht, Nr. 7). Ich möchte heute ein wenig bei der Familienpastoral verweilen. Doch vor allem scheint es mir gut, über die Sendung der Kirche bei der Belehrung 1907 AD-LIMINA-BES UCHE und Formung des Gewissens in der fundamentalen und speziellen Moral nachzudenken. Wir haben hier nämlich einen Schlüsselbereich vor uns, wo die von euch genannten Herausforderungen besonders deutlich werden: die Säkularisierung und der Bruch zwischen dem Evangelium und der Welt. 2. Wie viele Länder im Westen, so erfahrt auch euer Land auf dem Gebiet der Moral ernsthafte Schwierigkeiten. Auf der einen Seite hat die Freiheit der Verhaltensweisen und Ideen Verwirrung und eine Haltung der Zügellosigkeit hervorgerufen. Auf der anderen Seite hat die harte Kritik der Institutionen und aller moralischen Autoritäten die Wirkung eurer Stellungnahme in der öffentlichen Meinung belastet. 1982 hatte ich mit euren Mitbrüdern der Region Ost von diesem Tiefstand der moralischen Werte gesprochen, der nicht neu ist, aber wirklich schwerwiegend, weil Überzeugungen fehlen, ja sogar der tiefere Sinn der Existenz in eine Krise geraten ist. Heute sprechen die Beobachter von einer gewissen „Rückkehr der Moral“ aufgrund der Notwendigkeit fester Regeln und gemeinsamer Normen angesichts einer sozialen Auflösung, die beunruhigt; sie sprechen auch davon, weil von gewissen „Fortschritten“ der Wissenschaft schwierige Fragen geweckt wurden. Hier liegt zweifellos eine Chance vor, die wir ergreifen sollten, doch das Phänomen genügt in sich selbst nicht, um eine echte Ethik zu begründen. Einige unserer jungen Zeigenossen schwanken zwischen einem sie umgebenden Nihilismus und wunderbaren Gesten der Hochherzigkeit. Hier gilt es, die Möglichkeit einer vertieften Reflexion anzubieten, um das Zweideutige einer Situationsethik zu beseitigen, die nur das gelebte Leben rechtfertigen soll, und um die Gefahr hochherziger Absichten aufzudecken, die schöne Gefühle mit dem wirklichen Wohl der Menschen verwechseln. 3. Diese Aufgabe gehört zu unserem Auftrag als Prediger des Wortes Gottes, als Bildner der Gewissen und als Hirten. Gemeinsam mit euren Priestern habt ihr oft Gelegenheit, in der Predigt zu ermahnen, zu bestimmten sozialen Fragen Stellung zu nehmen oder euch für die Menschenrechte einzusetzen. Doch das genügt zweifellos nicht für eine systematische Bildung der Gewissen, wobei sämtliche Punkte der speziellen Moral genau dargelegt und diese in eine Gesamtsicht der Grundlagen der Ethik integriert werden. Wenn sie Moral lehrt, will die Kirche der Würde der Person dienen, das Gewissen aufwecken und dem Menschen die Wege seiner Entfaltung im Guten aufzeigen, auf das hin er innerlich angelegt ist, und das in Gott seine Quelle und Fülle hat. Jesus faßt die Moral in dem Gebot der Liebe zu Gott zusammen, das mit dem der Liebe zum Nächsten verbunden ist. Denn im Nächsten tritt Gott selber vor uns hin mit seiner absoluten Forderung nach Achtung und 1908 AD-LIMINA-BES UCHE Gerechtigkeit und mit seinem Aufruf zur Freundschaft, die man schenkt und empfängt. In den Augen der Christen liegen die Menschenrechte, untrennbar von den Pflichten, auf dieser Ebene. Ein ethisches System ohne Bezug auf ein transzendentes Prinzip ist zur Schaffung von absoluten moralischen Werten unfähig. Es bleibt in der Praxis schwach und in seiner Dauerhaftigkeit gefährdet. Die christliche Offenbarung aber schenkt ihrerseits den ethischen Normen eine Intensität, einen Sinn und eine Hoffnung auf Erfüllung, die die ganze Existenz durchdringen. 4. Die christliche Liebe, die der Moral zugrundeliegt, ist kein vages Gefühl. Sie hat einen genauen Inhalt, der in den Geboten vorliegt (vgl. Joh 14,15; 15,10). Unsere Gläubigen müssen gut den Zusammenhang zwischen Gesetz und Gnade verstehen. Wir haben hier zwei Formen der Hilfe vor uns, die Gott dem Menschen schenkt, damit er sein Ziel erreichen, lieben und im Bund mit ihm leben kann. Das um die Zehn Gebote kreisende Gesetz bildet das Gewissen des Menschen, es humanisiert, bringt ihn in Übereinstimmung mit seinem glücklichen Ziel und öffnet für die Gnade als Geschenk des Heiligen Geistes. Das Gesetz des Geistes wird uns innerlich: durch die Gnade ist der Mensch befreit und kann sein wahres Glück erkennen, indem er den paradoxen Weg der Seligpreisung geht. <74> <75> <74> Die Hirten müssen die Gewissen bilden, indem sie das Gute gut und das Böse böse nennen. Sie weisen auf das Gesetz hin, verkünden aber zugleich die Gnade und Barmherzigkeit, die in den Sakramenten der Kirche gefeiert werden. Der Geist der Wahrheit ist den Gläubigen nicht unabhängig von der Kirche verliehen worden, daher muß die Morallehre dem Lehramt gegenüber offen und gelehrig sein und in der Communio mit der Kirche dargestellt werden. Das II. Vatikanische Konzil hat an die Vollmacht der mit dem Nachfolger des Petrus vereinten Bischöfe auf dem Gebiet des Glaubens, aber auch auf dem der Sitten hingewiesen (vgl. Lumen gentium, Nr. 25). Dem Lehramt der Bischöfe kommt daher die Aufgabe zu, über die Unversehrtheit des Glaubens und über die Richtigkeit der Lehre zu wachen und auch auf dem Gebiet der Moral tätig zu werden. In Gemeinschaft mit ihnen und mit dem Nachfolger des Petrus muß der Priester oder Moralprofessor in seiner Predigt oder Lehrtätigkeit die Zehn Gebote, die Vorschriften des Evangeliums und die von der Überlieferung der Kirche entwickelten Anwendungen integrieren. Er muß unter anderem die Achtung vor dem Leben vom ersten Augenblick seiner Empfängnis bis zum 1909 AD-LIMINA-BESUCHE Tod in Er innerang rufen, die Würde der ehelichen Vereinigung und der menschlichen Fortpflanzung bezeugen, wozu die Treue der Ehegatten und ihr Entschluß gehören, nur einer durch den anderen Vater und Mutter zu werden. Er muß auch die Schönheit der christlichen Jungfräulichkeit aufzeigen. Er muß ferner die vielfältigen mit Gerechtigkeit und Frieden zum Gemeinwohl der ganzen Gesellschaft verbundenen Aufgaben erklären, endlich alle Rechte des Menschen heraussteilen und aufzeigen, daß eine Gesellschaft ohne bevorzugte Liebe zu den Kleinen und Armen nicht wahrhaft menschlich sein kann. Wie der Hausvater im Gleichnis (vgl. Mt 13,52) wird er aus seinem Schatz Altes und Neues hervorholen. Die Übernahme alter Gedankengänge schafft Bleibendes und kann uns viele mühsame Umwege ersparen, weil sie uns begreifliches Handwerkszeug und Instrumente der Analyse bereitstellt. Im übrigen fordern die Probleme von heute und die modernen philosophischen Gedankengänge die Christen zu einer vertieften ethischen Reflexion auf, denn über das Licht des Glaubens hinaus ist auch das philosophische Bemühen notwendig, um die Grundlagen des praktischen Handelns auf seiner Ebene zu klären. 6. Wenn eine grundlegend christliche Moral den objektiven Gehalt des Planes Gottes mit dem Menschen durch eine Analyse der ethischen Normen verdeutlicht und entfaltet, kann man sagen, daß sie deswegen nicht aufhört, das subjektive Suchen des Menschen in Ehren zu halten. Sie berücksichtigt seine Absicht. Sie hilft dem Menschen, nicht ohne Aszese, auf den Wegen einer echten Freiheit voranzuschreiten. Weit entfernt davon, ihm seine Verantwortung oder seine wertende Initiative zu nehmen, verstärkt sie diese sogar. Ja, die Moral ist ein Aufruf an die Freiheit, aber in der Wahrheit. Sie auszusprechen ist ein prophetischer Akt, der das Heil des Menschen in seinem Glück in Gott sieht. Sie bedeutet für jedes Gewissen die Hoffnung auf eine Auferstehung, eine Botschaft der Lebensqualität. Vor unseren Zeitgenossen, zumal vor denen, die die Autorität der Kirche nicht ohne weiteres anerkennen, muß man nicht nur die Moral darlegen, sondern sie vielmehr ohne Demagogie davon überzeugen, daß sie ihrem eigentlichen Wohl und dem der Gesellschaft dient, daß sie ihre Freiheit wahrt und ihre Würde in der Öffnung für die Transzendenz der Liebe Gottes fördert. <76> <76> Es bleibt die praktische, pastorale Frage, wie man heute diese moralische Bildung sicherstellen soll. Es liegt an euch, die entsprechenden Wege zu suchen: in der Katechese der Kinder und Jugendlichen, ferner in der Erwachsenenbildung, bei den Versammlungen oder Tagungen der Bewegungen, beim Mühen der Erzieher und in der Pädagogik der katholischen Schulen. Semina- 1910 AD-LIMINA-BES UCHE risten und Priester müssen besonders die Grundlagen der christlichen Moral studieren. Die Universitäten aber sind aufgerufen, eine vertiefte Morallehre vorzutragen. Verstehen wir schließlich, die gewaltigen Möglichkeiten der Medien genügend auszunützen, um die Morallehre der Kirche bekannt und verständlich zu machen? Wenn wir das tun, vergessen wir trotzdem nicht, daß der entscheidende Einfluß im allgemeinen durch das Zeugnis von Mensch zu Mensch ausgeübt wird, nämlich von Christen, die die Frohbotschaft leben als einen Aufruf zum besseren Leben. Es geht freilich nicht darum, Glaube und Theologie aus ihrer Rolle als Garantie der Moral zu entlassen, wie es uns eine weniger gläubige Welt gerne nahelegen möchte. Die Moral ist auf ihrem Gebiet von entscheidender Bedeutung als logische Konsequenz des Glaubens. Doch grundlegend ist das theologale Leben. 8. Diese Überlegung über die fundamentale und die spezielle Moral findet eine besondere Anwendung im Bereich der Familie. Die Familie ist jener Ort, wo die Persönlichkeit der Erwachsenen von morgen geprägt wird. In ihr steht die Zukunft der Gesellschaft auf dem Spiel. Die Beschränkung des Gesprächs gestattet mir kaum, dieses Thema zu entfalten. Das Wesentliche ihrer Lehre hat die Kirche im Apostolischen Schreiben Familiaris consortio neu formuliert. Dazu kommen die zahlreichen neueren Äußerungen des Lehramtes. Ich war glücklich, als ich darüber in Paray le Mo-nial bei der Betrachtung über die Liebe des Herzens Jesu vor zahlreichen Familien sprechen konnte. Ihr selbst habt die Familienpastoral in mehreren Versammlungen behandelt (zumal in Lourdes 1981). Ich ermuntere euch, täglich euer Wirken zur Unterstützung der Familie weiterzuführen, indem ihr euch auf die positiven Zeugnisse des Familienlebens stützt. Vielleicht als Reaktion auf den anonymen Charakter der Gesellschaft und als Gegengewicht zu den großen Massen erscheint die Familie mehr und mehr als wichtigster Ort für das Glück, und die Liebe wird wieder als Grundwert der Ehe geschätzt. Wir besitzen hier eine gewisse Chance für die Förderung der Familie, manches ist aber auch zweideutig. Wie ihr 1981 in Lourdes gesagt habt, „läuft die Privatisierung der Liebe die sehr schwere Gefahr, zur Illusion und zum Tod der wahren Liebe zu werden“. Allzu oft wird die soziale und institutioneile Seite der Sexualität abgelehnt. Vor allem verkennt man die Forderungen der Familienmoral und schränkt die Rolle der Familie in Gesellschaft und Kirche ein. Ja, bei euch und in den meisten sogenannten „entwickelten“ Ländern ist die Familie verwundet. Die Ehen werden durch die immer zahlreicheren Ehescheidungen bedroht. Das Zusammenleben von Jugendlichen nimmt in ge- 1911 AD-LIMINA-BESUCHE fahrlicher Weise zu. Man bereitet sieb schlecht auf die Ehe vor, und die Zahl der Kinder geht so weit zurück, daß die Erneuerung der Generationen bei jenen Ehepaaren nicht mehr gewährleistet ist, deren Liebe ohne Leben und deren Leben ohne Liebe ist. Die Abtreibung ist legalisiert und zu etwas Banalem und die demographische Sterilität zu einer Bedrohung geworden. Neu ist, daß man sich anmaßt, diese Entwicklung theoretisch zu rechtfertigen: Es würde sich um die Erfindung eines neuen Typs von Familie im Namen eines wahrhaft „selbstmörderischen“ sozio-kulturellen Relativismus handeln (vgl. La Documentation catholiqüe, 1982, S. 1059). 9. Wir sollten uns nicht damit begnügen, die Übel der Zeit zu beklagen. Ihr seid euch dessen bewußt. Ihr nennt ja die Christen „Salz der Erde“, die die Frohbotschaft von Ehe und Familie verkünden und den Männern, Frauen und Jugendlichen unserer Zeit Geschmack am Leben, die Freude wahrer Liebe, die vom Leben untrennbar ist, vermitteln sollen (vgl. Brief der Bischöfe von Frankreich; La Documentation catholiqüe, 1982, S. 1050 f.). Diese Verkündigung muß erfolgen, und man darf sich nicht von der Furcht, gebrandmarkt zu werden, einschüchtern lassen. Leider greifen die Menschen nur das Nein der Kirche auf. Gottes Antwort auf die menschliche Liebe ist aber ein begeistertes Ja. Er ist ja ihre Quelle und ihr eigentliches Ziel. Gott segnet die echte menschliche Liebe. Der Schöpfer hat sie gewollt. Christus, unser Heiland, aber hat sie so erhöht, daß er sie zum Widerschein und Sakrament seines unauflöslichen Bundes mit seiner Kirche gemacht hat. Das klare Nein der Kirche ist nur der Widerpart dieses begeisterten Ja, die Ablehnung aller Zerrbilder der Liebe. Denn je größer die Liebe ist, um so schrecklicher sind die Zerrbilder. <77> <77> In dieser positiven Perspektive sollt ihr eure Pädagogik mit zwei Schwerpunkten weiterführen. Unterstützt vor allem weiter das Bemühen so vieler überzeugter Christen, die aus ihrer Familie eine Art Hauskirche machen, wo das Gebet, die Hinführung zu gelebtem Glauben und gelebter Liebe einen bevorzugten Platz einnehmen und diese Christen zu Zeugen werden. Ermuntert alle, die in enger Zusammenarbeit mit euch in der Familienpastoral arbeiten, zumal in den verschiedenen Bewegungen für die Familie, wie die Spiritualität, die Erziehung oder die Unterstützung. Koordiniert sie in euren diözesanen und nationalen Gremien und seid überzeugt, daß diese Bewegungen einen guten Einfluß ausüben. Versucht zur gleichen Zeit die Jugendlichen zu unterstützen, deren Treue zum christlichen Sinn der menschlichen Liebe angesichts so zahlreicher Widersprüche und 1912 AD-LIMINA-BESUCHE Widerstände ein geradezu heroisches Zeugnis darstellt. Ermuntert alle, die ihnen den Sinn für ein Wort vermitteln, das man schenkt und hält. 11. Doch darf die Frohbotschaft nicht den Praktizierenden und auch nicht nur den Getauften Vorbehalten bleiben. Ich weiß um euer Bemühen, ihr Echo alle Erwachsenen und Jugendlichen vernehmen zu lassen. Gewisse Kreise wären bereit, wesentliche Erfordernisse der wahren menschlichen und christlichen Liebe zu verschweigen unter dem Vorwand, besser verstanden zu werden. Andere möchten im Gegenteil um der Treue willen eine schrittweise vorgehende Pädagogik empfehlen. Ihr seid mit Recht darauf bedacht, für alle zu sprechen und dabei gewisse Abschnitte auf dem Weg zu berücksichtigen, die aber nicht das schrittweise Reifen des Glaubens sind und in keinem Fall von dem aufrichtigen Willen, das göttliche Gesetz der Weitergabe des Lebens zu beachten, losgelöst werden dürfen (vgl. Familiaris consortio, Nr. 9, 34; Ansprache zum Abschluß der Synode, 25. Oktober 1980, Nr. 8). 12. Eure Aufgabe ist so gewaltig groß wie der Dekalog groß ist, auf der einen Seite das vom Evangelium vorgelegte Ideal, auf der anderen Seite die dem Evangelium massiv widersprechenden Praktiken, die von den allmächtigen und manchmal rücksichtslosen Medien verbreitet werden. Vielleicht kann gerade das übertriebene Aufgeben der Normen bei den Besten eine Art Umkehr und Bekehrung bewirken; sie spüren die Notwendigkeit, die Würde des Mannes, der Frau und des Kindes besser zu achten. Dann wird das Zeichen einer verklärten Liebe, das die Christen sämtlicher Altersstufen und Lebensverhältnisse in aller Demut Vorleben, zu einem Appell und Bezugspunkt, der den Menschen unserer Zeit ihr besseres Selbst sichtbar macht und sie auf den Weg der Fülle der Liebe und des Lebens führt, wie sie dem Plan Gottes entsprechen. Ich bitte den Heiligen Geist, euer ganzes Wirken auf dem Gebiet der Lehre, der Ethik und der Pastoral mit seinem Licht und mit seiner Kraft zu begleiten. Da ich vom Herrn den Auftrag habe, meine Brüder im Glauben und in der Hoffnung zu stärken, erteile ich euch aus tiefstem Herzen meinen Apostolischen Segen, den ich zugleich auf alle eure lieben Diözesanen ausdehne. 1913 AD-LIMINA-BESUCHE Die Christen müssen überall präsent sein Ansprache beim Ad-limina-Besuch der Bischöfe der französischen Region Ile- de-France am 27. Februar Herr Kardinal! Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Die Zeit der Reflexion, des Gebets und des Gedankenaustausches während eures Ad-limina-Besuches gibt uns die Gelegenheit zu dieser Begegnung. Ich freue mich, euch zu empfangen, denn in meinem Dienstamt räume ich den Gesprächen mit den Bischöfen der Welt eine besondere Bedeutung ein: es sind dies die Augenblicke, in denen unsere tiefen Bande im Bischofskollegium, mit dessen Vorsitz ich beauftragt wurde, konkret offenbar werden. Ihr tragt die Verantwortung für die Seelsorge in der Region Ile-de-France, einem stark urbanisierten Gebiet rund um eure Hauptstadt. Die Verhältnisse menschlicher und religiöser Hinsicht tragen die viellältigen Züge einer Gesellschaft, die in tiefgreifendem Wandel begriffen ist. Zwanzig Jahre nach der Errichtung neuer Diözesen in eurer Region stößt die Evangelisierung wegen einer Reihe entwicklungsbedingter Faktoren, die ihr in euren Berichten scharfsinnig analysiert, auf zahlreiche Hindernisse. Es wurde aber seither eine beachtliche Arbeit geleistet: ihr habt wirkliche Gründe zur Hoffnung. Ich möchte schon jetzt alle grüßen, die zusammen mit euch die Dynamik der Kirche in der Region Ile-de-France sicherstellen, die Priester, die Diakone, die Ordensmänner und Ordensfrauen, die müde sind und schwer an ihrer Last tragen. Ich bitte den Herrn, der sie in seine Nachfolge ruft, ihnen einen Teil ihrer Last abzunehmen und ihnen offenbar zu machen, daß mit ihm, „der gütig und von Herzen demütig ist, das Joch nicht drückt und die Last leicht ist“ (vgl. Mt 11,28-30). Zusammen mit den geweihten Priestern und Diakonen sowie den Ordensleuten möchte ich die zahlreichen Laien, Männer und Frauen, ermutigen, die mit hochherziger Einsatzbereitschaft zur Sendung der Kirche beitragen — als tätige Zeugen des Evangeliums in der Gesellschaft und verantwortungsvolle Mitarbeiter im Leben der Gemeinde. Zwei Bischöfe konnten aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen: versichert sie bitte meines Gebets und meiner herzlichen Wünsche. Einen besonderen Gruß richte ich an Msgr. Fihey, den für die Seelsorge bei den französischen Truppen zuständigen Bischof. Sagt ihm, wie hoch ich den Dienst der Militärgeistlichen bei den Berufssoldaten und den jungen Wehrpflichtigen schätze; alle diese Soldaten dienen für den Frieden, um ihn zu verteidigen bzw. zu gestalten. 1914 AD-LIMINA-BES UCHE Ebenso heiße ich Msgr. Ghabroyan, Eparchie-Bischof für die Armenier in Frankreich, willkommen; er möge den Gläubigen, deren Oberhirte er ist, meine Grüße und Wünsche übermitteln. Meine Wünsche gelten auch allen Katholiken des orientalischen Ritus, deren Oberhirte der Erzbischof von Paris ist. Ihren häufig von Prüfungen heimgesuchten Gemeinden ist es um so höher anzurechnen, wenn sie ihren religiösen Traditionen treu bleiben. 2. Im Verlauf dieser Begegnung werde ich nicht alle Probleme ansprechen können, die euch Sorge bereiten. Eine Reihe von ihnen wurden mit euren Mit-brüdem aus anderen Regionen behandelt, bei anderen wird das in der Folge der Fall sein. Heute will ich auf einige Themen zurückkommen, die soeben von Kardinal Lustiger erwähnt wurden, und einige Orientierungen vorschlagen für die Evangelisierungsaufgabe, die euch anvertraut ist. Eine Feststellung drängt sich auf, die manchmal entmutigend ist: in der Gesellschaft der alten Länder des Abendlandes, besonders in den großen Städten, existieren die christlichen Werte und die christliche Botschaft scheinbar nicht, aufgezehrt und erstickt von einer Zivilisation, in der der Pluralismus der Überzeugungen zu Orientierungslosigkeit führt und der Konses über den Sinn des Lebens und die Moralgesetze schwach ist. Der Individualismus wird zum Prinzip erhoben oder herrscht zumindest in der Praxis. Der religiöse Glaube wird auf einen streng privaten Bereich beschränkt. Der Pessimismus lastet auf einer Welt, in der man nicht mehr zu glauben wagt, daß es Glück für den Menschen geben kann. Und dennoch, so stellt ihr fest, hat sich euer Land nicht wirklich von seiner christlichen Geschichte, seinem geistlichen Erbe, seiner Taufe losgesagt. Die jungen um ihre Erinnerung gebrachten Menschen bekunden den Wunsch nach einem deutlichen Wort, das ihnen die Richtung weist. Eine Gesellschaft, die selbst die Fundamente der Menschenwürde ins Wanken geraten sieht, die es nicht mehr wagt, das Leben an neue Generationen weiterzugeben und sie in eine lebensfähige Welt zu entlassen, eine solche Gesellschaft wartet auf ein Wort der Hoffnung, ein Wort, das sie die Wahrheit, die Wirklichkeit des Menschen in allen ihren Dimensionen wiederentdecken läßt, eine würdevolle Sexualethik, eine gefestigte Struktur der Familie, eine wirkliche Gerechtigkeit im Wirtschaftsleben, den Sinn für menschliche Brüderlichkeit, der die Schwachen nicht ausschließt, sowie die Lebensinhalte, ohne welche die Freiheit nur enttäuschender Trug ist. Wir glauben, daß das Evangelium dieser Erwartung zu entsprechen vermag. Wir glauben, daß man in all diesen Bereichen sprechen muß, gelegen und auch ungelegen. Wir glauben, daß es das Glück einer freien Gesellschaft ist, ein Wort des Glaubens und der Liebe vernehmen zu können, das von Christus kommt und das der Geist in uns beglaubigt. 1915 AD-LIMINA-BES UCHE 3. Wenn die Würde des Menschen und seine Rechte auf dem Spiel stehen, ist es zuerst Sache der Hirten, die ihr seid, die Wahrheit, die frei macht (vgl. Joh 8,32) zu verkünden und überall dort zu heilen versuchen, wo der Mensch in seiner Würde verletzt wird. Es ist klar, daß es nicht genügt, wenn sich in der Öffentlichkeit einige Stimmen erheben. Die Christen sollen mit allen ihren Kompetenzen und im Einklang mit ihren Überzeugungen an allen Stellen des gesellschaftlichen und öffentlichen Lebens präsent sein, in allen Rängen, von den bescheidensten bis zu den Stellen mit höchster Verantwortung. Sie sollen zur Verbesserung der Gesellschaft und der Institutionen selbst beitragen! Sie sollen entsprechend ihren Fähigkeiten ihre Aufgaben im wirtschaftlichen Bereich wahrnehmen. In Achtung vor dem Wert der Arbeit sollen sie unermüdlich die Arbeitslosigkeit bekämpfen und ihrer erzieherischen Rolle nachkom-men. Sie sollen die Information klar zu lesen und zu prüfen verstehen! Sie sollen an der Sorge für die Kranken teilnehmen! Sie sollen in brüderlicher Weise Hilfe leisten! Sie sollen sich überall denen gegenüber respektvoll erweisen, die nicht ihrem Glauben angehören, ohne aber den Wunsch aufzugeben, daß auch diese Menschen ihrerseits den Glauben teilen! Mit dem Mut zur Deutlichkeit sollen sie die Werte des Evangeliums, von denen sie sich leiten lassen, bekräftigen. 4. Eine solche Treue kann fast nur dann gelebt werden, wenn die Christen gemeinsam aus den lebendigen Quellen schöpfen. Diese Quellen sind: die Gnade der Gemeinschaft mit Christus in der Kirche, der Reichtum der in einem anspruchsvollen Bildungsprozeß gemeinsam vertieften Reflexion, der Zusammenhalt einer Gemeinde, in der jeder ein Empfangender in dem Bemühen aller ist. Ich weiß, daß ihr die Initiativen vermehrt, damit die Christen in diesem Sinne voranschreiten können: vielfältige Bildungswege, flexible und bür-gemahe Kommunikationsmöglichkeiten durch das geschriebene Wort oder durch das Radio. Die letzten Generationen haben zu spüren bekommen, wie notwendig es war, sich zusammenzuschließen, um überhaupt Zeugnis geben zu können. Es haben sich zahlreiche Bewegungen gebildet, und andere entstehen zur Zeit. Manche streben das Apostolat in bestimmten Gesellschaftskreisen an, wie die bei euch weitverbreitete Katholische Aktion. Andere wählen sich als Bezugsfeld Berufsbereiche, wie das Gesundheitswesen, die Rechtspflege, das Unterrichtswesen. Wieder andere setzen sich die Erziehung der Jugend zum Ziel, die Vorbereitung der Familien, die Unterstützung des Familienlebens, die Förderung des religiösen Lebens ihrer Mitglieder. Einige schließlich widmen sich dem Dienen, insbesondere der karitativen Hilfe. Die neuen Bewegungen oder Gebetsgruppen erfahren gleichfalls eine große Ausweitung. Ich kann 1916 AD-LIMINA-BES UCHE hier nicht auf Einzelheiten eingehen. Das Bild, das ihr von diesen Bewegungen entwerft, ist eindrucksvoll. Wozu ich ermutige und was ich wünsche, ist, daß alle, ohne sich zu isolieren, beitragen zur Lebenskraft der Kirche, zur Aufnahme jedes Bruders, der darum bittet, zur Verkündigung des Herrn, der für jeden Menschen „der Weg, die Wahrheit und das Leben ist“ {Joh 14,6). 5. Bis jetzt habe ich, wenn man so sagen kann, eher an das christliche Wort erinnert, das es vernehmbar zu machen gilt. Das bliebe freilich schwach, wenn es nicht möglich wäre, die Kirche konkret zu sehen. Natürlich können sich in euren Städten und kleinen Orten die Gläubigen als Kirche versammeln. Aber wie oft hört man nicht davon, daß Katholiken besorgt darüber sind, eine Minderheit oder verstreute Gruppe inmitten einer sich ständig wandelnden und allzu anonymen oder beklemmenden Welt zu sein? Sie brauchen erreichbare, öffentliche und leicht zugängliche Gemeinden, wo sie ihren Glauben mit den anderen teilen, ihre christliche Erfahrung Wurzel fassen lassen, ihre Beziehung zu Gott im Schoße des in Christus begründeten Volkes feiern können. In den neuen Stadtteilen, in den sanierten Stadtvierteln bemüht ihr euch sehr, Stätten zu gründen oder wiederherzustellen, wo die Kirche das Aussehen und die Wirklichkeit einer Gemeinschaft besitzt. Ich denke an die Pfarreien und auch an andere christliche Institutionen. Es geht darum, daß die einen wie die anderen sehr lebendig sind, damit von hier die erste Verkündigung des Evangeliums an jene, die noch nie etwas davon gehört haben, ihren Ausgang nehmen kann und ebenso die unaufhörlich erneuerte Verkündigung, die für jeden notwendig ist. Diese Verkündigung muß echt sein, diese Stätten müssen vom Geist der Liebe bewohnt und beseelt sein, damit die Jünger Christi daran erkannt werden (vgl. Joh 13,35). Und niemand wird eine zu starke Präsenz der Institution zu fürchten haben, wenn sich an jeder Stelle Männer und Frauen darum bemühen, dem Geist Christi entsprechend der Wirklichkeit und den Menschen in ihrer Umgebung sorgfältig Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn es in den großen Städten notwendig ist, die Anzahl kirchlicher Einrichtungen zu verringern, damit sie einen menschlichen Zuschnitt erhalten und ihre Aufgabe besser erfüllen — fahrt in diesem Bemühen fort, und ich hoffe, daß es euch dabei nicht an Mitwirkung fehlen wird. <78> <78> Eine besonders auffallende Tatsache bereitet euch Sorge. Eine große Zahl eurer Landsleute erklären ihre Zugehörigkeit zur katholischen Kirche, und trotzdem unterhalten sie zu ihr nur eine schwache, partielle und vieldeutige Bindung. Sie erkennen sich sogar schlecht wieder in der Botschaft einer Kirche, von der sie jedoch den Zugang zu den Sakramenten fordern. Das ist eine 1917 AD-LIMINA-BESUCHE Wirklichkeit, die man bedauern mag, aber ist es auf ihre Weise nicht auch eine Chance? Wenn für diese Menschen die Kirche sichtbar und zugänglich bleibt, wenn die Gelegenheiten zur Begegnung in Wahrheit ergriffen werden, in den großen Augenblicken ihres Lebens, die man zu heiligen wünscht, dann kann man hoffen, den Weg zunehmend bis zum vollen Glauben an Jesus Christus und zur aktiven Teilnahme am Leben der Kirche zu führen. Ein einzigartiger Anspruch vor allem an die Hirten, für die es nicht naheliegend zu sein scheint, daß die Wahrheit des Sakraments von Personen erkannt werden kann, die kaum zu einem persönlichen Ausdruck des Glaubens gelangen! Aber recht oft können sie einen positiven Blick auf diese Brüder richten; sie sind darauf bedacht, die noch vorhandenen geistlichen Keime nicht geringzuschätzen, diese universale religiöse Sehnsucht, die in den großen Stunden des menschlichen Lebens aufbricht, diese Erinnerung an eine alte christliche Tradition oder eine religiöse Praxis aus der Kindheit oder Jugendzeit, der Wunsch nach einem würdigeren Leben, diese unausgesprochene Intuition, daß es im Symbol der religiösen Handlung etwas Wesentliches gibt. Mögen sie nicht müde werden, Pädagogen zu sein, die mit der lebendigen Gemeinde eine echte Tugend der Aufnahmebereitschaft teilen! Und mögen sie sich nicht allzu schnell entmutigen lassen, wenn sie feststellen, daß jene, die so „jahreszeitlich“ bedingt kommen, liturgischen Formen nachtrauern, die jedoch dem Wunsch des Konzils entsprechend erneuert werden mußten! Indem man sich hütet, eine verständliche Sehnsucht nach Vergangenem geringzuschätzen, wird man sorgfältig die unerläßlichen Merkmale unterstreichen, damit nichtpraktizierende Katholiken den Zusammenhang der heutigen Kirche mit jener der Vergangenheit wahrnehmen. Und vor allem sollen die Bischöfe alle ihre Anstrengungen entfalten, damit der etwas förmliche Schritt, dessen Zeugen sie sind, sich zur Annahme des Geschenkes Gottes entwickeln kann, zur Bereitschaft, das Leben nach dem Geist auszurichten, zur Erfahrung des Gebetes und der selbstlosen Liebe. <79> <79> Eine solche evangelische Offenheit in Hinblick auf Menschen, die sich nicht am ganzen Leben der Gemeinde beteiligen, ist eines der notwendigen Merkmale dafür, daß die Kirche ihrer Berufung zu Sammlung und Zusam-menführung entspricht, dem Geheimnis von Einheit und Gemeinschaft, das vom Konzil und von der letzten Synode 1985 so lebendig dargestellt wurde. Werdet nicht müde, zuzuhören und die Menschen zusammenzuführen. Die Großstadt, die isoliert und zerstreut, bedarf des Raumes, wo das Evangelium wahrgenommen und gelebt wird. Sie muß in einer Zeit, in der die Armut grausam sein kann und die Randexistenzen zunehmen, die verschiedenen Formen von Solidarität entfalten. 1918 AD-LIMINA-BES UCHE Ihr habt gerade gesagt, daß es vielen klar wird, daß die wirtschaftlichen Schwierigkeiten nachhaltige Konsequenzen haben werden, die ein entschiedeneres Miteinander nach sich ziehen. Wie sehr würde man wünschen, daß sich hochherziger Eifer in hellsichtigen und wirksamen Hilfsaktionen niederschlägt — sowohl im eigenen Land wie gegenüber den noch ärmeren Brüdern in der Ferne! Ihr habt recht, wenn ihr gegen Rassenhaß, gegen jegliche Schranke in der Gesellschaft ankämpft, deren Urheber nur allzuoft der urbane Lebensstil ist, der aus Unsicherheit und Angst manchmal zugeknöpfte und untolerante Haltungen hervorbringt. Die im Exil Lebenden haben das Recht, unter den Christen wahre Brüder zu finden. Ihr hebt die Bedeutung der Anwesenheit von Ausländem in eurer Region hervor: Hört nicht auf, die christliche Gemeinschaft aufzufordern, sich in einem echten Dialog den Werten zu öffnen, die diese Menschen einbringen können. Die Gläubigen anderer Religionen haben das Recht, respektiert zu werden, auch in uns die ganze Wahrheit des Christentums zu entdecken und so Hilfe zu erhalten in einer religiösen Haltung, die offen ist für die Fülle des Anmfes Gottes. 8. Als geistige Träger der Evangelisierung in diesen stark bevölkerten und vielschichtigen Diözesen, als erste Zeugen der Erlösung, als Verwalter der Geheimnisse Gottes habt ihr gewiß eine schwere, aber auch erhebende Aufgabe übertragen bekommen. Als Vorkämpfer dessen, was Paul VI. den „langen und vielgestaltigen Dialog“ nannte, „der von Gott ausgeht und zu einer wunderbar vielgestaltigen Zwiesprache mit dem Menschen wird“ (Ecclesiam suam, Nr. 72), leitet ihr eine echte „Polyphonie“ der Kirche: es sind zahlreiche Stimmen, und ihr Kontrapunkt ist mitunter schwierig, aber der Gmndton ist der des Herrn, die Harmonie ist in dem demütigen Gebet aller „Herzen, die hören“, zu finden. Möge Gott allen Mitgliedern eurer Diözesen die Gnade schenken, sich in der Sendung zu vereinen, zu welcher die Liebe hindrängt. Er segne euch in eurem Dienst ebenso wie alle in eurer Umgebung! 1919 AD-LIMINA-BESUCHE Systematische Katechese ist fähig, die Einsicht zu stärken und hat ihren Mittelpunkt in der Person Christi und in Gott, dem Schöpfer Ansprache an die französischen Bischöfe der Region Mitte-Ost anläßlich ihres Ad-limina-Besuches am 20. März Herr Kardinal, liebe Mitbrüder im Bischofsamt! 1. Es ist mir eine große Freude, hier mit euch zusammenzutreffen, während ich mit übervollem Herzen unserer Begegnungen in Lyon, Paray-le-Monial, Ars und Annecy gedenke. Wenn das christliche Volk eurer Diözesen mir einen so herzlichen Empfang zuteil werden ließ, so nicht zuletzt deshalb, weil ihr ihm bei der Vorbereitung auf diese Besuche geholfen habt. Diesmal seid nun ihr auf Pilgerfahrt zu den Gräbern der Apostel, die die Kirche in Rom gegründet und die ganze Kirche mit dem Zeugnis ihres Glaubens gezeichnet haben. Ihr bringt eure Einheit mit dem Nachfolger Petri und seinen Mitarbeitern und durch sie mit der Weltkirche zum Ausdruck. Gemeinsam wenden wir uns dem Herrn zu, der Urheber eurer Sendung ist und euch bei ihrer Durchführung leitet und unterstützt. Ich konnte feststellen, daß ihr, den Worten des hl. Franz von Sales gemäß, euren Fünfjahresbericht folgendermaßen beschließt: „Möge der Heilige Geist in uns die Uhr aufziehen ... und sie richtiger schlagen lassen!“ Wenn, wie ich in Lyon zu Kardinal Decourtray sagte, der Papst das Charisma zum Dienst für die Weltkirche hat, so habt ihr das Charisma zum Dienst für eure Ortskirchen und, im Licht des Glaubens und der allen gemeinsamen Disziplin, steht euch die Anwendung der eurem Volk entsprechenden pastöralen Hilfsmittelzu. In diesem Sinn habt ihr mir von fünf Schwerpunkten berichtet, die für eure Hirtensorge richtungsweisend sind. Ich ermutige euch lebhaft, in diesem Sinn weiterzuarbeiten. Ich komme nicht nochmals auf das zurück, was ich bereits im Lauf meiner Reise oder mit euren Mitbrüdern aus anderen Regionen besprochen habe. Im übrigen behandelten wir 1982 die Evangelisierung der Welt der Arbeit, ein ständig brennendes Problem, auf das uns die Seligsprechung von Pater Chevrier hingewiesen hat. Mein Vertrauen und mein Gebet begleiten euch stets in der Erfüllung eurer schwierigen Aufgabe, für die ich euch Urteilskraft, Mut und Hoffnung wünsche. Mögen die angehörigen eurer Diözesen — die Laien, Ordensleute und Priester — stets mit euch in Ausgewogenheit, Vertrauen und Einheit zusam- 1920 AD-LIMINA-BESUCHE menarbeiten, was für den Fortschritt des Volkes Gottes, für den ihr volle Verantwortung tragt, unerläßlich ist. Heute scheint es mir angezeigt, mit euch die Frage der Katechese zu behandeln, die für euch und für alle Bischöfe von vordringlicher Bedeutung ist; ich werde einige Überlegungen über die christliche Bildung der Erwachsenen hinzufügen, von der alle Berichte über eure Diözesen handeln, sowie über die Pastoral im Milieu der Intellektuellen. 2. Ja, es ist berechtigt, daß ihr euch sehr um die Katechese der Kinder und Jugendlichen bemüht. In Lyon brachte ich nur eine Tatsache zum Ausdruck, die in vielen Berichten wiederkehrt: der Mangel an religiösem Wissen breitet sich auf beängstigende Weise aus und damit wird die Notwendigkeit einer klaren und begeisternden Darlegung des Glaubens umso dringender (vgl. Homilie bei der Eurexpo, 4. Oktober 1986, Nr. 6). Wir haben gemeinsam die Persönlichkeit des sei. Antoine Chevrier betrachtet, der schon zu seiner Zeit die Armen von der religiösen Unwissenheit befreien wollte und in der Katechese „die große Sendung des Priesters von heute“ sah. In Frankreich habt ihr seit langem versucht, dieser Herausforderung, die sich nicht auf die Unwissenheit beschränkt, sondern die verbreitete religiöse Gleichgültigkeit einschließt, zu begegnen. Ihr habt die katechetischen Methoden im Hinblick auf eine missionarische Situation erneuert. Darüber habe ich 1982 mit den Bischöfen der Ile-de-France gesprochen. Die diesbezüglichen Versuche und Maßnahmen haben Schwierigkeiten mit sich gebracht und erfordern ständig euer Engagement und eure Aufmerksamkeit. Viele eurer Katechisten konnten bei dieser Gelegenheit — ohne Verzicht auf den apostolischen Eifer, der sie beseelt und der durchaus lobenswert ist — die verschiedenen Erfordernisse der Verkündigung des Evangeliums und der Glaubensweitergabe wahmehmen. Die Zeit, die kritische Überprüfung der Methoden in einem konstruktiven Dialog zwischen allen Beteiligten, die von den verantwortlichen Hirten oder den römischen Dienststellen erhobenen Fragen und das entspannte Klima wurden zur Gelegenheit für eineReifung; diese wiederum gestattete eine bessere Wahrnehmung der Beziehungen zwischen dem Inhalt und den Methoden, zwischen Erfahrung und Glauben und ermöglichte es, jene Menschen zu evangelisieren, die im familiären Milieu keine christliche Erziehung empfangen haben, und alle zu den wesentlichen Elementen des Glaubens mit genaueren oder vollständigeren Begriffen hinzuführen, ohne die freie Zustimmung des Herzens, das Gedächtnis und das Zeugnis der Gemeinde außer acht zu lassen und immer von dem Wunsch beseelt, Anwendungen auf das Leben zu finden. In diesem Bereich ist immer große Verfügbarkeit erforderlich; die Augen müssen unverrückbar auf die 1921 AD-LIMINA-BES UCHE Frohbotschaft gerichtet sein, die den Zuhörern unverkürzt und mit einer ihnen angepaßten Pädagogik zur Kenntnis gebracht werden soll, ohne daß dabei eine Methode, die nur ein Mittel ist, als „heilig“ betrachtet wird. Es ist hier nicht angebracht, mit euch auf einzelne katechetische Hilfsmittel einzugehen, deren Verwendung ihr in euren Diözesen für angebracht befunden habt und auf deren weitere Verbesserung ihr ständig bedacht seid. Ich weiß, daß die Versammlung von Lourdes im Jahr 1986 von den Autoren der Leitlinien verlangte, den Wert des doktrinären Inhalts ihrer Dokumente herauszustellen; gleichzeitig beschloß sie, eine „organische und vollständige Darlegung des Glaubens“ zu erstellen, die in erster Linie für die Katechisten bestimmt sein sollte (vgl. Tätigkeitsbericht der Versammlung des Ständigen Komitees, 8.-10. Dezember 1986). Auf weltkirchlicher Ebene wiederum arbeitet eine Bischofskommission gemeinsam mit dem Heiligen Stuhl an der Vorbereitung eines Katechismus, bzw. eines Kompendiums der Lehre der katholischen Kirche, in den Bereichen des Glaubens und der Moral, wie es dem Beschluß der außerordentlichen Synode von 1985 entspricht. Die fundamentalen Prinzipien und Richtlinien auf dem Gebiet der Katechese sind klar in dem Apostolischen Schreiben Catechesi tradendae dargelegt. Ich beschränke mich also darauf, einige praktische Punkte zu unterstreichen, die euren Anliegen entsprechen. 3. Die Katechese verfolgt den spezifischen Zweck, den anfänglich vorhandenen Glauben zur Reifung zu bringen und den wahren Jünger Christi mittels einer vertieften und systematischen Kenntnis der Person und der Botschaft Jesu Christi zu erziehen (vgl. Catechesi tradendae, Nr. 19). Es handelt sich hier um eine grundlegende und vielschichtige Zielsetzung, die eurer Verantwortung anvertraut ist, damit ihr immer eingehender die verschiedenen Erfordernisse überdenkt und ihnen nach und nach gerecht werdet. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß sich nicht oft die Notwendigkeit ergibt, darüber hinaus eine erste .Verkündigung nachzuholen, die nicht erfolgt ist, und in verschiedenen Ansätzen den Sinn für Gott und die geistlichen Wirklichkeiten zu wecken, die der Familie und der Schule fremd sind. In diesem Fall muß der Glaube geweckt und mit Gottes Hilfe ständig gestüzt werden. Um den Kindern und Jugendlichen in einem Leben, das voller Dinge ist, die dem Glauben fremd sind und während ihrer Studien immer intensiver auf sie eindringen, das Durchhalten zu ermöglichen, soll man keine Bedenken haben, ihren Verstand mit den zentralen und wesentlichen Glaubenswahrheiten zu nähren. Das Glaubensbekenntnis, die Aussage des Taufglaubens, ist der Angelpunkt, um den sich die christliche Bildung dreht. In einem pluri-religi- 1922 AD-LIMINA-BESUCHE Ösen Kontext, wie es der französische ist, muß der Empfänger der Katechese in die Lage versetzt werden, für seinen Glauben an die Person Jesu Christi einzutreten und einen verschwommenen Deismus zu überwinden. Zunächst ist es nötig, in einer eigentlich christlichen Reflexion, die auch einen gewissen philosophischen Sinn erfordert, ihn mit Gott, dem Schöpfer, vertraut zu machen. In einer Welt, die mit ihren Ideologien und technischen Errungenschaften dazu neigt, sich selbst als ihren Schöpfer zu betrachten, nimmt die Schöpfungslehre der Kirche eine Schlüsselstellung für den Glauben und das moralische Verhalten ein; sie ist die Voraussetzung, will man Gott auch als Retter und als Leben verstehen. In all diesen Punkten stützt sich die Katechese selbstverständlich auf das Wort Gottes, das sie schmackhaft macht, auf das Wort Gottes, das die Tradition der Kirche seit zwei Jahrtausenden liest und dessen Heilsdimension sie erläutert. Die Katechese wird nur dann tief und dauerhaft verankert sein, wenn sie sich an die ganze Person des Kindes richtet: an seinen Geist, seinen Willen, seine Empfindsamkeit und seine Empfänglichkeit für Symbole, an denen auch der Körper seinen Anteil hat. Sie muß zu einer persönlichen und gemeinschaftlichen Gebetshaltung, muß zur Feier führen; sie muß gleichzeitig ein Verhalten auslösen, das dem Gesetz Jesu, dem Gesetz der Liebe entspricht und die Zehn Gebote in einer theologalen Perspektive vervollkommnet. Sie muß schließlich auf die Teilnahme an den Sakramenten und am Leben der christlichen Gemeinde vorbereiten. 4. Um diese ungeheure Arbeit bewältigen zu können, bedient ihr euch zahlreicher Katechisten: Der Bericht der Erzdiözese Lyon erwähnt 80 haüpt- und mehr als 15.000 ehrenamtliche Laien; in ganz Frankreich sind die Katechisten mehr als 200.000. Die meisten von ihnen sind Laien und manche empfangen für die Ausübung ihres Amtes eine eigene „Missio“. Selbstverständlich handelt es sich hier auch um ein vorzügliches Gebiet für das Apostolat der Ordensleute. Ich möchte noch hinzufügen, daß der Priester in der Katechese eine vordringliche Aufgabe sehen muß, wurde er doch geweiht, um als Diener des Wortes Gottes dieses selbst zu lehren und um die Bildung und Ausbildung der Katechisten zu fördern, zu koordinieren und zu verifizieren. Alle diese ehrenamtlichen Katechisten stellen einen großen Anteil an der Zahl der christlichen Gemeinden und der Eltern dar; sie sind ein Reichtum, aber zugleich auch eine Schwäche. Der Ständige Rat eurer Bischofskonferenz betonte das im vorigen Dezember: der Unterricht im Glauben erfordert eine echte theologische Ausbildung, die mit pädagogischem Talent gepaart und von einer möglichst wertvollen spirituellen Erfahrung beseelt sein muß. Auch die Katechisten empfinden für sich selbst die Notwendigkeit eines echten Glau- 1923 AD-LIMINA-BESUCHE benslebens. Sie müssen es verstehen, die katechetischen Hilfsmittel zu gebrauchen, daß sie in erster Linie mit aller nötigen Initiative dem Glaubenszeugnis der Kirche dienen; sie können sich nicht darauf beschränken, weder zu wiederholen oder festzuhalten, was sie interessiert oder beeindruckt, noch die theologische Perspektive auf eine moralische verkürzen. Auch wäre es unzulässig, auf die Kinder die Einwände, Ängste oder Zielsetzungen abzuwälzen, die den Erwachsenen eigen sind. Ich ermutige euch lebhaft, alle Bemühungen fortzuführen, die der Bildung und Ausbildung der Katechisten dienen: Versammlungen, Tagungen, Besuche der Bildungshäuser und die Rolle der „Animatoren“ und vor allem die persönliche Einführung in das Glaubensleben. Auf jeden Fall obliegt den Eltern mehr als allen anderen die Pflicht, ihre Kinder durch Wort und Beispiel im Glauben zu erziehen (vgl. Codes iuris canonici, Can. 774, § 2); sie müssen soweit wie möglich an der Katechese beteiligt sein. Ihr stellt zu eurer Freude fest, daß sie ihr positiv gegenüberstehen und in der Lage sind, selbst auf dem Weg der Wiederentdeckung des Glaubens fortzuschreiten. Schließlich fordert die Tatsache, daß die Zahl der Kinder, die den Katechismus besuchen, noch stärker abnimmt als die der getauften Kinder, die Hirten heraus und veranlaßt sie, neue Mittel zu finden, die allen Eltern die Bedeutung einer frühzeitigen und fortdauernden Katechese zum Bewußtsein bringen, die die bereits empfangene oder noch zu empfangende Taufe erfordert. <80> <81> <80> Ihr sorgt euch auch um die Bedingungen der Katechese in eurem Land. Die Frage der Schulzeiten ist weiterhin besorgniserregend und ich teile euer nachdrückliches Bemühen, daß für die Katechese regelmäßig und realistisch genügend Zeit bleibt, trotz der bedauerlichen Schwierigkeiten, die von Unterrichtszeiten hervorgerufen werden, welche die Kinder oft auch am Mittwoch beschäftigen. Wo die Eltern motiviert worden sind, ist es ihnen auch gelungen, die Achtung ihres freien Anrechtes auf die religiöse Unterweisung ihrer Kinder durchzusetzen. Damit soll selbstverständlich nicht verhindert werden, daß ergänzende Formen der Hinführung der Kinder und Jugendlichen zur christlichen Wirklichkeit gefunden werden: diese Formen können vom „Bibel-Informationsklub“ bis zum Besuch von Kirchen reichen und alle den Medien eigenen Ausdrucksformen und Möglichkeiten umfassen. Die vorzüglichste Art der Hinführung zum Glauben ist jedoch die Teilnahme an der Liturgie: Auf jeden Fall muß alles geschehen, um die Katechese systematisch zu gestalten. In mehreren Ländern waren die Christen, deren Freiheit in diesem Bereich auf ungebührliche Weise eingeschränkt wurde, gezwungen, neue Lösungen zu finden. Bei euch 1924 AD-LIMINA-BESUCHE handelt es sich in erster Linie darum, Eltern und Kinder trotz der Versuchung durch Zerstreuungen für diese Entscheidung zu gewinnen. Selbst die Kleinkinder sollten in der Familie zum Glauben hingeführt werden, damit sie, ihren Fähigkeiten entsprechend, dank einer einfachen und wahrheitsgetreuen Darlegung der christlichen Botschaft in einem Klima des Gebetes zu einer lebendigen Beziehung mit Gott finden. Ich weiß, welche Sorgen euch überdies die Aufnahme der Kinder bereitet, die leider erst spät zum systematischen Katechismusunterricht kommen und dennoch bei den anderen geschwisterliche Aufnahme finden müssen. Es ist euer Wunsch, daß bestimmte Sondergruppen ihrem Rhythmus entsprechend begleitet werden: Hilfsschüler, Behinderte, Kinder aus schwierigen Milieus und jene, die sich auf die Taufe vorbereiten. Ihr wiß aber auch, daß alle zu den wesentlichen Elementen des Glaubens und des gelebten Christentums und zu ihrer Eingliederung in den gleichen Gemeinden hingeführt werden müssen. 6. Wenn die Katechese für die Kinder, welche die Grundschule besuchen, von größter Bedeutung ist, so ist nicht weniger wichtig, daß auch für die Jugendlichen der mittleren und höheren Schulen Methoden für eine entsprechende, systematische Glaubenserziehung, eine Reflexion, ein gemeinsames Gebetsleben und ihnen angemessene christliche Tätigkeiten gefunden werden. Diese Aufgabe habt ihr den Schulseelsorgem der Gymnasien und anderen weiterführenden Schulen anvertraut, die sich, oft in Zusammenarbeit mit den Pfarreien, der Mitarbeiter von Priestern, Ordensleuten, hauptamtlichen Laienkatecheten und Eltern bedienen. Ich ermutige sehr zu dieser Pastoral, denn ohne sie würde die gesamte Jugend Gefahr laufen, fern der Kirche zu leben. Die katholischen Schulen haben hier Möglichkeiten und Verpflichtungen, die ich euren Mitbrüdem aus der westlichen Region gegenüber ausgeführt habe. <82> <82> Die Bildung und Ausbildung der Erwachsenen ist heute zu einem Ziel geworden, um dessen Verwirklichung alle Diözesen bemüht sind. Gelegenheit dazu bietet oft die Aneignung der für die Katechese der Kinder nötigen Kompetenz, doch ist diese Bildung und Ausbildung auch für viele andere kirchliche Dienste erforderlich. Die Erwachsenen empfinden auch ganz einfach die Notwendigkeit, einen Glauben zu vertiefen, der zu kindlich, zu oberflächlich und zu schwach geblieben ist, um den heutigen Infragestellungen standhalten zu können. Es handelt sich also darum, sie in die Lage zu versetzen, über ihren Glauben Rechenschaft zu geben und für die neuen Probleme eine entsprechende Antwort zu finden. Heute sind viele Menschen gerne zu einem „Ag-giomatmento“ bereit und es ist daher normal, daß auch die Christen sich ihm 1925 AD-LIMINA-BESUCHE unterziehen, um, was ihren Glauben betrifft, auf der Höhe zu sein. Mehrere Diözesen haben über konkrete, bereits angewandte Initiativen berichtet: Kurse und Fernkurse, Seminare, Praktika, Errichtung neuer Ausbildungshäuser und theologischer Zentren. Es handelt sich nicht allein darum , Wissen zu erwerben oder organisieren zu lernen, sondern vielmehr um ein tieferes Eindringen in die Frohbotschaft und eine vollständigere Schau der Offenbarung, wobei die Gegebenheiten der Heiligen Schrift, der Theologie, der Kirchengeschichte, der fundamentalen Ehtik und der Soziallehre konkretisiert werden. Die philosophische und theologische Forschung muß mit einer erneuerten Anthropologie verbunden sein. Der christliche Glaube kann nicht wie ein äußerliches Element einer bereits auf areligiöser Grundlage erarbeiteten Anthropologie hinzugefügt werden, denn eine solche Verzerrung würde zum Verlust der theologalen Verwurzelung der gesamten von der Kirche verkündeten Ethik und ihres Engagements für die Menschenrechte fuhren. Demnach muß man also den Christen helfen, die Verständlichkeit und Glaubwürdigkeit der Lehren der Kirche zu erfassen, damit sie ihnen mit größerer Überzeugung zustimmen und auch andere zu dieser Zustimmung hinführen können. Gerade das zeichnet ja den Glauben an Christus und das Vertrauen in das kirchliche Lehramt aus und diese grundlegenden Haltungen müssen der intellektuellen Vertiefung immer vorausgehen und sie begleiten. Die weiterführende Bildung und Ausbildung ist ein Teil der ständigen Bekehrung und Voraussetzung für eine bessere Nachfolge Christi. Sie steht in Verbindung mit dem sakramentalen Leben, mit dem Apostolat und den verschiedenen, bereits ausgeübten oder gewünschten Verantwortungen. <83> <83> Auf der Linie des eben Gesagten liegt die Pastoral des Universitäts- und Wissenschaftsmilieus, die besondere Schwierigkeiten mit sich bringt und neue Initiativen zu erfordern scheint. Viele Wissenschaftler betonen ihre Achtung für den Glauben, andere leben ihn auf bemerkenswerte Weise, wieder andere stehen ihm fern, nicht so sehr als Atheisten, sondern eher als Agnostiker. Wie könnte man nicht ihre begeisterte Forschung bewundern, die darauf abzielt, mit wissenschaftlichen Methoden die Gesetze der Natur, die lebenden Organismen und die Entwicklung des Menschen zu erkennen? Ist es notwendig, daraufhinzuweisen, daß es auf der Ebene der Kenntnis keinen Gegensatz zwischen Wissenschaft und Glauben geben kann? Die Wissenschaftler sind im übrigen für gewöhnlich darauf bedacht, ihre Entdeckungen weitgehend zu einem qualifizierten Dienst am Menschen zu machen. 1926 AD-LIMINA-BES UCHE Wenn man sich jedoch auf ein einfaches wissenschaftliches Vorgehen und auf die rein technologischen Möglichkeiten beschränkt, welche dieses eröffnet, kann es manchem Wissenschaftler schwer fallen, das Geschenk Gottes im Glauben und auch die Aussagen des kirchlichen Lehramtes anzunehmen. Es kommt vor, daß ideologische Voraussetzungen, die an die wissenschaftliche Praxis gebunden sind, den Geist beherrschen, oder daß das technisch Mögliche ganz einfach seine Verwirklichung zu fordern scheint, ganz so, als ob die technische Möglichkeit an die Stelle des moralischen Urteils treten könnte. Gott sei Dank anerkennen jedoch zahlreiche Wissenschaftler — und das gereicht ihnen zur Ehre — die Notwendigkeit, die Wissenschaft unter Beobachtung moralischer Kriterien zu praktizieren, vor allem dann, wenn die Achtung vor dem menschlichen Leben auf dem Spiel steht. Erst kürzlich hat der Heilige Stuhl für alle Menschen guten Willens und insbesondere für die Gläubigen Richtlinien erlassen, die unbedingt das Eingreifen der Forscher und Ärzte in diesen Bereich regeln müssen. Daneben können manche im Namen der Humanwissenschaften der Versuchung gegenüberstehen, den Menschen und seine Geschichte auf seine gesellschaftliche Lage und seine psychologische Struktur herabzuziehen. Die Mathematik und die physikalischen Wissenschaften entwickeln die Rationalität auf rein rechnerische Weise, nach quantitativem Maßstab. Schließlich ist das Universitätsmilieu auch von einer wachsenden Spezialisierung und von Abkapselung gekennzeichnet, die die Öffnung für eine ganzheitliche Auffassung vom Menschen und für einen pa-storalen Ansatz nicht erleichtern. Die Intellektuellen stehen den Institutionen oft kritisch gegenüber und nähern sich ihnen nicht, verlangen von ihnen jedoch gleichzeitig eine schützende Gewähr für die Freiheit der einzelnen Personen. Für die Lösung der Probleme kann ich euch keine speziellen Methoden Vorschlägen. Es obliegt euch — auf regionaler Ebene oder im Rahmen der Bischofskonferenz — gemeinsam mit allen zuständigen kirchlichen Stellen und mit kompetenten Laien nach solchen Methoden zu suchen. Zweifellos muß jedoch die Kirche diesen intellektuellen Milieus nahe sein, mit Verständnis, Dialogbereitschaft und Achtung und auch mit der mutigen Bereitschaft, für den christlichen Glauben und die christliche Ethik Zeugnis zu geben, um zu einer vertieften Reflexion aufzurufen. Im Dienst dieser spezifischen Präsenz stehen in erster Linie die Universitätspfarreien, doch müssen auch die Hirten für sie Sorge tragen. Die kirchlichen Erziehungs- und Forschungsanstalten — z. B. die katholischen Universitäten — welche diesem Milieu angehören und treu nach den Richtlinien des kirchlichen Lehramtes handeln, können hier echte Kontakte schaffen und ein wirksames Zeugnis ablegen. Von Nutzen wäre jedoch ein christliches Zentrum für intellektuelle und kulturelle Fragen auf 1927 AD-UMINA-BES UCHE nationaler Ebene, das verbunden mit den wichtigsten Universitätsstädten dem Bemühen um Reflexion und Einfluß in der Öffentlichkeit einen kirchlichen Aspekt verleihen würde. Zahlreiche Katholiken, die nur allzu oft im Universitätsmilieu isoliert sind, könnten sich für dieses Anliegen einsetzen. Schätzen die von anderen Aufgaben in Anspruch genommenen Hirten das Gewicht der kulturellen Strömungen in der öffentlichen Meinung und in der Bildung des Geistes und des Gewissens wirklich genügend hoch ein? Indem ich euch diese Reflexion anvertraue, bitte ich den Heiligen Geist, er möge euch mit seinem Licht und seiner Kraft erfüllen und erteile euch aus ganzem Herzen meinen Apostolischen Segen, der auch all euren Mitarbeitern am Werk der Evangelisierung gilt, das der Herr uns heute anvertraut. Die Kraft der Hoffnung des Evangeliums wieder entdecken Ansprache an die Bischöfe der Apostolischen Region Provence-Mittelmeer bei ihrem Ad-limina-Besuch am 14. Dezember Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Der Präsident eurer apostolischen Region Provence-Mittelmeer, Msgr. Jean Cadilhac, hat den ganzen Sinn eures Ad-limina-Besuches ausgesprochen, als er vom Leben eurer Diözesen sprach. Ich danke ihm herzlich dafür. Ich bin glücklich, euch nach Abschluß unserer Einzelunterhaltungen gemeinsam empfangen zu können. Ihr seid zu den Gräbern von Petrus und Paulus gekommen. Möge ihre Fürbitte euer Wirken als Hirten unterstützen! Ich hoffe, daß unsere Begegnungen und die Gespräche, die ihr mit den verschiedenen Dikasterien der Kurie geführt habt, euch ermuntert haben, mit neuem Eifer eure pastorale Aufgabe in brüderlicher Verbindung mit dem Nachfolger des Petrus und der universalen Kirche weiterzuführen. Ihr habt das betont, wofür ihr in eurem Dienst zu danken habt, ohne die Schwierigkeiten zu verkleinern, denen ihr gegenübersteht. Mit euch danke ich für die Lebenskraft der Gemeinschaften, deren Hirten ihr seid, und bitte euch in diesem Sinn, euren unmittelbaren Mitarbeitern, allen Priestern eurer Diözesen und den ständigen Diakonen meine herzlichen Grüße und meine Ermunterung auszurichten, ihre Aufgabe fortzusetzen, von der ich wohl weiß, wie schwer sie ist. Sagt den Ordensmännern und Ordensfrauen, den kontemplativen und apostolisch tätigen, daß der Papst sie aufrichtig hochschätzt we- 1928 AD-LIMINA-BES UCHE gen ihrer Treue und ihrer Weihe an den Herrn und an so vielfältige Dienste für ihre Brüder und Schwestern. Durch euch möchte ich die Dankbarkeit der Kirche in besonderer Weise den Laien aussprechen, die wesentliche Verantwortungen und Dienste übernehmen, und ich wünsche allen Getauften in euren Diözesen ein erneutes Festhalten an der Frohbotschaft vom Heil und eine immer aktivere Ausübung ihrer Rolle unter den lebendigen Gliedern des Leibes Christi, wie bescheiden sie auch sein mag. 2. Der Ad-limina-Besuch ist für euch eine Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Ihr zeigt in euren Berichten die Aufmerksamkeit der Hirten für das ganze Leben eines ausgedehnten Gebietes, für eine zahlreiche und unterschiedliche Bevölkerung. Die geographische Lage und ein außergewöhnlicher natürlicher Rahmen in mildem Klima ziehen viele neue Bewohner an, abgesehen von den Millionen von Touristen und zeitweisen Gästen. Trotz einer erheblichen Erneuerung der Tätigkeiten sind die wirtschaftlichen und sozialen Probleme groß geblieben, und diese Schwierigkeiten einer zum Teil destabilisierten Welt bilden für die Gemeinschaften der Christen neue Aufgaben. Eure zahlreichen Sorgen treffen sich mit denen, die zu Beginn dieses Jahres eure Mitbrüder aus anderen Regionen Frankreichs ausgesprochen haben. Mit ihnen habe ich mehrere Themen aufgegriffen, die direkt die Lebenskraft der Kirche in der Gesellschaft angehen, wo sie ja durch die Pfarreien, die Bewegung und die Familien präsent ist. Ich habe die Wichtigkeit der Sakramenten-pastoral betont, angefangen bei der sonntäglichen Eucharistiefeier, die Bedeutung der christlichen Ausbildung der Jugendlichen und Erwachsenen, zumal auf dem Gebiet der Ethik, und die der Aufnahme und Evangelisierung der nicht praktizierenden Getauften. Ihr erinnert euch auch an unsere Betrachtung über das Priestertum und die Berufung bei meiner Pilgerreise in Ars, wie auch an andere Punkte, auf die ich bei dieser Pastoraireise zu sprechen kam. Ohne auf all das zurückzukommen, möchte ich euch einige Gedanken über verschiedene Formen der Sendung vorlegen, die Christus seiner ganzen Kirche anvertraut. 3. Wenn ihr die Situation der Männer und Frauen analysiert, denen ihr im Namen des Herrn seine Heilsbotschaft bringen sollt, stellt ihr die intellektuelle, geistliche und moralische Krise fest, die eine richtungslose Gesellschaft durchmacht. Der Sinn des Lebens und die Würde der Person werden mitten in einer Verwirrung der Werte gesucht, die bis zur Verzweiflung führen kann. Wegen der Unsicherheit, die unsere Zeitgenossen mehr oder minder stark prägt, müssen wir dringend auf ihre oft unausgesprochenen Erwartungen antworten. Möchten doch die Gemeinschaften der Christen sich ihrer Sendung 1929 AD-LIMINA-BES UCHE bewußt werden! Möchten sie vor allem wieder lebendiger die Kraft der Hoffnung entdecken, die im Evangelium liegt! Wenn auf den Wegen des Lebens Menschen umhertappen, leiden und fallen, muß ihnen das Wort der Wahrheit übermittelt werden. Die Jünger Christi müssen, geeint und angetrieben von brüderlicher Liebe, die Fragen und Anrufe hören, die sich um sie her erheben. Und da sie nur den Reichtum besitzen, den sie empfangen haben, sind sie kühn genug, ihrerseits jene, die sich und ihresgleichen täuschen, über die Ausweglosigkeit eines verschlossenen Individualismus oder der Gleichgültigkeit gegenüber den wesentlichen Werten zu befragen. Gewiß, es geht vor allem um die Evangelisierung der Welt, in der man lebt. Allzu oft scheint es, daß sich die Christen nicht persönlich für diese vorrangige Sendung verantwortlich fühlen und die Aufgabe dem Klerus oder einigen apostolischen Laien überlassen, die man bewundert, aber ohne ihnen nachzufolgen. Eine solche Haltung steht der eigentlichen Natur der Kirche entgegen, in der alle Glieder des Leibes durch die Lebendigkeit ihrer Gruppe die Dynamik des Evangeliums und die Gegenwart Christi in unserer Geschichte offenbar machen müssen. Die kirchlichen Bewegungen haben gespürt, daß die Sendung der Christen in der Familie ausgeübt wird, in der Erziehung, in der Berufsarbeit und im Wohnviertel. Eure Berichte unterstreichen ihr Wirken und zugleich die Notwendigkeit, die Christen zu zahlreicherer Beteiligung und in entschiedenerer Form anzuregen, damit sie mutiger, möchte ich sagen, von ihrem Glauben Zeugnis geben. Es liegt bei euch, wie ihr wohl wißt, neue Initiativen aufzugreifen und zu billigen, sowie die Mittel zu einer ständigen Weiterbildung der Christen und die weitere Verbreitung eines christlichen Wortes, zumal durch die Medien der sozialen Kommunikation, über die ihr verfügen könnt, zu fördern. Notwendig ist das Tun der auf allen Ebenen Verantwortlichen, doch man braucht es ja eigentlich nicht erneut zu betonen: jeder Christ muß sich selbst aufgerufen fühlen, gemeinsam mit seinen Brüdern und Schwestern Rechenschaft von der Hoffnung zu geben, die in ihm lebt (vgl. 1 Petr 3,15). 4. Es ist schon eine schwere Aufgabe, den vielfachen Anliegen der Evangelisierung in der eigenen Region gerecht zu werden. Doch kann eine Einzelkirche ihre Dynamik nicht bewahren, ohne sich konkret an der Mission in allen Teilen der Welt zu beteiligen. Ihr gehört einem Land an, das eine große missionarische Tradition besitzt. Die apostolische Hochherzigkeit Frankreichs hat sich deutlich sichtbar im Verlauf der Jahrhunderte gezeigt, in der Ausreise zahlreicher Missionare in alle Kontinente und durch die Gründung von Instituten, die sehr weit ausgestrahlt haben. Die Christen Frankreichs dürfen diese große Tradition aber nicht vergessen und es daran fehlen lassen, sie den jünge- 1930 AD-LIMINA-BESUCHE ren Leuten bekannt zu machen. Vor allem aber sollte die Kirche in Frankreich ihre Großherzigkeit bewahren in den heute gewandelten Bedingungen der Missionstätigkeit. Ich weiß, daß die französischen Bischöfe derzeit große Anstrengungen unternehmen, die zahlreichen Verbindungen mit den jungen Kirchen durch jene aufrechtzuerhalten, die das Evangelium dorthin gebracht haben. Bei euch besitzen die missionarischen Institute oft Gemeinschaften, die die Gläubigen über ihre Erfahrung informieren können. In den jungen Kirchen ist ihre Rolle eine andere geworden, da ein Teil der Verantwortung auf die örtliche Hierarchie übergegangen ist. Sie werden zu einer viel fordernden geistlichen Entäußerung geführt, wenn sie sich in eine Pastoral einfügen sollen, deren Initiative nicht mehr allein bei ihnen liegt. Doch bewahren sie ihre ursprüngliche Berufung, nämlich die Kirche dort einzupflanzen, wo man Christus noch nicht kennt, die Grenzen auszuweiten und den neuen Kirchen zu gestatten, selbst die ganze Fülle der universalen Sendung der Kirche zu leben, dank der Berufung von jungen Menschen, die alle Risiken einer gänzlichen Hingabe in der Nachfolge des Herrn auf sich nehmen. Zum ursprünglichen Wirken der Institute mit missionarischer Berufung im engeren Sinn kam eine vielfältige Zusammenarbeit hinzu. Die Päpstlichen Missionswerke, an deren Gründung ich in Lyon erinnert habe, bleiben ein wesentliches Werkzeug nicht nur für die Verteilung der Gaben, die für viele mittellose Gemeinschaften unerläßlich sind, sondern auch für die Steigerung der missionarischen Zusammenarbeit. Euer Land hat ferner den Aufruf von Fidei donum aufgegriffen, und die meisten Diözesen und diözesanen Kongregationen haben verstanden, daß ihnen trotz eigener wirklicher Armut die Ausreise von manchen ihrer Mitglieder keinen Verlust bringt, sondern ihrem Wirken eine neue Dimension hinzufügt. Der Aufruf von Fidei donum ist ferner weithin auch von den Laien verstanden worden, die, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, ihre technische Fachkenntnis verfügbar machen und mehr noch das Zeugnis von Männern und Frauen bieten, deren Glaube stark und demütig genug ist, um das Leben der Christen dort, wohin sie kommen, zu erfassen und mit denen sie alles teilen, was der Geist sie hat erkennen und leben lassen. Solcher Austausch ist wertvoll und verweist uns direkt auf die Briefe des hl. Paulus, der die unerläßliche Beziehung unter den Kirchen in der Einheit des Leibes Christi betont hat. Noch weitere Initiativen tragen in glücklicher Weise zur Erhaltung des missionarischen Geistes bei. Ich denke an eure eigenen Begegnungen mit den Bischöfen der jungen Kirchen, und ich wünsche, daß ihr den Christen eurer Diözesen davon berichtet, damit euer Austausch ein Gut für alle wird. Andererseits unterhalten eure Gemeinden lebendige Verbindung mit den Mis- 1931 AD-LIMINA-BESUCHE sionaren, die ihnen entstammen. Sie nehmen ferner die Christen aus fernen Ländern auf, die zum Studium oder auf der Suche nach Arbeit hergekommen sind. Es ist gut, wenn man diese Fremden, die doch Brüder sind, nicht isoliert läßt. Sie haben auch ihrerseits dem alten Kontinent viel zu bieten. Ich möchte ferner die Präsenz von nichtchristlichen Gruppen von Emigranten in euren Diözesen erwähnen, unter denen viele einen lebendigen religiösen Glauben besitzen. Man sollte jene, die täglich mit ihnen zu tun haben, einladen, ihre Traditionen besser kennenzulemen und dort, wo es möglich ist, einen Dialog zwischen den Religionen beginnen, freilich mit der nötigen Klarheit, um jede Zweideutigkeit bei der geistigen Freiheit beider Teile zu vermeiden, in gegenseitigem Respekt vor der Würde der Personen. 5. Bei eurer kürzlichen Vollversammlung in Lourdes habt ihr mit Recht die verschiedenen Formen der Solidarität, zu der die Christen berufen sind, behandelt. Die Verkündigung des Evangeliums, die Entwicklungshilfe und das Teilen mit den Armen stellen nur verschiedene Ebenen der gleichen Aufgabe dar. Eure Di-özesanen werden auf nützliche Weise in ihrer geistlichen, apostolischen und materiellen Hochherzigkeit ermuntert, wenn sie sich an den Überlegungen zur Vorbereitung eines Planes zur Solidarität für die Kirche in Frankreich beteiligen. Eure Berichte weisen auf das Weiterbestehen und die Verschlimmerung der Armut hin, die mitten in einer relativ gut gestellten, ja reichen Gesellschaft zu beobachten ist. Das Randdasein einer großen Zahl von Männern und Frauen, die von der Geißel der Arbeitslosigkeit, der mangelhaften Bildung und der unsicheren Unterbringung betroffen sind, darf von keinem Christen als ein unvermeidliches Übel angesehen werden, das fast schicksalhaft zu allen Formen der Perversion führt. Ein elementarer Sinn für Brüderlichkeit drängt zum Handeln, wobei das Tun des einzelnen seinen unersetzlichen Platz hat, aber es muß noch viel geschehen, um die Mittel und Zuständigkeiten zu vereinheitlichen, wie eure besonderen Organe es durchführen. Ich weiß, daß ihr Bemühen um praktische Wirksamkeit mit einer sehr menschlichen Auffassung von der Würde derer, die Hilfe brauchen, einhergeht. Wie ich es bei der Evangelisierung betont habe, dürfen die Pflichten zur Solidarität mit dem unmittelbaren Nächsten nicht eine universale Öffnung für die Nöte der Milliarden von Menschen vergessen lassen, die weniger begünstigt sind. 20 Jahre nach der Enzyklika Populorum progressio darf man mit Befriedigung darauf hinweisen, daß viele Christen eurer Diözesen hochherzig zur integralen Entwicklung des Menschen beitragen. Da wir nach einem Wort von Paul VI. in „einer Kultur weltweiter Solidarität“ leben, darf die moralische Verantwortung keine Grenzen kennen, denn immer steht der Mensch als Subjekt vor uns. 1932 AD-LIMINA-BESUCHE Ihr bemüht euch weiter um Abstimmung aufeinander und Organisation. Es ist in der Tat wünschenswert, daß die bevorzugte Liebe zu den Armen hier und anderswo zu gut überlegten und möglichst koordinierten Initiativen führt. Der Heilige Stuhl hat seinerseits dem Päpstlichen Rat Cor Unum die Aufgabe übertragen, die Kontakte zu erleichtern und die Initiativen aufeinander abzustimmen. Auch ihr selbst vertieft eure Zusammenarbeit mit den Ortskirchen als echten Partnern, sei es, was die dringend notwendige Hilfe, sei es, was die langfristige Zusammenarbeit angeht. Diese Bemühungen werden noch fruchtbarer durch ein erneutes Nachdenken über die doktrinären und geistlichen Grundlagen der Verpflichtung zur Solidarität. Auf diesem Gebiet müssen die Bemühungen auf eine lebendigere Motivation des christlichen Volkes hinzielen, damit es besser die Forderungen der Liebe zu den Armen ermißt, denen Christus seine Vorliebe geschenkt, und mit denen er sich identifiziert hat. Man versteht dann, daß zu einer echten kirchlichen Gemeinschaft alle Formen der Solidarität gehören, die wir genannt haben, und daß die Christen so dazu beitragen, in einer den Schwächsten und Hilflosesten gegenüber oft harten Welt den Sinn für die Rechte eines jeden Menschen zu fordern, damit er als Kind Gottes geachtet wird. 6. Liebe Brüder im Episkopat, euer Besuch schließt den Zyklus der Besuche der Bischöfe Frankreichs. Ihr.habt, die einen wie die anderen, die geistlichen Bedürfnisse eurer Landsleute eindringlich vernehmbar gemacht und die Aktivität der christlichen Gemeinschaften bezeugt. Als Antwort auf euer Vertrauen und in tiefer Gemeinschaft mit euch ermutige ich alle aufs neue, zumal die Diözesen der Mittelmeerküste, der Provence, des Languedoc und Korsikas. Möge die Mutter des Herrn euch helfen, den Weg des Glaubens weiterzugehen! Möge der Heilige Geist in euch alle seine Gaben reifen lassen, die Liebe zu Gott und zu den anderen und eine kühne Hoffnung! Möge Gott euch und eure Diözesanen segnen! 1933 AD-LIMINA-BES UCHE Evangelisierung durch Laien und einheimische Geistliche fördern Ansprache an die Bischöfe von Gabon anläßlich ihres Ad-limina-Besuches am 7. Dezember Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Mit großer Freude heiße ich euch in Rom während eures traditionellen Ad-limina-Besuches willkommen, dem zweiten schon nach unserer Begegnung in Libreville bei meiner Reise nach Gabon im Februar 1982. Herzlich danke ich Msgr. Makouaka, dem Bischof von Franceville und Präsidenten der Bischofskonferenz von Gabon, daß er sich in so liebenswürdiger Art zu eurem Sprecher gemacht hat. Wenn ich meine brüderlichen Grüße an euch richte, stehen mir natürlich die Priester, die Ordensmänner und -frauen, die Katechisten und all jene vor meinem geistigen Auge, die verschiedene Dienste leisten und euch so bei eurer seelsorglichen Aufgabe helfen. Ich bitte euch, ihnen meine tiefe Verbundenheit und auch meine Dankbarkeit für das aktive und hochherzige Mitmachen beim gemeinsamen Werk der Evangelisierung auszusprechen. Ihr möchtet über den Bischof von Rom die Bande der Gemeinschaft mit dem ganzen Bischofskollegium neu festigen und damit eure persönliche Anhänglichkeit und die der Gläubigen eurer Diözesen an den Nachfolger des Petrus bekräftigen. Ich wünsche aus ganzem Herzen, daß eure Pilgerfahrt zu den Gräbern der heiligen Apostel und euer Besuch beim Heiligen Stuhl euch Freude und Kraft für euren Dienst schenken. 2. Ich möchte mit euch dem Herrn für das Geschenk des Glaubens danken, den euer Land als eines der ersten in Zentralafrika angenommen und der Frucht gebracht hat. Es scheint sogar, daß heute unter der lugend von Gabon ein neues Interesse für die Person Christi und seine Botschaft aufkeimt. Das zeigt sich in der wachsenden Zahl der Antworten auf den Ruf Gottes und im Eintritt lugendlicher ins Ordensleben oder in den priesterlichen Dienst. Besonders freut mich die Nachricht, daß die Kleinen Seminare Saint-Kisitio in Oyem und Saint-Jean in Libreville mehr Kandidaten aufgenommen haben, so auch das Große Seminar. Man darf darin einen Grund zur Hoffnung für die Zukunft sehen und die Hochherzigkeit von Jugendlichen feststellen, die den Mut haben, alles zu verlassen, um Christus zu folgen und so zu einem gelungenen Leben finden. 1934 AD-LIMINA-BESUCHE 3. Eure Fünfjahresberichte haben mich erkennen lassen, wo eure pastoralen Sorgen liegen und auf welchen Gebieten ihr infolgedessen eure Bemühungen konzentrieren wollt. Viel wollt ihr in die Heranbildung einer Laienschaft in Gabon investieren, die zum echten Zeugnis für ihren Glauben fähig ist. Damit steht ihr ganz auf der Linie, die die letzte Bischofssynode vorgezeichnet hat, als sie dieser Aufgabe Prioritäten zuerkannte: „Die Laienchristen spüren den Durst nach einem inneren Leben und nach Spiritualität, ferner ein wachsendes Verlangen nach missionarischem und apostolischem Einsatz. (...) Die integrale Ausbildung aller gläubigen Laien, Ordensleute und Kleriker muß heute zur pastoralen Priorität werden.“ {Botschaft an das Volk Gottes, 29. Oktober 1987, Nr. 12). Unsere erste Pflicht als Hirten besteht nämlich darin, den Menschen das Wort Gottes zu bringen, damit sie zum „gläubigen Volk“ werden, das ferner durch die Praxis der Sakramente gestärkt wird und sich unter dem Antrieb der Gnade und der Liebe in den für die Kirche lebenswichtigen Tätigkeiten engagiert. Die christlichen Laien besitzen eine geistliche Sendung, die von ihrer Taufe und ihrer Firmung herkommt. Ihr Glaube darf ihrer Berufstätigkeit keineswegs fern sein, sondern sie muß sie vielmehr zur Umgestaltung der Gesellschaft nach dem Plan Gottes ermuntern und sie zum Aufbau einer Welt ein-laden, in der die integrale Förderung des Menschen und seine aktive Eingliederung in die Gesellschaft zum Zuge kommen. Ich ermuntere euch daher, die Glaubenserziehung eures Volkes durch eine entsprechende Katechese weiterzuführen. So werden die Gläubigen die notwendige Reife gewinnen und nicht mehr von jedem Wind der Meinungen hin-und hergerissen. Sie werden auch wirksam dem Proselytismus der in eurem Land aktiven Sekten entgegen treten können. Bei dieser Aufgabe der Vertiefung des Glaubens kommt den katholischen Schulen, die sich in Gabon einer großen Wertschätzung erfreuen, eine Schlüsselfunktion zu. In der Vergangenheit haben sie zur Heranbildung einer Elite für euer Land und für andere Länder Afrikas beigetragen. Mögen sie den christlichen Geist unter den Generationen, die sie besuchen, aufrechthalten und den Jugendlichen helfen, den Inhalt des Glaubens gut zu verstehen und ihn in der Sprache ihrer Kultur auszudrücken. 4. An der Basis des Lebens des „gläubigen Volkes“ steht die christliche Familie und die christliche Ehe. Ihr wißt, wie lange der Weg ist, um diese grundlegende Wirklichkeit in den sozialen Strukturen zu verankern. Daher gehört es zu den Aufgaben der Laienschaft, die Familie zu evangelisieren und jenen, die als Eltern und Kinder zu ihr gehören, das Ideal anstreben zu helfen, das die gesamte Gemeinschaft der Christen anstrebt. Im apostolischen Schreiben 1935 AD-LIMINA-BESUCHE Familiaris consortio habe ich betont: „Die christliche Familie ist die erste Gemeinschaft, der es obliegt, dem heranwachsenden Menschen das Evangelium zu verkünden und ihn durch eine fortschreitende Erziehung und Glaubensunterweisung zur vollen menschlichen und christlichen Reife zu fuhren.“ (Nr. 2). Die Bischofssynode hat die unersetzliche Rolle der Familie bei der Glaubenserziehung neu betont und den Wunsch ausgesprochen, sie möchte zur wirklichen „Hauskirche“ werden, wo man gemeinsam bete, wo man die Gebote und die Liebe beispielhaft vorlebt, wo das Leben willkommen ist, geachtet und geschützt wird (vgl. Botschaft an das Volk Gottes, Nr. 7). In der Ehepastoral, die ihr anregt und ermuntert, wird für euch die aktive Teilnahme von bereits engagierten christlichen Ehepaaren wertvoll sein. Durch ein Netz von Famiüen, wo das Evangelium in die Praxis umgesetzt wird, werden auch die moralischen und geistlichen Werte weitergegeben, für die die Jugend Gabons wieder aufgeschlossen wird. 5. Unter euren größeren Anliegen habe ich auch die Frage der Berufungen bemerkt. Sie sind trotz verheißungsvoller Anzeichen, auf die ich schon angespielt habe, noch nicht zahlreich genug. Die Kirche in Gabon muß mehr und mehr auf der Verantwortlichkeit der Ga-bonesen selbst aufbauen, freilich auch offen bleiben für die brüderliche Hilfe von apostolischen Arbeitern aus anderen Ländern, ferner schon jetzt zur Entsendung von Missionaren aus Gabon selbst bereit sein, wenn Diözesen im Ausland darum bitten sollten. Mit Recht widmet ihr daher der Weckung und der Beharrlichkeit der Berufungen zum Priester- und Ordensstand weiter eure volle Aufmerksamkeit. Hier ist die Bemerkung wichtig, daß die Beziehung zwischen denen, die schon Priester sind, und den Jugendlichen, die das Verlangen spüren, sich mit ihnen zu engagieren, durch eine enge Verbundenheit lebendig gehalten werden muß. Wichtig ist auch, daß diese Jugendlichen glückliche Priester, die auch mit ihren Bischöfen ein wertvolles persönliches Verhältnis pflegen, vor Augen haben. Jeder Priester muß erfahren können, daß der Bischof nicht ein Verantwortlicher in der Ferne ist, sondern denen nahe steht, die als erste mit ihm den Dienst für die Gläubigen teilen. Eine echte Solidarität zwischen Priestern und Bischöfen sowie ihr frohes und dynamisches Zusammenleben bilden für die Jugendlichen eine wichtige Ermunterung, wenn sie den Ruf des Herrn vernehmen sollen. <84> <84> Liebe Brüder im Bischofsamt, ich bete zu Gott, daß diese euch bei eurem Besuch vorgelegten Gedanken euch in eurem Glauben stärken, in der Hoff- 1936 AD-LIMINA-BESUCHE nung erneuern und in der Liebe festigen, die Gott zu euch und zu eurem Volk hegt. Möge der Herr der guten Arbeit, die ihr voll Eifer leistet, Fruchtbarkeit schenken! Vertrauen wir sie gemeinsam der Jungfrau Maria, der Königin der Apostel an, an die sich unsere Bitte im Marianischen Jahr mit noch größerer Innigkeit richtet. Von ganzem Herzen segne ich euch, eure Mitglieder und alle Gläubigen eurer Diözesen. Evangelisierung ist eine bleibende Verpflichtung Ansprache beim Ad-limina-Besuch der Bischöfe der Bischofskonferenz von Gambia, Liberia und Sierra Leone am 8. Januar Liebe Brüder in unserem Herrn Jesus Christus! 1. Ich freue mich, euch, Bischöfe der interterritorialen Bischofskonferenz von Gambia, Liberia und Sierra Leone, willkommen zu heißen. Unsere heutige Begegnung ruft uns in besonderer Weise die kollegiale Gemeinschaft in Erinnerung, an der wir teilhaben dürfen. Es war der Wille des Herrn, daß der hl. Petrus und die übrigen Apostel ein einziges apostolisches Kollegium bilden. Wir sind hier als ihre Nachfolger versammelt, miteinander verbunden durch die Bande der Einheit, der Liebe und des Friedens (vgl. Lumen gentium, Nr. 22). Das ist euer zweiter Ad-limina-Besuch seit der Bildung eurer vereinigten Bischofskonferenz. Ich danke euch für die Versicherung eures Gebets und die freundlichen Grüße, die ihr mir im Namen des Klerus, der Ordensleute und der Laien eurer drei Länder ausgesprochen habt. Jeder von euch repräsentiert in einer besonderen Weise eure Ortskirche, und ich möchte meinerseits durch euch dem gesamten Gottesvolk, das eurer Hirtensorge anvertraut ist, meine herzlichen Grüße entbieten. „Jesus Christus aber, unser Herrund Gott, unser Vater, der uns seine Liebe zugewandt und uns in seiner Gnade ewigen Trost und sichere Hoffnung geschenkt hat, tröste euch und gebe euch Kraft zu jedem guten Werk und Wort“ (2 Thess 2,16-17). 2. In den Jahren seit eurem letzten Besuch haben eure jungen Kirchen stetiges Wachstum und Entwicklung erlebt. Die Apostolischen Vikariate von Monrovia und Kap Palmas sind zur Erzdiözese bzw. Diözese erhoben worden, und erst vor kurzem wurde die neue Diözese Gbarnga errichtet. Diese drei neuen Diözesen erhöhen die Gesamtzahl der Diözesen, die eure Bischofskonferenz bilden, auf sieben. 1937 AD-LIMINA-BESUCHE Es war mir eine besondere Ehre, zwei eurer Brüder am Fest der Erscheinung des Herrn zu Bischöfen zu weihen. Diese Bischofsweihen hier in Rom nahe dem Grab des Apostels Petrus, umgeben von anderen Brüdern im Bischofsamt, nicht nur aus Westafrika, sondern auch aus anderen Ländern, dienen der Stärkung und klaren Bekundung der universalen Verbundenheit des Bischofskollegiums. Mögt ihr beiden — Bischof Sekey aus der neuen Diözese Gbarnga und Bischof Biguzzi aus der Diözese Makeni — tiefe Freude und Frieden in Christus finden, während ihr euch in enger Zusammenarbeit mit euren bischöflichen Brüdern eurem Wirken widmet. Denkt immer daran, daß ihr als Hirten eurer Ortskirchen von Christus, dem Herrn, mit diesem Amt betraut seid. Er fordert euch auf, die Gläubigen durch das Wort und die Sakramente zu stärken und unter ihnen die Aufgabe des Guten Hirten zu erfüllen, der „nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mt 20,28). 3. Es ist meine inständige Bitte, daß ihr eure Anstrengungen bei der großen Aufgabe der Evangelisierung, die die wesentliche Sendung der Kirche darstellt, immer wieder erneuert. Ich lobe die vielen mutigen Initiativen, die ihr bereits für die Verbreitung des Evangeliums ergriffen habt. Und ich nehme diese Gelegenheit wahr, um die Worte Papst Pauls VI. aus seinem Apostolischen Schreiben über die Evangelisierung in der Welt von heute zu wiederholen: „Evangelisieren ist in der Tat die Gnade und eigentliche Berufung der Kirche, ihre tiefste Identität. Sie ist da, um zu evangelisieren. d. h. um zu predigen und zu unterweisen, Mittlerin des Geschenkes der Gnade zu sein, die Sünder mit Gott zu versöhnen, das Opfer Christi in der heiligen Messe immer gegenwärtig zu setzen, welche die Gedächtnisfeier seines Todes und seiner glorreichen Auferstehung ist“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 14, in: Wort und Weisung, 1975, S. 547). Ihr seht euch beträchtlichen Schwierigkeiten gegenüber, wenn ihr den vielen Menschen, die noch nie von Christus gehört haben, die Frohbotschaft vom Heil verkünden wollt. Ihr seid aufgerufen, in einer multireligiösen Gesellschaft, deren Bevölkerung mehrheitlich muslimisch ist und in der viele andere den traditionellen afrikanischen Religionen anhängen, täglich von diesem Christus Zeugnis zu geben. Die Wahrheit unseres Glaubens, daß der Heilsplan in gewisser Hinsicht alle jene einschließt, die den Schöpfer anerkennen, bietet uns eine Grundlage für den Dialog und die friedliche Koexistenz mit nichtchristlichen Gläubigen. Die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils ermutigt in der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen alle Christen und Muslime, die Schwierigkeiten der Vergangenheit zu überwinden, „sich 1938 AD-LIMINA-BES UCHE aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen“ (Nostra aetate, Nr. 3). In euren westafrikanischen Ländern muß das Evangelium jeweils vor allem durch das Zeugnis eines vorbildlichen christlichen Lebens verbreitet werden. Ein solches Zeugnis ist bereits ein erster Akt der Evangelisierung, wenn man auch hinzufügen muß, daß das persönliche christliche Zeugnis im normalen Alltagsleben von der öffentlichen Verkündigung des Reiches Gottes und der Person Jesu Christi, unseres Erlösers, begleitet sein muß. Denn im Mittelpunkt aller Evangelisierungsversuche der Kirche steht die klare Botschaft vom ewigen Leben, das in Christus allen Menschen als freies Geschenk der Gnade und Barmherzigkeit Gottes angeboten wird. Mit Einsatz für Bildung und Gesundheit den Glauben verbreiten 4. Auf den Gebieten der Erziehung und der Gesundheitsfürsorge leisten eure Ortskirchen einen bemerkenswerten Beitrag im Elinblick auf das Werk der Evangelisierung. Man sagt mir, daß die katholischen Schulen in euren Ländern, besonders die höheren Schulen, den Ruf genießen, zu den besten zu gehören. Zugleich weiß ich, daß die Rolle der Kirche in der Gesundheitsfürsorge von euren Regierungen und von der Bevölkerung allgemein hochgeschätzt wird. Wir können deutlich sehen, daß in diesen beiden Bereichen liebender Hingabe die Mitglieder eurer Ortskirchen einen Einfluß ausüben, der über ihre bescheidene Zahl weit hinausgeht, und daß so das christliche Leben besser bekannt und angenommen werden kann. Die Anwesenheit der Kirche in den Bereichen der Gesundheitsfürsorge und der Erziehung wird vorwiegend von den Mitgliedern der verschiedenen Ordensinstitute erfüllt. Ich weiß, daß ihr euch mir gern anschließt, wenn ich Gott dem Allmächtigen für all die Ordensmänner und Ordensfrauen danke, die sich jahrelang abgemüht haben, trotz großer Schwierigkeiten in euren Regionen jeweils kirchliches Leben zu begründen. Sie haben durch ein wahrhaftiges evangelisches Leben Zeugnis vom Herrn gegeben und reichlich Frucht gebracht. Desgleichen preise und danke ich Gott für die Hingabe des Ortsklerus, der allmählich zahlenmäßig zunimmt. <85> <85> Mit besonderer Befriedigung habe ich von der stetig zunehmenden Rolle erfahren, die die Laien eurer drei Länder in den Aktivitäten der Kirche übernehmen. Die besondere Berufung der Laien ist es, als Sauerteig inmitten der Welt zu wirken und auf diese Weise eine wesentliche Rolle bei dem großen 1939 AD-LIM1NA-BESUCHE Evangelisierangswerk zu spielen. Ihr besonderer Bereich der Verbreitung des Evangeliums schließt die berufliche Arbeit ein; wenn es sich um Ehepaare handelt, überträgt ihnen ihre Eltemrolle die hauptsächliche Verantwortung für die christliche Erziehung ihrer Kinder (vgl. Gravissimum educationis, Nr. 3). Eure Bischofskonferenz hat auf die Ausbildung der Laien großen Wert gelegt,besonders durch die Errichtung nationaler und diözesaner Pastoralzen-tren für ihre Erziehung und für die Ausbildung von Katecheten. Die enge Zusammenarbeit dieser Zentren mit dem Internationalen Zentrum für pastorale und soziale Entwicklung in Kenema, Sierra Leone, leistet nicht nur für eure eigene Konferenz, sondern für die Arbeit der ganzen Kirche in Afrika einen wichtigen Beitrag. Eure lobenswerte Initiative bei der Errichtung dieser Pastoralzentren ist eine klare Antwort auf den Appell des Zweiten Vatikanischen Konzils: „Man muß die diözesanen und regionalen Schulen vermehren, in denen die zukünftigen Katechisten die katholische Lehre mit besonderer Betonung von Schrift und Liturgie sowie die katechetischen Methoden und die pastorale Praxis erlernen und sich in stetiger Übung von Frömmigkeit und sittlichem Leben zu einem christlichen Verhalten bilden“ (Ad gentes, Nr. 17). Katechese ist „Know-how“ für das christliche Leben 6. In der kirchlichen Struktur eurer Ortsgemeinden spielen die Katecheten aus dem Laienstand, die ihr Leben der christlichen Glaubenseiziehung von Kindern und Erwachsenen widmen, eine fundamentale Rolle. Das Wachstum dieser Gemeinden ist großenteils das Ergebnis ihrer Bemühungen. Gleichzeitig besteht eine dringende Notwendigkeit, die spezifische Rolle der Laien-Ka-techeten und ihren Platz in der Evangelisierungssendung der Kirche klarzustellen. Große Aufmerksamkeit sollte ihrer Ausbildung als Lehrer des Glaubens und Zeugen für das Evangelium geschenkt werden. Was ihre Rolle im Gesamtgeschehen der Evangelisierung betrifft, möchte ich wiederholen, „daß zwischen Katechese und Evangelisierung weder ein Gegensatz noch eine Trennung besteht, aber auch keine einfache Identität. Beide sind vielmehr eng miteinander verbunden, indem sie sich gegenseitig ergänzen und vollenden“ (Catechesi tradendae, Nr. 18). Mit einem Wort, Katechese ist eines der wesentlichen Momente der Evangelisierung und kann definiert werden als „eine Glaubenserziehung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die vor allem eine Darbietung der christlichen Lehre umfaßt, wobei man im allgemeinen organisch und systematisch vorgeht, um die Schüler in die Fülle des christlichen Lebens einzuführen“ (ebd.). 1940 AD-LIMINA-BESUCHE 7. Eines der wichtigsten Mittel der Katechese, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil nahegelegt und in euren Diözesen übernommen wurden, ist das Katechumenat. Das Konzil sagt: „Das Katechumenat besteht nicht in einer bloßen Erläuterung von Lehren und Geboten, sondern in der Einführung und genügend langen Einübung im ganzen christlichen Leben, wodurch die Jünger mit Christus, ihrem Meister, verbunden werden. Die Katechumenen müssen also in passender Weise in das Geheimnis des Heils eingeweiht werden, durch die Übung eines Lebenswandels nach dem Evangelium“ {Ad gentes, Nr. 14). Angesichts der Wichtigkeit des Katechumenats als einer Lehrzeit in christlicher Lebensführung ist es natürlich notwendig, auf einer entsprechenden Zeitdauer für diese intensive Taufvorbereitung zu bestehen. Während des ganzen Katechumenats muß das radikal Neue des christlichen Lebens betont werden. 8. Mit großer Hoffnung für die Zukunft eurer Diözesen nehme ich Bezug auf das Priesterseminar St. Paulus und eure vier anderen Knabenseminare. Ich stelle fest, daß das St.-Paulus-Seminar der Vorbereitung von Priesteramtskandidaten nicht nur aus den sieben Diözesen eurer Bischofskonferenz, sondern auch aus einigen Diözesen Ghanas dient. Die steigende Zahl von Seminaristen, die die verschiedenen ethnischen Gruppen vertreten und von denen viele aus nichtchristlichen Familien kommen, ist eine Quelle großer Verheißung. Ich weiß, daß ihr vor großen Schwierigkeiten steht, was die finanzielle Erhaltung und personelle Besetzung des Priesterseminars und der Knabenseminare betrifft. Ich ermutige euch in euren Bemühungen, qualifizierte Professoren für die theologische Erziehung und geistliche Formung eurer Studenten zu gewinnen. Seid meines Gebets versichert bei diesem gesamten Bemühen um die Priesterausbildung, die für die Zukunft der Kirche in euren Ländern so wichtig ist. Seid jedem eurer Seminaristen immer ein wahrer Vater in Christus (vgl. Optatam totius, Nr. 5). <86> <86> In Verbundenheit mit euch, meine lieben Brüder, setze ich meine eigene Sendung als Oberhirte der Universalkirche fort. Während wir dem Evangelium dienen, wollen wir uns daran erinnern, daß „die Evangelisierung der Welt vor allem durch das Verhalten, durch das Leben der Kirche geschieht, das heißt durch das gelebte Zeugnis der Treue zu Jesus, dem Herrn, durch das gelebte Zeugnis der Armut und inneren Loslösung und der Freiheit gegenüber den Mächten dieser Welt, kurz, der Heiligkeit“ {Evangelii nuntiandi', Nr. 41), in: Wort und Weisung, 1975, S. 564). Anläßlich dieses eures Ad-limina-Besuches empfehle ich euch noch einmal Maria, der Königin der Apostel, mit der Bitte, euch durch ihre Fürbitten zu 1941 AD-LIMINA-BESUCHE helfen. In der Liebe ihres Sohnes Jesus erteile ich euch und allen, die eurer Hirtensorge anvertraut sind, meinen Apostolischen Segen. Die Heiligkeit und Würde der Ehe schützen Ansprache beim Ad-limina-Besuch der Bischöfe von Ghana am 6. November Liebe Brüder in unserem Herrn Jesus Christus! 1. Mit Freude heiße ich euch, die Mitglieder der Bischofskonferenz von Ghana, bei Gelegenheit eures Ad-limina-Besuches willkommen. Unser kollegiales Zusammensein bezeugt die Einheit der Kirche. Als Diener Christi und Ausspender der Geheimnisse Gottes (1 Kor 4,1) stellt ihr in besonderer Weise eure Ortskirchen und zusammen mit dem Nachfolger des Petrus und den übrigen Bischöfen in der ganzen Welt „die ganze Kirche im Band des Friedens, der Liebe und der Einheit“ dar (Lumen gentium, Nr. 23). Meine lieben Brüder: unsere Einheit ist Gemeinsamkeit im Heiligen Geist und in der Liebe Christi, der für immer der Eckstein bleibt (vgl. Eph 2,20) und der Hirte unserer Seelen (vgl. 1 Petr 2,25). Gemeinsam bekennen wir „einen Herrn, einen Glauben, eine Taufe“ (vgl. Eph 4,5) und helfen einander auf dem Pilgerweg zu unserer himmlischen Heimat, immer eingedenk, daß unsere Einheit in der Kirche ihren Ursprung hat in der Einheit der heiligen Dreifaltigkeit. Denn wie das II. Vatikanische Konzil ausgesprochen hat, „erscheint die ganze Kirche als das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk“ {Lumen gentium, Nr. 4). Euer Ad-limina-Besuch bietet ein anregendes Zeugnis für die Wahrheit unseres Glaubens, daß Christus den Petrus erwählt hat, um auf ihm seine Kirche zu bauen, indem er ihm die Schlüssel des Himmelreiches verhieß (vgl. Mt 16,19). Euer Besuch unterstreicht ferner die Tatsache, daß Christus dem Petrus die ganze Herde anvertraut hat und ihm auftrug, seine Brüder im Glauben zu stärken (vgl. Lk 22,32) und sie in vollkommener Einheit zu weiden (vgl. Joh 21,15- 17). Diese verantwortungsvollen Aufgaben bestimmen die wesentliche Rolle des Petrus in der Kirche. Jeder von euch aber ist aufgerufen, in Gemeinschaft mit Petrus und unter der Leitung des Heiligen Geistes, den ihr durch die sakramentale Auflegung der Hände empfangen habt, euren Dienst der Predigt des Evangeliums, der Spendung der Sakramente und der liebevollen Sorge für das Volk Gottes zu erfüllen, das Gott euch, den Hirten, anvertraut hat. 1942 AD-LIM1NA-BES UCHE 2. In der Verlautbarung, die ihr am Ende eurer jährlichen Tagung im letzten Juli herausgegeben habt, habt ihr gut euren bischöflichen Dienst als Dienst der Liebe am Volk Gottes in Ghana geschildert. Ihr schreibt: „Wir, die katholischen Bischöfe von Ghana, danken dem allmächtigen und ewigen Gott, dem liebevollen Vater aller Gnade und unserem Vater, für seine unaussprechliche Güte zu uns. Unter Eingebung und Führung seines Geistes konnten wir in Demut unsere Hingabe an ihn und an den Dienst als seine Propheten erneuern und einige Themen, die für uns als Ghanaer und als Christen wichtig sind, im Licht des Evangeliums seines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus besprechen. Wir haben dies in der festen Überzeugung getan, daß wir erwählt sind zu Führern, unsere Brüder und Schwestern zu lieben, für sie vor dem ewigen und immer liebenden Vater betend einzutreten und unser Leben für sie einzusetzen“ (Erklärung der Bischöfe von Ghana, 11. Juli 1987). Indem ich euch für euren pastoralen Eifer danke, danke ich Euch zugleich für den Ausdruck der Verbundenheit, den ihr mir gegenüber für alle eure Priester, Ordensleute, Seminaristen und Laien ausgesprochen habt. Ich sende meine herzlichen Grüße der Gnade und des Friedens in unserem Herrn Jesus Christus allen, die eurer Sorge anvertraut sind. Ich denke dabei an die Freuden und Hoffnungen, die Nöte und Ängste des Volkes Gottes in Ghana, zumal an jene, die arm und bedrängt sind, und ich mache mir im Geiste die Sorgen um ihren täglichen Lebensunterhalt zu eigen. Ich möchte euch bitten, allen Gläubigen meine Ermutigung auszusprechen und sie meines Gebetes zu versichern. Wie der Apostel Paulus sagt, „hören wir nicht auf, inständig für euch zu beten, daß ihr in aller Weisheit und Einsicht, die der Geist schenkt, den Willen des Herrn ganz erkennt. Denn ihr sollt ein Leben führen, das des Herrn würdig ist und in allem sein Gefallen findet. Ihr sollt Frucht bringen in jeder Art von guten Werken und wachsen in der Erkenntnis Gottes“ (Kol 1,9-10). 3. Meine lieben Brüder: als Hirten der neun Ortskirchen Ghanas seid ihr für die Betreuung aller katholischen Gläubigen in Ghana verantwortlich. Ihr bringt heute ihren festen und begeisterten Glauben mit, der vor über einem Jahrhundert zum erstenmal euer Land erreichte. Es ist heute für mich eine Freude, an meinen Pastoralbesuch in Ghana im Jahre 1980 zur Jahrhundertfeier der Evangelisierung eures Landes zurückzudenken. Bei diesem Besuch konnte ich die große Liebe eures Volkes zu Christus und seiner Kirche feststellen. Ich habe es schon in meiner Ansprache bei eurem letzten Ad-limina-Besuch gesagt: „Tatsächlich war das Anliegen meines Besuches in Ghana, mit euch Jesus Christus und sein Evangelium zu verkünden. Ich hoffte, mit Gottes Gnade der Evangelisierung neuen Antrieb zu ge- 1943 AD-LIMINA-BES UCHE ben und euch in eurer Sendung als Hirten der Herde zu bestärken“ (Ansprache vom 12. November 1981). Meine Gegenwart unter eurem Klerus, den Ordensleuten, Seminaristen und Laien hat mich mit tiefer und bleibender Hoffnung für die Zukunft der Kirche in eurem Lande erfüllt. Ich lobe die zahlreichen mutigen Initiativen, die ihr weiter für die Verkündigung des Evangeliums in eurer von vielen Religionen geprägten Gesellschaft unternehmt. Als Hirten der Kirche in Ghana habt ihr zusammen mit eurem ;Klerus, den Ordensleuten und Laienkatechisten euch der Sendung der Kirche zur Evangelisierung verschrieben und die Frohbotschaft vom Heil den vielen verkündet, die noch nicht von Christus gehört oder ihn noch nicht angenommen haben. Mit großem Eifer habt ihr euch auch euren eigenen Christgläubigen gewidmet und den ökumenischen Dialog aufgenommen mit den verschiedenen Gruppen nichtkatholischer Christen. Ihr habt euch ebenso mit unseren christlichen Brüdern zusammen in konkreten Werken der Förderung des Menschen auf dem Gebiet der Erziehung und der ärztlichen Betreuung engagiert. 4. Ich ermuntere euch beim großen Werk der Evangelisierung, das „die Gnade und eigentliche Berufung der Kirche, ihre tiefste Identität“ ist (Evangelii nuntiandi, Nr. 14). Hier sind euch die oft wiederholten Worte von Papst Paul VI. vertraut: „Jesus Christus und sein Evangelium denen zu verkünden, die ihn noch nicht kennen, ist seit dem ersten Pfingsttag das grundlegende Programm, welches die Kirche als von ihrem Gründer empfangen sich zu eigen gemacht hat“ (ebd., Nr. 51). Praktisch bedeutet die Berufung der Kirche zur Evangelisierung vor allem, das Evangelium in größerer Tiefe zu leben. In euren besonderen kulturellen Verhältnissen muß die Botschaft des Evangeliums vor allem durch das Zeugnis eines beispielhaften christlichen Lebens verbreitet werden. Solch ein hingebungsvolles tägliches Zeugnis ist ein Akt, mit dem die Evangelisierung beginnt. Ich füge aber gleich hinzu, daß das christliche Zeugnis durch das persönliche Beispiel auch begleitet sein muß von der Verkündigung Jesu Christi, der durch seinen Tod und seine Auferstehung unser Heil gewirkt hat. Diese klare Botschaft vom Heil in Christus als freie Gabe von Gottes Gnade und Erbarmen bildet das Herz allen Bemühens der Kirche um Evangelisierung. Was die wichtigste Aufgabe der Sicherstellung der Inkulturation des Evangeliums in die Gebräuche und das Leben des Volkes von Ghana angeht, laßt mich die Worte wiederholen, die ich bei unserer Begegnung im Kleinen Seminar von Kumasi gesprochen habe: „Und so müssen die Bischöfe mit Gelassenheit und Zuversicht und mit großer Offenheit zur Gesamtkirche hin die Aufgabe 1944 AD-LIMINA-BESUCHE der Inkulturierung des Evangeliums zum Wohl eines jeden Volkes so fortfuhren, daß wirklich jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind Christus vermittelt werden kann. In diesem Prozeß müssen die Kulturen selbst durch die originale Botschaft Christi von der göttlichen Wahrheit aufgerichtet, verwandelt und durchdrungen werden, ohne daß dabei das Edle in ihnen Schaden nimmt. Die wertvollen afrikanischen Überlieferungen müssen also bewahrt werden. Ja, in Übereinstimmung mit der vollen Wahrheit des Evangeliums und im Einklang mit dem Lehramt der Kirche müssen die lebendigen und dynamischen christlichen Traditionen Afrikas gefestigt werden“ {Ansprache an die Bischöfe von Ghana, 9. Mai 1980). 5. Meine lieben Brüder! Hinsichtlich eures Bemühens, die Verkündigung des Evangeliums in eurem durch viele religiöse und kulturelle Gruppen geprägten Land die am besten geeigneten Mittel anzuwenden, möchte ich die tiefe Achtung der Kirche vor den nichtchristlichen Religionen betonen. Denn „sie sind lebendiger Ausdruck der Seele breitester Gruppen. In ihnen wird die Gottsuche von Millionen deutlich, ein unvollkommenes Suchen, aber oft gelebt mit großer Aufrichtigkeit und Lauterkeit des Herzens“ {Evangelii nuntiandi, Nr. 53). Da ferner der Heilsplan alle jene mit einschließt, die den Schöpfer anerkennen, gibt es zwischen Christen und Nichtchristen eine Grundlage für brüderlichen Dialog und harmonischen Austausch. Ich ermuntere euch daher, „erneut das Eintreten der katholischen Kirche für den Dialog und die Verkündigung des Evangeliums zu bekräftigen. Es kann keine Rede davon sein, daß man das eine bejahen, das andere aber übergehen oder ablehnen dürfte. Selbst in Situationen, in denen die Verkündigung unseres Glaubens schwierig ist, müssen wir den Mut haben, von Gott zu sprechen, der die Grundlage unseres Glaubens ist, der Grund unserer Hoffnung und die Quelle unserer Liebe“ {Ansprache an das Sekretariat für die Nichtchristen, 28. April 1987). <87> <87> Hier muß ich unbedingt auch den Beitrag erwähnen, den eure Brüder, die Welt- und Ordenspriester, gemeinsam mit auswärtigen und ghanaischen Missionaren für die Evangelisierung und soziale Entwicklung eures Volkes leisten. Sie sind euch eng verbunden bei der Verkündigung des Wortes Gottes und dem Vorsitz bei den Gläubigen, wenn die Sakramente gefeiert werden. Durch ihren Gehorsam euch gegenüber in allen Aspekten ihres priesterlichen Dienstes kann ihr hingebungsvolles Leben und Dienen Frucht bringen und Gottes Volk in der Einheit auferbauen. Gern höre ich, daß die Zahl der Diözesanpriester weiterhin jedes Jahr wächst. Dies ist wahrlich ein großer Segen für die Kirche in Ghana. Eure sorgsame 1945 AD-LIMINA-BES UCHE Aufmerksamkeit, die ihr persönlich jedem eurer Seminaristen schenkt, dazu den Programmen ihrer priesterlichen Ausbildung in euren örtlichen kleinen und zwei großen Seminarien in Pedu und Tamale sichert die solide geistliche, akademische und pastorale Schulung eurer zukünftigen Priester. Ich möchte euch meiner Solidarität bei diesem Bemühen versichern, und möge jeder von euch mit aktiver und liebevoller Sorge ein wahrer Vater in Christus für jeden eurer Seminaristen sein (vgl. Optatam totius, Nr. 5). Der Erwähnung wert ist ebenfalls der wichtige Beitrag, den die Mitglieder der Institute gottgeweihten Lebens für das ganze Werk der Evangelisierung in eurem Land leisten, zumal auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge und des Unterrichts. Ihr öffentliches Zeugnis für die evangelischen Räte der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams sowie ihr Beispiel des Gemeinschaftslebens läßt das christliche Evangelium besser bekannt und geschätzt werden. Bei dieser Gelegenheit danke ich dem allmächtigen Gott für all jene Ordensmänner und Ordensfrauen, die als Missionare viele Jahre trotz großer Schwierigkeiten für den Aufbau der Kirche in Ghana gewirkt haben. Ich lobe ferner alle Ordensleute, die derzeit ihr Leben in den Dienst verschiedener Apostolate christlichen Dienstes stellen. 7. Meine lieben Brüder! Wenn ich über das sakramentale Leben der Kirche in Ghana nachdenke, möchte ich besonders auf das Sakrament der christlichen Ehe eingehen. Wir lesen in den Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils, daß „die Ehe ein gegenseitiges Sichschenken zweier Personen“ ist und daß „diese innige Vereinigung ... wie auch das Wohl der Kinder die unbedingte Treue der Gatten (verlangen) und ihre unauflösliche Einheit (fordern)“ (Gaudium et spes, Nr. 48). Daher müssen wir darauf bestehen, daß die eheliche Gemeinschaft durch ihre Einheit und ihre Unauflöslichkeit gekennzeichnet wird. Die Kirche lehrt klar, daß die durch die Ehe konstituierte Liebesgemeinschaft mit Polygamie nicht vereinbar ist. Wir wollen daher mit großer seelsorglicher Liebe den Gläubigen erklären, daß die Praxis der Polygamie „in direkter Weise den Plan Gottes (leugnet), wie er am Anfang offenbart wurde; denn sie widerspricht der gleichen personalen Würde von Mann und Frau, die sich in der Ehe mit einer Liebe schenken, die total und eben deshalb einzig und ausschließlich ist“ (Familiaris consortio, Nr. 19). Die Liebe von Mann und Frau in der ehelichen Gemeinschaft ist ein Anteilhaben am Geheimnis des Lebens und der Liebe Gottes selbst. Weil sie dies weiß, erfüllt die Kirche ihre besondere Sendung, die Heiligkeit und Würde der Ehe überall zu schützen. Ich benütze diese Gelegenheit, um meine Solidarität mit all den Menschen in Ghana in ihrem Verlangen nach Frieden, Gerechtigkeit, Harmonie und sozia- 1946 AD-LIMINA-BES UCHE lern Fortschritt auszusprechen. Die Kirche ist immer zum Dialog mit den zivilen Autoritäten bereit, gerade weil sie das wahre Wohl aller Menschen in Ghana will. Liebe Brüder, ich bete, daß die Gedanken, die ich hier bei eurem Ad-limina-Besuch vorgelegt habe, zu eurer Erneuerung im Glauben dienen, zur Festigung eurer Hoffnung und zu eurer Bestärkung in der Liebe zu Gott und der Menschheit. Ich empfehle euch Maria, der Königin der Apostel, und in der Liebe Jesu, ihres Sohnes, erteile ich meinen Apostolischen Segen euch und eurem Klerus, den Ordensleuten und allen Gläubigen der Kirche in Ghana. Den Laien erlauben, die großen Einsichten des II. Vatikanischen Konzils in ihren Taten auszudrücken Ansprache anläßlich des Ad-limina-Besuches der Bischöfe vom Indischen Ozean am 29. September Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Vor weniger als einem Jahr hatte ich die Freude, euch anläßlich meines Pa-storalbesuches in Ozeanien auf einer unvergeßlichen Reise zu den Sychellen zu treffen. Im Stadion von Viktoria haben wir gemeinsam in der Atmosphäre religiösen Eifers und der Begeisterung des Volkes, die in der Tradition eurer heiteren und gastfreundlichen Inseln liegt, die Eucharistie gefeiert. Heute bin ich es, der euch in Rom anläßlich eures ersten Ad-limina-Besuches nach der 1985 stattgefundenen offiziellen Anerkennung der Bischofskonferenz des Indischen Ozeans empfangt. Mit großer Freude nehme ich euch in diesem Haus auf und ich wünsche von ganzem Herzen, daß euch euer Aufenthalt hier die Stärkung und Ermutigung bringt, die ihr erwartet. 2. Mit euch möchte ich zunächst für dieses brüderliche Treffen am Grab der Apostel Petrus und Paulus danken. Ihr Glaube vereinigt uns und derselbe Glaube beseelt uns in unserem Amt. Auch der Austausch, den ihr mit dem Nachfolger Petri oder denjenigen habt, die ihm in den verschiedenen römischen Dekasterien beistehen, hat das einzige Ziel, euch in der Verrichtung eurer Aufgabe im Dienst derer zu bestärken, die auf den Spuren der heiligen Apostel denselben Glauben teilen. Wir sagen Gott dank, liebe Brüder, für die Gabe des Glaubens und für die Aufnahme, die dieses Geschenk in euren Diözesen gefunden hat. Ihr kommt 1947 AD-LIMINA-BESUCHE tatsächlich aus Ländern, wo die Dinge Gottes den Menschen vertraut sind, da ihr Lebensraum noch verhältnismäßig weit von den technologischen Strukturen entfernt ist, die unsere abendländische Zivilisation beeinflußen, obwohl ihr in eurem Fünfjahresbericht eine gewisse Modernität erwähnt, die auch euch erfaßt hat. Man kann jedoch sagen, daß in eurer Bevölkerung die religiöse Dimension des menschlichen Seins im allgemeinen anerkannt wird, und daß dem bei der Entfaltung des Menschen Rechnung getragen wird: Wir beobachten nämlich eine Bereitschaft für das Evangelium, die nicht überall zu finden ist. Schließlich sagen wir Gott dank für die kirchliche Gemeinschaft, die sich zwischen euch entfaltet und die der jungen Bischofskonferenz des Indischen Ozeans eine Entwicklung ermöglicht, sodaß sie der Weltkirche in Zukunft in noch stärkerem Maße ihren eigenen besonderen Beitrag anbieten kann. Es ist euch trotz der unterschiedlichen Situation in euren jeweiligen Diözesen und trotz einer für Inseln sehr verständlichen natürlichen Neigung zur Absonderung gelungen, durch regelmäßige Treffen und durch das Teilen der apostolischen Sorgen gegenseitige Bande zu knüpfen. Daraus ist eine besser entwickelte Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Diözesen, eine weiter Öffnung der einzelnen Gemeinschaften und eine stärkere Ermunterung zur gemeinsamen Arbeit der in der Pastoral Tätigen hervorgegangen. Für all das sagen wir Gott unseren Dank. 3. Eines ist sicher: Ihr verkündet die Heilsbotschaft in einem Umfeld, das von einem Gebiet der Bischofskonferenz zum anderen variiert. Im Archipel der Komores, der wie ein missionarischer Vorposten erscheint, trifft die Verkündigung des Evangeliums auf ein stark vom Islam geprägtes Umfeld. Auf den Seychellen, die ich letztes Jahr besucht habe, muß sich die Kirche darum bemühen, stets in der Lage zu sein, auf die Fragen der Jugendlichen zu antworten und ihnen die christliche Botschaft mit Respekt vor ihrem Gewissen vorzubringen. Auf der Insel Mauritius versucht der Katholizismus, dem die Minderheit angehört, all seine Dynamik zu bewahren, um in der heutigen Zeit weiterhin gegenwärtig zu sein und um das Menschliche in der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes zu fördern. Auf der Insel La Reunion muß die Frohbotschaft einem zunehmenden praktischen Materialismus begegnen; diesbezüglich bemüht sich die Kirche in immer stärkerem Maße, ethische Gesichtspunkte geltend zu machen, um die Christen zu ermuntern, auf menschliche Weise sowohl ihr persönliches als auch ihr soziales Leben zu meistern. 4. Wenn man eure Berichte liest, fallen vor allem zwei Bereiche auf, die eure Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen: die Familien und die Laien. In eurer 1948 AD-LIM1NA-BES VCHE Versammlung vom letzten Mai war unter dem Thema der evangelisierenden Gegenwart der Laien in der Welt vor allem die Familie Gegenstand eurer Überlegungen. Da ihr eine gewisse Auflösung der Familienstruktur festgestellthabt, habt ihr es für dringlich befunden, eine Pastoral der Paarbeziehungen auszuarbeiten: Ich freue mich, daß im Geiste von Familiaris consortio eine wahre Familienpastoral betrieben wird oder daß sie zumindest im Begriff ist zu entstehen. Die Kirche, so wiederholen wir oft, beginnt mit der Hauskirche, die die christliche Familie ist. Als erste Stätte der Gabe des Lebens und der Ausbildung zum Leben ist die christliche Familie auch der Lebensbereich, wo der Ruf zur Sendung, sei es als Laie oder als eine im Ordenstand gottgeweihte Person oder als Priester, hörbar wird. Außerdem kann man sagen — und die Missionare, die als erste in dieses Land gekommen sind, wissen es sehr wohl -, daß ein Mindestmaß an Familienerfahrung für ein Verständnis des Christentums erforderlich ist: die Sprache der Offenbarung appelliert oft an die Ausdrucksweisen und Wirklichkeiten der Familie, denn ein falsches Verständnis der Werte des Familienlebens würde die Darstellung der Glaubensbotschaft beschwerlicher machen. Mit dem Thema der Familie ist zugleich die Ausbildung und die Rolle der Laien zum Gegenstand des größten Teils eurer Überlegungen der letzten Jahre geworden. Es ist angebracht, am Vorabend der Bischofssynode, die dieses Problem vertiefen wird, kurz davon zu sprechen. Die Ausbildung eines Laienapostolats, das in der Lage ist, von seinem christlichen Glauben Rechenschaft abzulegen und seine Rolle als Sauerteig zu erfüllen, indem es sich in die sozialen und beruflichen Strukturen des Landes eingliedert, ist ohne Zweifel eine Aufgabe, die all eure Bemühungen erfordert. Ihr legt die Sorge offen dar, eine Kirche im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils zu errichten, Dies wird ohne die Zusammenarbeit aller Glieder des Leibes Christi nicht möglich sein. So wie jedes Glied den Körper braucht, so braucht der Körper all seine Glieder. Den christlichen Laien die Möglichkeit zu geben, ihren Glauben zu vertiefen und in ihren Taten die großen Einsichten und den Schwung des Zweiten Vatikanischen Konzils sichtbar werden zu lassen, das ist das Werk, das euch erwartet. Die fortwährende Ausbildung von Laien erfordert ein katechetisches Bemühen der gesamten Kirche, die unter anderem versucht, die Trennung zwischen Glauben und Leben — eine Zweiteilung, die ihr selbst unter den Getauften bedauert — immer mehr zu überbrücken. Weit entfernt davon, ihren Einsatz auf die Dienste im eigentlich kirchlichen Sinne des Wortes einzuschränken, müssen sich die Laien — unterwiesen in 1949 AD-LIMINA-BES UCHE der Soziallehre der Kirche — dazu aufgerufen fühlen, eine Welt aufzubauen, die der menschlichen Würde einer jeden Einzelperson angemessen ist, wahre Elemente des bürgerlichen und moralischen Fortschrittes in einer Gesellschaft zu sein, der sie angehören, sowie den wirtschaftlichen Fortschritt zu fördern und der Knechtschaft des Materialismus entgegenzutreten. Kurz, die Laien müssen sich, wie ihr wißt, darum bemühen, die ganzheitliche Entwicklung des Menschen und seine aktive Eingliederung in die Gesellschaft zu fördern. 5. Indem ihr die Strukturierung eurer christlichen Gemeinschaften weiterverfolgt, wird es euch leichter fallen, die Gläubigen zur Übernahme ihrer Verantwortung zu führen. Aufgrund des religiösen Pluralismus wird die christliche Identität in dem Maße vertieft werden müssen, wie man dazu aufgerufen ist, mit denjenigen ins Gespräch zu treten und zusammenzuarbeiten, die nicht denselben Glauben teilen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Wege eines echten Ökumenismus und eines interreligiösen Dialogs vorgezeichnet, die zugleich die Suche nach der vollen Wahrheit als auch die Menschen achten, die ihren Glauben bekennen. Schließlich gilt es auch, eine geeignete Pastoral für die Touristen ins Auge zu fassen, die von der Schönheit und dem Klima eurer Inseln angezogen werden. 6. Was die Jugend betrifft, die einen so wichtigen Teil der Bevölkerung eurer Diözesen und die Hoffnung der Kirche und der Welt darstellt, so versäumt es nicht, ihnen das Evangelium Christi in all seiner anspruchsvollen Dymnamik vorzustellen und ihnen zu sagen, daß der Herr stets zum Dienst aufruft. Ihr wißt sehr wohl um den Bedarf an zukünftigen Hirten, und ihr dürft dabei nicht die zu Beginn notwendige Auswahl der Kandidaten vernachlässigen, die auf die Motivation, Fähigkeiten sowie moralischen und geistigen Möglichkeiten derer bedacht sein muß, die sich im kirchlichen Stand engagieren möchten. <88> <88> Zum Abschluß möchte ich euch bitten, den Priestern eurer jeweiligen Diözesen und den älteren Leuten, die Ermunterung und Gnade von dem erwarten, der die Kirche hat wachsen lassen, und den Jüngeren, die Hilfe, liebevolles Verständnis und das Gebet ihrer Pfarrgemeinden brauchen, meine herzlichen Grüße und meine Ermutigung auszurichten. An die Ordensleute, die der Welt das befreiende Ideal der „sequela Christi“ vorzuleben suchen, indem sie in Bezug auf die irdischen Güter ihre ganze Freiheit bewahren, richte ich ebenso meine herzlichen Grüße und meine Wünsche zum Fortschritt in der Suche nach den Gütern des Himmelreiches. Ich ermuntere sie auch, diese kirchliche Gemeinschaft noch zwischen den 1950 AD-LIMINA-BES UCHE Diözesen weiterzuentwickeln, die durch ihre Gegenwart in der Evangelisierung sichtbar geworden ist. Von ganzem Herzen segne ich euch und die Gläubigen eurer Diözesen. Die Erneuerung des christlichen Lebens — eine nachhaltige Herausforderung Ansprache an die Bischöfe Irlands bei ihrem Ad-limina-Besuch am 27. August Lieber Kardinal O’Fiach, liebe Mitbrüder im Bischofsamt! 1. Es ist mir eine besondere Freude, mit euch, den hier zum Ad-limina-Besuch versammelten Bischöfen Irlands, zusammenzutreffen. Eure Pilgerfahrt zu den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus und eure Berichterstattung über die Lage in jenem Teil der Kirche, der eurer hochherzigen Hirtensorge anvertraut ist, entsprechen einer altehrwürdigen kirchlichen Tradition. Vor allem bringen sie jene Bande mit erneuerter Lebenskraft zum Ausdruck, die uns als Nachfolger der Apostel einen, denen die Verwaltung des Hauses des lebendigen Gottes anvertraut ist (vgl. Lumen gentium, Nr. 18). Ich hoffe, daß diese Begegnung für euch einen Augenblick ebenso hachhaltiger Freude wie für mich darstellt, einen Augenblick der Freude im Heiligen Geist, durch dessen Macht wir alle „für den Aufbau des Leibes Christi“ (Eph 4,12) gestärkt und bekräftigt werden. Eure Anwesenheit ruft die lange und beispielhafte Geschichte der Treue eures Volkes zu Christus und seiner Kirche ins Gedächtnis, ist jedoch auch Ausdruck des heutigen Glaubens und des christlichen Engagements eurer Ortskirchen. Als euer Mitbruder im Bischofsamt, dem das Amt der Einheit und der Liebe für die Weltkirche auferlegt ist, erfreue ich mich mit euch bei der Betrachtung des göttlichen Wohlwollens, das ständig über die Kirche in Irland ausgegossen wird und ermutige euch herzlich zur täglichen Erfüllung der zahlreichen Aufgaben eures bischöflichen Amtes. Wie es der hl. Paulus sagte: „Laßt uns nicht müde werden, das Gute zu tun, denn wenn wir darin nicht nachlassen, werden wir ernten, sobald die Zeit dafür gekommen ist“ (Gal 6,9). Euer Besuch erinnert mich an zwei Personen geliebter Mitbrüder, die dazu ausersehen schienen, mit ihren Talenten und mit den persönlichen Qualitäten, die beide auszeichneten, der Kirche viele Jahre lang zu dienen: Erzbischof Dermot Ryan und Erzbischof Kevin McNamara. Gott hatte jedoch in seiner 1951 AD-LIMINA-BESUCHE wunderbaren Vorsehung beschlossen, sie rasch zu sich zu rufen und hat uns traurig über ihre Abwesenheit zurückgelassen; zugleich jedoch sollen wir des leuchtenden Vorbildes ihres Dienstes und ihrer Führung gedenken. Beide waren in ihrem Dienst an der Kirche von einem tiefen Wissen um ihre persönliche Verantwortung Christus gegenüber beseelt und bestrebt, die Lehren und Richtlinien des II. Vatikanischen Konzils in all ihrem Reichtum hochzuhalten. Ihr Leben offenbarte eine außergewöhnliche, in unbeirrbarem Mut und tiefer Demut verborgene Christusnähe. Gemeinsam wollen wir uns des Gedankens erfreuen, daß diese guten und treuen Diener des Evangeliums beim Erscheinen des obersten Hirten die unvergleichbare Krone der Glorie (vgl. 1 Petr 5,4) empfangen werden. 2. Während der letzten Jahrzehnte konnten eure Pastoralprogramme aus den regelmäßigen und detaillierten Studien und Rundfragen über zahlreiche Aspekte des Lebens der Kirche in der irischen Gesellschaft Nutzen ziehen. Ihr seid sicher für die Kraft und die Authentizität des christlichen Glaubens und Lebens in weiten Kreisen der Bevölkerung dankbar. Eure Ortskirchen können mit zahlreichen fähigen Priestern, Ordensleuten und Laien rechnen, die auf allen Gebieten des kirchlichen und des bürgerlichen Lebens tätig sind. Ihr könnt auf die Lebendigkeit und die Dynamik der Gläubigen und insbesondere der jungen Menschen zurückgreifen, um den Aufrufen zu Nächstenliebe, missionarischer Tätigkeit und Dienstleistung sowohl im eigenen Land als auch in vielen anderen Teilen der Welt Folge leisten zu können. Der irische Beitrag zur Missionstätigkeit der Kirche war und ist ein wunderbares Zeichen dafür, daß die Gnade Gottes auch nicht vergebens geschenkt wurde (vgl. Kor 6,1). Ihr seid auch Zeugen eines neuen Aufbruchs christlichen Lebens unter den Gläubigen, das in Gebetsgruppen oder Bibelrunden, durch ihre aktivere Teilnahme an der Liturgie und ihren Einsatz in vielen Formen des Apostolats zum Ausdruck kommt. Spontan fallen mir die Worte des hl. Paulus ein: „Wir danken Gott für euch alle... unablässig erinnern wir uns vor Gott, unserem Vater, an das Werk eures Glaubens, an die Opferbereitschaft eurer Liebe und an die Standhaftigkeit eurer Hoffnung auf Jesus Christus, unseren Herrn (1 Thess 1,2-3). Der Versklavung durch den Konsum entgegenwirken 3. Einige der vordringlichsten Herausforderungen, denen ihr als Hirten gegenübersteht, sind das Ergebnis der tiefgreifenden Veränderungen, die in der zeitgenössischen Welt vor sich gehen und in der irischen Gesellschaft weitge- 1952 AD-LIMINA-BES UCHE hend und nachhaltig spürbar sind. Andere sind dem Ruf nach Erneuerung eigen, den das II. Vatikanische Konzil der Kirche des ausgehenden 20. Jahrhunderts übertragen hat. Im Licht dieser Umstände kommt eurer Aufgabe als Bischöfe besondere Dringlichkeit und Verantwortung zu, insbesondere den jüngeren Generationen irischer Frauen und Männer gegenüber, die das Recht haben, in jeder Weise bei der Übernahme ihres spirituellen Erbes Hilfe zu erfahren. Ihr wißt sehr wohl um die hohen Anforderungen, die an eure seelsorgerische Führung gestellt werden. Die wirtschaftliche Entwicklung und der höhere Lebensstandard sind nicht allen auf die gleiche Weise zugute gekommen. Nur zu oft seid ihr Zeugen neuer und tragischer Formen von Armut und Entfremdung, die insbesondere die alten und die jungen Menschen treffen. Die Geißel der Arbeitslosigkeit hat die irische Gesellschaft hart getroffen und wurde zur Ursache des Leidens für viele Familien. Andere soziale und kulturelle Veränderungen, welche die materielle Entwicklung begleiten, haben in manchen Menschen Unsicherheit und Verwirrung hinsichtlich fundamentaler Wahrheiten und Werte — einschließlich jener, die grundlegende Gegebenheiten wie die Familie und den Wert des Lebens selbst betreffen — hervorgerufen. Viele, insbesondere unter den Jugendlichen, finden es immer schwieriger, sich klare und vollständige Prinzipien anzueignen, auf deren Grundlage sie den Aufgaben und Verantwortungen des Lebens entsprechen können. Die Lage wird durch die Aggressivität der Konsumgesellschaft und durch die Kraft der Selbstsucht im Einzelmenschen und in mehr oder weniger größeren Bereichen der Gesellschaft noch komplizierter. 4. Viel hat sich seit meinem Besuch in eurem Land im Jahr 1979 ereignet. Dennoch scheint es mir angebracht zu wiederholen, was ich während der unvergeßlichen Eucharistiefeier im Phoenix Park sagte: „Ja, Irland, das so viele schwere Augenblicke im Laufe seiner Geschichte überwunden hat, wird in unseren Tagen wieder herausgefordert ... Die Herausforderung, vor der wir bereits stehen, ist die Versuchung, als wahre Freiheit anzuerkennen, was in Wirklichkeit nichts anderes ist als eine neue Form von Sklaverei. Es ist deshalb um so dringender, daß wir uns in die Wahrheit versenken, die von Christus kommt, der „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) ist; daß wir uns versenken in die Kraft, die er selbst uns durch seinen Geist anbietet“ (Homilie, 29. September 1979, Nr. 3 u. Nr. 4). Mein Gebet für Irland ist, daß beim Aufbau einer Gesellschaft, die imstande ist, auf gerechte und harmonische Weise den Nöten des ganzen Volkes zu entsprechen, die Wahrheit, die von Christus ausgeht, euch jene Worte lehren möge, die wahrhaft der menschlichen Würde entsprechen und zum Frieden führen. Möge eure Liebe 1953 AD-LIMINA-BES UCHE zu Jesus Christus, für die eure Geschichte ein so klares Zeugnis ablegt, angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen immer unerschütterlicher und tatkräftiger werden. In verschiedenen Hirtenbriefen und Dokumenten habt ihr einige der brennendsten und dringendsten Fragen eures Amtes aufgegriffen. Ich erinnere an euren Hirtenbrief „Die Liebe ist für das Leben“, der in der Fastenzeit 1985 veröffentlicht wurde, sowie an euer „Dokument über Ehe, Familie und Scheidung“, das während der kürzlich stattgefundenen öffentlichen Auseinandersetzung über diese Fragen in eurem; Land erschien. Euer persönliches Zeugnis der Treue zur Lehre der Kirche und eure Einigkeit der gegenseitigen Unterstützung innerhalb der Bischofskonferenz sind ein wesentlicher Dienst, den ihr der von euch in Liebe geleiteten Glaubensgemeinschaft leistet. 5. Ihr wurdet als Hirten des Volkes Gottes auf den Spuren des II. Vatikanischen Konzils, der außerordentlichen Gabe des Heiligen Geistes an die Kirche unserer Zeit berufen. Es ist notwendig, von Zeit zu Zeit auf die Konzilsdokumente zurückzukommen, um ein genaues und vollständiges Bild von der Kirche, ihrer Sendung, ihrem Ursprung und ihrem Aufbau sowie von den göttlichen und menschlichen Elementen zu erhalten, die ihre wahre Natur als Sakrament und Mittel zum Einssein mit Gott und zur Einheit des ganzen Menschengeschlechtes ausmachen (vgl. Lumen gentium, Nr. 1). Als Bischöfe habt ihr die Pflicht, von dieser Auffassung erfüllt zu sein und sie euren Priestern weiterzugeben, die mit euch die Verantwortung für die Diözesen teilen. Ihr sollt ständig darauf bedacht sein, in euren engsten Mitarbeitern, euren Priestern, eine wahrhaft spirituelle Auffassung und eine überzeugte Haltung des Dienstes am Volk Gottes zu fördern. Eure Priester wissen, daß sie für ein besonderes Amt innerhalb der Kirche erwählt sind und nur dann treue Diener Christi sein können, wenn sie sich dem Dienst und der Weitergabe eines Lebens widmen, das anders als das irdische ist. Gleichzeitig wissen sie, daß sie den anderen keinen wirksamen Dienst leisten können, wenn sie dem Leben und den Lebensbedingungen ihrer Brüder und Schwestern fremd bleiben (vgl. Presbyterorum Ordinis, Nr. 2). Deshalb blicken sie auf euch in der Erwartung eines Beispiels heiligmäßigen Lebens und der Hingabe an das Hirtenamt, zu dem ihr alle berufen seid. Wenn ihr sie als Freunde in Jesus Christus (vgl. Joh 15,15) betrachtet, werdet ihr wissen, wie ihr sie bei der Erfüllung ihrer schwierigen, aber erhabenen Aufgabe ermutigen und unterstützen müßt. <89> <89> Das gleiche gilt in entsprechender Weise für die Ordensmänner und -frauen, die mit euch für den Aufbau und die Ausbreitung des mystischen 1954 AD-LIMINA-BES UCHE Leibes Christi (vgl. Christus Dominus, Nr. 33) arbeiten. Der Beitrag, den viele in Irland ansässige Ordensgemeinschaften zum Leben und zur Sendung der Kirche — sowohl in der Heimat als auch im Ausland — leisten, ist unermeßlich. Es ist von größter Bedeutung, daß die gesamte kirchliche Gemeinschaft ihr Zeugnis für die evangelischen Räte inmitten des zunehmenden Säkularismus als Hinweis auf die Gesetze und Werte des eschatologischen Reiches, dem das ganze Volk Gottes im Glauben entgegengeht, begrüßt, achtet und unterstützt. Die Ordensleute wieder sind dazu berufen, die radikale Nachfolge Christi, welche die Grundlage ihrer besonderen Stellung in der Glaubensgemeinschaft bildet, noch lebensvoller und klarer zu gestalten. Was eure Priester und Ordensleute betrifft, so teile ich mit euch die Sorge, die heute auf weiten Kreisen der Kirche, insbesondere in den traditionell christlichen Ländern lastet: der Rückgang der geistlichen Berufungen. Es ist dies ein Problem, das wir in seiner ganzen Bedeutung und seinem ganzen Ernst wahrnehmen müssen. Das Interesse, mit dem ihr es in euren Diözesen verfolgt, gereicht mir zum Trost und ich nehme diese Gelegenheit wahr, um die Erfordernisse der Weltkirche aufzugreifen, die der Missionstätigkeit der irischen Bischöfe, Priester und Ordensleute so viel Dank schuldet. Während andere Formen des Apostolats und des Dienstes nachdrücklich empfohlen werden sollen, müssen insbesondere die Jugendlichen aufgefordert werden,' eine direkte Berufung zum Priestertum oder zum Ordensleben in Betracht zu ziehen. Es handelt sich hier um eine Sache, bei der der Glaube der gesamten kirchlichen Gemeinde auf dem Spiel steht. Jede Berufung ist einmalig und ist eine persönliche Antwort, die Christus gegeben wird, spiegelt doch gleichzeitig auch die Lebenskraft und die Fruchtbarkeit des Bodens wider, auf dem sie Gestalt annimmt. Maynooth — Schule priesterlicher Heiligkeit und theologischen Studiums 7. Eine der nachhaltigsten Erinnerungen an meine Reise nach Irland ist die an die so zahlreich in Maynooth, dem nationalen Seminar Irlands versammelten Priester, Ordensleute, Missionare und Seminaristen. Maynooth, das sich auf die Feier seines zweihundertjährigen Bestehens im Jahr 1995 vorbereitet, hat zum Leben und zur Sendung der Kirche in Irland und in der ganzen Welt einen unschätzbaren Beitrag geleistet. Anläßlich meines Besuches brachte ich die Hoffnung zum Ausdruck, die nicht nur die meine, sondern gleichsam die des ganzen Volkes Gottes ist, Maynooth möge einer ebenso großen Zukunft entgegengehen. Nun ist mir bekannt, daß das katholische Volk Irlands gebeten wurde, einem Aufruf zur besonderen finanziellen Unterstützung des Kollegs nachzukom- 1955 AD-LIMINA-BESUCHE men, deren dieses dringend bedarf. Gerne erkläre ich mich mit diesen Bemühungen solidarisch und bete für Maynooth, damit es weiterhin als „eine Schule priesterlicher Heiligkeit, eine Akademie Theologischen Studiums, eine Universität katholischen Geistes“ auf jede Weise die Achtung verdiene, die es sich in der gesamten katholischen Welt erworben hat (vgl. Ansprache in Maynooth, 1. Oktober 1979, 1). 8. Ich habe bereits die ganz besondere Gnade erwähnt, welche am Vorabend des dritten christlichen Jahrtausends die vom II. Vatikanischen Konzil ausgegangenen Richtlinien und Impulse für die Kirche darstellen: sie sind in den Lebensstrom der katholischen Gemeinschaft hineingeflossen und in gewissem Sinn auch in den der Welt. Die Erneuerung der christlichen Lebensweise, die das Konzil beabsichtigte, stellt noch immer eine nachhaltige Herausforderung für unser bischöfliches Amt dar. Viel wurde bereits getan und wir wissen, daß der Herr weiterhin und überall die Kirche zu einer besonders dynamischen Präsenz in Gesellschaft und Kultur aufruft, „in der Heilung und Erhebung der menschlichen Personenwürde, in der Festigung des menschlichen Gemeinschaftsgefüges, in der Erfüllung der menschlichen Alltagsarbeit mit tieferem Sinn und besonderer Bedeutung“ (Gaudium et spes, Nr. 40). Eine hochherzige Antwort auf den universellen Aufruf zur Heiligkeit stellt zweifellos die innere Kraft einer solchen Erneuerung des kirchlichen Lebens dar. Die spirituellen Energien für einen Dienst müssen der Gnade und der Heiligkeit des Lebens entspringen und daher jenen Mitteln, die den geistlichen Fortschritt fördern, insbesondere der Eucharistie und den anderen Sakramenten. In den letzten Jahren ist die Wertschätzung des Bußsakramentes bei manchen Menschen zurückgegangen. Bischöfe und Priester müssen den häufigen Empfang dieses Gnadenmittels neuerlich fördern, damit die Kirche, das Haus Gottes, (vgl. 1 Kor 3,11) auf keinem anderen Fundament errichtet werde als auf Christus, dem Stein, den die Bauleute verworfen haben, der jedoch zum Eckstein geworden ist (vgl. Mt 21,42). Die geistliche Erneuerung erfordert eine Vertiefung der Frömmigkeit, von entsprechenden Formen persönlicher und volkstümlicher Devotion genährt, besonders von jenen, die sich in der Vergangenheit als wertvoll erwiesen haben. Als Beispiele erwähne ich u. a. Pilgerfahrten, Bußtraditionen und das Rosenkranzgebet in der Familie, das in vielen irischen Häusern Tradition war. Diese Frömmigkeitsübungen sollten nicht einfach nur deshalb aufgegeben werden, weil sie nicht neu sind. 1956 AD-LIMINA-BES UCHE Laien im kirchlichen Dienst sollen loyal sein 9. Die kommende Bischofssynode über die Sendung und die Rolle der Laien in der Kirche wurde weithin als Gelegenheit für die notwendige Reflexion über die Antwort der Laien auf den Aufruf des Konzils betrachtet, ihre spezifische Verantwortung, insbesondere hinsichtlich der Ausbreitung des Reiches Gottes im zeitlichen Bereich zu übernehmen. Innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft als solcher haben Laien — Männer und Frauen — sowohl in der Liturgie als auch in den Organisationen viele Pflichten übernommen, mittels derer die Kirche ihre seelsorglichen und karitativen Aufgaben erfüllt. Es handelt sich hier selbstverständlich um eine positive Entwicklung, die ihr auf jede Weise fordern sollt, und zwar in jener Art, die der Natur und der Sendung der Kirche selbst entspricht. Eine solche positive Unterstützung bedeutet jedoch, daß Laien — ebenso wie Priester und Ordensleute — wenn sie Stellen einnehmen, in denen sie in irgendeiner Weise die Haltung oder die Lehre der Kirche vertreten, im Herzen und im Geist mit der Kirche eins sein müssen und niemals Meinungen äußern dürfen, die von ihrer ausdrücklichen Lehre abweichen; sie würden sonst unter den Gläubigen Verwirrung hervorrufen oder die Gewißheit moralischer Prinzipien untergraben. Es handelt sich hier um ein Erfordernis der Gerechtigkeit und ebenso um eine hervorragende Form kirchlichen Dienstes. Das gleiche gilt für die Kommissionen und Agenturen, die von der Bischofskonferenz zu erzieherischen oder karitativen Zwecken sowohl in Irland als auch in anderen Teilen der Welt errichtet wurden. Über all diese Stellen habt ihr, die Hirten, Autorität und seid für ihr Wirken zum Wohl der Kirche verantwortlich. Konflikte sind vermeidbar Christi Friede in den Herzen 10. Liebe Mitbrüder im Bischofsamt, auf vielen anderen Gebieten eures bischöflichen Dienstes möchte ich euch ermutigen und mit meinen Gebeten und meiner brüderlichen Hilfe unterstützen. Wenn ich an die Kirche in Irland denke, sehe ich Menschen vor mir, die „das Zeichen des Glaubens aufgeprägt haben, ein Volk, das die Nachhaltigkeit seiner in der Taufe empfangenen Weihe durch seine Treue zum Wort Gottes und zu seiner kirchlichen Berufung unter Beweis gestellt hat. Ich sehe, daß ihr sehr um ökumenisches Verständnis und ökumenische Zusammenarbeit bemüht seid, „heute hier in Irland, wo der Versöhnung zwischen Christen besondere Dringlichkeit zukommt, wo sie aber auch in der Tradition des christlichen Glaubens und der Treue zur Religion, die sowohl für die katholische wie für die protestantische 1957 AD-LIMINA-BES UCHE Gemeinschaft kennzeichnend sind, besondere Mittel und Hilfen hat“ (vgl. Ansprache an die flihrenden Persönlichkeiten der christlichen Kirchen, 29. September 1979). Die katholische Kirche in Irland lehrt, wie ich sehe, die Wege des Friedens und der Solidarität und setzt sich für eine Änderung jener Bedingungen ein, die politische Gewalt hervorrufen. Konflikte sind nicht unvermeidlich. Der Friede Christi kann und sollte in den Herzen aller herrschen. Jede neue Generation irischer Frauen und Männer weckt neuerlich die Hoffnung, daß die Vorurteile der Vergangenheit und die Ungerechtigkeiten der Gegenwart schließlich einer Gesellschaft weichen werden, die auf der Achtung für die Würde jedes Menschen und auf der gegenseitigen Liebe in Jesus Christus beruht. Durch euch möchte ich der ganzen kirchlichen Gemeinschaft in Irland einen Gedanken mitteilen, den ich bereits anläßlich meines Besuches in May-nooth im Jahr 1979 zum Ausdruck brachte: „Ihr müßt tätig sein in der Überzeugung, daß diese Generation, die der achtziger Jahre, vor deren Beginn wir unmittelbar stehen, für die Zukunft des Glaubens in Irland kritisch und entscheidend sein kann. Wiegt euch nicht in Selbstzufriedenheit! Wie der hl. Paulus sagt: ,Seid wachsam, steht fest im Glauben, seid mannhaft, seid stark!' (7 Kor 16,13).“ Möge die Mutter unseres Herrn Jesus Christus , die Königin Irlands, für euch, die Hirten, und für die geliebte Kirche in eurem Land ihre Fürsprache einlegen. Die Evangelisierung fortsetzen Ansprache an die Bischöfe von Madagaskar anläßlich ihres Ad-limina-Besu-ches am 15. Mai Lieber Herr Kardinal, liebe Mitbrüder im Bischofsamt! 1. Aufrichtig danke ich ihrem Präsidenten für das Gefühl der Verbundenheit, das er im Zusammenhang mit einigen grundlegenden Problemen des Lebens der Kirche und der Gesellschaft in Madagaskar zum Ausdruck gebracht hat. Diese Probleme habe ich bereits aufmerksam zur Kenntnis genommen aufgrund des Berichtes, den er mir zugesandt hat, sowie aufgrund der verschiedenen Fünfjahresberichte, die von den Hirten der Ortskirchen sorgfältig vorbereitet werden und Gegenstand eingehender Studien des zuständigen Missionsdikasteriums sind. 1958 AD-LIMINA-BES UCHE Euch allen versichere ich, daß es mir eine Freude ist, euch hier in Rom bei den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus zu sehen. Wir alle haben Anteil an dem Erbe ihres begeisterten Glaubens an Christus und ihres Kirchenbewußtseins. In unserem Amt als Nachfolger der Apostel folgen wir ihren Spuren mit dem gleichen Mut, den Glauben zu bekennen, die Kirche aufzubauen und die Gesellschaft, in die Gott uns hineingestellt hat, mit dem Sauerteig des Evangeliums zu duchdringen. Wir beten gemeinsam für dieses Anliegen: das ist der erste Zweck eures Ad-limina-Besuches. Darüber hinaus könnt ihr mit dem Nachfolger Petri und mit seinen Mitarbeitern in der Kurie Probleme eurer Mission in Verbindung mit der Weltkirche von heute besprechen. Auch denke ich gerne an die Möglichkeit einer Begegnung mit euch in eurem Land, sobald Gott mir erlauben wird, eure freundliche Einladung anzunehmen. 2. Dieser Monat Mai und die Eröffnung des Marianischen Jahres laden uns ein, unseren Blick auf die erste Magd des Herrn, auf Maria, das Vorbild der Kirche zu richten. Als sie im Augenblick der Heimsuchung für ihren Glauben gepriesen wird, denkt sie vor allem daran, Gott zu danken, der Großes in ihr gewirkt hat. Bevor ihr die Erfordernisse näher erforscht, welche die euch anvertrauten schwierigen Aufgaben mit sich bringen, sollt auch ihr euch zuerst der Gnaden bewußt werden, die dem madagassischen Volk zuteil geworden sind. Seine Seele war schon von einer großen, von den Ahnen überlieferten Weisheit gekennzeichnet, die zu Gott hinlenkte und eurem Volk einen tiefen Sinn für menschliche Solidarität mitteilte. Als ihnen die Frohbotschaft des Evangeliums verkündigt wurde, haben sich viele Madagassen freudig ihr zugewandt, und die Evangelisierung hat im ganzen Land schon reiche Früchte getragen. Die christliche Treue hat, manchmal mit dem Mut der Märtyrer, verschiedenen Schwierigkeiten standgehalten. Die Kirche wurde mit ihren madagassischen Bischöfen, Priestern und Ordensleuten im Land verwurzelt. Viktor Rasoamanarivo, den wir seligzusprechen hoffen, ist ein bemerkenswertes Zeugnis für das Voranschreiten der Laien auf dem Weg der Heiligkeit. Die Kirche erfreut sich heute eurer Meinung nach einer großen Freiheit zur Verkündigung des Evangeliums. Auf jeden Fall ist sie eine große Hoffnung für die moralische Erneuerung der Gesellschaft; gleichzeitig wird ihr karitatives, soziales und erzieherisches Wirken sehr geschätzt und ist sehr gefragt. Das sind also Gründe zum Vertrauen und zur Dankbarkeit. Grundlegend ist jedoch, daß der Geist des Herrn mit euch in dem Maß arbeitet, in dem die Glaubenden sich ihm zur Verfügung stellen. 1959 AD-LIMINA-BESUCHE Die Kraft des Glaubens belebe die ganze Alltagswirklichkeit 3. Freilich, die euch übertragene Aufgabe ist sehr groß, sowohl was die Ausbreitung der Kirche und die Stärkung und Vertiefung des Glaubens als auch was den Beitrag der Christen zur Aufrichtung der Nation betrifft. Ja, die begonnene Evangelisierung muß fortgesetzt werden. Wer würde nicht den Wunsch hegen, seinen Brüdern und Schwestern die Liebe Gottes mitzuteilen, die uns in Jesus Christus ohne unser Verdienst geoffenbart wurde, und ihnen zur freien Annahme, fern von jeglichem Sektierertum, die Heilsmittel und das Leben bekanntzumachen, die Christus seiner Kirche anvertraut hat? Ich denke an das Gebiet der Hochebenen, wo viele Madagassen den Glauben angenommen haben und lebendige christliche Gemeinden bilden. Es ist mein Wunsch, daß ihr freudiger Glaube auf die Katechumenen und auf jene ausstrahle, denen das Christentum noch fremd ist. Vor allem aber wünsche ich, daß der hauptsächlich von den Missionaren und dann von den madagassischen Priestern empfangene Glaube das tägliche Leben, die Kultur und die familiären und gesellschaftlichen Sitten der Getauften befruchte. Ihr habt das Problem der Inkulturation hervorgehoben. Am 13. August 1985 habe ich in "Yaounde vor den Intellektuellen und den Studenten ausführlich darüber gesprochen (Nr. 7, 8, 9). Man kann in diesem Zusammenhang von einer neuen Evangelisierung sprechen, die nun bereits in euren Händen liegt. Sie zielt darauf ab, aus der echt christlichen, vom Höchsten empfangenen Saat echt madagassische Früchte hervorzubringen, in Einheit mit den anderen Teilkirchen des afrikanischen Kontinents und mit der Weltkirche. Es gibt in der Tat eine gemeinsame theologische Grundlage, die bei einer weiteren Vertiefung in die verschiedenen Kulturen der verpflichtende Weg und der Prüfstein für wirklich christliche Sitten ist. Das Problem der Inkulturation, das tatsächlich für Madagaskar — wie übrigens für ganz Afrika — besteht, erfordert Wachsamkeit, damit die einheimischen kulturellen Werte nicht die Botschaft des Glaubens und der Moral verwischen, wie sie die katholische Kirche lehrt und wie sie die ersten Generationen in der Radikalität des Evangeliums anzunehmen verstanden. Es möge genügen, an die Werte der Keuschheit, der sakramentalen Ehe und der christlichen Familie zu erinnern. Doch denke ich auch, daß die Erstevangelisierung noch ein weites Feld vor sich liegen hat, insbesondere in den Küstengebieten. Manche unterstreichen die Langsamkeit dieser Evangelisierung. Ihr sprecht in den Berichten über eure Diözesen oft von „Sympathisanten des katholischen Glaubens“, für die ihr nach Mitteln zu einer wahrhaft missionarischen Annäherung und Verkündigung sucht, die mit der Hilfe Gottes den Weg zum Glauben und zum Kate- 1960 AD-LIMINA-BESUCHE chumenat freilegen. Manche sprechen von der Notwendigkeit einer missionarischen Annäherung in den Dörfern. Andere Madagassen haben bereits in Gemeinschaften außerhalb der katholischen Kirche das Evangelium angenommen. Das II. Vatikanische Konzil hat den Weg für eine authentische Ökumene vorgezeichnet, die sowohl die Suche nach der vollen Wahrheit als auch die Personen achtet, die ihren Glauben bekennen. Diese Ökumene ist vielleicht noch schwer zu leben, vor allem bei den bekenntnisverschiedenen Ehepaaren; sie darf weder einem leichtsinnigen Relativismus weichen, der die Gewissensüberzeugungen verflacht, noch — das ist selbstverständlich — einer aggressiven Konkurrenz. Der Heilige Geist wird alle, die darum beten, den Weg eines echten ökumenischen Fortschritts finden lassen, in der Achtung, in der Liebe, die von Gott kommt und der ehrlichen Suche nach der vollständigen Einheit, wie sie der Herr unter seinen Jüngern wollte. Ich weiß, daß ihr euch um eine solche Haltung müht, wie es eure respektvolle Teilnahme an der Gedenkfeier für die ersten madagassischen Märtyrer beweist. Im übrigen müssen die Christen, von der Liebe zu ihren Landsleuten und ihrer Nation beseelt, einen guten Beitrag zum Werk der moralischen Aufrichtung und des sozialen Fortschritts leisten, das besonders dringend ist. Im Zusammenhang mit den Laien werde ich noch darauf zu sprechen kommen. 4. Den Glauben verkünden und den damit gegebenen Aufruf zur Bekehrung, den Glauben stärken und stützen, ihn vertiefen, auf die ethischen Forderungen, die er in den verschiedenen Situationen mit sich bringt, hinweisen, damit er Früchte tragen kann, all das erfordert die mutige Anwendung entsprechender seelsorglicher Mittel und bildet den Gegenstand der Sitzungen und Versammlungen, die ihr regelmäßig abhaltet. Ihr unterlaßt es nicht, euer christliches Volk zu lehren und ihm den Weg zu zeigen. Ich denke z. B. an eure Hirtenbriefe mit den Titeln „Ihr seid das Salz der Erde“, „Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium“. Die Bildung beginnt in frühem Alter, im Augenblick der Entwicklung von Geist und Herz. Die katholischen Schulen sind berufen, alles ihnen Mögliche zu tun, um eine gute Katechese und ein christliches Klima zu vermitteln, das der Erziehungsweise förderlich ist. Die katholischen Familien müssen für die katholische Schule interessiert werden, damit sie diese dem Staat gegenüber unterstützen, der es nicht unterlassen wird, den Wünschen der katholischen Eltern Rechnung zu tragen und sie hochzuhalten. Ihr seid jedoch auch auf die christliche Präsenz in den staatlichen Schulen bedacht, damit die Schüler, die diesen Wunsch haben, ihr Gewissen im Licht des Glaubens bilden und ihn in konkretes Handeln umsetzen können. Die Ausbildung der Katechisten und 1961 AD-LIMINA-BESUCHE Erzieher ist hier von besonderer Bedeutung. Die Jugendlichen sind sehr zahlreich. Daß es Spannungen gibt, vor allem unter den Studenten, ist ein Beweis für ihre Verwirrung, ihre Angst vor der Zukunft, vielleicht für eine Leere des Gewissens und manchmal für die Gefahr der Manipulation. Auf jeden Fall beweist es die Notwendigkeit, daß sie den Sinn des Lebens wiederfinden. Das ist ein ernstes Problem für die Kirche und ein Problem für die ganze madagassische Nation. Ihr steht auch vor der Notwendigkeit, eine weiterführende — spirituelle und intellektuelle — Bildung der Erwachsenen, der Priester und Ordensleute und der Laien mit Verantwortung in Kirche und Gesellschaft zu ermöglichen. Das ist um so notwendiger, als die Fragen zum Teil neu sind in einer Welt, die sich noch zwischen den althergebrachten Sitten — deren Einfluß auf die Gesellschaft geringer geworden ist — und modernen, manchmal mehrdeutigen und verunsichernden Strömungen bewegt. Ohne eine vertiefte Bildung, ohne eine lebendige und starke kirchliche Gemeinschaft würden manche Getaufte leicht versucht sein, sich vom Glauben abzuwenden, dem Synkretismus zu verfallen oder in Sekten Zuflucht zu suchen. Kompetentes Personal ist nötig, um Priesternachwuchs auszubilden 5. Was die Priester betrifft, so erfreut mich eure Sorge um die Vorbereitung des Nachwuchses, den die Kirche unbedingt benötigt. An manchen Orten ist die Zahl der Priester zu gering und auch die aus anderen Ländern stammenden nehmen zahlenmäßig ab. Ich weiß um die Bemühungen der meisten Diözesen auf dem Gebiet der Pa-storal der geistlichen Berufe, die mit Recht als vordringlich betrachtet wird. Ihr ladet die Gläubigen regelmäßig, manchmal jeden Sonntag, ein, für dieses Anliegen zu beten und sorgt für ihren finanziellen Beitrag zur Erhaltung der Seminaristen. Für euch und für den Nachfolger Petri ist es eine große Freude und Hoffnung, in vielen madagassischen Diözesen eine Zunahme der Bitten um Aufnahme ins Seminar feststellen zu können. Sie hat euch sogar veranlaßt, an eine Dezentralisierung des Seminars von Ambatoroka und an die Errichtung von Ausbildungsstätten für Priester in anderen Gebieten zu denken. Diese Fragen und ihre Einzelheiten und Erfordernisse könnt ihr weiterhin mit der Kongregation für die Glaubensverbreitung besprechen. Jeder weiß in der Tat, daß diese Seminare in der Lage sein müssen, eine entsprechende Vorbereitung, sowohl auf intellektueller als auch auf seelsorglicher Ebene und gleichzeitig eine solide geistliche Bildung zu vermitteln. Noch dringlicher als die entsprechenden Gebäude erfordert die Ausbildung der zukünftigen Priester hoch- 1962 AD-LIMINA-BESUCHE qualifiziertes Personal, das es versteht, die Seminaristen zu unterrichten, mit klarem Blick zu führen und zu begleiten. Auch wißt ihr sehr wohl, daß, was die Beweggründe, die Fähigkeiten und die Bereitschaft zur Übernahme der moralischen und spirituellen Verpflichtungen des priesterlichen Lebens betrifft, von vornherein eine umsichtige Auswahl getroffen werden muß. Zweifellos trägt die Qualität der kleinen Seminare viel zu dieser Vorbereitung bei, und das in dem Maße, als sie ihre Identität beibehalten und für eine spezifische Orientierung der Kandidaten für das Priesterseminar sorgen. 6. Ebensoviel sollte ich über das Leben und die Vorbereitung der madagassischen Ordensleute sagen. In einem Bericht habe ich eine Bemerkung gefunden, die mich erfreut hat: über das segensreiche Wirken der Ordensfrauen im Dienst der Evangelisierung. Tatsächlich beglückt mich das Wissen um das Aufblühen des Ordenslebens in Madagaskar, sowohl des tätigen als auch des beschaulichen. Übermittelt diesen Brüdern und Schwestern die Ermutigungen des Papstes. Dabei will ich keineswegs die tapferen Ordensleute vergessen, die aus anderen Ländern gekommen sind. Mit euch wünsche ich, daß sie unter eurer Verantwortung weiterhin ihr sehr wertvolles Zeugnis ablegen und ihre kostbare spezifische Hilfe leisten. Sie bilden auch eine immer wertvolle Verbindung mit der Weltkirche. <90> <90> Das Herannahen der Bischofssynode über das Laienapostolat führt uns neuerdings den gesamten Beitrag der Getauften zum Leben der christlichen Gemeinden und der Gesellschaft vor Augen. Seine Förderung in Madagaskar liegt euch seit langem am Herzen, und einige Diözesanberichte wünschen den Einsatz sowohl der Männer als auch der Frauen. Die Synode wird dazu beitragen, die Natur der Berufung der Laien, den Umfang ihrer Mission und die Bedingungen für ihre spirituelle, doktrinäre und seelsorgliche Ausbildung genauer zu klären. Das Familienleben ist ein Gebiet von grundlegender Bedeutung, und ihr erwähnt oft die andauernden Schwierigkeiten, die sich einem zahlreicheren Engagement getaufter Eheleute in einem unauflöslichen, ausschließlichen und fruchtbaren Bund entgegenstellen, wie es für den Empfang des Ehesakramentes unerläßlich ist, das wiederum den treuen Ehegatten den würdigen Empfang der Eucharistie gestattet, deren sie so sehr bedürfen. Die Inkulturation des christlichen Glaubens auf dem Boden Madagaskars kann von diesen Erfordernissen nicht absehen, sie kann aber vielleicht eine der dortigen Mentalität entsprechendere Vorbereitung gestatten, indem sie sich des Positiven bedient, das bestimmte Sitten in sich schließen. Dafür sind ernsthafte und 1963 AD-LIMINA-BESUCHE kluge Studien, eine mit den anderen Ortskirchen und mit dem Heiligen Stuhl abgestimmte Pastoral und vor allem größere Bemühungen im Rahmen der Vorbereitung auf die Ehe erforderlich, damit die Gewissen zur Wahrnehmung der Größe, der geistlichen Schönheit und der menschlichen Entfaltung hingelenkt werden, welche die dem Evangelium gemäße Ehe mit sich bringt. Dieses bessere Verständnis des Ehesakramentes sollte, dank der Katechese über Ehe und Familie und des Beispiels und der Unterstützung der christlichen Ehepaare einer größeren Zahl von Getauften erlauben, ihre Furcht zu überwinden, das Sakrament der Ehe zu empfangen und die ihm entspringenden Verpflichtungen auf sich zu nehmen. Wie könnte man daran zweifeln, daß Christus die Gnade zur Annahme seines Rufes schenken wird? Schlechte materielle Ausgangsbedingungen fördern unmoralisches Handeln 8. Was den Bereich der Gewissensbildung betrifft, so denke ich selbstverständlich an alles, was das persönliche und das gesellschaftliche Leben betrifft. Euer Bericht beschreibt die derzeit in Madagaskar herrschende, sehr ernste menschliche Situation. Es handelt sich dabei nicht nur um einen Mangel an Nahrungsmitteln — insbesondere an Reis — und manchmal sogar um Hungersnot, die durch Unwetter oder Zyklone regelmäßig verschärft wird. In diesem Punkt geben die Christen ein Zeugnis erfreulicher Solidarität im Rahmen der Caritas Madagaskar (Verbindungsbüro für soziale und karitative Aktionen) und in Verbindung mit Caritas Intemationalis; ihre Hilfe für die Hungernden, die Obdachlosen, die Kinder und die Aussätzigen ist bewundernswert. Es besteht jedoch das schwerwiegende Problem der Verschuldung, der Arbeitslosigkeit, und auf diesem Gebiet sind Verständnis und internationale Hilfe wünschenswert. Vor allem ist vom ernsten Verfall des moralischen und sozialen Klimas die Rede, das die Mentalität des „jeder für sich“ fördert; den Überfluß angesichts des Elends der Mehrheit; den Mangel an Berufsethik und an Einsatz für das Gemeinwohl; die weitverbreitete Korruption; das Mißtrauen; die Unsicherheit, den Hang zum Drogenkonsum, zum Diebstahl, zur persönlichen Rache und zur Gewaltanwendung; den Mangel an Achtung vor dem Leben. Man wird sich des Ernstes der Lage für die Zukunft des Landes bewußt, das nicht um eine geduldige moralische Wiederaufrichtung auf allen Ebenen herumkommen wird. Hier ist die Kirche dazu berufen, jenen Beitrag zu leisten, den ihr ihre Ethik des Dienens, der Gerechtigkeit, der Wahrheit, der Liebe, des Verzeihens und der Hoffnung erlaubt. Nicht daß sie selbst direkt eine politische Rolle übernehmen sollte; diese steht nicht den Priestern zu, sondern 1964 AD-LIMINA-BESUCHE den mit dieser Verantwortung rechtmäßig betrauten Behörden, denen es obliegt, die Bürger bei frei zu treffenden Entscheidungen heranzuziehen. Die Kirche kann jedoch viel für die Erleuchtung und Bildung der Gewissen tun; sie kann dem Leben und Handeln Sinn geben, die Jugend erziehen, das Beispiel des Teilens geben und die Laien auffordern, sich in den Dienst der politischen Gemeinschaft zu stellen. Ich denke da an euren Hirtenbrief: „Die Macht im Dienst der bürgerlichen Gemeinschaft“. Die für das Gemeinwohl Verantwortlichen haben von dieser moralischen Teilnahme der Kirche nichts zu befürchten, und das madagassische Volk scheint in diesem Bereich große Hoffnungen auf sie zu setzen. Es handelt sich hier um ein heikles, schwieriges und selbstlos zu vollbringendes Werk. Ich bete zum Herrn, damit er Hirten und Gläubige auf diesem Weg führe. 9. Liebe Mitbrüder im Bischofsamt, ihr steht vor einem entscheidenen Augenblick in der Geschichte der großen Insel. Ich weiß, daß ihr an der schweren Verantwortung, die auf euren Schultern lastet, eure Priester, Ordensleute und Katechisten sowie die Mitglieder der Katholischen Aktion und der anderen Bewegung weitgehend teilnehmen laßt. Jedem von euch obliegt die Leitung der Pastoral in ihrer Gesamtheit; niemand kann das an eurer Stelle tun. In manchen Punkten jedoch, wo es sich um eine bessere Verwurzelung der christlichen Botschaft handelt, werden ein Meinungs- und Erfahrungsaustausch und eine Übereinkunft vor allem mit euren Mitgliedern vom afrikanischen Kontinent nützlich sein, ganz gleich, welche Form der Zusammenarbeit dabei als nützlich erachtet wird. Und über diesen Kontinent hinaus ist die Weltkirche ständig Garant für die Authentizität des christlichen Fortschritts, in Übereinstimmung mit der lebendigen Tradition der Kirche. Diese hält die ursprüngliche Echtheit des Salzes und des Sauerteiges aus dem Evangelium mit der allen gemeinsamen Lehre und kirchlichen Disziplin aufrecht; sie gestattet es, mit der ihr eigenen Klugheit und Kühnheit die besten Bedingungen für das Vorwärtsschreiten herauszufinden. Ist das nicht der Grund für eure Begegnung mit dem Nachfolger Petri, dem Prinzip und Fundament der Einheit aller Kirchen? Ich versichere euch, daß ich euch in euren pastoralen Bemühungen nahe bin, und bitte Gott, er möge in euch den Eifer, den Frieden und die Hoffnung stärken. Aus ganzem Herzen segne ich euch und alle, die mit euch Zusammenarbeiten, jede eurer Diözesen und das ganze madagassische Volk. 1965 AD-LIMINA-BES UCHE Die Evangelisierung verlangt eine tiefe Gemeinschaft aller Mitglieder der Kirche Ansprache an die Bischöfe von Malta anläßlich ihres Ad-limina-Besuches am 4. Juni Liebe Brüder! 1. Mit brüderlicher Liebe in unserem Herrn Jesus Christus heiße ich euch heute anläßlich eures Ad-limina-Besuches willkommen. Dieser Besuch soll die Bande der Gemeinschaft festigen und feiern, die die Ortskirchen von Malta und Gozo mit dem Bischof von Rom und der Weltkirche vereinigen. Er bietet mir auch die Gelegenheit, euch in der Ausübung eures Bischofsamtes zu unterstützen, so daß wir gemeinsam als Hirten sowohl die Priesterschaft als auch die Laien ermuntern, in der Liebe zu Gott und im liebenden Dienst an ihrem Nächsten zu wachsen. Die christlichen Gläubigen eures Landes sind für ihre Treue zum Stuhle Petri und für die Lebendigkeit ihres christlichen Lebens wohlbekannt. Dies zeigt sich an den starken religiösen Traditionen Maltas; an der Häufigkeit, mit der die Gläubigen an der Eucharistie und den anderen Sakramenten teilnehmen; den vielen erfolgreichen Einrichtungen, die dem Apostolat, der Erziehung, der Nächstenliebe und dem Sozialdienst gewidmet sind; der gegenwärtigen neuen Bewegungen zur Förderung des christlichen Lebens; der verhältnismäßig großen Anzahl an Priestern und Ordensleuten und ihrem Eifer im Dienst der eigenen Diözesen als auch anderer Länder vor allem in den Missionen; am hochherzigen Einsatz der Laien in der Bezeugung des Evangeliums. Wir danken Gott für dieses große „geistige, aus lebendigen Steinen gebaute Haus“ (1 Petr 2,5). 2. - Zugleich ist die Kirche in Malta ebenso wie andere kirchliche Gemeinschaften zu beständiger Erneuerung aufgerufen. Im Lichte des Zweiten Vatikanischen Konzils und mit der Hilfe des Heiligen Geistes ist sie dazu berufen, sowohl die Gaben Gottes als auch die Hoffnungen und Bedürfnisse der Gesellschaft klar zu erkennen, in denen wir zum jetzigen Zeitpunkt der Geschichte leben. Sie ist aufgerufen zu fortwährender Umkehr und Reinigung um der Sendung willen, die die gesamte Kirche von ihrem Herrn empfangen hat: ein „Sakrament des Heils“ für alle Menschen bis zum Ende der Zeiten zu sein. Wie mein Vorgänger Paul VI. in der Enzyklika Evangelii nuntiandi so überzeugend geschrieben hat, ist diese Sendung die einer Evangelisierung. Die Evangelisierung umfaßt nicht nur die Aufgabe der Kirche, denjenigen 1966 AD-LIMINA-BESUCHE Christus zu predigen, die ihn nicht kennen oder nicht länger mit ihm leben, sondern, wie es in Evangelii nuntiandi heißt, die Aufgabe, „den Glauben derer, die bereits Gläubige genannt werden, zu vertiefen, zu festigen, zu stärken und immer noch reifer zu machen.“ (Nr. 54). Dies wird dann die Gläubigen ihrerseits zum Einsatz bei der Evangelisierung der Gesellschaft und der Kultur führen. 3. Wesentlich für diese evangelisierende Mission ist die wirksame Predigt des Wortes, denn, wie der hl. Paulus, der erste Prediger und Lehrer Maltas, uns erinnert: „... gründet der Glaube in der Botschaft, die Botschaft im Wort Christi“ (Rom 10,17). Die Predigt ist dann wirksam, wenn sie nach den Worten von Evangelii nuntiandi „einfach, klar, direkt und auf den Menschen bezogen ist, tief in den Lehren des Evangeliums verwurzelt, dem Lehramt der Kirche treu, von einem gesunden apostolischen Eifer beseelt, ... voller Hoffnung, den Glauben stärkend und Frieden und Einheit stiftend ist“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 43). Wir und unsere Priesterschaft müssen stets bemüht sein, so zu predigen, daß die zeitlose Botschaft den Geist und das Herz unseres Volkes mit all seinen Hoffnungen und Kämpfen und mit den Problemen und Sorgen berührt, die ihnen das moderne Leben bereitet. Die wirksame Predigt ist ein wichtiger Teil der beständigen Evangelisierung, die das in der Taufe empfangene Leben des Glaubens vertieft und nährt. Sie ist auch ein vorrangiges Mittel zur Erneuerung sowohl des sakramentalen Gottesdienstes, der Volksfrömmigkeit als auch der Andachtsformen, so daß diese die Lehre des Konzils wahrhaft widerspiegeln. 4. Wir sollten es auch nicht versäumen, die Unterweisung der Katechese zu erwähnen, die viele Jahre hindurch intensiv, insbesondere durch das Bemühen von Priestern, Ordensleuten und Laien — individuell oder in Gruppen — in euren Diözesen durchgeführt worden ist. Hierbei möchte ich die Gesellschaft der christlichen Lehre erwähne, die dieses Jahr den achtzehnten Jahrestag ihrer Gründung feiert. Wie bei der Predigt, muß der Inhalt der Katechese fest auf dem geoffenbarten Wort Gottes beruhen und stets mit der echten Lehre der Kirche übereinstimmen; sie muß ebenso das Bewußtsein einer gesunden modernen biblischen, theologischen und liturgischen Bildung wiederspiegeln. Ihre Methodologie muß wahrhaft wirksam sein, damit sie den Bedürfnissen derjenigen dient, auf die sie hinzielt. Katechese und allgemeine Erziehung müssen harmonisch Zusammenwirken, so daß die jungen Menschen ein christliches Verständnis des menschlichen Lebens und der Werte empfangen. In dieser Hinsicht geht das Recht der Kinder und der Jugendlichen auf eine angemessene katechetische Ausbildung 1967 AD-LIMINA-BESUCHE mit der Pflicht der Schulen und hierbei auch der staatlichen Schulen einher, sie dazu zu befähigen, diese Ausbildung zu empfangen. Auf diese Weise werden sie eine tiefere Synthese erlangen, die ihre verschiedenen Studienbereiche in die christliche Sichtweise eingliedert und mit ihr verbindet, die in so hohem Maße mit den kulturellen und geschichtlichen Wurzeln des maltesischen Volkes harmoniert. Die kirchlichen Schulen von Malta leisten auch weiterhin sowohl der Kirche als auch dem Land einen großen und notwendigen Dienst und dies dank der vielen Priester, Ordensleute, Männer und Frauen und auch danke der von den Eltern und all den katholischen Gläubigen angebotenen materiellen Hilfe. Es ist wichtig, daß diese Schulen ihre Tätigkeiten koordinieren und über die praktischen Leitlinien in enger Gemeinschaft mit euch Bischöfen entscheiden, die ihr die pastorale Verantwortlichkeit für die Wachsamkeit über alle Aspekte des Lebens der katholischen Gemeinschaft in euren Diözesen habt. Ich teile euer Interesse und eure Sorge, daß diese Schulen unter eurer pastoralen Leitung weiterhin in Harmonie mit ihrem eigenen Charakter und ihrer Geschichte blühen mögen. 5. Bisher habe ich von der Evangelisierung in ihrem Bezug zum inneren Leben der Kirche gesprochen; von den Zielen der Predigt, der Katechese und der Erziehung. Und auch davon, daß das innere Leben widerum auf den Dienst Christi und seines Evangeliums innerhalb der gesamten Gemeinschaft ausgerichtet sein muß. Dieser weitere Sinn der Evangelisierung beginnt bei der Familie, die eine wichtige Rolle sowohl als „Hauskirche“ als auch als fundamentale Zelle der Gesellschaft spielt. Die Familie ist die Stätte, wo das Zeugnis vom Evangelium konkrete Anwendung findet und sich dann auf die Nachbarn und andere ausdehnt. Die Art und Weise wie gläubige Familien leben — das heißt ihre Werte, ihre Arbeit und ihre Freizeit und das, was sie ihre Kinder lehren — legt Zeugnis von der wahren Bedeutung der Liebe, der Selbsthingabe, dem Dienst, dem Dialog, der Freiheit, der Sorge um das Allgemeinwohl, dem Gebet und so vielen grundlegenden Wahrheiten des Lebens ab, die heute vom Materialismus, vom Konsum und der Vergnügungssucht bedroht werden. Christliche Familien sind dazu aufgerufen, sich gegenseitig „Apostel“ zu sein und wahres Mitgefühl und Liebe für Familien in der Not zu zeigen, sowie in wahrer Solidarität offen zu sein für die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit. Ich weiß, daß die Bischöfe von Malta mit der Hilfe erfahrener Priester und Laien versucht haben, die der Familie gebührende Wertschätzung durch die Vorbereitung auf die Ehe hochzuhalten und auch dadurch, daß sie den Familien helfen, sich Herausforderungen in einer Weise zu stellen, die dem Evangelium und der Kirche treu ist, mit Respekt vor der Natur der Ehe und ihrer 1968 AD-LIMINA-BESUCHE Unauflöslichkeit. Ich lobe euch wegen eurer Bemühungen und ermuntere euch, mit der Evangelisierung der Familien fortzufahren, damit sie dem Geschenk des Lebens in allen sowohl körperlichen als auch geistigen Dimensionen dienen möge. Möge Malta für seine Wertschätzung des Familienlebens stets beispielhaft sein. 6. Ein weiterer Brennpunkt der Evangelisierung ist die Arbeitswelt. Die technologischen Fortschritte unserer Zeit, die eine starken Einfluß auf Einzelpersonen, Familien und die Gesellschaft haben, verlangen eine pastorale Antwort, die den Leuten helfen soll, ihre Arbeit im Lichte des christlichen Glaubens zu sehen. Wie ich in Laborem exercens erklärt habe, ist der Mensch das Subjekt der Arbeit und die Hauptgrundlage ihres Wertes. Dies bedingt den ethischen Charakter der Arbeit sowie die Rechte und Verantwortlichkeit der Arbeiter, die zu einer Spiritualität der Arbeit in der Nachfolge Christi aufgerufen sind, der selbst ein „Mensch der Arbeit“ war. Als Bischöfe seid ihr dazu aufgerufen, denjenigen hingebungsvolle und hochherzige pastorale Sorge mit kompetenter religiöser und ethischer Führung zu schenken, die in all die vielen Aspekte der Arbeitswelt einbezogen sind. 7. Wie die Arbeit, so muß auch die Kultur auf das Wohlbefinden der Einzelperson und der Gesellschaft ausgerichtet sein. Dies vor allem in der heutigen Zeit mit ihren vielen schnellen Veränderungen, die einerseits die Weiterentwicklung fordern, andererseits aber auch neue Herausforderungen schaffen. Wie uns Evangelii nuntiandi sagt, müssen die Kulturen in jeder Zeitepoche durch die Begegnung mit dem Evangelium regeneriert werden (vgl. ebd. Nr. 20). Es ist wichtig für die Kirche in Malta, daß sie sich dieser Begegnung versichert. Ihre höheren kulturellen Einrichtungen, wie z. B. die Fakultät für Theologie, die auf einer entsprechend ausgebildeten Priester- und Laienschaft beruht, kann durch geplante Interaktion mit anderen, die die Kultur der Nation in hohem Maße gestalten, einen sehr bedeutsamen Einfluß ausüben: auf Lehrer und Studenten, Gelehrte und Wissenschaftler, und auf die Mitglieder der Berufsgruppen. Es geht darum, das Evangelium als eine Alternative zu den Ideologien unserer Zeit zu verkünden, die die Einzelpersonen und die Kultur gewöhnlich in Bezug auf die Leistung, den Nutzen und die Macht beurteilen. <91> <91> Schließlich umfaßt die Evangelisierungsmission der Kirche die gesamte Gesellschaft. Gaudium et spes beschrieb dies auf eindrucksvolle Weise, wenn es heißt, daß die Kirche aufgerufen ist, „der Sauerteig und die Seele der menschlichen Gesellschaft“ (Nr. 40) zu sein. Aus ihrer religiösen Sendung 1969 AD-LIMINA-BESUCHE können „Auftrag, Licht und Kraft fließen, um der menschlichen Gemeinschaft zu Aufbau und Festigkeit nach göttlichem Gesetz behilflich zu sein“. Obschon die politische Gemeinschaft und die Kirche auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom sind, „dienen aber beide, wenn auch in verschiedener Eigenschaft der persönlichen Berufung der Menschen (Nr. 76). Ich bin zuversichtlich, daß die Kirche in Malta ihre hingebungsvolle Arbeit für eine Gesellschaft fortsetzt, die zugleich christlicher und menschlicher wird, indem sie die Freiheit und die Verantwortung ihrer Bürger fördert und, indem sie die gegenseitige Achtung und die Harmonie festigt, um einen wahren Dialog zwischen allen zu schaffen, und auch, indem sie nicht zögert, auch die Politik moralisch zu beurteilen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen (vgl. Gaudium et spes, Nr. 76). 9. Liebe Brüder, das Werk der Evangelisierung verlangt eine tiefe Gemeinschaft aller Mitglieder der Kirche, die im Ziel und in der Aktion einig sind: eine Gemeinschaft der Bischöfe, der Priesterschaft, der Ordensleute und der Laien, in der die Gaben, die wir durch die Macht des Hl. Geistes empfangen haben, fruchtbar gemacht werden. Vor allem die Laien, die ihre Berufung unmittelbar in der Welt menschlicher Angelegenheiten ausüben, legen in dieser Welt Zeugnis von “der reichen, vielschichtigen und dynamischen Wirklichkeit,, der Evangelisierung ab (vgl. Evangelii nuntiandi, Nr. 17). Gemeinsam mit euch blicke ich voller Hoffnung auf sie und lobe euch dafür, daß ihr sie mit Eifer und Hingabe hütet. Während wir das Marianische Jahr vorbereiten, möge euch Maria, die Mutter Gottes, die das maltesische Volk so sehr verehrt, euch alle in der großen Aufgabe unterstützen, daß ihr Sohn immer mehr erkannt und geliebt werde. Möge sie stets für euch ein Zeichen der Treue und eine Quelle der Kraft sein. 1970 AD-LIMINA-BES UCHE Nigeria hat einen neuen missionarischen Elan Ansprache an die nigerianischen Bischöfe aus Anlaß ihres Ad-limina-Besu-ches am 3. September Liebe Brüder im Herrn! 1. Ich freue mich, euch Mitglieder der nigerianischen Bischofskonferenz zu diesem besonderen Augenblick kollegialer Gemeinschaft während eures Ad-limina-Besuches willkommen zu heißen. Euer heutiges Zusammenkommen gibt von der Wahrheit Zeugnis, daß der Herr Jesus wollte, daß Petrus und die Apostel ein apostolisches Kollegium bildeten und so im Bande der Einheit, der Liebe und des Friedens verbunden seien (vgl. Lumen gentium, Nr. 22). Wir sind hier im Namen Jesu versammelt, der „oberste Hirte“ (1 Petr 5,4) der Kirche, der Herr und unser aller Retter. Durch ihn und im Heiligen Geist danken wir und preisen den Vater für die reiche Gnade und den reichen Segen, die er der Kirche in Nigeria geschenkt hat. Die Kraft des Evangeliums hat in den Herzen der Gläubigen Wurzeln geschlagen und die Kirche zu wachsen befähigt. Die freundlichen Grußworte, die Kardinal Ekandem in eurem und im Namen aller eurer Priester, Ordensleute und Gläubigen ausgesprochen hat, habe ich sehr geschätzt. Jeder von euch vertritt die Glieder eurer Ortskirche, und so möchte ich durch euch meine herzlichen Grüße und die Zusicherung meines Gedenkens im Gebet dem ganzen Volk Gottes darbringen, das eurer pastora-len Obhut anvertraut ist. Mit den Worten des hl. Paulus: Ich „bitte, er möge euch aufgrund des Reichtums seiner Herrlichkeit schenken, daß ihr in eurem Innern durch seinen Geist an Kraft und Stärke zunehmt. Durch den Glauben wohne Christus in eurem Herzen, in der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet“ (Eph 3,16-17). 2. Es ist für mich eine Freude, jetzt die lebhaften Erinnerungen an meinen apostolischen Besuch in Nigeria vor ungefähr fünf Jahren zu wecken. Während meines Besuches konnte ich die Lebenskraft und die Begeisterung des Glaubens eures Volkes unmittelbar erleben. Meine kurze Reise erfüllte mich mit Hoffnung für die Zukunft der Evangelisierung in eurem Land. Wie ihr euch erinnern werdet, unternahm ich den Pastoralbesuch in der Hoffnung, daß mein Kommen ein neues Zeitalter der Evangelisierung in Nigeria beginnen lassen würde. Ich bin erfreut zu erfahren, daß es einen neuen missionarischen Elan hervorgebracht hat, einen größeren Stolz der Menschen auf ihre Identität als Christen und die Entdeckung, daß eine größere Einheit auf allen Ebenen der pastoralen Arbeit notwendig ist. 1971 AD-LIMINA-BES UCHE Es ist mein wiederholtes Gebet, daß der Eifer für die Evangelisierung weiterhin die ganze Kirche in Nigeria belebt. Ich möchte die vielen mutigen Initiativen loben, die ihr schon ergriffen habt, um das Evangelium zu verkünden, und ich ermutige euch, geliebte Brüder, eure Bemühungen innerhalb der großen Aufgabe der Evangelisierung, die die wesentliche Aufgabe der Kirche darstellt, zu erneuern; es ist ihre Berufung, ihre tiefste Identität (vgl. Evangelii nuntiandi, Nr. 14). Wie ich euch während meines Pastoralbesuches in Erinnerung gerufen habe: „Praktisch bedeutet die Berufung der Kirche zur Evangelisierung vor allem, immer tiefer das Evangelium zu leben. Sie bedeutet, Jesu Ruf zur Umkehr anzunehmen und die Forderungen des von Jesus gepredigten Glaubens zu bej ahen ... So verstanden, gehört zur Evangelisierung ein Prozeß der Reinigung und inneren Wandlung, der unsere Ortskirchen erfaßt. Gemeint ist Bekehrung zum Heil: die Gemeinschaft der Kirche muß immer mehr eine Gemeinschaft lebendigen Glaubens, Gemeinschaft des Gebetes, ein Zentrum der Einheit werden, das die liebende Sorge um die Armen und Kranken, die Einsamen, Verlassenen und Behinderten ausstrahlt, die Sorge um die Aussätzigen und die Glaubensschwachen, um alle, die Hilfe brauchen und nach jemand Ausschau halten, der ihnen die Liebe Christi sichtbar macht“ (Ansprache an die nigerianischen Bischöfe, Lagos, 15. Februar 1982; in: O.R. dt., Nr. 9/82). Der Dienst des Bischofs — die Kirche leiten 3. Meine lieben Brüder: Ihr kommt aus verschiedenen Gegenden Nigerias. Mit euch bringt ihr die Hoffnungen und Sehnsüchte, die Freuden und Sorgen eurer Priester, Ordensleute und Laien. Da wir eine gemeinsame pastorale Verantwortung für diese eure Ortskirchen tragen, möchte ich mit euch kurz über ein Thema von großer Bedeutung nachdenken, nämlich eure Einheit und gemeinsame Arbeit als Bischöfe. Das Bischofsamt ist nur ein Amt in der Vielfalt von Dienstämtern in der Kirche (vgl. Lumen gentium, Nr. 18). Jedoch ist das bischöfliche Amt einzigartig mit geistlicher und sakramentaler Kraft ausgestattet, um dienend die Kirche zu leiten, so wie Christus bestimmte, daß seine Apostel und ihre Nachfolger es nach seiner Rückkehr zum Vater tun sollten (ebd.). Christus gab seinen Aposteln ein klares Beispiel, wie er wollte, daß sie ihre Vollmacht ausüben sollten. Eingedenk ihrer menschlichen Schwachheit betete Christus dafür, daß der Heilige Geist sie einanderundbesonders Petrus sie stärke. Der Herr sagt zu Petrus: „Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder“ (Lk 22,32). 1972 AD-LIM1NA-BES UCHE 4. Das Bischofskollegium dient der Einheit der Kirche in besonderer Weise. Das in den Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils über den Episkopat ständig zugrunde liegende Thema ist die Einheit — eine Einheit der Bischöfe mit dem Nachfolger Petri, der Bischöfe untereinander, von Bischöfen und Priestern und von Bischöfen mit den Ordensleuten und Laien. Wie das Konzil feststellt: „Alle Bischöfe müssen nämlich die Glaubenseinheit und die der ganzen Kirche gemeinsame Disziplin fördern und schützen,... alle Bestrebungen fördern, die der ganzen Kirche gemeinsam sind, vor allem dazu, daß der Glaube wachse und das Licht der vollen Wahrheit allen Menschen aufgehe“ (Lumen gentium, Nr. 23). Selbst wenn ein Bischof allein handelt, übt er sein Amt aus, um auf die Erlösung aller hinzuwirken. So geht sein Dienst auch die anderen Ortskirchen an, wenn er Christus verkündigt, die Liturgiefeier leitet und eine Ortskirche verwaltet. Die Botschaft, der Gottesdienst, die Verwaltung — alle bringen den Bischof in Verbindung mit einer Wirklichkeit, die weit über die Grenzen seiner Diözese hinausgeht. Sicherlich setzt die Lehre von der Kollegialität nicht den besonderen Dienst des Bischofs an seiner eigenen Diözese herab. Die Ortskirche muß immer der Bezugspunkt des bischöflichen Dienstes sein. Durch ihren Bischof, der durch die brüderliche Gemeinschaft aller Bischöfe mit dem Nachfolger Petri vereint ist, haben die einzelnen Glieder jeder Ortskirche ihren festen Platz in der Weltkirche. In Brüderlichkeit wirkt der Dienst an der Kirche glaubwürdig 5. Das Bischofsamt wurde der Kirche durch die göttliche Einsetzung des Herrn gerade für ihre Einheit gegeben. Da wir nun diese göttliche Wahrheitbetrachten, ist es mein inbrünstiges Gebet, daß die Brüderlichkeit, die euch als Bischöfen Nigerias eigen ist, helfen wird, eure harmonische Arbeit auf der Ebene der nationalen Bischofskonferenz zu fördern. Eben in dieser eurer Brüderlichkeit mit allen ihren Erscheinungsformen erfüllt ihr nämlich euren Dienst an eurem Volk, stärkt ihr den Glauben eurer Brüder im Bischofsamt und behaltet ihr durch Petrus den Glauben an Christus. Mehr noch schafft ihr durch eure brüderliche Gemeinschaft als Bischöfe im Glauben und in der Liebe für den Fortschritt der Kirche in Nigeria die notwendigen Bedingungen, genau wie für ihren wirksamen Einfluß auf die weltliche Gemeinschaft eures Landes, auf die von uns getrennten christlichen Brüder und auf die Mitglieder nichtchristlicher Religionen. <92> <92> Ich weiß um die Schwierigkeiten, denen ihr bei der Verkündigung des Evangeliums und im Gespräch mit Anhängern anderer Religionen begegnet. Ihr seid als Bischöfe jeden Tag dazu aufgerufen, ein Zeichen der Liebe Christi zu allen 1973 AD-LIM1NA-BESUCHE Menschen und Gruppen, welcher Religion auch immer, zu sein. In einer Gesellschaft mit vielen Religionen wie in Nigeria, wo es nahezu die gleiche Anzahl von Moslems und Christen und viele Anhänger traditioneller afrikanischer Religionen gibt, ermuntere ich euch, „die Verpflichtung der katholischen Kirche sowohl zum Dialog als auch zur Verkündigung des Evangeliums“ zu bekräftigen. „Es darf keine Alternative zwischen dem einen oder dem anderen geben. Selbst in Situationen, wo die Glaubensverkündigung schwierig ist, müssen wir den Mut haben, von Gott zu sprechen. Denn er ist das Fundament dieses Glaubens, der Grund unserer Hoffnung und die Quelle unserer Liebe“ (Ansprache an das Sekretariat für Nichtchristen, 28. April 1987). Die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils in seiner Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den Nichtchristen fordert alle Christen und Moslems auf, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen. Sie sind aufgerufen, im Namen aller Völker bei der Aufgabe, Frieden und soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenrechte zu schützen, zusammenzuarbeiten (vgl. Nostra aetate, Nr. 3). Unser Dialog mit den Moslems bedeutet die Bereitschaft, mit anderen für die Besserung der Menschheit zusammenzuarbeiten, und die Verpflichtung, gemeinsam nach wahrem Frieden zu suchen. 7. Meine lieben Brüder: Ich möchte mit euch die bedeutende Rolle der christlichen Familie, der „Hauskirche“, bei der Evangelisierung der nigerianischen Gesellschaft und beim Aufbau des Reiches Gottes betrachten. In eurer Kultur gibt es schon einen großen Sinn für Familienbande, die der christlichen Vorstellung vom Eheleben in einer Gemeinschaft ehelicher Liebe sehr nützen kann. Mit den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils: „Die christlichen Gatten endlich bezeichnen das Geheimnis der Einheit und der fruchtbaren Liebe zwischen Christus und der Kirche und bekommen daran Anteil (vgl. Eph 5,32). Sie fördern sich kraft des Sakramentes der Ehe gegenseitig zur Heiligung durch das eheliche Leben sowie in der Annahme und Erziehung der Kinder“ {Lumen gentium, Nr. 11). Trotz der Praxis der Polygamie und der Scheidung, die heute von vielen Menschen akzeptiert werden, dürft ihr nie müde werden, die Wahrheit über die Ehe zu verkünden. „Diese innige Vereinigung als gegenseitiges Sich-Schen-ken zweier Personen wie auch das Wohl der Kinder verlangen unbedingte Treue der Gatten und fordern ihre unauflösliche Einheit“ (Gaudium es spes, Nr. 48). Ihr seid also aufgerufen, darauf zu bestehen, daß die eheliche Gemeinschaft durch ihre Einheit und auch durch ihre Unauflöslichkeit gekennzeichnet wird. Ihre Rolle als eine evangelisierende Gemeinschaft in der nigerianischen Gesellschaft übt die christliche Familie dadurch aus, daß sie an das 1974 AD-LIMINA-BESUCHE Evangelium glaubt, ständig im Glauben reift und die Gute Nachricht der Erlösung durch das Zeugnis eines beispielhaften christlichen Lebens verkündet. Ein solches geweihtes Zeugnis christlichen Familienlebens ist schon ein erster Schritt der Evangelisierung, die gleichzeitig von der Verkündigung des Reiches Gottes und der Person Jesu begleitet werden muß. Über die evangeli-sierende Rolle der christlichen Familie schrieb Papst Paul VI.: „Außerdem muß die Familie wie die Kirche ein Raum sein, wo das Evangelium ins Leben übersetzt wird und wo daher dieses Evangelium aufleuchtet. Im Schoß einer Familie, die sich dieser Sendung bewußt ist, verkünden alle Familienmitglieder das Evangelium, und es wird ihnen verkündet. Die Eltern vermitteln nicht nur ihren Kindern das Evangelium, sie können dieses gleiche Evangelium auch von ihnen empfangen, und zwar als tief gelebtes Evangelium. Eine solche Familie wirkt auch verkündend auf zahlreiche weitere Familien und das Milieu, zu dem sie gehört“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 71). 8. Ich danke euch allen, geliebte Brüder, für eure Hingabe als Hirten an die Herde, die eurer Sorge anvertraut wurde. Ich erinnere bei dieser Gelegenheit an die heldenhaften Opfer vieler treuer Missionare, die im letzten Jahrhundert in Nigeria das Evangelium gepredigt und die Gläubigen ermutigt haben, ein immer glaubwürdigeres Zeugnis für die Lehre Christi und seine Kirche abzulegen. Ihr beispielhaftes Leben hat viele junge Nigerianer angeregt, sich selbst Christus im Priestertum und im Ordensleben zu schenken. In eurer täglichen Arbeit im Dienst des Evangeliums möchte ich euch alle der Fürsprache Mariens, der Königin der Apostel, empfehlen und sie bitten, euch beizustehen. Und in der Liebe Jesu, ihres Sohnes, erteile ich euch, euren Priestern, Ordensleuten und Gläubigen meinen apostolischen Segen, Die katholische Erziehung der Jugendlichen ist die pastorale Priorität der Kirche in Nigeria Ansprache an die zweite Gruppe der Bischöfe aus Nigeria anläßlich ihres Ad-limina-Besuches am 26. September Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Es ist mir eine Freude, mich mit euch, den Mitgliedern der Bischofskonferenz von Nigeria, anläßlich eures Ad-limina-Besuches zu treffen. Ich heiße euch herzlich zu dieser Versammlung willkommen, die uns die kollegiale Einheit bezeugen läßt. Vor einigen Wochen hatte ich die Freude, mit der ersten 1975 AD-LIMINA-BES UCHE Gruppe eurer Brüder im Bischofsamt von Nigeria zu sprechen. Insbesondere erinnerte ich sie daran, daß der Kirche das Bischofskollegium von unserem Herrn Jesus Christus zur Bewahrung und Vertiefung der Einheit all ihrer Mitglieder gegeben wurde. In der Ausübung eurer Brüderlichkeit in Christus mit all ihren kollegialen Ausdrucksformen erfüllt ihr das Amt der Heiligung, der Lehre und der Leitung eures Volkes, indem ihr euch gegenseitig als Bischöfe unterstützt und durch Petrus den Glauben an Christus bewahrt. Unsere heutige Zusammenkunft erneuert unsere brüderliche Gemeinschaft mit allen Ortskirchen und ihren Bischöfen. Gemeinsam stellen wir „die ganze Kirche im Band des Friedens, der Liebe und der Einheit“ dar (.Lumen gentium, Nr. 23). 2. Ich möchte Erzbischof Ezeanya für den Ausdruck der Ergebenheit danken, den er mir im Namen eurer Priesterschaft, der Ordensleute und der Laien der jeweiligen Diözesen übermittelt hat. Ich möchte sie mit herzlichen Dankes- und Friedensgrüße an alle diejenigen erwidern, die eurer Hirtensorge anvertraut sind. Jedem von ihnen wiederhole ich mit den Worten des Apostels Paulus: „Ich danke Gott jederzeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch in Christus Jesus geschenkt wurde, daß ihr an allem reich geworden seid in ihm, an aller Rede und aller Erkenntnis. Denn das Zeugnis über Christus wurde bei euch gefestigt, so daß euch keine Gnadengabe fehlt, während ihr auf die Offenbarung Jesu Christi, unseres Herrn, wartet.“ (1 Kor, 1,4-7). Meine lieben Brüder, ihr seid die Hirten von sechzehn Ortskirchen in den verschiedenen Regionen Nigerias. Ich bin mir sehr wohl bewußt, daß ihr heute den tiefen und lebendigen Glauben eures Volkes mitbringt. Ich rufe gern meinen Pastoralbesuch bei euch in Erinnerung, als ich selbst die Liebe eures Volkes zu Christus und seiner Kirche erleben konnte. 3. Bei dieser Gelegenheit möchte ich all den Priestern meine brüderliche Liebe zum Ausdruck bringen, die aktiv mit euch zusammen die Herde Christi weideten, die eurer Sorge anvertraut ist. Wie ich anläßlich einer früheren Begegnung gesagt habe, „lernte ich wie ihr als Bischof das Dienstamt der Priester aus erster Hand kennen, die Probleme, die ihr Leben mit sich bringt, ihre großartigen Bemühungen, die Opfer, die mit ihrem Dienst am Gottesvolk verbunden sind. Wie ihr bin ich mir voll bewußt, wie sehr Christus Priester braucht, um sein Erlösungswerk zeitgerecht erfüllen zu können.“ (Ansprache an die amerikanischen Bischöfe am 9. November 1978). Ein wesentlicher Aspekt unserer apostolischen Aufgabe ist der, unsere Brüder im Priesteramt in ihrer Identität als geweihte Diener der Kirche zu stärken. Die Bedeutung und der Wert des Priesteramtes kann nur in den Grundsätzen 1976 AD-LIMINA-BESUCHE eine angemessene Erklärung finden, die die Kirche selbst rechtfertigen. Der Priester ist ein Diener Jesu Christi. Die Macht und Herrlichkeit Gottes wohnen in einer besonderen Weise in ihm. Das Priesteramt ist unentbehrlich für den Gottesdienst und für die Sendung der Kirche, das Evangelium zu verkündigen. 4. Wir dürfen niemals müde werden, die wesentlichen Vorrechte des Priesteramtes geltend zu machen. Jeder Bruder im Priesteramt ist nach den Worten des heiligen Paulus dazu bestimmt, als „Knecht Jesu Christi... das Evangelium Gottes zu verkündigen“ (Rom 1,1). Die apostolischen Prioritäten sind, wie es die Apostelgeschichte beschreibt, „die Konzentration auf das Gebet und den Dienst am Wort“ (Apg 6,4). Ebenso hat es das Zweite Vatikanische Konzil nicht versäumt, sowohl den Dienst am Wort als auch die Eucharistie hervorzuheben. Es unterstreicht beispielsweise mit aller Deutlichkeit, daß das Dienstamt der Priester „in der Verkündigung des Evangeliums seinen Anfang nimmt“ (Presbyterorum ordinis, Nr. 2). Zugleich wird betont, daß der Dienst am Wort seinen Höhepunkt in der Eucharistie erreicht, die „Quelle und Höhpunkt aller Evangelisation ist“ (ebd. Nr. 5). 5. Im eucharistischen Opfer findet der Priester die Quelle all seiner Hirtenliebe (vgl. ebd. Nr. 14), die Grundlage für seine eigene Spiritualität und die Stärke, die tägliche Opfergabe seines Lebens mit dem Opfer Jesu zu vereinigen. Durch die Eucharistie wird auch sein Zölibat gefestigt, da er hier die sakramentale Gemeinschaft mit unserem erbarmungsvollen Erlöser und Herrn erfährt. Der Dienst am Gottesvolk, den wir als Bischöfe mit unseren Brüdern im Priesteramt teilen, wird in hohem Maße von der Qualität unserer gegenseitigen Treue beeinflußt: von unserer Treue zu unseren Priestern, von ihrer Loyalität uns gegenüber. Wenn wir unseren Priestern wahre Brüder sind, so wissen wir um ihre Bürden und Bedürfnisse. Zugleich kennen sie als unsere Brüder oft die besonderen Probleme, die uns selbst belasten. In schwierigen Momenten ist es, zusammen mit der Hilfe der Gnade Gottes, gerade die Solidarität der Priester mit ihrem Verständnis und ihrem Mitgefühl, die uns hilft, hochherzig und beharrlich die priesterlichen Funktionen auszuüben, die Christus dem Bischofskollegium in Gemeinschaft mit Petrus übertragen hat. <93> <94> <93> Es ist die Kirche, genauer gesagt der Bischof, der einen Priester aussendet, um die Frohbotschaft des Heils zu predigen. Daher bleibt der priesterliche Gehorsam stets eine wichtige Tugend. Er bewirkt viel mehr, als den Priester 1977 AD-LIMINA-BESUCHE nur zum Dienst bereit zu machen; er bringt auch die Gewißheit, daß sein Dienstamt fruchtbar ist und das Gottesvolk stets in der Einheit aufbaut. In bezug auf die Bedeutung des priesterlichen Gehorsams sagt das Zweite Vatikanische Konzil: „Weil jedoch der priesterliche Dienst ein Dienst der Kirche ist, kann er nur in der hierarchischen Gemeinschaft des ganzen Leibes ausgeübt werden. Die Hirtenliebe drängt also die Priester dazu, in dieser Gemeinschaft zu handeln und darum den eigenen Willen gehorsam in den Dienst für Gott und die Brüder zu stellen, indem sie gläubigen Geistes annehmen und ausführen, was der Papst und der eigene Bischof sowie andere Vorgesetzte vorschreiben oder nahelegen.“ (Über den priesterlichen Zölibat, Nr. 15). 7. In seiner Enzyklika Über den priesterlichen Zölibat mahnte Papst Paul VI. seine Brüder im Bischofsamt: „Die menschliche Einsamkeit des Priesters, nicht selten ein Anlaß zur Entmutigung und Versuchung, soll besonders durch eure brüderliche und freundschaftliche Gegenwart erleichtert werden. Bevor ihr Vorsteher und Richter seid, seid euren Priestern lieber Lehrer, Väter, Freunde und Brüder, bereit zur Güte, zur Barmherzigkeit, zur Nachsicht, zum Verzeihen und zur Hilfe. Ermutigt überdies die euch anvertrauten Priester zur Freundschaft und zum vollen Vertrauen zu euch, so jedoch, daß das rechtliche Gehorsamsverhältnis dadurch nicht nur nicht aufhört, sondern durch die Hirtenhebe nur noch fester und der Gehorsam selbst williger, aufrichtiger und sicherer wird (Sacerdotalis caelibatus, Nr. 93). Ich bin mir sehr wohl bewußt, welche große Bedeutung ihr der Tatsache bei-meßt, gut vorbereitete Anwärter auf das Priesteramt zu haben. Dies zeigt sich in hohem Maße an der sorgfältigen Aufmerksamkeit und an der Unterstützung, die ihr selbst den Programmen zur Priesterausbildung in euren kleineren und größeren Seminaren schenkt. Ich möchte euch versichern, daß diese Bemühungen auch meine Sorge sind, denn sie sind wesentlich für die Sendung der Kirche, das Evangelium zu verkünden. Möge jeder von euch mit tätiger und liebender Sorge jedem eurer Alumnen stets ein wahrer Vater in Christus sein (vgl. Optatam totius, Nr. 5). <95> <95> Was ich bislang über das Priesteramt zu euch gesprochen habe, ist zum großen Teil in gleicher Weise auch auf die Ordensleute anwendbar. Die Mitglieder der Institute des geweihten Lebens stellen für die Kirche in Nigeria ein unentbehrliches Element in der großen Aufgabe der Evangelisation dar. Ihr öffentliches Zeugnis für die Räte der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams und ihr hochherziges Beispiel für das Gemeinschaftsleben geben der Kirche in Nigeria eine echte evangelica testificatio. In eurer Arbeit mit den Ordensleuten ermuntere ich euch, euch weiterhin zu bemühen, die große Achtung deutlich zu machen, die die Kirche ihnen in ihrer 1978 AD-L1M1NA-BESUCHE Berufung zum Gott geweihten Leben entgegenbringt. Ermuntert sie zu immer hochherzigerer Mitarbeit im gemeinsamen Leben der kirchlichen Gemeinschaft. Die Ordensleute inspirieren die übrigen Gläubigen, wenn sie ihre Berufung in einem Geist der Freude und der Selbsthingabe leben. Ebenso geben sie uns ein eindeutiges Zeichen der eschatologischen Dimension der Kirche. Die Anwesenheit der Ordensleute in der Welt ist ein großer Trost für die Kirche und ein wirksames Mittel zur Verkündigung des Evangeliums Christi. In Nigeria ist diese Verkündigung auf besondere Weise von Missionspriestem, Schwestern und Brüdern erfüllt worden, die heldenhaft und heilig den Samen der Kirche ausgesät haben. Und ich schließe mich eurem Dank an Gott für die stetig anwachsende Zahl an Berufungen gebürtiger Nigerianer zum Priesteramt und zum Ordensleben an. Betet weiterhin für mehr Berufungen und ladet die jungen Leute ein, Christus im geweihten Leben der Kirche zu folgen. 9. Die bevorstehende Versammlung der Bischofssynode läßt meine Überlegungen zu der wichtigen Rolle der Laien zurückkehren. Ich bin sehr erfreut, den wachsenden Einfluß von Laienorganisationen wie dem Nationalen Laienrat, der Katholischen Frauenorganisation, der Legion Mariens, der Katholischen Jugendorganisation und der Katholischen Studentenorganisation festzustellen, die jeweils einen bedeutenden Beitrag zur Evangelisierung in Nigeria leisten. Außerdem habe ich mit Befriedigung vom großen Interesse eurer Laien an den misssionarischen Tätigkeiten der Kirche erfahren. Dies geht aus der starken Unterstützung hervor, die die nigerianischen Laien dem Nationalen Missionsseminar des hl. Paulus in Abuja zukommen lassen. Dieses nimmt eine ständig wachsenden Zahl von Anwärtern auf, um sie auf den Dienst des Missionspriesters vorzubereiten. Vor allem seit Abschluß des Zweiten Vatikanischen Konzils sehen sich die Laien der Kirche in Nigeria mehr und mehr als aktive Teilnehmer am Leben und an der Sendung der Kirche. Dies wird deutlich an der Sorge der Laien um das Wachstum und das Wohl der Kirche in jeder ihrer eigenen Gemeinden. Ebenso wird es sichtbar in dem größeren Interesse der Laien an ihrer Rolle als Verkünder des Evangeliums und Katechisten. In der Lehre des Konzils finden wir folgende Beschreibung der heiligen Berufung der Laien: “Die im Volk Gottes versammelten Laien sind, wer auch immer sie sein mögen, berufen als lebendige Glieder alle ihre Kräfte, die sie durch das Geschenk des Schöpfers und die Gnade des Erlöseres empfangen haben, zum Wachstum und zu ständigen Heiligung der Kirche beizutragen. „ (Lumen gentium, Nr. 33). 1979 AD-LIMINA-BES UCHE 10. Ich möchte nicht versäumen zu erwähnen, daß die Kirche in Nigeria in besonderer Weise ihre Sorge der Jugend des Landes zuwendet. Die Pastoral, die die Jugendlichen zu erreichen sucht, müßte heute eine eurer höchsten Prioritäten sein, denn sie bilden die größte Teilgruppe in der kirchlichen Gemeinschaft und viele von ihnen sind stark versucht, die Kirche zu beachten, vor allem dann, wenn sie ihre Lehre nicht kennen. Ich freue mich, daß es derzeit zahlreiche auf das Jugendapostolat gerichtete Initiativen gibt, wie z. B. die Katholische Jugendorganisation: Ich merke aber auch, daß es einige negative Kräfte gibt, die es zu bekämpfen gilt. Angesichts solcher Schwierigkeiten muß die Kirche in Nigeria versuchen, vor allem den Glauben der Jugendlichen zu vertiefen. Neue Formen des Apostolats müssen entdeckt werden, neue Initiativen unternommen werden. Doch das Hauptmittel, das der Kirche zur Verfügung steht, ist das gesamte Apostolat der katholischen Erziehung. In jedem Zeitalter bleibt die Lehre der Wahrheiten unseres Glaubens eine grundlegende Aufgabe der christlichen Gemeinschaft. Katholische Erziehung ist für alle Glieder der Kirche wesentlich, denn ihr Ziel ist es, den Menschen zu helfen, zur Fülle des christlichen Lebens zu gelangen. So ist es vor allem richtig, sich in besonderer Weise für die Erziehung der Jugendlichen einzusetzen. Um in Christus zur Reife zu kommen, braucht eure Jugend eine systematische Darlegung der gesamten christlichen Offenbarung. Wir müssen ihnen all das vermitteln, was Jesus geboten hat zu lehren (vgl. Mt 28,20), d. h. den ganzen moralischen und lehrmäßigen Inhalt des heiligen Glaubensgutes. Ich bin mir bewußt, daß ihr in euren Bemühungen, die katholischen Schulen zu bewahren und zu verwalten, ernsten Hindernissen gegenübersteht. Doch versucht ihr mit allen möglichen Mitteln, dieser schwierigen Seite eurer Verantwortung als Bischöfe gerecht zu werden. Ich ermuntere euch brüderlich und unterstüzte euch im Gebet bei all diesen verdienstvollen Bemühungen. Ich bin der vollen Überzeugung, daß es für die erzieherische Aufgabe nichts wichtigeres gibt als die Leitung und Führung der Bischöfe. 11. Ich möchte euch meines fortwährenden Gebets für eure Nation versichern,daß der allmächtige Gott die Regierung und das Volk auf den Wegen des Friedens, der Gerechtigkeit, der Harmonie und des sozialen Fortschritts führen möge. Ihr könnt in all euren pastoralen Bemühungen sicher sein, daß ich mit euch verbunden und euch in der Liebe Jesu Christi nahe bin. Wir haben ein einziges Ziel gemeinsam: dem Vertrauen, das uns der Herr als Hirten geschenkt hat, treu zu entsprechen und das Volk Gottes zum Himmelreich zu führen. Möge Maria, die Mutter der Kirche und Königin der Apostel, Zeichen der si- 1980 AD-LIMINA-BES UCHE cheren Hoffnung und des Trostes dem wandernden Gottesvolk“ (Lumen gentium, Nr. 68), Fürsprache für uns einlegen. Friede sei mit euch und eurem Volk im Namen Jeus. Mit diesem Wunsch erteile ich euch meinen Apostolischen Segen. Petrus- und Bischofsamt stehen im Dienst der Einheit Ansprache an die österreichischen Bischöfe beim Ad-limina-Besuch am 19. Juni Liebe Mitbrüder im Bischofsamt! 1. In der Liebe Jesu Christi, unseres Herrn und Meisters, grüße ich euch, denen der Hirtendienst für die Kirche in Österreich aufgetragen ist. Die Begegnung mit euch anläßlich eures Ad-limina-Besuches erinnert mich mit Freude an meinen Pastoralbesuch in eurem Land im Jahre 1983. Viele Zeichen der Lebendigkeit eurer Kirche haben wir damals erleben dürfen. Mögen die Begegnungen jener Tage und unsere gemeinsame Besinnung auf die Sendung der Kirche in der Welt von heute das religiöse Leben in euren Gemeinden weiter geistig prägen und eure Gläubigen in der christlichen Hoffnung bestärken. Herzlich danke ich euch für die brüderliche Einladung zu einem weiteren Pastoralbesuch. Ich freue mich schon darauf und bitte euch, den Katholiken und allen Menschen in eurer Heimat meine Grüße zu überbringen. Dank für den alten Erzbischof und Segen für den neuen Sodann gedenke ich bei dieser Begegnung des verehrten Herrn Kardinal König, der seit eurem letzten Ad-limina-Besuch aus Altersgründen um die Entpflichtung von der Leitung der Erzdiözese Wien gebeten hat. Auch an dieser Stelle möchte ich ihm noch einmal aufrichtig für das langjährige bischöfliche Wirken im Dienst der Ortskirche und des Hl. Stuhles danken. Zugleich grüße ich sehr herzlich seinen Nachfolger, den Herrn Erzbischof Hans Hermann Groer und erbitte ihm für seinen verantwortungsvollen bischöflichen Dienst, den er mit großer seelsorglicher Hingabe aufgenommen hat, Gottes besonderen Beistand und Segen. Ebenso gilt mein herzlicher Gruß und Segenswunsch dem neuen Militärbischof Msgr. Kostelecky sowie dem neuen Weihbischof der Erzdiözese Wien, Msgr. Krenn. 2. Liebe Mitbrüder! Der Ad-limina-Besuch der Bischöfe ist von seinem geschichtlichen Ursprung her an erster Stelle ein Akt der Frömmigkeit, ein Pil- 1981 AD-LIMINA-BESUCHE gerbesuch an den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus in der Ewigen Stadt. Er entspricht eurer Berufung als Nachfolger der Apostel und ist somit eine geistige Rückkehr und Besinnung auf den Ursprung und das Wesen eurer bischöflichen Sendung. Von hier sollt ihr neu gestärkt, mit neuem Mut und mit neuer Zuversicht zu euren Hirtenaufgaben zurückkehren. Die erneute Bindung an die im Miteinander von Petrus und Paulus sichtbar werdende Einheit der Kirche war notwendigerweise von Anfang an im Besuch Ad limina mitgemeint, zumal dieser niemals nur ein Besuch bei Gräbern, bei Toten war, sondern zugleich eine Begegnung mit dem lebendigen Träger des Petrusamtes einschloß. So entwickelte sich diese Pilgerfahrt allmählich mit innerer Konsequenz zu einem kanonisch vorgeschriebenen regelmäßigen Zusammentreffen der Bischöfe aus allen Ländern mit dem Bischof von Rom, dem Nachfolger Petri, den das II. Vatikanische Konzil als das „immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen“ bezeichnet (Lumen gentium, Nr. 23). Die innere Gemeinschaft in Hirtenauftrag und Lehre mit den Aposteln, deren Nachfolger die Bischöfe sind, schließt notwendig ihre volle Einheit mit dem jeweiligen Nachfolger des Apostels Petrus ein, dem der Herr in besonderer Weise aufgetragen hat, die Herde Gottes zu weiden und die Brüder zu stärken (vgl. Joh 21,15-18; Lk 22,32). An derselben Stelle der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium nennt das Konzil auch die einzelnen Bischöfe selbst „Prinzip und Fundament der Einheit in ihren Teilkirchen, die nach dem Bild der Gesamtkirche gestaltet sind“ (ebd.). Das Petrusamt und das Bischofsamt stehen wesentlich im Dienst der Einheit der Kirche mit ihrem Ursprung und der Einheit der Teilkirchen und der Gläubigen untereinander. Gerade heute, da sich die Teilkirchen in zunehmendem Maße ihrer eigenen Geschichte und Kultur bewußt werden und diese noch mehr in das kirchliche Leben integrieren möchten, kommt diesem Dienst an der Einheit eine um so größere Bedeutung zu. Darum die eindringliche Mahnung des II. Vatikanischen Konzils: „Alle Bischöfe müssen ... die Glaubenseinheit und die der ganzen Kirche gemeinsame Disziplin fördern und schützen sowie die Gläubigen anleiten zur Liebe zum ganzen mystischen Leib Christi... Indem sie ihre eigene Kirche als Teil der Gesamtkirche recht leiten, tragen sie wirksam bei zum Wohl des ganzen mystischen Leibes, der ja auch der Leib der Kirchen ist“ (ebd.). Somit ist der Ad-limina-Besuch für die einzelnen Bischöfe und Bischofskonferenzen auch der geeignete Anlaß, sich über ihr Wirken in den Ortskirchen Rechenschaft zu geben und ihre Hirtenaufgaben am Maßstab der Gesamtkirche und des obersten Lehramtes neu auszurichten. 1982 AD-LIMINA-BESUCHE 3. Ihr habt mir, liebe Brüder, in euren Gesprächen von geistlichen Freuden, aber auch von Sorgen berichtet, die euch bewegen. Ich danke mit euch Gott, dem Geber alles Guten, für die Treue so vieler Priester und Ordensleute in ihrem Dienst, die Bereitschaft einer großen Zahl von Laienchristen zum Mittragen in der Kirche, für die Strahlkraft apostolischer Gruppen und Bewegungen, die Solidarität mit den Armen in der Heimat und im Ausland, zumal in den Ländern der Dritten Welt, den Einsatz für die Weltmission. Ihr begegnet aber in der Kirche und Gesellschaft eures Landes auch großen Sorgen und Problemen: Arbeitslosigkeit, die besonders junge Menschen belastet; Gefährdung der Natur als dem menschlichen Lebensraum, Gefährdung von Ehe und Familie, vieltausendfache Angriffe gegen das ungeborene Leben, Schwund des religiösen Lebens, Rückgang von Priester- und Ordensberufen, eine wachsende Zahl von Kirchenaustritten. Die Kirche muß mit dem Evangelium Hoffnung verbreiten Gewiß, viele Probleme in der Kirche und Gesellschaft Österreichs gleichen denen in nicht wenigen anderen Ländern. Doch darf dieser Umstand natürlich eure Anstrengungen für eine Erneuerung durch einen verstärkten pasto-ralen Einsatz in keiner Weise mindern. Im Gegenteil! Angesichts der um sich greifenden Glaubenslosigkeit und Säkularisierung in der heutigen Welt, die das Leben und Wirken der Kirche zunehmend erschweren und es dadurch geradezu herausfordem, ist jeder Christ und die ganze kirchliche Gemeinschaft zu einem um so überzeugenderen Zeugnis für Christus und seine Frohe Botschaft aufgerufen. Aber auch hier gilt für die Glaubwürdigkeit dieses Zeugnisses gegenüber der Welt als Voraussetzung die Forderung nach einer Einmütigkeit, die sich vom Ganzen her und auf das Ganze hin versteht, jener wahrhaft theologischen Einheit, um die der Herr am Abend vor seinem Leiden gebetet hat: „Alle sollen eins sein: Wie Du, Vater, in mir bist und ich in Dir bin, sollen sie eins sein, damit die Welt glaubt, daß Du mich gesandt hast“ (Joh 17,21). Das Mühen um Einheit vermittelt auch bei Problemstellungen 4. In diesem von Christus beschworenen Geist einer wahrhaft katholischen Einheit, in der von dort kommenden Bereitschaft zum gegenseitigen Verstehen und Verzeihen sind auch jene Schwierigkeiten und Konflikte zu lösen, die sich in letzter Zeit in der Kirche von Österreich im Zusammenhang mit einigen Bischofsernennungen ergeben haben. Nicht nur ihr Auftreten als solches, sondern vor allem unser christlicher Umgang mit ihnen verlangt unsere besondere Sorge und Umsicht als Hirten und Gläubige, Bischöfe, Priester und 1983 AD-LIMINA-BES UCHE Laien. Ich bitte euch, die tieferen Ursachen dieser Konflikte zu ergründen und eure geistliche Kraft zu ihrer Überwindung einzusetzen. Ihr dürft keinen Zweifel an dem Recht des Papstes zur freien Ernennung der Bischöfe aufkommen lassen, das sich im Ringen um die Freiheit, die Einheit und die Katholizität der Kirche im Lauf der Geschichte in oft schmerzlichen Prozessen immer klarer herausgebildet hat und — unbeschadet einzelner partikularkirchlicher Sonderregelungen — entsprechend den Leitlinien des II. Vatikanischen Konzils vom neuen kirchlichen Gesetzbuch ausdrücklich unterstrichen wurde {CodexIuris Canonici, can. 37; vgl. Christus Dominus, Nr. 20). Dieser geschichtlichen Entwicklung wird nicht gerecht, wer sie einfach unter Kategorien der Macht interpretiert. Sie ist letztlich von der Verantwortung für das gemeinsame Zeugnis des einen Glaubens bestimmt. Tatsächlich zeigt die Geschichte, daß diese Regelung die Kirche vor Parteienbildung und vor Gruppenherrschaft schützt und Ernennungen sicherstellt, die nur vom geistlichen Auftrag des Amtes und vom Gemeinwohl der Kirche geleitet sind. Die letzten Jahrzehnte haben überdies eindrucksvoll sichtbar werden lassen, daß gerade diese Praxis wahrhaft volksverbunden und zugleich weltkirchlich herausragende Bischofsgestalten möglich gemacht hat. Die klar bekundete Einmütigkeit aller Bischöfe mit dem Hl. Stuhl in dieser Frage wird der sicherste Weg sein, um die Polarisierungen zu überwinden, die sich in den Auseinandersetzungen der letzten Monate gezeigt haben. Darüber hinaus habt ihr euch selbst zum Ziel gesetzt, das Gespräch über mögliche Mängel oder gar Fehlentwicklungen im kirchlichen Leben eures Landes in diesem Geiste zu suchen und fortzuführen. Schon die Begegnungen mit den verschiedenen Di-kasterien des Hl. Stuhles während eures jetzigen Ad-limina-Besuches werden euch hilfreiche Anstöße zur Klärung der entstandenen Fragen bieten. <96> <96> Das vom II. Vatikanischen Konzil aufgestellte Programm für die Erneuerung der Kirche bleibt die vordringliche pastorale Aufgabe der Kirche am Ende dieses zweiten christlichen Jahrtausends. Dabei geht es vor allem um eine innere Erneuerung zur Verlebendigung und Vertiefung des geistlichen Lebens der Gläubigen in Treue zu Christus und seinem Evangelium. Euch als Oberhirten im Volke Gottes obliegt die Pflicht, in Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri die Lehren des Konzils authentisch darzulegen, Mißverständnissen und falschen Schlußfolgerungen zu wehren und die Konzilsbeschlüsse mit Umsicht und Geduld in euren Diözesen und Gemeinden durchzuführen. 1984 AD-LIMINA-BESUCHE Die Dekrete des II. Vatikanums in rechter Weise umsetzen In eine besonders schwere Verantwortung nimmt euch euer Dienst an der Einheit des Glaubens, zumal in einer Zeit, „in der man die gesunde Lehre nicht erträgt, sondern sich nach eigenen Wünschen immer neue Lehrer sucht, die den Ohren schmeicheln“ (2 Tim 4,3). Die Förderung und Formung der christlichen Familien ist und bleibt Grundlage aller weiteren pastoralen Arbeit. Die wesentlichen Maßstäbe dafür sind in dem auf der Bischofssynode von 1980 fußenden Apostolischen Schreiben Familiaris consortio verbindlich dargestellt, das zu den Fragen der Sexual- und Ehemoral die von Paul VI. in der Enzyklika Humanae vitae von der ganzen Tradition des Glaubens her gefällten Entscheide aufnimmt und entfaltet. An der Gültigkeit der dort dargestellten sittlichen Ordnungen darf kein Zweifel gelassen werden. Wenn im ersten Augenblick der Veröffentlichung der Enzyklika noch eine gewisse Ratlosigkeit verständlich war, die sich auch in manchen bischöflichen Erklärungen niedergeschlagen hat, so hat der Fortgang der Entwicklung die prophetische Kühnheit der aus der Weisheit des Glaubens geschöpften Weisung Pauls VI. immer eindringlicher bestätigt. Immer deutlicher zeigt sich, daß es unsinnig ist, etwa die Abtreibung durch Fördern der Kontrazeption überwinden zu wollen. Die Einladung zur Kontrazeption als einer vermeintlich „gefahrlosen“ Weise des Umgangs der Geschlechter miteinander ist nicht nur eine verkappte Leugnung der sittlichen Freiheit des Menschen. Sie fordert ein entpersonalisiertes, rein auf den Augenblick gerichtetes Verständnis der Sexualität und fördert damit letztlich wieder jene Mentalität, aus der die Abtreibung stammt und von der sie dauernd genährt wird. Im übrigen ist euch gewiß nicht unbekannt, daß bei neueren Mitteln die Übergänge zwischen Kontrazeption und Abtreibung weithin fließend geworden sind. Leiden in der Kirche um Liebe und Treue willen Ebenso muß um der Menschen willen die Unauflöslichkeit der Ehe, die Endgültigkeit des aus der Liebe kommenden Ja, deutlich gewahrt bleiben. Das Nein der Kirche zum Sakramentenempfang der wiederverheirateten Geschiedenen ist nicht Ausdruck von Unbarmherzigkeit, sondern Verteidigung der Liebe und Verteidigung der Treue. Im übrigen darf nicht nur dieses Nein herausgestellt werden. Wenn auf der sakramentalen Ebene unverrückbar das Nein gilt, so wird um so wichtiger die seelsorgliche Zuwendung zu diesen in schwierigen Situationen lebenden Mitgliedern unserer Gemeinden, die ganz konkret fühlen müssen, daß sie um so mehr von der Liebe der Kirche getragen werden. „Wenn ein Glied leidet, leiden die anderen mit“ (1 Kor 12,26). Dann 1985 AD-LIMINA-BES VCHE und nur dann werden diese Christen auch den Kommunionausschluß verstehen und von innen her annehmen können (vgl. Familiaris consortio, Nr. 84). 6. Von großer Bedeutung ist sodann der Religionsunterricht in den Schulen und die Katechese auf allen Ebenen. Ich vertraue darauf, daß ihr sie mit großer Wachsamkeit und Liebe begleitet und alles tut, damit der heranwachsen-den Generation der unverfälschte Glaube der Kirche vermittelt wird. Es steht zu hoffen, daß der in Vorbereitung befindliche Weltkatechismus dafür eine wertvolle Hilfe leisten wird. Ein ganz entscheidender Punkt ist ferner auch die theologische Ausbildung der Priesteramtskandidaten und generell die Arbeit der theologischen Hochschulen und Fakultäten in Forschung und Lehre. Auch heute beruft der Herr wie zu allen Zeiten und nicht weniger als früher Menschen in seinen besonderen priesterlichen Dienst. Aber damit dieser Ruf zur Reifung komme, muß er sorgsam gehütet und begleitet werden. Darin liegt die fast erschreckend große Verantwortung aller, die an der Bildung und Ausbildung der Priesteramtskandidaten beteiligt sind. Laßt euch diese Aufgabe, an der die Zukunft der Kirche in eurem Land wesentlich hängt, ganz besonders angelegen sein, und tut alles, damit diese Ausbildung in einem wahrhaft katholischen Geist geschieht. Endlich möchte ich euch in diesem Zusammenhang die Sorge um die Mitte der Kirche, das heiligste Sakrament der Eucharistie, und um das Bubsakrament ans Herz legen. Die Eucharistie darf niemals der Beliebigkeit willkürlicher Gestaltung ausgeliefert werden. Sie erhält ihre Größe nicht durch Gestaltungen, sondern durch das, was sie ist. Sie ist dann und nur dann recht gestaltet, wenn Priester und Gemeinde nicht nach Eigenem suchen, sondern sich ganz in den inneren Anspruch der Liturgie der Kirche selbst hineingeben und versuchen, ihm ihrerseits von innen her zu entsprechen. Das Bußsakrament ist in ganz besonderem Maß „personalistisch“ strukturiert: Es ist die höchst persönliche Begegnung eines jeden einzelnen mit dem richtenden und richtend-verzeihenden Herrn. Es ist nicht nur der unersetzliche Ort der Formung und Reinigung des Gewissens; es schenkt jene ganz persönliche Vergebung, die der Mensch braucht, um Schuld zu überwinden, die immer persönlich ist und gerade darum die Gemeinschaft trifft. Alles dies weist wieder auf den Punkt hin, von dem wir ausgegangen sind: auf die Einheit der Kirche, die als Gemeinschaft der Heiligen Träger der sakramentalen Vollmacht und der gültigen Auslegung von Gottes Wort im Heute ist. Die Einheit in der Kirche ist Einheit in der Wahrheit und Einheit in der Liebe, was eine grundlegende Einheit in der Disziplin miteinschließt. Der Dienst an der Fülle der Wahrheit ist in einer besonderen Weise den Bischöfen in Gemeinschaft mit dem Papst aufgetragen. Die Fülle der Wahrheit ist nicht 1986 AD-LIMINA-BES UCHE dem einzelnen verheißen, sondern der ganzen Kirche in Einheit mit den Aposteln, mit Petrus. Deshalb können auch die schwerwiegenden pastoralen Fragen, die sich der Kirche heute stellen, nur in dieser Einheit eine tragfähige und gültige Antwort finden. Laien machen Christus in der Welt sicht- und greiflar 7. Eure Hirtensorge in der Leitung eurer Diözesen hat in einer ganz besonderen Weise euren Priestern zu gelten, die eure unmittelbaren Mitarbeiter im Heilsauftrag der Kirche sind. Stärkt und führt sie in ihren vielfältigen Seelsorgsaufgaben und bemüht euch zusammen mit ihnen durch geeignete Initiativen um genügend neue Priester- und Ordensberufe. Setzt euch mit ihnen zugleich dafür ein, daß auch die Laien sich ihres christlichen Auftrages immer stärker bewußt werden und ihn in ihren jeweiligen Lebensverhältnissen zu verwirklichen suchen. Auch sie sind ja als getaufte und gefirmte Christen nicht nur Empfänger unserer Seelsorge, sondern ebenfalls zur Mitveranwor-tung und aktiven Mitwirkung in der Kirche berufen. Die kommende Bischofssynode wird uns helfen, ihre Stellung und Aufgabe in der Sendung der Kirche noch deutlicher zu erfassen. Dabei kann es sich weder um eine Konkurrenzstellung zum Klerus noch um eine Klerikalisierung der Laien handeln, sondern vor allem um die ihnen angemessene, spezifische Teilnahme am besonderen Weltauftrag der Kirche unter der Leitung der von Gott bestellten Hirten. Euer Land hat schon eine lange und sehr fruchtbare Tradition des Laienapostolates mit einer Vielzahl von Formen. Da sind zum einen jene bewährten Formen, die sich häufig mit der Katholischen Aktion verbinden. Diese Gruppen haben maßgeblichen Anteil an der Mitgestaltung der Gesellschaft aus dem Geist des Evangeliums und an der Bereitschaft der österreichischen Katholiken für ihr eindrucksvolles Sozialengagement. Zu diesen Vereinigungen kommen in jüngster Zeit solche Bewegungen und Gruppen, die der Vertiefung des Glaubens und der Frömmigkeit vor dem Weltauftrag der Laien bewußt den Vorrang geben. Es liegt auf der Hand, daß die unterschiedlichen Konzepte des Laienapostolates ihre Berechtigung, ja ihre Notwendigkeit und einen sich gegenseitig ergänzenden Charakter haben. Wir sollten sie deshalb gleichermaßen fordern und diejenigen geistlich begleiten, die in ihnen Verantwortung tragen. Bei der Vielfalt und Verschiedenheit der Vereinigungen und Gemeinschaften kommt der Gemeinsamkeit der kirchlichen Sendung eine hohe Bedeutung zu. Die Glaubwürdigkeit der Verkündigung hängt nicht zuletzt von der Einheit des Geistes ab, der zwischen den verschiedenen Wegen des Apostolates herrscht. Die Ordnung des Miteinander ist nicht als Einebnung berechtigter Unterschiede zu verstehen, noch kann sie durch administrative 1987 AD-LIMINA-BESUCHE Disziplinierung erreicht werden. Einheit ist vielmehr in der Vielheit möglich, wenn alle Christen sich als Glieder am Leib Christi verstehen und jeder lernt, auch im andern Gottes Geist und Gaben am Werk zu sehen. Selbstverständlich gelingt den unterschiedlichen Laiengruppen dieses vom Geist Christi selbst geordnete Miteinander um so leichter, je deutlicher wir Amtsträger uns von der „communio affectiva et effectiva“ leiten lassen und auch in unserem Miteinander sich der Wille zur Einheit bekundet. Aus der Kontroverse kann sich richtungweisende Perspektive entwickeln 8. Liebe Mitbrüder! Indem ich euch zu eurem Ad-limina-Besuch diese Überlegungen anvertraue, begleite ich euer weiteres Wirken in euren Diözesen mit meinen besten Segenswünschen und mit meinem Gebet. Zum Auftrag der Bischöfe gehört immer wieder auch der Mut, öffentlichem Meinungsdruck zu widerstehen und ihm, auch zum Wohl der Gesellschaft, das Maß des Glaubens entgegenzustellen, von dem her sich eine authentische kirchliche Öffentlichkeit als lebendige Kraft bildet. Dazu wird auch das offene brüderliche Gespräch helfen, das Gegensätze nicht auszuklammern braucht, weil sie von der tieferen Einheit des gemeinsamen Glaubens unterfangen sind. So wächst dann Bereitschaft zur vielgestaltigen verantwortlichen Zusammenarbeit im Heilsauftrag der Kirche, entsprechend der jeweiligen Berufung; so wächst eine reiche und tiefe Einmütigkeit im Glauben zwischen Bischöfen, Priestern und Laien. Und so bleibt dann in euren Ortskirchen jene Einheit des Geistes erhalten, in der „alle einander in brüderlicher Liebe zugetan sind und sich in gegenseitiger Achtung übertreffen“ (vgl. Röm 12,10). Ich weiß um euren großen Einsatz, um euer Mühen und Sorgen, und ich danke euch dafür. „Petrus, liebst du mich?“ hat Christus den Apostel gefragt, an dessen Grab ihr in diesen Tagen betet. Christus fragt uns alle. Laßt uns in brüderlicher Eintracht antworten: Herr, du weißt alles, du weißt auch, daß wir dich lieben. Auf dein Wort hin wollen wir erneut das Netz auswerfen zu einer mutigen und geduldigen Evangelisierung Österreichs und ganz Europas. Dafür erteile ich euch, euren Priestern und allen eurer Hirtensorge anvertrauten Gläubigen in der Liebe Christi von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. 1988 AD-LIMINA-BESUCHE Die Qualität der Priester entscheidet über die Aussaat des Evangeliums Ansprache an die Bischöfe der Kirchenprovinz Krakau anläßlich ihres Ad-limina-Besuches am 13. November Teure und hochwürdige Brüder! Herr Kardinal, Herr Erzbischof, meine Herren Bischöfe. 1. Ich begrüße euch alle anläßlich des Besuches „ad limina Apostolorum“, den ihr entsprechend dem fünfjährigen Rhythmus abstattet, wie er vom Kirchenrecht festgelegt ist. Ich grüße auch die hier nicht anwesenden Bischöfe der Krakauer Kirchenprovinz, insbesondere den Alt-Bischof aus Kattowitz (Katowice). In den fünf Jahren, die uns vom letzten Besuch trennen, erfuhr die Zusammensetzung des Episkopats der Krakauer Metropolie bedeutende Veränderungen. Seinen Lohn zu erhalten, ging der Bischof von Tschenstochau, Stefan Darela, hinüber zu Christus, dem obersten Hirten. Mit Rücksicht auf sein Alter trat der Bischof von Kattowitz, Herbert Bednorz, in den Ruhestand. Ernannt wurden zwei neue Diözesanbischöfe sowie zwei Weihbischöfe. Der Bischof von Tarnöw erhielt die Würde eines Erzbischofs. Wir alle sind uns jedesmal klar, welche Bedeutung dieser Besuch hat. Alle auch machen wir uns jedesmal von neuem bewußt, was er bedeutet und was er zum Ausdruck bringt. Das apostolische „videre Petrum“ hat eine regelrechte Entwicklung in Gestalt verschiedener Gebräuche durchgemacht, die—jeder auf seine Weise — dem Wesen der Kirche selbst Ausdruck verleihen. Wie es das Zweite Vatikanische Konzil verdeutlicht hat, ist die Kirche ihrer wesentlichen Verfassung nach „Communio“ nach dem Vorbild der heiligsten Dreifaltigkeit selbst. Communio aber kommt in dem wechselseitigen „Kommunizieren wesentlicher Güter des Glaubens und des Lebens aus dem Glauben zum Ausdruck, an denen die ganze Kirche teilhat. Die ganze — das heißt die Kirche in ihrer universalen Dimension. Die ganze, das bedeutet gleichzeitig: in der Dimension jeder Teil- bzw. Ortskirche. Der Besuch „ad limina Apostolorum“ hat das Ziel, daß diese beiden Dimensionen, die die Verfassung der Kirche — des Leibes Christi — ausmachen, sich besonders näherkommen und begegnen. 2. Die Angelegenheit, von der ich spreche, habe ich sehr tief durchlebt — sicher in Anknüpfung an die Erfahrung des Konzils —, zuerst in eben dieser Bischofsgemeinschaft die heute „ad limina Apostolorum“ kommt. Wenn man es 1989 AD-LIMINA-BESUCHE so sagen kann, ich „lernte“ die Bedeutung der Kirche als „Communio“ durch das Konzil, gleichzeitig aber durch das tägliche Leben in der Gemeinschaft der Krakauer Kirche und der Krakauer Kirchenprovinz. Euer Besuch, teure Brüder, ist mir deshalb so nahe, weil ihr, in eurer Person, hierher diese gleiche kirchliche Wirklichkeit des Gottesvolkes bringt, die über viele Jahre mitzugestalten auch mir vergönnt war. Von dort wurde ich auf den römischen Stuhl des hl. Petrus berufen — aber ich lernte die Wahrheit über die „communio ecclesiarum“ am Grabe des hl. Stanislaus. Gemeinsam haben wir auch den 900. Jahrestag seines Märtyrertodes vorbereitet, indem wir diese Vorbereitung mit den ersten Bemühungen verbunden haben, die das Ziel hatten, die Lehre des II. Vatikanums ins Leben umzusetzen. 3. Der Weg, den wir zu diesem Ziel gewählt haben, ist seit Jahrhunderten und Jahrtausenden in der Kirche erprobt — es ist der Weg der Synoden. Dies war zuerst der Weg von Diözeseansynoden. Und so fand in den Jahren 1971-1975 die I. Synode der Diözese Kattowitz statt. Ihre Arbeiten und Beschlüsse waren auf die Belebung des Glaubens, des Gebets und des Lebens in der Kattowitzer Kirche gerichtet. Es war mir vergönnt, die Pastoralsynode der Erzdiözese Krakau im Jahre 1972 einzuberufen und sie nach sieben Jahren, als Nachfolger des hl. Petrus auf dem römischen Stuhl bei der ersten Pilgerreise in die Heimat im Jahre 1979 abzuschließen. Sie verbindet sich für uns alle mit dem 900. Jahrestag des prie-sterlichen Dienstes des hl. Stanislaus auf dem Krakauer Bischofsstuhl. In 22 Synodaldokumenten wurde die Wirklichkeit dieser Kirche aufgezeigt, wurde das Bewußtsein ihrer schöpferischen Mission erneuert und ein Programm zu ihrer Verwirklichung festgelegt. Die Teilkirche soll die Gesamtkirche widerspiegeln Die zu Beginn der Fastenzeit des Jahres 1982 angekündigte IV. Synode der Diözese Tarnöw wurde am 13. März 1986 beendet, dem 200. Jahrestag dieser Diözese. Die Arbeiten der Synode standen unter dem Motto: „Nach dem Bild der Gesamtkirche“ {Lumen gentium, Nr. 23), und ihr Ziel war es, das Bewußtsein zu beleben, daß die Teilkirche so vollkommen wie möglich die Gesamtkirche widerspiegeln soll. Von 1976 bis 1986 unternahm die II. Synode der Diözese Tschenstochau die gemeinsame Anstrengung, die Lehre des Konzils neu zu ergründen, sie sich zu Herzen zu nehmen und sie im Leben anzuwenden. Im Jahre 1984 wurde die III. Synode der Diözese Kielce angekündigt, die das Bistum in das zweite Jahrhundert seines Bestehens hineinführen und das Leben dieser Kirche im Geiste des Konzils erneuern soll. 1990 AD-LIMINA-BESUCHE Parallel dazu wählten wir den Weg einer Synode der ganzen Kirchenprovinz, deren Abschluß ich gemeinsam mit euch in der Kathedrale auf dem Wawel bei der Pilgerreise in das Vaterland im Jahre 1983 erleben durfte. Diese Synode traf gewissermaßen mit den Diözesansynoden zusammen und stellte sich das Ziel, mit allen Diözesen der Kirchenprovinz eine gemeinsame Anstrengung zur Vertiefung des Glaubens und zur Belebung des religiösen Geistes nach den Wegweisungen des Zweiten Vatikanischen Konzils zu unternehmen, so wie dies unsere Epoche erfordert. Diese gemeinsame pastorale Arbeit hatte auch das Ziel, die Bindung zu festigen und die Gemeinschaft (Communio) der Kirchenprovinz zu vertiefen, wobei die Rechte jeder Diözese, konkrete Aktionen im Lichte der eigenen Bedürfnisse und Erfahrungen zu unternehmen, gewahrt bleiben. 4. Die Wahrheit über die Kirche als „Communio“ zeigt in einem neuen Licht auch die Frage des priesterlichen Lebens und der priesterlichen Berufung — sowie jener Gemeinschaft, welche die Priester (presbyteroi) in jeder Diöze-sankirche darstellen. Teure Brüder, sagt den Priestern, daß ich als Bischof von Rom das tiefe Gefühl der Verwurzelung in diesem Presbyterium bewahre, in welchem ich zum Priester Christi und zum Verwalter der göttlichen Geheimnisse wurde. Tag für Tag denke ich im Gebet an die verstorbenen Mitglieder dieses Presbyteriums, neben den verstorbenen Priestern meiner neuen Diözese. Ich freue mich darüber, daß die priesterliche Berufung in eurer Kirchenprovinz, und auch in ganz Polen, die Kraft hat, die jungen Seelen anzusprechen. Ich danke Gott dafür, daß die geistlichen Seminare voll sind — noch voller als früher. Dies ist ein besonderes Zeichen und zugleich eine Gabe der göttlichen Vorsehung, eine Gabe, die zu eifriger und verantwortlicher Sorge darum verpflichtet, daß sie nicht vergeudet, sondern voll und ganz zum Wohl der Kirche in Polen und in der Gesamtkirche genutzt wird. Die priesterliche Bildung ist von größter Bedeutung Wir müssen auch unaufhörlich daran denken, daß nicht die Zahl, sondern die Qualität der Priester über die Wirksamkeit und Fruchtbarkeit der Aussaat des Evangeliums entscheidet. So war es in den Zeiten der Apostel, und so ist es heute. Wir sind hier mit der sehr wichtigen Frage der priesterlichen Bildung konfrontiert, d. h. mit diesem systematischen Prozeß, durch den der innere Raum für das Wirken des Geistes Christi“ in den Seelen der jungen Menschen vor- 1991 AD-LIMINA-BES VCHE bereitet wird, der Raum, in dem die priesterlichen Berufungen dazu heranreifen, „ in persona Christi mit ungeteiltem Herzen und uneigennützig dem Menschen zu dienen, ihn aus Niedergeschlagenheit und Krise durch das Zeugnis des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe aufzurichten, die in Christus ist und aus Christus kommt. Dies ist eine große Aufgabe, die vor den Bischöfen, vor den Erziehern und Professoren der Geistlichen Seminare, der katholischen Universitäten und der katholischen Fakultäten steht. Ich sprach bei meiner Juni-Pilgerreise in der Heimat davon, als ich an die wichtigsten Empfehlungen des Zweiten Vatikanischen Konzils im Dekret Optatam totius erinnerte. Die Alumnen müssen sich nach den dort enthaltenen Wegweisungen zu wahren Hirten entwickeln, sich also heranbilden für den Wortdienst, für den Dienst der Sakramentenheili-gung, für den priesterlichen Dienst nach dem Vorbild Christi, der „nicht gekommenist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (vgl. Mk 10,45). Das, gleiche Dekret empfiehlt, daß die Oberen und die Professoren der Seminare aus den besten Priestern ausgewählt werden, die sich durch eine vorzügliche intellektuelle und spirituelle Bildung auszeichnen und pastorale Erfahrung sowie pädagogische Fähigkeiten einbringen. Der Bischof muß auch die Mitarbeiter der Seminare unaufhörlich mit besonderer Sorge umgeben, „und auch den Alumnen selbst ein wahrer Vater in Christus sein“ (vgl. Optatam totius, Nr. 4-5). <97> <97> In seiner Lehre über das Leben und die Sendung der Priester erinnerte das Konzil daran, daß die priesterliche Berufung — wenngleich unmittelbar mit dem Presbyterium der Diözese verbunden — gleichzeitig ihre universale Orientierung hat. Sie ist „für die ganze Kirche“ da. „Die Geistesgabe“ — so lesen wir im Dekret über den Dienst und über das Leben der Priester, Presbyterorum Ordinis, — „die den Priestern in ihrer Weihe verliehen wurde, rüstet sie nicht für irgendeine begrenzte und eingeschränkte Sendung, sondern für die alles umfassende und universale Heilssendung ,bis an die Grenzen der Erde“ {Apg 1,8) ... Die Priester mögen also daran denken, daß ihnen die Sorge für alle Kirchen am Herzen liegen muß. Deshalb sollen sich die Priester jener Diözesen, die mit einer größeren Zahl von Berufungen gesegnet sind, gern bereit zeigen, mit Erlaubnis oder auf Wunsch des eigenen Ordinarius ihren Dienst in Gegenden, in Missionsgebieten oder in Seelsorgeaufgaben auszuüben, in denen es an Klerus mangelt“ (Nr. 10). Das Priestertum als Gabe, als gesellschaftliches Sakrament ist die Quelle eines besonderen Apostolats in der Kirche: denn die Kirche ist ihrer Natur nach missionarisch und bleibt ständig im Zustand der Mission. Dieser mis- 1992 AD-LIMINA-BES UCHE sionarische Wesenszug der Kirche ist in die Priester- und Ordensberufung hineingeschrieben. Mit Genugtuung muß die Tatsache vermerkt werden, daß die Kirche in Polen, insbesondere die Kirchenprovinz Krakau, auf diesem so wichtigen Gebiet des Lebens und der Tätigkeit der Kirche, wie es die Evangelisation ist, schon ihre Errungenschaften aufzuweisen hat. Immer mehr junge Menschen, Priester und Ordensschwestern brechen — Christi Ruf folgend — freiwillig in die Missionsländer auf, um zu Dienern des Wortes der göttlichen Wahrheit, zu Verwaltern der göttlichen Geheimnisse, zu Pionieren des Evangeliums und der Evangelisierung zu werden. Als Bischof von Rom, der hier eine besondere Verantwortung für die ganze Missionstätigkeit der Kirche trägt, danke ich für die polnischen Missionare und Missionarinnen. Und ich bitte weiterhin um sie, denn „die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter“ (vgl. Mt 9,37). 6. Als ich mich an die Priester in der Heimat vor allem bei meiner letzten Pilgerreise — wandte, bemühte ich mich, dieses tiefreichende Band mit der Gesellschaft zu verdeutlichen, das im Laufe von Generationen das Leben und den Dienst der Priester in unseren Diözesen kennzeichnet. Sie sind wahrhaftig „aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt“ (vgl. Hebr5,1). Das soziale Profil in den Diözesen verändert sich Dieses Band wird immer wieder neu zu einer zu leistenden Aufgabe, und zwar im Zusammenhang mit dem sich verändernden sozialen ProfiLeurer Diözesen. Diese Veränderungen verlaufen in jeder der Diözesen , die zur Metropole gehören, etwas anders. In den landwirtschaftlichen Gebieten gibt es einen allmählichen Prozeß der Urbanisierung und Mechanisierung. Ein großer Teil der dörflichen Bevölkerung findet Arbeit im Industriemilieu. In den industrialisierten Regionen beobachten wir typische Umgestaltungsprozesse in der Mentalität und im Lebensstil, manchmal handelt es sich dabei um positive, oft um beunruhigende Veränderungen. Unabhängig vom Charakter der Region erreicht der Einfluß der Massenmedien, vor allem des Fernsehens, alle, und diese Medien drängen eine Denk- und Wertungsweise auf, die zum Allgemeingut wird, das der Mensch sich häufig unbewußt aneignet. Die Kräfte, mit denen die einzelnen Diözesen angesichts der genannten Veränderungen an die Bewältigung der Aufgaben gehen, sind unterschiedlich. Die ganze Kirchenprovinz zählt über 8 Millionen Katholiken. Unter ihnen wirken über 7000 Diözesan- und Ordenspriester. Im Durchschnitt entfallen auf einen Priester etwa 1150 Gläubige. 1993 AD-LIMINA-BESUCHE Trotz dieser differenzierten Bedingungen muß man jedoch die notwendigen Seelsorgeaufgaben in der Hoffnung angehen, daß der Eifer der Priester und die Fruchtbarkeit ihrer Arbeit für die Jungen eine Ermunterung darstellen, ihren Spuren zu folgen. 7. Gestattet, daß ich in diesem weiten Kontext noch eine Frage berühre, mit der ich in der Vergangenheit als ehemaliger Metropolit von Krakau sehr eng verbunden war, und die gleichzeitig eine Angelegenheit der Kirche in ganz Polen ist, mehr noch: der Gesamtkirche. Als die damaligen staatlichen Behörden die altehrwürdige Theologische Fakultät an der Jagiellonen-Universität „liquidierten“ (indem sie sie eigenmächtig in die in Warschau geschaffene Akademie für Katholische Theologie verlegten), da erließ der Hl. Stuhl zu Händen des verstorbenen Erzbischofs Eugeniusz Baziak ein Dekret, welches feststellte, daß diese Fakultät als Hochschule der Kirche in Krakau nicht zu bestehen aufhört, wobei sie sich von nun an nach den Prinzipien der kirchlichen Gesetzgebung auf dem betreffenden Gebiet leiten lasse. Von jenem Augenblick an (d. h. seit dem Jahre 1959/60) wurde sehr viel dafür getan, daß diese Hochschule die für sie angemessene Form und das entsprechende Profil erhalte; hierbei kam man diesen vielfachen Aufgaben entgegen, vor die das nach den „Zeichen der Zeit“ gelesene Evangelium die Kirche nach Maßgabe der Fragen und Bedürfnisse des Menschen in der Welt von heute stellt. Vor fast 600 Jahren bemühten sich die Königin Jadwiga zusammen mit ihrem Ehemann um eine Theologische Fakultät an der Krakauer Alma Mater, wobei sie u. a. — vielleicht auch vor allem — die Bedürfnisse der Evangelisierung im frisch getauften Litauen vor Augen hatten. Die Bedürfnisse der Evangelisierung verweisen uns stets auf die richtig betriebenen Wissenschaften: auf die Theologie, auf die Philosophie, auf das Recht, auf die Geschichte — und heute auf noch viele andere Zweige der Wissenschaft, die die zeitgenössische Spiritualität des Menschen formen, dem wir auf dem Weg des Evangeliums begegnen. Ich bringe meine Freude darüber zum Ausdruck, daß die Krakauer Hochschule (heute als Päpstliche Theologische Akademie) weiterhin der Kirche und der Gesellschaft in Polen dienen kann. Vor allem dient sie der Kirchenprovinz Krakau — aber nicht nur. Allen, die Hand an dieses bedeutsame Werk legten — und weiterhin legen —, bringe ich meine tiefe Dankbarkeit zum Ausdruck. Gleichzeitig lege ich die Angelegenheit der Krakauer Akademie allen meinen Brüdern im Bischofsamt, die hier anwesend sind, ans Herz, angefangen beim Großkanzler. Wir sind Anwälte einer gerechten und bedeutsamen 1994 AD-LIMINA-BES UCHE Angelegenheit, man könnte sagen: einer der Angelegenheiten, die für die polnische Staatsräson entscheidend sind. Die Seelsorge der Bischöfe betrifft verschiedenste Bereiche 8. Ihr wißt sehr wohl, teure Brüder, welch große Aufgaben uns ständig auf folgenden Gebieten erwarten: Kinder- und Jugendkatechese, Erwachsenenkatechese, Studentenseelsorge, Seelsorge für Bauern sowie für die ganze Arbeitswelt und andere Sonderseelsorge, Seelsorge für die Kulturschaffenden und für die Massenmedien sowie für viele andere. Ich habe mich bemüht, zu diesem Thema während meiner letzten Pilgerreise Stellung zu nehmen. Bekanntlich „mobilisiert“ jede der genannten Seelsorgerichtungen gleichzeitig einen entsprechenden Sektor des Laienapostolats. Sie alle begegnen sich letztlich aber in den Dimensionen der Seelsorge einer Pfarrei oder einer Diözese, wo auch das Laienapostolat den ihm gebührenden Platz finden muß. Es scheint, daß dieser ganze Aufgabenkomplex seine Widerspiegelung auch in der Arbeitstruktur der Theologischen Akademie in Krakau sowie in allen Seminaren und Gruppen findet, die mit dieser Hochschule organisch verbunden sind (vgl. die katholische Krakauer Wochenzeitung „Tygodnik Powszech-ny“, letzter Bericht des Prorektors bei der Eröffnungsfeier). Das bezieht sich auch auf die Ehe- und Familienpastoral, die vielleicht noch nie so wie heute einen gründlichen Rückhalt in einer entsprechenden theologischen Vorbereitung vor allem der betreffenden Eheleute und Eltern (bereits beginnend bei den Kandidaten für das Familienleben) wie auch auf seiten der Seelsorger erforderlich gemacht hat. Ein großes, grundlegendes Thema und eine große Aufgabe für Kirche und Gesellschaft! <98> <98> Geliebte Brüder! Wir begegnen uns im Marianischen Jahr, das in der ganzen Kirche unter dem Blickwinkel des Advents erlebt wird. Advent bedeutet Ankunft des Herrn. Wir unsererseits wollen uns vorbereiten auf den Beginn des dritten Jahrtausends seit dieser Ankunft und zugleich auf die 1000-Jahr-Feier der Diözese Krakau. Wir bereiten uns deshalb zusammen mit jener vor, die am vorzüglichsten vom Heiligen Geist vorbereitet wurde und die ständig uns alle darauf vorbereitet. Wir wissen darüber recht viel aus unseren polnischen Erfahrungen — aus den älteren und den heutigen Erfahrungen. Auf dem Gebiet eurer Kirchenprovinz liegt Jasna Gora und liegen außerdem so viele andere Marienheiligtümer des engeren Bereichs, um hier nur Kalwaria Zebrzydowska, Piekary (Deutsch-Pickar), Tuchöw oder Limanowa und Wislica zu erwähnen. 1995 AD-LIMINA-BES UCHE Maria „geht“ uns allen in der Pilgerfahrt des Glaubens „voran“. Jene, die ihr am kühnsten auf dieser Pilgerreise folgen, verwirklichen in sich selbst in besonderer Weise den Ruf zur Heiligkeit. Indem wir uns an die Heiligen und Seligen in eurem Gebiet erinnern, angefangen von den ältesten Daten der gemeinsamen Geschichte, freuen wir uns darüber, daß diese Berufung auch in diesem Jahrhundert neue Frucht bringt (ich denke besonders an die selige Karlina aus der Diözese Tamöw). Maria „geht“ allen in der Pilgerschaft des Glaubens, der Hoffnung, der Vereinigung mit Christus „voran“. Möge ihre mütterliche Fürsorge weiterhin andauern unter den Generationen, die in das neue Jahrtausend hineingehen — und noch weiter. Die Periode des Millenniums hat ein gewaltiges „marianisches Erbe“ hinterlassen, das man ständig aufgreifen, fortführen und erneuern muß. Christus, die Eucharistie, Christus, der „bis zur Vollendung Liebe erwies“, wünscht, daß wir uns ihm durch seine Mutter nähern. Schließlich ist es ja gerade sie, die ständig zu allen und zu jedem — so wie in Kana — sagt: „Was er euch sagt, das tut.“ Ich erteile aus vollem Herzen den Segen für die ganze Kirchenprovinz, für jede Diözese gesondert, für die Hirten, für die Priester, für die männlichen und weiblichen Ordensfamilien sowie für ausnahmslos alle, die diese Kirche bilden, und ich bitte euch, daß ihr nach dem Gebet des „Engel des Herrn“ gemeinsam mit mir ebenlalls diesen Segen erteilt. Vergelt’ es Gott. Religionsfreiheit kann nicht isoliert werden Ansprache an eine Gruppe polnischer Bischöfe der Kirchenprovinz Breslau (Wroclaw) anläßlich ihres Ad-limina-Besuches am 18. Dezember Hochwürdige und geliebte Brüder, Herr Kardinal, meine Herren Bischöfe! Der Herr Kardinal hat im Gefühl seiner Verantwortung als Metropolit hier seine Erzdiözese vorgestellt. Es fügt sich, daß in dieser gleichen Gruppe während unseres Treffens die Vertreter der Kirche aus den Ostgebieten unserer Republik — aus der Kirchenprovinz Lemberg (Lwow) und aus der Metropo-lie Wilna — anwesend sind. Natürlich sind das heute nur noch Teildiözesen, eine ist sogar ganz aus unserer gegenwärtigen polnischen Geographie verschwunden. Trotzdem sind diese Teildiözesen für uns ein großes Zeugnis eines jahrhundertealten Erbes, außerdem ist ihre Gegenwart heute in unserer Mitte nicht zufällig, denn sicher haben unsere Landsleute nach dem Zweiten 1996 AD-UMINA-BESUCHE Weltkrieg einen bedeutenden Teil dieses Erbes nach dem Westen gebracht, ja vielleicht sogar vor allem in der Kirchenprovinz Breslau (Wroclaw). Es ist also gut, daß wir hier Zusammentreffen. Meine Äußerungen sind eher eine Ergänzung zu dem, was ich bereits in Polen, vor allem in diesem Jahr, gesagt habe. 1. En Jahr des Millenniums der Taufe Polens (1966) waren wir am 3. Mai auf Jasna Göra Zeugen oder Teilnehmer des Weiheaktes, dessen Worte Kardinal Stefan Wyszynski sprach. Dieser Weiheakt trug einen Titel, der zu denken gab, gleichzeitig aber auch gewisse Vorbehalte, ja sogar Widerspruch weckte. Kann man sprechen von einer Hingabe „in die Gefangenschaft“, selbst wenn es um eine „mütterliche Gefangenschaft“ geht und der Akt der Weihe und Hingabe sich auf die Gottesgebärerin und Königin Polens bezieht? Solche Fragen stellte man sich. Dennoch verdient der Inhalt des Weihe- und Hingabeaktes, der allmählich im Bewußtsein des Episkopates des Millenniums, insbesondere aber im Herzen des Primas des Millenniums heranreifte, immer wieder eine vertiefte Reflexion. Nicht nur damals, sondern auch heute, wenn wir in der ganzen Kirche das Marianische Jahr als wichtige Etappe der Vorbereitung auf das Ende des zweiten und auf den Anfang des dritten Jahrtausends seit Christi Ankunft erleben. Vielleicht ist es also nötig, daß wir im Rahmen dieses Treffens mit den polnischen Bischöfen, die „ad limina Apo-stolorum“ gekommen sind, auch auf dieses Thema zurückkommen. Darin ist nicht nur ein Ereignis „von gestern“ enthalten, das schon der Vergangenheit angehört, sondern auch ein Hinweis auf das, was man den „polnischen Weg“ zum Beginn des dritten Jahrtausends des Christentums in der Welt, insbesondere in Europa nennen kann. 2. Der eigentliche Akt von Jasna Göra wurzelt — so kann man sagen — in der Geschichte dieses „großen Paradoxons“, dessen erste Heimat das Evangelium selbst ist. Es geht hier nicht nur um das verbale Paradoxon, sondern um das ontologische Paradoxon. Das tiefste von ihnen ist wohl das Paradoxon des Lebens und des Todes, was u. a. im Gleichnis vom Samenkorn zum Ausdruck kommt, das sterben muß, um neues Leben hervorzubringen. Ein Paradoxon — das letztlich durch das Paschageheimnis bestätigt wird. „Der Sieg, wenn er kommt, wird ein Sieg durch Maria sein. “ Die Tradition „heiliger Gefangenschaft“ — d. h. „mütterlicher Gefangenschaft“, die eine „Gefangenschaft der Liebe“ darstellt — erwuchs aus demselben Boden und findet seine Vertreter in der Geschichte christlicher Spirituali- 1997 AD-LIMINA-BES UCHE tät. Man muß nur an den Heiligen de Montfort sowie an unseren hl. Maximilian erinnern. Der Primas des Millenniums übernahm als Erbe diese Tradition marianischer Spiritualität, gewiß auch mit dem zusätzlichen Akzent, den sein Vorgänger auf dem Primasstuhl einbrachte. Bekanntlich starb Kardinal Blond mit den Worten: „Der Sieg, wenn er kommt, wird ein Sieg durch Maria sein.“ So soll sich also die „mütterliche Gefangenschaft“ als Weg zum Sieg offenbaren, als Preis für die Freiheit. Im übrigen läßt sich kaum eine Gestalt vorstellen, die einer Knechtung und Gefangennahme entfernter steht als die Mutter, als die Gottesgebärerin. Wenn es sich aber um eine „Gefangennahme durch die Liebe“ handelt, so stellt in diesem Bezug die „Gefangenschaft“ gerade die Offenbarung voller Freiheit dar. Denn Freiheit erlangt ihren Sinn — d. h. ihre Fülle — durch das wahre Gute. Liebe ist ein Synonym dafür, daß es erreicht wurde. 3. Enthält der Akt von Jasna Göra vom 3. Mai 1966 ein pastorales Programm? Vor allem muß man sagen, daß dieser Akt in gewisser Weise das ganze Programm der Großen Novene vor der Taufe Polens in sich zusammenfaßt. Dieses Programm hat — in Verbindung mit der Wanderung des Gnadenbildes von Jasna Göra durch alle Pfarreien unseres Landes — mit Sicherheit große Frucht getragen; und das in einer Periode, als ein großes Ringen um die Seele der Polen stattfand. Ich meine auch, daß man dieses Programm nicht als gestrig ansehen kann. Seine Hauptelemente sind immer noch aktuelle, wenngleich heute vielleicht in einem etwas veränderten Zusammenhang und in einer etwas veränderten Gestalt. Wenn es um den Akt der Hingabe in die „mütterliche Gefangenschaft“ der Gottesmutter geht, so ist er so wie jeder Ausdruck ihrer echten Verehrung sicher zutiefst christozentrisch. Er führt hinein in das ganze Geheimnis Christi. Man kann im übrigen mit voller Begründung sagen, daß die heimischen Erfahrungen, die gewissermaßen im Weiheakt von Jasna Göra kulminieren, gleichzeitig auch jener Mariologie sehr nahe stehen, welche Ausdruck fand in Lumen gentium: Die Gottesmutter ist „im Geheimnis Christi und der Kirche gegenwärtig. Die Enzyklika Redemptoris Mater folgt den Wegen der Konzils-mariologie. Und wenn es um das Bild Mariens geht, die dem Gottesvolk „bei der Pilgerschaft des Glaubens“ auf dem Weg zu Christus „vorangeht“, so ist dieses Bild mit unserer heimischen Erfahrung eng verschmolzen! 4. Außer seinem klaren Christozentrismus besitzt der Weiheakt der Hingabe „in die mütterliche Gefangenschaft“ auch eine anthropologische Grundlage. Es ist ja bekannt, daß man auf die Freiheit hinweist, wenn man von „Gefan- 1998 AD-UMINA-BESUCHE genschaft spricht. Die Hingabe aus der Liebe heraus soll zur menschlichen Freiheit erziehen. Zur Freiheit — zum freien Willen der Personen, mittelbar zur Freiheit der ganzen Gesellschaft. Es gibt keine Aufgaben, die in tieferer Weise den grundlegenden Sinn der Evangelisierung, des Apostolats und der Seelsorge beschreiben könnten. Worum mehr kann es bei dieser „neuen — zweiten — Evangelisierung“ nach dem II. Vatikanum gehen, deren Notwendigkeit die Episkopate Europas sehen, wenn nicht gerade darum: um die Erziehung zur menschlichen Freiheit. Natürlich hat die Evangelisierung auch ihre Erkenntnisdimension. Die europäischen Nationen — auch unsere Nation, wenngleich vielleicht in etwas anderer Weise — stehen unter dem Druck zahlreicher Umwälzungen auf dem Gebiete der Erkenntnis, die den christlichen Boden der „ersten“ Evangelisierung auf unserem Kontinent kritisch durchpflügt haben. Folglich muß die „neue“ Evangelisierung auch eine „neue“ Reife auf diesem Gebiet besitzen. Doch zwischen der Erkenntnis einerseits und der Freiheit andererseits gibt es eine grundlegende „Rückkopplung“. „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien (vgl. Joh 8,32) — sagt Christus, und diese Worte haben immer noch grundlegenden Wert. Aus dem Millenniumsakt ergibt sich also eine Schlüsselfrage für unseren Hirtendienst: wir müssen ringen um einen guten und einen richtigen Gebrauch der Freiheit bei unseren Landsleuten. Das ist immer und überall ein Gebrauch der Freiheit in der Wahrheit! Und wir müssen für dieses Ringen Bundesgenossen suchen. Unsere Liebe Frau von Jasna Göra muß die erste dieser Bundesgenossen bleiben. <99> <99> Wenn der Millenniumsakt der Weihe von „Gefangenschaft“ spricht, dann verweist er auf den Preis, der mit der Hingabe der Freiheit für die Freiheit bezahlt wird. Dieser Preis wurde genauer definiert: „Für die Freiheit der Kirche in der Welt und in Polen.“ Dieser so formulierte Text verwies auf jenen Bereich der Freiheit, der dem Bedürfnis der Stunde bzw. der Zeitperiode besonders zu entsprechen schien. „Religionsfreiheit als Recht von Personen und Gemeinschaften fand ihren Ausdruck in der Erklärung der Vereinten Nationen unmittelbar nach den schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges. Das Zweite Vatikanische Konzil spürte das Bedürfnis, ein besonderes Dokument zu diesem Thema herauszugeben. Unter unterschiedlichen Umständen und auf verschiedene Weise kommt man immer wieder auf dieses Argument zurück, das — wie ersichtlich — nicht aufhört, immerzu aktuell und immerzu nowendig zu sein. Es sei gleich hinzugefügt: daß das Recht auf Religionsfreiheit nicht von der Gesamtheit der Rechte der menschlichen Person sowie der menschlichen 1999 AD-LIMINA-BES UCHE Gruppen und Gemeinschaften isoliert werden darf. Diese Rechte betreffen zahlreiche Aspekte der menschlichen Existenz im Bereich der Gesellschaft. Einerseits bedingen diese Rechte die jeder Person zukommende Würde — natürlich gestalten sie sie selbst noch nicht, denn sie muß letztlich vom Menschen als dem bewußten und verantwortlichen Subjekt erarbeitet werden. Andererseits machen die Rechte, von denen die Rede ist, das Leben der Gemeinschaft oder der Gesellschaft gerecht, indem sie ihren wahren Subjektcharakter gewährleisten. 6. Vor dem Hintergrund der tiefen Krise, die unser Land heute durchlebt, scheint es, daß jener „Preis der Freiheit“, zu dem die Tausendjahrfeier auf-ruft, unter dem Gesichtspunkt wohlverstandener Rechte des Menschen, sogar auch auf ökonomisch-sozialem Gebiet, gesehen werden muß. Der Akt von Jasna Göra entzieht sich einer solchen Interpretation auch dann nicht, wenn wir uns bewußt machen, daß diese gleiche Frage schon in den Gelübden Jan Kazimierz‘ aus der Zeit vor über 100 Jahren enthalten war. Am Ende des 20. Jahrhunderts muß diese Angelegenheit im Zusammenhang der heutigen Bedingungen und Umstände aufgegriffen werden. Das Recht auf Eigentum ist mit der Person verbunden, auch wenn es um das Eigentum an Produktionsmitteln geht — es ist deshalb damit verbunden, weil der Mensch von Anfang an vom Schöpfer zum Herrn der sichtbaren Schöpfung gemacht worden ist. Es ist deshalb damit verbunden, damit auch die wirtschaftliche Initiative, die nicht nur den einzelnen, sondern auch der Gesellschaft dient, angemessen freigesetzt werden kann. Dieses Prinzip, das der hl. Thomas als Ausdruck des (sekundären) Naturrechtes ansieht (vgl. Summa Theol., IM, q. 66, Art. 2, in c., ad. 1; vgl. auch I-II, q. 94, Art. 5, ad. 3), gehört zu der ganzen Tradition der Soziallehre der Kirche, über Rerum novarum bis hin zu Laborem exercens. Eine ,,soziale Hypothek“ lastet auf dem Eigentum Natürlich hat ein so aufgestelltes Prinzip nicht mit dem Verabsolutieren des Eigentums an Produktionsmitteln, mit dem Verabsolutieren des Privateigentums zu tun. Aus diesem Grunde sprechen wir geradezu von einer „sozialen Hypothek“, die auf dem Eigentum lastet, und wir erkennen dem Staat — um des Gemeinwohls der Bürger willen — das Recht auf Kontrolle auf diesem Gebiete zu. Etwas anderes ist jedoch dieses Recht und wieder etwas anderes ist es, wenn man den Menschen von der ihm eigenen Arbeitsstätte systematisch losreißt, wenn man die wirtschaftliche Initiative zunichte macht und ihm auch mittelbar den Sinn für die Arbeit selbst nimmt. 2000 AD-LIMINA-BES UCHE Dies sind uns wohlbekannte Symptome einer Krise, die nicht nur oberflächlich geheilt werden kann. 7. Geliebte Brüder im Bischofsamt: Metropolit von Breslau (Wroclaw), Bischof von Oppeln (Opole), Bischof von Landsberg (Gorzöw), Apostol. Administrator in Lubaczöw, in Bialystok und in Drohiczyn, Bischof von Lomza, all ihr Brüder Weihbischöfe, die ihr den Ortsbischöfen eurer Kirche wirksame Hilfe leistet. Ich erinnerte an die Tausendjahrfeier von Jasna Göra, welche sich auf unserem „polnischen Weg“ zu dem neuen Jahrtausend des Christentums sowie zu der neuen Evangelisierung der Kirche in Polen befindet. Ich werde euch sehr dankbar sein, wenn ihr das, was ich heute — notgedrungen in bedeutender Verkürzung — gesagt habe, durchdenken und in der Arbeiterwerkstatt der Kirche in Polen entwickeln wolltet. Natürlich sind wir weder Politiker noch Wirtschaftsfachleute. Wir kennen dafür aber die ethische Dimension sowohl der Politik wie auch der Ökonomie. Wir sind fähig, auch auf diesem Gebiet das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Möge unsere Lb. Frau von Jasna Göra bei Christus, dem Guten Hirten, sich für euch einsetzen, damit euch nie diese klare Sicht, nie dieser Mut und diese Großherzigkeit fehle, die die gesamte Tätigkeit der Kirche in Polen vor der eigenen Nation und vor der ganzen Menschheit glaubwürdig machen. Von ganzem Herzen segne ich die Kirchenprovinzen, die erste, die zweite und die dritte, und ich segne jede Diözese gesondert: die Hirten, die Priester, die männlichen und weiblichen Ordensfamilien sowie alle, die diese Kirche bilden, und gleichzeitig entbiete ich beste Wünsche zu Weihnachten und zum Neuen Jahr. So erwidere ich Ihre Wünsche, Herr Kardinal. Das Konzil immer neu entdecken Ansprache an die Bischöfe der Kirchenprovinzen Gnesen, Warschau und Posen anläßlich ihres Ad-limina-Besuches am 20. Dezember Geliebte und hochwürdige Brüder! Herr Kardinal-Primas, meine Herren Erzbischöfe und Bischöfe! 1. „ Herr, du bist gut wie das Brot... Du hast uns bis zur Vollendung Liebe erwiesen.“ Der dritte Besuch im Vaterland, auf dem Wege des Eucharistischen Kongresses in Polen, war für mich ein tiefes Erlebnis. Dies brachte ich an Ort und Stelle sowie nach der Rückkehr nach Rom zum Ausdruck. Ich komme 2001 AD-LIMINA-BES UCHE heute noch einmal darauf zurück, da wir uns bei eurem Ad-limina-Besuch begegnen. Die Tradition, daß die Bischöfe aus der ganzen Welt „ad limina Apostolorum kommen, findet seine Bestätigung auch im Kirchenrecht. Doch der „Buchstabe“ des Rechts bringt den „Geist“ der Kirche, der apostolischen Tradition und schließlich des Evangeliums selbst zum Ausdruck. Die Ad-limina-Besu-che machen die grundlegende Wahrheit von der Kirche als einer „Commu-nio“ deutlich. Diese Wahrheit hat ihre Wurzeln tief in der Eucharistie. Und die Eucharistie baut die Kirche in vielialtiger Bedeutung auf. Unter diesen Bedeutungen wurde die „kommunizierende“ Wirklichkeit der Kirche in besonderer Weise in der Lehre des II. Vatikanums hervorgehoben (vgl. besonders Lumen gentium, Nr. 13). Eben deshalb lud ich zum Abschluß des Eucharistischen Kongresses in Warschau die Polnische Bischofskonferenz besonders zu den diesjährigen Ad-li-mina-Besuchen ein, die dem im Kirchenrecht vorgesehenen Fünfjahresrhythmus entsprechen. Diese Besuche bringen jedoch vor allem die Kirche als „kommunizierende“ Wirklichkeit zum Ausdruck und festigen diese. 2. Indem ich an diese Prämissen anknüpfe, möchte ich die hierher gekommenen Hirten der Kirchenprovinzen Gnesen (Gniezno), Warschau (Warszawa) und Posen (Poznan) zusammen mit ihren Weihbischöfen herzlich begrüßen. Ihr stellt jenes Bischofsgremium dar, mit dem ich durch viele Jahre meines Dienstes auf dem Krakauer Bischofsstuhl verbunden war. Es läßt sich schwer zum Ausdruck bringen, wieviel ich den dortigen Erfahrungen verdanke, auch jetzt, da ich der Allgemeinen Kirche auf dem römischen Stuhl des hl. Petrus diene. Ich verdanke viel, sehr viel der Nation, der Kirche, ihren Hirten, angefangen vom großen Primas des Millenniums. In ihrer Mitte nahm ich auch am Konzil teil und habe zusammen mit dem Episkopat der ganzen Welt eine große Dankesschuld gegenüber dem Heiligen Geist abzutragen. 3. Man muß das Konzil ständig lernen. Man muß es immer wieder von neuem erkennen und entdecken. Das ist nicht nur „akademisches“ Wissen. Wir lernen das Konzil zu dem Zweck, um in ihm zu leben, um es zu verwirklichen. Es geht auch um die Selbstverwirklichung der Kirche: um eine solche Selbstverwirklichung, die — unter dem Hauch des Geistes der Wahrheit — gleichzeitig den „Zeichen“ unserer Zeit gerecht wird. Eben unter diesem Blickwinkel enthüllt uns die Bezeichnung der Kirche als „Communio“ — und in dieser Bezeichnung die Verbindung mit der Eucharistie — weiteste Perspektiven. Alles, was der Sendung der Kirche in der Di- 2002 AD-LIMINA-BES UCHE mension „ad intra“ sowie in der Dimension „ad extra“ entspricht, erwächst aus diesem Boden, aus dieser Grundlage: aus der „Communio“. Aus ihr erwächst es, und zu ihr soll es gleichzeitig heranreifen. Darauf wies vor zwei Jahren die Synode, die Außerordentliche Versammlung Ende 1985, hin, indem sie die Wahrheit über die Kirche als Communio in ihrem Schlußdokument herausstellte. Die diesjährige Synode — eine Außerordentliche Versammlung zum Thema der Laien — baute ihre Erwägungen und Vorschläge auf dem gleichen Fundament auf. Es ist nötig, daß sich im Jahre des Eucharistischen Kongresses in Polen — und als Frucht dieses Kongresses — die Sendung der Kirche in unserem Vaterland immer gründlicher und zugleich immer konkreter in diesem gleichen theologischen Profil und in dieser gleichen Perspektive verwirklicht. 4. Eine vertiefte Lektüre des Konzils, angefangen von Lumen gentium, wird uns zeigen, daß die Gesamtheit und zugleich die Vielfalt der Aufgaben, vor der die Kirche in Polen — in erster Linie die Bischofskonferenz — steht, voll und ganz „beim Namen“ genannt werden können, wenn man eben von einer solchen Sicht der Kirche ausgeht. Diese Aufgaben, zumindest manche von ihnen, versuchte ich in Ansprachen bei meiner letzten Pilgerreise in die Heimat einzubringen. Vor allem werden sie spürbar durch die systematische Arbeit des Episkopats, sowohl der einzelnen Bischöfe in den Diözesen wie auch der ganzen Bischofskonferenz. Unter diesen Aufgaben möchte ich noch einmal auf die Frage der katholischen Laien sowie auf ihren Platz in der Kirche und im Vaterland zurückkommen, also auf den verschiedenen Gebieten des nationalen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Alle Glieder der Kirche haben Anteil am apostolischen Erbe 5. Das Zweite Vatikanische Konzil enthüllte vor den Augen der Kirche diese Dimension der „Communio“, aus der das Leben und die Sendung der christlichen Laien ihren Anfang nehmen. Grundlegender Text ist hier die Konstitution Lumen gentium, insbesondere das zweite Kapitel über das Volk Gottes. Dieses Kapitel, besonders seine Plazierung in der Konstitution, hat große Bedeutung. Bevor das Konzil die Frage des Episkopats aufgreift und damit über die Amtsnachfolge der Apostel, d. h. über den Hirtendienst in der Kirche spricht, spricht es zuerst über jenes Erbe, das in der Nachfolge der Apostel der Anteil „aller“ in der Kirche ist. Während die hierarchische Sukzession der Apostel manchen dazu vom Heiligen Geist Berufenen zuteil wird, wird das apostolische Erbe dagegen kraft der Taufe und der Firmung allen zuteil. 2003 AD-LIMINA-BES UCHE Die christliche Berufung ist eine Berufung zum Apostolat (vgl. Lumen gentium, Nr. 13; Apostolicam actuositatem, Nr. 23). Denn alle haben teil an der Sendung Christi: des Priesters, des Propheten, des Königs. Diese allgemeine Teilhabe „in triplicimunere“ Christi selbst hat grundlegende Bedeutung für die Selbstverwirklichung der Kirche als „Communio“. Die Kirche verwirklicht sich in dem ihr eigenen „kommunizierenden Profil, sofern sich in ihr die Teilhabe aller richtig entwickelt: das, welches die Frucht der Teilhabe an der dreifachen Sendung von Christus selbst ist. Insbesondere geht es um die Teilhabe der Laien. 6. Die katholischen Laien, Frauen und Männer, vollberechtigte Glieder der Kirche, sind zur Heiligkeit und zum Apostolat berufen; dazu, um in der Welt von heute „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ zu werden (vgl. Mt 5,13-14). Das bedeutet, daß sie auf allen Gebieten des individuellen, des familiären und gesellschaftlichen Lebens, insbesondere im Milieu der Arbeit, Zeugen Christi sein und die Prinzipien der aus dem Evangelium kommenden Gerechtigkeit und Solidarität in die Tat umsetzen müssen. Ich verwies darauf bei der Predigt, die ich in Lublin bei der Priesterweihe hielt (9.6.1987), wobei ich unterstrich, daß man den Laien „Vertrauen schenken muß, denn in ihnen liegt ein großes Potential an gutem Willen, an Kompetenz und Dienstbereitschaft“. Die letzte Bischofssynode war eine „große Konsultation zum Thema der Berufung und Sendung der katholischen Laien in Kirche und Welt von heute. Sie war gewissermaßen eine Überprüfung, in welchem Maße die Weisungen und Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils bezüglich der Laien verwirklicht worden sind. Die Elemente dieser Konsultation finden sich in allen Sy-noden-Äußerungen und Texten, angefangen von den „Lineamenta“ über die Diskussionsbeiträge bis zu den „Propositiones“, und sie werden die Grundlage für die Ausarbeitung eines nachsynodaleri Dokumentes sein. Im Lichte der synodalen Überlegungen kann man sagen, daß auf vielen Gebieten seelsorgerischen Wirkens die Priester allein, ohne die Teilnahme der Laien, ihren Aufgaben nicht gerecht werden können ohne ihre Zusammenarbeit auf der Pfarr- und Diözesanebene. Gut vorbereitete katholische Laien, Spezialisten auf verschiedenen Gebieten des Wissens, können jene Arbeiten ausführen, die nicht die unmittelbare Anwesenheit eines Priesters erfordern — und wie viele solcher Aufgaben gibt es doch in der Seelsorge, angefangen von der Katechese für die Kinder, für die Jugendlichen und Erwachsenen bis hin zur Familienpastoral und zur Seelsorge für die verschiedenen beruflichen oder Milieugruppen. 2004 AD-LIMINA-BES UCHE Eine große Rolle können hier — wie die Synode es hervorgehoben hat — Vereinigungen von Katholiken und authentisch kirchliche Bewegungen als unschätzbare Hilfe bei der Verwirklichung der pastoralen Sendung spielen. Besonders wichtig ist es, daß die katholischen Laien sich ihre christliche Identität immer stärker bewußt machen, daß sie Antworten auf die neuen Herausforderungen suchen, vor die uns die Welt von heute stellt: den Indifferentismus, den Unglauben, den Atheismus, den praktischen Materialismus, materielle und moralische Not, Demoralisierung, Ungerechtigkeit, Verletzung der Rechte der menschlichen Person usw. Viele Menschen in Polen, besonders katholische Laien, wenden sich heute an die Kirche voll Vertrauen und in der Hoffnung, daß sie hier nicht nur Verständnis, sondern auch die Möglichkeit zur Verwirklichung ihrer menschlichen und christlichen Berufung finden werden. Ihre Begeisterung und ihr guter Wille müssen von den Hirten aufmerksam und mit Wohlwollen geschätzt und angenommen werden; ihre Initiativen sollen einer umsichtigen Bewertung unterworfen und dann im Rahmen des Möglichen verwirklicht werden. Von den Hirten wird es in großem Maße abhängen, ob die Laien in der Kirche und in der Welt ihre Aufgaben gemäß den Anforderungen der heutigen Welt erfüllen werden. Die Kirche als ,,Volk“ Gottes erzieht Nationen und Völker 7. Es ist üblich geworden, zu sagen, daß die Kirche im Laufe der Geschichte zu einem „Erzieher“ vieler Nationen geworden ist, besonders auf dem europäischen Kontinent, aber nicht nur dort. Dies bezieht sich auf eine frühere Epoche, vor den Trennungen, speziell vor der Reformation. Dennoch hört das — in gewisser Weise — nicht auf, weiterhin aktuell zu sein. Das II. Vatikanum gestattet uns, das besser zu verstehen: die Kirche erzieht Nationen und Völker, denn sie ist selber „Volk“; Volk Gottes. Und wenngleich das, wodurch Kirche sich als Volk Gottes konstituiert, grundsätzlich zu einer anderen Ordnung gehört als das, wodurch sich irdische Gesellschaften und Nationen, aber auch Staaten konstituieren, so bestehen doch Analogien und Annäherungen. Dies findet seinen eigenen Ausdruck in der katholischen Ethik: in der Soziallehre der Kirche. Eine knappe Synthese dessen finden wir auch in der Konstitution Gaudium et spes, besonders in den einzelnen Kapiteln des zweiten Teils. Gestattet, daß ich den schon bei meinem dritten Pastoralbesuch in Polen, auf dem Königsschloß in Warschau folgenden zitierten Text wiederhole: „Anerkennung verdient das Vorgehen jener Nationen, in denen ein möglichst großer Teil der Bürger in echter Freiheit am Gemeinwesen beteiligt ist... Damit aber alle Bürger zur Beteiligung am Leben der verschiedenen Gruppen 2005 AD-LIMINA-BESUCHE des Gesellschaftskörpers bereit seien, müssen sie auch in diesen Gruppen Werte finden, die sie anziehen und zum Dienst für andere willig machen. Mit Recht dürfen wir annehmen, daß das künftige Schicksal der Menschheit in den Händen jener ruht, die den kommenden Geschlechtern Triebkräfte des Lebens und der Hoffnung vermitteln können“ (Gaudium et spes, Nr. 31). Diese große Aufgabe, „Triebkräfte des Lebens und der Hoffnung zu vermitteln“, steht auch vor der Kirche in Polen und vor ihren Hirten. In dem gleichen Konzilsdokument lesen wir weiter: „Die Kirche, die in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden darf, noch auch an irgendein politisches System gebunden ist, ist zugleich Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person ... in der Liebe des Erlösers begründet, trägt (sie) dazu bei, daß sich innerhalb der Grenzen einer Nation und im Verhältnis zwischen den Völkern Gerechtigkeit und Liebe entfalten ... die Kirche selbst bedient sich des Zeitlichen, soweit es ihre eigene Sendung erfordert. Doch setzt sie ihre Hoffnung nicht auf Privilegien, die ihr von der staatlichen Autorität ange-boten werden. Sie wird sogar auf die Ausübung von legitim erworbenen Rechten verzichten, wenn feststeht, daß durch deren Inanspruchnahme die Lauterkeit ihres Zeugnisses in Frage gestellt ist“ (Gaudium et spes, Nr. 76). Daß man die Verbundenheit mit der Nation aufrechterhält, daß man ihre Sorgen, Schwierigkeiten und ihre Unruhe teilt, daß man beim einzelnen und bei der Gemeinschaft ein aufrechtes Gewissen mit dem Ziel einer richtigen Wertung der Haltungen und Pflichten im persönlichen, familiären und Gemeinschaftsleben formt — das alles stellt eine große und sehr verantwortliche pa-storale Aufgabe für die Kirche dar. <100> <100> Stellt uns der geschichtliche Augenblick, den wir erleben, nicht in neuer Weise vor jene Aufgabe, die ihren Ausdruck in der Vergangenheit — in der weiteren und näheren Vergangenheit — gefunden hat? Die Kirche als Erzieher der Nationen! Und gehört diese Aufgabe nicht auch zur Gesamtheit jener „neuen“, d. h. zweiten Evangelisierung, deren Notwendigkeit sich alle Kirchen und Episkopate auf unserem Kontinent immer deutlicher bewußt machen? Gleichzeitig ist es klar, daß diese „Erziehung“ der Nationen durch die Kirche in dieser Etappe des Bewußtseins — des christlichen und sozialen Bewußtseins zugleich — in bedeutendem Maße eine „Selbsterziehung“ sein muß. Ebenso wie bei jedem erwachsenen oder sogar bei jedem heranwachsen-den Menschen. Man könnte auch sagen, daß eine solche christliche „Selbsterziehung“ der Personen, der Gemeinschaften, der ganzen Gesellschaft gleichzeitig ein neuer, der historischen Etappe angemessener Schritt zur missionarischen „Inkulturation ist. Die Kirche aber ist überall und stets missio- 2006 AD-LIMINA-BESUCHE narisch. Sie ist ihrer Natur her missionarisch. Missionarisch — immer von neuem! Das Problem der „Laienschaft“ — des Laienapostolats — hat auf diesem Gebiet eine ganz grundsätzliche Bedeutung. 9. Während meiner Besuche in Polen unterstrich ich jedesmal, daß die Souveränität des Staates nur dann der vollen Wahrheit über die Person und über die Gesellschaft entspricht, wenn in diesem Staat die Nation ihre Souveränität wiederfindet, wenn sie sich als wahres Subjekt der Entscheidung darüber, was „gemeinsam ist, der Entscheidung über das Gemeinwohl fühlt — und es auch ist. Diese Selbstbestimmung kann niemand der Gesellschaft abnehmen, noch kann sie dabei durch jemand vertreten werden. Wenn man aber versucht, der Gesellschaft als Gemeinwohl, als gesellschaftliches Programm das aufzuzwingen, was nicht ihrem Bewußtsein noch ihrem Gewissen entspricht, dann wird man sich letzten Endes überzeugen müssen, daß ein solches Handeln zum Schaden der Gesellschaft und zum eigenen Schaden gerät. Diese Nation ist durch ihre ganze Geschichte, selbst auch durch ihre düsteren Erfahrungen, zu sehr an das gewöhnt, was das Konzil „Teilhabe“ nennt — und was sich mit der in so treffender Weise an der Ostsee entdeckten „Solidarität“ verbindet. 10. „Als fleischgewordenes Wort wollte er selbst in die menschliche Lebensgemeinschaft eingehen. Mit Hinweisen auf die allergewöhnlichsten gesellschaftlichen Verhältnisse ... offenbarte er die Liebe des Vaters und die hohe Berufung der Menschen... in seiner Verkündigung gab er den Kindern Gottes das klare Gebot, einander wie Brüder zu begegnen, und in seinem Gebet bat er darum, daß alle seine Brüder eins seien ... Den Aposteln befahl er, allen Völkern die Frohbotschaft zu verkünden, damit die Menschheit zur Familie Gottes werde, in der die Liebe die Fülle des Gesetzes sein soll... Durch das Geschenk seines Geistes (stiftete er) eine neue brüderliche Gemeinschaft in seinem Leib, der Kirche, in dem alle einander Glieder sind und sich entsprechend der Verschiedenheit der empfangenen Gaben gegenseitig dienen sollen. Diese Solidarität muß stetig wachsen bis zu jenem Tag, an dem sie vollendet sein wird und die aus Gnade geretteten Menschen als eine von Gott und Christus, ihrem Bruder, geliebte Familie Gott vollkommen verherrlichen werden“ (vgl. Gaudium et spes, Nr. 32). 11. In diesem Geiste entbiete ich die besten Festtags- und Neujahrswünsche euch allen, geliebten Brüdern im Bischofsamt, und den Kirchen, denen ihr dient. Übermittelt meine Wünsche und meinen Segen der ganzen geliebten Heimat. 2007 AD-LIMINA-BES UCHE Den Glauben des Gottesvolkes erneuern Ansprache an die portugiesischen Bischöfe bei ihrem Ad-limina-Besuch am 6. Juli Liebe verehrte Brüder im Bischofsamt aus Portugal! 1. Ich danke euch für eure Sicht, die soeben der Patriarch von Lissabon, Kardinal Antonio Ribeiro, als Präsident der Bischofskonferenz zum Ausdruck gebracht hat, als er darstellte, was euch am Herzen liegt und was einige von euch bei den persönlichen Begegnungen mir bereits mitteilen konnten. Ich danke euch herzlich. Bei dieser Begegnung, die ich als eine der wichtigsten und zugleich schönsten Aufgaben meines Amtes als Nachfolger des Petrus erlebe, möchte auch ich euch von neuem der herzlichen Zugneigung versichern, mit der ich euch immer begleite und mit der ich euch heute empfange, erfüllt von dem Wunsch — wie der Apostel sagt —, „euch nicht nur am Evangelium Gottes teilhaben (zu) lassen, sondern auch an unserem eigenen Leben“ (vgl. 1 Thess 2,8). Der Sinn eures Ad-limina-Besuches ist das Erleben von Gemeinschaft, das mehr als ein bloßes Erlebnis der bischöflichen Kollegialität ist: die Erfahrung der Gemeinschaft des Geistes, der Herzen und eines einzigen Geistes, mit ihrem Höhepunkt in der Konzelebration der Eucharistie. Mit wenigen Änderungen — drei neue Bischöfe sind hinzugekommen — haben wir uns in diesem Kreis schon in Fatima getroffen bei meiner unvergeßlichen Pilgerfahrt und ein Jahr später hier beim voraufgegangenen Ad-limi-na-Besuch. Die Zeit eilt rasch dahin, doch die angenehmen Erinnerungen bleiben. Ja, lebhaft bleibt in mir die Erinnerung an meine Begegnung mit der Kirche in Portugal, die heute auch hier durch euch vertreten ist. Ich grüße euch als Hirten und ich grüße eure Gemeinden — die Priester, die Ordensleute beiderlei Geschlechts und alle Gläubigen — die, Gott sei Dank, die Mehrheit des portugiesischen Volkes ausmacht. In der Gesprächslinie der voraufgegangenen Begegnungen möchte ich fortfahren, euch einige kurze Gedanken vorzulegen, da uns noch lebhaft der doppelte Aufruf des kürzlich gefeierten Festes der heiligen Apostel Petrus und Paulus, bzw. der ständige Aufruf Roms vor Augen steht: alle Bischöfe möchten eins sein in der Gemeinschaft mit dem Nachfolger des Petrus und in der „Sorge für alle Gemeinden“ (vgl. 2 Kor 11,28). 2. Ein Jahr nach meinem Pastoralbesuch habt ihr einen ersten gemeinsamen Hirtenbrief veröffentlicht, in dem ihr in einem Aspekt die jüngste außeror- 2008 AD-LIMINA-BES UCHE dentliche Bischofssynode vorweggenommen habt, wenn ihr schreibt: „Wir möchten der Bewegung für eine Erneuerung unserer Diözesen neue Impulse geben.“ Gleichzeitig habt ihr eine Umfrage gestartet, um auf nationaler Ebene das Volk Gottes zu befragen über die „Mängel und Anliegen, die man in der Kirche von Portugal bemerkt oder empfindet“. Aus den eingegangenen Ergebnissen entstand die Idee „eines einzigen Schwerpunktes für die Seelsorge bis zum Jahr 2000“. In einem neuen gemeinsamen Hirtenbrief faßt ihr das glücklich in den beiden Worten zusammen: „Evangelisieren und den Glauben des Volkes Gottes gemäß den Forderungen des Konzils und unserer Zeit erneuern.‘ ‘ Zu all dem kann ich euch nur gratulieren, weil es eure Aufmerksamkeit zeigt und weil viel Mühe dahintersteht. Es war ein entscheidender Schritt nach vorn, um Mitverantwortung bewußt zu machen und anzuregen auf der sicheren Grundlage der Einheit und Treue, ohne die Verschiedenheit der Situationen sowie des verfügbaren Personals und der Mittel in derart unterschiedlichen Diözesen wie in Portugal zu ignorieren. Deswegen war es auch j edem Bischof überlassen, die Ausrichtung der Bewegung zur Evangelisierung und Erneuerung in der eigenen Diözese durchzuführen. 3. Leider erlaubt es die'Zeit nicht, uns mit der Analyse der Situation der Kirche in Portugal in dieser Phase des Bewußtmachens aufzuhalten, gut durchdacht in den umfangreichen und gut ausgearbeiteten Berichten. Neben tröstlichen Bestätigungen auf ein zurückgewonnenes Bewußtsein und den vielen konkreten Hinweisen auf Lebendigkeit und kirchliches. Engagement fehlen nicht einige ausführliche Bemerkungen zu Lücken, Gefahren und Schwierigkeiten, die sich dort der Kirche auf ihrem Pilgerweg entgegenstellen, wenn sie „zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes (dahinschreitet) und das Kreuz und den Tod des Herrn (verkündet), bis er wiederkommt11 (Lumen gentium, Nr. 8). Indessen, der Gute Hirte sagt uns weiter: „Habt Mut, ich habe die Welt besiegt.“ (Joh 16,33). Jedoch überwiegen die Gründe zu Optimismus und Hoffnung, denn die Kirche in Portugal vermittelt den Eindruck einer relativen Festigkeit, eines sicheren Urteils und der Fähigkeit, ohne Unsicherheit einzugreifen trotz fortbestehender Schwierigkeiten. Und derzeit hat es den Anschein, daß diese nicht nur von vorübergehenden, sondern überwiegend historischen und strukturellen Faktoren herrühren, die mit dem Geschick des Volkes und des Landes im allgemeinen Zusammenhängen, belastet mit Problemen der Anpassung an die Folgen des plötzlichen Richtungswandels in seiner historischen Entwicklung, der tiefreichende Veränderungen mit sich brachte. Ihr habt euch bei euren gemeinsamen Überlegungen scharfsinnig damit beschäftigt und die Ereignisse und Situationen untersucht, wie die bekannte 2009 AD-LIMINA-BES UCHE politische Entwicklung und die Entkolonialisierung, auf kirchlicher Ebene mit der Auswirkung der konziliaren Erneuerung und einige weniger genaue Interpretationen des Konzils. Noch kürzlich habt ihr geschrieben: „In einer Zeit, da wir uns aus verschiedenen Gründen in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft integriert sehen, muß uns die Bekräftigung unseres gemeinsamen Bewußtseins ein Anliegen sein, das nicht auf Marktinteressen verkürzt werden darf. Wir haben ein Erbe zu bewahren. Dazu gehört der christliche Glaube ... Es gibt eine Erwartung, die in der besonderen Art unseres Beitrags grundgelegt ist, der gerade in unseren geistig-geistlichen und religiösen Werten wurzelt. Ihr gebt dann einem Appell Ausdruck, den ich mit euch unterstreichen möchte, wenn ihr von den mir so lieben portugiesischen Emigranten sprecht: Diese „haben sowohl in den Ländern Europas als auch in den Ländern anderer Kontinente dazu beigetragen, das Erbe aus christlichem Ursprung im Schoß anderer Völker gegenwärtig und lebendig zu machen“, das sie aus dem Mutterland mitgebracht haben {Hirtenbrief vom 17. Mai 1987). 4. „Evangelisieren und den Glauben des Volkes Gottes erneuern“: Gern würde ich mir die Zeit nehmen, um mit euch den ganzen Inhalt des Apostolischen Schreibens „Evangelii nuntiandi“ und einige weitere Erklärungen und konkrete Anwendungen zu besprechen, die ich aus den klaren Perspektiven im Dokument meines verehrten Vorgängers Paul VI. entwickelt habe. Ich setze das voraus und möchte mich auf die Feststellung beschränken: Wenn man nicht als Priorität aller Prioritäten für das „Neue“ des österlichen Glaubens des Volkes Gottes Sorge trägt, für dieses Geheimnis der ewigen Jugend der Kirche (vgl. Eph 5,27), liefe man mit anderen Sorgen Gefahr, gleichsam „ein Stück neuen Stoff auf ein altes Kleid zu nähen“ (vgl. Mt 9,16). Der Glaube des Volkes Gottes muß in der Tat ständig genährt werden im Gehorsam gegenüber dem Evangelium und mit dem Fortschreiten, das der Apostel beschrieben hat als ein Fortschreiten in der Sendung, Verkündigung, Annahme und in der gelebten persönlichen Überzeugung (vgl. Rom 10,14-16); der Glaube muß belebt werden durch das „Neue“ Jesu Christi. Mit ihm wurde tatsächlich der „neue Mensch“ geboren, berufen zu einem Leben mit allen Menschen wie in einer einzigen Familie in Heiligkeit und Gnade, die zu Wahrheit und Leben werden in der Errichtung von Gerechtigkeit, Liebe und Frieden. Mit Hilfe solcher „neuen Menschen“ aber muß dann eine neue Gesellschaft entstehen in Solidarität und Brüderlichkeit, in der die Sonne christlicher Liebe leuchtet; eine Gesellschaft, die ständig gereinigt und erneuert wird wie von einer milden Brise dadurch, daß die Seligpreisungen in die Tat umgesetzt werden. 2010 AD-LIMINA-BES UCHE 5. In dieser Sicht möchte ich jetzt auf einige der in den 20 Berichten häufiger genannten Punkte eingehen: An erster Stelle steht hier die Frage der Mittel und der Kräfte, die für die Evangelisierung zur Verfügung stehen, oder das Zentralproblem der Ressourcen, insbesondere Ressourcen an Menschen: Überalterung der Priester, zu wenige Berufungen zum Priester- und Ordensstand sowie begrenzte Möglichkeiten, die Priesteramtskandidaten und den Nachwuchs für den Ordensstand angemessen heranzubilden. Hier besteht anscheinend ein beunruhigendes gefährliches Phänomen, trotz der Fortschritte nach Zahl und Qualität auf, die ihr in diesen Bereichen hinweisen könnt. Ich möchte aber eure Hoffnung stärken und euch zu Aufmerksamkeit und aktivem Handeln auffordem; um die Tendenzen zu beschleunigen, die sich abzuzeichnen beginnen, mache ich folgende Vorschläge: Schätzt unbedingt das Eigene hoch, das trotz allem, wie ihr betont, sehr gut ist. Wenn ihr über gute Priester verfügt, achtet auf die Vorbilder, die ihr der jungen Generation anbietet, indem ihr vor allem Vertrauen schenkt, um Vertrauen zu wecken, damit alle Priester sich überall und immer bemühen, sich als Diener Gottes zu erweisen (vgl. 2 Kor 6,3 f.); die Vorschläge der jüngsten außerordentlichen Bischofssynode für die Ausbildung in den Seminaren und Ordenshäusem (vgl. Schlußdokument II, A, 5) sind gute Leitlinien; verstärkt das Apostolat oder die Förderung geistlicher Berufungen und haltet ständig den Sinn für Mitverantwortung auf menschlicher und christlicher Ebene lebendig; doch vor allem betet viel und haltet dazu an, viel zu beten. Der Heilige Geist kann die gewünschte Erneuerung wecken, doch das ist vom menschlichen Standpunkt aus unvorhersehbar; wir müssen trotzdem gläubig den „Herrn der Ernte“ bitten. In diesem Zusammenhang ist bekannt, welcher Platz den Ordensleuten zukommt: nicht nur auf Grund von Verfügbarkeit, Fachwissen und Engagement — wie es ihnen eigen ist, um die Kirche in verschiedenen Bereichen präsent zu machen; gerade in einer Zeit, die das Gebet so nötig hat und es vielleicht an der Anbetung Gottes fehlen läßt, braucht es Menschen, die sich dem Gebet widmen, die für jene beten, die es nicht können, nicht zu beten verstehen oder auch nicht den Willen dazu haben, wie man auch des Beispiels der Theologie des Kreuzes bedarf. <101> <101> Das Ansteigen der Zahl der Studenten und Lehrer an den höheren Schulen und Universitäten in Portugal stellt eine weitere Wirklichkeit dar, die — an sich erfreulich — von euch als dringendes Anliegen hervorgehoben wird, auf das die Kirche achten sollte, weil es für die christliche Gegenwart und Zukunft und für daß soziale Leben des Landes bedeutsam ist. Es handelt sich um eine große Zahl, die dem Einfluß vielleicht sehr vielfältiger und befremdlicher 2011 AD-LIMINA-BESUCHE Lehren ausgesetzt und von ihnen verunsichert wird, wenn der Unterricht sich als religiös neutral erklärt. Es geht um eine große Masse, in der der Sauerteig wirken muß. Der Sauerteig aber muß aus „neuen Menschen“ bestehen, und hier richtet sich mein Aufruf an die Laien eures Landes — daß sie ständig ihre eigene christliche Identität aufrechthalten und stärken in dem Bewußtsein, daß „es gut (ist), das Herz durch Gnade zu stärken“ (Hebr 13,9; vgl. Eph 4,14), um Zeugnis zu geben von ihrem unerschrockenen Glauben, ihrer transzendenten Hoffnung und der Liebe, die zu einem Leben nach den ethischen Forderungen wird, um Menschen zu sein, die motiviert sind, eine eigene Meinung und vor anderen Achtung haben. Diese Achtung hat freilich nichts mit Gleichgültigkeit zu tun. Vom Gewissen gefordert ist sie ist eine verantwortliche Haltung, die dazu führt, in sich und in den anderen den Menschen anzuerkennen mit all seinen Dimensionen als wunderbare Schöpfung mit „Urheberrechten“: die menschliche Person. Dies begründet die Achtung vor dem Schöpfer und eine Liebe zum Menschen, die über die Kategorie des Quantitativen und Faktischen hinausgeht. 7. Hier möchte ich ein dankbares Wort der Ermunterung, der guten Wünsche und des Appells einfügen an die Katholische Universität in Portugal — eine Initiative eurer Bischofskonferenz — und auch an die Universitätsinstitute, die heute in verschiedenen Städten vorhanden sind. Ihr Ansehen — einmütig anerkannt, wie mehrere Berichte hervorgehoben haben — muß bleiben und immer mehr dem Auftrag der Kirche zur Evangelisierung dienen und dazu beitragen, „daß durch die Kraft des Evangeliums die Urteilskriterien, die bestimmenden Werte, die Schwerpunkte des Interesses, die Denkgewohnheiten, die Quellen der Inspiration und die Lebensmodelle der Menschen, die zum Wort Gottes und zum Heilsplan im Gegensatz stehen, erfaßt und geändert werden.“ (Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, Nr. 19). Ich weiß, daß ihr tut, was euch möglich ist, damit dieses Ansehen erhalten bleibt und im Sinne des Evangeliums wirksam wird. Möge Gott euch helfen und ständig all jene erleuchten, die für diese Sache arbeiten. Doch eurer hochherzigen Sorge als Hirten ist eine breitere Aufmerksamkeit für die ganze Welt der Kultur aufgebürdet, wie allen durch die Neuigkeit Christi vom „neuen Menschen“. Eine schwierige, aber kurz- und langfristig vielversprechende Aufgabe. Das Christentum ist ein sehr wichtiger Teil des kulturellen Erbes Portugals. Ihr habt berichtet, daß sich bei euch zahlreiche Priester dem Unterricht widmen und nicht zuletzt dem Fach „Religion und Moral“. Wir alle wünschen, daß es hervorragende Fachleute sind, die Besten der Besten. Doch sind die Priester vor allem auf Christus und seine Wahrheit festgelegt, und glücklich werden sie nur sein, wenn ihr ganzes Sein und Han- 2012 AD-LIMINA-BES UCHE dein mit ihrer Eigenschaft als Diener Christi übereinstimmt und harmonisiert — in einem „sentire cum ecclesia“ mit der universalen Kirche und mit ihrer Ortskirche, wenn sie beispielhaft „Licht und Salz“ sind, das die anderen in ihnen zu erblicken ein Recht haben, selbst wenn diese sie paradoxerweise locken, ihre Schule des wahren Lebens zu verlassen. Um wahrhaft glücklich zu sein, müssen sie beten, viel beten und die Vereinigung mit Christus pflegen, weil davon die Wirksamkeit der Hingabe ihres Lebens abhängt, auch die Frucht ihres Wirkens (vgl. Joh 15,5): davon hängt das Heil vieler Mitmenschen ab. 8. Brüder und Schwester! Ihr habt mir dann eure Freuden und Sorgen über den Gottesdienst sowie die Frömmigkeitsformen und Traditionen anvertraut, die mit den Festen und Wallfahrten, wie sie für euer Land charakteristisch sind, verbunden werden. Mit tiefer Genugtuung habe ich in den meisten Berichten das Zunehmen der Verehrung der heiligen Eucharistie festgestellt, auch außerhalb der Meßfeier, dank der außerordentlichen Diener des Sakramentes. Die Eucharistie ist, wie wir wissen, mit der Verheißung des Lebens, des ewigen Lebens verbunden, und daher bleibt sie „Zentrum und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“. Aber im übrigen gibt es offene Fragen mit positiven Perspektiven, denen ihr die größte Aufmerksamkeit schenkt, wobei ihr versucht, den guten religiösen Mutterboden eures Volkes zu nutzen und auszuwerten. Ich möchte euch in eurem Eifer, eurem Engagement, und eurer Festigkeit in diesem weiten Feld ermutigen und euch folgende Empfehlungen mitgeben: Mit den Menschen sprechen und sie durch kritisches Urteil hinführen zu einem geläuterten Verständnis für das Heilige und das Gebot der Anbetung Gottes, was oft abhängig ist von dem, was an Kraft verloren- und fehlging; alles Mögliche tun, damit die sonntägliche Eucharistiefeier und Begegnungen wieder aufgenommen werden und ihren Platz einnehmen, und zwar dadurch, daß dies dem Bedürfnis nach Festlichkeit und Beisammensein sowie dem Erlebnis entspricht, daß das Gesetz Christi eine Wirklichkeit ist, zu der gehört, daß „einer des anderen Last trägt“, und man weint „mit den Weinenden“, wenn es nötig ist, aber „sich (auch) freut mit den Fröhlichen“ {Gal 6,2; vgl. Röm 12,15), wir uns also untereinander als Brüder verhalten. <102> <102> Dazu ist es notwendig, in dem Bewußtsein zu leben und zu wachsen, daß wir durch Gnade Kinder Gottes sind (vgl. Eph 5,1), „und (daß) jeder sich selbst prüft“ und gebührend unterscheidet, was der Wille des himmlischen Vaters, was gut und vollkommen ist (vgl. Röm 12,1 f.). Hierhin gehört der 2013 AD-LIMINA-BES UCHE Aufruf zur Versöhnung, die durch das würdig gefeierte Sakrament verbürgt ist, der Aufruf zur Umkehr und zu persönlichem Einsatz. Das Bußsakrament zu feiern zur Befreiung von der Sünde, wird umso zwingender, je mehr die Christen jene Wege einzuschlagen wissen, die von der Muttergottes in Fatima gewiesen worden sind: die Wege des persönlichen, familiären und gemeinschaftlichen Gebetes; die Bekehrung zum Evangelium, indem man sich Gott zu wendet und aus seinem Leben ein Gebet macht, dem Alltag aber das Gebet als Rahmen gibt. In unserer Zeit, in der der Sinn zu beten in Frage gestellt wird — ein guter Nährboden für die Sünde — und viele Menschen eine innere Leere und eine geistige Krise spüren, „muß die Kirche den Sinn für Buße, Gebet, Anbetung, Opfer, Selbsthingabe, Liebe und Gerechtigkeit nach Kräften erhalten und fördern.“ (Schlußdokument der außerordentlichen Bischofssynode 1985, II, A, 4). Zum Schluß ermahne ich euch, geliebte Brüder, mit der ruhigen Sicherheit, die in euren Berichten und den beigefügten Dokumenten zum Ausdruck kommt, der Kirche in Portugal bei ihrem gemeinsamen Zeugnis und auf ihrem Glaubensweg weiterhin Orientierung und Anregung zu geben und sie — wenn nötig — durch geeignete Erklärungen von Zeit zu Zeit zu schützen. Je mehr sich gewisse Tendenzen zeigen, die das Quantitative oder Tatsächliche oder einfach Demagogische dem Geistlichen überzuordnen suchen und sogar auf der Ebene der Gesellschaft oder des Staates fundamentale moralische Werte, die die Personenwürde schützen, in Frage stellen, desto mehr müssen die Christen das Gefühl haben, stark, einig und im Recht zu sein, das als Irrtum und Sünde zu bezeichnen, was es ist, weil es ein Nein zum Schöpfer und seiner Schöpfung ist. Christus ist derselbe gestern, heute und für alle Ewigkeit, und er bleibt der Weg, die Wahrheit und das Leben für das echte Glück des Menschen. <103> <103> Was die übrigen Bereiche eurer Tätigkeit als Hirten angeht, so liegen mir eure Berichte, Hoffnungen und Sorgen am Herzen und nehmen in meinem Gebet den ersten Platz ein, z. B.: — die Familie nach dem Willen Gottes, die traditionellen gesunden Familien Portugals, deren Zahl sich verringert, sowie die Familien wie ihr sie heute habt. Und trotzdem entscheidet sich weiterhin das Geschick des Menschen in der Familie. Diese bleibt die Hoffnung für die Ausgeglichenheit der Menschen und die Harmonie der Gesellschaft; — die Welt der Arbeit, die Arbeitslosen und jener, die unter den Folgen der Ungerechtigkeiten, Mängel, Mißverhältnisse und Heimtücke leiden, die sie aufwühlen, während die Arbeit doch ein Weg der Treue zu Gott und zum Menschen als Bruder sein sollte; 2014 AD-LIMINA-BES U CHE — die Massenmedien mit ihren gewaltigen Möglichkeiten und ihren Problemen, auf die Antworten im Sinne des Evangeliums gefunden werden müssen; — fehlende oder unzureichende kirchliche Strukturen und solche für Laien, die die Christen darauf vorbereiten müßten, sich an der Sozialarbeit zu beteiligen und sich wirksamer und zuverlässiger im Sinne eines Apostolats einzusetzen; und in diesem Zusammenhang auch die erste Erfahrung mit den Ständigen Diakonen; — die Werbung materialistischer, atheistischer oder antikirchlicher Prägung, der man nicht immer widerstehen kann, wenn sie dem Säkularismus oder dem moralischen Permissivismus auf den Wegen des Konsumismus und Hedonismus weiteren Raum schafft bis hin zu Scheinwelten der totalen Entfremdung des Menschen; — die Welt der Jugendlichen, der lieben jungen Portugiesen; es ist mein Wunsch für sie alle, daß sie nicht mit ihrem kulturellen Erbe brechen, daß sie frei sind, ja, aber in der Liebe, die zu unterscheiden und sich für hohe Ideale aufzuopfem weiß, damit sie die besten Bürger ihres Vaterlandes werden und dem Großmut ihrer Herzen freien Lauf lassen, um die ganze Welt zu umarmen, mit all dem, was in ihr schön und edel ist sowie mit Gottes Plan übereinstimmt. 11. Liebe Brüder im Bischofsamt! „Habt Vertrauen, ich habe die Welt besiegt“! Evangelisieren und den Glauben des Volkes gemäß den Forderungen des Konzils und unserer Zeit erneuern, ist eine ungeheuer große Aufgabe. Doch handelt es sich nicht um etwas Zusätzliches oder der freien Entscheidung Überlassenes bei unserer Sendung als Hirten bzw. in der Sendung der Kirche. Viele Faktoren wirken sich auf die christliche Lebenskraft und die apostolische Fruchtbarkeit des Apostolats der Gemeinden aus und können sie schwächen. Das ständige Wirken gegen die Abweichungen wird umso wirksamer und überzeugender sein, je mehr die in der Seelsorge Tätigen und alle Jünger Christi vereint zusammenstehen und die gleiche Sprache sprechen: Sie „waren ein Herz und eine Seele“, fest verwurzelt in der göttlichen Liebe, „damit die Welt glaubt“ (vgl. Joh 17,21). Alle Christen in Portugal sollen sich dies zu eigen machen, jeder nach seinen Verhältnissen. Uns Hirten hat der Herr die Aufgabe anvertraut, die verschiedenen Formen der Mitverantwortung und des Einsatzes deutlich zu machen. Mit dem Empfinden des „Guten Hirten“ und als Zeugen müssen wir über den Zusammenhalt hinaus eine tiefgehende und fruchtbringende Gemeinschaft unter den Gläubigen sicher stellen, unter den verschiedenen Gemeinden, den Diözesen 2015 AD-LIMINA-BES UCHE und Seelsorgebezirken, schließlich unter den lebendigen Kräften des Volkes Gottes mit der universalen Kirche. Im Marianischen Jahr knie ich im Geiste mit euch in Fatima nieder, um die Fürbitte der Mutter des Erlösers anzurufen, die Vorbild und mütterliche Präsenz im Leben der auf ihrem Pilgerweg befindlichen Kirche ist: Möge der Allerhöchste über euch und über eure Diözesen die Gaben seiner Liebe ausgießen, daß ihr in froher Hoffnung täglich mehr ,,im Glauben unterwiesen und erneuert“ auf dem Pilgerweg des Glaubens voranschreitet. Dies erflehe ich mit meinem Segen für die ganze Kirche in Portugal, die durch euch vertreten wird. Verwirklicht das Konzil in eurem Leben gemäß der Communio-Ekklesiologie und dem Geist der Mitverantwortung Ansprache an die Bischöfe von Rwanda anläßlich ihres Ad-limina-Besuches am 27. Mai Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Euer Ad-limina-Besuch ist ein Höhepunkt eurer pastoralen Verantwortung. Ihr habt ihn sorgfältig vorbereitet, und ich danke eurem Vorsitzenden, der sich zum Sprecher eurer Empfindungen, Sorgen und Hoffnungen gemacht hat. Gestützt auf die Botschaft des Glaubens, die uns von Christus über die Apostel zukommt, setzt ihr eure Kraft dafür ein, diesen Glauben weiterzugeben und die Kirche im lieben Volk von Rwanda einzupflanzen. Es war mir leider noch nicht möglich, trotz der wiederholten Einladungen von eurer Seite, euch zu besuchen, doch ich bin glücklich, euch hier empfangen zu können, um eure Bande mit der universalen Kirche in einem Austausch zu festigen, der von sich aus bereichert und euren Eifer anregt. Ich weiß im übrigen um die Treue zur Lehre, die diesen Eifer kennzeichnet, und um die vertrauensvolle Anhänglichkeit, die ihr dem Nachfolger des Petrus zeigt. 2. Liebe Brüder, meint ihr nicht, daß wir vor allem für das, was Gott in Rwanda gewirkt hat, danken müssen? Wir wollen uns deswegen keineswegs selbst rühmen, sind wir doch alle nur armselige Werkzeuge des Herrn Jesus, der uns aus Gnade zu seinem Dienst sowie zum Dienst an unseren Brüdern und Schwestern berufen hat, damit sie das Heil erlangen, zu dem sie von ihm 2016 AD-LIMINA-BES UCHE bestimmt sind. Doch es ist gut, sich wie Maria, die wir in diesem Monat Mai besonders ehren, der Gaben Gottes und der Mühen derer bewußt zu werden, die uns im Glauben vorangegangen sind. Ich möchte auf euch das anwenden, was der Apostel Paulus an die Christen von Rom schrieb, bevor er zu ihnen kam: „Ich danke meinem Gott für euch alle, weil euer Glaube in der ganzen Welt verkündet wird.“ (Rom 1,8). Jeder weiß, wie seit der Gründung der allerersten Mission in Save im Jahre 1900 in eurem Land, das im Herzen Afrikas liegt, das Evangelium begeistert aufgenommen wurde und der Glaube sich rasch verbreitet hat. Die Prozentzahl der katholischen Gläubigen ist eine der höchsten auf dem ganzen afrikanischen Kontinent geworden. Fast alle Bischöfe und dazu über die Hälfte der Priester sind jetzt aus Rwanda. Dabei ist das Verhältnis zwischen ausländischen und einheimischen Missionaren gut und vertrauensvoll geblieben. Priester- und Ordensberufe sind überreich vorhanden, und die Katechisten leisten gute Arbeit in der Verkündigung und in der Unterstützung der Gemeinden. Die Kirche ist gut strukturiert und hat zahlreiche soziale, gesundheitsbezogene und schulische Werke übernommen. Basisgemeinschaften und Gebetsgruppen entfalten sich, das christliche Volk aber ist recht aufgeschlossen, hochherzig und dynamisch. Nachdem der Heilige Geist das Herz zahlreicher Rwandesen für Jesus Christus gewonnen hat, erfüllt er sie weiter mit seinen Gaben: mit Mitleid, mit dem Geist gegenseitiger Annahme, mit Weisheit und Sinn für den Glauben und mit Liebe zum Wort Gottes. Ja, mit all dem könnt ihr im Herzen Afrikas Zeugen des Heiles von Gott sein und ein Volk, das ihn lobpreist. Im übrigen erfreut ihr euch trotz Prüfungen, die ihr durchgemacht habt, seit einiger Zeit des bürgerlichen Friedens und einer wohlwollenden Haltung der Regierung, die der Kirche Verständnis und Vertrauen entgegenbringt und ihr damit günstige Lebensbedingungen schafft für die Ausübung ihrer Sendung. 3. All das, liebe Brüder ist Grund zum Danken und zur Hoffnung. Ihr könnt und müßt euch auf diese Möglichkeit und diese lebendigen Kräfte stützen, um die Aufgaben aufzugreifen, vor denen Kirche und Volk in Rwanda stehen. Trotz des derzeit guten sozialen Klimas und der unleugbaren Blüte der Kirche, seid ihr euch doch sehr wohl der ernsthaften Probleme bewußt, die aufgegriffen und gelöst werden müssen, bevor es zu spät ist, wenn man nicht will, daß die Schwachstellen größer werden und die beschleunigt wachsende Entwicklung, die ihr heute erlebt, zu einer Bedrohung des Wachstums wird. Eure Nation ist in der internationalen Welt wohl angesehen und geachtet. Doch sie ist eine noch junge Nation, die am 1. Juli den 25. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit feiert. Eure wirtschaftliche Mittel sind begrenzt, die Bevölkerung aber nimmt rasch zu auf einem Boden, der eine bescheidene Ausdehnung 2017 AD-LIMINA-BESUCHE hat. Das macht die Entwicklung zu einer schwierigen Aufgabe, und vor allem ist ein Gespür für das Gemeinwohl und eine öffentliche Moral gefordert, für die sich mit gutem Recht der Präsident der Republik einsetzt. Auch die Kirche ist jung. Sie muß sich entwickeln und alle ihre Verantwortlichkeiten übernehmen, um ihr spezifisches Zeugnis in Achtung vor den Personen zu geben. Während sie die Erstverkündigung bei jenen weiterführen muß, die die Frohbotschaft von Christus noch nicht kennen, muß sie zugleich eine Art zweiter Evangelisierung leisten, um den Glauben der Kate-chumenen und der Getauften zu vertiefen, auch mit Hilfe einer weisen Inkulturation, welche die Mentalität und Sitten nach Art des Sauerteigs, des Salzes und des Lichtes prägt, was das Evangelium ja ist. Ferner muß sie sich auch noch weiteren modernen Herausforderungen stellen, wie sie häufig von sogenannten entwickelten Nationen auf wirtschaftlichem und wissenschaftlichem Gebiet herkommen und Versuchungen zum praktischen Materialismus, zur Vergnügungssucht und zu einer verfehlten Säkularisierung mit sich bringen. Das alles darf die Hirten in keiner Weise entmutigen, denn ich habe ja gesagt, daß eure Kirche mit der Gnade des Herrn über die Mittel verfügt, sich dem zu stellen. Doch gilt es wachsam zu bleiben und sich zu fragen, ob die Kirche die ihr beschiedenen günstigen Verhältnisse auch gut ausgenützt hat und ausnützt, um Gefahren zu vermeiden, die ihr Schaden oder berechtigte Kritik einbringen können, um auf Felsen zu bauen. Im Evangelium sagt Jesus uns, daß man sich zunächst hinsetzen und überlegen muß, wie man den Turm am besten baut (vgl. Lk 14,28-30). Für euch bedeutet diese Vorbereitung neben dem immer an erster Stelle wichtigen Gebet eine hellsichtige Analyse der Situation im Dialog mit euren Mitarbeitern, den Priestern und den Laien; es bedeutet die Mobilisierung der lebendigen Kräfte, über die die Kirche verfügt, es bedeutet die Erstellung von umfassenden Pastoralplänen mit genauen Prioritäten; es bedeutet endlich all die mutigen und konkreten Schritte, die daraus folgen. Der Weg ist jener, den das II. Vatikanische Konzil und die außerordentliche Synode von 1985 vorgezeichnet haben. Ihre geistlichen Weisungen oder ihre kanonischen Vorschriften müssen in das Leben der Gemeinschaften nach einer Ekklesiologie der Communio überführt werden, im Geist der Mitverantwortung und im Willen zum Dienen, den diese Versammlungen betont haben. So kann jeder unter eurer Verantwortung als Hirten, Lehrer und Väter sich als lebendigen Stein in das Gebäude einfügen. Unter diesen Bedingungen kann man von einem neuen Aufbruch, von einem neuen Frühling der Kirche in Rwanda sprechen. Was ich allen Kirchen zu Beginn meines Pontifikates gesagt habe, das sage ich auch euch: „Habt keine Furcht.“ 2018 AD-LIMINA-BES UCHE 4. Unsere Sendung als Bischöfe ist im Konzilsdekret Christus Dominus sehr zutreffend beschrieben: „Bei der Erfüllung ihrer Vater- und Hirtenaufgabe seien die Bischöfe in der Mitte der ihrigen wie Diener, gute Hirten, die ihre Schafe kennen und deren Schafe auch sie kennen, wahre Väter, die sich durch den Geist der Liebe und der Sorge für alle auszeichnen und deren von Gott verliehene Autorität sich alle bereitwillig unterwerfen. (...) Bei der Wahrnehmung dieser Hirtensorge mögen sie den Gläubigen ihren Anteil belassen und deren Pflicht und Recht anerkennen, aktiv am Aufbau des mystischen Leibes Christi mitzuwirken.“ (Nr. 16). Liebe Brüder, euer christliches Volk erwartet viel von euch und schaut auf euch mit Vertrauen, Verfügbarkeit und Unternehmungsgeist. Auch wenn die Last des Bischofsamtes schwer wiegt und vieles umfaßt, so ist dieser Gedanke doch ermutigend. Meinerseits bete ich wie der Apostel Petrus zu Christus, dem obersten Hirten, er möge euch helfen, die euch anvertraute Herde zu den Quellen des Lebens zu führen, wobei ihr ihre Führer und Vorbilder seid und ihr ermöglicht, ihre Berufung vollkommen zu erfüllen (vgl. 1 Petr 5,1-4). 5. Jetzt möchte ich einige Bereiche des kirchlichen oder nationalen Lebens ansprechen. Ich bin sicher, daß ihr es nicht daran fehlen laßt, euch selbst zu fragen, wie ihr auf diesen Gebieten in gegenseitiger Abstimmung Vorgehen sollt. Die Kongregation für die Evangelisierung der Völker ist ebenfalls bereit, euer Bemühen zu unterstützen. Ihr habt an eurer Seite relativ zahlreiche einheimische und ausländische Priester, die ihre schwere pastorale Aufgabe hochherzig erfüllen, was die Heranbildung zum Glauben und die Sakramente angeht, zumal sie Pfarreien mit einer sehr großen Zahl von Gläubigen haben. Neben dem Problem der Organisierung der Gemeinden steht das andere, nämlich viele weitere Priesterberufe zu wecken und heranzubilden, die die Kirche absolut braucht. Darauf arbeitet eure Berufungspastoral hin, und sie hat auch Erfolg; daher ermuntere ich euch, sie weiterzuführen. Ein christlich eifriges Volk wie das eure, versteht besser dieses Bedürfnis nach Priestern. Ihr seid allzeit bemüht, euren Priestern große Aufmerksamkeit zu schenken, euren Mitarbeitern, die zugleich eure Söhne und Freunde sind (vgl. Christus Dominus, Nr. 16). Ihr wißt um den Trost, den sie in eurer Liebe und im vertrauensvollen Dialog mit euch finden; sich brauchen auch Ermunterung, gemeinsam sich der geistlichen und lehrmäßigen Hilfen zu bedienen, die ihnen bei Tagungen, Schulungskursen oder auf anderen Wegen der ständigen Weiterbildung geboten werden. Das, was ihr für sie in den „Statuten für den Diö-zesanklerus“ vorgesehen habt, kann eine gute Anregung bieten. Das Gleiche gilt von der Wahrnehmung ihrer Mitverantwortung im Rahmen der Priester- 2019 AD-LIMINA-BES UCHE räte, wie sie vom Codex vorgesehen sind. Das wird euch und ihnen zugutekommen. Ihr müßt auch Nachfolgekräfte für bestimmte pastorale und Verwaltungsaufgaben vorbereiten, die bisher die Missionare hochherzig erfüllt haben. 6. Ein wichtige Aufgabe ist die Heranbildung der künftigen Priester. Die Schwierigkeiten, die sich mit der Haltung gewisser Seminaristen ergeben haben, sind zu einer schweren Sorge geworden, und ihr versucht, sie im Dialog zu lösen, indem ihr dem Oberen und den Erziehern größere Verantwortung übertragt. Ihr wacht darüber, daß die intellektuelle und geistliche Ausbildung gründlich bleibt und sucht ein besseres Verständnis für die notwendige Verfügbarkeit und Selbstlosigkeit aufzubauen, wie sie der kirchliche Dienst für jene mit sich bringt, die ihm ihr Leben, ihre Kräfte und ihr Herz weihen wollen. Die Aufgabe liegt also vor allem bei euch, wie natürlich auch bei den Erziehern und zwar gleicherweise im propädeutischen Bildungsgang, in der Philosophie und in der Theologie, die ja notwendig zusammengehören. Die Kleinen Seminare sind ebenfalls von großer Bedeutung und ihr müßt die naheliegenden Entscheidungen treffen, damit sie auf diözesaner oder interdi-özesaner Ebene wirklich ihre Aufgabe erfüllen, die Priesteramtskanditaten in den Glauben, das Gebetsleben und das Apostolat einzuführen. 7. Ihr habt das Glück, auf das Gebet, das Apostolat und Erziehungswesen zahlreicher Ordensgemeinschaften zählen zu können, deren Mitglieder Missionare aus anderen Ländern waren oder sind. Es sind aber auch Rwandesen da, die sogar ihre eigenen Ordensinstitute gegründet haben und ihrerseits zu Missionaren werden. Die Verantwortung, die sie auf verschiedenen Gebieten der diözesanen Pasto-ral haben, macht sie zu wertvollen Mitarbeitern, deren Dienst große Hochachtung verdient, aber auch Information, Befragung und Mitverantwortung bei den Entscheidungen. Sie müssen sich ihrerseits um Integration in das Leben der Einzelkirchen bemühen, wobei freilich ihr eigenes Charisma zu achten ist. <104> <104> Die Kirche in Rwanda ist sich gewiß der Rolle bewußt, die die christlichen Laien in den kirchlichen Gemeinschaften und in der Gesellschaft spielen müssen. Die nächste römische Bischofssynode wird dieses Bewußtsein noch lebendiger machen. Schon die Katechisten haben bei der Evangelisierung eine sehr wichtige Rolle gespielt. Doch es gilt, auf allen Gebieten eine verantwortliche Laienschaft heranzubilden, die viele apostolische Aufgaben übernehmen kann. Ich denke an die Aufgaben auf dem Lande, aber auch an die 2020 AD-LIMINA-BES UCHE Aufgaben im Bereich der Kultur und der Universität, wo die intellektuelle Elite von morgen herangebildet wird. Die Kapläne aber sollen den Bewegungen und zumal denen der Katholischen Aktion helfen, ihr Wirken noch weiter auszudehnen, freilich immer unter Wahrung der apostolischen Zielsetzung. 9. Die Familie muß vor allem bei der Entfaltung ihrer Werte Schutz und Hilfe erhalten. Ich weiß um euer Bemühen auf diesem Gebiet. Es muß eine vollständige Katechese für die Familie in den verschiedenen Lebensabschnitten sichergestellt werden, besonders zur Vorbereitung auf die Ehe, so daß sie in der Lehre, in der Moral und Spiritualität wohlbewandert ist. Regt die gegenseitige Hilfe der jungen Ehepaare an. Die Frau hat in der Familie und in der Gesellschaft eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Man darf auch nicht die wirtschaftlichen und sozialen Ursachen übersehen, die zu zahlreichen irregulären Eheschließungen geführt haben, auch nicht die inneren Migrationen und das Fehlen der Mitgift. Die Bevölkerungszunahme legt ihrerseits ein Bemühen um die Geburtenregelung nahe, die aber in Achtung vor den ehelichen Beziehungen, der Liebe und dem Leben erfolgen muß. die Kirche hat hier das ihre durch Schaffung des Sekretariates für die Familie geleistet; sie ist aber vor allem bemüht, das Gewissen zu bilden. Ich wünsche, daß die Familienpastoral, die ihr durchführt, im konkreten Leben eurer Mitbürger reiche Frucht bringt. 10. Die Jugend bildet eine weitere Priorität und findet in der Gesamtpastoral ihren Platz. Es gibt bei euch sehr viele Jugendliche, die nach Bildungsmöglichkeiten und vor allem nach Arbeit Ausschau halten. Diese Situation bringt die Gefahr mit sich, daß sie sich verhärten oder mutlos werden. Es steht Entscheidendes auf dem Spiel, daher müssen alle Energien aufgeboten werden, um Lösungen zu finden. Die Kirche besitzt erhebliche Bildungsmöglichkeiten, wie die kürzlich von der Regierung und einem Vertreter des Episkopats, dem Verantwortlichen für die zuständige Kommission Unterzeichnete „Schulkonvention“ bestätigt. Ich freue micht mit euch darüber. Wichtig bleibt vor allem, daß die Schüler der katholischen Schulen, aber auch die anderen, eine solide geistige und moralische Ausbildung erhalten. 11. Die Kirche kann gegenüber der sozialen Lage des Landes nicht gleichgültig bleiben. Es ist ihre Pflicht, weiter ihre geschätzte und notwendige Mitarbeit anzubieten. Die direkte Verantwortung für das Gemeinwohl der Nation liegt bei der politischen Gemeinschaft. Diese und die Kirche sind jeweils auf ihrem Gebiet un- 2021 AD-LIMINA-BESUCHE abhängig und autonom. Die Kirche möchte diese Unabhängigkeit gesichert wissen, um ihre geistliche Sendung durchzuführen und Zeichen und Hüterin des transzendenten Charakters der menschlichen Person zu bleiben (vgl. Gaudium et spes, Nr. 76). Doch stehen die Kirche und die politische Gemeinschaft, wenn auch unter verschiedenen Rücksichten, beide im Dienst der personalen und sozialen Berufung der gleichen Menschen. Es ist daher normal, daß sie eine gesunde Zusammenarbeit in gegenseitigem Verständnis und Respekt vor der Aufgabe des anderen anstreben. Angesichts der schweren Probleme der Armut und der Entwicklung, vor denen die Nation steht, wird die Kirche in Rwanda weiter ihr wertvolles Wirken auf dem Gebiet der Hilfstätigkeit, der Gesundheit und der Erziehung fortsetzen. Sie fühlt sich weiter aufgerufen, konkrete Initiativen zur Förderung des Menschen zu ergreifen. Doch angesichts der bleibenden sozialen Unterschiede, angesichts des Elends der Armen und gewisser Fälle von Korruption oder anderer Mißbräuche, die die staatliche Autorität selbst angeprangert hat, muß das moralische Gewissen der Bürger und zumal jener in verantwortlicher Stellung dringend gebildet werden. Dafür erwartet man von der Kirche das Beispiel eines selbstlosen Dienstes und ein Teilen mit den Armen. Man erwartet von ihr ein prophetisches Wort, das aufzeigt, wo die Übel, unter denen die Gesellschaft leidet, liegen, dazu ein Wirken, das eine bevorzugte Liebe für die Armen sichtbar macht. In diesem Sinn ist die Zukunft der Nation von Rwanda gesichert, weil sie trotz ihrer Grenzen über genügend moralische Kräfte verfügt, um heilsame Reformen durchzuführen und in dieser Region Afrikas sowie auch auf der internationalen Bühne ein Vorbild guten Zusammenlebens zu sein. Ich spreche der Kirche, deren Hirten ihr seid, und dem ganzen Volk von Rwanda, das uns teuer ist, meine besten Wünsche aus. Mit euch bitte ich den Herrn für alle diese Angelegenheiten. Er möge euch jeden Tag Licht und Kraft schenken, als Hirten das große Werk mitzutragen, das wir uns eben vor Augen geführt haben. Wir bitten gemeinsam mit der allerseligsten Jungfrau Maria. Ihre in eurem Volk solide verwurzelte Verehrung ist in den letzten Jahren noch gewachsen und hat für das Leben der Ortskirche überreiche Frucht gebracht. Wir bitten sie besonders in dieser Vorbereitungsnovene auf das Pfingsfest, damit der Heilige Geist in allen Herzen den Glauben, die Liebe und die Hoffnung erneuert und der Kirche neuen Lebensodem schenkt. Aus ganzem Herzen erteile ich einem jeden von euch, denen, die mit euch Zusammenarbeiten und euren Diözesen meinen Apostolischen Segen. 2022 AD-LIMINA-BES UCHE Die christlichen Werte fördern Ansprache an die Bischöfe Schottlands anläßlich ihres Ad-limina-Besuches am 4. Juni Liebe Brüder in Christus! 1. „Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und mit allem Frieden im Glauben, damit ihr reich werdet an Hoffnung in der Kraft des Heiligen Geistes“ (Rom 15,13). Diese Worte des hl. Paulus bringen meine Gefühle und Gebete für euch anläßlich eures Ad-limina-Besuches zum Ausdruck. Sie entsprechen auch dem Geist dieses Augenblicks. Während dieser Tage, die dem Pfingstfest vorangehen, sind wir eingeladen, in unserem persönlichen Leben und in der Liturgie die Erfahrung der Kirche mitzuerleben, die erwartungsvoll auf das Kommen des Heiligen Geistes und seiner himmlischen Macht harrt. Gleichzeitig handelt es sich hier um ein Harren, von dem wir wissen, daß es im Lauf der Geschichte stets seine Erfüllung gefunden hat, weil „der Geist Gottes, dessen wunderbare Vorsehung den Lauf der Zeiten leitet und das Antlitz der Erde erneuert, ... dieser Entwicklung zur Seite (steht)“ (Gaudium et spes, Nr. 26). Die Kirche erwartet in jedem Zeitalter eine Erneuerung, so daß sie ihr weltumspannendes Zeugnis für die Wahrheit bis ans Ende der Zeiten leisten kann. Ich freue mich heute mit euch ebenso wie anläßlich meines Pastoralbesuches in Schottland vor fünf Jahren über die Gaben des Heiligen Geistes, die in euren Ortskirchen wirksam sind. Damals brachte ich meine Bewunderung und Zufriedenheit über das intensive Programm zum Ausdruck, das die schottischen Bischöfe für die spirituelle Erneuerung der katholischen Gemeinde vorgeschlagen hatten, um die dauernden Früchte meines Besuches zu gewährleisten (.Messe im Bellahouston Park, Glasgow, 1. Juni 1982). Mit euch danke ich dafür, daß durch die Macht des Heiligen Geistes diese Hoffnungen nicht enttäuscht wurden. Die Kirche in Schottland hat sich die Aufforderung des II. Vatikanischen Konzils zu Herzen genommen, nach „Läuterung und Erneuerung (zu streben), damit das Zeichen Christi auf dem Antlitz der Kirche klarer erstrahle“ (Lumen gentium, Nr. 15; vgl. auch Gaudium et spes, Nr. 43). Der Heilige Geist verteilt die Charismen zum Wohl der Kirche 2. Grundlegend für die Läuterung und Erneuerung ist das tägliche sakramentale Leben der Kirche, insbesondere die heilige Eucharistie. Aus ihrer Teilnahme an diesen Geheimnissen und aus dem persönlichen und dem gemein- 2023 AD-LIMINA-BES UCHE schaftlichen Gebet gewinnen die Gläubigen eurer Diözesen die Kraft, derer sie für ihre Teilnahme an der Mission der Kirche bedürfen. Gleichzeitig heiligt, wie uns die dogmatische Konstitution Lumen gentium in Erinnerung ruft, „derselbe Heilige Geist ... nicht nur das Gottesvolk durch die Sakramente und Dienstleistungen, er führt es nicht nur und bereichert es mit Tugenden, sondern .teilt den einzelnen nach Belieben1 (vgl. 1 Kor 12,11) seine Gaben mit und verteilt unter den Gläubigen jeden Standes auch besondere Gnaden. Dadurch macht er sie geeignet und bereit, für die Erneuerung und den gedeihlichen Ausbau der Kirche verschiedene Werke und Dienste zu übernehmen, gemäß dem Wort: Jedem wird der Erweis des Geistes zum Nutzen gegeben1 (1 Kor 12,7) (Nr. 12). Ich weiß, daß man in euren Diözesen den Gaben große Aufmerksamkeit schenkt, die der Heilige Geist allen zur Erneuerung der Kirche mitteilt. Man bezweckt damit eine größere Teilnahme aller Gläubigen am Leben und an der Mission der Kirche, zu ihrer eigenen Heiligung und für die Heiligung der Welt. Es gebührt euch als Hirten ein Lob dafür, daß ihr die Laien zum Einsatz und alle Gläubigen zur geistlichen Erneuerung ermutigt. Diese haben jetzt ein Niveau erreicht, das zur Fortentwicklung anspornt, damit die Menschen weiterhin im Verständnis und in der Praxis des Glaubens und im Wissen um die Zugehörigkeit zur Kirche wachsen. Wie euch bekannt, wird auch die bevorstehende Bischofssynode einen Beitrag zu diesem Prozeß der Reflexion und der Wertung im Licht der Entwicklungen seit dem II. Vatikanischen Konzil leisten. Das Konzilsdekret Apostolicam actuositatem insbesondere ermahnt die Hirten unter uns, zu bedenken, „daß das Recht und die Pflicht zur Ausübung des Apostolates allen Gläubigen ... gemeinsam ist und daß auch die Laien in der Auferbauung der Kirche eine ihnen eigentümliche Rolle innehaben. Darum mögen (die Hirten) brüderlich mit den Laien in der Kirche und für die Kirche arbeiten“ (Nr. 25). 3. Dabei soll j edoch die erneuerte Teilnahme der Laien selbstverständlich auf keine Weise der Bedeutung des geweihten Priestertums Abbruch tun. Wie ich im Lauf meines Pastoralbesuches den Priestern Schottlands in Erinnerung gerufen habe, sind sie durch ihre Teilnahme an einem Priestertum Christi, des Hohenpriesters, „für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott, um Gaben und Opfer für die Sünden darzubringen“ (Hebr 5,1). In den Priestern erkennen wir „den guten Hirten, den treuen Diener, den Sämann, der ausgeht, um guten Samen zu säen, den Arbeiter im Weinberg, den Fischer, der sein Netz zum Fang auswirft {Ansprache an den Klerus und die Ordensleute, Edinburgh, 31. Mai 1982). 2024 AD-LIMINA-BESUCHE Ich weiß, daß ihr gemeinsam mit eurem Klerus und eurem Volk heute um die Priester- und Ordensberufe besorgt seid. Die Ernennung von Beauftragten für die Berufungen auf nationaler und örtlicher Ebene ist ein wichtiger Schritt zur Bereitstellung jener menschlichen Hilfen, die wesentlich sind, wenn mehr junge Menschen dazu ermutigt werden sollen, die Möglichkeit eines Rufes Gottes zum Priestertum oder zum Ordensleben ins Auge zu fassen. 4. Die große Mehrheit der schottischen Katholiken macht vor allem in der Ortspfarrei die Erfahrung eines erneuerten Wissens um die Zugehörigkeit zur Kirche und die Anteilnahme an ihrem Leben. Doch wird auch die größere kirchliche Gemeinschaft sehr geschätzt, die die Gläubigen mit ihren Diözesen, mit den anderen Ortskirchen und insbesondere mit der Kirche in Rom verbindet. In diesem Zusammenhang muß die Großzügigkeit der Gläubigen erwähnt werden, mit der sie den materiellen Nöten ihrer Brüder und Schwestern in anderen Ländern zu Hilfe kommen und Aktivitäten unterstützen, die praktisch Zeugnis geben für den Glauben der Kirche und ihre religiöse Sendung fördern. Der Schottische Katholische Internationale Hilfsfonds (SCIAF) ist ein hervorragendes Beispiel für diese Großzügigkeit, insbesondere den Völkern Afrikas und Lateinamerikas gegenüber. Ebenso wichtig ist die Bereitschaft jener Diözesen, die imstande sind, Priester und Laienmissionare in Schwesterkirchen der Entwicklungsländer zu entsenden. Das Wissen um die Zusammengehörigkeit wird auch durch euren nachahmenswerten Sinn für Kollegialität, enge Zusammenarbeit und bischöfliche Brüderlichkeit in Einheit mit Petrus gestärkt. i 5. Christliche Liebe — der eigentliche Maßstab jeder authentischen Erneuerung — wird auch in der näheren Umgebung geübt. Wer in Not oder in Schwierigkeiten, arm oder allein ist, hat besonderen Anspruch auf diese Liebe. Wie jede moderne Gesellschaft macht Schottland die Erfahrung sozialer und wirtschaftlicher Umwälzungen, die viele solche Menschen berühren und denen ihr in wachsendem Maß eure pastorale Aufmerksamkeit geschenkt habt. Ich denke da besonders an eure Sorge um die Arbeitslosen Und an die Unterstützung, die ihr der Rehabilitation der Rauschgiftsüchtigen angedeihen laßt. Diese beiden Probleme, die auf verschiedene Weise sowohl das Gemeinwohl als auch die Würde der menschlichen Person bedrohen, verdienen die ständige Aufmerksamkeit der Kirche. Zu diesen besonderen Sorgen kommen noch die um die Kranken, die Armen und die in besonderer Weise Bedürftigen hinzu, wie etwa die alten Menschen, die von den zahlreichen katholischen Einrichtungen eures Landes unterstützt werden. Wir können auf das leuchtende Beispiel der hl. Margarete von Schottland blicken, das uns bestätigt, daß 2025 AD-LIMINA-BES UCHE alles, was wir für die Geringsten unserer Brüder und Schwestern tun, für Christus selbst getan ist (vgl. Mt 25,31-46). Christlich leben in moderner Welt erfordert solide Basis Die Herausforderungen des modernen Lebens bringen auch große Spannungen für die Familie und insbesondere für die jungen Menschen mit sich. Ich hoffe, daß eure gemeinsamen Bemühungen, die auf stärkeren Rückhalt für die Ehen und das familiäre Leben ausgerichtet sind, für die Kirche in Schottland reiche Früchte tragen werden und daß eure Führung und Ermutigung den Jugendlichen helfen wird, ein dem Evangelium gemäßes christliches Leben zu führen. Wie mir berichtet wurde, bietet die Pfadfinderbewegung eine Möglichkeit, den Jugendlichen eine gesunde Lebensorientierung zu vermitteln. Möge Gott alle Bemühungen segnen, die auf die Förderung der christlichen Werte unter der Jugend abzielen. 6. Während meines Pastoralbesuches im Jahr 1982 kam ich auf das Schottische Erziehungsdekret von 1918 zu sprechen, mit dem die katholischen Schulen in das staatliche System eingegliedert, jedoch der Religionsunterricht und die Ernennung der Lehrer gewährleistet wurden (vgl. Ansprache im Saint An-drew’s College, Bearsden, 1. Juni 1982). Diese Vereinbarung wird der religiösen Unterschiedlichkeit eures Landes gerecht und ermöglicht euren Kindern und Jugendlichen eine katholische Erziehung. Die Anwesenheit katholischer Priester in den höheren Schulen und die sorgsame Vorbereitung der zukünftigen Religionslehrer sind ebenfalls für den Erfolg der erzieherischen Mission der Kirche von Bedeutung. Auch ist es sehr angemessen, daß die von den Schotten stets hoch eingeschätzte Erziehung sich auf der Grundlage ökumenischer Zusammenarbeit und gegenseitigen Respekts vollzieht. All das ist in einer Zeit besonders wichtig, in der neue wirtschaftliche und demographische Gegebenheiten auf erzieherischem Gebiet berücksichtigt werden müssen. 7. Schließlich freue ich mich mit euch über den Fortschritt, den die ökumenischen Beziehungen seit meinem Besuch gemacht haben. Damals habe ich vor den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften den Wunsch geäußert, daß ihr inmitten der religiösen Verschiedenheiten eures Landes eure irdische Pilgerfahrt gemeinsam, Hand in Hand machen möget (vgl. Messe im Bellahouston Park, Glasgow, 1. Juni 1982). Es freut mich, die zahlreichen fruchtbaren Kontakte und die gemeinsamen Bemühungen zur Kenntnis nehmen zu können, die seit damals zu verzeichnen sind. Sie schließen die „Saint An-drew’s Konferenz“ zum Thema „Nicht Fremde, sondern Pilger“ ein, die sich 2026 AD-LIMINA-BES UCHE mit Fragen zur Natur der Kirche befaßte; die ökumenische Pilgerfahrt nach Iona, einem eng mit dem ersten, keltischen Ursprung der Kirche in Schottland verbundenen Ort, der gleichzeitig, ebenso wie Whithorn, eine Wiege der Kirche in Schottland ist; schließlich den ökumenischen Charakter sowohl der 850-Jahr-Feier der Abtei Melrose als auch die jährliche marianische Wallfahrt nach Haddington. Diese Bemühungen sind ein Teil sowohl der gemeinschaftlichen als auch der persönlichen Erneuerung. Das Konzilsdekret Unitatis redintegratio erinnert uns daran, daß dieser „Erneuerung ... eine besondere ökumenische Bedeutung (zukommt und daß) ... „die verschiedenen Lebensäußerungen der Kirche ... als Unterpfand und als gute Vorbedeutung für den künftigen Fortschritt des Ökumenismus“ zu betrachten sind (Nr. 6). Ebenso „gibt (es) keinen echten Ökumenismus ohne innere Bekehrung“ (Nr. 7). Wir müssen stets bedenken, daß „diese Bekehrung des Herzens und die Heiligkeit des Lebens ... in Verbindung mit dem privaten und öffentlichen Gebet für die Einheit der Christen als Seele der ganzen ökumenischen Bewegung anzusehen“ sind (Nr. 8). 8. Liebe Brüder, in diesem Jahr ist zur Feier des Pfingstfestes eine weitere Dimension hinzugekommen: die Eröffnung des Marianischen Jahres. Dieses erinnert an die geistliche Mutterschaft Mariens, die, wie ich in meiner Enzyklika Redemptoris Mater geschrieben habe, „eine Mutterschaft in der Gnadenordnung (ist), weil sie die Gabe des Heiligen Geistes erfleht, der die neuen, durch das Opfer Christi erlösten Kinder Gottes zum Leben erweckt: jener Geist, den zusammen mit der Kirche auch Maria am Pfingsttag empfangen hat“ (Nr. 44). Ich vertraue euch, eure Priester, Ordensleute und Laien der Mutter des Erlösers an, die auch unsere Mutter ist. Möge sie ein Vorbild des christlichen Glaubens und der Heiligkeit und ein sicheres Zeichen der Hoffnung und des Trostes auf dieser irdischen Pilgerfahrt sein, nicht nur für euch, sondern „für alle diejenigen ..., die in brüderlichem Dialog ihren Glaubensgehorsam vertiefen möchten“ (ebd., Nr. 33). In der Liebe unseres Herrn Jesus Christus rufe ich ihre mütterliche Fürsprache an und erteile euch und allen Priestern, Ordensleuten und Laien Schottlands meinen Apostolischen Segen. 2027 AD-LIMINA-BES XJCHE Netze immer wieder auswerfen Ansprache an die Schweizer Bischofskonferenz beim Ad-limina-Besuch am 6. März Lieber Herr Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, liebe Mitarbeiter im Bischofsamt! 1. Ich freue mich, Sie hier wiederzusehen. Und ich danke Ihnen für die Verfügbarkeit, die sie anläßlich dieses Ad-limina-Besuches erneut gezeigt haben. Ich habe den Eindruck, daß es erst gestern war, daß mir die Gläubigen der Diözesen Ihres Landes und alle Schweizer einen herzlichen Empfang bereitet haben. Nach drei Jahren möchte ich Ihnen erneut meinen aufrichtigen Dank sagen. Sie haben alles unternommen, damit der Sinn meiner Pastoraireise richtig verstanden werde und damit meine verschiedenen Begegnungen mit den Gläubigen der Kirche in der Schweiz, mit den Vertretern der anderen christlichen Kirchen und mit den Behörden in herzlicher Atmosphäre ablaufen konnten. Zürich, Lugano, Genf, Fribourg, Lohn und Kehrsatz bei Bern, Sächseln — wo die Gebeine des hl. Niklaus von Flüe ruhen — Einsiedeln, Luzern, Sitten: an alle diese Besuchsorte erinnere ich mich gerne zurück. Gewiß, diese Pastoraireise allein konnte nicht die Lösung aller lehramtlichen und seelsorglichen Probleme bringen, welche u. a. durch die kulturellen Veränderungen hervorgeruferi werden, die Ihr Land wie auch andere Länder und Kontinente kennen. In allen Dingen und überall braucht es Zeit. Dennoch danke ich Gott: Meine Ermutigungen an die verschiedenen Gruppen wollten ihre ständigen Anstrengungen als Diener des Volkes Gottes unterstützen — sie sind nicht ohne Echo geblieben. Ihre Gläubigen haben sie als lebendige Katechese aufgenommen und dadurch ihre Verbundenheit mit der Kirche erneuert. Ich beglückwünsche Sie, daß Sie dieses Ereignis dauerhaft werden lassen wollten, wie es Ihr Präsident im Vorwort zum Erinnerungsbuch dieser Pasto-ralreise so schön festgehalten hat. Wenn Ihre Diözesanen auf dem Weg zu einer immer besseren Verwirklichung des Anspruches Christi, des einzigen wahren Hirten, noch fortschreiten müssen: Lassen Sie sich nicht entmutigen. Erinnern wir uns vielmehr des Gleichnisses vom reichen Fischfang: immer wieder sollen wir neu die Netze auswerfen. Einheit in Vielfalt 2. Darum wünsche ich sehr, daß Sie von diesem alle fünf Jahre stattfindenden Besuch an den Gräbern der Apostel mit neuem Mut und mit neuer Zuversicht 2028 AD-LIMINA-BES UCHE an Ihre Hirtenaufgabe zurückkehren. Ihre Priester und Gläubigen wissen, daß dieser verlängerte Besuch dem Verantwortlichen des Bischofskollegiums und seinen engsten Mitarbeitern gilt. Bei Ihrer Rückkehr und bei anderen Gelegenheiten werden Sie Ihre Sorge darauf wenden, Ihren Gläubigen aller Altersstufen zu helfen, im Verständnis des Geheimnisses der Einheit, welches die Kirche ist, fortzuschreiten. Nach dem Hinweis darauf, daß „der Bischof von Rom als Nachfolger Petri das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen“ ist, heißt es in der Konzilskonstitution Lumen gentium wörtlich: „Die Einzelbischöfe hinwiederum sind sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit in ihren Teilkirchen, die nach dem Bild der Gesamtkirche gestaltet sind“ (Nr. 23). Und weiter: „Sie sind nicht als Stellvertreter der Bischöfe von Rom zu verstehen. Denn sie haben eine ihnen eigene Gewalt inne und heißen in voller Wahrheit Vorsteher des Volkes, das sie leiten. Folglich wird ihre Gewalt von der obersten und allgemeinen Gewalt nicht ausgeschaltet, sondern im Gegenteil bestätigt, gestärkt und in Schutz genommen“ (Nr. 27). Die Begegnung anläßlich des Ad-limina-Besuches ist vor allem eine Begegnung im Glauben: Sie ist in dem Sinne mystischer Natur, als sie bis in das Innerste des Geheimnisses der Kirche vordringt. Die Bischöfe prüfen zwar auch ihr pastorales Wirken; sie überprüfen jedoch im besonderen die Einheit, welche ihrer Sendung zugrundeliegt. Auch der hl. Paulus ging zusammen mit Barnabas und Titus nach Jerusalem, um Petms und Jakobus zu begegnen. „Ich legte ihnen das Evangelium vor, das ich unter den Heiden verkündige; ich wollte sicher sein, daß ich nicht vergeblich laufe oder gelaufen bin“ (Ga/2,2). Der Bischof ist Stellvertreter des Hohe-priesters Christi, Nachfolger der Apostel; er ist aber nicht „Eigentümer“ der Diözese, die ihm anvertraut ist. Es ist durchaus normal, daß er über seine Sendung Rechenschaft ablegt und seine Arbeit am Maßstab der ganzen Kirche mißt. 3. Ihre Diözesanen haben mir bei meinem Besuch die besonderen Probleme der Schweiz dargelegt. Es ist sicher, daß die Teilkirchen von den Besonderheiten ihrer Geschichte und ihrer Kultur geprägt sind; man muß dem Rechnung tragen. Doch kann eine Teilkirche, sei es in der Schweiz oder anderswo, nicht Garant der Einheit sein oder selber Einheit schaffen, wenn sie nicht enge bürderliche Kontakte mit den anderen Teilkirchen, auf besondere Weise aber mit der Kirche in Rom, dem Sitz des Petrus und seiner Nachfolger, unterhält. Von der Notwendigkeit dieser Einheit, die für ihr Wesen als Kirche notwendig ist, zeugen die Briefe des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth und die Sammlungen zugunsten der Notleidenden anderer Gemeinden (vgl. 2 Kor 8,1-15), aber auch dieBriefe des Klemens von Rom, des Ignatius von Antiochien, des Polykarp von Smyrna oder des Irenäus von Lyon. 2029 AD-LIMINA-BES UCHE Es fällt ihnen auch zu, den Primat des Petrus in vollem Lichte und in seiner ganzen Dimension darzulegen, vor allem, weil sein echter Sinn auch von den Katholiken nicht immer ganz verstanden wird. Er ist ein Dienst, den die Kirche notwendig braucht, ein unverzichtbarer Fixpunkt, der Eckstein der kirchlichen „communio“. Das Zweite Vatikanische Konzil hat sehr gut dargelegt, wie der Primat und die Kollegialität der Bischöfe zur Verwirklichung der Einheit und der Katholizität der Kirche Zusammenwirken. Um zu diesem harmonischen Wachstum des Gottesvolkes beizutragen und um eine möglichst nahe Gegenwart des Verantwortlichen bei seinen Gläubigen zu ermöglichen, wurden zwei neue Weihbischöfe ernannt: Martin Gächter bei Bischof Otto Wüst und Amadeus Grab an der Seite von Bischof Pierre Mamie. Ich begrüße sie sehr herzlich. Sie werden in Kürze Mitglieder des Bischofskollegiums werden, und ich danke ihnen, daß sie dieses schwere und für das Leben der Kirche notwendige Amt übernommen haben. Ich wünsche ihnen, daß ihr Bischofsdienst fruchtbar werde. 4. Seit unseren Begegnungen von 1984 und 1985 weiß ich, daß die Abnahme der Zahl der Priester Ihre Hauptsorge geblieben ist. Darum drängt es mich — bevor ich Ihnen von der Förderung des christlichen Laientums spreche — Sie zu ermutigen, eng mit Ihren Priestern verbunden zu bleiben. Sicher, Ihre General- und Bischofsvikare leisten Ihnen dabei wertvolle Hilfe. Ihr Dienst jedoch, auch wenn er sehr gut erfüllt wird, kann den Bischof nicht dispensieren, immer wieder mit seinen Priestern zusammenzukommen. In diesen Begegnungen, im Dekanat oder in der Region, ereignet sich allmählich der gedankliche und seelsorgliche Austausch zwischen dem Bischof und seinen Mitarbeitern. Das Klima der Einfachheit, der Freundschaft, des Gebetes sowie die Achtung vor dem Dienst des Bischofs erlauben es, gewisse schwierige Probleme, welche lebenswichtige Punkte der Lehre und der Seelsorge berühren, zu behandeln. Ich will hier nicht mehr im einzelnen die vielen Bereiche anführen, in denen Sie Ihren Seelsorgedienst leisten: die Erneuerung und Vertiefung des Glaubens, die Bildung der Gewissen in einem Umfeld der religiösen Gleichgültigkeit, welche sie selber erwähnen, die Erziehung zur Liebe, die Vorbereitung auf die Ehe und die Familienseelsorge, der Fortschritt in den ökumenischen Bemühungen, welche Ihnen zu Recht sehr am Herzen liegen. Ich möchte hier nur zwei besondere Punkte erwähnen: die eucharistische Gastfreundschaft und die Versöhnung. Sie haben letzten Herbst eine klare und ausgewogene Erklärung über die Bedingungen der Zulassung anderer Christen zur Eucharistie veröffentlicht. Diese Frage hängt nicht allein ab von der Disziplin der Kirche. Diese Disziplin ist nichts anderes als der Ausdruck eines wichtigen Teiles unseres Glau- 2030 AD-LIMINA-BES XJCHE bens: Die Eucharistie steht in der Mitte des Lebens der Kirche; ihre Feier darf nicht vom vollen Bekenntnis des Glaubens der Kirche getrennt werden. Die Teilnahme an der Eucharistie ist — durch eben diese Teilnahme — eine Bestätigung der Einheit im Glauben der Kirche. Diese kirchliche Dimension der Eucharistie bewirkt, daß — für uns — der Empfang der Eucharistie normalerweise Zeichen der kirchlichen Einheit ist. Dieses Zeichen eben da zu setzen, wo diese Einheit nicht vorhanden ist, namentlich da, wo eines der Wesenselemente fehlt — und ein solches ist die Einheit im Bekenntnis des Glaubens — heißt ein trügerisches Zeichen setzen. Auf diese Weise können wir nicht auf dem Weg zur Einheit fortschreiten. Ist das übrigens nicht das, was wir zusammen mit unseren protestantischen Brüdern bei unserem Gespräch in Kehrsatz gesagt haben? Der Fortschritt auf die Einheit hin muß allen Aspekten und allen Ansprüchen der evangelischen Wahrheit Rechnung tragen. Es ist ein steiler und oft steiniger Weg; aber nur er führt zum Licht und zur Freude der wiedergefundenen Einheit. Eucharistie und Versöhnung In vielen Teilkirchen wurden ernsthafte Anstrengungen unternommen, damit das Sakrament der Versöhnung in den beiden hergebrachten Formen, welche das persönliche Bekenntnis miteinschließen, gefeiert wird (vgl. Reconciliatio etpaenitentia, Nr. 32, can. 960-964). Ich glaube, daß Ihre Diözesen die Seelsorge der sakramentalen Versöhnung in diesem Sinne noch verbessern können, indem Sie vor allem die österliche Bußzeit bevorzugen und indem Sie für die Zeit während des Jahres genügend Gelegenheit vorsehen, vor allem vor den großen liturgischen Festen. Der Geist Gottes möge Ihnen die Kraft geben, mit Überzeugung und Beharrlichkeit dahin zu wirken, daß jene Form gefunden wird, welche der liturgischen Erneuerung Rechnung trägt und gleichzeitig auch tief in der Tradition der Kirche verwurzelt ist. 5. Das Problem der Verminderung der Priesteranzahl und der Überalterung, das ich ausgesprochen habe, kann eine Lösung nicht allein in der Förderung der Mitarbeit der Laien sein, auch wenn diese sehr wünschenswert ist. Bei den Ad-limina-Besuchen kann ich den unermüdlichen Eifer der Verantwortlichen der Diözesen hören und bewundern. Viele setzen sich unter der Leitung geeigneter Priester großherzig für die Seelsorge der Berufe in den Diözesen ein. Manche Bischöfe organisieren Jugendforen, andere laden zu Wallfahrten ein, wieder andere wenden sich regelmäßig in Hirtenworten an die Jugend. Die meisten halten sehr darauf, die möglichen Kandidaten, die das wünschen, persönlich zu sprechen. Ich war auch davon beeindruckt, daß in Gebetsgruppen manche Priesterberufe heranreifen. 2031 AD-LIMINA-BESUCHE Berufung für die Kirche Sicher gilt Ihre große Sorge der Weckung von Berufungen. Fahren Sie fort, immer bessere Mittel zu finden, um die Jugend für die Notwendigkeit, sich dem Reichtum Christi und seiner Frohbotschaft zu öffnen, zu begeistern. Viele Jugendliche sind sehr großzügig und wollen den Ärmsten in ihrem Land und in der Dritten Welt zu Hilfe kommen. Ich sehe um mich junge Schweizer, die herkommen, um mit Hingabe in der Päpstlichen Schweizergarde zu dienen. Ich zweifele nicht daran, daß es — auf einer ganz anderen Ebene — auch zahlreiche Jugendliche gibt, die fiihig sind, sich durch das Priestertum in den ausschließlichen Dienst Christi zu stellen. Indem ihr ihnen helft, sich ihrer Berufung bewußt zu werden, erfüllen sie einzeln und gemeinsam eine große Tat christlicher Hoffnung. Geben Sie den zukünftigen Priestern Jesu Christi Seminarien, deren Identität nicht mehr bestritten wird. Meine apostolischen Reisen haben mich im Vertrauen auf die eigentlichen und ausschließlichen Priesterseminarien nur bestärkt, wo — ohne gewisse Anpassungen zweitrangiger Bedeutung auszuschließen — jenen, die sich auf das Priestertum und seine Anforderungen vorbereiten, täglich die notwendigen geistigen und geistlichen Übungen ange-boten werden. Sie brauchen ein Umfeld, das dieser Aufgabe gerecht werden kann, sie brauchen Priester, welche sich dieser Arbeit hingeben und sie brauchen Lehrer, welche ihnen die philosophischen und theologischen Wissenschaften von hoher Qualität vermitteln. Die Seminaristen werden es verstehen, eine lebendige und familiäre Atmosphäre in Gebet und Studium zu schaffen. Sie sollen spüren, daß die Bischöfe eine besondere Vorliebe für ihre Seminarien haben! Ich höre nicht auf, für dieses Anliegen zu beten. 6. Wie könnte ich es schließlich unterlassen, mit Ihnen über das christliche Laientum in der Schweiz, diese große Hoffnung, zu reden! Ich denke an die zahlreichen Seelsorgeräte, an die Vereine der katholischen Aktion und an so viele andere Gruppen. Ich habe die Abordnungen, welche damals nach Einsiedeln in die Abtei gekommen sind, in Erinnerung behalten: ihren Ernst, die Offenheit ihrer Aussagen, ihre vielfältigen Engagements in kirchlichen und weltlichen Organisationen. Diese Delegierten haben gezeigt, daß die Zahl der Frauen und Männer, welche eine theologische Ausbildung haben, immer zahlreicher werden und daß sie eine klarere Anerkennung wünschen. Ich möchte Sie heute bitten, ihnen erneut mein Vertrauen zuzusichem in der Hoffnung, daß sie stets eine richtige Sicht der Kirche Christi behalten, welche sich, nach dem Willen ihres Gründers, durch die harmonische und wirksame gegenseitige Ergänzung aller Glieder auszeichnet. Ich sagte in Einsiedeln: „Wir alle sind in das Geheimnis Christi durch den Glauben und durch die Tau- 2032 AD-LIMINA-BES UCHE fe eingeführt, wie die vielen Reben am Weinstock, der Christus ist, der uns unablässig mit neuer Lebenskraft erfüllt.“ Die Glaubwürdigkeit des Evangeliums und die Bedeutung der Glaubensverkündigung sind angewiesen auf diese Mitarbeit, die auf einer gesunden Ekklesiologie gründet, die stets vertieft, im Dialog gelebt und von einem Gebet begleitet werden sollte, das in manchen kirchlichen Gemeinschaften noch mehr betont werden könnte. Bemühen Sie sich bei diesen Laien, die auch Ihre Gegenwart erwarten, weiterhin darum, Achtung zu zeigen und zuzuhören, Klarheit im Glauben, liebevolle Festigkeit und ständige Ermutigung zu bezeugen. Wir wollen diese beiden Ziele, die nicht austauschbar sind, verfolgen: auf der einen Seite die ausgebildeten und verantwortungsbewußten Laien fördern, die aufgrund ihrer Taufe und Firmung handeln, und da und dort eine besondere Sendung erhalten; und gleichzeitig die Sorge um den Priesternachwuchs, unter Einbeziehung der besonderen Gnade des Weihesakraments, im Auge behalten. Anders gesagt: Ja zur gegenseitigen Ergänzung, aber Nein zur Gleichschaltung. Ich hoffe, daß die kommende Bischofssynode in allen diesen Punkten klare und vertiefende Aussagen in Lehre und Seelsorge gibt und damit das ganze Volk Gottes mit neuem apostolischem Eifer erfüllt, der von Freude und Hoffnungen geprägt ist. Bruder Klaus als Vorbild 7. Am Schluß dieses brüderlichen Gesprächs freut es mich, auf das Ereignis zu sprechen zu kommen, das sie selber erwähnt haben: Die Schweiz feiert in diesem Jahr den 500. Todestag des populären Einsiedlers vom Ranft, des hl. Bruders Klaus. Ich durfte die Gnade erfahren, als Pilger in die Pfarrkirche von Sächseln zu gehen und vor dem Reliquienschrein zu beten. Ich habe den großen Heiligen, den die Schweizer „Vater des Vaterlandes“ nennen, um seine Fürbitte für ihr Land gebeten. In allen Landesteilen werden sie Feiern haben, zu welchen auch die weltlichen Behörden eingeladen sind. Mögen diese Feiern für alle Bewohner des Landes Gelegenheit sein, den Reichtum des Glaubens neu zu entdecken, den Geist der Einheit, der ihr Land prägt, zu erneuern, und vor allem dazu beitragen, den Frieden unter den Völkern zu fördern. Sie selber sind auf die Initiativen zu sprechen gekommen, die zu ergreifen und weiterzuführen sind, um den Frieden zu stärken, das Problem der Flüchtlinge und der Asylsuchenden zu lösen und um die Solidarität mit den Armen dieser Welt — gemäß den daraus sich ergebenden wirtschaftlichen Forderungen — zu fördern. Sie für Ihren Teil werden der Jugend, den Familien, den Männern und Frauen, welche sich in den Dienst des Allgemeinwohls stellen, die Heiligkeit ihres 2033 AD-LIMINA-BES UCHE großen Mitbürgers näher bringen. Das Kind und der Jugendliche in seiner Schlichtheit, der zu allen Opfern bereite Soldat, der vorbildliche Familienvater, der gewissenhafte Politiker, der Einsiedler, der ganz in Gebet und Buße aufgeht, der Friedensstifter, der die Eidgenossen in dem Moment zusammenführt, wo der Bruch unausweichlich erscheint: Das alles sind verlockende Zü-gedeshl. Niklaus vonFlüe, die dazu beitragen können, daß sie auch heute noch das Herz des Schweizer Volkes höher schlagen lassen. Von ganzem Herzen verbinde ich mich in den Jubelfeiern mit Ihnen und bitte für sie, für die Arbeit Ihrer Bischofskonferenz, für Ihre Diözesen und deren Anstrengungen im Sinne einer Vertiefung der Glaubensverkündigung um den reichen Segen des Herrn. Ermunterung zu Zusammenhalt und Universalität Ansprache anläßlich des Ad-limina-Besuches der Bischöfe aus dem Senegal am 4. November Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Laßt mich meine Freude zum Ausdruck bringen, die ich heute empfinde, da ich euch anläßlich eures Ad-limina-Besuches empfange. Eure Ankunft in Rom steht im Marianischen Jahr unter dem Schutz der Jungfrau und ist außerdem die Weiterführung bereichernder Synodenversammlungen, in die Kardinal Thiandoum all den pastoralen Eifer und die Erfahrung eingebracht hat, die er im Laufe seines fünfundzwanzigjährigen Bischofsamtes gesammelt hat. Das heutige Treffen bietet mir die Gelegenheit, ihm für seine Arbeit als Berichterstatter zu danken, so wie ich auch von ganzem Herzen eurem Wortführer, Msgr. Theodor Adrien Sarr, dem Bischof von Kaolack und Vorsitzenden eurer Bischofskonferenz, danke. 2. Der Apostel Paulus lädt uns zur Danksagung ein: „Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen ...“ (Kol 3,16). Gemeinsam mit euch danke ich dem Herrn für die Gabe des Glaubens. Diese Gabe ermöglicht es uns, obschon wir voneinander weit entfernt leben, in Gemeinschaft der Gedanken und des Herzens zu wirken, und diese Gabe versammelt uns auch heute in Brüderlichkeit. Ich wünsche mir, daß eure Pilgerfahrt, die traditionsgemäß alle fünf Jahre zum Grab der heiligen Apostel unternommen wird, und euer Besuch beim Heiligen Stuhl, Freude und Stärkung bringen. 2034 AD-LIMINA-BES UCHE 3. Euer Besuch erlaubt mir, euch zu sagen, wie sehr ich eure Hoffnungen und eure Sorgen als Bischöfe der Kirche im Senegal teile. Es stimmt zwar, daß die Katholiken in eurem Land in der Minderheit sind, doch kenne ich die Qualität ihres christlichen Lebens und ihres Sinnes für das Evangelium. Sie haben sich dank der freundschaftlichen Atmosphäre, die sie geschaffen haben, und dem Zeugnis, das sie für das Evangelium ablegen, die Sympathie vieler ihrer Landsleute erworben. In einem Geist der Brüderlichkeit tragen sie aktiv zur Entwicklung des Landes bei. Es ist wahr, daß der Fortschritt der Evangelisierung bei euch auf gewisse Schwierigkeiten trifft: Dies verlangt von der ganzen Gemeinschaft eine feste Überzeugung, damit ihre Identität gegenüber jeglicher Form materialistischer Ideologie gewahrt bleibt, und damit in aller Klarheit ein brüderlicher Dialog mit denjenigen stattfinden kann, die nicht denselben Glauben und dieselben Traditionen teilen. Damit der Glaube reifen kann, muß der Bildung der Jugendlichen natürlich eine vorrangige Rolle eingeräumt werden. Das Erziehungssystem muß sich trotz der beschränkten materiellen Mittel, die kein unüberwindbares Hindernis darstellen dürfen, weiterentwickeln und fortschreiten. Eure pastorale Wachsamkeit wird darauf achten, daß in diesem so wichtigen Bereich der Erziehung stets die Sorge, eine ganzheitliche Entwicklung der menschlichen Person zu sichern, die sich an den Werten des Evangeliums orientiert, die religiösen Überzeugungen in eurem Land achtet und sich nicht unmerklich in eine Richtung bewegt, die sich von der Treue zu ihren Verpflichtungen entfernt. 4. In mehreren Dokumenten hat das Konzil die Zusammenarbeit unterstrichen, die zwischen den Katholiken und den Gläubigen anderer Religionen entstehen soll. In der Erklärung über die Kirche und die nichtchristlichen Religionen hat das Konzil die Gläubigen aufgefordert, „sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für den Schutz und die Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen“ {Nostra Aetate, Nr. 3). Euer Hirtenbrief vom 29. Dezember ist auch ganz in diesem Sinn verfaßt worden, denn ihr habt all eure Landsleute dazu aufgerufen, Bedingungen für „einen wahren sozialen Frieden“ zu schaffen und hinzugefügt: „Laßt uns Zusammenarbeiten, damit alle Gläubigen des Landes in der Praxis gewissenhaft die Rechte Gottes beachten.“ 5. Ihr teilt eure pastorale Aufgabe zuallererst mit den Priestern eurer Diözesen. Ich bitte euch, ihnen meinen herzlichen Gruß auszurichten und auch mei- 2035 AD-LIMINA-BES UCHE ne Ermunterung zu einem qualitativ guten Priesterleben in aufrichtiger Hingabe an das Volk Gottes, nach dem Ebenbild Gottes und Christi, der sich zum Diener gemacht hat. Die Menschen warten bewußt oder unbewußt darauf, daß ihnen der Priester mit Überzeugung und Demut von Gott spricht. In einer Welt, wo sich viele von der Verlockung materieller Güter in Beschlag nehmen lassen, muß der Priester durch das Wort und das Beispiel eines einfachen Lebens die Aufmerksamkeit auf höhere Werte lenken. Indem er sich mit den Armen identifiziert und ihnen das befreiende Evangelium Christi bringt, wird er auch die Jugendlichen ermuntern, die von Christus dazu aufgerufen sind, alles für den Dienst an seiner Kirche aufzugeben. Möget ihr, liebe Brüder, auch die brüderliche Gemeinschaft, die zwischen euch und euren Priestern besteht, weiter entfalten, damit die Sendung der Kirche wirksamer wird, und so allen Christen und Nichtchristen das Bild von der gegenseitigen Liebe gegeben wird, durch die sich die Jünger Christi auszeichnen! Ebenso werdet ihr, wenn ihr euren Priestern nahe seid, vermeiden, daß sie unter Verlassenheit leiden und daß ihre physische und geistige Gesundheit davon Schaden nimmt. Meine Gedanken gelten auch jenen, die sich auf das aktive oder kontemplative geistige Leben vorbereiten. Ihr habt euch im Laufe der letzten Jahre zweifellos große Mühe um die Pastoral der Berufungen gemacht, und ihr werdet durch die vermehrte Anzahl der Anwärter und Anwärterinnen zum gottgeweihten Leben belohnt. Ich wünsche mir, daß diese jungen Leute mit der Hilfe der Priester und der Ordensleute, die sich um geistigen Fortschritt bemühen, euren Diözesen eine Zukunft bereiten, die auf festem Grund steht, ohne dabei die universale Dimension jeder kirchlichen Berufung aus den Augen zu verlieren. 6. Im Bewußtsein der Rolle, die die Laien in der Kirche und in der Welt spielen müssen, habt ihr bereits zu Beginn dieses Jahres die Gläubigen eurer Diözese dazu eingeladen, sich in ihrer Sendung als Getaufte zu erneuern. Ich bringe hierbei vor allem jenen eifrigen Katecheten meinen Dank zum Ausdruck, die hochherzig an der Einwurzelung des Evangeliums in euren christlichen Gemeinschaften mitarbeiten. Ich schätze die Arbeit und denke an sie und ihre Familien ganz besonders. In einem Hirtenbrief, der anläßlich der diesjährigen Synode veröffentlicht worden ist, habt ihr die Laien dazu ermuntert, im Alltagsleben wahre Zeugen Christi zu sein. Mögen sie mehr und mehr das Salz der Erde sein, damit sich ihr Geschmack auf die menschlichen, moralischen und geistigen Werte überträgt! 2036 AD-LIMINA-BES UCHE 7. Die Kirche in Senegal hat sich für die Förderung der sozialen Kommunikationsmittel eingesetzt und ihr ermuntert zurecht die Intitiativen in diesem Bereich. Ich möchte euch dazu anleiten, in diesen fruchtbaren Bemühungen fortzufahren: Ihr helft auf diese Weise den Gläubigen, im Sinne des Evangeliums einen Blick auf all das zu werfen, was das Leben der Gesellschaft ausmacht. 8. Zum Abschluß möchte ich eine zweifache Ermunterung herantragen: die Ermunterung zum Zusammenhalt und die Ermunterung zur Universalität. Indem wir mit den großen Eingebungen des Zweiten Vatikanischen Konzils verbunden bleiben, müssen wir den Hirten und Gläubigen ein Beispiel der Einheit geben. „In den einzelnen örtlichen Gemeinden der Gläubigen machen sie (die Priester) den Bischof, mit dem sie in vertrauensvoller und großzügiger Gesinnung verbunden sind, gewissermaßen gegenwärtig; sie übernehmen zu ihrem Teil seine Amtsaufgaben und seine Sorge und stellen sich täglich in ihren Dienst.“ (.Lumen gentium, Nr. 28). Möget ihr schließlich, und dies ist meine zweite Ermunterung, eure Beziehungen zu den anderen Teilkirchen immer mehr erweitern. Möget ihr auch bereit sein, auf die Aufrufe zu antworten, die an euch gerichtet werden könnten: „Ihr werdet meine Zeugen sein ... bis an die Grenzen der Erde.“ (Apg 1,8). Ich bitte den Heiligen Geist, euch sein Licht und seine Stärke zu geben, und von ganzem Herzen segne ich euch und alle Gläubigen eurer Diözesen. Die Brüder stärken Ansprache an die skandinavischen Bischöfe anläßlich des Ad-limina-Besu-ches am 26. Februar Liebe Mitbrüder im Bischofsamt! 1. In meinem apostolischen Dienst als Bischof von Rom gehören die Begegnungen mit den Bischöfen der Weltkirche zu den wichtigsten und schönsten Aufgaben. Es ist ja der ausdrückliche Auftrag des Nachfolgers Petri, seine Brüder zu stärken (vgl. Lk 22,32). Sodann bewahrheiten sich dabei auch immer wieder die Worte des Psalmisten: „Wie gut und wie schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen“ (Ps 133,1). Dies erfahren wir im persönlichen Gespräch mit den einzelnen Oberhirten, vor allem aber in der gemeinsamen Eucharistiefeier und bei der gemeinschaftlichen Begegnung wie der unsrigen in dieser Stunde. 2037 AD-LIMINA-BESUCHE In solch brüderlicher Eintracht und Freude begrüße ich Euch heute zusammen zu eurem diesjährigen Ad-limina-Besuch. Durch euch grüße ich die Diözesen und Gemeinden, die Priester, Ordensleute und Gläubigen, die ihr als Oberhirten im Rahmen der Nordischen Bischofskonferenz hier vertretet. Unser dankbares Gedenken gilt zugleich den Bischöfen, die euch im Hirtenamt voraufgegangen sind; besonders den noch lebenden früheren Oberhirten von Kopenhagen und Oslo, den verdienten Bischöfen Suhr und Gran sowie Bischof Hendrik Frehen von Reykjavik, den der Herr erst vor kurzem als seinen „tüchtigen und treuen Diener“ (vgl. Mt 25,14-30) zu sich in die Ewigkeit gerufen hat. 2. Der Ad-limina-Besuch führt euch, liebe Mitbrüder, in periodischen Abständen nach Rom, um eure Einheit mit dem Nachfolger Petri zu bekräftigen. Gleichzeitig bietet er euch Gelegenheit, eure bischöfliche Sendung im Dienst eurer Ortskirchen neu zu bedenken und euch an den Gräbern der Apostel für euer künftiges Wirken neuen Mut, Kraft und Ausdauer zu erbitten. Diese sind heute von Bischöfen mehr denn je gefordert. Eure Diözesen umfassen gleich ganze Länder, die eine über 1000jährige christliche Vergangenheit haben, in denen aber die katholische Kirche jetzt nur noch eine bescheidene Minderheit darstellt. Die jahrhundertelangen Anfeindungen zwischen den Konfessionen sind Gott sei Dank endgültig überwunden. Sie wurden ersetzt durch einen Geist zunehmender ökumenischer Verständigungsbereitschaft und Zusammenarbeit, der erst jüngst durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den drei skandinavischen Ländern und dem Heiligen Stuhl eine offizielle Bestätigung erhalten hat. Dagegen ist dem Christentum und der Religion als solcher heute durch eine ständig um sich greifende Säkularisierung in der modernen Wohlstandsgesellschaft eine allen Konfessionen gemeinsame Gelahrdung und Bedrohung erwachsen. In euren Quinquenalberichten gebt ihr selbst eine sehr anschauliche Darstellung von den Gefahren und Schwierigkeiten, die dem Leben der Kirche und der pastoralen Arbeit in euren Ländern entgegenstehen: von der zunehmenden Entchristlichung der Gesellschaft, vom Verfall der Sitten — besonders im Bereich der Sexual- und Ehemoral —, von der Zerrüttung der Familien, von dem geringen Einfluß, den die katholische Kirche als die „kleine Herde“ auf das öffentliche Leben auszuüben vermag. Ihr teilt darin die Erfahrung der Kirche in zahlreichen anderen Ländern, die bei euch durch die extreme Diasporasituation noch zusätzlich erschwert wird. Ebenso aber geben eure Berichte auch ein eindrucksvolles Zeugnis davon, wie ihr mit euren Priestern, Ordensleuten und Gläubigen in dieser schwierigen Lage trotz geringer verfügbarer Mittel kraftvoll Kirche lebt und aufbaut, die ökumenische Zusam- 2038 AD-LIMINA-BESUCHE menarbeit mit den anderen christlichen Konfessionen fordert, im Bereich der Jugend und der katholischen Erziehung ein fruchtbares Apostolat entfaltet und dadurch euren Kräften entsprechend auch der Gesellschaft in eurem Land einen überzeugenden christlichen Dienst erweist. Ihr könnt vor allem auf eine erfreuliche Zahl von Priesteramtskandidaten, von Bewerbern für den Ständigen Diakonat und von einsatzbereiten Laienhelfem hinweisen. Die Direktiven des II. Vatikanischen Konzils sind, wie ihr betont, in euren Diözesen und Gemeinden angenommen und erfahren dort eine fortschreitende Verwirklichung. Neben der Liturgiereform, durch die die Eucharistiefeier einen dominierenden Platz im Leben der Kirche erhalten hat, stellt ihr ein allmähliches Wiedererwachen anderer traditioneller Andachtsformen wie des Rosenkranzgebetes, der Kreuzwegandachten und der eucharistischen Anbetung fest. Dies alles sind ermutigende Zeichen, die für die Zukunft der Kirche in euren Ländern hoffen lassen. Von Herzen schließe ich mich deshalb auch dem innigen Wunsch des Oberhirten und der Diözese von Kopenhagen an, daß diese und alle Diözesen der Nordischen Bischofskonferenz durch die baldige Seligsprechung des Dieners Gottes Niels Stensen einen neuen mächtigen Fürsprecher im Himmel erhalten mögen, der den weiteren Weg der Kirche in euren Gemeinden mit seinem besonderen Schutz und Beistand begleiten wird. Zugleich danke ich euch an dieser Stelle aufrichtig für die freundliche Einladung zu einem Pastoralbesuch in euren Ortskirchen, der ich zur gegebenen Zeit mit besonderer Freude nachkommen werde. Gottes Heilswirken setzt Christi Erlösungs werk fort 3. Die realistische Sicht der gegenwärtigen Lage der Kirche in euren Ländern mit ihren Licht- und Schattenseiten, wie sie sich uns in euren Berichten und persönlichen Gesprächen darbietet, darf uns niemals zu Kleinmut oder gar Verzagtheit verleiten. Sie sei uns vielmehr zuallererst Grund zur Freude und Dankbarkeit für das unergründliche Heilswirken Gottes und seine großen Gnadenerweise, durch die er das Erlösungswerk Christi — allen Schwierigkeiten zum Trotz — in eurer Mitte vergegenwärtigt und fortsetzt. Dank sei euch, euren Priestern und den vielen Ordensleuten, die sich aus verschiedenen Kongregationen so hochherzig in den Dienst eurer Diözesen stellen, Dank auch allen Gläubigen für die Glaubenskraft und die Opferbereitschaft, mit denen ihr gemeinsam fortfahrt, lebendige Zeugen für Christus und das anbrechende Gottesreich in der Welt zu sein, in einer Welt, die Gott zunehmend zu vergessen scheint und die doch im tiefsten — bewußt oder unbewußt — immer wieder sehnsuchtsvoll nach ihm Ausschau hält. 2039 AD-LIMINA-BESUCHE Auch als Kirche in der „Zerstreuung“ seid ihr niemals auf vergessenem oder verlorenem Posten. „Christsein in der Diaspora muß“, wie ich euch in meiner Predigt in Osnabrück zugerufen habe, „getragen sein vom Bewußtsein, zu einer großen Gemeinschaft von Menschen, zum Volk Gottes aus allen Völkern dieser Erde, zu gehören“. Auch eure Ortskirchen als „kleine Herde“ sind immer katholische, das heißt weltumspannende Kirche Jesu Christi in eurem Land, sind immer Trägerin der Gnadengaben und Verheißungen unseres göttlichen Erlösers für euer Volk und eure Mitmenschen. Euer Angewiesensein auf die materielle und personelle Hilfe und Mitsorge von benachbarten Schwesterkirchen, denen dafür auch in diesem Kreise unser aufrichtiger Dank gilt, bedeutet für euch keine Demütigung. Konkrete Mitverantwortung und gegenseitiges Geben und Empfangen im Geist brüderlicher Solidarität sind gemeinsam gelebte und bezeugte kirchliche „communio“. Sie sind Ausdruck und gleichsam natürlicher Le-berisvollzug jener tiefen Gemeinschaft, die alle Grenzen übersteigt und alle Glieder der Kirche in dem einen geheimnisvollen Leib Christi zuinnerst eint. Auch dieser euer Besuch im Zentrum der katholischen Christenheit, eure Begegnung mit dem Nachfolger Petri, den das Konzil als „das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen“ (.Lumen gentium, Nr. 23) bezeichnet, bestärke euch in dieser vitalen Verbundenheit mit der Gesamtkirche und schenke euch neuen Mut und Zuversicht für euren verantwortungsvollen apostolischen Dienst. 4. Liebe Mitbrüder! Wir sind uns dessen bewußt, daß die Kirche den Schwierigkeiten und Gefahren, die sich ihr in der säkularisierten Gesellschaft heute stellen, nicht nur von außen her begegnet, sondern sich in zunehmendem Maße auch in ihrem Innern damit auseinandersetzen muß. Dem fortschreitenden Säkularisierungsprozeß entsprechen weitgehend eine innere Glaubenskrise und ein merklicher Rückgang des religiösen und kirchlichen Lebens in den Familien und Gemeinden. Ihr selbst bezeichnet es als eine große Versuchung für die Gläubigen in der Diaspora, sich dem Lebensstil der säkularisierten Umgebung möglichst anzupassen. Angesichts der wachsenden Entfremdung vieler Menschen von der christlichen Lehre und der Kirche ergibt sich für den Bischof als vordringliche Aufgabe, vor allem Glaubenszeuge zu sein, den katholischen Glauben zusammen mit seinen Priestern und Katecheten freimütig zu bekennen und zu lehren und ihn in seiner ursprünglichen Reinheit zu bewahren. Neue gemeinsame Anstrengungen für eine Re-Evangelisierung und die Formung von überzeugten Christen durch einen organischen Plan vertiefter Katechese (vgl. Catechesi tradendae, Nr. 61) sind die wahre Antwort auf die Übel und Mängel, die sich 2040 AD-LIMINA-BES UCHE aus der Diagnose der heutigen Situation unserer Diözesen ergeben. Deshalb ermutige ich euch besonders in eurer pastoralen Sorge um die Glaubensver-küiidigung in der Liturgie und den Religionsunterricht für die katholischen Kinder und Jugendlichen in den Gemeinden. Die beabsichtigte Gründung eines Pastoralseminars in Stockholm, das auch den anderen Diözesen offenstehen soll, wird euch die Möglichkeit bieten, eure katechetischen Bemühungen fruchtbar weiterzuentfalten sowie die pastorale Arbeit insgesamt zu fördern und zu vertiefen. Neben der Jugend- und Familienpastoral verdient im Bereich der nordischen Diaspora besonders die pastorale Betreuung der vielen Einwanderer und Flüchtlinge eine große Aufmerksamkeit. Von ihrer erfolgreichen Eingliederung in das kirchliche Leben eurer Diözesen und Gemeinden wird weitgehend die Zukunft der ganzen Kirche in euren Ländern abhängen. 5. Wie uns das Konzil erinnert, darf die Wahrheit, von der die Kirche Zeugnis geben soll, jedoch nicht nur im Glauben angenommen werden, sondern muß auch auf das sittliche Leben der Menschen konkrete Anwendung finden (vgl. (Lumen gentium, Nr. 25). Ihr weist auf die großen Schwierigkeiten hin, die katholische Morallehre, vor allem die Sexual- und Ehemoral, in einer Weise zu verkünden, daß sie von den Gläubigen angenommen wird. Der Mensch von heute hat weitgehend die Überzeugung verloren, daß er nur in der Wahrheit das Heil finden kann. Deswegen muß die Kirche kraft ihrer Sendung die Gläubigen und Menschen guten Willens heute mehr denn je wieder darauf hinweisen und sie mit Geduld und Liebe davon zu überzeugen versuchen, daß nur die Freiheit, die sich der Wahrheit unterordnet, die menschliche Person zu ihrem wahren Glück zu führen vermag. Die Kirche schränkt durch ihre Morallehre die Freiheit des Menschen nicht willkürlich ein, sondern sucht ihm zu helfen, seine Wahrheit, das heißt jene Wahrheit, die in seinem eigenen Menschsein eingeschrieben und ihm von Gott neu offenbart worden ist, wiederzuentdecken und in seinem sittlichen Verhalten zu berücksichtigen; sie möchte ihn zu sich selbst zurück und über sich hinaus zu Gott führen. In ihrer Morallehre zeigt die Kirche auf, wer der von Gott in Christus erschaffene und erlöste Mensch ist und worin sein wahres Glück und endgültiges Heil besteht. Wie Christus ist die Kirche gesandt, für die Wahrheit Zeugnis abzulegen (vgl! Joh 18,37). Deshalb hat sie auch in der heutigen pluralistischen Gesellschaft — unabhängig davon, ob man ihrer Stimme Gehör schenkt oder nicht (vgl. 2 Tim 4,2) — das Wort Gottes unverkürzt zu verkünden und sein Gebot als letztgültige Norm des sittlichen Handelns dem Menschen deutlich vor Augen zu stellen. Je mehr in Staat und Gesellschaft heute sittliche Grundwerte und 2041 AD-LIMINA-BESUCHE Verhaltensweisen in Frage gestellt werden, um so nachdrücklicher sind die Christen aufgerufen, als Irrwege und Sünde zu bezeichnen und nach Kräften abzuwehren, was dem Willen Gottes und der Würde des Menschen widerspricht. Die Wahrheit Jesu Christi ist der einzige Weg, der den Menschen zum wahren Leben und Glück und damit auch zum wahren, nämlich zum ewigen Heil führt. 6. Liebe Mitbrüder! Das christliche Zeugnis für die Wahrheit und die Sendung der Kirche zum Heil der Menschen werden um so überzeugender und wirksamer sein, wenn die Jünger Christi selbst untereinander eins sind und mit gemeinsamer Stimme sprechen. Deshalb bittet Christus den Vater so inständig um ihre Einheit, „damit die Welt glaubt“ (Joh 17,21). Von Herzen bete ich mit euch, daß diese Einheit im gemeinsamen Glaubenszeugnis für die Welt auch in euren Ländern mit Gottes Hilfe und durch das ernsthafte ökumenische Bemühen aller christlichen Konfessionen immer mehr Wirklichkeit werde. Der Herr stärke und führe euch in eurem unermüdlichen bischöflichen Dienst und segne euch, eure Diözesen und Gemeinden und das ganze Wirken der Kirche auf eurem weiteren Pilgerweg! Gewalt ist nicht die Lösung für Gewalt Ansprache beim Ad-limina-Besuch der Bischöfe aus dem südlichen Afrika (Südafrika, Botswana, Swaziland und Namibia) am 27. November Meine lieben Brüder im Bischofsamt! 1. Wenn ich euch heute treffe, dann umarme ich in der Einheit unseres Herrn Jesus Christus alle Gläubigen der Länder, die ihr vertretet: der Republik Südafrika, der Republik Botswana, des Königreichs Swaziland und Namibias. Eure heutige Anwesenheit läßt uns Gott preisen, dessen Vorsehung sich in der Geschichte eurer Evangelisierung kundgetan hat, und dessen Liebe und Macht euer Volk durch all die Wechselfalle seiner Vergangenheit gestützt haben. In seinen Überlegungen über die Rolle der Bischöfe bietet uns das Zweite Vatikanische Konzil diese ausgezeichnete Zusammenfassung dessen, was sie darstellen: „In den Bischöfen ... ist inmitten der Gläubigen der Herr Jesus Christus, der Hohepriester, anwesend“ {Lumen gentium, Nr. 21). Gerade deshalb, weil ihr Jesus Christus inmitten eures Volkes vertretet, seid ihr für sie 2042 AD-LIMINA-BES UCHE lebendige Zeichen Christi, lebendige Zeichen christlicher Hoffnung. Die Hoffnung, die ihr verkörpert und ausdrückt, ist an das Ostergeheimnis gebunden, das in der Kirche ständig erneuert wird. Für alle, die etwas Verständnis für die komplexe Wirklichkeit des südlichen Afrika haben, ist es offensichtlich, daß dieser Aspekt eurer Sendung äußerst bedeutsam ist: eine Hoffnung zu verkünden, zu garantieren und zu bezeugen, die „nicht zugrundegehen läßt, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist“ (Rom 5,5). Heute drücke ich meine volle Solidarität mit euch in jener Hoffnung aus, die aus dem Sieg des gekreuzigten und auferstandenen Christus entspringt. Diese Hoffnung ist unbesiegbar. Bekehrung der Herzen zugunsten brüderlicher Liebe 2. Während dieser letzten Jahre habt ihr auf vielerlei Weise für die Hoffnung Zeugnis gegeben und so eurem Volk die Bedeutung des Paschamysteriums für sein Leben gezeigt. Jahrein, jahraus, seid ihr eurem Volk in seinen Nöten zur Seite gestanden und habt zugleich viel ungerechter Kritik widerstanden, wenn ihr den Menschen die ermutigende Botschaft des Evangeliums vermittelt habt. In Erklärungen, die sich über Jahrzehnte erstrecken, habt ihr auf Gerechtigkeit und notwendige Versöhnung gepocht, das Liebesgebot verkündigt und euer Volk zu Gebet und allgemeiner brüderlicher Solidarität aufgerufen. Vor allem habt ihr eure Stimme für die Menschenrechte erhoben, für die grundlegende Gleichheit aller Personen, die Verteidigung der Unterdrückten und die konkreten Erfordernisse der Gerechtigkeit überall in eurer Region. Der Heilige Stuhl seinerseits war ebenfalls unerschütterlich in seiner Verkündigung der Menschenwürde. Vor achtzehn Jahren stellte Paul VI. in Afrika selbst fest: „Wir beklagen die Tatsache, daß ... soziale Situationen fortdauern, die auf rassischer Diskriminierung gründen und oft von Denksystemen gewollt und unterstützt sind. Solche Situationen stellen einen offenkundigen und unzulässigen Angriff auf die Grundrechte der Person dar ...“ (AAS 61, 1969, S. 585). 1974 stellte Paul VI. in seiner Grußadresse an das Sonderkomitee der Vereinten Nationen über die Apartheid noch einmal die dringende Bitte um Abschaffung der systematischen Diskriminierung. Gleichzeitig drückte er seine Überzeugung aus, daß „die Sache dringend und die Stunde bereits vorgeschritten“ sei (22. Mai 1974). Seitdem haben die geschichtlichen Ereignisse dieses Urteil bestätigt. Gleichzeitig macht die Vernunft selbst geltend, daß Gewalt nicht als Lösung für Gewalt angenommen werden darf, daß sie vielmehr der Einsicht, dem gegenseitigen Vertrauen, ernsthaften Verhandlungen und brüderlicher Liebe Platz machen muß“ (ebd.). Im gegenwärtigen Kontext der Apartheid wird der Ruf 2043 AD-LIMINA-BES UCHE zur Umkehr immer wichtiger und notwendiger für euer Volk. Die einzige angemessene Lösung des Problems ist die Bekehrung der Herzen. 3. Zur Zeit überprüft ihr neu eure Rolle als Hirten, und bewertet im Licht des Gebots der Stunde eure besonderen Prioritäten und Methoden mit der klaren Absicht, eure Ziele zu erfüllen. Ihr fragt euch wiederum, was getan werden müsse und wie es zu tun sei. Ihr fordert die Menschen auf, ihre Lebens- und Gesellschaftssituation mit dem Evangelium und seiner umgestaltenden Kraft zu vergleichen. Durch die Gnade Gottes und das Wirken des Heiligen Geistes wird es vielen mehr und mehr klar, daß die Rolle der Kirche in der Welt darin besteht, für die christliche Umgestaltung der Gesellschaft zu arbeiten durch Veränderungen, die mit der Botschaft des Evangeliums im Einklang stehen. In all diesen Veränderungen ist es der Herr selbst, der durch die Kraft des Heiligen Geistes handelt und wirkt. Alles, was sich auf die Umwandlung von Strukturen bezieht, ist an die Verwandlung der Herzen gebunden. Darum setzt ihr als Bischöfe alles daran, auf der ungeheuren Macht der Liebe zu bestehen. Ihr seid überzeugt, daß eure eigene Erfahrung der Einheit, verbunden mit dem Gebet, wirklich dazu beitragen wird, das Ziel zu erreichen, auf das immer wieder hingewiesen werden muß: die christliche Umgestaltung der Gesellschaft. Die Macht der Liebe, auf die ihr vertraut, ist nicht in erster Linie menschliche Liebe, sondern vielmehr göttliche Liebe, die Liebe Gottes zu all denen, die arm und unterdrückt sind, die Liebe Gottes, ausgegossen in das Herz Christi, der durch seine Tat offenbarender Liebe auch uns lehrte, zu lieben, zu verzeihen, gerecht und ausgesöhnt zu sein. Die beständige Verkündigung der Liebe Gottes hat zusammen mit dem täglichen Zeugnis dieser Liebe eine noch unentdeckte Wirkung, die Antwort menschlicher Liebe zu wecken. Durch das eucharistische Opfer, Gebet, Predigt und Betrachtung des Gotteswortes wird die Macht der göttlichen Liebe in der Gesellschaft frei. 4. Die Erfordernisse der Stunde werden weiterhin dazu nötigen, auf der Menschenwürde zu bestehen und ihre Begründung in den Geheimnissen von Schöpfung und Erlösung zu betonen. Die Erfordernisse der Stunde werden es auch nötig machen, alle Machthaber dazu aufzurufen, die Rechte der Unterdrückten sowie die Rolle der Gesellschaft und die Funktion der öffentlichen Autorität in ihrer Beziehung zum Gemeinwohl und zum gesamten Plan Gottes mit der Menschheit anzuerkennen. Aber die „Stunde“, die Paul VI. im Jahr 1974 „vorgeschritten“ nannte, erfordert außer prophetischen Erklärungen und Appellen jetzt mehr denn je die Mobilisierung der ganzen kirchlichen Gemeinschaft. Dies soll im Geist des Evangeliums geschehen, der der Geist der 2044 AD-LIMINA-BESUCHE Bekehrung der einzelnen Herzen ist und mit den Waffen des Evangeliums, um in der Kraft des Evangeliums die christliche Umwandlung der Gesellschaft zuwegezubringen. Was an diesem Punkt nottut, ist tatsächlich eine besondere Art christlicher Erziehung, die christliche Befreiung und Gerechtigkeit in vollem Umfang lehrt und die ganze Erlösungswirklichkeit des Todes und der Auferstehung Christi einbezieht. Mit göttlichen Waffen kämpfen — mit dem Schwert des Geistes Wenn der hl. Paulus uns auffordert, im christlichen Kampf standhaft zu sein, dann beschreibt er die Waffen des Evangeliums. U. a. nennt er „das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes“ (Eph 6,17). Dieses Schwert, das fähig ist, „über die Regungen und Gedanken des Herzens zu richten“ (Hebr 4,12), ist die mächtige Waffe, die der christlichen Gemeinde in ihrem Kampf mit den Übeln der Gesellschaft zur Verfügung steht. Wenn die Gemeinschaft der Kirche sich im Gebet versammelt, um über das Wort Gottes nachzudenken, gießt der Heilige Geist selbst die Liebe Gottes über sein Volk aus und schenkt ihm die Hoffnurig, die nicht enttäuscht (vgl. Röm 5,5). Mit dieser Hoffnung und Liebe sowie dem Vertrauen auf Gottes Wort kann man erreichen, was menschliche Mittel niemals vermögen. Liebe Brüder, Jesus versichert uns: „Was für Menschen unmöglich ist, ist für Gott möglich“ (Lk 18,27). 5. Alle Bemühungen der Kirche um die christliche Umgestaltung der Gesellschaft voranzubringen, stehen im Zusammenhang mit ihrem Gehorsam gegenüber dem Evangelium Christi. Sie sind bedingt durch ihr Verständnis von Evangelisierung als Verkündigung des Geschenks der Erlösung, das Gott der Menschheit durch das Ostergeheimnis Christi gemacht hat. Die Kirche wünscht, daß alle ihre Glieder begreifen: „Zwischen Evangelisierung und menschlicher Förderung bestehen enge Verbindungen“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 31). Menschliche Förderung ihrerseits umfaßt sowohl ganzheitliche menschliche Entwicklung als auch christliche Befreiung. In diesem Sinn fragte Paul VI.: „Wie könnte man in der Tat das neue Gebot verkünden, ohne in Gerechtigkeit und Frieden das wahre, echte Wachstum des Menschen zu fordern?“ (ebd.) Der von Gott erschaffene und erlöste Mensch ist der totalen und radikalen Befreiung würdig, der Befreiung nicht nur von Strukturen, die die menschliche Würde verletzen, sondern von der Sünde selbst. Man muß dringend sicherstellen, daß da, wo jene Strukturen abgebaut werden sollen, sie nicht durch andere ersetzt werden: Strukturen, die in anderer Form Zustände fortschreiben, die für Kinder Gottes unwürdig sind; die Freiheiten verweigern, deren die christliche Befreiung bedarf; Strukturen, die den grundlegen- 2045 AD-LIMINA-BESUCHE den Werten des Evangeliums entgegenstehen. Der Sieg des Evangeliums ist der universale Sieg der Liebe über den Haß durch die Bekehrung der Herzen. In diesem Sieg findet sich die echte christliche Umgestaltung der Gesellschaft nach dem Evangelium. Unversöhnlichkeit, die Perspektive des unvermeidlichen Konflikts, alte und neue Gewaltanwendung, das alles muß weichen vor dem „Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes“. Die Kirche in eurer Region ist zur Zeit sehr deutlich aufgerufen, ihr ganzes Vertrauen auf das Wort Gottes zu setzen und auf die Macht dessen, der „unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder uns ausdenken können“ (Eph 3,20). 6. Hinsichtlich der Sendung der Laien in euren Ortskirchen bin ich überzeugt, daß die letzte Bischofssynode euch viele Gedanken geboten hat, die für eure Pa-storalplanung nützlich sein werden. Ein erhöhtes Bewußtsein der Laien von ihrer Würde und Berufung, aktiv an der Sendung Christi und seiner Kirche teilzunehmen, hat eine neue Begeisterung hervorgebracht, die sich unter dem Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche ausbreitet. Das ist noch ein Geschenk des Herrn, das der Kirche im südlichen Afrika weiterhelfen möge, um den Bedürfnissen dieser Stunde zu entsprechen. Dafür bete ich. Als Paul VI. von der Evangelisierung sprach, stellte er fest: „Für die Kirche ist das Zeugnis eines echt christlichen Lebens ... der erste Weg der Evangeliumsverkündigung“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 41). Diese Worte werden in der augenblicklichen Situation zu einer besonderen Herausforderung für alle Ordensleute in euren Diözesen. Ja, wir alle müssen überzeugt sein, daß das Zeugnis gottgeweihter Liebe eine übernatürliche Wirkung hat, die die Macht äußerer Erbauung weit übertrifft. In dieser Hinsicht haben Ordensleute bei der Ausbreitung der Frohbotschaft eine besondere Rolle zu spielen als Zeugen für die Liebe Gottes. Auch eure Priester und Seminaristen müssen sich bewußt sein, daß ihr Beitrag zur Lösung aller Probleme in bezug auf Freiheit und Gerechtigkeit in der Bekehrung des eigenen Herzens und der persönlichen Treue der Liebe wur-zelnmuß. Wenn sie den Gläubigen das Wort Gottes verkündigen, imHerzenauf das Wort Gottes hören und es auf ihr eigenes Leben anwenden, werden sie immer wirkungsvoller als Friedensstifter und Versöhner des Gottesvolkes. Liebe Brüder im Bischofsamt! Euer eigener Beitrag der Einheit untereinander, eure gemeinsame Erfahrung der Liebe Christi und euer Zeugnis für diese Liebe sind in sich selbst schon herrliche Akte bischöflicher Leitung, ein pastoraler Beitrag für die Ortskirchen, denen ihr vorsteht, die ihr liebt und denen ihr dient. 7. Es gibt viele besondere Probleme, die Gegenstand unserer Aufmerksamkeit sind, aber jetzt nicht angemessen behandelt werden können. Dazu gehört die sehr wichtige Frage in bezug auf Namibia. Seid versichert, daß der Heilige 2046 AD-LIMINA-BES UCHE Stuhl dieses Problem in all seinen Einzelheiten mit großem Interesse und brennender Sorge um das Wohl der dortigen Menschen verfolgt. Mein letztes Wort an euch, liebe Brüder, ist ein Wort der Hoffnung. Mit großer Liebe in unserem Herrn Jesus Christus sende ich meine Botschaft der Hoffnung an alle eure lieben Priester, Ordensleute und Laien. Denkt immer daran, daß Christus bei euch ist. Sein Geist wohnt in euch, und sein Wort stärkt euch. Christus verläßt seine Jünger nie, und zu euch allen sagt er: „Habt Mut! Ich habe die Welt besiegt“ (Joh 16,33). Wachsen in der Fülle des Glaubens Ansprache an die Bischöfe von Tanzania bei ihrem Ad-limina-Besuch am 4. Dezember Liebe Brüder in unserem Herrn Jesus Christus! 1. Gern heiße ich euch, die Mitglieder der Bischofskonferenz von Tanzania, bei Gelegenheit eures Ad-limina-Besuches willkommen. Eure Präsenz heute gestattet uns eine Festigung der „Bande der Einheit, der Liebe und des Friedens“ (Lumen gentium, Nr. 22), die uns im Apostolischen Kollegium verbinden. Als „Gottes Mitarbeiter“ (i Kor 3,9) sind wir hier im Namen unseres Herrn Jesus Christus nahe beim Grab des Apostels Petrus versammelt. Und wie Jesus den Petrus und die übrigen Apostel erwählt hat, so sind wir als ihre Nachfolger erwählt sowie durch das Auflegen der Hände und die Anrufung des Heiligen Geistes geweiht worden. Mit den Aposteln zusammen haben wir die Aufgabe überkommen, für die Frohbotschaft von Gottes Gnade Zeugnis zu geben (vgl. Rom 15,16; Apg 20,24) und für das Wirken des Heiligen Geistes und der herrlichen Macht Gottes, die die Menschen gerecht macht (vgl. 2 Kor 3,8-9). Ich danke für die freundlichen Worte, die Kardinal Rugambwa in eurem Namen und für das Volk Gottes in Tanzania formuliert hat. Helft mir bitte, sie zu erwidern, indem ihr den euch anvertrauten Gläubigen meine Grüße übermittelt. Ich wünsche ihnen Gnade und Frieden. Versichert sie meines betenden Gedenkens. Es ist meine feste Hoffnung, daß ich die freundliche Einladung zu einem Besuch in Tanzania in nicht allzu ferner Zukunft annehmen kann, denn ich möchte die lebenspendende Botschaft der Wahrheit, das Evangelium Jesu 2047 AD-LIMINA-BES UCHE Christi verkünden. Allen, die bereitwillig meine Stimme hören, werde ich die Frohbotschaft vom Heil verkünden, so daß die Person Christi und sein Evangelium immer besser bekannt und angenommen werden. Ich möchte auch aus eigener Anschauung den Glauben eures Volkes kennenlernen und seine Liebe zu Christus und seiner Kirche. Wie der Apostel Paulus den ersten Christen in Rom schrieb, sage ich allen Gläubigen in Tanzania: „Ich danke meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle ... Unablässig denke ich an euch in allen meinen Gebeten und bitte darum, es möge mir durch Gottes Willen endlich gelingen, zu euch zu kommen. Denn ich sehne mich danach, euch zu sehen; ich möchte euch geistliche Gaben vermitteln, damit ihr dadurch gestärkt werdet, oder besser: damit wir, wenn ich bei euch bin, miteinander Zuspruch empfangen durch euren und meinen Glauben“ (Rom 1,8-12). 2. Meine lieben Brüder, wißt als Hirten in Tanzania, daß ihr bei euren Arbeiten für die Sache des Evangeliums nicht allein seid. Ihr werdet unterstützt durch den Nachfolger Petri und das gesamte Kollegium der Bischöfe. Ich bin mir der pastoralen Sorgen bewußt, die ihr täglich habt, und ich lobe die zahlreichen Initiativen, die ihr eingeleitet habt. Dank der überströmenden Gnade, die der allmächtige Gott über die Kirche in Tanzania ausgegossen hat, wurde die Kraft des Evangeliums in den Herzen der Gläubigen tief verwurzelt und die Kirche konnte wachsen. Während der vergangenen fünf Jahre seid ihr Zeugen eines raschen Wachstums eurer Ortskirchen von 3,5 auf über 4,5 Millionen Mitglieder gewesen. Es wurden eine neue Erzdiözese und mehrere Diözesen errichtet, und auch der Klerus, Ordensmänner und Ordensfrauen nahmen an Zahl zu. All dieses Wachstum war begleitet von einer Festigung der diözesanen Strukturen und der apostolischen Werke. Gern ermuntere ich euch und alle Priester, Ordensleute, Katechisten und Laien, die bei dieser Ausbreitung des Reiches Gottes in Tanzania mitgearbeitet haben. Bei eurem letzten ad-limina-Besuch stellte ich fest: „Das Kriterium für euren wirksamen Dienst — euren wirksamen Dienst als Bischöfe — ist die absolute Treue zu Jesus Christus und seinem Wort. An uns liegt es, zu pflanzen und zu bewässern: Gott selbst wird das Wachstum schenken und die Saat seines Wortes zu der ihm wohlgefälligen Zeit wachsen lassen. Er verlangt unser Vertrauen und unseren Gehorsam in der Predigt seiner Botschaft, auch unsere Geduld im Warten auf die volle Ernte des Heils“ {Ansprache vom 9. Oktober 1981). 3. Im Anschluß an die kürzlich stattgefundene Bischofssynode möchte ich betonen, daß das Werk der Evangelisierung eine Verantwortung für alle Ge- 2048 AD-LIMINA-BES UCHE tauften ist, die ihr pastoral betreut. Das II. Vatikanische Konzil lehrt: „Jedem Jünger Christi obliegt die Pflicht, nach seinem Teil den Glauben auszusäen“ (Lumen gentium, Nr. 17). Daher sind alle Laien als Christen gerade kraft ihrer Taufe vom Herrn aufgerufen, sich in einem wirksamen Apostolat zu engagieren: „Die christliche Berufung ist ihrer Natur nach auch Berufung zum Apostolat“ (Apostolicam actuositatem, Nr. 2). Während ich allen Priestern und Missionaren, die in Tanzania arbeiten, meine Dankbarkeit ausspreche, möchte ich auch die Laien ermuntern, wahre Zeugen Christi zu sein, christliche Gemeinschaft aufzubauen und zu helfen, daß die Welt durch die Werte des Evangeliums umgestaltet wird. Das Zeugnis eines beispielhaften christlichen Lebens ist bereits ein Akt der Evangelisierung. Doch füge ich gleich hinzu, daß das Zeugnis eines beispielhaften christlichen Lebens für sich allein nicht genügt. Die Verkündigung der Frohbotschaft vom Heil in Christus muß ihm vorangehen und folgen, denn sie ist das Herz alles evangelisierenden Wirkens der Kirche. Beides sind notwendige Elemente, und sie müssen von Gebet und Opfer getragen werden. 4. In einer Gesellschaft wie der euren, in der ein Großteil der Bevölkerung zu traditionellen afrikanischen Religionen gehört, lobe ich die zahlreichen Männer und Frauen, die als Katechisten einen wichtigen Beitrag zur Verkündigung des Evangeliums leisten. Sie sind direkte Zeugen des Glaubens und eure aktiven Mitarbeiter beim Aufbau, der Entfaltung und dem Wachstum des praktischen christlichen Lebens. Ich bin zuversichtlich, daß sie immer die nötige Unterstützung finden werden und ihnen eine ständige Weiterbildung geboten wird, die den Bedürfnissen der Gemeinschaften angepaßt sind, denen sie dienen. Katechisten und Katechistinnen spielen eine unverzichtbare Rolle beim ganzen Vorgang der Evangelisierung. Sie sind darauf bedacht, den anfänglichen Glauben eures Volkes zu entfalten und alle zur Fülle des christlichen Lebens hinzuführen (vgl. Catechesi tradendae, Nr. 18). Wenn sie aber ihre Hörer organisch und systematisch in die Fülle des christlichen Lebens einführen, müssen die Katechisten zugleich das Evangelium in Leben und Kultur eures Volkes inkamieren. Tatsächlich liegt eine der Prioritäten eures Dienstes in der Festigung und Umwandlung eurer Kultur in Übereinstimmung mit dem Evangelium. „Die Inkulturation oder Akkulturation, die ihr mit Recht fördert, spiegelt wirklich das große Geheimnis der Menschwerdung wider, wenn eine vom Evangelium umgewandelte und erneuerte Kultur aus ihrer eigenen lebendigen Überlieferung echte Ausdrucksformen christlichen Lebens, Feierns und Denkens hervorbringt“ (vgl. Catechesi tradendae, Nr. 53, Ansprache an die Bischöfe von Nairobi in Kenia, 7. Mai 1980). . - 2049 AD-LIMINA-BESUCHE Liebe Brüder, ich bin mir wohl bewußt, daß ihr zum täglichen Zeugnis für Christus in einem Land berufen seid, wo Christen und Muslime nebeneinander leben. Wie ihr wißt, ist die Kirche sehr bemüht um die Aufnahme des religiösen Dialogs mit dem Islam. Die Wahrheit, daß der Heilsplan alle einschließt, die den Schöpfergott anerkennen, bietet uns für einen solchen Dialog und für ein friedfertiges Zusammenleben mit Muslimen eine solide Grundlage. 5. Mit Freuden vernehme ich, daß bei euch verschiedene Initiativen für das Jugendapostolat am Werk sind. Dieses Apostolat sollte zu euren höchsten Prioritäten gehören, denn die Jugendlichen stellen die Zukunft der Kirche dar. Eure Jugendverbände müssen Zentren einer mit der Lehre der Kirche übereinstimmenden Bildung sein und Zentren, wo die jungen Menschen sich auf die Übernahme politischer und sozialer Aufgaben als Bürger und christliche Führungskräfte vorbereiten. Durch euer Bemühen, die christliche Jugenderziehung sicherzustellen, wird die Kirche in Tanzania in die Lage versetzt, als lebendige moralische Kraft zu wirken. Ihr müßt daher in Treue zu Christus den jungen Menschen alles das mitteilen, was Er zu lehren befohlen hat (vgl. Mt 28,20). Allen Welt- und Ordenspriestern, die in der Hirtensorge mit euch Zusammenwirken, möchte ich meine Zuneigung aussprechen. Jeder Bruder im Priesteramt soll mit uns ein „Diener Jesu Christi (sein), berufen zum Apostel, auserwählt, das Evangelium Gottes zu verkündigen“ (Röm 1,1). Das Zweite Vatikanische Konzil erinnert uns daran, daß „der Dienst der Priester in der Verkündigung des Evangeliums seinen Anfang nimmt“ (Presbyterorum Ordi-nis, Nr. 2). Es betont weiter, daß der Dienst des Wortes seine Erfüllung in der Eucharistie findet, die „Quelle und Höhepunkt aller Evangelisation“ ist (ebd., Nr. 5). Ich möchte euch folgendes sagen: denkt immer daran, wie wichtig es ist, daß ihr euren Priestern gegenüber brüderliche Liebe hegt. „Bevor ihr die Oberen und Richter eurer Priester seid, bleibt... immer bereit, sie zu verstehen, zu ihnen zu halten und ihnen zu helfen. Ermuntert eure Priester auf jede mögliche Weise, eure persönlichen Freunde und euch gegenüber ganz offen zu sein“ (Paul VI, Sacerdotalis caelibatus, Nr. 92) . Als Brüder eurer Priester werdet ihr ihre Last mittragen und ihnen zu geistlichem Wachstum durch Exerzitien und Einkehrtage verhelfen. Für ihre ständige Weiterbildung ist es auch sehr hilfreich, Gelegenheiten zu theologischer Erneuerung und zum Studium anzubieten, so daß sie ihr Verständnis der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils und des Lehramtes vertiefen können. Solche Treffen sind ferner eine Gelegenheit zur gemeinsamen Besprechung eurer seelsorglichen Anliegen. 2050 AD-LIMINA-BES UCHE 7. In Dankbarkeit gegen den allmächtigen Gott stelle ich das Anwachsen der Weltpriester in Tanzania fest. Weil die Zahl der Missionare abnimmt und sie nicht ersetzt werden, wird es immer notwendiger, daß ihre Arbeit von Priestern aus eurem eigenen Volk übernommen wird. Gern höre ich auch, daß eure Kleinen Seminare zahlreiche Studenten aufweisen. Natürlich ist hier eine sorgfältige Auswahl der geeigneten Kandidaten erforderlich. Ähnlich wird die Aufmerksamkeit und Hilfe, die ihr euren Seminaristen und ihrer Ausbildung in euren fünf Großen Seminaren anbietet, die Qualität derer sicherstellen, die ihr zum Dienst in euren Ortskirchen zu Priestern weihen werdet. Ich versichere euch meiner Unterstützung bei diesem für die Sendung der Kirche so wesentlichen Bemühen. Ich möchte ferner betonen, wie wichtig die Bereitstellung gut qualifizierter Priester für die geistliche, akademische und pastorale Ausbildung eurer Seminaristen ist. Ich stelle fest, daß sich die Zahl der Ordensleute ständig vermehrt hat. Die Mitglieder der Institute des gottgeweihten Lebens bilden den Sauerteig für ein echt christliches Leben, und es ist wichtig, daß jede diözesane Ordenskongregation ihr besonderes Charisma in entsprechenden Formen apostolischer Arbeit ausprägt. Ich weiß, daß ihr bei eurem Arbeiten mit den Ordensleuten sie immer die große Liebe der Kirche zu ihnen in ihrem Leben des Dienstes spüren laßt. In den vergangenen 120 Jahren wurde die Verkündigung des Evangeliums in Tanzania weithin von Missionspriestern, -brüdem und -Schwestern getragen, die mit viel Heroismus und Heiligkeit die Saat der Kirche ausgestreut haben. Bemüht euch, nach ihrem Beispiel das Wachstum des Reiches Gottes in unwandelbarer Treue weiter zu fördern. Meine Brüder, seid meines ständigen Gebetes gewiß, daß Gott, der Allerhöchste, über euch, sowie über Volk und Regierung von Tanzania die Segnungen des Friedens, der Gerechtigkeit und des Wohlstandes ergießen möge. Ich empfehle euch und eure Ortskirchen der Fürbitte Marias, die „ein Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes für das wandernde Gottesvolk“ ist (Lumen gentium, Nr. 68). In der Liebe Jesu, ihres Sohnes, erteile ich euch meinen Apostolischen Segen. 2051 AD-LIMINA-BESUCHE Echte Hirten der Kirche sind erforderlich Ansprache an Kardinal Tomasek von Prag am 30. September Der Friede sei mit dir! Dieser Gruß, ehrwürdiger Bruder, gilt sowohl Dir, dem hier Anwesenden, als auch den anderen vier Bischöfen der Tschechoslowakei. Vor fünf Jahren waren sie zusammen mit Dir hier. Die Abwesenheit dieser Bischöfe gibt einen deutlichen Hinweis auf die Bedingungen, unter denen die Kirche in euren Regionen lebt. Was können wir dann sagen über die Diözesen, in denen bereits ganze Generationen von Gläubigen gezwungen sind, ohne die Hirten, die Nachfolger der Apostel, zu leben? Ist es denn möglich, daß dem Nachfolger des Petrus, dem die Sorge um die Gesamtkirche anvertraut ist, eine solche Situation gleichgültig ist? Der Evangelist schrieb schon über Christus selbst: „Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (Mt 9,36). Der Hl. Stuhl hat immer versucht und bemüht sich unermüdlich, alle Möglichkeiten zu nutzen, damit dieser traurige Zustand, der in den Ländern christlicher Tradition nicht seinesgleichen hat, ein Ende findet. Ich kann Dir versichern, ehrwürdiger Bruder, daß auch in Zukunft nichts unterlassen wird, das dazu beitragen könnte, dem Wunsch der Gläubigen in der Tschechoslowakei zu entsprechen, d. h. eigene, würdige Bischöfe zu haben mit allen Eigenschaften, die für einen echten Hirten der Kirche erforderlich sind, Bischöfe, die vom Hl. Stuhl ernannt sind. Auch eine andere Sorge drückt mich: Die Zahl der Priester in euren Diözesen wird geringer, und ihr Durchschnittsalter steigt ständig. Dies ist kein Einzelfall, er zeigt sich auch in anderen Ländern. Aber während anderswo die sinkende Priesterzahl durch die gewandelten sozialen Verhältnisse bedingt ist, werden solche Situationen in euren Ortskirchen hingegen durch die Tatsache hervorgerufen, daß die Priesterseminare selbst nicht vollständig von euren Entscheidungen abhängig sind. Wie aktuell sind in eurer Situation, ehrwürdiger Bruder, die Worte und die Weisung Christi: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter seiner Ernte auszusenden“ (Mt 9,37-38). Wie sehr also ist mein Herz betrübt zu hören, daß sogar diejenigen, die dem Ruf des Herrn folgen möchten, unzähligen Hindernissen begegnen und daran gehindert werden, in die Priesterseminare einzutreten, wo die Zahl der Alumnen beschränkt wird. Deshalb wird das Gebet immer dringlicher, das von den Gläubigen eurer Regionen so oft wiederholt wird: „Damit wir auf die Fürsprache des hl. Adalbert von guten Priestern zu Christus geführt werden.“ 2052 AD-L1MINA-BESUCHE Und ich kann auch nicht jene schweigend übergehen, die die Kirche als ein großes Geschenk des Herrn betrachtet, weil ihr „Stand, der durch das Gelöbnis der evangelischen Räte begründet ist, „zwar nicht Teil der hierarchischen Struktur der Kirche (ist), aber unerschütterlich zu ihrem Leben und ihrer Heiligkeit (gehört)“ (.Lumen gentium, Nr. 44). Gerade in ihrer Berufung fanden im Laufe so vieler Jahrhunderte die Räte der gottgeweihten Keuschheit, der Armut und des Gehorsams konkreten Ausdruck. Die Berufung zum Ordensleben gründet in den Worten des Erlösers selbst; die Kirche hat dieses kostbare Geschenk vom Herrn empfangen und bewahrt es weiterhin mit seiner Hilfe. Wie schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, wird jedoch dieses Bemühen, die Vervollkommnung des Lebens zu erlangen, dort, wo Klöster und Ordenshäuser ganz fehlen, obwohl zuvor im Laufe ganzer Jahrhunderte diese Häuser aufblühten und vielen Generationen geistlichen und kulturellen Nutzen brachten. Herr Kardinal, Du wirst an der Synode über die Laien teilnehmen, Du erinnerst mich an die Laien der Tschechoslowakei, die trotz der wohlbekannten Schwierigkeiten ein schönes Zeugnis der Treue zum Glauben ihrer Väter geben. Wie Millionen Männer und Frauen in anderen Nationen sind auch die tschechoslowakischen Katholiken fest entschlossen, das Licht des Glaubens an Christus und die Treue zur Kirche weiterzugeben. Wenn ich in die Zukunft blicke, kann ich nicht umhin, an jene zu denken, denen dieses Licht vermittelt werden soll. „Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? (Röm 10,14). Diese Worte des hl. Paulus sind auch für Dich und für alle die Mitbrüder eine schwere pastorale Sorge, denn „die Bischofsweihe überträgt... auch die Ämter der Lehre“ (Lumen gentium, Nr. 21). Aber wie könnt ihr dieser schweren Pflicht nachkommen, wenn euch nicht nur die ausreichende Anzahl von Mitarbeitern fehlt, sondern auch die elementarsten Möglichkeiten zum Religionsunterricht und sogar die unerläßlichsten Hilfen religiösen Schrifttums, obwohl die Gläubigen selbst diese dringend ersehnen? Dich, ehrwürdiger Bruder, und den ganzen tschechoslowakischen Episkopat und alle, die im Apostolat engagiert sind, mögen die Worte des Apostels trösten: „Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt“ (Phil 4,13). Auch unter so schwierigen Umständen ist es möglich, unsere Hoffnung auf ihn zu setzen, der in allem die Macht hat, viel mehr zu tun, „als wir erbitten oder uns ausdenken können“ (vgl. Eph 3,20). Besonders ermutigend ist in der Tat der wachsende Wunsch der jungen Menschen, nach dem Evangelium zu leben, wie die immer stärkere Teilnahme am Sakramentenempfang und an den Wallfahrten zeigt. Es genügt, an jenen von Velehrad, Levoca und Sastin zu erinnern, an denen Hunderttausende vor allem junger Gläubiger teilnehmen. Dieses neuerwachte Interesse am Glaubensleben hängt gewiß mit dem vertieften christlichen Leben in den Familien 2053 AD-LfMINA-BESUCHE zusammen. In ihnen entstehen auch die günstigen Bedingungen für die Zunahme der Priester- und Ordensberufe. Um dem Glaubensleben neuen Antrieb zu geben, werden zusammen mit der Schmerzhaften Muttergottes auch jene Heiligen helfen, die — wie es in einem alten Kirchenlied heißt — aus euren Stämmen kommen und ihren Erdenweg dort gegangen sind, wo ihr jetzt geht. Ich meine die Heiligen, für die bereits die Anträge zur Selig- und Heiligsprechung eingereicht worden sind. Die Seligen Agnes und Zdislava, der Priester Johannes Sarkander und der Diener Gottes Anton Cyrill Stojan, Erzbischof von Olmütz. Auch können wir heute, am Fest des hl. Wenzels, das Andenken an diesen heiligen Märtyrer nicht außer acht lassen, der sein Leben zur Verbreitung und Festigung des Christentums in eurem Vaterland geopfert hat. Indem ich Dich, die anderen Brüder im Bischofsamt und die eurer Sorge anvertrauten Gläubigen meiner Gebete versichere, erteile ich Dir, Deinen Mitbrüdern in der Heimat, den Priestern, Seminaristen, Ordensmännern und - frauen sowie allen Gläubigen in der Tschechoslowakei, besonders den Kranken und Leidenden, von Herzen meinen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan am Fest des hl. Wenzel, 28. September 1987 PAPST JOHANNES PAUL II. Salz der Erde sein Ansprache an die ungarischen Bischöfe am 13. November Exzellenz, Herr Erzbischof von Estergom, Exzellenzen, meine Herren Erzbischöfe und Bischöfe! 1. Ihr seid aus eurer Heimat und aus euren Diözesen hergekommen, um nach einer alten Überlieferung die Gräber der Apostel Petrus und Paulus mit eurem Besuch zu beehren. Heute möchtet ihr mit eurem gemeinsamen Besuch hier ein kollegiales Zeugnis für die Einheit des Glaubens und die Gemeinsamkeit der Absichten able-gen, die zwischen euren Einzelkirchen und der Kirche von Rom bestehen, die „den Vorsitz in der Liebe führt“ (Ignatius von Antiochien, Brief an die Römer). Ihr wollt weiter jene Einheit bezeugen, die zwischen euch, die der Heilige Geist für die Betreuung eines Teiles seiner Herde bestellt hat (vgl. 2054 AD-LIMINA-BES IJCHE Apg 20,28), und dem Nachfolger des Petrus besteht, dem die Sorge für alle Kirchen anvertraut ist (vgl. 2 Kor 11,28). So begrüße ich euch voll Freude, meine lieben Brüder im Bischofsamt, und mit euch und durch euch grüße ich das ganze Volk Gottes, das in Ungarn lebt: Priester, Ordensleute, Seminaristen, christliche Laien, Männer und Frauen, die alle gemäß ihren jeweils verschiedenen Gaben berufen sind, für Christus den Herrn Zeugnis abzulegen. 2. Während der letzten fünf Jahre hatte die Kirche in Ungarn den manchmal unerwarteten Tod mehrerer ihrer Hirten zu beklagen. Namentlich nennen möchte ich den sehr betrauerten Kardinal Laszlo Lekai, der so viel getan hat, um freieren Raum für das Leben und Wirken der Kirche zu gewinnen, und auch, um die Bande mit dem Apostolischen Stuhl zu stärken. Im gegenwärtigen Augenblick, in dem wir miteinander sprechen, hat jede von euren Diözesen ihren eigenen Bischof. Dafür danken wir dem allmächtigen Gott. Jenen unter euch, die schon früher die Fülle des Priestertums empfangen haben, spreche ich meinen herzlichen Wunsch aus, daß ihr die euch anvertraute Seelsorge unermüdlich ausüben könnt. Die erst kürzlich geweihten Bischöfe, von denen, wie ich weiß, vier unter euch sind, versichere ich meiner herzlichen Verbundenheit im Gebet und der Hoffnung vor Gott, daß ihre jugendliche Kraft den schon begonnenen apostolischen Initiativen neuen Schwung geben wird. Jedem von euch verspreche ich mein Gebet, daß durch euer Beispiel und euren Dienst der Geist des Herrn ein neues Pfingsten in eurer edlen Nation vorbereite und „das Antlitz der Erde erneuere.“ 3. Das Beispiel des Lebens und der heilige Dienst: dies sind die beiden Dinge, die den Hirten zum Vorbild seiner Herde machen (vgl. 1 Petr 5,3). Nach dem ausgesprochenen Willen Christi sind die Bischöfe und ihre Helfer nach dem Beispiel der Apostel „Salz der Erde {Mt 5,13), durch das das menschliche Leben einen gewissen übernatürlichen Wohlgeschmack erhalten soll; sie sind ferner „Licht der Welt (ebd.), durch das die Finsternis des Irrtums verbannt wird. Salz und Licht ist man aber in Wahrheit dort, wo man lebt; unter den Umständen, in die das durch Gottes unaussprechlichen Heilsplan uns anvertraute Volk gestellt ist. Was den heiligen Dienst betrifft, zu dem sehr verschiedene pastorale Aufgaben gehören, laßt mich euch, liebe Brüder, die Wichtigkeit des Dienstes der Predigt des Wortes Gottes empfehlen. „Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht“, legt der Apostel Paulus seinem Lieblingsschüler Timotheus nahe (2 TimA,2)\er fahrt fort: „Weise zurecht, tadle, ermahne.“ Daher ist es die klar bestimmte Pflicht eines jeden Bischofs und Priesters, zu lehren, zu ermahnen und zurechtzuweisen. Seid also 2055 AD-LIMINA-BES UCHE gewiß, daß dieses Werk der Evangelisierung, belebt durch den heiligenden Atem des Geistes, unermeßlich viel beiträgt zum geistlichen Fortschritt des Volkes Gottes, dessen Wohlergehen unser Hauptanliegen ist. Die Kirche braucht Laien, die ihren Hirten helfen 4. Die Kirche aber braucht als „festgefügter und einheitlicher“ Leib viele Glieder, die in Liebe Zusammenwirken (vgl. Eph 4,16). Tatsächlich wächst, zumal nach dem II. Vatikanischen Konzil, täglich die Zahl derer, die ihren Hirten helfen. Das Volk Gottes muß ja auch fähig sein, aus seinen eigenen Reihen Apostel hervorzubringen. Und diese brauchen sich durch keine andere Weihe auszuzeichnen als die der Taufe und der Firmung. Sie wirken im Weinberg des Herrn, indem sie ihr gewöhnliches Leben daheim führen und ihre Rolle als Bürger in der Gesellschaft erfüllen. Sie sind unsere Brüder und Schwestern aus dem Laienstand. Sie erwarten einerseits von uns, daß wir sie mit dem wahren Evangelium bekanntmachen und daß sie durch uns zum Reich Gottes geführt werden; andererseits sind sie unsere Mitarbeiter, die auf ihre je eigene Weise uns beim Aufbau des Leibes Christi helfen. Hier in Rom wurde dieses Jahr im vergangenen Monat die 7. ordentliche Bischofssynode abgehalten. Sie, Herr Vorsitzender der ungarischen Bischofskonferenz, waren dabei anwesend, begleitet von einem geschätzten Beobachter, den ich aus den Laien Ihrer Nation ausgewählt hatte. Die Synode hat gründlicher die Lehre über Berufung und Sendung der Laien in der Kirche geprüft. Ihr seid ihre Hirten. Mit euch zusammen sind sie die unerläßlichen Arbeiter für die Ernte; und es geht nicht ohne sie. Sie liebt und schätzt sie als Söhne und Brüder und als Erben und Förderer der Hoffnung auf das ewige Leben. Vermehrt ihre Zahl und bildet sie so, daß sie mit Wissen und Können die ihnen obliegenden und von ihnen erwarteten Pflichten erfüllen. 5. Die religiöse Bildung wird weitere Ausbreitung gewinnen und auf allen Ebenen wirksamer werden, wenn Helfer und Mitarbeiter zur Hand sind, die ein gutes Beispiel geben. Wenn sie bereits in der Kindheit beginnt, wird die erste christliche Erziehung, die daheim ebenso wie in der Pfarrei und der Schule erfolgen soll, den Grund legen für den christlichen Charakter des späteren Erwachsenen. Die den Heranwachsenden erteilte Katechese wird sowohl darauf hinarbeiten, in ihnen Haltungen aufzubauen und Wissen grundzulegen über die Pflichten ihres künftigen Lebensstandes; wie auch auf die Treue zu Christus und seiner Kirche hinzielen, zu der sie sich in freier Wahl bewußt entscheiden sollen. Man muß den Jugendlichen hohe Ideale anbieten, nach denen sie streben sollen. Wer außer Christus könnte den Erwartungen 2056 AD-LIMINA-BES UCHE der Jugendlichen voll entsprechen? Junge Menschen verlangen nach einer gerechteren und friedvollen Welt. Christus aber ist die Gerechtigkeit und der Friede. Der Gedanke an die brüderlichen Beziehungen zwischen allen Menschen fasziniert sie. Christus aber hat uns zu Brüdern gemacht und uns die Würde der Gotteskinder zurückgegeben. Wenn sie den Jugendlichen also Christus vor Augen stellt, leistet die Kirche einen großen Beitrag zum Aufbau einer besseren und sichereren Gesellschaft. Versucht euch vorzustellen, welchen Nutzen die Gesellschaft daraus zieht, wenn die jungen Menschen gut auf die Ehe vorbereitet worden sind. Sie gehen dann ihre Ehe als unauflösliche Lebensgemeinschaft ein, deren Würde so groß ist, daß sie die natürliche Rangordnung übersteigt. So werden Ehescheidung und Abtreibung und viele andere soziale Übel unserer Zeit wirklich vermindert werden können. Als geistliche Lehrer des euch anvertrauten Volkes sorgt so für die Ausbildung der Jugendlichen, daß sie zuverlässige Christen, wie auch arbeitsame und aufrechte Bürger werden und schließlich Eltern,, die ihr Heim nach dem Beispiel der heiligen Familie von Nazaret gestalten. Bemüht euch auch, die Familien, welche diese jungen Menschen gründen werden, vor den verderblichen Einflüssen zu bewahren, die ihre Festigkeit und Heiligkeit bedrohen. Die Kirche wird euch dankbar sein, und ihr selber habt euch um die Gesellschaft wohlverdient gemacht. Wie ich euch in diesem Zusammenhang gern gestehe, konnte ich in dem kollegial ausgearbeiteten Aktionsplan eurer Bischofskonferenz feststellen, daß die Familienpastoral bei euch an erster Stelle steht. j . 6. Die echt christliche Familie aber ist das ursprüngliche Seminar. Hier werden Berufungen zum Priestertum und zu einem Leben gänzlicher Hingabe an Gott im rechten Sinn gepflegt. Ich bin mir wohl der ernsten Schwierigkeiten bewußt, die die ungarische Kirche als Folge einer ungenügenden Zahl von Priestern durchmacht. Die Zahl der Todesfälle übersteigt die der Weihen. In den letzten Jahren ist die Zahl der Seminaristen leicht angestiegen, aber sie bleibt weit entfernt von der notwendigen Zahl, wenn ausreichend Klerus verfügbar sein soll. Laßt daher nicht nach, dieses lebenswichtige Anliegen im Auge zu behalten und zu fördern. Bestimmt für dieses Apostolat gut geeignete Priester, die den Jugendlichen das Verlangen einzupflanzen vermögen, Christus und der Kirche aus ganzer Kraft zu dienen. Auf diesem Gebiet sind in Ungarn gewisse Initiativen und Versuche unternommen worden. Um Erfolg zu haben, müssen sie vom Gebet, dem guten Beispiel und der Hilfe der Familie begleitet werden. Ein erhebliches Ansteigen der Zahl der Priester wird sich aus dem Beispiel der Priester selbst ergeben, ihrer Lebensweise, ihrem Seeleneifer, ihrer moralischen Integrität und ihrer Liebe zur Kirche, der Braut 2057 AD-LIMINA-BESUCHE Christi und auch ihrer Braut. Heute übermittle ich auch ihnen einen brüderlichen herzlichen Gruß. Sie sind vom Herrn berufen und von ihm unserem Dienst zugestellt worden, das Volk zu evangelisieren, zu heiligen und zu leiten. Wir wollen für sie beten, ihre Schwierigkeiten verstehen und ihr Wirken schätzen. Wir wollen sie in Wort und Tat unterstützen und sie täglich enger in unsere eine große Sache einbeziehen. Diese Männer bilden unser Presbyterium, sie sind unsere unerläßlichen Ratgeber. Sie teilen unsere Erwartungen, Lasten und Freuden, wie die Apostel mit dem Meister. Das gottgeweihte Leben von Männern und Frauen ist ein weiterer Hinweis auf die Lebenskraft des Volkes Gottes. Die Evangelisierung eures Landes wurde von Ordensleuten begonnen und im Verlauf der Jahrhunderte haben die Ordensleute in den großen Konventen, in den Schulen und Pfarreien viel geleistet, um das christliche Erbe Ungarns zu bewahren, das es von seinem großen König, dem heiligen Stephan übernommen hat. Ich denke dankbar an sie und grüße sie besonders. Heute wirken sie in der Erziehung der Jugend, geben Zeugnis durch ihr Leben nach den evangelischen Räten und tragen viele Werke der Caritas. Gern hoffe ich, daß ihre Präsenz in wachsendem Maße von allen geschätzt und begrüßt wird. 7. In der ganzen Kirche feiern wir das Marianische Jahr, das bis zum kommenden August dauern wird. Ungarn nennt sich gern „Königreich Mariens“, und zahlreiche Kirchen im ganzen Land sind ihr geweiht. Im Monat September habt ihr eine nationale Wallfahrt zum Heiligtum von Mariapoecz bei Gelegenheit des Jubiläums der Diözese Hajudorog durchgeführt. Der Kardinalpräfekt der Kongregation für die Orientalischen Kirchen nahm an den Feierlichkeiten teil. Ich bin überzeugt, daß die Verehrung des ungarischen Volkes zur Mutter Gottes für das Leben der Kirche ein Unterpfand und eine sichere Hoffnung ist. Nährt daher die Frömmigkeit eurer Gläubigen mit einer gut geplanten Reihe von Veranstaltungen, um ihre Liebe zur Jungfrau Maria zu erneuern. Unter diesen Veranstaltungen besitzen die Wallfahrten zu Marienheiligtümern in diesen Monaten eine besondere Bedeutung. Im Jahr 1988 begehen wir auch das 950. Jahresgedächtnis des Todes des hl. Stephan. Mögen sein bedeutsames Leben, seine Leistungen zum Wohl eures Volkes, seine Klugheit, Weitsicht und Verbundenheit mit dem Sitz des Petrus, vor allem aber seine kindliche Verehrung der Muttergottes euch Beispiel und Trost sein. Liebe Brüder, am Ende dieses Überblicks über das religiöse Leben eurer Nation lege ich euch diesen abschließenden Gedanken nahe: In seinen Abschiedsworten beim letzten Abendmahl betete unser Herr Jesus, die Einheit der Apostel möge seine Einheit mit dem Vater widerspiegeln (Joh 17,21). Bewahrt durch das starke Band der Einheit zwischen euch und dem Nachfol- 2058 AD-LIMINA-BES UCHE ger des Petrus die Einheit und kollegiale Zusammenarbeit untereinander und fördert sie. Tauscht eure Erfahrungen aus; deutet in Eintracht die Zeichen der Zeit und denkt, immer vom Geist der Treue zur Kirche getragen, an die besonderen Bedürfnisse eures Volkes. Diese Einheit unter euch, den Hirten, soll den Kern und die Wurzel bilden für eure vollkommene kirchliche Einheit, die alle in Christus umfangt: Bischöfe, Priester, Ordensleute und gläubiges Volk. Ich rufe auf euch die Fürbitte des heiligen Stephan und aller Heiligen Ungarns herab. Ich empfehle euch dem mütterlichen Schutz der „Großen Frau der Ungarn“, und ich erteile euch und euren Helfern sowie der ganzen ungarischen Kirche und eurer ganzen lieben ungarischen Nation meinen Apostolischen Segen. Kleriker, Ordensleute und Laien sind zur Heiligkeit berufen Ansprache an die Bischöfe von Zentralafrika anläßlich ihres Ad-limina-Besu-ches am 7. November Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Herzlich danke ich Msgr. Joachim N’Dayen, der im Namen der ganzen Bischofskonferenz von Zentralafrika eben durch seine Worte der Gemeinschaft Ausdruck gegeben hat, die eure Einzelkirchen mit dem Sitz in Rom verbindet. Ich erwidere diese Worte mit meinen herzlichen Wünschen für jeden von euch, besonders für die zwei neuen Hirten, die kürzlich zur Fülle des Priestertums berufen wurden, Msgr. Jerome Martin für die Diözese Berberati, die ihm schon vertraut war, und Msgr. Edouard Mathos, der Weihbischof von Bossangoa ist. Im Verlauf meiner Pastoraireise in Afrika im August 1985 war ich sehr darauf bedacht, mich, wenn auch nur kurz, in Bangui aufzuhalten. Sehr beeindruckt haben mich die Prüfungen, die euer Land mitgemacht hat, die Isolierung, unter der es leiden mußte, und die Hoffnung, die die Kirche dort in ihrer begonnen apostolischen Arbeit nährt. Ich wollte euch die Wertschätzung und Ermunterung des Nachfolgers Petri übermitteln. In guter Erinnerung bleibt mir diese Etappe meiner Reise sowie die schöne Eucharistifeier, die das Volk Gottes in Bangui vereint hat. Es ist an euch, gemeinsam mit den Priestern und Gläubigen die Früchte meines Besuches auszuwerten. 2059 AD-LIMINA-BES UCHE Heute kommt ihr nach Rom und gebt mir Gelegenheit, euch mit Freude zu empfangen. Es ist gut, diese Pilgerfahrt gemeinsam zu machen. Abgesehen von den Vollversammlungen eurer Konferenz arbeiten die einzelnen Teilnehmer ja räumlich weit voneinander entfernt, die Kommunikationsmittel funktionieren schlecht und der Dienst reibt euch auf. So ist es auch für euch tröstlich, die Gräber der Apostel Petrus und Paulus zu besuchen, sowie eure Gemeinschaft mit dem ganzen Bischofskollegium zu erneuern. 2. In fünf Jahren feiert ihr dankbar hundert Jahre seit der ersten Evangelisierung an den Ufern des Oubangui. Eure Kirche verdankt ihr Entstehen dem missionarischen Eifer mutiger Pioniere aus Europa, die ungeduldig darauf brannten, eurem Volk die Frohbotschaft vom Heil, die sie selbst empfangen hatten, mitzuteilen. Sie setzten ihre Hoffnung auf den Heiligen Geist, der in ihrem Dienst am Werke war. Die Früchte waren zahlreich. Neben anderen christlichen Brüdern ragen innerhalb eurer sechs Diözesen eine Reihe von katholischen Gemeinden besonders durch ihre Größe und Ausstrahlungskraft hervor. Viele von denen, die in eurem Land Verantwortung tragen, haben die humanistische Ausbildung, die die Kirche ihnen zugänglich gemacht hat, zu ihrem Vorteil übernommen. Mit euch denke ich anerkennend an die Missionsgenossenschaften. Ihre Mitglieder habe unaufhörlich für die Einpflanzung der Kirche und die zentralafrikanischen Christen gearbeitet, damit diese selbst Boten des Evangeliums werden. Unter anderem sind hier die Spiritaner, die Kapuziner, die Kombo-nianer und die Maristen zu nennen, zu denen noch die Priester von „Fidei do-num“ kommen. Ich weiß auch um den kostbaren Beitrag, den heute zahlreiche freiwillige Laienmissionare leisten. Ich freue mich darüber und wünsche mit euch, daß sie ihre immer notwendige Aufgabe weiterführen. Sie übersehen natürlich nicht, daß die Zentralafrikaner mehr und mehr ihre Kirche selbst in die Hand nehmen müssen. Wir waren glücklich nach Msgr. Joachim N’Dayen, der seit langem in der Bischofskonferenz und im Lande eine erstrangige Rolle spielt, einen zweiten zentralafrikanischen Bischof, nämlich Msgr. Edouard Mathos, ernennen zu können. Wir wünschen, daß die Zahl der Priester aus eurer Diözese wächst, damit sie einen größeren Anteil am pa-storalen Dienst und bei der Evangelisierung übernehmen können. In enger Zusammenarbeit mit den Laien können sie immer besser die Annahme der Botschaft des Evangeliums in einer Sprache mitteilen, die das Beste aus der jahrhundertealten Weisheit eurer Region beinhaltet. 3: Die Synode, die in Rom zu Ende geht, wird natürlich das vielfältige Apostolat der Laien, das sich bei euch, vor allem seit 30 Jahren, gut entwickelt hat, ermutigen. Die Versammlungen von 1982 waren ein Beweis dafür. 2060 AD-LIMINA-BESUCHE Die Christen können im Sinn des Evangeliums der Sauerteig der Gesellschaft sein, wo sie kleine Gruppen bilden, die gut in das Dorf oder das Stadtviertel eingefügt und mit der Pfarrei verbunden sind. Darum setzt euch dafür ein, den Glauben nicht vom Leben zu trennen. Dies ist zu erreichen, wenn sich eine entsprechende Anzahl von Laien aktiv in der menschlichen Gemeinschaft engagiert. Konkret können die Laien dafür arbeiten, daß jeder entsprechende Nahrung bekommt, sie können Gesundheitsdienste leisten, schulische und technische Bildung anbieten und sich außerdem für Anstellung und bessere Lebensverhältnisse einsetzen. Diese Bemühungen liegen ganz auf der Linie dessen, was die Synode kürzlich verlautbart hat: „In das Modell der Heiligkeit der Laien muß die soziale Dimension und die Umformung der Gesellschaft nach dem Plan Gottes integriert werden.“ (Schlußbotschaft, Nr. 4). Indem ich die Kirche für ihren Beitrag zur Förderung des Gemeinwohls in der Republik Zentralafrika beglückwünsche, lade ich die Katholiken ein, immer noch mehr im öffentlichen Leben präsent zu sein, um ihrerseits zum echten Fortschritt der menschlichen Person im Geist des Evangeliums beizutragen. Durch die christliche Formung des Gewissens wird tatsächlich der Sinn für Gerechtigkeit und Wahrheit, für Ehrenhaftigkeit und selbstlosen Dienst geweckt. Durch ihre Lehren zu Glauben und Sitte sowie durch die christlichen Bewegungen leistet die Kirche eine wirksame Hilfe für Reflexion und Aktion. Wir denken hier an das engagierte Bemühen unter anderem der christlichen Studentenjugend und der christlichen Landjugend, der Pfadfinder, der „wachenden Herzen“ und „wachenden Seelen“, der Legion Mariens und der Lehrervereinigungen. Unsere Sorge als Hirten zielt darauf hin, den Christen und zumal den Führungskräften eine möglichst gute Ausbildung zu verschaffen. Dazu gehört eine Vertiefung des Glaubens im Lichte des Evangeliums und der Lehre der Kirche, ein Gebetsleben, ohne das die Aktion zum sozialen Aktivismus oder zu reiner Philanthropie würde, endlich eine häufige und gut vorbereitete Teilnahme an den Sakramenten. 4. Gleichzeitig müssen die Dienstader Kirche, an denen die.gut ausgebildeten Laien beteiligt sind, sichergestellt werden. Hier spielen die Katechisten oder andere Verantwortliche für die Ausbildung der Katechumenen, für die geistliche Begleitung der lugendlichen und die Stütze des Gebetes der Gemeinde weiter eine wichtige Rolle. Ihr habt ihnen in jeder Diözese bemerkenswerte Ausbildungszentren zur Verfügung gestellt. Darüber dürft ihr nicht die Pflicht der ausdrücklichen Verkündigung des Evangeliums für so viele Landsleute vergessen, die es noch nicht kennen. Die 2061 AD-LIMINA-BESUCHE Mission hat nichts von ihrer Dringlichkeit verloren. Bei den Getauften gilt es diesen missionarischen Sinn zu entfalten. 5. Eine zentrales Anliegen eures Priesterdienstes muß die Ausbildung oder Animation der Laien sein. Ermuntert dazu die Priester eurer Diözesen herzlich in meinem Namen. Vergeht auch nicht jene, die aus anderen Ländern stammen und mit euch Zusammenarbeiten. Mögen sie immer mehr die Gnade ihres Priestertums und die Schönheit ihrer Sendung für das Heil ihrer Brüder und Schwestern wertschätzen! Mögen sie dieser Sendung all ihre Kräfte, ihre Zeit und ihr Herz widmen! Auf diese Weise werden sie auch eine ähnliche Hingabe in den Jugendlichen zu wecken vermögen, die berufen sind, sich ihnen anzuschließen. Mögen sie in gegenseitiger Hochachtung und in brüderlicher Zusammenarbeit über alle Unterschiede der Herkunft und der Verschiedenheit der apostolischen Methoden hinweg leben! Mögen sie in ihrem Bischof immer einem Vater begegnen, der für ihre Bemühungen und die Schwierigkeiten eines jeden aufmerksam ist, einen eifrigen Wächter über die Treue aller in der Lehre des Glaubens und in der Feier der Sakramente, wie es die Kirche will, einen Hirten, der beauftragt ist, sie in Gemeinschaft zu versammeln und im apostolischen Eifer zu erhalten! 6. Was die Ausbildung der Seminaristen angeht, seid ihr jetzt in der glücklichen Lage, über ein philosophisches Seminar in Bangui zu verfügen und vielleicht einen Ausbau zu erleben. Ich wünsche euch, daß ihr nicht nur die notwendigen Mittel findet, sondern vor allem Lehrkräfte und geeignete Erzieher. Die Vorbereitung der künftigen Priester muß Priorität haben: Sie entscheidet über die Zukunft. Ihr habt ferner viele Fragen zur Situation der Berufe zum gottgeweihten Leben, vor allem unter den jungen Mädchen, gestellt. Ich hoffe, daß am Ende einer solch mutigen Überprüfung des Lebens die Erzieher dieser Berufe und die Jugendlichen selbst die angedeuteten Hindernisse überwinden können und jene anspruchsvolle Ausbildung bejahen, die der Gnade, von Gott gerufen zu sein, entspricht. Ihr habt im übrigen auch zahlreiche positive Elemente genannt. Eine größere Zahl von Schwestern wäre ein Segen für euer Land. Leistungen wie jene der Kleinen Schwestern vom Herzen Jesu gehören zu den verheißungsvollen Zeichen. 7. Das Wecken und die Beharrlichkeit der Berufungen zum Priester- und Ordensstand sind schwierig geworden, weil die Jugendlichen im allgemeinen angesichts aller Art von Versuchungen, die ihre Überzeugung bedrohen, verwirrt sind. Oft gilt es, die nachlassenden Kräfte angesichts der Apathie oder 2062 AD-LIMINA-BES UCHE des allgemeinen Sichgehenlassens und vor allem angesichts einer beruflich sehr ungewissen Zukunft neu zu beleben. Ihr seid euch wohl des Dilemmas der Jugendlichen bewußt, auf das ich in Bangui eingegangen bin. Die Familie, die traditionelle Umgebung und die Schule schaffen es leider nicht mehr in genügendem Maße, einen Sinn für das Leben anzubieten. Und der Mangel an regelmäßigem Religionsunterricht in der Schule schafft eine geistige Leere. Die Bewegungen der Katholischen Aktion ersetzen nicht eine Glaubensunterweisung für alle. Es gilt, Mittel zu finden, um die jungen Christen zu bilden und zu unterstützen, um ihnen wieder Hoffnung zu geben. 8. Bei euch ist die Familienpastoral wie in allen Ländern Afrikas ein ebenso schwer anzustrebendes wie höchst wichtiges Ziel. Die Verbände christlicher Eheleute bieten einen anregenden Beitrag. Ich weiß auch um die Mühe, die ihr euch als Hirten macht, um den künftigen Eheleuten oder den Ehepaaren bei der Überwindung der Hindernisse zu helfen, damit sie sich in Freiheit auf die Annahme der Gnade des Ehesakramentes vorbereiten, in dem sie sich gegen- - seitig gänzlich, ausschließlich und fruchtbar schenken wollen. Die letzte Synode hat erneut den unvergleichlichen Stellenwert der Familie als „echte Hauskirche, wo man gemeinsam betet, beispielhaft das Gebot der Liebe vorlebt, und wo man das Leben annimmt, achtet und schützt“ (Schlußbotschaft, Nr. 7), herausgestellt. 9. Alle sind zur Heiligkeit berufen: Kleriker, Ordensleute und Laien. Dies war ebenfalls eines der Leitmotive unserer Synodenversammlung. Wir müssen als Hirten den Ehrgeiz haben, das ganze uns anvertraute Volk zur Heiligkeit zu führen. Die echte Förderung der Männer und Frauen findet in dieser Heiligkeit, die das Alltagsleben nach dem Beispiel der Jungfrau Maria prägt, die sich dem Willen Gottes in vollkommenem Glauben und in vollkommener Liebe gleichförmig gemacht hat, ihre Erfüllung. Liebe Brüder im Bischofsamt! Möge der Herr die Pastoralarbeit, die ihr gemeinsam mit den Priestern, den Ordensmännem und Ordensfrauen und den Laien eurer Diözese leistet, in diesem Sinn fruchtbar machen! Meinerseits segne ich euch aus ganzem Herzen, wie auch alle, die mit euch im Dienst am Evangelium Zusammenarbeiten. 2063 V Erklärungen der Kongregationen Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung Antworten auf einige aktuelle Fragen vom 10. März 1987 KONGREGATIONEN Vorwort Die Kongregation für die Glaubenslehre ist von verschiedenen Bischofskonferenzen wie auch von einzelnen Bischöfen, von Theologen, Ärzten und Vertretern der Wissenschaft bezüglich der Übereinstimmung der Grundsätze der katholischen Moral mit den biomedizinischen Techniken befragt worden, die Eingriffe in die Anfangsphase des menschlichen Lebens und in die Fortpflanzungsvorgänge selbst ermöglichen. Die vorliegende Instruktion, Frucht einer umfangreichen Befragung und besonders einer sorgfältigen Bewertung bischöflicher Erklärungen, will nicht die gesamte Lehre der Kirche über die Würde des beginnenden menschlichen Lebens und der Fortpflanzung neu vorlegen, sondern möchte im Licht der vorangegangenen Aussagen des Lehramtes spezifische Antworten auf die in diesem Zusammenhang hauptsächlich erhobenen Fragen bieten. Die Darlegung ist wie folgt gegliedert: Eine Einführung ruft die grundlegenden anthropologischen und moralischen Prinzipien in Erinnerung, die für eine angemessene Bewertung der Probleme und für die Ausarbeitung der Antworten auf diese Fragen notwendig sind; der erste Teilhat die Achtung des menschlichen Wesens vom ersten Augenblick seiner Existenz an zum Thema; der zweite Teil begegnet den moralischen Fragestellungen, die die Eingriffe der Technik in die menschliche Fortpflanzung aufgeworfen haben; der dritte Teil bietet einige Orientierungen über die Beziehungen zwischen dem Sittengesetz und der staatlichen Gesetzgebung über die den menschlichen Embryonen und Föten <105>) geschuldete Achtung in bezug auf die Zulässigkeit der Techniken künstlicher Fortpflanzung. <105> Die Ausdrücke „Zygote“, „Prä-Embryo“, „Embryo“ und „Fötus“ können in der Be-grifflichkeit der Biologie aufeinanderfolgende Entwicklungsstadien eines menschlichen Wesens bedeuten. Die vorliegende Instruktion macht von diesen Begriffen ohne Scheu Gebrauch, indem sie jedem von ihnen die gleiche ethische Bedeutung zuweist, um die Frucht der menschlichen Zeugung, sei sie nun sichtbar oder nicht, vom ersten Augenblick ihrer Existenz an bis zur Geburt zu bezeichnen. Der Grund für diesen Sprachgebrauch wird im Text erklärt (vgl. I, 1). 2068 KONGREGATIONEN Einführung 1. Die biomedizinische Forschung und die Unterweisung der Kirche Das Geschenk des Lebens, das Gott als Schöpfer und Vater dem Menschen anvertraut hat, verlangt von diesem, sich des unschätzbaren Wertes solchen Lebens bewußt zu werden und die Verantwortung dafür zu übernehmen: Dieses grundlegende Prinzip muß in den Mittelpunkt der Überlegung gestellt werden, um die moralischen Probleme zu klären und zu lösen, die die künstlichen Eingriffe in das beginnende Leben und in die Fortpflanzungsvorgänge aufgeworfen haben. Dank des Fortschritts der biologischen und medizinischen Wissenschaften kann der Mensch über immer wirksamere therapeutische Mittel verfügen, aber er kann auch neue Macht erwerben, mit unvorhersehbaren Folgen für das menschliche Leben an seinem Beginn selbst und in seinen ersten Stadien. Verschiedene Verfahren ermöglichen heute Eingriffe nicht nur zur Unterstützung, sondern auch zur Beherrschung der Fortpflanzungsvorgänge. Derartige Techniken gestatten es dem Menschen, „sein eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen“, aber sie setzen ihn auch „der Versuchung aus, die Grenzen einer vernunftgemäßen Herrschaft über die Natur zu überschreiten“.1 So sehr sie einen Fortschritt im Dienst am Menschen bedeuten können, bringen sie doch auch schwerwiegende Risiken mit sich. Von vielen kommt daher ein dringender Aufruf, bei den Eingriffen in die Fortpflanzung mögen die Werte und Rechte der menschlichen Person gewahrt werden. Die Anfragen nach Klärung und Orientierung kommen nicht nur von den Gläubigen, sondern auch von denen, die jedenfalls eine Sendung der Kirche, die „erfahren in allem Menschlichen“2 ist, im Dienst der „Zivilisation der Liebe“3 und des Lebens anerkennen. Das Lehramt der Kirche tritt nicht im Namen einer besonderen Kompetenz im Bereich der Naturwissenschaften auf, sondern will, nach Kenntnisnahme der Daten der Forschung und Technik, ihrem vom Evangelium kommenden Auftrag und ihrer apostolischen Pflicht gemäß die Morallehre vorlegen, die der Würde der Person und ihrer ganzheitlichen Berufung entspricht. Sie tut es, indem sie die moralischen Urteilskriterien für die Anwendung der wissenschaftlichen Forschung und besonders der auf das menschliche Leben und seine Anfänge bezogenen Technik darlegt. 2069 KONGREGATIONEN Solche Kriterien sind die Achtung, die Verteidigung und die Förderung des Menschen, sein „ursprüngliches und grundlegendes Recht“ auf Leben,4 seine Würde als Person, mit einer Geistseele begabt, mit moralischer Verantwortung5 ausgestattet und zur seligen Gemeinschaft mit Gott gerufen. Das Eingreifen der Kirche ist auch in diesem Bereich getragen von der Liebe, die sie dem Menschen schuldet, dem sie hilft, seine Rechte und Pflichten zu erkennen und zu achten. Diese Liebe nährt sich aus den Quellen der Liebe Christi: Indem sie das Geheimnis des fleischgewordenen Wortes betrachtet, erkennt die Kirche auch'das „Geheimnis des Menschen“;6 indem sie das Evangelium des Heiles verkündet, offenbart sie dem Menschen seine Würde und lädt ihn ein, seine Wahrheit in voller Weise zu entdecken. So legt die Kirche erneut das göttliche Gesetz vor, um das Werk der Wahrheit und Befreiung zu tun. Denn es geschieht aus Güte - um den Weg des Lebens zu weisen -, daß Gott den Menschen seine Gebote gibt und die Gnade, sie zu befolgen; und es ist ebenfalls aus Güte - um ihnen zu helfen, auf demselben Weg auszuharren -, daß Gott immer allen seine Vergebung anbietet. Christus hat Mitleid mit unserer Gebrechlichkeit: Er ist unser Schöpfer und unser Erlöser. Möge sein Geist die Herzen für das Geschenk des Friedens Gottes und für das Verständnis seiner Gebote öffnen. 2. Wissenschaft und Technik im Dienst an der menschlichen Person Gott hat den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen: „Als Mann und Frau schuf er sie“ ( Gen 1,27) und vertraute ihnen den Auftrag an, „die Erde zu beherrschen“ (Gen 1,28). Die wissenschaftliche Grundlagenforschung und die angewandte Forschung sind bezeichnender Ausdruck dieser Herrschaft des Menschen über die Schöpfung. Wissenschaft und Technik, kostbare Hilfen für den Menschen, wenn sie sich in seinen Dienst stellen und seine umfassende Entwicklung zum Wohle aller fördern, können nicht für sich allein den Sinn des Daseins und des menschlichen Fortschritts aufzeigen. Auf den Menschen hingeordnet, dem sie ihr Entstehen und ihr Wachstum verdanken, empfangen sie von der Person und ihren moralischen Werten her den Aufweis ihrer Zielsetzung und das Bewußtsein ihrer Grenzen. Es wäre deshalb illusorisch, die moralische Neutralität der wissenschaftlichen Forschung und ihrer Anwendungen zu fordern; andererseits kann 2070 KONGREGATIONEN man die Orientierungsmaßstäbe nicht aus der bloßen technischen Effizienz ableiten, noch von dem Nutzen, den sie einigen zum Schaden anderer bringen können oder, noch schlimmer, von den herrschenden Ideologien. Daher erfordern Wissenschaft und Technik aus ihrer innersten Bestimmung heraus die unbedingte Achtung der grundlegenden Kriterien der Moral: Sie müssen also im Dienst der menschlichen Person stehen, ihrer unveräußerlichen Rechte sowie ihres wahren und ganzheitlichen Wohls gemäß dem Plan und dem Willen Gottes.7 Die rasche Entwicklung der technologischen Entdeckungen macht die Forderung nach Achtung der hier in Erinnerung gebrachten Kriterien noch drängender: Eine Wissenschaft ohne Gewissen kann zu nichts anderem führen als zum Untergang des Menschen. „Unsere Zeit braucht mehr als die vergangenen Jahrhunderte diese Weisheit, damit alle neuen Entdeckungen des Menschen auch immer menschlicher werden. Das künftige Geschick der Welt gerät nämlich in Gefahr, wenn nicht weisere Menschen hervortreten.“8 3. Anthropologie und Eingriffe auf biomedizinischem Gebiet Welche moralischen Maßstäbe muß man anlegen, um die heute im Umfeld der Biomedizin gestellten Probleme zu klären? Die Antwort auf diese Frage setzt eine angemessene Auffassung über die Natur der menschlichen Person in ihrer leiblichen Dimension voraus. Denn nur in der Richtung ihrer wahren Natur kann sich die menschliche Person als „geeinte Ganzheit“9 verwirklichen: Nun ist diese Natur aber zugleich leiblich und geistig. Kraft seiner substantiellen Vereinigung mit einer Geistseele kann der menschliche Leib nicht nur als ein Gefüge von Geweben, Organen und Funktionen angesehen noch auf gleiche Weise wie der Tierkörper bewertet werden, denn er ist konstitutiver Teil der Person, die sich durch ihn manifestiert und ausdrückt. Das natürliche Sittengesetz drückt die Ziele, Rechte und Pflichten aus, die sich auf die leibliche und geistige Natur der menschlichen Person gründen, und schreibt sie so zugleich vor. Deshalb kann es nicht als Normativität des bloß Biologischen angesehen, sondern muß als vernunftgemäße Ordnung definiert werden, der entsprechend der Mensch vom Schöpfer gerufen ist, sein Leben und seine Handlungen zu leiten und zu regeln und insbesondere den eigenen Leib zu gebrauchen und über ihn zu verfügen.10 Eine erste Schlußfolgerung kann aus diesen Prinzipien gezogen werden: Ein Eingriff am menschlichen Leib betrifft nicht nur die Gewebe, Organe und ihre Funktionen, sondern hat auch auf verschiedenen Ebenen mit der 2071 KONGREGATIONEN Person selbst zu tun. Und insofern trägt er auch moralische Bedeutung und Verantwortlichkeit, vielleicht implizit, aber doch wirklich. Johannes Paul II. bekräftigte vor dem Weltärztebund in aller Deutlichkeit: „Jeder Mensch besteht in seiner unwiederholbaren Einmaligkeit nicht nur aus Geist, sondern auch aus Leib. So berührt man im Leib und durch den Leib die Person als solche in ihrer konkreten Wirklichkeit. Die Würde des Menschen achten bedeutet demzufolge, diese Identität des aus Leib und Seele einen Menschen (corpore. et anima unus) zu wahren, wie das II. Vatikanische Konzil (Pastoralkonst. Gaudium etSpes, 14,1) sagt. Auf der Basis dieser anthropologischen Sicht muß man die grundlegenden Kriterien für die notwendigen Entscheidungen im Fall von Eingriffen finden, die nicht streng therapeutischer Art sind, zum Beispiel solchen, die eine Verbesserung der biologischen Beschaffenheit des Menschen zum Ziel haben.“11 Die Biologie und die Medizin tragen mit ihren Anwendungsformen zum ganzheitlichen Wohl des menschlichen Lebens bei, wenn sie der an Krankheit und Schwachheit leidenden Person in Achtung vor ihrer Würde als Geschöpf Gottes zu Hilfe kommen. Kein Biologe oder Arzt kann sich aufgrund seiner wissenschaftlichen Kompetenz vernünftigerweise anmaßen, über Ursprung und Ziel der Menschen zu entscheiden. Diese Norm muß man in besonderer Weise im Bereich von Sexualität und Fortpflanzung anwenden, in dem Mann und Frau die grundlegenden Werte des Lebens und der Liebe verwirklichen. Gott, der Liebe und Leben ist, hat Mann und Frau die Berufung zu einer besonderen Teilhabe an seinem Geheimnis personaler Gemeinschaft wie auch an seinem Werk als Schöpfer und Vater eingeprägt.12 Deshalb besitzt die Ehe spezifische Güter und Werte in bezug auf die Vereinigung und die Fortpflanzung, die nicht mit denen vergleichbar sind, welche bei niedrigeren Formen des Lebens bestehen. Solche Werte und Sinngehalte der personalen Ordnung bestimmen aus moralischer Sicht den Sinn und die Grenzen künstlicher Eingriffe in die Fortpflanzung und den Ursprung menschlichen Lebens. Diese Eingriffe sind nicht etwa deshalb abzulehnen, weil sie künstlich sind. Insofern zeigen sie die Möglichkeiten ärztlicher Kunst auf, aber man muß sie aus moralischer Sicht bewerten, indem man sie auf die Würde der menschlichen Person bezieht, die gerufen ist, die göttliche Berufung zum Geschenk der Liebe und zum Geschenk des Lebens zu verwirklichen. 2072 KONGREGATIONEN 4. Grundlegende Kriterien für ein moralisches Urteil ■ Die grundlegenden Werte, die mit den Techniken der künstlichen Fortpflanzung verbunden sind, sind zwei: das Leben des menschlichen Wesens, das ins Dasein gerufen wird, und die Einzigartigkeit seiner Weitergabe in der Ehe. Das moralische Urteü über solche Techniken künstlicher Zeugung muß infolgedessen in Bezugnahme auf diese Werte formuliert werden. Das physische Leben, durch das der menschliche Lebensweg in der Welt beginnt, schöpft sicherlich in sich nicht den ganzen Wert der Person aus, noch stellt es das höchste Gut des Menschen dar, der zur Ewigkeit berufen ist. Trotzdem ist es in gewisser Weise der „fundamentale“ Wert, gerade weil sich alle anderen Werte der menschlichen Person auf das physische Leben gründen und sich von da aus entfalten.13 Die Unverletzlichkeit des Rechts auf Leben des unschuldigen menschlichen Wesens „vom Augenblick der Empfängnis an bis zum Tode“14 ist ein Zeichen und ein Erfordernis der Unverletzlichkeit der Person selbst, der der Schöpfer das Geschenk des Lebens gemacht hat. Im Vergleich mit der Weitergabe der anderen Lebensformen im Universum hat die Weitergabe des menschlichen Lebens ihre Einzigartigkeit, die sich aus der Einzigartigkeit der Person selbst ableitet. „Die Weitergabe des menschlichen Lebens ist von Natur aus einem personalen und bewußten Akt anvertraut und als solcher den heiligsten Gesetzen Gottes unterstellt. Diese Gesetze sind unveränderlich und unverletzlich; niemand darf sie mißachten und übertreten. Darum darf man keine Mittel gebrauchen und keinen Methoden folgen, die bei der pflanzlichen und tierischen Fortpflanzung erlaubt sein können“.15 Die Fortschritte der Technik haben heute eine Zeugung ohne sexuelle Beziehung ermöglicht, und zwar mittels des Zusammenführens der Keimzellen in vitro, die zuvor von Mann und Frau gewonnen wurden. Aber das, was technisch möglich ist, ist nicht auch deshalb schon moralisch annehmbar. Die Besinnung der Vernunft auf die grundlegenden Werte des Lebens und der menschlichen Fortpflanzung ist infolgedessen unentbehrlich, um zu einer moralischen Wertung solcher Eingriffe der Technik am menschlichen Wesen schon von den ersten Stadien seiner Entwicklung an zu kommen. 2073 KONGREGATIONEN 5. Unterweisungen des Lehramtes Das Lehramt der Kirche bietet seinerseits auch in diesem Bereich der menschlichen Vernunft das Licht der Offenbarung an: Die Lehre vom Menschen, wie sie das Lehramt darlegt,-enthält viele Elemente, welche die hier anstehenden Probleme erhellen. Vom Augenblick der Empfängnis an muß jedes menschliche Wesen in absoluter Weise geachtet werden, weil der Mensch auf der Erde die einzige Kreatur ist, die Gott „um ihrer selbst willen gewollt“ hat, und die Geistseele jedes Menschen von Gott „unmittelbar geschaffen“ ist; sein ganzes Wesen trägt das Abbild des Schöpfers. Das menschliche Leben ist heilig, weil es von seinem Beginn an „der Schöpfermacht Gottes“ bedarf und für immer in einer besonderen Beziehung zu seinem Schöpfer bleibt, seinem einzigen Ziel. Nur Gott ist der Herr des Lebens von seinem Anfang bis zu seinem Ende: Niemand darf sich, unter keinen Umständen, das Recht anmaßen, ein unschuldiges menschliches Wesen direkt zu zerstören. Die menschliche Fortpflanzung erfordert das verantwortliche Mitwirken der Eheleute mit der fruchtbaren Liebe Gottes; das Geschenk des menschlichen Lebens muß innerhalb der Ehe mittels der spezifischen und ausschließlichen Akte der Eheleute verwirklicht werden gemäß den Gesetzen, die ihnen als Personen und ihrer Vereinigung eingeprägt sind. 2074 KONGREGATIONEN I. Die Achtung vor dem menschlichen Embryo Eine aufmerksame Betrachtung dieser Unterweisung des Lehramts und der oben erwähnten Vernunfterkenntnisse erlaubt eine Antwort auf die vielfältigen moralischen Probleme zu geben, die durch die technischen Eingriffe am menschlichen Wesen in den Anfangsstadien seines Lebens und in die Abläufe seiner Empfängnis aufgeworfen wurden. 1. Welche Achtung schuldet man dem menschlichen Embryo aufgrund seiner Natur und seiner Identität? Jedes menschliche Wesen muß — als Person — vom ersten Augenblick seines Daseins an geachtet werden. Die Einführung von Verfahren der künstlichen Befruchtung hat verschiedenartige Eingriffe an menschlichen Embryonen und Föten möglich gemacht. Die verfolgten Ziele sind verschiedener Natur, nämlich diagnostischer und therapeutischer, wissenschaftlicher und kommerzieller Art. Aus alldem entstehen schwerwiegende Probleme. Kann man von einem Recht sprechen, Experimente an menschlichen Embryonen zu wissenschaftlichen Forschungszwecken vorzunehmen? Welche Normen oder welche Gesetzgebung müssen für diese Materie erarbeitet werden? Die Antwort auf solche Probleme setzt eine vertiefte Reflexion über die Natur und die wahre Identität - man spricht vom „Status“ - des menschlichen Embryos voraus. Die Kirche hat ihrerseits auf dem II. Vatikanischen Konzil dem heutigen Menschen von neuem ihre gleichbleibende und sichere Lehre vorgelegt, wonach das „menschliche Leben von der Empfängnis an mit höchster Sorgfalt zu schützen ist. Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuungswürdige Verbrechen“. Jüngst erklärte die vom Hl. Stuhl veröffentlichte Charta der Familienrechte: „Menschliches Leben muß vom Augenblick der Empfängnis an absolut geachtet und geschützt werden.“ Diese Kongregation weiß um die aktuellen Diskussionen über den Beginn des menschlichen Lebens, über die Individualität von menschlichen Wesen und über die Identität der menschlichen Person. Sie erinnert an die Lehren, die in der Erklärung zur vorsätzlichen Abtreibung enthalten sind: „Von dem Augenblick an, in dem die Eizelle befruchtet wird, beginnt ein neues Leben, welches weder das des Vaters noch das der Mutter ist, sondern das eines neuen menschlichen Wesens, das sich eigenständig entwickelt. Es würde niemals menschlich werden, wenn es das nicht schon 2075 KONGREGATIONEN von diesem Augenblick an gewesen wäre. Die neuere Genetik bestätigt diesen Sachverhalt, der immer eindeutig war . . in eindrucksvoller Weise. Sie hat gezeigt, daß schon vom ersten Augenblick an eine feste Struktur dieses Lebewesens vorliegt: eines Menschen nämlich, und zwar dieses konkreten menschlichen Individuums, das schon mit all seinen genau umschriebenen charakteristischen Merkmalen ausgestattet ist. Mit der Befruchtung beginnt das Abenteuer des menschlichen Lebens, dessen einzelne bedeutende Anlagen Zeit brauchen, um richtig entfaltet und zum Handeln bereit zu werden“. Diese Lehre bleibt gültig und wird außerdem, wenn dies noch notwendig wäre, von neueren Forschungsergebnissen der Humanbiologie bestätigt, die anerkennt, daß in der aus der Befruchtung hervorgehenden Zygote sich die biologische Identität eines neuen menschlichen Individuums bereits konstituiert hat. Sicherlich kann kein experimentelles Ergebnis für sich genommen ausreichen, um eine Geistseele erkennen zu lassen; dennoch liefern die Ergebnisse der Embryologie einen wertvollen Hinweis, um mit der Vernunft eine personale Gegenwart schon von diesem ersten Erscheinen eines menschlichen Wesens an wahrzunehmen: Wie sollte ein menschliches Individuum nicht eine menschliche Person sein? Das Lehramt hat sich nicht ausdrücklich auf Aussagen philosophischer Natur festgelegt, bekräftigt aber beständig die moralische Verurteilung einer jeden vorsätzlichen Abtreibung. Diese Lehre hat sich nicht geändert und ist unveränderlich. Deshalb erfordert die Frucht der menschlichen Zeugung vom ersten Augenblick ihrer Existenz an, also von der Bildung der Zygote an, jene unbedingte Achtung, die man dem menschlichen Wesen in seiner leiblichen und geistigen Ganzheit sittlich schuldet. Ein menschliches Wesen muß vom Augenblick seiner Empfängnis an als Person geachtet und behandelt werden, und infolgedessen muß man ihm von diesem selben Augenblick an die Rechte der Person zuerkennen und darunter vor allem das unverletzliche Recht jedes unschuldigen menschlichen Wesens auf Leben. Dieser Verweis auf die kirchliche Lehre liefert das grundlegende Kriterium für die Lösung der verschiedenen Probleme, die durch die Entwicklung der biomedizinischen Wissenschaften auf diesem Gebiet entstanden sind: Da er als Person behandelt werden muß, muß der Embryo im Maß des Möglichen wie jedes andere menschliche Wesen im Rahmen der medizinischen Betreuung auch in seiner Integrität verteidigt, versorgt und geheilt werden. 2076 KONGREGATIONEN 2. Ist die vorgeburtliche Diagnostik moralisch erlaubt? Wenn die vorgeburtliche Diagnostik das Leben und die Integrität des Embryos und des menschlichen Fötus achtet und auf dessen individuellen Schutz oder Heilung ausgerichtet ist, ist die Antwort positiv. Die vorgeburtliche Diagnostik läßt tatsächlich den Zustand des Embryos und des Fötus erkennen, solange er sich noch im Mutterleib befindet. Sie erlaubt die frühzeitigere und wirksamere Durchführung oder Planung einiger therapeutischer, medizinischer oder chirurgischer Eingriffe. Eine solche Diagnostik ist erlaubt, wenn die angewandten Methoden -mit der Zustimmung der entsprechend informierten Eltern - das Leben und die Integrität des Embryos und seiner Mutter wahren, ohne sie unverhältnismäßigen Risiken auszusetzen. Aber sie steht in schwerwiegender Weise im Gegensatz zum Moralgesetz, falls sie — je nachdem, wie die Ergebnisse ausfallen - die Möglichkeit in Erwägung zieht, eine Abtreibung durchzuführen. So darf eine Diagnose, die das Bestehen einer Mißbildung oder einer Erbkrankheit anzeigt, nicht gleichbedeutend mit einem Todesurteil sein. Deshalb würde die Frau schwerwiegend unerlaubt handeln, die die Diagnostik mit der bestimmten Absicht verlangte, eine Abtreibung vorzunehmen, falls die Resultate das Vorhegen einer Mißbildung oder Anomalie bestätigten. In gleicher Weise würden der Ehegatte, die Eltern oder jeder andere gegen die Moral handeln, falls sie der Schwangeren die Diagnose mit dem gleichen Ziel rieten oder auferlegten, gegebenenfalls bis zur Abtreibung zu gehen. Genauso würde sich der Spezialist der unerlaubten Beihilfe schuldig machen, der beim Durchführen der Diagnose und beim Mitteilen des Ergebnisses absichtlich dazu beitrüge, eine Verbindung zwischen vorgeburtlicher Diagnose und Abtreibung herzustellen. Verurteilen muß man schließlich als Verletzung des Rechts auf Leben in bezug auf den Ungeborenen und als Eindringen in die ursprünglichen Rechte und Pflichten der Eheleute eine Richtlinie oder ein Programm der staatlichen Autoritäten des Gesundheitswesens oder wissenschaftlicher Organisationen, die in irgendeiner Weise die Verbindung zwischen vorgeburtlicher Diagnose und Abtreibung begünstigten oder sogar die Schwangeren dazu brächten, sich einer planmäßigen vorgeburtlichen Diagnostik mit dem Zweck zu unterziehen, Föten, die von Mißbildungen oder Erbkrankheiten betroffen sind bzw. solche übertragen, zu vernichten. 2077 KONGREGATIONEN 3. Sind therapeutische Eingriffe am menschlichen Embryo erlaubt? Wie bei jedem medizinischen Eingriff an Patienten müssen die Eingriffe am menschlichen Embryo unter der Bedingung als erlaubt angesehen werden, daß sie das Leben und die Integrität des Embryos achten und für ihn nicht unverhältnismäßige Risiken mit sich bringen, sondern seine Heilung, die Besserung seines Gesundheitszustandes oder sein individuelles Überleben zum Ziel haben. Welcher Art auch immer die medizinische Therapie ist, sei sie nun chirurgischer oder anderer Natur, ist die nach entsprechender Information freie Zustimmung der Eltern erforderlich, gemäß den im Fall von Kindern vorgesehenen berufsethischen Regeln. Die Anwendung dieses moralischen Prinzips kann im Fall des Lebens von Embryonen oder von Föten subtile und besondere Vorsichtsmaßnahmen erfordern. Die Erlaubtheit und die Kriterien für solche Eingriffe sind von Johannes Paul II. klar ausgedrückt worden: „Ein rein therapeutischer Eingriff, dessen Zweck die Heilung verschiedener Krankheiten ist - wie etwa jener, der auf Mißbildungen der Chromosomen zurückzuführen sind -, kann grundsätzlich als wünschenswert betrachtet werden, vorausgesetzt, daß er auf eine wahre Förderung des persönlichen Wohles des Individuums zielt, ohne seine Integrität zu verletzen oder seine Lebensbedingungen zu verschlechtern. Ein solcher Eingriff entspricht tatsächlich in seiner Logik der Tradition der christlichen Moral“. 4. Wie sind Forschung und Experimente mit menschlichen Embryonen und Föten moralisch zu bewerten? Die medizinische Forschung muß sich der Eingriffe in lebende Embryonen enthalten, es sei denn, es bestehe die moralische Sicherheit, daß weder dem Leben noch der Integrität des Ungeborenen und der Mutter ein Schaden droht, und unter der Bedingung, daß die Eltern nach entsprechender Information ihre freie Zustimmung zu diesem Eingriff gegeben haben. Daraus folgt, daß jede Forschung, auch wenn sie sich lediglich auf die Untersuchung des Embryos beschränkte, unerlaubt würde, wenn sie wegen der angewandten Methoden oder der herbeigeführten Wirkungen eine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit oder das Leben des Embryos bedeutete. In bezug auf die Experimente muß man die generelle Unterscheidung zwischen denjenigen voraussetzen, die keine direkten therapeutischen 2078 KONGREGATIONEN Zielsetzungen haben, und solchen, die eindeutig therapeutisch für das Subjekt selbst sind. Zum anderen muß man der Sache nach zwischen dem Experiment mit noch lebenden Embryonen und dem Experiment mit toten Embryonen unterscheiden. Wenn sie leben, müssen sie, ob lebensfähig oder nicht, wie alle menschlichen Personen geachtet werden; das nicht direkt therapeutische Experiment mit Embryonen ist unerlaubt, Keine Zielsetzung, auch wenn sie als solche ehrenwert ist, wie die Voraussicht eines Nutzens für die Wissenschaft, für andere menschliche Wesen oder für die Gesellschaft, kann in irgendeiner Weise Experimente mit noch lebenden Embryonen oder Föten rechtfertigen, seien sie nun lebensfähig oder nicht, im Mutterleib oder außerhalb von ihm. Die Zustimmung nach vorhergehender Information, die für klinische Versuche am Erwachsenen normalerweise verlangt wird, kann von den Eltern nicht geleistet werden; diese können weder über die körperliche Integrität noch über das Leben des Ungeborenen verfügen. Andererseits bringen Versuche mit Embryonen und Föten stets die Gefahr, ja sogar in der Mehrzahl der Fälle die sichere Voraussicht eines Schadens für ihre physische Integrität oder sogar ihres Todes mit sich. Den menschlichen Embryo oder den Fötus als Gegenstand oder Mittel für Experimente zu benutzen, stellt ein Verbrechen gegen deren Würde als menschliche Wesen dar, denen dasselbe Recht auf Achtung wie dem schon geborenen Kind und jeder menschlichen Person zusteht. Die vom Heiligen Stuhl veröffentlichte Charta der Familienrechte erklärt: „Die Achtung vor der Würde des menschlichen Wesens schließt jede Art von experimenteller Manipulation oder Verwertung des menschlichen Embryos aus“. Die Praxis, menschliche Embryonen in vivo oder in vitro für experimentelle oder kommerzielle Zwecke am Leben zu Erhalten, steht in völligem Widerspruch zur menschlichen Würde. Im Fall eines eindeutig therapeutischen Experiments kann die Zuhüfe-nahme von Pharmaka oder noch nicht vollständig erprobter Methoden erlaubt sein, wenn es sich nämlich um die Anwendung experimenteller Behandlungsmethoden zum Wohl des Embryos selbst handelt, um in einem letzten Versuch - mangels anderer sicherer Therapien - dessen Leben zu retten. Die Leichen menschlicher Embryonen und Föten, seien sie nun vorsätzlich abgetrieben oder nicht, müssen geachtet werden wie die sterblichen Überreste von anderen menschlichen Wesen. Besonders dürfen sie nicht Verstümmelungen oder Obduktionen ausgesetzt werden, solange , ihr Tod nicht mit Sicherheit festgestellt wurde, und nicht ohne die Zustimmung der Eltern oder der Mutter. Darüber hinaus muß immer die moralische 2079 KONGREGATIONEN Forderung bestehen bleiben, daß dabei keine Beihilfe zu einer gewollten Abtreibung stattgefunden hat und daß die Gefahr des Ärgernisses vermieden wird. Auch im Fall verstorbener Föten muß, wie bei den Leichen Erwachsener, jede kommerzielle Praxis als unerlaubt erachtet und verboten werden. 5. Wie ist die Benutzung der durch In-vitro-Befruchtung erlangten Embryonen zu Forschungszwecken moralisch zu bewerten? Die in vitro gezeugten Embryonen sind menschliche Wesen, und Rechtssubjekte: Ihre Würde und ihr Recht auf Leben müssen schon vom ersten Augenblick ihrer Existenz an geachtet werden. Es ist unmoralisch, menschliche Embryonen zum Zweck der Verwertung als frei verfügbares „biologisches Material“ herzustellen. In der üblichen Praxis der In-vitro-Befruchtung werden nicht alle Embryonen in den Mutterleib übertragen; einige werden zerstört. So wie sie die vorsätzliche Abtreibung verurteilt, verbietet die Kirche auch jeden Anschlag auf das Leben dieser menschlichen Wesen. Es ist nötig, auf die besondere Schwere der freiwilligen Zerstörung der menschlichen Embryonen hinzuweisen, die nur zum Zweck der Forschung — sei es mittels künstlicher Befruchtung, sei es mittels „Zwillingsspaltung“ - in vitro hergestellt worden sind. Der Forscher, der so handelt, setzt sich an die Stelle Gottes und macht sich, auch wenn er sich dessen nicht bewußt ist, zum Herrn des Geschicks anderer, insofern er sowohl nach Belieben auswählt, wen er leben läßt und wen er zum Tod verurteüt, als auch insofern er wehrlose Menschen umbringt. Aus demselben Grund sind Beobachtungs- und Versuchsmethoden, die in vitro gewonnenen Embryonen Schaden zufügen oder sie schwerwiegenden und unverhältnismäßigen Risiken aussetzen, moralisch unerlaubt. Jedes menschliche Wesen muß um seiner selbst willen geachtet werden und darf nicht auf den bloßen und einfachen Wert eines Mittels zum Vorteil anderer herabgewürdigt werden. Es entspricht deshalb nicht der Moral, in vitro hervor gebrachte menschliche Embryonen bewußt dem Tod auszusetzen. Infolge der Tatsache, daß sie in vitro hergestellt wurden, bleiben diese nicht in den Mutterleib übertragenen und als „überzählig“ bezeichneten Embryonen einem absurden Schicksal ausgesetzt, ohne Möglichkeit, ihnen sichere und moralisch einwandfreie Überlebensmöglichkeiten bieten zu können. 2080 KONGREGATIONEN 6. Welches Urteil ist über die anderen Verfahren zur Manipulation von Embryonen im Zusammenhang mit den „ Techniken menschlicher Reproduktion“ abzugeben? Die Techniken der /«-v/tro-Befruchtung können die Möglichkeit für andere Formen biologischer oder genetischer Manipulation menschlicher Embryonen eröffnen, und zwar: Versuche oder Pläne zur Befruchtung zwischen menschlichen und tierischen Keimzellen und zur Austragung menschlicher Embryonen in tierischen Gebärmüttern; das hypothetische Vorhaben oder den Plan, künstliche Gebärmütter für den menschlichen Embryo zu konstruieren. Diese Verfahren widersprechen der dem Embryo eigenen Würde als eines menschlichen Wesens und verletzen gleichzeitig das Recht jeder Person, innerhalb der Ehe und durch die Ehe empfangen und geboren zu werden? Auch die Versuche und Hypothesen, die darauf abzielen, ein menschliches Wesen ohne jede Verbindung mit der Sexualität mittels „Zwillingsspaltung“, Klonierens oder Parthenogenese zu gewinnen, stehen im Gegensatz zur Moral, weil sie sowohl der Würde der menschlichen Fortpflanzung als auch derjenigen der ehelichen Vereinigung widersprechen. Auch das Einfrieren der Embryonen, selbst wenn es zur Garantie der Lebenserhaltung des Embryos durchgeführt wird (Kryokonservierung), stellt eine Beleidigung der dem menschlichen Wesen geschuldeten Achtung dar, insofern es sie schwerwiegenden Gefahren des Todes oder der Schädigung ihrer physischen Integrität aussetzt, sie zumindest zeitweise der mütterlichen Aufnahme und Austragung entzieht und sie einer von weiteren Verletzungen und Manipulationen bedrohten Lage aussetzt. Einige Versuche, in das chromosomale oder das genetische Gut einzugreifen, sind nicht therapeutischer Natur, sondern zielen auf die Produktion menschlicher Wesen, die nach dem Geschlecht oder anderen vorher festgelegten Eigenschaften ausgewählt werden. Diese Manipulationen stehen im Gegensatz zur personalen Würde des menschlichen Wesens, seiner Integrität und seiner Identität. Sie können daher in keiner Weise gerechtfertigt werden im Blick auf mögliche wohltätige Folgen für die künftige Menschheit. Jede Person muß um ihrer selbst willen geachtet werden: Darin besteht die Würde und das Recht jedes menschlichen Wesens schon von seinem Beginn an. 2081 KONGREGATIONEN II. Eingriffe in die menschliche Fortpflanzung Unter „künstlicher Fortpflanzung“ oder „künstlicher Befruchtung“ werden hier die verschiedenen technischen Verfahren verstanden, die darauf abzielen, eine menschliche Empfängnis in anderer Weise als durch die sexuelle Vereinigung von Mann und Frau zu erreichen. Die Instruktion handelt von der Befruchtung einer Eizelle im Reagenzglas (In-vitro-Befruchtung) und von der künstlichen Besamung mittels Übertragung vorher gewonnenen Samens in die Geschlechtsorgane der Frau. Ein erster Punkt für die moralische Bewertung derartiger Techniken ergibt sich aus der Betrachtung der Umstände und Folgen, die diese in bezug auf die dem menschlichen Embryo geschuldete Achtung mit sich bringen. Die Durchsetzung der Praxis der /n-vftra-Befruchtung hat unzählige Befruchtungen und Zerstörungen menschlicher Embryonen gefordert. Noch heute setzt sie üblicherweise eine gesteigerte Eizellenbildung der Frau voraus: mehrere Eizellen werden entnommen, befruchtet und einige Tage lang in vitro kultiviert. Im allgemeinen werden nicht alle in die Geschlechtsorgane der Frau übertragen; einige gewöhnlich als „überzählig“ bezeichnete Embryonen werden zerstört oder eingefroren. Manchmal werden einige der eingepflanzten Embryonen aus verschiedenen eugenischen, wirtschaftlichen oder psychologischen Gründen geopfert. Eine derartige frei gewollte Zerstörung menschlicher Wesen oder ihre Verwertung zu verschiedenen Zwecken, zum Schaden ihrer Integrität und ihres Lebens, widerspricht der schon in Erinnerung gebrachten Lehre bezüglich der vorsätzlichen Abtreibung. Die Verbindung zwischen der Befruchtung in vitro und der frei gewollten Vernichtung menschlicher Embryonen bestätigt sich allzu häufig. Das ist bezeichnend: Mit diesen Verfahren, deren Zielsetzungen scheinbar entgegengesetzt sind, werden das Leben und der Tod den Entscheidungen des Menschen unterworfen, der sich so selbst zum Herrn über Leben und Tod nach Belieben macht. Diese Dynamik von Gewalt und Herrschaft kann gerade bei denen unbemerkt bleiben, die sie benutzen wollen und sich ihr dabei unterwerfen. Die in Erinnerung gebrachten Fakten und die kalte Logik, die sie verbindet, müssen für ein moralisches Urteil über die FIVET (In-vitro-Befruchtung und Embryoübertragung) in die Überlegungen einbezogen werden: Die Abtreibungsmentalität, die sie möglich gemacht hat, führt so - ob man will oder nicht - zu einer Herrschaft des Menschen über Leben und Tod von seinesgleichen, die zu einer radikalen Erbauslese werden kann. 2082 KONGREGATIONEN Doch derartige Mißbräuche entbinden nicht von einer vertieften und weitergehenden ethischen Reflexion über die künstlichen Fortpflanzungstechniken, in sich selbst betrachtet, indem man, soweit es überhaupt möglich ist, von der Zerstörung der in vitro erzeugten Embryonen absieht. Die vorliegende Instruktion wird deshalb an erster Stelle die Probleme, die von der heterologen künstlichen Befruchtung (II, 1—3) aufgeworfen werden, in Betracht ziehen und anschließend jene, die mit der homologen künstlichen Besamung (II, 4-6) verbunden sind. Bevor wir jede von ihnen ethisch beurteilen, werden die Grundsätze und Werte betrachtet, die die moralische Beurteilung jedes dieser Verfahren bestimmen. A. Die heterologe künstliche Befruchtung 1. Warum muß die menschliche Fortpflanzung in der Ehe stattfinden? Jedes menschliche Wesen muß immer als Geschenk und Segen Gottes auf genommen werden. Aus moralischer Sicht muß jedoch eine gegenüber dem Ungeborenen wahrhaft verantwortliche Zeugung die Frucht der Ehe sein. Die menschliche Fortpflanzung hat nämlich kraft der personalen Würde der Eltern und Kinder spezifische Eigenschaften: Die Zeugung einer neuen Person, durch die Mann und Frau mit der Macht des Schöpfers mitarbeiten, soll Frucht und Zeichen des gegenseitigen personalen Sich-Schenkens der Eheleute sein, ihrer Liebe und ihrer Treue. Die Treue der Eheleute in der Einheit der Ehe umfaßt die gegenseitige Achtung ihres Rechtes, daß der eine nur durch den anderen Vater oder Mutter wird. Das Kind hat ein Recht darauf, innerhalb der Ehe empfangen, ausgetragen, auf die Welt gebracht und erzogen zu werden: Gerade durch die sichere und anerkannte Beziehung zu den eigenen Eltern kann es seine eigene Identität entdecken und menschlich heranreifen. Die Eltern finden im Kind eine Bestätigung und Ergänzung ihrer gegenseitigen Hingabe: Es ist der lebendige Widerschein ihrer Liebe, das bleibende Zeichen ihrer ehelichen Gemeinschaft, die lebendige und unauflösliche Einheit ihres Vater- und Mutterseins. . 2083 KONGREGATIONEN Kraft der Berufung und der sozialen Verantwortung der Person tragen das Wohl der Kinder und der Eltern zum Wohl der Gesellschaft bei. Die Lebenskraft und das Gleichgewicht der Gesellschaft erfordern, daß die Kinder im Schoß einer Familie zur Welt kommen und daß diese fest auf der Ehe gegründet ist. Die Überlieferung der Kirche und die anthropologische Reflexion erkennen in der Ehe und in ihrer unauflöslichen Einheit den einzig würdigen Ort einer wahrhaft verantwortungsvollen Fortpflanzung. 2. Entspricht die heterologe künstliche Befruchtung der Würde der Eheleute und der Wahrheit der Ehe? Durch die FIVET und die heterologe künstliche Besamung wird die menschliche Empfängnis mittels der Begegnung von Keimzellen herbeigeführt, die wenigstens von einem Spender herrühren, der von den in der Ehe verbundenen Gatten verschieden ist. Die heterologe künstliche Befruchtung widerspricht der Einheit der Ehe, der Würde der Eheleute, der den Eltern eigenen Berufung und dem Recht des Kindes, in der Ehe und durch die Ehe empfangen und zur Welt gebracht zu werden. Die Achtung vor der Einheit der Ehe und der ehelichen Treue erfordern, daß das Kind in der Ehe empfangen wird; das Band, das zwischen den Eheleuten besteht, gewährt ihnen objektiv und unübertragbar das ausschließliche Recht, daß der eine nur durch den anderen Vater oder Mutter wird. Der Rückgriff auf die Keimzellen einer dritten Person, um den Samen oder die Eizelle zur Verfügung zu haben, bedeutet einen Bruch der gegenseitigen Verpflichtung der Eheleute und eine schwere Verfehlung in Hinblick auf eine wesentliche Eigenschaft der Ehe, nämlich ihre Einheit. Die heterologe künstliche Befruchtung verletzt die Rechte des Kindes, beraubt es der Kind-Beziehung zu seinen elterlichen Ursprüngen und kann das Reifen seiner persönlichen Identität behindern. Sie bedeutet außerdem einen Angriff auf die gemeinsame Berufung der Eheleute, die zur Vater- oder Mutterschaft berufen sind: Sie beraubt objektiv die eheliche Fruchtbarkeit ihrer Einheit und Integrität; sie bewirkt und manifestiert einen Bruch zwischen genetischer Elternschaft, Austragungselternschaft und Erziehungsverantwortung. Eine solche Veränderung der persönlichen Beziehungen im Inneren der Familie hat ihre Auswirkung auf die staatliche Gesellschaft: Was die Einheit und die Festigkeit der Familie bedroht, ist Quelle von Streit, Unordnung und Ungerechtigkeiten im gesamten sozialen Leben. 2084 KONGREGATIONEN Diese Gründe führen zu einem negativen moralischen Urteil über die heterologe künstliche Befruchtung. Demnach ist moralisch unerlaubt die Befruchtung einer verheirateten Frau mit dem Samen eines von ihrem Ehemann verschiedenen Mannes; ebenso unerlaubt ist die Befruchtung der Eizelle, die von einer anderen Frau stammt, mit dem Samen des Ehemannes. Zudem kann die künstliche Befruchtung einer unverheirateten Frau, sei sie nun ledig oder verwitwet, moralisch nicht gerechtfertigt werden, wer auch immer der Spender ist. Der Wunsch, ein Kind zu haben, die Liebe der Eheleute, die eine anders nicht überwindbare Sterilität beheben möchte, stellen verständliche Beweggründe dar; aber subjektiv gute Absichten bringen die heterologe künstliche Befruchtung weder mit den objektiven und unveräußerlichen Eigenschaften der Ehe noch mit der Achtung der Rechte des Kindes und der Eheleute in Einklang. 3. Ist die „Ersatzmutterschaft“ moralisch erlaubt? Nein, und zwar aus denselben Gründen, die zur Ablehnung der heterologen künstlichen Befruchtung führen: Denn sie steht im Gegensatz zur Einheit der Ehe und zur Würde der Fortpflanzung der menschlichen Person. Die Ersatzmutterschaft stellt einen objektiven Verstoß gegenüber den Pflichten der Mutterliebe, der ehelichen Treue und der verantwortlichen Mutterschaft dar; sie beleidigt die Würde und das Recht des Kindes, von den eigenen Eltern empfangen, ausgetragen, zur Welt gebracht und erzogen zu werden; sie führt zum Schaden der Familie eine Trennung zwischen den physischen, psychischen und moralischen Elementen ein, aus denen die Familie besteht. B. Die homologe künstliche Befruchtung Nachdem die heterologe künstliche Befruchtung für unannehmbar erklärt wurde, stellt sich die Frage nach der moralischen Bewertung der Verfahren der homologen künstlichen Befruchtung FIVET und der künstlichen Besamung zwischen den Eheleuten. Vorher ist eine prinzipielle Frage zu klären. 2085 KONGREGATIONEN 4. Welches Band ist aus moralischer Sicht zwischen Fortpflanzung und ehelichem Akt erforderlich? a) Die Kirche unterstreicht in ihrer Lehre über die Ehe und die menschliche Fortpflanzung „die von Gott bestimmte unlösbare Verknüpfung der beiden Sinngehalte - liebende Vereinigung und Fortpflanzung die beide dem ehelichen Akt innewohnen. Diese Verknüpfung darf der Mensch nicht eigenmächtig auflösen. Seiner innersten Struktur nach befähigt der eheliche Akt, indem er die Eheleute aufs engste miteinander vereint, zugleich zur Zeugung neuen Lebens, entsprechend den Gesetzen, die in die Natur des Mannes und der Frau eingeschrieben sind“. Dieses auf die Natur der Ehe und auf die innige Verknüpfung ihrer Güter gegründete Prinzip bringt wohlbekannte Folgen auf der Ebene der verantwortlichen Vaterschaft und Mutterschaft mit sich. „Wenn die beiden wesentlichen Gesichtspunkte der liebenden Vereinigung und der Fortpflanzung beachtet werden, behält der eheliche Akt voll und ganz den Sinngehalt gegenseitiger und wahrer Liebe und seine Hinordnung auf die erhabene Aufgabe der Elternschaft“. Dieselbe Lehre bezüglich des Bandes zwischen den Sinngehalten des ehelichen Aktes und zwischen den Gütern der Ehe klärt das moralische Problem der homologen künstlichen Befruchtung, denn „es ist nie erlaubt, diese verschiedenen Aspekte dermaßen zu trennen, daß man entweder die Absicht zur Zeugung oder die eheliche Beziehung positiv ausschließt“. Die Kontrazeption beraubt vorsätzlich den ehelichen Akt seiner Öffnung auf die Fortpflanzung hin und bewirkt so eine gewollte Trennung der Ziele der Ehe. Die homologe künstliche Befruchtung bewirkt objektiv eine analoge Trennung zwischen den Gütern und Sinngehalten der Ehe, indem sie eine Fortpflanzung anstrebt, die nicht Frucht eines spezifischen Aktes ehelicher Vereinigung ist. Deshalb ist es erlaubt, eine Befruchtung zu wünschen, wenn sie Ergebnis eines „ehelichen Aktes ist, der aus sich heraus zur Zeugung von Nachkommenschaft geeignet ist, auf den die Ehe ihrer Natur nach hingeordnet ist und durch den die Ehegatten ein Fleisch werden“. Aber die Fortpflanzung ist aus moralischer Sicht ihrer eigenen Vollkommenheit beraubt, wenn sie nicht als Frucht des ehelichen Aktes, also des spezifischen Geschehens der Vereinigung der Eheleute, angestrebt wird. b) Der moralische Wert der innigen Bindung, die zwischen den Gütern der Ehe und zwischen den Sinngehalten des ehelichen Aktes besteht, gründet auf der Einheit des menschlichen Wesens, der Einheit des Leibes und der Geistseele Die Eheleute drücken einander ihre personale Liebe 2086 KONGREGATIONEN in der „Sprache des Leibes“ aus, die deutlich den Ausdruck gegenseitiger Hingabe mit der Bestimmung zur Elternschaft verbindet. Der eheliche Akt, durch den die Eheleute einander ihre Selbsthingabe kundtun, drückt zugleich die Öffnung zum Geschenk des Lebens aus: Er ist ein untrennbar leiblicher und geistiger Akt zugleich. In ihrem Leib und durch ihren Leib vollziehen die Gatten die Ehe und können Vater und Mutter werden. Um die Sprache des Leibes und seine naturgegebene Fülle zu achten, muß die eheliche Vereinigung in der Achtung vor der Öffnung auf die Fortpflanzung hin erfolgen, und die Zeugung einer Person muß Frucht und Ziel der ehelichen Liebe sein. Der Ursprung des menschlichen Wesens ist so Frucht einer Zeugung, die „nicht nur an die biologische, sondern auch an die geistige Vereinigung der Eltern gebunden ist, die im Bund der Ehe geeint sind“. Eine außerhalb des Leibes der Eheleute erlangte Befruchtung bleibt gerade deswegen der Sinngehalte und der Werte beraubt, die sich in der Sprache des Leibes und der Vereinigung der menschlichen Personen ausdrücken. c) Nur die Achtung vor dem Band, das zwischen den Sinngehalten des ehelichen Aktes besteht, und die Achtung vor der Einheit des menschlichen Wesens gestatten eine der Würde der Person entsprechende Fortpflanzung. In seinem einmaligen und unwiederholbaren Ursprung muß das Kind in seiner personalen Würde gleich denen geachtet und anerkannt werden, die ihm das Leben schenken. Die menschliche Person muß in die Zeichen der Einheit und der Liebe ihrer Eltern aufgenommen werden; die Zeugung eines Kindes muß deshalb die Frucht gegenseitiger Schenkung sein, die sich im ehelichen Akt verwirklicht, in dem die Eheleute - als Diener und nicht als Herren — am Werk der Schöpfer-Liebe teilnehmen. Der Ursprung einer menschlichen Person ist in Wirklichkeit Ergebnis einer Schenkung. Der Empfangene muß die Frucht der Liebe seiner Eltern sein. Er kann nicht als Produkt eines Eingriffs medizinischer Techniken gewollt oder empfangen werden: Dies würde bedeuten, ihn zum Objekt einer wissenschaftlichen Technologie zu erniedrigen. Niemand darf das Auf-die-Welt-Kommen eines Kindes den Bedingungen technischer Effizienz unterwerfen, die nach den Maßstäben von Kontrolle und Beherrschung bewertet werden. Die moralische Bedeutung des Bandes, das zwischen den Sinngehalten des ehelichen Aktes und zwischen den Gütern der Ehe besteht, die Einheit des menschlichen Wesens und die Würde seines Ursprungs erfordern, daß die Zeugung einer menschlichen Person als Frucht des spezifisch ehelichen Aktes der Liebe zwischen den Eheleuten angestrebt werden muß. Es zeigt sich also, welch große Wichtigkeit das Band, das zwischen Fortpflanzung 2087 KONGREGATIONEN und ehelichem Akt besteht, auf anthropologischem und moralischem Gebiet hat, und so erklärt sich die Position des Lehramts bezüglich der homologen künstlichen Befruchtung. 5. Ist die homologe In-vitro-Befruchtung moralisch erlaubt? Die Antwort auf diese Frage hängt eng von den eben erwähnten Grundsätzen ab. Sicherlich kann man die rechtmäßigen Anliegen der unfruchtbaren Eheleute nicht außer acht lassen; einigen von ihnen erscheint der Rückgriff auf die homologe FIVET als einziges Mittel, um ein aufrichtig gewünschtes Kind zu bekommen: Man fragt sich, ob in diesen Situationen nicht die Gesamtheit des ehelichen Lebens genüge, um die der menschlichen Fortpflanzung entsprechende Würde zu sichern. Man erkennt an, daß die FIVET sicherlich fehlende eheliche Beziehungen nicht zu ersetzen vermag und nicht den spezifischen Akten der ehelichen Vereinigung vorgezogen werden darf, wenn man die Gefahren, die sie für das Kind mit sich bringen kann, und die Mängel des Verfahrens vor Augen hat. Aber - so fragt man - falls es unmöglich wäre, die Sterilität, die Ursache von Leid ist, anders zu beheben, kann dann die homologe In-vitro-Befruchtung nicht eine Hilfe, ja sogar eine Therapie darstellen, und kann deshalb dann nicht deren moralische Zulässigkeit angenommen werden? Der Wunsch nach einem Kind - oder zumindest die Bereitschaft dazu, das Leben weiterzugeben - ist aus moralischer Sicht für eine verantwortliche menschliche Zeugung erforderlich. Doch diese gute Absicht ist für eine moralisch positive Bewertung der In-vitro-Befruchtung zwischen Eheleuten nicht ausreichend. Das Verfahren der FIVET muß in sich selbst bewertet werden; es kann seine endgültige moralische Bewertung weder aus dem ehelichen Leben in seiner Gesamtheit herleiten, in das es sich einfügt, noch von den ehelichen Akten, die ihm vorangehen, noch von denen, die ihm folgen mögen. Es ist schon daran erinnert worden, wie unter den Umständen, in denen sie üblicherweise praktiziert wird, die FIVET die Zerstörung menschlicher Wesen mit sich bringt, eine Tatsache, die sich gegen die schön vorgelegte Lehre über die Unerlaubtheit der Abtreibung richtet. Aber auch in dem Fall, in dem alle Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung des Todes der menschlichen Embryonen angewandt würden, bewirkt die homologe FIVET die Trennung der auf die menschliche Befruchtung ausgerichteten Handlungen vom ehelichen Akt. Deshalb muß man die eigentliche Natur der homologen FIVET in Betracht ziehen und dabei auch von der Verbindung zur Abtreibung absehen.- 2088 KONGREGATIONEN Die homologe FIVET wird außerhalb des Leibes der Eheleute mit der Hilfe der Handlungen dritter Personen durchgeführt, deren Kompetenz und technische Leistung den Erfolg des Eingriffs bestimmen; sie vertraut das Leben und die Identität des Embryos der Macht der Mediziner und Biologen an und errichtet eine Herrschaft der Technik über Ursprung und Bestimmung der menschlichen Person. Eine derartige Beziehung von Beherrschung widerspricht in sich selbst der Würde und der Gleichheit, die Eltern und Kindern gemeinsam sein muß. Die Empfängnis in vitro ist Ergebnis einer technischen Handlung, die die Befruchtung vornehmlich bestimmt; sie ist nicht Ausdruck und Frucht eines spezifischen Aktes ehelicher Vereinigung; weder wird sie tatsächlich so herbeigeführt noch wird sie positiv angestrebt als Ausdruck und Frucht eines spezifischen Aktes der ehelichen Vereinigung. Selbst wenn man sie im Kontext der tatsächlich bestehenden ehelichen Beziehungen betrachtet, ist in der homologen FIVET die Zeugung der menschlichen Person objektiv der ihr eigenen Vollkommenheit beraubt: nämlich Zielpunkt und Frucht eines ehelichen Aktes zu sein, durch den die Eheleute „im Schenken des Lebens an eine neue menschliche Person zu Mitarbeitern Gottes“ werden. Diese Gründe lassen verstehen, warum in der Lehre der Kirche der eheliche Liebesakt als der einzige der menschlichen Fortpflanzung würdige Ort angesehen wird. Aus denselben Gründen bleibt auch der sog. „einfache Fall“ - also ein homologes FIVET-Verfahren, das von jeder kompromittierenden Verbindung mit der Abtreibungspraxis, der Zerstörung von Embryonen und der Masturbation frei wäre — eine moralisch unerlaubte Technik, weil sie die menschliche Fortpflanzung der ihr eigenen und naturgemäßen Würde beraubt. Sicherlich ist die homologe FIVET nicht von all der ethischen Negativität belastet, die man in der außerehelichen Fortpflanzung vorfindet; Familie und Ehe bleiben weiterhin der Raum für die Geburt und die Erziehung des Kindes. Dennoch — in Übereinstimmung mit der traditionellen Lehre über die Güter der Ehe und die Würde der Person — bleibt die Kirche aus moralischer Sicht bei der Ablehnung der homologen In-vitro-Befruchtung; diese ist in sich unerlaubt und steht in Widerspruch zur Würde der Fortpflanzung und der ehelichen Vereinigung, selbst wenn alles getan wird, um den Tod des menschlichen Embryos zu vermeiden. Obwohl die Art und Weise, in der die menschliche Empfängnis in der FIVET herbeigeführt wird, nicht gebilligt werden kann, muß man doch jedes Kind, das auf die Welt kommt, als lebendiges Geschenk der göttlichen Güte annehmen und mit Liebe aufziehen. 2089 KONGREGATIONEN 6. Wie ist die künstliche homologe Besamung aus moralischer Sicht zu bewerten? Die homologe künstliche Besamung innerhalb der Ehe kann nicht zugelassen werden, mit Ausnahme des Falls, in dem das technische Mittel nicht den ehelichen Akt ersetzen, sondern ihn erleichtern und ihm helfen würde, sein natürliches Ziel zu erreichen. Die Unterweisung des Lehramts zu diesem Thema ist schon dargelegt worden. Sie ist nicht bloß Ausdruck besonderer historischer Umstände, sondern sie fußt auf der Lehre der Kirche über die Verknüpfung zwischen ehelicher Vereinigung und Fortpflanzung sowie auf der Betrachtung der personalen Natur des ehelichen Aktes. „Der eheliche Akt ist seiner natürlichen Struktur nach eine persönliche Handlung, ein gleichzeitiges unmittelbares Zusammenwirken der Eheleute. Dieses ist wegen der Natur derer, die hier tätig sind, und wegen der Eigenart des Aktes der Ausdruck gegenseitiger Hingabe, die nach einem Wort der Heiligen Schrift zur Einheit in einem Fleisch führt.“ Deshalb „verwirft“ das moralische Gewissen „jedoch nicht notwendigerweise die Anwendung gewisser künstlicher Hilfsmittel, die einzig dazu dienen, den natürlichen Akt zu erleichtern oder dem normal vollzogenen Akt zu seinem Ziel zu verhelfen“. Wenn das technische Mittel den ehelichen Akt erleichtert oder ihm hift, seine natürlichen Ziele zu erreichen, kann es moralisch bejaht werden. Falls sich hingegen der technische Eingriff an die Stelle des ehelichen Aktes setzen sollte, ist er moralisch unerlaubt. Die den ehelichen Akt ersetzende künstliche Besamung ist wegen der freiwillig bewirkten Trennung zwischen den beiden Bedeutungen des ehelichen Aktes verboten. Die Masturbation, mit deren Hilfe normalerweise der Same gewonnen wird, ist ein weiteres Zeichen für diese Trennung; auch wenn sie in Hinblick auf die Fortpflanzung geschieht, bleibt diese Handlung ihrer Bedeutung auf die Vereinigung hin beraubt: „denn es fehlt ihr . . . eine von der sittlichen Ordnung geforderte geschlechtliche Beziehung, jene nämlich, die ,den vollen Sinn gegenseitiger Hingabe als auch den einer wirklich humanen Zeugung in wirklicher Liebe4 realisiert“. 7. Welches moralische Kriterium ist bezüglich des Eingriffs des Arztes in die menschliche Fortpflanzung aufzustellen? Die ärztliche Handlung darf nicht nur in bezug auf ihre technische Dimension, sondern muß auch und vor allem im Verhältnis auf ihr Ziel 2090 KONGREGATIONEN hin bewertet werden, das im Wohl der Personen und in ihrer leiblichen und seelischen Gesundheit besteht. Die moralischen Richtlinien für den medizinischen Eingriff in die Fortpflanzung leiten sich von der Würde der menschlichen Personen, von ihrer Geschlechtlichkeit und ihrem Ursprung ab. Die Medizin, die auf das ganzheitiiche Wohl der Person hingeordnet sein will, muß die spezifisch menschlichen Werte der Geschlechtlichkeit achten. Der Arzt steht im Dienst der Personen und der menschlichen Fortpflanzung: Er hat keine Vollmacht, über sie zu verfügen oder über sie zu entscheiden. Der medizinische Eingriff achtet die Würde der Personen dann, wenn er darauf abzielt, den ehelichen Akt zu unterstützen, indem er seinen Vollzug erleichtert oder ihm sein Ziel zu erreichen hilft, sobald er in normaler Weise vollzogen worden ist. Im Gegensatz dazu kommt es bisweilen vor, daß der medizinische Eingriff technisch den ehelichen Akt ersetzt, um eine Fortpflanzung herbeizuführen, die weder dessen Ergebnis noch dessen Frucht ist: In diesem Fall steht der medizinische Akt nicht, wie es sein sollte, im Dienst an der ehelichen Vereinigung, sondern eignet sich die Funktion der Fortpflanzung an und widerspricht so der Würde und den Rechten der Eheleute und des Ungeborenen. Die Humanisierung der Medizin, die heute von allen nachdrücklich gefordert wird, verlangt die Achtung der ganzheitlichen Würde der menschlichen Person an erster Stelle in dem Akt und in dem Augenblick, in dem die Eheleute einer neuen Person das Leben weitergeben. Es ist daher folgerichtig, auch einen dringlichen Appell an die katholischen Ärzte und Forscher zu richten, vorbildliches Zeugnis für die Achtung zu geben, die dem menschlichen Embryo und der Würde der Fortpflanzung geschuldet ist. Die Ärzte und das medizinische Pflegepersonal der katholischen Krankenhäuser und Kliniken sind in besonderer Weise aufgerufen, den eingegangenen moralischen Verpflichtungen, die oft auch in rechtliche Satzungen gefaßt sind, Ehre zu machen. Die Verantwortlichen dieser katholischen Krankenhäuser und Kliniken, von denen viele Ordensleute sind, werden sich mit ganzem Herzen dafür einsetzen und sicherstellen, daß die moralischen Normen dieser Instruktion sorgfältig befolgt werden. 8. Das Leiden wegen ehelicher Unfruchtbarkeit Das Leiden der Eheleute, die keine Kinder bekommen können oder die befürchten, ein behindertes Kind auf die Welt zu bringen, ist ein Leid, das alle verstehen und angemessen würdigen müssen. 2091 KONGREGATIONEN Von seiten der Eheleute ist der Wunsch nach einem Kind natürlich: Er drückt die Berufung zur Vaterschaft und zur Mutterschaft aus, die der ehelichen Liebe eingeprägt ist. Dieser Wunsch kann noch stärker sein, wenn das Ehepaar an einer Sterilität leidet, die unheilbar zu sein scheint. Freilich gewährt die Ehe den Gatten nicht das Recht, ein Kind zu haben, sondern nur das Recht, diejenigen natürlichen Akte zu vollziehen, die aus sich heraus auf die Fortpflanzung hin ausgerichtet sind. Ein Recht im wahren und eigentlichen Sinn auf das Kind widerspräche dessen Würde und dessen Natur. Das Kind ist nicht etwas Geschuldetes und kann nicht als Eigentumsobjekt aufgefaßt werden: Es ist vielmehr ein Geschenk, „das vorzüglichste“ und das am freiesten gegebene der Ehe; es ist lebendiges Zeugnis der gegenseitigen Hingabe seiner Eltern. Deswegen hat das Kind das Recht — wie erinnert worden ist —, die Frucht des spezifischen Aktes der ehelichen Hingabe seiner Eltern zu sein, und hat ein Recht darauf, vom ersten Augenblick seiner Empfängnis an als Person geachtet zu werden. Allerdings ist die Sterilität, was auch immer die Ursachen und die Prognose sein mögen, sicherlich eine harte Prüfung. Die Gemeinschaft der Gläubigen ist aufgerufen, das Leid derer, die einen berechtigten Wunsch nach Vater- und Mutterschaft nicht erfüllen können, zu erhellen und mitzutragen. Die Ehelute, die sich in dieser schmerzlichen Lage befinden, sind aufgerufen, in ihr die Gelegenheit für eine besondere Teilnahme am Kreuz des Herrn zu entdecken, eine Quelle geistlicher Fruchtbarkeit. Die unfruchtbaren Ehepaare dürfen nicht vergessen, daß „das eheliche Leben auch dann nicht seinen Wert verliert, wenn die Zeugung neuen Lebens nicht möglich ist. Die leibliche Unfruchtbarkeit kann den Gatten Anlaß zu anderen wichtigen Diensten am menschlichen Leben sein, wie Adoption, verschiedene Formen erzieherischer Tätigkeit, Hilfe für andere Familien, für arme oder behinderte Kinder“. Viele Forscher haben sich im Kampf gegen die Sterilität eingesetzt. Einige sind, unter vollständiger Wahrung der Würde der menschlichen Fortpflanzung, zu Ergebnissen gelangt, die vorher unerreichbar schienen. Die Wissenschaftler müssen also ermutigt werden, mit ihren Forschungen fortzufahren, um den Ursachen der Sterilität vorzubeugen und ihnen abhelfen zu können, so daß die unfruchtbaren Ehepaare in Achtung ihrer personalen Würde und der des Ungeborenen zur Fortpflanzung gelangen. 2092 KONGREGATIONEN III. Moral und staatliche Gesetzgebung Die moralischen Werte und Pflichten, die die staatliche Gesetzgebung auf diesem Gebiet achten und schützen muß Das unverletzbare Recht auf Leben jedes unschuldigen menschlichen Individuums, die Rechte der Familie und der Institution Ehe stellen grundlegende moralische Werte dar, weil sie den wesensgemäßen Zustand und die ganzheitliche Berufung der menschlichen Person betreffen; gleichzeitig sind sie konstitutive Elemente der staatlichen Gesellschaft und ihrer Ordnung. Aus diesem Grund erfordern die neuen auf dem Gebiet der Biomedizin eröffneten technologischen Möglichkeiten das Eingreifen der politischen Autoritäten und des Gesetzgebers, weil ein unkontrollierter Rückgriff auf solche Techniken zu unvorhersehbaren und schädlichen Folgen für die staatliche Gesellschaft führen könnte. Der Verweis auf das Gewissen jedes einzelnen und auf die Selbstbeschränkung der Forscher kann nicht ausreichen, um die personalen Rechte und die öffentliche Ordnung zu wahren. Wenn der Gesetzgeber, der für das Gemeinwohl verantwortlich ist, nicht wachsam ist, könnte er seiner Vorrechte von Forschem beraubt werden, welche die Menschheit im Namen von biologischen Entdeckungen und von angeblichen Verfahren zur „Verbesserung“, die sich davon ableiten, zu beherrschen sich anmaßen. Die „Erbauslese“ und die Diskriminierungen zwischen den Menschen könnten legitimiert werden: Dies würde eine Vergewaltigung und einen schwerwiegenden Anschlag gegen die Gleichheit, die Würde und die grundlegenden Rechte der menschlichen Person bedeuten. Das Eingreifen der politischen Autorität muß sich an den Grundsätzen der Vernunft ausrichten, welche die Beziehungen zwischen zivilem und moralischem Gesetz regeln. Aufgabe des staatlichen Gesetzes ist es, das Allgemeinwohl der Personen durch die Verteidigung der Grundrechte, der Förderung des Friedens und der öffentlichen Moral zu sichern. In keinem Lebensbereich darf das staatliche Gesetz an die Stelle des Gewissens treten noch Normen über Angelegenheiten vorschreiben, die über seine Zuständigkeiten hinausgehen; es muß bisweilen in Hinblick auf die öffentliche Ordnung Dinge zulassen, die es nicht verbieten kann, ohne daß daraus ein noch größerer Schaden erwüchse. Die unveräußerlichen Rechte der Person aber müssen von der zivilen Gesellschaft und von der politischen Autorität anerkannt und geachtet werden: Diese Rechte des 2093 KONGREGATIONEN Menschen hängen weder von den einzelnen Individuen noch von den Eltern ab und stellen auch nicht ein Zugeständnis der Gesellschaft und des Staates dar. Sie gehören zur menschlichen Natur und wurzeln in der Person kraft des Schöpfungsaktes, aus dem sie ihren Ursprung genommen hat. Unter diese fundamentalen Rechte muß man in diesem Zusammenhang zählen: a) das Recht auf Leben und auf leibliche Unversehrtheit jedes menschlichen Wesens vom Augenblick der Empfängnis an bis zum Tod; b) die Rechte der Familie und der Ehe als Institution und - in diesem Zusammenhang - das Recht des Kindes, von seinen Eltern empfangen, auf die Welt gebracht und erzogen zu werden. Zu diesen beiden Themen müssen hier einige weitere Betrachtungen angestellt werden. In verschiedenen Staaten haben einige Gesetze die direkte Beseitigung Unschuldiger gestattet: In dem Augenblick, in dem ein positives Gesetz eine Kategorie von Menschen des Schutzes beraubt, den die zivile Gesetzgebung ihnen gewähren muß, leugnet der Staat die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Wenn die Staatsmacht sich nicht in den Dienst der Rechte jedes Bürgers stellt, und in besonderer Weise dessen, der am schwächsten ist, dann werden die Grundmauern des Rechtsstaates untergraben. Die politische Autorität kann folglich nicht zulassen, daß menschliche Wesen mit Hilfe von solchen Verfahren ins Dasein gerufen werden, durch die sie unzulässigen Risiken ausgesetzt werden, an die oben erinnert wurde. Wenn das positive Gesetz und die politischen Autoritäten den Techniken künstlicher Übertragung des Lebens und den damit verbundenen Experimenten Anerkennung gewähren würden, würden sie die von der Legalisierung der Abtreibung geschlagene Bresche noch weiter aufreißen. Als Folge der Achtung und des Schutzes, die man dem Ungeborenen vom Augenblick seiner Empfängnis an zusichern muß, muß das Gesetz die geeigneten Strafmaßnahmen für jede gewollte Verletzung seiner Rechte vorsehen. Das Gesetz darf nicht dulden — im Gegenteil, es muß ausdrücklich verbieten —, daß menschliche Wesen, und seien sie auch im embryonalen Stadium, als Versuchsobjekte behandelt, verstümmelt oder zerstört werden mit dem Vorwand, sie seien überflüssig oder unfähig, sich normal zu entwickeln. Die politische Autorität ist gehalten, der Institution der Familie, auf der die Gesellschaft gründet, den rechtlichen Schutz zu garantieren, auf den sie ein Anrecht hat. Gerade durch die Tatsache, daß sie im Dienst an den Personen steht, muß die politische Autorität auch im Dienst der Familie stehen. Das staatliche Gesetz darf seinen Schutz nicht denjenigen Techniken künstlicher Fortpflanzung gewähren, die zum Vorteil dritter Personen 2094 KONGREGATIONEN (Ärzte, Biologen, Wirtschaftskreise oder Regierungsmächte) das an sich ziehen, was ein den Beziehungen der Eheleute innewohnendes Recht ausmacht; ferner darf es nicht die Spendung von Keimzellen zwischen Personen, die nicht legitim verheiratet sind, gesetzlich zulassen. Da sie der Familie Stütze gewähren muß, muß die Gesetzgebung zudem die Embryo-Banken, die Besamung post mortem und die „Ersatzmutterschaft“ verbieten. Es gehört zu den Pflichten der öffentlichen Autorität, dafür zu sorgen, daß das staatliche Gesetz in all dem, was die Rechte des Menschen, des menschlichen Lebens und der Institution der Familie betrifft, nach den grundlegenden Regeln des moralischen Gesetzes ausgerichtet ist. Die Politiker müssen sich durch ihr Einwirken auf die öffentliche Meinung einsetzen, in diesen entscheidenden Punkten die weitestmögliche Übereinstimmung in der Gesellschaft zu erreichen und diese dort zu bestärken, wo sie geschwächt zu werden oder abzunehmen droht. In vielen Ländern machen es die Legalisierung der Abtreibung und die rechtliche Toleranz gegenüber unverheirateten Paaren schwieriger, die Achtung der grundlegenden Rechte zu erreichen, an die diese Instruktion erinnert. Es ist zu wünschen, daß sich die Staaten nicht die Verantwortung aufladen, diese schädlichen Situationen sozialer Ungerechtigkeit noch zu verschlimmern. Im Gegenteil, es ist zu wünschen, daß die Nationen und die Staaten sich alle der kulturellen, ideologischen und politischen Verflechtungen bewußt werden, die mit den Techniken der künstlichen Fortpflanzung verbunden sind, und daß sie die notwendige Weisheit und den Mut finden, gerechtere Gesetze zu erlassen, die das menschliche Leben und die Institution Ehe achten. Die staatliche Gesetzgebung liefert heute in vielen Ländern gewissen Praktiken eine ungerechtfertigte Legitimierung; sie erweist sich als unfähig, diejenige Moralität zu garantieren, die den naturgemäßen Erfordernissen der menschlichen Person und den „ungeschriebenen Gesetzen“ entspricht, die der Schöpfer in das Herz des Menschen eingeprägt hat. Alle Menschen guten Willens müssen sich einsetzen, besonders in ihrem Berufsbereich und in der Ausübung ihrer Bürgerrechte, damit die moralisch unannehmbaren staatlichen Gesetze und die unerlaubten praktischen Verhaltensweisen geändert werden. Zudem muß die „Verweigerung aus Gewissensgründen“ gegenüber derartigen Gesetzes angeregt und anerkannt werden. Ja, mehr noch, im moralischen Bewußtsein vieler, besonders unter den Spezialisten biomedizinischer Wissenschaften, beginnt mit Schärfe die Forderung nach passivem Widerstand gegen die Legitimierung von Praktiken aufzuflammen, die in Widerspruch zu Leben und Würde des Menschen stehen. 2095 KONGREGATIONEN Schlußbemerkung: Die Verbreitung der Technologien des Eingriffs in die Vorgänge der menschlichen Fortpflanzung wirft schwerwiegendste moralische Probleme in Beziehung auf die dem menschlichen Wesen von seiner Empfängnis an geschuldete Achtung, in bezug auf die Würde der menschlichen Person, ihrer Geschlechtlichkeit und der Weitergabe des Lebens auf. In Erfüllung ihrer Aufgabe, die Lehre der Kirche zu fördern und zu schützen, richtet die Kongregation für die Glaubenslehre in diesem Dokument einen neuen, besorgten Aufruf an all diejenigen, die wegen ihrer Stellung oder wegen ihres Einsatzes einen positiven Einfluß ausüben können, damit in der Familie und in der Gesellschaft dem Leben und der Liebe die geschuldete Achtung zuteil wird: an diejenigen, die für die Bildung der Gewissen und der öffentlichen Meinung verantwortlich sind, an die Wissenschaftler, an die in medizinischen Berufen Tätigen, an die Juristen und an die Politiker. Sie wünscht, daß alle die Unvereinbarkeit begreifen, die zwischen der Anerkennung der Würde der menschlichen Person und der Geringschätzung des Lebens und der Liebe besteht, zwischen dem Glauben an den lebendigen Gott und dem Ansinnen, über Herkunft und Schicksal eines menschlichen Wesens willkürlich bestimmen zu wollen. Insbesondere richtet die Kongregation für die Glaubenslehre eine vertrauensvolle Aufforderung und eine Ermutigung an die Theologen und besonders an die Lehrer der Moral, daß sie die Inhalte der Unterweisungen des Lehramtes vertiefen und den Gläubigen immer mehr zugänglich machen mögen - im Licht einer gültigen Anthropologie der Geschlechtlichkeit und der Ehe, im Kontext der notwendigen interdisziplinären Vorgehensweise. So wird man die Gründe und die Gültigkeit dieser Lehre immer besser verstehen: Indem die Kirche Gottes den Menschen gegen die Auswüchse seiner eigenen Macht verteidigt, erinnert sie ihn an seinen wahren Adel; nur auf diese Weise wird man der Menschheit von morgen die Möglichkeit sichern können, in der Würde und Freiheit zu leben, die sich aus der Achtung vor der Wahrheit herleiten. Die präzisen Hinweise, die in dieser Instruktion vorgelegt werden, sollen daher nicht die Anstrengung der Reflexion aufhalten, sondern ihr vielmehr - in der unverzichtbaren Treue zur Lehre der Kirche - einen erneuten Impuls geben. Im Licht der Wahrheit über das Geschenk des menschlichen Lebens und der Moralprinzipien, die daraus folgen, ist jedermann eingeladen, in seinem eigenen Verantwortungsbereich wie der barmherzige Samariter zu 2096 KONGREGATIONEN handeln und auch das kleinste unter den Menschenkindern als seinen Nächsten zu erkennen (vgl. Lk 10,29-37). Das Wort Christi findet hier ein neues und besonderes Echo: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Papst Johannes Paul II. hat bei einer dem Unterzeichneten Präfekten gewährten Audienz, im Anschluß an die Vollversammlung dieser Kongregation, die vorliegende Instruktion gebilligt und ihre Veröffentlichung angeordnet. Rom, am Sitz der Kongregation für die Glaubenslehre, am 22. Februar 1987, dem Fest Kathedra Petri. Joseph Kardinal Ratzinger ■ Präfekt + Alberto Bovöne Titularerzbischof von Cäsarea in Numidien Sekretär 2097 KONGREGATIONEN Anmerkungen 1 Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer des 81. Kongresses der italienischen Gesellschaft für Innere Medizin und des 82. Kongresses der italienischen Gesellschaft für Allgemeinchirurgie, 27. Oktober 1980: AAS 72 (1980) 1126. 2 Paul VI., Ansprache vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, 4. Oktober 1965: AAS 57 (1965), 878; Enzykl. Populorum progressio, 13: AAS 59 (1967), 263. 3 Paul VI., Homilie bei der heiligen Messe zum Abschluß des Heiligen Jahres, 25. Dezember 1975: AAS 68 (1976) 145; Johannes Paul II., Enzykl. Dives in misericordia, 30: AAS 72 (1980) 1224. 4 Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer der 35. Generalversammlung des Weltärztebundes, 29. Oktober 1983: AAS 76 (1984) 390. 5 Vgl. Erklärung Dignitatis humanae, 2. 6 Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 22; Johannes Paul II., Enzykl. Redemptor hominis 8: AAS 71 (1979) 270-272. I Vgl. Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 35. 8 Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 15. Vgl. auch Paul VI., Enzykl. Populorum progressio, 20: AAS 59 (1967) 267; Johannes Paul II., Enzykl. Redemptor hominis, 15: AAS 71 (1979) 286-289; Apost. Schreiben Familiaris consortio, 8: AAS 74 (1982) 89. 9 Johannes Paul II., Apost. Schreiben Familiaris consortio, 11: AAS 74 (1982) 92. 10 Vgl. Paul VI., Enzykl. Humanae vitae, 10: AAS 60 (1968) 487-488. II Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer der 35. Generalversammlung des Weltärztebundes, 29. Oktober 1983: AAS 76 (1984) 393. 12 Johannes Paul II., Apost. Schreiben Familiaris consortio, 11: AAS 74 (1982) 91-92. Vgl. auch Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 50. 13 Hl. Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung zur vorsätzlichen Abtreibung, 9: AAS 66 (1974) 736-737. 14 Johannes Paul H., Ansprache an die Teilnehmer der 35. Generalversammlung des Weltärztebundes, 29. Oktober 1983: AAS 76 (1984) 390. 15 Johannes XXIII., Enzykl. Mater et Magistra, III: AAS 53 (1961) 447. 16 Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 24. 17 Vgl. Pius XH., Enzykl. Humani generis: AAS 42 (1950) 575; Paul VI., Professio fidei: AAS 60 (1968) 436. 18 Johannes XXIII., Enzykl. Mater et Magistra, III: AAS 53 (1961) 447; vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die an einem Studienseminar „Über die verantwortliche Elternschaft“ teilnehmenden Priester, 17. September 1983: Insegnamenti di Giovanni Paolo II, VI, 2 (1983) 562: „Am Anfang jeder menschlichen Person steht ein schöpferischer Akt Gottes: Kein Mensch kommt durch Zufall ins Dasein; er ist immer der Zielpunkt der schöpferischen Liebe Gottes.“ 19 Vgl. Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 24. 20 Vgl. Pius XII., Ansprache an die medizinisch-biologische Vereinigung „St. Lukas“, 12. November 1944: Discorsi e Radiomessaggi IV (1944-1945) 191-192. 21 Vgl. Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 24. 22 Vgl. Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 51: „Wenn es sich daher um das Zusammengehen von ehelicher Liebe und verantwortlicher Weitergabe des Lebens handelt, hängt die sittliche Qualität der Handlungsweise nicht allein von der guten Absicht und Bewertung der Motive ab, sondern auch von objektiven Kriterien, die sich aus dem Wesen der 2098 KONGREGATIONEN menschlichen Person und ihrer Akte ergeben und die sowohl den vollen Sinn gegenseitiger Hingabe als auch den einer wirklich humanen Zeugung in wirklicher Liebe wahren.“ 23 Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 51. 24 Hl. Stuhl, Charta der Familienrechte, 4: L’Osservatore Romano, 25. November 1983. 25 Hl. Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung zur vorsätzlichen Abtreibung, 12-13: AAS <56 (1974) 738. . 26 Die Zygote ist die Zelle, die aus der Verschmelzung der Kerne der beiden Keimzellen entsteht. 27 Vgl. Paul VI., Ansprache an die Teilnehmer des XXTTT. Nationalen Kongresses der Katholischen Juristen Italiens, 9. Dezember 1972: AAS 64 (1972) 777. 28 Die Verpflichtung, unverhältnismäßige Risiken zu vermeiden, erfordert eine wirkliche Achtung der menschlichen Wesen und die Lauterkeit der therapeutischen Absichten. Dies schließt ein, daß der Arzt „vor allem sorgfältig die eventuellen negativen Folgen abwägen muß, welche die notwendige Anwendung einer bestimmten Untersuchungstechnik auf den Embryo haben kann, und den Rückgriff auf diagnostische Verfahren meidet, über deren ehrenhafte Finalität und grundsätzliche Unschädlichkeit man keine ausreichenden Garantien besitzt. Und wenn - wie es häufig bei menschlichen Entscheidungen vorkommt - ein Risiko in Kauf genommen werden muß, muß er dafür Sorge tragen festzustellen, daß es gerechtfertigt ist durch eine wirkliche Dringlichkeit der Diagnose und der Wichtigkeit der Resultate, die damit zugunsten dieses Embryos gewinnbar sind“ (Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer der Tagung der „Bewegung für das Leben“, 3. Dezember I9S2.Tnsegnamenti di Giovanni Paolo II, V, 3 [1982] 1512). Diese Präzisierung des „verhältnismäßigen Risikos“ muß man auch in den folgenden Abschnitten dieser Instruktion vor Augen haben, und zwar immer dann, wenn dieser Begriff auftaucht. 29 Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer der 35. Generalversammlung des Weltärztebundes, 29. Oktober 1983: AAS 76 (1984) 392. 30 Da die Ausdrücke „Forschung“ und „Versuch“ häufig äquivalent und zweideutig benutzt werden, erscheint es notwendig, die ihnen im vorhegenden Dokument beigelegte Bedeutung zu präzisieren. 1) Unter Forschung wird jede induktiv-deduktive Vorgehensweise verstanden, die darauf zielt, die systematische Untersuchung eines vorliegenden Phänomens im menschlichen Bereich zu fördern oder eine aus früheren Untersuchungen hervorgegangene Hypothese zu überprüfen. 2) Unter Experiment wird jede Forschung verstanden, in der das menschüche Wesen (in den verschiedenen Abschnitten seiner Existenz: als Embryo, Fötus, Kind oder Erwachsener) den Gegenstand darstellt, mittels dessen oder an dem die Wirkung einer gegebenen Behandlungsmethode (z. B. eine pharmakologische, theratogene, chirurgische etc.), sei sie nun bekannt oder noch nicht bekannt, geprüft werden soll. 31 Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer eines Treffens der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, 23. Oktober 1982: AAS 75 (1983) 37: „Ich verurteile ausdrücklich und offiziell experimentelle Eingriffe am menschlichen Embryo, da ein menschliches Wesen vom Augenblick der Zeugung bis zum Tod für keinen wie immer gearteten Zweck mißbraucht werden darf.“ 32 Hl. Stuhl, Charta der Familienrechte, 4 b: L’Osservatore Romano, 25. November 1983. 33 Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer der Tagung der „Bewegung für das Leben“, 3. Dezember 1982: Insegnamenti di Giovanni Paolo II, V, 3 (1982) 1511: „Unannehmbar ist jede Art von Experiment mit dem Fötus, das dessen Integrität schädigen oder seinen gesundheitlichen Zustand verschlimmern könnte, es sei denn, es 2099 KONGREGATIONEN handelt sich um einen letzten Versuch, ihn vom Tod zu retten.“ Hl. Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung zur Euthanasie, 4: AAS 72 (1980) 550: „In Ermangelung anderer Mittel ist es mit Zustimmung des Kranken zulässig, sich der von den Fortschritten der Medizin zur Verfügung gestellten Heilmittel zu bedienen, auch wenn sich diese noch im Versuchsstadium befinden und nicht ohne Risiko sind.“ 34 Niemand kann vor seinem Dasein ein subjektives Recht auf Beginn seiner Existenz geltend machen; es ist jedoch legitim, das Recht des Kindes zu bejahen, einen ganz und gar menschlichen Ursprung durch die der personalen Natur des menschlichen Wesens entsprechende Empfängnis zu haben. Das Leben ist ein Geschenk, dem sowohl das Subjekt, das es empfängt, als auch die Subjekte, die es weitergeben, in würdiger Weise entsprechen müssen. Diese Präzisierung muß man auch für das, was zur künstlichen menschlichen Fortpflanzung gesagt werden wird, vor Augen haben. 35 Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer der 35. Generalversammlung des Weltärztebundes, 29. Oktober 1983: AAS 76 (1984) 391. 36 Die Instruktion versteht unter der Bezeichnung heterologe künstliche Befruchtung oder Zeugung die Techniken, die darauf ausgerichtet sind, in künstlicher Weise eine menschliche Empfängnis herbeizuführen, und zwar ausgehend von Keimzellen, die mindestens von einem Spender stammen, der von den in der Ehe verbundenen Gatten verschieden ist. Solche Techniken können von zweierlei Art sein: a) heterologe FIVET: Die Technik, die darauf ausgerichtet ist, eine menschliche Empfängnis herbeizuführen, und zwar durch die /n-v/rro-Begegnung von Keimzellen, die mindestens von einem Spender stammen, der von den in der Ehe verbundenen Gatten verschieden ist. b) künstliche heterologe Besamung: Die Technik, die darauf ausgerichtet ist, eine menschliche Empfängnis herbeizuführen, und zwar durch die Übertragung von Samen in die Geschlechtsorgane der Frau, der von einem vom Ehemann verschiedenen Spender stammt. 37 Die Instruktion versteht unter homologer künstlicher Befruchtung oder Zeugung die Technik, die darauf ausgerichtet ist, eine menschliche Empfängnis herbeizuführen, und dabei von den Keimzellen zweier verheirateter Eheleute ausgeht. Die homologe künstliche Befruchtung kann mittels zweier verschiedener Methoden verwirklicht werden: a) homologe FIVET: Die Technik, die darauf ausgerichtet ist, eine menschliche Empfängnis herbeizuführen, und zwar durch die /n-virro-Begegnung der Keimzellen verheirateter Ehegatten. b) homologe künstliche Befruchtung: Die Technik, die darauf ausgerichtet ist, eine menschliche Empfängnis herbeizuführen, und zwar durch die Übertragung des Samens des Ehemannes in die Geschlechtsorgane der Ehefrau. 38 Vgl. Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 50. 39 Vgl. Johannes Paul II., Apost. Schreiben Familiaris consortio, 14: AAS 74 (1982) 96. 40 Vgl. Pius XII., Ansprache an die Teilnehmer des IV. Internationalen Kongresses katholischer Ärzte, 29. September 1949: AAS 41 (1949) 559. Nach dem Plan des Schöpfers „verläßt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch“ (Gen 2,24). Die Einheit der Ehe, die an die Schöpfungsordnung gebunden ist, ist eine Wahrheit, die der natürlichen Vernunft zugänglich ist. Die Tradition und das Lehramt der Kirche beziehen sich häufig auf das Buch Genesis, sowohl direkt als auch über die Stellen des Neuen Testamentes, die sich darauf beziehen: Mt 19,4-6; Mk 10, 5-8; Eph 5,31. Vgl. Athenagoras, Legatio pro christianis, 33: PG 6, 965-967; Hl. Johannes Chrysostomus, In Matthaeum homiliae, LXII, 19, 1; PG 58, 597; Hl. Leo d. Gr., Epistula ad Rusticum, 4: PL 54, 1204; Innozenz III., Epist. Gaudemus in Domino: 2100 KONGREGATIONEN DS 778; II. Konzil von Lyon, IV sess.: DS 860; Konzil von Trient, XXIV sess.: DS 1798, 1802; Leo XIII., Enzykl. Arcanum divinae sapientiae: ASS 12 (1879-80)388-391; Pius XI., Enzykl. Casti connubii: AAS 22 (1930) 546-547;\\. Vatikanisches Konzil, Pastoral-konst. Gaudium et Spes, 48; Johannes Paul II., Apost. Schreiben Familiaris consortio, 19: AAS 74 (1982) 101-102; CIC, can. 1056. 41 Vgl. Pius XII., Ansprache an die Teilnehmer des IV. Internationalen Kongresses katholischer Ärzte, 29. September 1949: AAS 41 (1949) 560; Ansprache an die Kongreßteilnehmer des katholischen italienischen Hebammenverbandes, 29. Oktober 1951: AAS 43 (1951) 850; CIC, can. 1134. 42 Unter der Bezeichnung „Ersatzmutter“ versteht die Instruktion: a) die Frau, die einen in ihre Gebärmutter eingepflanzten Embryo austrägt, der ihr genetisch fremd ist, weil er durch die Vereinigung der Keimzellen von „Spendern“ erlangt wurde mit der Verpflichtung, das Kind nach seiner Geburt demjenigen zu übergeben, der eine solche Austragung in Auftrag gegeben oder vereinbart hat; b) die Frau, die einen Embryo austrägt, zu dessen Zeugung sie mit der Spende ihrer eigenen Eizelle beigetragen hat, die durch Besamung mit dem Samen eines von ihrem Gatten verschiedenen Mannes befruchtet wurde mit der Verpflichtung, das Kind nach seiner Geburt demjenigen zu übergeben, der die Austragung in Auftrag gegeben oder vereinbart hat. 43 Paul VI., Enzykl. Humanae vitae, 12: AAS 60 (1968) 488-489. 44 Ebenda, 489. 45 Pius XII., Ansprache an die Teilnehmer des II. Weltkongresses in Neapel über die menschliche Fruchtbarkeit und Sterilität, 19. Mai 1956: AAS 48 (1956) 470. 46 CIC, can. 1061. Gemäß diesem Kanon ist der eheliche Akt jener, durch den die Ehe vollzogen wird, wenn ihn die Ehegatten „auf menschliche Weise miteinander gesetzt haben“. 47 Vgl. Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 14. 48 Vgl. Johannes Paul II., Generalaudienz, 16. Januar 1980: Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III, 1 (1980) 148-152. 49 Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer der 35. Generalversammlung des Weltärztebundes, 29. Oktober 1983: AAS 76 (1984) 393. 50 Vgl. Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 51. 51 Vgl. Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 50. 52 Vgl. Pius XII., Ansprache an die Teilnehmer des IV. Internationalen Kongresses katholischer Ärzte, 29. September 1949: AAS 41 (1949) 560: „Es wäre falsch zu glauben, daß die Möglichkeit, auf dieses Mittel (die künstliche Befruchtung) zurückzugreifen, die Ehe zwischen Personen gültig machen könnte, die unfähig sind, sie zu schließen aufgrund des ,impedimentum impotentiae'.“ 53 Eine analoge Frage wurde von Paul VI. behandelt, Enzykl. Humanae vitae, 14: AAS 60 (1968) 490-491. 54 Vgl. oben: I, If. 55 Johannes Paul II., Apost. Schreiben Familiaris consortio, 14: AAS 74 (1982) 96. 56 Vgl. Antwort des Hl. Offiziums, 17. März 1897: DS 3323; Pius XII., Ansprache an die Teilnehmer des IV. Internationalen Kongresses katholischer Ärzte, 29. September 1949: AAS 41 (1949) 560; Ansprache an die Kongreßteilnehmer des katholischen italienischen Hebammenverbandes, 29. Oktober 1951: AAS 43 (1951) 850; Ansprache an die Teilnehmer des II. Weltkongresses in Neapel über menschliche Fruchtbarkeit und Sterilität, 19. Mai 1956: AAS 48 (1956) 471—473; Ansprache an die Teilnehmer des VII. Internationalen Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Hämatologie, 12. Sep- 2101 KONGREGATIONEN tember 1958: AAS 50 (1958) 733; Johannes XXIII., Enzykl. Mater et Magistra, III: AAS 53 (1961) 447. 57 Pius XII., Ansprache an die Kongreßteilnehmer des katholischen italienischen Hebammenverbandes, 29. Oktober 1951: AAS 43 (1951) 850. 58 Pius XII., Ansprache an die Teilnehmer des IV. Internationalen Kongresses katholischer Ärzte, 29. September 1949: AAS 41 (1949) 560. 59 Hl. Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung zu einigen Fragen der Sexualethik, 9: AAS 68 (1976) 86, welche die Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 51, zitiert. Vgl. Dekret des Hl. Offiziums, 2. August 1929: AAS 21 (1929) 490; Pius XII., Ansprache an die Teilnehmer des XXVI. Kongresses der italienischen Gesellschaft für Urologie, 8. Oktober 1953: AAS 45 (1953) 678. 60 Johannes XXIII., Enzykl. Mater et Magistra, III: AAS 53 (1961) 447. 61 Vgl. Pius XII., Ansprache an die Teilnehmer des IV. Internationalen Kongresses katholischer Ärzte, 29. September 1949: AAS 41 (1949) 560. 62 Vgl. Pius XII., Ansprache an die Teilnehmer des II. Weltkongresses in Neapel über menschliche Fruchtbarkeit und Sterilität, 19. Mai 1956: AAS 48 (1956) 471-473. 63 Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 50. 64 Johannes Paul II., Apost. Schreiben Familiaris consortio, 14: AAS 74 (1982) 97. 65 Erklärung Dignitatis humanae, 7. 2102 KONGREGATIONEN Wieder mit beiden Lungen der Kirche atmen Kardinal Baum: Grandkenntnisse über die Kirche des Ostens vermitteln Rundbrief der Kongregation für das katholische Bildungswesen an die Verantwortlichen für die Priesterausbildung vom 16. April Angesichts der Zunahme der theologischen und pastoralen Kontakte mit den orientalischen Kirchen in den Jahren nach dem II. Vatikanischen Konzil und zumal während des Pontifikates von Papst Johannes Paul II., sieht sich die Kongregation für das Katholische Bildungswesen veranlaßt, den für die Priesterausbildung Verantwortlichen in der Form dieses Rundbriefes einige Gedanken zu den römisch-katholischen Studien der Ostkirchen vorzulegen. 1. Bei einer Reihe von Gelegenheiten und unterschiedlichen Umständen hat Papst Johannes Paul II. von der Notwendigkeit gegenseitigen Verständnisses und einer Haltung der Liebe gesprochen, die zwischen Katholiken der italienischen Tradition und anderen Christen, zwischen Katholiken und Orthodoxen bestehen muß, die zu den verschiedenen Gemeinschaften des christlichen Ostens gehören. Als er auf das fehlende Verständnis hinwies, das oft anzutreffen ist, und auf die Unkenntnis der geistlichen Überlieferungen und Werte, die zum Erbe so mancher Christen in Osteuropa, im Nahen Osten, in Afrika und Indien gehören, hat der Papst die Wichtigkeit dieser Überlieferungen für das Leben und das Wohlergehen der ganzen Kirche betont und eindrucksvoll festgestellt: „Wir müssen wieder mit beiden Lungen der Kirche atmen lernen, mit der des Westens und mit der des Ostens“ {Ansprache an die Römische Kurie, 28. Juni 1985; L’Osservatore Romano, 29. Juni 1985, S. 5). Diese Feststellungen des Papstes sind ein Kommentar zu einer Situation im Leben der Kirche, die von den Hirten und den für die intellektuelle und geistliche Ausbildung der jüngeren Generationen der Kirche Verantwortlichen ernsthaftes und gründliches Überlegen verlangen. Die Notwendigkeit dieser Reflexion wird noch dringlicher, wenn man die zahlreichen Entwicklungen bedenkt, die zu häufigen Kontakten zwischen Christen des Ostens und des Westens in unserem Jahrhundert Anlaß gegeben haben. Als eine Hilfe für solche Reflexion bietet die Kongregation für das Katholische Bildungswesen die folgenden Hinweise und Richtlinien an. 2. Anfang dieses Jahrhunderts gab es eine massive Wanderungsbewegung von Menschen aus Osteuropa und dem Nahen Osten zu den Kontinenten beider Teile Amerikas. Sie verstärkte sich noch durch neue Auswanderungsbe- 2103 KONGREGATIONEN wegungen nach dem Zweiten Weltkrieg. In neuester Zeit führten die beklagenswerten Ereignisse im Nahen Osten zur Entwurzelung Hunderttausender von Christen, die wie viele anderen aus ihren angestammten Heimatländern auswanderten. Als Ergebnis von all dem findet man Millionen von Christen sämtlicher ostkirchlicher Traditionen in Westeuropa, Kanada, den vereinigten Staaten, in zahlreichen Ländern Lateinamerikas und in Australien. Es gibt sogar einige Gemeinschaften, die über Afrika und Indien verstreut sind. Diese Tatsache schafft Probleme pastoraler Art, eingeschlossen die christliche Erziehung und geistige Formung, das religiöse Leben in der Familie, Ehen zwischen Katholiken verschiedener Riten sowie zwischen Katholiken und Orthodoxen, die Seelsorge für isolierte Gruppen usw.. Wie weit kennt man das liturgische und geistliche Leben der alten christlichen Überlieferungen dieser neuen Nachbarn? Gibt man sich ernsthaft Mühe, solche Kenntnisse zu erwerben und zu verbreiten und daraus geeignete Folgerungen für die Seelsorge zu ziehen? 3. Unser Jahrhundert war Zeuge eines bemerkenswerten Anwachsens der Veröffentlichung von theologischen, liturgischen und aszetischen Schriften der Väter und geistlichen Führer des christlichen Ostens. Ihre Werke erscheinen in zahlreichen Sprachen, sei es in wissenschaftlicher oder auch in volkstümlicher Form. Viele Christen versuchen, das von geistlichen Schriftstellern der Ostkirche gelehrte Herzensgebet zu üben; zahlreiche Ordensgemeinschaften suchen für die Erneuerung ihres Gemeinschaftslebens bei den Schriftstellern aus Ost und West nach Anregungen. Man darf freilich nicht die Frage stellen, wie weit diese Schätze einer gemeinsamen Überlieferung von Katholiken wirklich verstanden und aufgenommen werden. Werden sie nicht zuweilen oberflächlich behandelt, so daß man vor vorübergehenden, kurzfristigen Bewegungen steht? Oder gibt man sich ernstlich Mühe, sie gründlich zu studieren, so daß sie berechtigterweise zum Wachstum im Beten sowie im persönlichen und gemeinschaftlichen Leben beitragen. 4. Die Zeit des II. Vatikanischen Konzils und die danach war von aktivem Bemühen um Erneuerung und Reform in der katholischen Kirche gekennzeichnet. Das Konzil selber hat in einem eigenen Dekret (Orientalium Ecclesiarum) die Wichtigkeit der katholischen Ostkirche betont, auf die Entwicklung hingewiesen, die in ihren Gemeinschaften weitergehen soll, und die berechtigte Rolle unterstrichen, die sie im Leben der Gesamtkirche zu spielen haben. In seinem Okumenismusdekret (Unitatis redintegratio, Nr. 3 A) entfaltet das Konzil überdies sein Verständnis der reichen christlichen Schätze aus ei- 2104 KONGREGATIONEN ner gemeinsamen Tradition, die die Katholiken weiter mit den Orthodoxen teilen, trotz der Tatsache, daß es im Augenblick keine volle kirchliche Gemeinschaft zwischen ihnen gibt. 5. Wenn das Konzil seine eigenen Entscheidungen entwickelte und katholische Theologen und Lehrer ermunterte, zeigte es zugleich auf, wie sehr es die Tatsache schätzte, daß ein echtes und gründliches Studium der Überlieferung der Kirche Christi nicht von den besonderen Überlieferungen der verschiedenen christlichen Kirchen, eingeschlossen die Ostkirchen, absehen kann. Greift er auf die wesentlichen Quellen des Glaubens zurück, findet der Theologe, der einer Einzelkirche angehört, nicht nur persönliche Bereicherung durch diese Erfahrung der „Anderen“; er kehrt zugleich durch diese Methode zu seinen eigenen Grundlagen zurück. In den ersten christlichen Jahrhunderten gab es zwar eine große Vielfalt von Ausdrucksformen und sprachlichen Formulierungen, und doch zugleich eine wunderbare geistliche Übereinstimmung, so daß die hauptsächlichen Begriffe für den Glauben in den Sprachen der verschiedenen Völker in einer Weise ausgedrückt wurden, die als Beispiel für die ganze Christenheit dienen kann. Studiert man sie in diesem breiten historischen Kontext, versteht man die Lehren des Glaubens besser, denn sie scheinen aus einer wahrhaft lebendigen Umwelt aufzusteigen. 6. Eine weitere Frage, die das II. Vatikanische Konzil betonte (z.B. Lumen gentium, Gaudium et spes und Ad gentes) betraf das Wissen, wie man die Botschaft des Evangeliums in den angestammten Boden der echten Überlieferungen verschiedener Völker einpflanzen muß. Das erfordert Inkulturation, wie die jüngste außerordentliche Bischofssynode (vgl. Schlußbericht, D 4) betont hat. Die Ostkirchen besitzen eine weit zurückreichende Tradition, wie man christliche Menschen von ihrer Taufe an lehrt, „Gott in ihrer eigenen Sprache zu preisen“ {Leben des hl. Konstantin, Cyrillus XVI, 1 f.). In zahlreichen Ländern des Ostens ging diese Inkulturation manchmal so weit, daß es zu einer Umwandlung und Identifizierung des kulturellen Lebens mit der Art christlichen Lebens kam: Das Studium dieses Vorgangs kann als Beispiel und Wegweiser für jene dienen, die heute einen ähnlichen Prozeß durchmachen, Es kann jene Wege aufzeigen, die die Erfahrung der Jahrhunderte als glücklich erwiesen hat, und die sich von oberflächlichen Anpassungen unterscheiden, die diesen Prozeß nur stören und vielleicht den Glauben selber entstellen können. Ein solches vergleichendes Studium kann für andere Gebiete theologischen und pastoralen Überlegens nützlich sein, etwa bei der liturgischen Erneue- 2105 KONGREGATIONEN rung und Anpassung, bei der kanonischen Disziplin, zumal wenn es um das Verhältnis zwischen verschiedenen Gemeinschaften geht, weiter bei der Kirchengeschichte, besonders wenn sie das herausstellt, was die Christen eint und was zu ihren Spaltungen geführt hat, bzw. sie weiter aufrecht hält. 7. Das Bedenken dieser Tatsachen und ihre Beobachtung führt zur spontanen Frage: welche konkreten Schritte sind möglich, wenn man auf diese Entwicklung positiv reagieren möchte, so daß erstens Spannungen zwischen lateinischen und ostkirchlichen Katholiken vermindert und vielleicht sogar vermieden werden und letztere eine immer bedeutsamere Rolle im Leben der ganzen Kirche spielen können; zweitens die Bewegung auf die volle kirchliche Gemeinschaft zwischen Katholiken und Orthodoxen hin ermutigt wird und sich weiter entwickelt, wenn katholische Studenten mit dem Dialog zwischen römisch-katholischen und orthodoxen Christen wohl vertraut sind; drittens die ganze Kirche bei ihren Bemühungen um Erneuerung und Anpassung an die Bedürfnisse der Gegenwart aus den Erfahrungen der Vergangenheit und aus der Vielfalt christlicher Überlieferungen lernen kann, die ein Teil ihrer Geschichte und ihres Erbes sind. 8. Eine vollständige Antwort auf diese Frage würde ein tatkräftiges Interesse einer Reihe von Dikasterien des Heiligen Stuhles sowie der jeweiligen Organe der verschiedenen katholischen Einzelkirchen notwendig machen. Im Bereich ihrer eigenen Zuständigkeit und Verantwortung bietet die Kongregation für das Katholische Bildungswesen folgende Richtlinien an: 9. Das Päpstliche Institut für höhere Orientalische Studien, das vor fast 70 Jahren in Rom errichtet wurde, ist ein Zentrum der Forschung und der akademischen Ausbildung, das nicht nur Christen aus dem Osten, sondern ebenso solchen aus der lateinischen Tradition offensteht. Es bietet einführende und weiterführende Programme in Theologie, Liturgie, Spiritualität und Geschichte an und besitzt eine eigene Fakultät für das Kirchenrecht der Ostkirchen. Das Bedürfnis nach gut ausgebildeten Fachleuten auf diesem Gebiet ist angesichts der oben geschilderten Entwicklung heute größer als je zuvor. Diese Kongregation fordert daher die Bischöfe und Ordensobere dringend auf, Kleriker und Laien, die besonders für höhere Studien am Päpstlichen Orientalischen Instimt qualifiziert sind, bei diesen Studien zu unterstützen und sie nach ihrer Ausbildung wirksam in diözesanen und ordenseigenen Instituten einzusetzen. Seminarien, Institute zur Ausbildung von Diakonen oder Religionslehrern und Lehrerbildungsinstitute sind Beispiele für Schulen, deren Arbeit wirksamer sein würde, wenn sie auf die regelmäßige Hilfe von Leuten 2106 KONGREGATIONEN zählen könnten, die aufgrund ihrer akademischen Ausbildung als Fachleute für Studien über den christlichen Osten ausgewiesen sind. 10. An Seminarien und theologischen Fakultäten sollten den Studenten Kurse über Grundkenntnisse der Ostkirchen, über ihre theologischen Lehren sowie über ihre liturgischen und geistlichen Überlieferungen angeboten werden. In allen Seminaren, wo gemäß Optatam totius die biblischen Studien an erster Stelle stehen (vgl. ebd. Nr. 16), muß auch eine volle und wirkliche Kenntnis der Kirchenväter aus Ost und West vermittelt werden. Das bedeutsame theologische Erbe des Ostens sollte einen wesentlichen Teil aller Fächer bilden, die von ihm besonders geprägt und gestaltet sind, um so nicht nur die Studien der Studenten des lateinischen Ritus zu bereichern, sondern ihnen auch eine größere Wertschätzung der Ostkirchen zu vermitteln. Das theologische und geistliche Gewicht dieses Erbes erweist sich besonders bei der Lehre über die heilige Dreifaltigkeit, die Christologie, über den Heiligen Geist, die Gnade und das Verhältnis zwischen Natur und Übernatur, dazu kommt ihr Verständnis des „Filioque“, die eucharistische Natur der Kirche und das „Geheimnis“, das in der Liturgie gefeiert wird. Solche Kurse sollen von Fachleuten angeboten und jeweils an die örtlichen Verhältnisse angepaßt werden. Sie sollen die Studenten für den intellektuellen Dialog und die pastoralen Probleme vorbereiten, die sich ergeben können, wenn unterschiedliche religiöse Gemeinschaften Zusammenleben, z.B. die Seelsorge für interrituelle und gemischte Ehen. Wo es möglich ist, soll diese Ausbildung direkten Kontakt mit Gemeinschaften von Christen der Ostkirchen und ihrem liturgischen Leben einschließen. 11. An Fakultäten für Kirchenrecht soll die Gesetzgebung für Katholiken der Ostkirchen entsprechend berücksichtigt werden, ferner die Hauptelemente der heute geltenden Gesetzgebung der Orthodoxen. Ihr Verständnis ist nicht nur für jene notwendig, die dieses Fach einmal unterrichten sollen, sondern auch für jene, die als Konsultoren oder Offiziale in diözesanen Kurien, Seelsorgeämtern, usw. arbeiten sollen. 12. An katholischen Kollegien und Universitäten soll darauf geachtet werden, daß im allgemeinen Studienplan eine Behandlung der Christenheit des Ostens vorgesehen ist. Wo eine erhebliche Zahl von Lehrern und Studenten Ostchristen sind, sollen nicht nur ihre pastoralen Bedürfnisse besonders berücksichtigt, sondern auch die Möglichkeit angeboten werden, daß sie eine ausreichende akademische Ausbildung in ihren religiösen und kulturellen Traditionen bekommen. Wo die Verhältnisse es rechtfertigen, können an den 2107 KONGREGATIONEN Fakultäten besondere Institute eingerichtet werden, um akademische Ausbildung auf diesen Gebieten sicherzustellen. 13. Besondere Sorgfalt soll darauf verwendet werden, daß in den verschiedenen oben erwähnten Institutionen die Bibliotheken entsprechend mit Büchern, Zeitschriften und anderem für diese Arbeit notwendigem Material ausgestattet sind. 14. Bei der Durchführung der hier gegebenen Richtlinien empfiehlt die Kongregation, wenn die örtliche Situation es nahelegt, die Zusammenarbeit zwischen katholischen und orthodoxen Autoritäten und Gelehrten zu ermutigen, in Übereinstimmung mit den Weisungen des Ökumenischen Direktoriums, Teil II, Kapitel IV. 15. Es ist klar, daß trotz des Fortschritts auf diesem Gebiet bei den Katholiken der lateinischen Tradition noch viel Nachholbedarf bei der Kenntnis der Völker, Überlieferungen und Kirchen des christlichen Ostens besteht. Dies wurde vor Jahrzehnten schon durch Papst Benedikt XV. und Papst Pius XI. erkannt, als sie ein Pionierunternehmen begannen und das Päpstliche Orientalische Institut gründeten und ausbauten und wiederholt die Katholiken nachdrücklich aufforderten, ihre Kenntnis und ihr Verständnis dieser Fragen zu erweitern. Ihr Anliegen wurde von späteren Päpsten erneut aufgegriffen auch in gemeinsamen Erklärungen wie der des Papstes Paul VI. und des Koptischen Orthodoxen Patriarchen Shenouda III. (1973). Die Kongregation für das Katholische Bildungswesen aber möchte durch die im obigen Text angebotenen Überlegungen und Richtlinien konkret auf diese häufig wiederholten und bis heute wichtigen Anliegen eingehen. Wir hoffen, daß diese Richtlinien bei den Professoren und Studenten warme Aufnahme finden und Früchte bringen; endlich wünschen wir Ihnen, Eminenzen, Exzellenzen und hochwürdige Rektoren der Seminare, Präsidenten und Dekane der Fakultäten, Gottes reichen Segen und versichern Sie unseres Gebetes. 2108 KONGREGATIONEN Die echte marianische Spiritualität verstehen Instruktion der Kongregation für die Orientalischen Kirchen zur Enzyklika „Redemptoris Mater“ vom 7. Juni Vorwort 1. Mit dem Pfingstfest beginnt das Marianische Jahr, das Papst Johannes Paul II. als eine Zeit verstärkten Bemühens um Bekehrung und Gebet verkündet hat, um an der Schwelle des dritten Jahrtausends Gnade zu erflehen. Gerade zur Vorbereitung auf den Beginn des dritten Jahrtausends wollte die Enzyklika Redemptoris Mater im christlichen Volk die Verehrung der Muttergottes wieder beleben und die rechte Art und Weise für die Feier des ihr geweihten Jahres empfehlen. 2. Aus den Worten des Papstes ergeben sich klar einige Perspektiven und Weg wei sungen: — Es geht darum, einen geistlichen Weg zurückzulegen, der die Kirche dahin führen soll, besonders bewußt ihre Weihe an Christus, den Herrn, und ihre Treue zu ihm zu leben. — In der Tat kann der nahende Anbruch des dritten Jahrtausends passend als ein Anruf verstanden werden, die Bedeutung der Zeit zu verstehen, die sich nie der Herrschaft Christi entziehen kann, und die, alles auf seine Verherrlichung ausrichtend, bestimmt ist, in ihm zusammengefaßt zu werden — Auf diesem Weg durch die Jahrhunderte und die Zeitalter ist Maria die „Feuersäule“, die den Weg der Glaubenden hell macht, die Koryphäe, welche die immer neu zum Haus des Bräutigams aufbrechenden Generationen anführt: „So weiß sich die Kirche in ihrem ganzen Leben mit der Mutter Christi durch ein Band verbunden, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Heilsgeheimnisses umfaßt, und verehrt Maria als geistliche Mutter der Menschheit und Fürsprecherin der Gnade“ {Redemptoris Mater, Nr. 47). — Es handelt sich um einen Weg, der gekennzeichnet sein soll durch ein vertieftes Wissen um die Gegenwart Mariens und deren lebendige, liebende Erfahrung in der persönlichen Geschichte der Menschen, um eine marianische Dimension des christlichen Lebens {Redemptoris Mater, Nr. 45). — Deshalb muß die erste Aufgabe dieser heiligen Zeit darin bestehen, ins Licht zu stellen, was die echte „marianische Spiritualität“ verlangt. Das wird nur möglich sein, wenn man vom Schatz der Überlieferung ausgeht, in der sich das gläubige und betende Empfinden der Generationen ausdrückt. Vom Heiligen Geist angeregt, haben diese das „depositum fidei“ dankbar aufge- 2109 KONGREGATIONEN nommen und es unerschöpflich neu in den verschiedenen Zeiten und geschichtlichen Verhältnissen inkarniert. Dieses durch den Dienst der Kirche uns übermittelte Geschenk Gottes in Treue und schöpferisch neu leben, heißt auch, die echte marianische Frömmigkeit wieder entdecken und überprüfen, ob sie imstande ist, im Gebet jener Spiritualität Ausdruck zu geben, welche „eine überaus reiche Quelle in der geschichtlichen Erfahrung der Personen und der verschiedenen christlichen Gemeinschaften (findet), die unter den verschiedenen Völkern und Nationen auf der ganzen Erde leben“ (Redempto-ris Mater, Nr. 48). 3. Im Rahmen dieser klaren und unerschöpflichen Reichtümer, in denen die Erkenntnisse und die Spiritualität des Gottesvolkes ihren Ausdruck finden, nimmt der christliche Osten eine Stellung von besonderer Würde ein, denn dessen Überlieferung in Lehre und Liturgie, vor allem auf marianischem Gebiet, erheben sich zu unvergleichlichen Höhen. 4. Die Enzyklika Redempto ris Mater zählt es zu ihren Hauptzielen, die Kirche zum unermüdlichen Suchen nach der Einheit der Christen anzuregen: „Der Weg der Kirche — so lesen wir darin — ist vor allem in unserer Epoche vom Ökumenismus gekennzeichnet“ (Redemptoris Mater, Nr. 29). Auch in dieser Hinsicht wollte der heilige Vater bei der Lehre, dem liturgischen Gottesdienst, der Frömmigkeit und der marianischen Spiritualtität aller und der einzelnen Ortskirchen verweilen {Redemptoris Mater, Nr. 29, 31-34). So wird von maßgeblichster Stelle für dieses marianische Jahr die Richtung zu einer vertieften Kenntnis der Gaben gewiesen, mit denen der christliche Osten die Kirche bereichert hat, damit alle sie dankbar annehmen, sorgfältig bewahren und mit Liebe leben können. In dieser Hinsicht kommt den Ostkirchen offensichtlich eine Aufgabe von erstrangiger Bedeutung zu: In erster Linie werden sie es sein, die sich des Erbes bewußt werden müssen, das ihnen in besonderer Weise anvertraut wurde und an dem vor allem durch sie die ganze Kirche immer mehr wird Anteil erhalten können. 5. Im christlichen Osten gibt es verschiedene Weisen, wie man an die Gestalt Mariens herantritt — was übrigens auch von allen Inhalten des Glaubensschatzes gilt: es handelt sich um einen bestimmten Gesichtspunkt und einen besonderen und kennzeichnenden „Stil“. Diese müssen aufmerksam in Betracht gezogen und genau erfaßt werden, denn sie sind nicht eine einfache Einkleidung der Wahrheit, sondern formen und kennzeichnen deren innerstes Wesen. 2110 KONGREGATIONEN Mit Sorgfalt wird die Sprache zu bewerten sein, in der die marianischen Titel und theologischen Formulierungen Ausdruck finden, ja selbst die literarischen Arten, die fast immer betont doxologisch sind. Besondere Aufmerksamkeit wird man den Quellen (die Glaubensbekenntnisse, die Konzilien, die Väter, die Liturgie) widmen, in die sie wie in einen lebendigen Zusammenhang eingefügt sind. Mit Aufmerksamkeit und Andacht wird man die Botschaft prüfen, die in zwei äußerst ausgeprägten Weisen Ausdruck findet, nämlich in der Hymnodie und der Ikonographie. In diesen wird das Mysterium auf eine Art besungen, welche auch jeden Aspekt des menschlichen Empfindens bedient. Man wird nicht vergessen, welche Vorliebe der Osten für die so reiche und starke Aussagekraft des Symbols hegt, um das ganze Universum zur Kontemplation Gottes, der Mensch wird, zusammenzurufen, und um die tiefe Spannung zwischen Zeit und Ewigkeit, Sinnbild und Wirklichkeit zum Ausdruck zu bringen und um durch die Kraft des Paradoxon die Herablassung eines Gottes kundzutun, der die Geschichte annimmt und sie rettet, indem er das, was der Vernunft heterogen und unvereinbar erscheint, in geheimnisvoller Fülle verschmilzt. Erster Teil A Bekenntnis des Glaubens 6. Die östliche Tradition stellt die Gestalt und die Rolle der „Theotokos“ in das organische Ganze des Heilsgeheimnisses und der Heilsgeschichte. Sie hebt nicht so sehr ein gesondertes Kapitel hervor, das die Verdienste und Privilegien der heiligen Jungfrau zusammenfaßte und enthielte, vielmehr nimmt jene Überlieferung Bezug auf Maria und betrachtet ihr Geheimnis in einer Perspektive, die gleichzeitig christologisch (Erstlingsfrucht unter den Erlösten) und folglich anthropologisch (das neue Geschöpf), eschatologisch (der Prototyp der endzeitlichen Herrlichkeit der Heiligen) und ekklesiologisch (die neue Eva, Mutter der Lebendigen) ist und in ganz besonderer Weise pneumatologisch (das von Geist befruchtete Erdreich). 7. Maria wird vor allem in Beziehung zum trinitarischen Mysterium begriffen. In dieser Perspektive, die von dem unerschöpflichen Austausch und der unendlichen Lebensgemeinschaft zwischen den göttlichen Personen ausgeht, steht Maria — zum Vater, dem Ursprung des trinitarischen Lebens und der Quelle der Gnade und der Herrlichkeit, in der Beziehung als Tochter und Braut; — in einer zentralen Stellung im Hinblick auf das Heilsmysterium, das vom Sohn gewirkt wird: Ort des Austauschs zwischen Gottheit und Menschheit, 2111 KONGREGATIONEN „Werkstätte der Vereinigung der Naturen“, bevorzugte Zeugin und diejenige, die am innigsten am österlichen Geheimnis des Leidens und der Verherrlichung Anteil hat; — als Schrein des Geistes in voller, freier, bewußter und freudiger Annahme seines göttlichen Wirkens, welches in ihr das Geheimnis der makellosen Fleischwerdung des Wortes vollbringt. 8. Die Theotokos steht im übrigen ganz in der Gemeinschaft der Heiligen. Nie erscheint sie isoliert oder getrennt von der Versammlung der Erlösten, sondern — „blutsverwandt mit Gott“ — erscheint sie immer als die Erste der Heiligen, in der Gott in überragender Weise seine Wunder kundgetan hat: aus reiner Gnade der Erwählung, die ihr zuvorkam, geheiligt, mit der wunderbaren und unerhörten Fruchtbarkeit, die daraus folgte, und mit der Macht ihrer liebevollen Fürsprache für die Brüder. 9. Maria, die in majestätischer und bezwingender Gestalt in den Sakralbauten vieler östlicher Traditionen an zentraler Stelle thront, ist der Ort der Begegnung zwischen Himmel und Erde. Sie hat den Vorrang einzigartiger Würde unter allen Freunden Gottes, den Aposteln, Märtyrern, Patriarchen, Propheten und Heiligen. 10. In Maria wird nicht nur die menschliche Wirklichkeit von der Gnade verklärt, sondern die materielle Schöpfung selbst wird in das Heilsgeheimnis eingeschlossen, da sie ja mit der Heilsökonomie verbunden wird, am Weg der Erlösung und der Herrlichkeit in Jesus, dem Herrn, teilnimmt, der im Schoß der Jungfrau die stoffliche Beschaffenheit angenommen und sie verwandelt hat, indem er sie „theophorisch“, d. h. zur Gottesträgerin und daher fähig machte, sakramental zum Ort der Heilsübermittlung und in den liturgischen Lobpreis der Gläubigen aufgenommen zu werden. 11. Der Glaube, den der christliche Osten bekennt, faßtalso in unauflöslicher Gnadeneinheit Gott, den Schöpfer, und die erschaffene Welt zusammen, die auf ihrer Pilgerschaft zum Heil ihren Brennpunkt in Christus und in Maria den Anfang der Verklärung findet, zu der sie in der Kirche berufen ist von der Liebe des Vaters in der wirkenden Macht des Geistes. Hier sei auf die kräftige Aufforderung der Enzyklika verwiesen: „Warum also nicht alle zusammen auf sie als unsere gemeinsame Mutter schauen, die für die Einheit der Gottesfamilie betet und die allen vorangeht an der Spitze des langen Zuges von Zeugen für den Glauben an den einen Herrn, der Sohn Gottes ist und durch den Heiligen Geist in ihrem jungfräulichen Schoß empfangen wurde?“ (Redemp-toris Mater, Nr. 30). 2112 KONGREGATIONEN B Feier des Glaubens 12. Die Liturgie spielt im christlichen Osten eine absolut bevorzugte Rolle. Sie vermag die Gläubigen zu einer intensiven und sehr tiefen Teilnahme am Geheimnis zu erheben, ohne den vollen Einsatz der menschlichen Erfahrung davon zu trennen. Ja, sie verwandelt die Alltäglichkeit, indem sie die innerste Berufung zum Heil und zur Ewigkeit offenbart. Und so wird diese Berufung, weit davon entfernt, in Vergessenheit zu geraten, gestärkt und gefestigt. In der Liturgie offenbart das Geschaffene seine eucharistische Berufung, das Menschliche und das Göttliche durchdringen sich gegenseitig, die Kirche erkennt sich als Gemeinschaft, die zum Lobpreis in der Liebe zusammengerufen ist in der Teilnahme an der himmlischen Liturgie, die von den Engeln unaufhörlich vor dem Thron Gottes gefeiert wird. 13. Die Liturgie im Osten hat sich durch das weise Zusammenspiel aller Seiten des menschlichen Seins — wobei die Glaubenslehre zu Zauber, Bild, Duft und Farbe wird als echte Teilnahme an der von der Gnade verklärten Welt — als unersetzlicher Ort für eine andauernde Katechese erwiesen, die im Symbol zugänglich und gleichsam erfahrbar wird. Gerade aufgrund dieser Eigenart des Gottesdienstes in der östlichen Tradition ist die Gestalt der heiligen Jungfrau, die in ihr einen Platz erstes Ranges einnimmt, in der Liturgie durch theologische Tiefe und hohe lyrische Erhabenheit ausgezeichnet, so daß es keines Ausgleichs oder keiner Integration bedarf. 14. Eine Rolle von erstrangiger Bedeutung spielt daher die Gegenwart Mariens in der Göttlichen Liturgie der Eucharistie. In dem Geheimnis, das die Glaubenden zu „Blutsverwandten“ Christi macht, wie es die Theotokos ist, wird der Jungfrau im Glaubensbekenntnis gedacht als derjenigen, durch die Gott sich zu unserem Erlöser gemacht hat, und als bevorzugtes Glied der betenden Versammlung tritt sie unaufhörlich fürsprechend ein, damit die Anrufungen der Gläubigen Aufnahme finden. In besonderer Weise wird in den Anaphoren der Heilsereignisse gedacht, in denen Maria im Herzen der Geschichte und als Pforte des Himmels erscheint. 15. Die Gegenwart der heiligen Jungfrau ragt auch im liturgischen Jahr besonders hervor. Über die zahlreichen Feste hinaus, die ihre Größe verherrlichen, aber immer im Licht der Geheimnisse Christi, ist ihr Gedächtnis manchmal an einige Tage der Woche gebunden, die ihr besonders geweiht sind. Ferner darf die tägliche Erinnerung an die Muttergottes innerhalb der „Liturgie des Lobpreises“ nicht unerwähnt bleiben. In ihr wird die Gestalt 2113 KONGREGATIONEN der ganz Heiligen wie zu einer Zusammenfassung der Wunder, die Gott zum Heil der Welt gewirkt hat, von den Vorbildern im Alten Bund an bis zur Fülle der Zeit und zur endzeitlichen Vollendung. Einen ganz besonderen Reichtum bieten auch die Laudes des göttlichen Offiziums, in denen die Gegenwart Mariens von größter Bedeutung ist, immer eng an die Geheimnisse ihres Herrn gebunden und tief verschmolzen mit dem Gedächtnis und der Anrufung der Heiligen, im Zusammenhang mit dem Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit und der ganzen Heilsgeschichte. 16. Einen ganz besonderen und angestammten Platz nimmt in nicht wenigen östlichen Überlieferungen die Ikone ein, auf der die Muttergottes unter verschiedenen Bedeutungen dargestellt ist. So hat auch der Heilige Vater in der Enzyklika Redemptoris Mater bei diesem Aspekt verweilen wollen (Redemp-toris Mater, Nr. 33). Das 7. Ökumenische Konzil von Nizäa (i. J. 787), dessen 1200-Jahr-Feier dieses Jahr begangen wird, bestätigte feierlich — gegen die Irrlehre der Bilderstürmer — die ganz und gar wirkliche, rettende und vergöttlichende Tatsache der Menschwerdung des Wortes Gottes, die sich in der Geschichte vollzog. Vörausverkündigt und vorausdeutend dargestellt im Alten Bund und voll offenbart im Neuen Bund, zeigt sie sich im Bild in gemalter Darstellung seiner göttlichen und menschgewordenen Person. In der Ikone betrachtet deshalb die Kirche das Antlitz Christi, des Herrn und Allherrschers, der uns im Heilsgeheimnis seiner Passion und seiner Auferstehung das erhabene Antlitz der unteilbaren und wesensgleichen Dreifaltigkeit, Gott in drei Personen darbietet. Die Anbetung, die durch Christus zum Vater emporsteigt und sich im gleichen Akt an die drei göttlichen Personen wendet, wird augenscheinlich gemacht und sichtbar verkündet in seinem Bild, dessen Verehrung das göttliche Urbild erreicht. In den Bilderzyklen der byzantinischen Ostkirchen nimmt das Bild der Theo-tokos, Thron Gottes, „größer als die Himmel“, einen hervorragenden Platz in der Mitte der Apsiswölbung ein, genau an dem heiligen Ort, an dem die Kirche unaufhörlich fortfahrt, das Gedächtnis des Heilsgeheimnisses in der Feier der eucharistischen Göttlichen Liturgie zu begehen: die Ikone der Theotokos ist in der Tat im besten Sinne des Wortes die Illustration der Wirklichkeit der Menschwerdung des Wortes und der unersetzbaren Rolle, die Maria in der Heilsökonomie ausübt, da sie den Herrn hervorbringt und ihn den Menschen schenkt. 17. In der Liturgie erkennen und erleben die Gläubigen des Ostens also in Unmittelbarkeit die Wunder wieder, die Gott in seiner Magd gewirkt hat. Sie be- 2114 KONGREGATIONEN trachten sie als Heilsereignisse, in denen Maria und die Menschheit immer eng verbunden sind. Diese Integration der Gestalt Mariens in eine Liturgie, die Gedächtnis der ganzen Heilsökonomie ist, stellt ein Vorrecht von unendlichem Wert dar und ist in aufmerksamer Erwägung zu halten. C Das Leben des Glaubens 18. Die erlöste Menschheit findet auf jenem Weg, auf dem sie in demütigem und treuem Gehorsam Christus folgt und der durch seine äußerste Güte zur Vergöttlichung führt, in der Muttergottes einen sicheren Anhaltspunkt, sei es durch ihren eigenen geistlichen Weg, sei es durch ihre Anregung zu einem Leben der Liebe. Der christliche Osten bezeugt und verwirklicht einige Haltungen, die aus seiner Berufung herrühren, Hüter dessen zu sein, was die Überlieferung der geeinten Kirche durch die Väter und die Konzilien ausgesprochen hat. Das geistliche Leben des östlichen Christen schöpft vor allem aus seinem liturgischen Gebet, und dieses bringt im Ritus einige Konstanten zum Ausdruck, die die östliche Seele kennzeichnen und eindrucksvoll beschreiben. 19. Besonders gilt das vom steten Wahrnehmen der eigenen Sünde und der Solidarität mit der Schuld der Brüder. Dieses führt zum Aufruf zur Buße und zum vertrauensvollen und unaufhörlichen Gebetsruf um Erbarmen und Vergebung. Hier hat die Übung der Buße ihren Platz, die auch mit der Feier der großen marianischen Feste verbunden und oft nicht ohne Bezug auf die Gestalt der heiligen Jungfrau ist. Von Bedeutung ist auch in diesem Rahmen die Anrufung Marias als der Barmherzigen, ganz Heiligen. Sehr verbreitet ist in verschiedenen Traditionen der Brauch, den Namen Marias zusammen mit dem ihres Sohnes in kurzen Anrufungen zu wiederholen, bis diese sich mit dem Atem und dem Herzschlag verschmelzen. 20. Ein anderer besonders hervortretender Aspekt der östlichen Spiritualität ist jener der Kontemplation, die vom Geschaffenen ausgeht und sich zur Vereinigung mit der sich durch ihre göttlichen „Energien“ mitteilenden heiligsten Dreifaltigkeit erhebt. Im christlichen Osten steht das Bewußtsein von Grenze und Schuld nicht im Gegensatz, vielmehr fordert es Gewißheit, mit Gott verbunden zu sein, und dies fördert ihrerseits die höchsten positiven Bestrebungen und die kühnsten Hoffnungen und treibt dazu an, den, der die Liebe ist, mit überströmender Freude zu verkünden. Maria ist es, die mit ihrem Loblied, dem Magnifikat — dem wunderbaren Siegeshymnus —, alle Generationen diese Kontemplation und diesen Lobpreis lehrt. Sie ist ihrerseits ein 2115 KONGREGATIONEN bevorzugter Ort, die „wunderbaren Taten Gottes“ zu erwägen, und ein besonderer Beweggrund zum Dank an Gott, dem sie in Liebe verbunden ist. Daher kommt es, daß in der ganzen östlichen Hymnodie sich biblische Ausdrücke wie „Freue dich!“, „Gesegnet bist du“, „Selig bist du“ wiederholen. Auch durch diese Erfahrungen der Kontemplation und eines Lobpreises, der sich an Maria richtet und durch sie zu Gott aufsteigt, dringt man „verehrend in das erhabene Geheimnis der Menschwerdung tiefer ein“ {Lumen gentium, Nr. 65), in dieses Geheimnis, das der Höhepunkt der Werke Gottes ist, die Quelle jeder Gnade und erster Gegenstand der Eucharistie, der Danksagung des prie-sterlichen Volkes. 21. Eine dritte Weise der besonderen Gegenwart der Gottesmutter in der Spiritualität und im christlichen Leben des Ostens ist gegeben durch die Werke der Barmherzigkeit an den Ärmsten und Unglücklichsten. Hier offenbaren der Name und die Gegenwart der Theotokos eine ganz außergewöhnliche Kraft: Was im Namen Mariens von einem Bedürftigen erbeten wird, darf nicht verweigert werden. 22. Nicht nur in den monastischen Gemeinschaften, sondern im ganzen christlichen Volk — das vor allem im Osten immer stark vom Mönchtum beeinflußt war und das auf verschiedene Weise die höchsten und wesentlichsten Ideale des Mönchtums zu leben sucht — pflegt man seit altersher auf Maria als vollendetes Vorbild des asketischen und kontemplativen Lebens zu schauen, das seine Nahrung aus dem Schweigen, der Armut, der Demut und dem Gehorsam zieht, aus der heiligen Lesung und dem ausgedehnten Lobpreis Gottes, aus Nachtwachen und Fasten und unaufhörlichem Gebet. Weiterhin ist die heilige Jungfrau — wie es auch aus dem Sinn der liturgischen Feier ihrer Darstellung im Tempel sichtbar wird — das Urbild und das inspirierende Vorbild des jungfräulichen gottgeweihten Lebens. Zweiter Teil Praktische Hinweise 23. Aufgrund der theologischen und geistlichen Erwägungen, die im Vorstehenden dargelegt wurden, möchte dieses Dikasterium nun einige Linien zur praktischen Verwirklichung aufzeigen, die dieses Marianische Jahr zu einem wahrhaft gnadenvollen Anlaß für die christlichen Ostkirchen machen können. Dieses wendet sich an die Gemeinschaften, die in voller Einheit mit der Kirche Roms stehen, möchte aber auch ein besonderes Gedenken voll Bewunderung und Dankbarkeit an die Ostkirchen richten, mit denen zusammen es 2116 KONGREGATIONEN auf dem Weg nach der Suche der vollen Einheit ist. Als treue Hüter der gemeinsamen Glaubensüberlieferung in der Lehre und im Leben, können die einen wie die anderen Kirchen in dieser heiligen Zeit einen Anlaß sehen, immer mehr hochzuschätzen und konkret auszuwerten, was in der gleichen Verehrung der Mutter Christi die gegenseitigen Bande der Brüderlichkeit festigen kann, denn vor allem vor ihr können wir sagen, daß wir uns „als wahre Brüder und Schwestern innerhalb jenes messianischen Volkes fühlen, das dazu berufen ist, eine einzige Gottesfamilie auf der Erde zu sein“ (Redemptoris Mater, Nr. 50). 24. Was den Gesichtspunkt „Bekenntnis des Glaubens“ angeht, ist diese Kongregation der Meinung, es sollten konkrete Wege angegeben werden, aufgrund deren auf jede Weise eine Vertiefung des spezifischen östlichen Beitrags zur marianischen Theologie begünstigt werden kann. Das wird in besonderer Weise der Beteiligung der theologischen Fakultäten, der Seminarien, der Noviziate und Studentate der Ordensinstitute fordern; es sollte aber auch in den einzelnen Diözesen und Pfarreien im Rahmen von Studienveranstaltungen und Katechese für Laien fruchtbar gemacht werden. Auf diesem Gebiet soll jede verlegerische Initiative, die einen wirksamen Beitrag leisten könnte, auf jede nur erdenkliche Weise ermutigt werden. 25. Was die Feier des Glaubens angeht, ist es von vorrangiger Bedeutung, daß die katholischen Ostkirchen aus dieser providentiellen Gelegenheit Nutzen ziehen, um die liturgischen Schätze wieder zu entdecken, welche in ihrer eigenen marianischen Frömmigkeit enthalten sind, indem sie diese im Licht der Treue gegenüber der Hl. Schrift, der Feier des Mysteriums und der gemeinsamen Tradition prüfen, welche wir mit jenen Brüdern im Osten teilen, mit denen noch keine volle Gemeinschaft besteht. Es geht also darum, festzustellen, ob das einzigartige eigene Erbe, das zum liturgischen Gebet der spezifisch eigenen Tradition gehört, genügend ausgewertet wird, ehe man sich anderen Formen der Frömmigkeit zuwendet, die auch ehrwürdig, aber fremder Herkunft sind. Das Marianische Jahr kann eine günstige Zeit sein, solche Feiern neu zu beleben und zu verbreiten und sie den Gläubigen in geeigneter Weise schätzenswert zu machen. Es versteht sich, daß besondere Sorgfalt und großer Eifer auch darauf verwendet werden soll, die im liturgischen Kalender der einzelnen Kirchen vorgesehenen Marienfeste mit besonderer Feierlichkeit vorzubereiten und zu begehen. 2117 KONGREGATIONEN Im Hinblick auf den meist sehr großen Zustrom von Gläubigen bei solchen Gelegenheiten wird gebührende Aufmerksamkeit darauf verwendet werden, alles so vorzusehen — und in besonderer Weise die Verkündigung und Erläuterung des Wortes Gottes —, daß diese Feste auch kostbare Gelegenheit für eine echte Katechese darstellen. 26. Es ist ratsam, auch die marianischen Heiligtümer, die es in den jeweiligen Gebieten gibt, wiederzuentdecken und zu versuchen, die tiefsten und am meisten zum christlichen Leben beitragenden Dimensionen der Pilgerfahrt in ihrer Realität als Opfer, als Ausdruck der Gemeinschaft und als unaufhörliches, demütiges und freudvolles Gebet zu beleben. Es darf nicht vergessen werden, daß die Gläubigen bei solchen Gelegenheiten besonders dafür aufgeschlossen sind, die Botschaft des Evangeliums aufzunehmen, und daß sie sich lebhaft einbezogen fühlen in die geistliche Atmosphäre des Augenblicks und des Ortes. Falls, wie es häufig im Osten vorkommt, das Heiligtum auch von der Frömmigkeit der Christen einer anderen Konfession oder selbst von Nichtchristen geschätzt wird, wird man es nicht versäumen, die katholischen Gläubigen auf die entsprechende Begegnung und Aufnahme vorzubereiten, indem man, wenn das Gotteshaus katholischen Gemeinden gehört, für die notwendigen Einrichtungen der Gastfreundschaft sorgt und keine Mühe unterläßt, um ein Klima tiefer und echter Brüderlichkeit zu schaffen. 27. Vom Gesichtspunkt der persönlichen und der Familienspiritualität aus wird es gut sein, das Lesen und Betrachten des Gotteswortes einzuschärfen, weil dieses eine Nahrung ist, auf die der Glaube nicht verzichten kann, und zugleich ein Beitrag zum Zusammenhalt der Familie. Es sollen jene Gebete, persönliche und gemeinsame, gelehrt und geübt werden, welche den Ruhm der östlichen Traditionen bildet. Angefangen von den ältesten bis zu den mehr ausgeformten, reich an Lehrgehalt und Poesie, und bis hin zu den einfachsten Stoßgebeten, die so sehr geeignet sind, das gewöhnliche Leben der Gläubigen zu begleiten. Wo es Brauch ist, soll die Verehrung der Marienikonen in den Häusern und an Orten der Begegnung betont und auch das Verständnis von deren reicher symbolischer Bedeutung auf jede Weise gefördert werden, indem man vor allem an jenes spontane Empfinden der Verbundenheit mit dem Mysterium appelliert, welches vielen Christen des Ostens eigen ist. 28. Im Namen Marias, der Jungfrau von der Fürsorge und der Barmherzigkeit, wird man weiterhin allen Eifer daransetzen, die Gastfreundschaft zu pflegen, die — in der Hl. Schrift mit solchem Nachdruck eingeschärft — im 2118 KONGREGATIONEN Osten noch immer so heiliggehalten wird und von so großer Bedeutung ist, um die Aufmerksamkeit gegenüber den Armen und dem Fremdling, dem Flüchtling und dem Pilger lebendig zu halten und ein wirklich brüderliches Zusammenleben zu fordern. Die Gestalt der Theotokos wird den Söhnen und Töchtern des christlichen Ostens natürlich auch die Sorge für die Kranken, die Verlassenen, die Waisen ans Herz legen. Wenn nach einer notwendigen geistlichen Vorbereitung Initiativen zur Erleichterung von Leiden und Armut und zur Hälfte für die am Rand der Gesellschaft Lebenden gefördert werden, wird dies ein Mittel sein, um wirksam den dramatischen Situationen entgegenzutreten, welche aus vielfachen Gründen in so vielen Ostgebieten herrschen; auf diese Weise wird man auch begreiflich machen können, welch enges Band den Glauben des Christen mit dem konkreten Einsatz und mit dem Mühen der Bruderliebe verbindet. Maria wird sodann das ideale Vorbild sein, um der Reflexion über die Gestalt der Frau in der Gesellschaft und in der Kirche förderlich zu sein, damit überall deren Rechte geschützt und ihre unersetzlichen Beiträge aufgewertet werden: in ihr wird in der Tat sichtbar, zu welch wunderbaren Höhen Gott das Kleinsein erhoben hat und welche Herrlichkeit er der Demut Vorbehalten hat, indem er ihr eine Heilssendung zu erfüllen gab, die an Weite und Größe keiner anderen gleichkommt. 29. Die hier aufgezählten Anregungen sind einfach als Hinweise anzusehen. Sie wollen eben, soweit möglich, die äußerst reiche und gegliederte Wirklichkeit der Kirchen des Ostens in ihrer Vielgestaltigkeit übersichtlich umreißen. Nun werden sie den einzelnen katholischen Ostkirchen anvertraut, damit sie von Seelsorgern und Gläubigen studiert werden und jeder Kirche die Maßnahmen eingeben, welche den verschiedenen Situationen entsprechen, in die die göttliche Vorsehung die einzelnen Kirchen gestellt hat. Die Patriarchalsynoden, die Bischofskonferenzen der östlichen Regionen und die Hirten der ostkirchlichen Gemeinden, zerstreut in der Welt, werden somit dafür Sorge tragen, genauer zu bestimmen, welche der Tradition und den Gaben der einzelnen Kirchen entsprechende Initiativen sie glauben anregen zu sollen. Kongregation für die Orientalischen Kirchen, Vatikanstadt, Pfingsten, 7. Juni 1987 Dr. Simon Kard. Lourdusamy, Präfekt Erzbischof Miroslav S. Marusyn, Sekretär 2119 KONGREGATIONEN Konzerte in Kirchen Dokument der Kongregation für den Gottesdienst zu Konzertaufführungen in Kirchen vom 5. November I. Musik in Kirchen außerhalb von Liturgiefeiern 1. Interesse für die Musik ist eine charakteristische Ausdrucksform unserer zeitgenössischen Kultur. Dadurch, daß die klassischen Musikwerke mit Hilfe von Radio, Fernsehen, Schallplatten, Kassetten usw. leicht auch zu Hause angehört werden können, hat die Beliebtheit von Konzertaufführungen noch zugenommen. Das ist ein positives Zeichen; tragen doch Musik und Gesang viel zu geistiger Erhebung bei. Die wachsende Zahl von Konzertaufführungen hat in letzter Zeit in einigen Ländern zur Folge gehabt, daß häufig auch Kirchen zur Aufführung benutzt wurden. Die dafür angegebenen Gründe sind verschiedener Art: Zunächst die Notwendigkeit von geeigneten Räumen, die nicht leicht zu finden sind; akustische Gründe, weil hierin die Kirchen im allgemeinen den Anforderungen entsprechen; ästhetische Gründe, aus dem Wunsch, dem Konzert einen schönen Rahmen zu geben; Gründe der Angemessenheit, um vielen Kompositionen ihre ursprüngliche Heimat wiederzugeben; auch rein praktische Gründe, vor allem für Orgelkonzerte: denn in fast jeder Kirche befindet sich eine Orgel. 2. Gleichzeitig mit dieser kulturellen Entwicklung hat sich eine neue Situation der Kirche ergeben. Die „Scholae cantorum“ oder Kirchenchöre haben nicht mehr viel Gelegenheit, ihr herkömmliches Repertoire vielstimmiger Kirchenmusik innerhalb der Feier der Liturgie darzubieten. Aus diesem Grunde hat man begonnen, diese geistliche Musik in der Kirche in Form eines Konzertes aufzuführen. Dasselbe geschah mit dem gregorianischen Choral, der in die Konzertprogramme in und außerhalb der Kirchen Eingang fand. Eine weitere wichtige Tatsache stellt die Initiative der „geistlichen Konzerte“ dar: Sie heißen so, weil die dort aufgeführte Musik „religiöse Musik“ genannt werden kann, weil ihr Thema ein religiöses ist, oder weil ihre Texte und ihr Inhalt religiös sind. In manchen Fällen können solche geistlichen Konzerte auch Lesungen, Gebete und Momente der Stille einschließen. So gestaltete Konzerte können daher zu „kirchenmusikalischen Andachten“ werden. 2120 KONGREGATIONEN 3. Daß die Konzerte zunehmend in Kirchen aufgeführt werden, stellt Pfarrern und Kirchenrektoren einige Fragen, die einer Antwort bedürfen. Während eine generelle Öffnung der Gotteshäuser für Konzerte aller Art Reaktionen und Tadel von seiten vieler Gläubigen hervorruft, kann auch eine unterschiedslose Verweigerung von den Konzertveranstaltern, Musikern und Sängern mißverstanden oder mit Unmut aufgenommen werden. Es ist vor allem wichtig, auf die eigentliche Bedeutung und den Zweck der Kirchen hinzu weisen. Deshalb hält es die Kongregation für den Gottesdienst für angemessen, den Bischofskonferenzen und den nationalen Kommissionen für Liturgie und Kirchenmusik im Rahmen ihrer Kompetenz einige Punkte zur Überlegung und Interpretation der kirchenrechtlichen Normen vorzulegen, die den Gebrauch verschiedener Arten von Musik in den Kirchen betreffen: Musik oder Gesang für die Liturgie, religiös inspirierte Musik, nichtreligiöse Musik. 4. In dieser Lage müssen vor allem die bereits veröffentlichten Dokumente neu gelesen werden, besonders die Konstitution über die heilige Liturgie Sac-rosanctum Concilium, die Instruktion Musicam sacram vom 5. März 1967 und die Instruktion Liturgicae instaurationes vom 5. September 1970. Ferner sind die Canones 1210, 1213 und 1222 des Codex des kanonischen Rechtes (CIC) zu beachten. Im vorliegenden Schreiben geht es in erster Linie um Musikaufführungen außerhalb der liturgischen Feiern. Die Kongregation für den Gottesdienst möchte auf diese Weise den einzelnen Bischöfen helfen, gute pastorale Entscheidungen unter Berücksichtigung der jeweiligen sozio-kulturellen Verhältnisse zu treffen. II. Punkte zur Überlegung Wesen und Zweck der Kirchen 5. Nach der vom Rituale für Kirchen- und Altarweihe bezeugten Tradition sind die Kirchen zuallererst der Ort, an denen sich das Volk Gottes versammelt. „Dieses heilige Volk ist die Kirche. Der dreieinige Gott ist der Ursprung ihrer Einheit. Sie ist der aus lebendigen Steinen erbaute Tempel, in dem der Vater im Geist und in der Wahrheit angebetet wird. Mit Recht wird daher seit alters auch jener Bau „Kirche“ genannt, in dem sich die christliche Gemeinde versammelt, um das Wort Gottes zu hören, gemeinsam zu beten, die Sakramente zu empfangen und die Eucharistie zu feiern“ („Die Feier der Kirchweihe und Altarweihe“, II. Kap., Nr. 1) und diese als fortdauerndes Sakrament anzubeten. 2121 KONGREGATIONEN Die Kirchen dürfen deshalb nicht einfach als „öffentliche“ Räume angesehen werden, die für Versammlungen jeder Art zur Verfügung stehen. Sie sind vielmehr heilige Orte, die aufgrund ihrer Weihe oder Segnung auf Dauer für den Gottesdienst „ausgesondert“ sind. Als sichtbare Gebäude sind die Kirchen Zeichen für die auf Erden pilgernde Kirche; sie sind Bilder, die das himmlische Jerusalem ankündigen, und Stätten, an denen schon hier auf Erden das Geheimnis der Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen Wirklichkeit wird. Ob in der Stadt oder auf dem Land, die Kirche bleibt immer das Haus Gottes, das Zeichen seiner Wohnung unter den Menschen. Als solche bleibt sie heiliger Ort, auch wenn in ihr kein Gottesdienst gehalten wird. In einer von Hektik und Lärm geplagten Gesellschaft sind die Kirchen vor allem in den großen Städten auch geeignete Orte dafür, daß die Menschen in Stille oder Gebet den Frieden des Geistes oder das Licht des Glaubens finden. Dies wird nur dann möglich sein, wenn die Kirchen das bleiben, was sie sind. Wenn sie zu anderen, ihnen fremden Zwecken verwendet werden, dann sind sie in der Gefahr, nicht mehr ein Zeichen für die Gegenwart Gottes unter den Menschen zu sein; damit wären sie weniger fähig, ihren Beitrag zur Entfaltung des Glaubenslebens zu leisten, und das Volk Gottes würde in seiner Ehr-furchtshaltung Schaden leiden. So mahnt das Wort des Herrn: „Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein!“ (Lk 19,46). Bedeutung der Kirchenmusik 6. Die Kirchenmusik (musica sacra), sei sie vokal oder instrumental, verdient besondere positive Hervorhebung. Wir verstehen darunter „jene für den Gottesdienst geschaffene Musik, der Heiligkeit und Güte der Formen eigen ist“ (Musicam sacram, Nr. 4 a). Die Kirche betrachtet sie als „einen Reichtum von unschätzbarem Wert, ausgezeichnet unter allen übrigen künstlerischen Ausdrucksformen“; sie erkennt ihr eine „dienende Aufgabe im Gottesdienst“ zu (vgl. Sacrosanctum Concilium, Nr. 112); sie empfiehlt, daß „der Schatz der Kirchenmusik mit größter Sorge bewahrt und gepflegt werde4 4 (vgl. Sacrosanctum Concilium, Nr. 114). Wenn die Kirchenmusik innerhalb eines Gottesdienstes aufgeführt wird, soll sie sich in dessen Eigenart anpassen. Dies verpflichtet nicht selten dazu, den Gebrauch von Werken einzuschränken, die aus einer Zeit stammen, in der die tätige Teilnahme der Gläubigen an der Liturgie noch nicht als eine Quelle wahrhaft christlichen Geistes (vgl. Pius X., Tra le sollecitudini) angesehen wurde. 2122 KONGREGATIONEN Dieser Wandel bei der Aufführung der Musikstücke ist ähnlich dem, der für andere Schöpfungen der Kunst im Bereich der Liturgiefeier vorgenommen wurde: So wurden die Altarräume mit Priestersitz, Ambo und Altar „versus populum“ neugestaltet. Das bedeutete nicht Verachtung der Vergangenheit, sondern geschah um eines wichtigeren Zieles willen: der tätigen Teilnahme der Versammlung. Wenn damit nun manche Musikwerke in der liturgischen Feier nur beschränkt Verwendung finden, so können sie doch außerhalb der Gottesdienste in kirchenmusikalischen Konzerten als Ganzes dargeboten werden. Die Orgel 7. Die Verwendung der Orgel allein beschränkt sich heute in der Liturgie auf wenige Gelegenheiten. Früher ersetzte die Orgel die aktive Beteiligung der Gläubigen und brachte diese manchmal in die Rolle des „stummen und untätigen Zuschauers“ der Feier (vgl. Pius XI., Divini Cultus, Nr. 9). Die Orgel kann den Gesang der Gemeinde und auch der Schola begleiten und unterstützen. Doch soll der Klang der Orgel nicht die Gebete und Gesänge des Priesters und auch nicht die vom Lektor oder Diakon vorgetragenen Lesungen überdecken. Das Schweigen der Orgel soll entsprechend der Überlieferung, in den Bußzeiten (Fastenzeit und Karwoche), im Advent und bei der Totenliturgie beibehalten werden. Lediglich das Begleiten der Gesänge ist dann erlaubt. Zur Vorbereitung auf die Gottesdienste und zu deren Abschluß ist auch längeres Orgelspiel angebracht. Es ist sehr wichtig, daß in allen Kirchen, vor allem aber in den bedeutenderen, ausgebildete Musiker und Musikinstrumente von Qualität zur Verfügung stehen. Besondere Sorge gelte den historischen Orgeln, die wegen ihrer Eigenschaften wertvoll bleiben. III. Praktische Bestimmungen 8. Die Ordnung, die die Benutzung der Kirchen regeln soll, stützt sich auf Can. 1210 des Codex Iuris Canonici. Er lautet: „An einem heiligen Ort darf nur das zugelassen werden, was der Ausübung oder Förderung von Gottesdienst, Frömmigkeit und Gottesverehrung dient, und ist das verboten, was mit der Heiligkeit des Ortes unvereinbar ist. Der Ordinarius kann aber im Einzelfall einen anderen, der Heiligkeit des Ortes jedoch nicht entgegenstehenden Gebrauch gestatten. 2123 KONGREGATIONEN Der Grundsatz, daß der Benutzungszweck nicht der Heiligkeit des Ortes entgegengesetzt sein darf, bestimmt das Kriterium, nach dem Kirchen für Konzerte mit kirchenmusikalischen und religiösen Darbietungen offenstehen sollen, während sie für jede Art anderer Musik verschlossen bleiben müssen. So ist z. B. die allerschönste symphonische Musik nicht von sich aus religiös. Es muß vielmehr aus der ursprünglichen Bestimmung und dem Inhalt der Musikstücke und Gesänge klar hervorgehen, daß sie so bezeichnet werden können. Es ist nicht legitim, in einer Kirche Musik aufzuführen, die nicht religiös inspiriert ist, sondern komponiert wurde, um in bestimmten profanen Zusammenhängen aufgeführt zu werden, mag es sich dabei um klassische oder zeitgenössische, um gehobene oder volkstümliche Musik handeln. Es würde nämlich so keine Rücksicht genommen auf den sakralen Charakter der Kirche noch auf das Musikstück selbst, das in einer ihm nicht entsprechenden Umgebung aufgeführt würde. Der kirchlichen Autorität obliegt es, ihre Vollmachten an den heiligen Orten frei auszuüben (vgl. Can. 1213) und folglich auch die Benützung der Kirchen unter Wahrung ihres sakralen Charakters zu regeln. 9. Kirchenmusik, die für die Liturgie komponiert wurde, aber aus den erwähnten Gründen nicht mehr beim Gottesdienst verwendet werden kann, und religiöse Musik überhaupt, die sich an Texten der Heiligen Schrift und der Liturgie inspiriert oder auf Gott, die Jungfrau Maria, die Heiligen und die Kirche verweist, können ihren Platz in der Kirche haben, jedoch außerhalb der liturgischen Feiern. Der Klang der Orgel sowie andere gesangliche und instrumentale Darbietungen können der Frömmigkeit oder Religion dienen und sie fördern. Solche Aufführungen außerhalb des Gottesdienstes sind besonders geeignet: a) um auf die wichtigen liturgischen Feste einzustimmen oder ihnen auch außerhalb des Gottesdienstes größere Festlichkeit zu verleihen; b) um den besonderen Charakter der verschiedenen liturgischen Zeiten zu unterstreichen; c) um in den Kirchen eine Atmosphäre der Schönheit und Besinnung zu schaffen, die auch bei den der Kirche Fernstehenden die Hinneigung zu geistlichen Dingen fördert; d) um eine Umgebung zu schaffen, die die Verkündigung des Wortes Gottes und seine Aufnahme erleichtert, z. B. um eine fortlaufende Evangelienlesung zu begleiten; e) um die großen Schätze der Kirchenmusik, die nicht verlorengehen dürfen, am Leben zu erhalten: liturgische Kompositionen und Gesänge, die heute nicht mehr leicht und als ganze in der Liturgie Eingang finden können, wie 2124 KONGREGATIONEN auch geistliche Musik, wie Oratorien und Kantaten, die auch weiterhin geistliche Bereicherung vermitteln. f) um den Kirchenbesuchern und Touristen zu helfen, den sakralen Charakter der Kirche besser zu verstehen; z. B. durch Orgelkonzerte, die zu bestimmten Zeiten gegeben werden. 10. Wenn jedoch Konzertveranstalter den Wunsch äußern, ein Konzert in einer Kirche aufzuführen, kommt es dem Ortsbischof zu, „per modum actus“ die Genehmigung zu erteilen oder sie zu verweigern. Die Erlaubnis gilt nur für einen bestimmten Termin. Daher ist eine kumulative Genehmigung etwa für die Dauer eines Festivals oder eine Reihe von Konzerten ausgeschlossen. Hält es der Ordinarius für nötig, so kann er unter den vom Kirchenrecht in Can. 1222 § 2 vorgesehenen Bedingungen eine Kirche, die nicht mehr zum Gottesdienst verwendet wird, für die Aufführung sakraler oder religiöser Musik bestimmen, und dort auch die Aufführung profaner Musik gestatten, vorausgesetzt, daß sie mit der Heiligkeit des Ortes in Einklang steht. Bei dieser pastoralen Aufgabe soll dem Ordinarius die Diözesankommission für Liturgie und Kirchenmusik beratend zur Seite stehen. Zum Schutz des sakralen Charakters der Kirche achte man bei der Genehmigung von Konzerten auf folgende Bedingungen, die der Ortsordinarius näher bestimmen kann: a) Die Veranstalter müssen den Antrag auf Benützung einer Kirche rechtzeitig in schriftlicher Form beim Ortsordinarius einreichen. Datum, Zeit und Programm mit Werken und Namen der Urheber sind anzugeben. b) Nachdem die zuständigen Pfarrer oder Kirchenrektoren vom Ordinarius die Genehmigung erhalten haben, können sie den Chören und Orchestern, die die oben genannten Bedingungen erfüllen, die Benützung gestatten. c) Der Eintritt in die Kirche muß frei und unentgeltlich sein. d) Die Ausführenden und Zuhörer sollen in Kleidung und Betragen auf den sakralen Charakter des Gotteshauses Rücksicht nehmen. e) Musiker und Sänger sollen möglichst nicht im Altarraum Platz nehmen. Ehrfurcht gegenüber Altar, Ambo und Priestersitz muß gewahrt werden. f) Das Allerheiligste soll nach Möglichkeit in einer Seitenkapelle oder an einem anderen sicheren und geziemenden Platz aufbewahrt werden (vgl. Can. 938 § 4 CIC). g) Dem Konzert kann eine Einführung vorausgehen; diese und andere während des Konzerts eventuell gegebene erklärende Worte sollen sich nicht nur auf künstlerische und geschichtliche Daten beschränken, sondern die Zuhörer auch zu besserem Verständnis und innerer Teilnahme führen. 2125 KONGREGATIONEN h) Der Veranstalter des Konzerts soll schriftlich die Haftpflicht, die Deckung der Unkosten, das Aufräumen des Gebäudes und das Aufkommen für eventuelle Schäden zusichern. 11. Die vorausgehenden praktischen Bestimmungen möchten den Bischöfen und Kirchenrektoren bei ihrem pastoralen Bemühen helfen, stets den besonderen Charakter der für Gottesdienst, Gebet und Stille bestimmten Kirchen zu wahren. Diese Anordnungen dürfen deshalb nicht als mangelndes Interesse für die Kunst der Musik aufgefaßt werden. Der Schatz kirchenmusikalischer Schöpfungen bleibt ein beredtes Zeugnis dafür, wie sehr der christliche Glaube die Kultur des Menschen fördern kann. Dadurch, daß der sakralen und religiösen Musik der ihr gebührende Rang zuerkannt wird, sollen sich die christlichen Musiker und verdienten Mitglieder der „Scholae cantorum“ oder Kirchenchöre ermutigt fühlen, ihre Tradition weiter zu pflegen und sie im Dienst des Glaubens lebendig zu erhalten, entsprechend der Aufforderung des Zweiten Vatikanischen Konzils in seiner Botschaft an die Künstler: „Weigert euch nicht, euer Talent in den Dienst der göttlichen Wahrheit zu stellen! Die Welt, in der wir leben, braucht das Schöne, um nicht der Verzweiflung anheimzufallen. Die Schönheit wie auch die Wahrheit senken ins Herz der Menschen die Freude. Und dies verdanken sie euren Händen“ (vgl. Vaticanum II, Botschaft an die Künstler, 8. Dezember 1965). Rom, den 5. November 1987 Paul Augustin Card. Mayer Präfekt Virgilio Noe Tit-Erzbischof von Vöncaria Sekretär 2126 VI. Anhang Im Dienste der menschlichen Gemeinschaft: Ein ethischer Ansatz zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise Erklärung der Päpstlichen Kommission , Justitia et Pax“ vom 27.1.1987 ANHANG Geleitwort Seit einigen Jahren hat sich das Phänomen der internationalen Schuldenkrise mit so einzigartiger Schärfe verstärkt, daß die internationale Gemeinschaft angesichts ihres Ausmaßes und ihrer Gefahren vor neuen Herausforderungen steht. Die Ursachen dieses Phänomens reichen weit zurück in die Zeit, als die Wachstumsaussichten weltweit so günstig waren, daß sie die Entwicklungsländer veranlaßten, Kapital in ihre Länder zu holen, und die Handelsbanken bereit waren, mit Krediten manchmal auch sehr risikoreiche Investitionen zu finanzieren. Da die Rohstoffpreise günstig waren, blieben die meisten Schuldnerländer auch zahlungsfähig. Die erste „Ölpreiskrise“ von 1974, der 1979 die zweite folgte, der Verfall der Rohstoffpreise und der Strom von Petrodollars, die auf der Suche nach gewinnbringenden Investitionen waren, aber auch die Auswirkungen zu ehrgeiziger Wachstumsprogramme haben eine massive Verschuldung zahlreicher Entwicklungsländer bewirkt. Gleichzeitig erließen die Industrieländer protektionistische Maßnahmen, während die Zinssätze auf dem Weltmarkt stiegen. Die Schuldnerländer waren immer weniger imstande, auch nur die Schuldzinsen zu zahlen. Seit drei oder vier Jahren hat die Summe der Fälligkeiten eine solche Höhe erreicht, daß viele Länder nicht mehr in der Lage sind, ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen, und daher gezwungen sind, neue Kredite aufzunehmen. Damit sind sie in ein Räderwerk geraten, und es ist schwer zu erkennen, wie sie sich daraus wieder befreien können. Die Schuldnerländer befinden sich in der Tat in einer Art Teufelskreis: um ihre Schulden zurückzahlen zu können, sind sie zum Transfer eines immer größeren Teils der Ressourcen verurteilt, die eigentlich für den Verbrauch und die Investitionen im Inland und damit für ihre Entwicklung gebraucht würden. Das Phänomen der Verschuldung macht die wachsende Interdependenz der Volkswirtschaften deutlich, deren Mechanismen - Kapitalströme und Handelsaustausch - neuen Zwängen ausgesetzt sind. Äußere Faktoren belasten daher die Entwicklung der Schuldenlage der Entwicklungsländer. Besonders die freien und schwankenden Wechselkurse, die schwankenden Zinssätze und die Versuchung, der die Industrieländer ausgesetzt sind, protektionistische Maßnahmen beizubehalten, schaffen für die Schuldnerländer ein immer ungünstiger werdendes Umfeld, in dem ihre Schwierigkeiten immer stärker wachsen. 2130 ANHANG Wenn die internationalen Kreditinstitute die Lage allein unter Währungs-und Wirtschaftsaspekten betrachten, führen die von ihnen als Gegenleistung für verstärkte Hilfe gemachten Auflagen oft mit dazu, daß in den verschuldeten Ländern die Arbeitslosigkeit, die wirtschaftliche Rezession und der drastische Rückgang des Lebensstandards wenigstens kurzfristig verstärkt werden, worunter in erster Linie die ärmsten Bevölkerungsschichten sowie eine bestimmte Mittelschicht besonders leiden. So entsteht eine unerträgliche Situation, die mittelfristig auch für die Gläubiger selbst verhängnisvoll werden kann. Der Schuldendienst kann nicht geleistet werden, wenn dafür das Erliegen der gesamten Wirtschaftstätigkeit eines Landes in Kauf genommen werden muß, und keine Regierung kann moralisch gesehen von einem Volk Entbehrungen verlangen, die mit der Würde des Menschen unvereinbar sind. Die betroffenen Länder haben angesichts häufig widersprüchlicher Forderungen unverzüglich reagiert. Auf regionaler und internationaler Ebene wurden viele Initiativen ergriffen. Dabei wurden auch einseitige, radikale Lösungen befürwortet. In den meisten Fällen wurde das Problem jedoch in seiner Gesamtheit und seiner nicht nur wirtschaftlichen und finanziellen, sondern auch sozialen und menschlichen Tragweite erfaßt, angesichts deren die Verantwortungsträger vor moralischen Entscheidungen stehen. Auf diesen ethischen Aspekt des Problems hat der Heilige Vater Johannes Paul II. die international Verantwortlichen wiederholt hingewiesen, insbesondere in seiner Botschaft an die 40. Vollversammlung der Vereinten Nationen vom 14. Oktober 1985 (Nr. 5). Im Bewußtsein ihres Auftrags, um durch das Licht des Evangeliums die Situationen zu erhellen, in denen die Menschen Verantwortung tragen, fordert die Kirche erneut alle beteiligten Parteien auf, die Frage der Auslandsschulden der Entwicklungsländer vom Standpunkt der Ethik aus zu untersuchen und Lösungen zu entwickeln, die gerecht sind und die Würde derer wahren, die am härtesten von den Folgen betroffen sind. Daher hat der Heilige Vater die Päpstliche Kommission „Iustitia et Pax“ beauftragt, das Problem zu vertiefen und den verschiedenen Akteuren -Gläubiger- und Schuldnerländer, Finanzinstitutionen und Handelsbanken - Beurteilungskriterien und Untersuchungsmethoden „im Hinblick auf einen ethischen Ansatz zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise“ vorzuschlagen. Es ist der dringende Wunsch der Päpstlichen Kommission „Iustitia et Pax“, mit diesem Dokument zu einer Klärung in den Entscheidungspro- 2131 ANHANG zessen derer beizutragen, die auf einem Gebiet Verantwortung tragen, das heute das bevorzugte Feld der internationalen Solidarität ist. Auch hegt die Kommission die Hoffnung, daß diese Überlegungen den bedürftigsten unter den Menschen und Nationen wieder Vertrauen geben, indem sie nochmals mit Nachdruck betont, daß die Wirtschaftsstrukturen und Finanzmechanismen dem Menschen dienen sollen und nicht umgekehrt, und daß die Austauschbeziehungen und die mit ihnen einhergehenden Finanzmechanismen noch reformiert werden können, bevor Kurzsichtigkeit und Egoismus von einzelnen oder von Gruppen unwiderruflich in Konflikte ausarten. Roger Kardinal Etchegaray Jorge Mejia Präsident der Päpstlichen Kommission „IUSTITIA ET PAX“ Vizepräsident der Päpstlichen Kommission „IUSTITIA ET PAX“ 2132 ANHANG Einführung Verantwortliche in Politik und Wirtschaft, führende Persönlichkeiten des sozialen und religiösen Lebens, aber auch die öffentliche Meinung weltweit sind sich darin einig, daß das Ausmaß der Verschuldung der Entwicklungsländer auf Grund seiner sozialen, wirtschaftlichen und politischen Folgen ein schwerwiegendes Problem von großer Dringlichkeit und Komplexität darstellt. Die Entwicklung der verschuldeten Länder ist in Gefahr, ja in einigen Fällen sogar ihre Unabhängigkeit. Die Existenzbedingungen der ärmsten unter ihnen haben sich noch verschlechtert, und das internationale Finanzsystem gerät ins Wanken. Gläubiger wie Schuldner haben sich im jeweiligen Einzelfall um Sofortlösungen - manchmal aber auch um längerfristige Lösungen - bemüht. Es gilt, diese Anstrengungen trotz ihres unzureichenden und begrenzten Charakters im Dialog und in gegenseitigem Verständnis fortzusetzen, damit die Rechte und Pflichten der jeweiligen Parteien deutlicher werden. Während sich einerseits einige Entwicklungsländer insbesondere in Lateinamerika und in Afrika kurz vor dem Zusammenbruch befinden, weil sie den Schuldendienst nicht mehr leisten können, da die gegenwärtige Wirtschaftslage die Situation der Entwicklungsländer noch verschlimmert hat, so sind auf der anderen Seite aber auch die internationalen Finanz-und Währungsstrukturen selbst in eine Krise geraten. Wie ist es dazu gekommen? Welche Veränderungen im Verhalten und in den Institutionen sind nötig, damit zwischen Gläubigem und Schuldnern gerechte Beziehungen entstehen und die Krise nicht anhält oder gar zu einer noch größeren Gefahr wird? Die Kirche teilt diese tiefe Besorgnis, die auf internationaler, regionaler und nationaler Ebene zum Ausdruck kommt, und möchte aus diesem Grund erneut die Grundsätze der Gerechtigkeit und der Solidarität darlegen, die bei der Suche nach Lösungen helfen werden. Die Kirche wendet sich in erster Linie an die wichtigsten Akteure des Finanz- und Währungssektors. Dabei ist es ihr Wunsch, das Gewissen der Verantwortlichen zu erleuchten, die bei ihren Entscheidungen die ethischen Grundsätze nicht außer acht lassen dürfen, ohne jedoch Aktionsprogramme vorzuschlagen, da dies außerhalb ihrer Zuständigkeit liegt. Die Kirche wendet sich an alle Bevölkerungsschichten, insbesondere aber an die ärmsten, die als erste die Auswirkungen dieser ungeordneten Zustände zu erleiden haben und ein Gefühl von Fatalismus, Vernichtung 2133 ANHANG und latenter Ungerechtigkeit verspüren und manchmal mit Auflehnung reagieren. Sie will ihnen Hoffnung und Zuversicht darauf zurückgeben, daß eine Überwindung der Schuldenkrise durch die Mitwirkung aller und unter Achtung der Würde eines jeden möglich ist. Diese schwerwiegenden Fragen sollten am besten im Gesamtzusammenhang und dabei gleichzeitig vom Standpunkt der Ethik aus behandelt werden. Es erscheint daher notwendig, zunächst die auf diese komplexen Verhältnisse anwendbaren ethischen Grundsätze zu nennen, bevor auf die spezifischen Entscheidungen eingegangen werden kann, vor denen die Verantwortlichen entweder angesichts von Notlagen oder im Hinblick auf mittel- oder langfristige Lösungen gestellt sein können. Bei der Erstellung des vorliegenden Textes wurde auf zahlreiche Untersuchungen zurückgegriffen, die bereits zum Thema Internationale Verschuldung erschienen sind. Dieser vom Standpunkt der Ethik bestimmte globale Ansatz ermöglicht allen auf nationaler oder internationaler Ebene verantwortlichen Personen oder Institutionen, sich aus ihrer spezifischen Situation heraus mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Bereits an dieser Stelle versichert die Kirche all denen, die ihr ihre Aufmerksamkeit schenken wollen, daß es ihrer Überzeugung nach möglich ist, durch eine Zusammenarbeit, die kollektive Egoismen und Einzelinteressen überwindet, die Schuldenkrise zu bewältigen und darüber hinaus einen Fortschritt auf dem Weg zur Gerechtigkeit in der Weltwirtschaft zu erreichen. 2134 ANHANG I. Ethische Grundsätze 1. Neue Formen von Solidarität entwickeln Die Verschuldung der Entwicklungsländer ist in den Gesamtzusammenhang der wirtschaftlichen, politischen und technologischen Beziehungen einzuordnen, die die wachsende Interdependenz zwischen den Ländern und die Notwendigkeit eines internationalen konzertierten Vorgehens zum Zwecke des Gemeinwohls deutlich werden lassen. Diese Interdependenz muß, wenn sie gerecht sein soll, neue und erweiterte Formen der Solidarität hervorbringen, die die Gleichheit der Würde aller Völker achten, anstatt zur Vorherrschaft der Stärkeren, zu nationalem Egoismus, zu Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu führen. Daher ist die Finanz-und Währungsfrage heute zu einem neuen und dringlichen Problem geworden. 2. Mitverantwortung übernehmen Solidarität setzt voraus, daß die Mitverantwortung für die internationale Verschuldung im Hinblick auf die Ursachen und die Lösungen erkannt und übernommen wird. Die Verschuldung hat sowohl interne wie externe Gründe; auf der einen Seite handelt es sich um landesspezifische Gründe und solche, die sich aus der jeweiligen wirtschaftlichen und politischen Ordnung ergeben; auf der anderen Seite liegen die Ursachen aber auch in der Entwicklung des internationalen Umfeldes, die sich in erster Linie aus dem Verhalten und den Entscheidungen der entwickelten Länder ergibt. Die Anerkennung der geteilten Verantwortung für die Ursachen wird einen Dialog über gemeinsam zu erarbeitende Lösungen ermöglichen. Eine solche Mitverantwortung besteht für die Zukunft der Länder und ihrer Bevölkerung, aber auch für den auf Gerechtigkeit aufbauenden Weltfrieden. <106> <106> Vertrauen aufbauen Im Hinblick auf eine Zusammenarbeit bei der Suche nach Lösungen wird die Mitverantwortung zur Schaffung oder Wiederherstellung des Vertrauens zwischen den Nationen (Gläubigem und Schuldnern) und zwischen den verschiedenen Akteuren (staatlichen Stellen, Handelsbanken, internationalen Organisationen) beitragen. Gegenseitiges Vertrauen als unver- 2135 ANHANG zichtbarer Wert muß immer wieder erneuert werden, denn dank seiner ist es möglich, an die Redlichkeit des anderen zu glauben, selbst wenn dieser auf Grund von Schwierigkeiten seine Verpflichtungen nicht erfüllen kann, und ihn weiter als Partner zu behandeln. Konkretes Verhalten muß dieses Vertrauen begründen. 4. Anstrengungen und Opfer gemeinsam tragen Zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise müssen sich die verschiedenen Partner über eine gerechte, die prioritären Bedürfnisse der ärmsten Völker berücksichtigende Verteilung der Last der Anpassung und der notwendigen Opfer einigen. Es hegt in der Verantwortung der besser gestellten Länder, einen größeren Teil der Last zu übernehmen. 5. Die Mitwirkung aller bewirken Die Suche nach einer Lösung des Schuldenproblems obliegt zunächst den Akteuren des Finanz- und Währungssektors, aber auch den für Politik und Wirtschaft verantwortlichen Personen. Alle gesellschaftlichen Gruppen sind aufgefordert, ein besseres Verständnis für die Komplexität der Verhältnisse zu entwickeln und an der Ausarbeitung und Durchführung der erforderlichen Politik aktiv mitzuwirken. In diesen neuen Bereichen der Ethik ist die Kirche aufgefordert, die Erfordernisse der sozialen Gerechtigkeit und der Solidarität in bezug auf die Lage eines jeden Landes und seiner Einordnung in den internationalen Gesamtzusammenhang zu verdeutlichen. 6. Sofortmaßnahmen und langfristige Maßnahmen miteinander verbinden In einigen Fällen macht die Dringlichkeit der Lage Sofortlösungen im Rahmen einer Ethik des Überlebens erforderlich. Die Hauptanstrengung muß aber auf die wirtschaftliche und soziale Erneuerung gerichtet sein: erneutes Wirtschaftswachstum, produktive Investitionen, Bildung von Ressourcen, gerechte Verteilung usw. Zur Vermeidung von neuen Krisensituationen mit zu plötzlichen Änderungen des internationalen Umfeldes ist es außerdem erforderlich, eine Reform der Währungs- und Finanz-situätionen zu prüfen und zu fördern. <107> <107> Vertrauen aufbauen Im Hinblick auf eine Zusammenarbeit bei der Suche nach Lösungen wird die Mitverantwortung zur Schaffung oder Wiederherstellung des Vertrauens zwischen den Nationen (Gläubigem und Schuldnern) und zwischen den verschiedenen Akteuren (staatlichen Stellen, Handelsbanken, internationalen Organisationen) beitragen. Gegenseitiges Vertrauen als unver- 2136 ANHANG II. Notsituationen meistern Einige Entwicklungsländer sind angesichts der Höhe der eingegangenen Schulden und besonders der jährlich fälligen Rückzahlungen im Verhältnis zu den ihnen zur Verfügung stehenden Finanzmitteln nicht in der Lage, ihren Verpflichtungen ohne schwerwiegende Beeinträchtigung ihrer Wirtschaft und des Lebensstandards ihrer Bevölkerung, insbesondere der ärmsten Schichten, nachzukommen. Äußere Umstände, die zur Verringerung ihrer Exporterlöse beitragen (sinkende Rohstoffpreise, erschwerter Zugang zu den geschützten Außenhandelsmärkten) oder ihren Schuldendienst erhöhen (hohe und schwankende Zinssätze, extreme und unvorhersehbare Wechselkursschwankungen) verschlimmern diese kritische Lage noch weiter. Einige können ihre Verpflichtungen gegenüber den verschiedenen Gläubigern nicht mehr erfüllen und stehen kurz vor der Zahlungseinstellung. Die internationale Solidarität verlangt Sofortmaßnahmen, um diesen Ländern das Überleben zu sichern. Dabei handelt es sich zunächst um die Einleitung eines Dialogs und die Zusammenarbeit aller mit dem Ziel einer Soforthilfe. Gleichzeitig gilt es auch, das Ausbleiben von Zahlungen zu verhindern, die das internationale Finanzsystem erschüttern und eine weltweite Krise zur Folge haben könnten. In seinem Verhalten und seinen Entscheidungen sollte man sich deshalb von einer Ethik des Überlebens leiten lassen: ein Bruch zwischen Gläubigem und Schuldnern und eine einseitige Kündigung früherer Vereinbarungen sollten vermieden werden; der zahlungsunfähige Schuldner muß respektiert und sollte nicht sofort mit für ihn unerfüllbaren Forderungen belastet werden; auch wenn sie rechtmäßig sind, können solche Forderungen ungerechtfertigt sein. Ausgehend vom Evangelium könnten andere Verhaltensweisen in Betracht gezogen werden, z. B. Gewährung von Fristverlängerungen, teilweiser oder vollständiger Erlaß der Schulden oder Unterstützung des Schuldners im Hinblick auf die Wiederherstellung seiner Zahlungsfähigkeit. Bei solchen Schwierigkeiten haben die sofortigen Bedürfnisse des Landes Vorrang, ohne daß dabei jedoch das umfassendere Interesse der internationalen Gemeinschaft und der Präzedenzcharakter der gewählten Lösung vergessen werden darf. Es gehört zur Verantwortung der Führung eines jeden Landes, die Entwicklung seiner Auslandsschulden aufmerksam zu verfolgen, damit nicht aus mangelnder Voraussicht oder durch leichtsinnige Wirtschaftsführung plötzlich eine solch extreme Lage entsteht. 2137 ANHANG Es wäre ein Beitrag zur Gesundung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und zu konzertiertem Vorgehen bei erforderlichen Sofortmaßnahmen, wenn man derartige Krisen vorhersehen, ihnen Vorbeugen und sie abschwächen würde, Krisen, die die einen ohne eigenes Zutun begünstigen und die anderen maßlos bestrafen und die häufig zu ungerechten Spekulationen verleiten. Es müssen rasch im voraus Strukturen zur Koordinierung der erforderlichen Maßnahmen gebüdet werden, die unverzüglich aktiviert werden könnten wie die für andere Bereiche ständig bestehenden Sicherheits- und Einsatzpläne für Katastrophenfälle, die viele Menschenleben retten helfen. Einige der internationalen Organisationen tragen auf Grund ihres Auftrags eine besondere Verantwortung. Es ist insbesondere Aufgabe des Internationalen Währungsfonds (IWF), den Mitgliedsländern bei der Überwindung von Zahlungsbilanzdefiziten und der Überbrückung vorübergehender Schwierigkeiten zu helfen. Zu diesem Zweck verfügt er über entsprechende Finanzmittel. Im Laufe der letzten Jahre haben sich seine Rolle und seine Interventionsmöglichkeiten stark weiterentwickelt. In mehreren Fällen haben seine Beschlüsse aber in den in Schwierigkeit befindlichen Ländern, bei ihrer Führung und in ihrer öffentlichen Meinung zu negativen Reaktionen geführt; sie hatten gelegentlich den Eindruck, als seien sie in autoritärer Technokratenmanier und ohne ausreichende Berücksichtigung der dringenden sozialen Erfordernisse und der spezifischen Gegebenheiten aufgezwungen worden. Es wäre angebracht, deutlich zu machen, daß der IWF im Dialog und Dienst am Gemeinwesen die Richtschnur für sein Handeln sieht. Im Bereich der Sofortmaßnahmen haben die verschiedenen Gläubiger -Staaten und Handelsbanken - ebenfalls eine konkrete Verantwortung. Damit sie gerecht und wirkungsvoll, aber ohne übermäßigen Druck auf den Schuldner ausgeübt werden kann, ist eine Koordinierung in Zusammenarbeit mit dem in Schwierigkeiten befindlichen Land und dem IWF mit dem Ziel der Verteilung der sich unmittelbar ergebenden Lasten erforderlich. Die Mitverantwortung kommt bei der Suche nach den Ursachen und bei den Sofortmaßnahmen selbst zum Tragen. Deshalb gilt es, unter den Ursachen für die Verschuldung eines Landes diejenigen herauszufinden, die auf globale, sich jeder Kontrolle entziehende Mechanismen zurückzuführen sind, wie z. B. Kursschwankungen der Währung, in der internationale Verträge abgeschlossen werden, Schwankungen der Preise für Rohstoffe, die häufig Gegenstand von Spekulationen an den großen Börsenplätzen sind, oder der plötzliche Verfall der Ölpreise. 2138 ANHANG Dort zu helfen, wo Hilfe benötigt wird, ist unerläßlich, aber nicht genug. Dies wäre sogar aussichtslos, wenn nicht gleichzeitig auch die Voraussetzungen für die Wiederherstellung des wirtschaftlichen und finanziellen Gleichgewichts für die Zukunft geschaffen werden. In den meisten Fällen wird die Krise nicht durch einen simplen konjunkturbedingten Zwischenfall ausgelöst, sondern sie hat tiefere Ursachen, die durch diesen ans Tageslicht kommen. Notmaßnahmen müssen mit mittelfristigen Anpassungsmaßnahmen verknüpft werden. 2139 ANHANG III. Verantwortung flir die Zukunft solidarisch tragen Zwischen den Ländern bestehen komplexe Finanz- und Währungsbeziehungen, die einem ständigen Wandel unterhegen. Jedes Land ist auf Grund des relativen Werts seiner Währung, auf Grund seines Handelsaus-tauschs, seiner natürlichen Ressourcen und seiner technischen Fähigkeiten, diese zu nutzen, aber auch auf Grund des Vertrauens, das es sich im Ausland erwirbt, in einer Position der Schwäche oder der Stärke, in einer Machtposition oder in einer Position der Abhängigkeit, wobei diese selbst auch Veränderungen unterworfen ist. In einer gründlichen Analyse muß daher die Verantwortung, die den einzelnen Ländern jeweils für die Gegenwart wie für die Zukunft zukommt, deutlich gemacht werden. Ein erster Überblick läßt eine Vielzahl von Akteuren und Organisationen erkennen, innerhalb derer diese tätig werden und die spezielle Aufgaben haben, für die sie über einen mehr oder weniger großen Spielraum - also Raum für Initiativen und Verantwortung - verfügen. Diese Akteure, die sich in ihren Aufgaben und ihrer internationalen Position unterscheiden, sind insbesondere: die Industrieländer und die Entwicklungsländer; die Gläubigerländer und die Schuldnerländer; die internationalen und nationalen Handelsbanken; die großen internationalen Unternehmen; die multilateralen Finanzorganisationen (Weltbank, Internationaler Währungsfonds, regionale Entwicklungsbanken). Wenn nun nacheinander die Rolle, die Mittel und die Entscheidungsspielräume der einzelnen Akteure dargestellt werden, können die ihnen jeweils zufallende Verantwortung deutlich gemacht und ethische Prinzipien vorgeschlagen werden, an der sie ihre Entscheidungen ausrichten, nach der sie ihr Verhalten ändern und die Institutionen umbilden können im Sinne eines besseren Dienstes an der Menschheit. Alle sind berufen, mitzuwirken am Aufbau einer gerechteren Welt, und eine Frucht wird der Friede sein. Johannes Paul II. sagt: „ . . . daß wir den Frieden betrachten als eine unteilbare Frucht von gerechten und aufrichtigen Beziehungen auf jeder Ebene des menschlichen Lebens auf dieser Erde - sozial, wirtschaftlich, kulturell und ethisch . . . Euch, die Geschäftsleute und die Verantwortlichen im Finanz- und Handelsbereich, rufe ich dazu auf, eure Verantwortung für alle eure Brüder und Schwestern erneut zu überprüfen.“ Dank dieser neuen Sicht der übernommenen Aufgaben wird es möglich, der Versuchung des Fatalismus und der Ohnmacht angesichts der Komplexität der Interdependenzen zu entgehen und neue Räume für die zu 2140 ANHANG übernehmende und zu teilende Freiheit und somit für Verantwortung zu schaffen. 1. Die Verantwortung der Industrieländer In einer Welt gestiegener Interdependenz zwischen den Nationen wird eine Ethik der erweiterten Solidarität zur Umgestaltung der Wirtschaftsbeziehungen (Handels-, Finanz- und Währungsbeziehungen), die doch oft Machtverhältnisse und wirtschaftliche Interessen widerspiegeln, beitragen, so daß daraus Beziehungen der Gerechtigkeit und des gegenseitigen Dienens entstehen.5 Wegen ihrer größeren wirtschaftlichen Stärke haben die Industrieländer eine höhere Verantwortung, die sie anerkennen und akzeptieren müssen, auch wenn die Wirtschaftskrise sie häufig vor schwere Beschäftigungsund Strukturprobleme gestellt hat.6 Die Zeiten sind vorüber, in denen sie handeln konnten, ohne sich um die Wirkungen ihrer Politik auf die anderen Länder zu kümmern; es ist ihre Pflicht, ihre positiven wie negativen Auswirkungen auf die anderen Mitglieder der internationalen Gemeinschaft zu beurteilen und Änderungen vorzunehmen, wenn sie zu schwerwiegenden Folgen für die anderen, insbesondere für die ärmsten Länder führen. Es ist Ausdruck des kollektiven Egoismus eines Landes, diese Auswirkungen der Interdependenz unberücksichtigt zu lassen oder ihre Bewertung und Beherrschung zu versäumen. Die öffentliche Meinung für die internationalen Belange aufgeschlossen und für die Pflichten der erweiterten Solidarität empfänglich zu machen, ist Aufgabe der Verantwortlichen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens, des Erziehungssektors und des religiösen Lebens, ganz besonders aber auch Aufgabe der politischen Führer, die oft stärker dazu neigen, den nationalen Interessen einen ausschließlichen Vorrang einzuräumen, als ihren Mitbürgern die positiven Seiten einer international gerechteren Verteilung der Güter zu erläutern. Papst Paul VI. hat dies bereits in seiner Enzyklika „Populorum progressio“ zum Ausdruck gebracht (Nr. 84): „Staatsmänner, ihr habt die Pflicht, eure Völker zu einer wirksameren Solidarität zu mobilisieren, sie davon zu überzeugen, daß Abstriche an verschwenderischen Ausgaben notwendig sind zugunsten der Entwicklungshilfe und zur Sicherung des Friedens!“ Wörter wie „teilen“ oder gar „sich einschränken“ werden nur dann Gehör finden, wenn man an die Werte der Brüderlichkeit und Solidarität im Hinblick auf Frieden und Entwicklung appelliert. 2141 ANHANG Angesichts der Herausforderung durch die steigende Verschuldung der Entwicklungsländer gilt die Verantwortung der Industrieländer insbesondere folgenden Bereichen: 1. Die Schuldensituation der Entwicklungsländer hat sich durch die Weltwirtschaftskrise, deren Auswirkungen (sinkender Lebensstandard der ärmsten Schichten, wachsende Arbeitslosigkeit usw.) schwer auf der Bevölkerung lasten, noch verschlechtert. Ein dauerhaftes und nachhaltiges Wachstum in den Industrieländern wird der Weltwirtschaft bei der Überwindung der Krise und den verschuldeten Ländern mittel- und langfristig bei der Bewältigung ihrer Schuldenlast helfen, ohne ihre eigene Entwicklung zu gefährden. Die Industrieländer müssen sich bemühen, durch ihre Wirtschaftspolitik in ihrem Interesse und im Interesse ihrer Bevölkerung das Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln; dabei müssen sie jedoch die Auswirkungen auf die Entwicklungsländer berücksichtigen und ggf. die internationalen Handelsregelungen ändern, die einer gerechteren Verteilung der Früchte dieses Wachstums im Wege stehen, da sonst dieses Wachstum die ärmsten Länder noch stärker marginalisieren und das Gefälle zwischen den Ländern noch vergrößern würde. Es ist eine schwierige, aber stimulierende Aufgabe, eine Wirtschaftspolitik durchzuführen, die das Wachstum zum Nutzen aller Völker wieder ankurbelt, ohne daß die Inflation außer Kontrolle gerät und zu neuen Ungleichheiten führt; von den Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verlangt dies Sachkompetenz, Uneigennützigkeit und Aufgeschlossenheit für die Bedürfnisse der anderen Länder sowie Einfallsreichtum bei der Suche nach neuen Wegen. 2. Die Industrieländer müssen auf protektionistische Maßnahmen, die die Ausfuhren der Entwicklungsländer behindern, verzichten; wenn außerdem das technische Know-how mit ihnen geteilt wird, würden sich auf diese Weise die wirtschaftlichen Möglichkeiten dieser Länder verbessern. Die Industrieländer werden ihre Wirtschaft umstellen und dabei rechtzeitig Vorsorge treffen müssen für die sozialen Auswirkungen auf ihre Bevölkerung. Heute herrscht zwischen allen Ländern, ganz besonders aber unter den Industrieländern selbst ein zügelloser technologischer und wirtschaftlicher Wettbewerb, der immer mehr einem erbarmungslosen Krieg gleicht, in dem man sich nicht um die zerstörenden Auswirkungen auf die Schwächsten kümmert. Die Kirche hat ein offenes Ohr für deren Hilferufe und fordert daher alle Menschen guten Willens und besonders die führenden Persönlichkeiten in Politik und Wirtschaft auf, Wege für 2142 ANHANG eine bessere internationale Verteilung der Wirtschaftstätigkeit und der Arbeit zu suchen.7 3. Die von den Industrieländern verlangten hohen Zinssätze erschweren die Rückzahlung der Schulden der Entwicklungsländer. Durch eine koordinierte Finanz- und Währungspolitik der Industrieländer wird es möglich, sie auf ein vernünftiges Maß zu senken und sprunghafte Wechselkursschwankungen zu vermeiden. Diese begünstigen unlautere Spekulationsgewinne und die Abwanderung des einheimischen Kapitals, was eine weitere Verarmung der Entwicklungsländer verursacht. 4. Unter Mitwirkung aller Länder und Hinzuziehung des Sachverstands der betroffenen internationalen Institutionen müssen die internationalen Handelsbedingungen (insbesondere die Instabilität der Rohstoffpreise) erneut gründlich untersucht werden, um der Forderung nach Gerechtigkeit und internationaler Solidarität dort mehr Geltung zu verschaffen, wo die nationalen Interessen zu stark im Vordergrund stehen. Im Hinblick auf einen Beitrag zur „solidarischen Entwicklung der Menschheit“8 scheint die Verantwortung für die Maßnahmen zur Wiederankurbelung des Wachstums, den Abbau des Protektionismus, die Senkung der Zinssätze und die Preisbildung für Rohstoffe heute bei den Industrieländern zu liegen. 2. Die Verantwortung der Entwicklungsländer Die internationale Mitverantwortung akzeptieren heißt für die Entwicklungsländer, die internen Ursachen zu untersuchen, die zum Anstieg ihrer Verschuldung geführt haben; es heißt auch, die zur Sanierung erforderliche Politik zu ergreifen, um die Schuldenlast zu verringern, soweit es in ihrer Macht liegt, und ihre eigene Entwicklung im Sinne der bereits zitierten Enzyklika Pauls VI. zu fördern: „... daß diese Solidarität unter den Völkern der Erde immer mehr Wirklichkeit wird. Sie muß es allen Völkern erlauben, ihr Geschick selbst in die Hand zu nehmen“, in dem Wunsch, „möge der Tag kommen, wo die internationalen Beziehungen von gegenseitiger Achtung und Freundschaft geprägt sind, von gegenseitiger Zusammenarbeit, von gemeinsamem Aufstieg, für den sich jeder verantwortlich fühlt.“9 Eine gründliche Untersuchung der bestehenden Schuldenlage wird die Besonderheiten eines jeden Entwicklungslandes sowohl im Hinblick auf 2143 ANHANG die inneren und äußeren Ursachen, als auch auf die Lösungsmöglichkeiten und die Zukunftschancen verdeutlichen. Diese Unterschiedlichkeit ist das Ergebnis einer Vielzahl von Faktoren: mehr oder weniger große natürliche Ressourcen, die mal mehr, mal weniger gut bewirtschaftet werden (Energieträger und Bodenschätze, landwirtschaftliche Nutzfläche, Klima, Verkehrsmöglichkeiten); Nutzung der menschlichen Ressourcen; Zielsetzungen der nationalen Politik (Wirtschaft, Soziales, Finanzen, Währung). Die Untersuchung eines jeden Einzelfalls wird eine gerechtere.Beurteilung der Verantwortung und der gewählten Lösungen erlauben und dabei auch die Solidarität der Entwicklungsländer untereinander berücksichtigen, die auf regionaler wie auf internationaler Ebene mit Recht Absprachen treffen können. Es ist wünschenswert, daß alle Verantwortlichen des Landes mitwirken an der Untersuchung seiner Lage und besonders der Finanz- und Währungskrise, in der es sich befindet. In ihrem Bemühen um Wahrheit und Bereitschaft zur Mitwirkung müssen sie Zivilcourage und: moralischen Mut aufbringen, um die Bevölkerung über die Verantwortung jedes einzelnen und jeder gesellschaftlichen Schicht zu unterrichten, damit ein Konsens entsteht im Hinblick auf die erforderlichen wirtschaftlichen Anpassungsmaßnahmen und die Schwerpunktziele. Die Führer eines in wirtschaftliche und besonders in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Landes sind oft versucht, die ganze Verantwortung den anderen Ländern zuzuschieben, um nicht ihr eigenes Verhalten, ihre Irrtümer oder gar begangenen Mißbrauch rechtfertigen und Veränderungen vorschlagen zu müssen, von denen sie selbst unmittelbar betroffen wären. Wer von anderen begangene oder zugelassene Ungerechtigkeiten anprangert, wird nur Gehör finden, wenn er auch zu seiner eigenen Handlungsweise Stellung bezieht. „Zweifellos ist es bequemer, anderen die Schuld an den bestehenden, ungerechten Lebensverhältnissen zuzuschieben, als sich der Einsicht zu erschließen, daß man auch selbst nicht frei von Schuld ist und daß jeder mit der Besserung bei sich selbst anfangen muß.“10 Auch die Kirche schlägt diesen Weg ein.11 Die Trennungslinie zwischen arm und reich verläuft nicht nur zwischen den Nationen, sondern innerhalb einer Nation besteht sie auch zwischen den sozialen Schichten und den einzelnen Regionen. In den armen Ländern gibt es. Reiche, wie es Arme in den reichen Ländern gibt. Innerhalb eines Staatsgebiets gibt es ärmere und wohlhabendere Regionen. Johannes XXIII. hat bereits 1961 diese neuen Aspekte der Gerechtigkeit hervorgehoben. „Die Entwicklung der geschichtlichen Situation stellt immer klarer heraus: Die Maßstäbe von Gerechtigkeit und Billigkeit 2144 ANHANG müssen nicht nur auf die Beziehungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern angewandt werden, sondern ebenso auch auf die verschiedenen Wirtschaftszweige untereinander und die wirtschaftlich unterschiedlich gestellten Gebiete ein und desselben Landes; das gleiche gilt innerhalb der ganzen menschlichen Gemeinschaft für die verschiedenen wirtschaftlich und gesellschaftlich in verschiedenem Grade entwickelten Länder.“12 Die in den Entwicklungsländern die Macht innehabenden Schichten werden zulassen müssen, daß ihr Verhalten und ihre mögliche Mitverantwortung für die Verschuldung ihres Landes geklärt werden: Nachlässigkeit beim Aufbau angemessener Strukturen oder Mißbrauch bei der Nutzung bestehender Strukturen, wie z. B. Steuerhinterziehung, Bestechung, Währungsspekulation, Kapitalflucht13, Schmiergelder im Zusammenhang mit internationalen Verträgen. Dank dieser Pflicht zur Transparenz und zur Wahrheit wird es möglich sein, das Maß der Verantwortung jedes einzelnen festzustellen, unbegründete Verdächtigungen zu vermeiden und notwendige und geeignete Veränderungen sowohl im Hinblick auf die Institutionen als auch auf das persönliche Verhalten vorzuschlagen. „Es bleibt jedoch wahr, daß Strukturen, die für das Wohl der Personen geschaffen worden sind, von sich allein her nicht in der Lage sind, dieses Wohl hervorzubringen und zu garantieren. Die Korruption, die in gewissen Ländern Führungskräfte und staatliche Verwaltung befallen hat und alles ehrliche soziale Leben zerstört, ist ein Beweis dafür. Die Rechtschaffenheit der Sitten ist Bedingung für die Gesundheit der Gesellschaft. Man muß sich also zugleich um die Bekehrung der Herzen und um die Verbesserung der Strukturen bemühen.“14 Wenn sich die individuelle und kollektive Einstellung gegenüber dem Geld geändert hat und die Reform der Institutionen15 erfolgt ist, wird das Vertrauen der Bürger, aber auch der anderen Länder zurückkehren oder gestärkt werden, so daß die notwendigen Korrekturen akzeptiert und an ihrer Umsetzung mitgearbeitet wird. Die führenden Persönlichkeiten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben die moralische Verpflichtung, sich konkret in den Dienst am Gemeinwohl ihres Landes zü stellen, ohne dabei nach persönlichen Vorteilen zu streben. Sie müssen ihre Aufgabe als Dienst an der Gemeinschaft sehen und dafür Sorge tragen, daß die Güter, Dienstleistungen und Arbeitsplätze gerecht unter alle verteilt werden, wobei die Befriedigung der Bedürfnisse der Ärmsten jedoch Vorrang hat; in diesem Zusammenhang müssen sie auch die Auswirkungen der ihrer Überzeugung nach notwendigen Wirtschafts- und Finanzmaßnahmen auf diese Schichten überwachen. Dieses Streben nach sozia- 2145 ANHANG ler Gerechtigkeit bei politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen wird um so glaubwürdiger und erfolgreicher sein, je stärker diese Führer sich in ihrem Lebensstil dem annähem, was ihre Mitbürger angesichts der Schwierigkeiten des Landes gezwungenermaßen hinnehmen müssen. Christliche Führer werden sich hierbei von den Forderungen des Evangeliums leiten lassen. Unter Berücksichtigung der jeweils unterschiedlichen Lage der Länder wird sich angesichts der wachsenden Verschuldung die Eigenverantwortung der Entwicklungsländer besonders auf folgende Bereiche erstrecken: 1. Zur Förderung eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums und der Entwicklung des Landes ist es erforderlich, alle verfügbaren nationalen, materiellen wie menschlichen Ressourcen zu mobilisieren. Wirtschaftswachstum ist kein Selbstzweck: es ist ein notwendiges Mittel zur Deckung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung unter Berücksichtigung des Bevölkerungswachstums und des legitimen Strebens nach Verbesserung des Lebensstandards (in bezug auf Gesundheit, Bildung und Kultur ebenso wie auf materiellen Konsum). Die Vermögensbildung muß gefördert werden, damit eine breitere und gerechtere Verteilung von Vermögen an alle gewährleistet werden kann. Es gibt zahlreiche und komplexe Faktoren für das Wirtschaftswachstum, die manchmal schwer zu kontrollieren und zu koordinieren sind. Da die verantwortlichen Führer - des Privatsektors ebenso wie des öffentlichen Sektors - die Pflicht haben, sie in ihrer Gesamtheit bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen, müssen sie selbst über Sachverstand verfügen und Sinn für das Gemeinwohl haben. Zu diesen Faktoren zählen u. a. die Festlegung der prioritären Bereiche, eine strenge Auswahl der Investitionen, die Verringerung der öffentlichen Ausgaben (besonders der Ausgaben für Prestigevorhaben und Rüstung), die Verbesserung des Management in den Unternehmen des öffentlichen Sektors, die Beherrschung der Inflation, eine gesunde Agrarreform, die Förderung der Privatinitiative und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Mit dem Hinweis auf die menschliche und sittliche Dimension fordert die Kirche insbesondere die Christen auf, in all diesen Bereichen konkrete Lösungen zu entwickeln. Das Wiedereinsetzen des Wachstums wird es ermöglichen, schrittweise den Auslandsverpflichtungen (Kapital und Schuldendienst) besser nachzukommen und wieder ausgeglichenere und vertrauensvollere Beziehungen mit den anderen Ländern herzustellen. Dabei müssen auch die Bedürfnisse der kommenden Generationen berücksichtigt werden, denn 2146 ANHANG auch gegenüber diesen besteht ein Gebot der Solidarität und der Gerechtigkeit. 2. Seitens der Entwicklungsländer beinhaltet die internationale Solidarität auch Offenheit, die ein Gut an sich ist, wenn sie gerecht und ausgewogen ist. Unter den im Hinblick auf eine solidarische Entwicklung der Menschheit zu überwindenden Hindernissen nennt Papst Paul VI. den Nationalismus: „Der Nationalismus trennt die Völker voneinander und schadet ihrem wahren Wohl. Er wirkt sich dort besonders schädlich aus, wo die Schwäche der Volkswirtschaften vielmehr die Gemeinsamkeit von Anstrengungen, Erkenntnissen und finanziellen Mitteln fordert, um die Entwicklungsprogramme zu verwirklichen und den wirtschaftlichen und kulturellen Austausch zu fördern.“16 Nur selten verfügt ein Land über alle erforderlichen Ressourcen, um aus eigener Kraft seine Entwicklung sicherzustellen und die Bedürfnisse seiner Bevölkerung zu decken. Es muß sich daher im Ausland Kapital, Technologie und Ausrüstungsgüter beschaffen. Eine sorgfältige Auswahl der Importe hilft, eine Zunahme der Verschuldung zu vermeiden, ohne die Entwicklung zu beeinträchtigen. Bei einer sofortigen völligen Liberalisierung des internationalen Handels bestände jedoch die Gefahr, daß ein für die Wirtschaft der Entwicklungsländer verhängnisvoller Wettbewerb ausgelöst und ein Zwang zu übermäßig rascher Anpassung entstehen würde, der einige Wirtschaftsbereiche zerstören würde. Um diese Gefahren abzuwenden und eine größere Chancengleichheit zu schaffen, müssen Billigkeitsregeln aufgestellt werden. „Die soziale Gerechtigkeit fordert, daß der internationale Warenaustausch, um menschlich und sittlich zu sein, zwischen Partnern geschehe, die wenigstens eine gewisse Gleichheit der Chancen haben. Diese ist sicher nicht schnell zu erreichen... Wer sähe nicht, daß ein solches gemeinsames Bemühen um eine größere Gerechtigkeit in den Handelsbeziehungen zwischen den Völkern den Entwicklungsländern positiv helfen würde? Eine solche Hilfe hätte nicht nur unmittelbare, sondern auch dauernde Wirkungen.“17 Der internationale Handel umfaßt heute den Austausch von Technologie, Kapital, von Währungen und Dienstleistungen. In allen diesen Bereichen sind die gleichen Anstrengungen erforderlich: „... sollte schon jetzt eine wirkliche Gleichheit bei Verhandlungen und im Aushandeln der Preise geschaffen werden... sollten allgemeine Normen vereinbart werden.“18 Insbesondere die modernen Technologien können das Wirtschaftswachstum fördern, wenn sie dem Entwicklungsstand und der Kultur eines 2147 ANHANG Landes angepaßt sind. Mit ihnen verfügen die Nationen, die sie entwickelt haben, über ein Kapital und eine Macht, die es in den Dienst aller zu stellen gilt.19 Die regionale Zusammenarbeit ganz besonders der Entwicklungsländer untereinander ist Ausdruck der Solidarität, die auch auf dem Gebiet der Finanzen und der Währung gefördert werden muß, auch mit dem Ziel, gerechte Lösungen für die durch die Verschuldung aufgeworfenen Probleme zu finden. 3. Die Verantwortung der Gläubiger gegenüber den Schuldnern Im Hinblick auf Notlagen, in denen Schuldnerländer nicht mehr imstande sind, ihre Auslandsschulden zu bedienen oder wenigstens die jährlichen Zinsen zu zahlen, wurde die Verantwortung der verschiedenen Gläubiger bereits im Zusammenhang mit der Solidarität zur Sicherung des Überlebens dargestellt. Diese Regeln heben jedoch nicht die jeweiligen Rechte und Pflichten auf, die Gläubiger und Schuldner aneinander binden. Mit Hilfe einer Analyse der inneren und äußeren Ursachen für die Verschuldung und ihren Anstieg und der jährlich fälligen Tilgung kann für jedes einzelne Land auf dem Wege des Dialogs die Verantwortung des Schuldners und seiner verschiedenen Gläubiger (Staaten, Handelsbanken) geklärt werden, um Lösungen zu finden, die dem Billigkeitsgrundsatz entsprechen. Mit Ausnahme der Fälle, in denen Kredite zu Wucherzinsen gewährt wurden oder zur Finanzierung von Vorhaben gedient haben, für die auf Grund von betrügerischen Absprachen überhöhte Preise vereinbart wurden - in diesem Fall könnte auf gerichtlichem Wege eine Vertragsrevision angestrebt werden -, haben die Gläubiger in bezug auf Zinszahlungen, Tilgungskonditionen und Laufzeiten den Schuldnern gegenüber von diesen anerkannte Rechte. Die Einhaltung des Vertrags durch beide Seiten dient der Erhaltung des Vertrauens. Jedoch können die Gläubiger nicht unter allen Umständen die Einhaltung verlangen, besonders wenn sich der Schuldner in einer extremen Notlage befindet. 1. Die Gläubigerländer müssen prüfen, welche Rückzahlungsbedingungen mit der Deckung der Grundbedürfnisse jedes einzelnen Schuldnerlandes noch vereinbar sind. Jedes Land muß noch genügend Spielraum zur Finanzierung des eigenen Wachstums behalten, um die Voraussetzungen für die spätere Rückzahlung der Schulden zu schaffen. Konkrete Maßnahmen zur Erleichterung des Schuldendienstes und zur 2148 ANHANG Förderung des Wachstums, über die mit den verschuldeten 'Ländern verhandelt werden muß, sind u. a. die Senkung der Zinssätze, die Kapitalisierung von Zahlungen über einen Mindestzinssatz hinaus, Umstellung der Schulden auf eine längere Laufzeit, Zahlungsfazilitäten in Landeswährung. Geleitet vom Geist der Solidarität und dem Willen, gemeinsam die notwendigen Anstrengungen zu leisten, müssen Gläubiger und Schuldner sich über die neuen Bedingungen und Fristen einigen. Bei Meinungsverschiedenheiten über diese Modalitäten kann ein von beiden Seiten anerkanntes und beantragtes Schlichtungs- oder Schiedsverfahren eingeleitet werden. Ein internationaler Verhaltenskodex könnte auf der Grundlage einiger sittlicher Normen eine nützliche Richtschnur für diese Verhandlungen bilden. Die besondere Aufmerksamkeit der Gläubigerländer muß den ärmsten Ländern gelten. In einigen Fällen könnten die Kredite in Zuschüsse umgewandelt werden. Ein derartiger Schuldenerlaß darf aber nicht die finanzielle, wirtschaftliche und politische Gaubwürdigkeit der „am wenigsten entwickelten“ Länder untergraben und den Zufluß von frischem Bankkapital zum Versiegen bringen. Die öffentlichen Kapitalströme aus den Industrieländern (öffentliche Entwicklungshilfe) müssen wieder auf das bilateral oder multilateral vereinbarte Niveau angehoben werden. Mit Hilfe von steuerlichen und finanziellen Maßnahmen und einer staatlichen Risikoabdeckung sollten die Gläubigerländer die Handelsbanken veranlassen, den Entwicklungsländern auch weiterhin Kredite einzuräumen. Durch eine konzertierte Währungs-, Finanz- und Handelspolitik sollten sie dazu beitragen, daß die Entwicklungsländer eine ausgeglichene Zahlungsbilanz und damit die Möglichkeit zur Rückzahlung ihrer Schulden haben. 2. Die Handelsbanken haben direkte Forderungen gegen die Entwicklungsländer (Staaten und Unternehmen). Einerseits sind zwar ihre Pflichten gegenüber ihren Einlegern von wesentlicher Bedeutung und ihre Erfüllung zur Erhaltung ihres Vertrauens unerläßlich, auf der anderen Seite sind dies jedoch nicht ihre einzigen Pflichten, so daß sie in Einklang gebracht werden müssen mit ihrer Pflicht zur Achtung der Schuldner, deren Bedürfnisse häufig viel dringender sind. Die Handelsbanken müssen sich an den Anstrengungen der Gläubigerländer und der internationalen Organisationen zur Lösung des Schuldenproblems beteiligen: Umschuldung, Änderung der Zinssätze, Verstärkung der Investitionen in den Entwicklungsländern und vorrangige Finanzierung von wachstumsfördernden Projekten und weniger von solchen, die 2149 ANHANG rasch sichere Gewinne bringen oder von fragwürdigem Nutzen sind (z.B. Prestigeprojekte, Rüstungsprojekte). Gewiß führt eine solche Einstellung, die sich bei der Beurteilung nicht mehr nur auf das Kriterium der Rendite und der Sicherheit des geüehenen Kapitals stützt, über die traditionelle Funktion von Handelsbanken hinaus. Aber warum sollten sie nicht auf diese Weise einen Teil der Verantwortung übernehmen angesichts der größten Herausforderung unserer Epoche, nämlich durch die Förderung der solidarischen Entwicklung aller Völker zum Weltfrieden beizutragen? Dazu sind alle Menschen guten Willens entsprechend ihren eigenen Fähigkeiten, ihrer beruflichen Verpflichtung und ihrem Solidaritätssinn aufgefordert. 3. Die multinationalen Unternehmen sind in Form von produktiven Investitionen, aber auch durch Kapitalrückführung (Gewinne und Abschreibungen) an den internationalen Kapitalströmen beteiligt. Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik hat daher positive oder negative Auswirkungen auf die Zahlungsbilanz der Entwicklungsländer (Neuinvestitionen, Reinvestitionen im Land, oder aber Gewinnrückführung und Verkauf des Anlagevermögens). Die staatlichen Stellen der Entwicklungsländer müssen die Tätigkeiten dieser Unternehmen auf die Ziele ihrer Entwicklungspläne hin ausrichten (Investitionsgesetz) und mit ihnen Verträge zur Regelung der jeweüigen Pflichten besonders im Hinblick auf den Kapitalfluß und die steuerliche Behandlung abschließen. Multinationale Unternehmen verfügen über eine große wirtschaftliche, finanzielle und technologische Macht. Ihre Strategien machen vor nationalen Grenzen nicht halt. Sie müssen an den Lösungen zur Erleichterung der Schuldenlage der Entwicklungsländer mitwirken. Aufgrund der Rolle, die sie im Bereich der Wirtschaft und der Finanzen auf internationalem Gebiet spielen, sind sie über ihre legitimen Interessen hinaus zur Mitverantwortung und Solidarität aufgerufen. 4. Die Verantwortung der multilateralen Finanzorganisationen Nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs, seinen Gewalttätigkeiten und Zerstörungen haben sich die Völker der Erde zusammengeschlossen, um den Frieden und die internationale Zusammenarbeit zu fördern, die Entwicklung der Völker voranzubringen, die Grundbedürfnisse der Menschen (Gesundheit, Ernährung, Erziehung, Kultur) mit Hilfe von Sonderorganisationen zu sichern und den Wirtschaftsverkehr (Handel, Industrie) 2150 ANHANG untereinander nach gerechten Grundsätzen zu regeln. Die Kirche hat diese Bemühungen, eine gerechtere und solidarischere Welt aufzubauen, stets unterstützt.20 Heute stehen die internationalen Organisationen vor einer neuen, drängenden Verantwortung: beizutragen zur Überwindung des Schuldenproblems der Entwicklungsländer; einen Zusammenbruch des gesamten internationalen Finanzsystems zu vermeiden; den Völkern, und besonders den ärmsten unter ihnen, bei ihrer Entwicklung zu helfen; die Ausbreitung der Armut in allen ihren Erscheinungsformen zu bekämpfen und somit den Frieden durch Beseitigung der Konfliktgefahren zu fördern. Es sei daran erinnert, daß zu diesen Gefahren auch „die unvorhersehbare und schwankende finanzielle Situation mit ihrer direkten Auswirkung für die hochverschuldeten Länder (gehört), die darum ringen, in ihrer Entwicklung echte Fortschritte zu machen“.21 Die multilateralen Finanzorganisationen werden ihre Aufgaben erfüllen, wenn sie sich bei ihren Entscheidungen und ihren Handlungen vom Geist der Gerechtigkeit und der Solidarität im Dienste aller leiten lassen. Es ist sicherlich nicht Sache der Kirche, die Wirtschafts- und Finanztheorien zu beurteilen, auf denen ihre Analysen und Vorschläge zur Abhilfe beruhen. Auf diesen komplexen Gebieten sind alle Gewißheiten nur relativ. Die Kirche für ihren Teil erinnert an die Notwendigkeit des gegenseitigen Verständnisses, damit die realen Verhältnisse besser erkannt werden. Auch erinnert sie nochmals daran, daß die Menschen und ihre Bedürfnisse Vorrang haben müssen vor den Sachzwängen und den Finanzmechanismen, die oft als allein ausschlaggebend dargestellt werden. Als zwischenstaatliche Organisationen muß es ihr Anliegen sein, die Würde und die Souveränität jeder Nation und vor allem der ärmsten zu achten, gleichzeitig müssen sie aber auch darauf hinweisen, daß die Interdependenz der Volkswirtschaften eine Tatsache ist und daher auch als ein Element der Solidarität anerkannt werden kann und muß. Isolation ist weder wünschenswert noch möglich. „Weil die Völker die Baumeister ihres eigenen Fortschritts sind, müssen sie selbst auch an erster Stelle die Last und Verantwortung dafür tragen. Aber sie werden es nicht schaffen, wenn sie gegenseitig isoliert bleiben.“22 Zur Bewältigung dieser neuen Aufgaben sind ohne Zweifel einige Neuordnungen notwendig: Anpassung und Erweiterung ihrer Aufträge, Aufstockung der Mittel, aktive Mitwirkung aller Mitglieder am Entscheidungsprozeß, Förderung der Entwicklungsziele sowie Vorrang für die Deckung der Bedürfnisse der ärmsten Schichten. Bereits 1967 hat Paul 2151 ANHANG VI. eine solche Neuordnung im Hinblick auf die „Entwicklung der Völker“ wünschenswert genannt.23 Diese Neuordnung wird das Vertrauen stärken, das die zwischenstaatlichen Organisationen beanspruchen können, das sie aber stets auch recht-fertigen und manchmal neu erwerben müssen. Die von den Folgen der Verschuldung am stärksten betroffenen Bevölkerungsgruppen brauchen deutliche Zeichen, die erkennen lassen, daß die zur Lösung ergriffenen Maßnahmen gerecht und wirkunsvoll sind. Vertrauen, das für den nationalen Konsens nötig ist, damit die Bereitschaft, die Opfer gemeinsam zu tragen, entsteht und das Gehngen der Anpassungsprogramme auf diese Weise sichergestellt ist, erwächst aber nicht allein aus wirtschaftlichen Maßnahmen. Vertrauensbereitschaft gibt es immer dann, wenn hinter den Entscheidungen picht Einzehnteressen eines Landes oder einer gesellschaftlichen Schicht als Motive erscheinen, sondern Uneigennützigkeit und der Dienst am Nächsten. Im ersteren Fall schleicht sich Verdacht ein und löst manchmal, ohne ausreichend begründet zu sein, Ablehnung, Beschuldigungen und sogar Gewalt aus. Den Mitgliedsländern und unter diesen besonders denen, die auf Grund ihrer Wirtschaftsmacht und ihrer Beitragszahlungen einen entscheidenden Einfluß auf den Entscheidungsprozeß ausüben, obliegt es, diese Organisationen aktiv zu unterstützen, ihre Aufgaben zu präzisieren, ihre Bemühungen zu verstärken und diese Stellen der Macht im Interesse des internationalen Gemeinwohls zu Zentren des Dialogs und der Zusammenarbeit zu machen. Jede dieser multilateralen Finanzorganisationen - Internationaler .Währungsfonds (IWF), Weltbank, regionale Entwicklungsbanken - hat spezifische Aufgaben und damit auch eine spezifische Verantwortung. Um ihren Charakter als Instrumente der Solidarität und des konzertierten Handelns zu unterstreichen, sollten diese Gremien die Notwendigkeit anerkennen, die Vertretung und Mitwirkung der Entwicklungsländer bei den sie betreffenden wichtigen internationalen Wirtschaftsbeschlüssen zu stärken. Es muß ihr Anliegen sein, ihre Anstrengungen und ihre Politik so zu koordinieren, daß sie - mit Blick auf die Zukunft - den dringendsten, sich aus der Verschuldung ergebenden Erfordernissen in spezifischer und kohärenter Weise entsprechen. Sie müssen auch mit den anderen Akteuren auf dem internationalen Finanzmarkt zu Absprachen gelangen, um im Dialog mit den verschuldeten Ländern die erforderlichen Maßnahmen zu treffen und die daraus resultierenden Lasten gemäß den Möglichkeiten und Aufgaben der Beteiligten untereinander zu verteilen. Ohne auf die Einzelheiten einzugehen, denn „diese Aufgabe erwächst aus 2152 ANHANG der Berufung der Laien, die hierbei kraft eigener Initiative mit ihren Mitbürgern Zusammenarbeiten,“24 lenkt die Kirche die Aufmerksamkeit der multilateralen Finanzorganisationen und ihrer Mitarbeiter auf einige Punkte, die zu berücksichtigen sind: - die „Bedingungen“, unter denen der IWF Kredite gewährt, müssen für jedes einzelne Entwicklungsland in aufgeschlossener und ihm angepaßter Weise geprüft werden; die menschliche Dimension muß als Faktor in die „verstärkte Überwachung“ der Durchführung der Anpassungsmaßnahmen und der erzielten Ergebnisse einbezogen werden; - öffentliche wie private Kapitalgeber müssen ermutigt werden, priori-täre Projekte der Entwicklungsländer zu finanzieren; - der Dialog zwischen Gläubigem und Schuldnern über eine Umschuldung und Verringerung der für ein Jahr und, wenn möglich, für mehrere Jahre fälligen Beträge muß gefördert werden; - zum Ausgleich finanzieller Schwierigkeiten infolge von Naturkatastrophen, übermäßigen Schwankungen der Preise für benötigte Rohstoffe (landwirtschaftliche Erzeugnisse, Rohstoffe zur Energiegewinnung, Bodenschätze) und plötzlichen Wechselkursschwankungen müssen Sonderregelungen vorgesehen werden. Diese unkontrollierbaren und unerwartet auftretenden Erscheinungen zerstören durch ihr Ausmaß und ihre finanziellen Folgen besonders die Entwicklungspläne der Entwicklungsländer und verursachen weltweit eine gefährliche und kostspielige Unsicherheit; - es muß eine bessere Koordinierung der Wirtschafts- und Währungspolitik der Industrieländer angestrebt werden und dabei die Politik den Vorzug erhalten, die sich möglichst günstig auf die Entwicklungsländer auswirkt; - die neuen Probleme von heute und morgen müssen erforscht werden, damit schon jetzt Lösungen geplant werden können, in denen die sehr unterschiedlichen Entwicklungen der Volkswirtschaften und die Zukunftsaussichten eines jeden Landes Berücksichtigung finden. Eine solche schwierige, aber unerläßliche vorausschauende Politik ist Teil der Verantwortung aller gegenüber den kommenden Generationen; mit ihrer Hilfe wird sich verhindern lassen, daß sich schwere Konflikte aufbauen. „Läßt man“ in einer Welt, die sich in einem raschen und tiefen Wandel befindet, „die sich bietenden Gelegenheiten zum Handeln ungenützt vorübergehen, versäumt man es, die neu aufkommenden Probleme recht- 2153 ANHANG zeitig ins Auge zu fassen, dann können diese sich derart verschärfen, daß kaum noch eine Hoffnung auf friedliche Lösung bleibt;“25 - die Auswahl und die Ausbildung derer, die in den multilateralen Organisationen arbeiten und an den Situationsanalysen, den Entscheidungen und ihrer Durchführung mitwirken, müssen mit großer Sorgfalt gehandhabt werden. Sie haben als einzelne und als Gesamtheit eine große Verantwortung. Es besteht die Gefahr, daß man sich mit zu stark theoretischen, technischen oder gar bürokratischen Ansätzen und Lösungen zufrieden gibt, während es um das Leben von Menschen, die Entwicklung der Völker und die Solidarität zwischen den Nationen geht. Ebenso wie wirtschaftlicher Fachkenntnisse bedarf es der Aufgeschlossenheit für andere Kulturen und konkret erlebter Erfahrung im Umgang mit Menschen und ihren Bedürfnissen. Diese menschlichen Qualitäten müssen ergänzt und getragen werden von dem klaren Bewußtsein von der Notwendigkeit, die internationale Solidarität und Gerechtigkeit zu fördern. Schlußappell Um der großen Herausforderung durch die Verschuldung der Entwicklungsländer zu begegnen, wendet sich die Kirche an alle Menschen guten Willens mit der Aufforderung, ihr Bewußtsein auszuweiten für diese neuen, von großer Dringlichkeit und Komplexität geprägten internationalen Verantwortungen und alle Möglichkeiten zum aktiven Handeln zu nutzen, um solidarische Lösungen zu suchen und zu verwirklichen. Ist es nicht an der Zeit, ein umfassendes Programm für die Zusammenarbeit und Unterstützung der Entwicklungsländer durch die Industrieländer aufzustellen? Ohne eine Parallele zu dem ziehen zu wollen, was nach dem letzten Weltkrieg getan worden ist, um den Wiederaufbau und den wirtschaftlichen Neubeginn der verwüsteten Länder zu beschleunigen, müssen wir doch die Frage stellen, ob nicht im Interesse aller Menschen, ganz besonders aber im Interesse der leidenden Bevölkerung, in die wieder Hoffnung zurückkehren soll, ein neues Hilfsprogramm der Industrieländer zugunsten der weniger reichen Länder in Angriff genommen werden muß. Ein solcher Beitrag, der eine mehrjährige Verpflichtung darstellen würde, scheint unerläßlich, damit die Entwicklungsländer in Zusammenarbeit mit den Industrieländern und den internationalen Organisationen so bald wie möglich die erforderlichen langfristigen Programme einleiten und mit Erfolg durchführen können. Möge unser Appell gehört werden, bevor es zu spät ist! 2154 ANHANG Anmerkungen 1 Cf. Paul VI., Enzyklika „Populorum progressio“, 26. März 1967, Nr. 64, 65, 80. 2 Cf. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung, 22. März 1986, Nr. 89: „Die Solidarität ist eine direkte Forderung der menschlichen und übernatürlichen Brüderlichkeit. Die schwerwiegenden sozialwirtschaftlichen Probleme, die sich heute stellen, können nur gelöst werden, wenn man neue Allianzen der Solidarität bildet: Solidarität der Armen untereinander; Solidarität mit den Armen, zu der die Reichen aufgefordert sind; Solidarität der Arbeiter und mit den Arbeitern. Die Institutionen und die sozialen Vereinigungen auf verschiedenen Ebenen sowie auch der Staat müssen sich an einer allgemeinen Bewegung der Solidarität beteiligen. Wenn die Kirche dazu aufruft, dann weiß sie, daß auch sie selbst in ganz besonderer Weise davon betroffen ist.“ 3 „Die internationale Solidarität ist eine Forderung der sittlichen Ordnung. Sie verpflichtet nicht allein im Fall extremer Not, sondern auch für die Hilfe zu einer echten Entwicklung. Es geht hier um ein gemeinsames Werk, das aufeinander abgestimmte und beständige Anstrengungen verlangt, um konkrete praktische Lösungen zu finden, aber auch, um bei den Menschen unserer Zeit eine neue Mentalität zu schaffen. Der Frieden der Welt hängt zu einem großen Teil davon ab.“ (Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung, 22. März 1986, Nr. 91). 4 Johannes Paul II., Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 1986, Nr. 4 und 7. 5 Cf. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung, Nr. 16: „Zwischen den Nationen, die Macht besitzen, und denen, die machtlos sind, sind neue Beziehungen der Ungleichheit und Unterdrückung entstanden. Das Verfolgen eigener Interessen scheint die Regel der internationalen Beziehungen zu sein, ohne daß man das Gemeinwohl der Menschheit in Betracht zieht.“ 6 Cf. ibid., Nr. 90: „Das Prinzip der universellen Bestimmung der Güter,verbunden mit dem der menschlichen und übernatürlichen Brüderlichkeit, schreibt den reichsten Ländern ihre Verpflichtungen gegenüber den armen Ländern vor. Es sind Pflichten der Solidarität in der Flilfe für die Entwicklungsländer, der sozialen Gerechtigkeit durch eine korrekte Überprüfung der Handelsbeziehungen zwischen Nord und Süd und durch die Förderung einer menschlicheren Welt für alle.“ 7 Cf. Johannes Paul II., Enzyklika „Laborem exercens“, 14. September 1981, Nr. 18. 8 Cf. Paul VI., Enzyklika „Populorum progressio“, Nr. 56-66. 9 Ibid., Nr. 65. 10 Apostolisches Schreiben „Octogesima adveniens“ an Kardinal Maurice Roy, 14. Mai 1971, Nr. 48. 11 Cf. Römische Bischofssynode „Gerechtigkeit in der Welt“, 1971, Nr. 42-51. 12 Johannes XXIII., Enzyklika „Mater et Magistra“, 15. Mai 1961, Nr. 122. Cf. ebenfalls Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung: „Zwischen den Nationen, die Macht besitzen, und denen, die machtlos sind, sind neue Beziehungen der Ungleichheit und Unterdrückung entstanden.“ (Nr. 16) „Wer über Technologie verfügt, besitzt Macht über Erde und Menschen. Von dort her sind bis jetzt unbekannte Formen der Ungleichheit zwischen den Besitzern des Wissens und den einfachen Benützern der Technik entstanden.“ (Nr. 12). 13 Die „Flucht“ des einheimischen Kapitals in andere Länder betrifft nicht nur die Entwicklungsländer; aber für die verschuldeten Entwicklungsländer hat sie schwerwiegendere 2155 ANHANG Folgen insbesondere dann, wenn es sich bei der Kapitalflucht um beträchtliche Beträge handelt. In diesen Bereichen muß eine moralische Beurteilung zunächst eine gründliche Untersuchung vornehmen, bevor Antworten gegeben werden können. 14 Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung, Nr. 75. 15 Objektive Prüfung, Berichtigung des Verhaltens und institutionelle Reformen beziehen sich nicht nur auf die Führer der Entwicklungsländer, sondern gleichermaßen auf die der Industrieländer, und zwar sowohl mit Blick auf den nationalen Raum als auch auf die internationalen Beziehungen. 16 Paul VI., Enzyklika „Populorum progressio“, Nr. 62. 17 Ibid., Nr. 61. 18 Ibid. 19 Cf. Johannes Paul II., Enzyklika „Laborem exercens“, Nr. 5 und 12; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung, Nr. 12. 20 Cf. Johannes Paul II., Botschaft an die 40. Vollversammlung der Vereinten Nationen, 18. Oktober 1985, Nr. 2-3. 21 Johannes Paul II., Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 1986, Nr. 2. Bei den Vorschlägen zum Abbau der Nord-Süd-Spannungen: „Ich denke dabei an die Schulden armer Nationen sowie an einen besseren und verantwortungsbewußteren Einsatz von Geldmitteln in den Entwicklungsländern.“ Nr. 4. 22 Paul VI., Enzyklika „Populorum progressio“, Nr. 77. 23 Ibid., Nr. 64: „Wir hoffen auch, daß die multilateralen und internationalen Organisationen durch notwendige Neuorganisation diejenigen Mittel und Wege finden, die den noch unterentwickelten Völkern einen Ausweg aus den Engpässen ermöglichen, in denen sie sich eingeschlossen fühlen.“ 24 Cf. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung, Nr. 80. 25 Paul VI., Apostolisches Schreiben „Octogesima adveniens“ an Kardinal Maurice Roy, 14. Mai 1971, Nr. 19. 2156 ANHANG Eine Hilfe für die Gläubigen Dekret der Apostolischen Pönitentiarie zur Gewährung vollkommener Ablässe für das Marianische Jahr vom 2. Mai Die selige Jungfrau Maria, Gottesmutter und auch Mutter der Kirche, ja aller Menschen, „vereinigt, da sie zuinnerst in die Heilsgeschichte eingegangen ist, gewissermaßen die größten Glaubensgeheimnisse in sich und strahlt sie wider“ {Lumen gentium, Nr. 65). „Daher ruft ihre Verkündigung und Verehrung die Gläubigen hin zu ihrem Sohn und seinem Opfer und zur Liebe des Vaters“ {ebd.). Denn „sie war in einzigartiger Weise vor anderen die großmütige Gefährtin des göttlichen Erlösers ...; sie hat... in durchaus einzigartiger Weise ... mitgewirkt zur Wiederherstellung des übernatürlichen Lebens der Seelen“ {Lumen gentium, Nr. 61.) Während sich das zweite Jahrtausend nach der Geburt unseres Erlösers dem Ende zuneigt, wendet sich die Kirche als universale Gemeinschaft der Gläubigen an den Erlöser und seine Mutter zugleich, die sie teilnahmsvoll anwesend und als Helferin bei den vielfältigen und schwierigen Problemen erblickt, die heute das Leben der einzelnen, der Familien und der Völker begleiten (vgl. Redemptoris Mater, Nr. 52). Im Hinblick darauf hat Papst Johannes Paul II. im Sinne seiner Verehrung für Maria und kraft seines Amtes als Stellvertreter Christi, durch das ihm „in ständigem Drängen die Sorge für alle Kirchen“ obliegt (vgl. 2 Kor 11,28), vor kurzem ein Marianisches Jahr ausgerufen, an dem von Pfingsten dieses Jahres bis zum Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel nächsten Jahres die Gläubigen in der ganzen Welt in großer Zahl und mit tiefer Frömmigkeit teilnehmen und in den Genuß der Vermehrung der Tugenden und der Gewinnung des geistlichen Heiles gelangen sollen. Da aber die Aufforderung, die Maria bei der Hochzeit von Kana in Galiläa an die Diener und in ihnen an alle Menschen gerichtet hat — „Was er euch sagt, das tut!“ {Joh 2,5) —, gerade in unserer Zeit weiter vernehmbar bleiben soll, ist es höchst angemessen, daß sich die Gläubigen vor allem während des Marianischen Jahres mit erneutem inneren Engagement dazu gedrängt fühlen, Werke der Frömmigkeit, der Barmherzigkeit und der Buße zu vollbringen, unter denen jene, welche die Kirche nach alter Tradition mit dem Ablaß verbindet, einen besonderen Platz beanspruchen. Für die Gewinnung eines Ablasses ist nämlich die leidenschaftüche Gottesund Nächstenliebe erforderlich; nach seiner Gewinnung aber ist es nur folgerichtig, daß aus Dankbarkeit für die von Gott gewährte Güte die feste Absicht 2157 ANHANG besteht, künftighin das Gute zu tun und die Sünde zu vermeiden: eben diese Absicht empfiehlt und gebietet unser Herr Jesus Christus seinen Anhängern an allen Orten und zu allen Zeiten. Damit also die Gläubigen in der Läuterung des Gewissens, in der tiefgreifenden Änderung ihrer Gewohnheiten, in der Stärkung der Liebe zu Gott und zu den Brüdern die reichen Früchte des Marianischen Jahres empfangen, gewährt die Apostolische Pönitentiarie kraft eines diesbezüglichen päpstlichen Auftrages aus dem Schatz der Kirche, die „im Dienst an der Erlösung den Schatz der Sühneleistungen Christi und der Heiligen autoritativ verwaltet und zuwendet“ (CIC, can. 992), durch vorliegendes Dekret allen Gläubigen, sofern sie die üblichen Bedingungen (Empfang des Beichtsakraments, Teilnahme an der Eucharistie und Kommunion und ein Gebet nach den Intentionen des Papstes) in herkömmlicher Weise erfüllt haben, den vollkommenen Ablaß. Diese Ablaßgewährung an die Gläubigen kann erfolgen: 1) — am Tag des Beginns bzw. des Abschlusses des Marianischen Jahres, wenn sie in ihrer Pfarrkirche oder in einem Marienheiligtum oder einem anderen heiligen Ort an einem aus Anlaß des Marianischen Jahres gefeierten Gottesdienst teilgenommen haben; 2) — an allen liturgischen Marienfesten und -feiertagen, an jedem Samstag oder anderem Tag, an dem in feierlicher Form eines „Geheimnisses“ oder „Ehrentitels“ der Gottesmutter gedacht wird, wenn die Gläubigen in frommer Gesinnung an einem der Gottesdienste teilgenommen haben, die in ihrer Pfarrkirche, in einem Marienheiligtum oder an einem anderen heiligen Ort zu Ehren der seligen Jungfrau Maria gefeiert werden; 3) — an allen Tagen des Marianischen Jahres, wenn die Gläubigen eine gemeinsame Wallfahrt zu den für ihre Diözese vom zuständigen Bischof angegebenen Marienheiligtümem unternommen und dort an liturgischen Feiern — unter welchen natürlich das hl. Meßopfer absolut hervorragt — oder an einem gemeinsamen Bußgottesdienst oder am Gebet des Rosenkranzes teilgenommen oder irgendeine andere fromme Übung zu Ehren der seligen Jungfrau Maria vollbracht haben; 4) — ebenso an einzelnen Tagen des Marianischen Jahres, wenn die Gläubigen, auch einzeln, in frommer Gesinnung die Basilika Santa Maria Maggiore in Rom besucht und dort entweder an einem Gottesdienst teilgenommen haben oder zumindest einige Zeit in andächtigem Gebet verweilten; 5) — wenn die Gläubigen den von den Bischöfen erteilten Päpstlichen Segen, sei es auch nur über Rundfunk oder Fernsehen, in frommer Gesinnung empfangen haben. Die Apostolische Pönitentiarie gewährt den Bischöfen die Erlaubnis, diesen Päpstlichen Segen, verbunden mit dem vollkommenen Ablaß — über die dreimalige Erteilung, die ihnen aufgrund der allgemeinen kirchen- 2158 ANHANG rechtlichen Vorschrift zusteht, hinaus — während des Marianischen Jahres zweimal gemäß dem dafür festgelegten Brauch (vgl. Caeremoniale Episcopo-rum, Nr. 1122-1126) zu erteilen, und zwar vor allem anläßlich eines Marienfestes oder einer Diözesanwallfahrt. Es ist angebracht, hier daran zu erinnern, daß gemäß den geltenden Normen das Geschenk des vollkommenen Ablasses an einem Tag nur einmal gewonnen werden kann, während den Verstorbenen die Ablässe fürbittweise immer zugewendet werden können (vgl. Enchiridion indulgentiarum, Nr. 4 und 24). Bei dieser Gelegenheit ruft die Apostolische Pönitentiarie Norm 27 dieses Enchiridion indulgentiarum in Erinnerung, nach welcher „die Beichtväter sowohl das auferlegte Werk als auch die Bedingungen für diejenigen abändern können, die an ihrer Erfüllung nachweislich gehindert sind“; und ebenso Norm 28, nach welcher „die Ortsbischöfe bzw. die Mitglieder der örtlichen Hierarchie den ihrer rechtmäßigen Autorität unterstehenden Gläubigen ... im Falle, daß diese sich an Orten aufhalten, wo ihnen der Gang zur Beichte oder Kommunion überhaupt nicht oder nur sehr schwer möglich ist, gewähren können, ohne momentane Beichte und Kommunion den vollkommenen Ablaß zu gewinnen, wenn sie nur innere Reue und die feste Absicht erkennen lassen, die genannten Sakramente sobald wie möglich zu empfangen“. Schließlich trägt die Apostolische Pönitentiarie — ganz im Sinne des Marianischen Jahres — vor allem den Familien das Gebet des Rosenkranzes der seligen Jungfrau Maria bzw., was die Gläubigen der orientalischen Kirchen betrifft, andere, von den Patriarchen festgelegte Gebete auf; damit ist, ob das Gebet in einer Kirche oder einem Oratorium oder als Gemeinschaftsgebet stattfindet, der vollkommene Ablaß verbunden (vgl. Enchiridion indulgentiarum, Norm 48). Hiermit werden alle früheren abweichenden Vorschriften aufgehoben. Gegeben zu Rom, am Sitz der Apostolischen Pönitentiarie, Samstag, 2. Mai 1987. Aloysius Kard. Dadaglio Großpönitentiar Aloysius de Magistris Regens 2159 ANHANG Botschaft an unsere muslimischen Brüder und Schwestern zum Ende des Ramadan 1407/1987, Mai Aus Anlaß des frohen Festes des Fastenbrechens (Fitr), an dem ihr an den Allmächtigen Gott eure Gebet richtet. Im Namen des Sekretariates des Heiligen Stuhles für die Nichtchristen entbiete ich euch herzliche Grüße. Möge Gott euch mit seinen Gaben und seiner himmlischen Gnade beschenken. Möge er euch und den Christen in der ganzen Welt helfen, Gebeten und spirituellen Werten für Entwicklung, Fortschritt und Frieden in der Welt eine wachsende Bedeutung beizumessen. In diesem Jahr kommen unsere besten Wünsche aus dem Geist der Freundschaft und der Brüderlichkeit, der durch den denkwürdigen Gebetstag für den Frieden in Assisi im letzten Oktober wieder stärker geworden ist. Auf Einladung Seiner Heiligkeit Papst Johannes Paul II. brachte diese Feier Vertreter von zahlreichen Weltreligionen zusammen. Muslimische Freunde aus den verschiedensten Ländern nahmen daran teil. In Assisi betete jede Religionsgruppe auf ihre Weise, aber sie war anwesend, wenn die Vertreter anderer Religionen ihre Gebete sprachen. Diese Haltung der inneren und äußeren Achtung ist dem Gläubigen gänzlich eigen, der Zeuge ist für die Bemühungen anderer Männer und Frauen, die ganz aus freiem Willen und mit offenem Herzen wahrhaft nach Gott suchen. In gewissen Augenblicken äußerte sich diese Gebetshaltung in Form eines gemeinsamen Schweigens in innerer Andacht im Namen der gesamten Menschheit. Diejenigen, die dort teilnahmen, waren von der großen Bedeutung ihres Tuns überzeugt. Sie wurden angetrieben durch das Bemühen, ihrem Gewissen zu folgen, und durch ihren Wunsch, sich der Fülle der Wahrheit und dem Fortschritt ganz zu öffnen. Brüder und Schwestern, auch wenn im Hinblick auf das Geheimnis Gottes grundsätzliche Unterschiede zwischen uns bestehen, so bringt uns das Gebet doch näher, da es uns Gott näher bringt. Denn das Gebet spielt eine wesentliche Rolle in der inneren Haltung, die wir alle gegenüber dem einzigen, lebendigen und wahren Gott einnehmen sollten. Im Gebet äußert sich die Ergebenheit des Leibes und die Offenheit der Seele. Es hilft uns, jede Verstellung und Selbstrechtfertigung beiseite zu lassen. Es drängt uns dazu, unser Gewissen im Hinblick auf unser Verhalten gegenüber Gott und unseren Mitmenschen zu prüfen. Denn durch das Gebet sind wir fähig, unserem Leben und unserer Arbeit, unserer Freude und unserer Sorge einen gewissen Rhythmus zu verleihen. Die 2160 ANHANG tägliche Gebetsordnung und der Jahreszyklus der Feiertage helfen uns dabei, dieses Opfer darzubringen. Christen und Muslime kennen — beide auf ihre eigene Art — Lob- und Dankgebete, Bittgebete und solche, mit denen man um Vergebung der Sünden bittet. Mögen unsere jeweiligen kirchlichen Feiertage — zusammen mit dem Beten und Fasten, das zu ihnen gehört — unsere Herzen dem Schöpfer immer weiter öffnen. Er allein kann vollbringen, was der Mensch nicht kann, insbesondere jene harmonische Ordnung des inneren und äußeren Friedens, nach dem sich alle Menschen sehnen. Wir können diesen Frieden nicht ohne Hilfe erreichen. Menschliche Bemühungen allein, auch wenn sie unerläßlich sind, können den vollkommenen Frieden nicht herbeiführen. Um diesen Frieden zu erlangen, ist das Gebet als eine wesentliche Voraussetzung erforderlich, aber ebenso müssen wir Zeugen des Friedens durch unser Handeln sein. Denn Frieden achtet das Leben, das Gewissen und die rechtmäßige Freiheit aller. Er wird gestärkt durch den Willen, aus brüderlicher Liebe heraus zu handeln, was dem eigentlichen Willen Gottes entspricht. In einer Welt, die häufig Armut, Krankheit, Leid und Unwissenheit kennt, möge das Gebet und die ihm entströmende echte Spiritualität das Herz und den Geist eines jeden Menschen und der gesamten Welt umkehren. Es helfe uns, Gottes Frieden zu erlangen. Francis Kardinal Arinze Präsident des Sekretariats für die Nichtchristen 2161 Taufe, Eucharistie und Amt Eine katholische Stellungnahme des Sekretariats für die Einheit der Christen zu den Konvergenzerklärungen der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen vom 21. Juli 1987 •1.Y//.4.W7 I. Einflihrung Würdigung Das Dokument der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung „Taufe, Eucharistie und Amt“ (im folgenden: Lima-Text) stellt den Höhepunkt einer mehr als fünfzigjährigen Arbeit dar, die mit der Ersten Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung in Lausanne im Jahre 1927 begonnen hat. Die Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung ist eine der Komponenten, die die moderne ökumenische Bewegung, die Suche nach der Wiederherstellung der Einheit unter allen Christen, begründet haben. Das Zweite Vatikanische Konzil beschrieb sie als „eine durch die Gnade des Heiligen Geistes inspirierte“ Bewegung („Unitatis Redintegra-tio“ = UR Nr. 1); zugleich war sie einer der Wege, die im Jahre 1948 zur Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen führten. Die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung im Ökumenischen Rat der Kirchen ist für die Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung richtungweisend. Der Lima-Text ist vielleicht das bis jetzt bedeutendste Ergebnis der Bewegung. Der Lima-Text ist aus mehreren Gründen von Bedeutung. Der erste Grund liegt im Wesen der Kommission, die ihn im Jahre 1982 in Lima erstellte. Diese Kommission setzt sich aus Anglikanern, Orthodoxen, Protestanten und römisch-katholischen Christen zusammen. (Die katholische Kirche ist zwar kein Mitglied des Ökumenischen Rates der Kirchen, entsendet jedoch offiziell 12 katholische Mitglieder in die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, die als Einzelpersonen Mitglieder der Kommission mit vollem Stimmrecht sind. Sie bilden ein Zehntel der Kommission, die insgesamt 120 Mitglieder zählt.) Die Kommission repräsentiert ein breites Spektrum von Kirchen und Gemeinschaften, „eine reiche Vielfalt von kulturellen Prägungen und Traditionen“, die „in Dutzenden von Sprachen Gottesdienst feiern und unter den verschiedensten politischen Systemen leben“ (Vorwort des Lima-Textes). Diese Kommission nimmt für sich in Anspruch, im Lima-Text „einen bemerkenswerten Grad an Übereinstimmung“, wenn auch noch keinen vollen Konsens, erzielt zu haben; „wesentliche Bereiche der theologischen Konvergenz“ werden aufgezeigt, wobei „umstrittene Fragen genannt werden, die noch weiterer Klärung bedürfen“ (Vorwort). Theologen, die aus Gruppierungen stammen, die einander im Lauf der Geschichte auf theologischem Gebiet oft in direkter Konfrontation und Zwietracht gegenüberstanden, nehmen nun gemeinsam für sich in Anspruch, zu einer Übereinkunft und/oder Annähe - 2164 ANHANG rung in Grundfragen des Glaubens gekommen zu sein. Das allein ist schon ein beachtlicher Erfolg. Zweitens ist der Lima-Text ein erstrangiges Ergebnis des ökumenischen Prozesses, der angesichts des geschichtlichen Hintergrundes der Spaltungen unter den Christen auf das Ziel der Einheit im Glauben ausgerichtet ist. Er beansprucht ein hohes Maß an Übereinstimmung, zumindest eine weitgehende theologische Konvergenz, was einen wichtigen Beitrag zur Erreichung des Zieles darstellen würde. Im Jahre 1980, noch vor der endgültigen Abfassung des Textes, sagte Papst Johannes Paul II. in Rom zu Mitarbeitern einer Arbeitsgruppe von „Glauben und Kirchenverfassung“, die sich mit dem Lima-Text befaßten: „Ihre unermüdlichen Bemühungen haben bereits Ergebnisse erbracht, für die wir dem danken, der uns gegeben wurde, um uns die volle Wahrheit einzuführen (vgl. Joh 16,13). Diese Bemühungen müssen fortgesetzt werden. Das Ziel muß erreicht werden.“ (Informationsdienst des Sekretariates zur Förderung der Einheit der Christen, Nr. 45, 1981/1). Drittens ist der Lima-Text von Bedeutung, weil durch ihn die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung die Kirchen und Gemeinschaften zu einer Antwort auffordert. Nachdem der Text von Lima in den vergangenen Jahrzehnten eine beträchtliche Entwicklung durchgemacht hatte, hielt man ihn innerhalb der gesetzten Grenzen für reif genug, um ihn den Kirchen und Gemeinschaften zuzusenden, damit sie eine „offizielle Stellungnahme... auf der höchsten hierfür zuständigen Ebene der Autorität“ abgäben, zusammen mit Vorschlägen zur Unterstützung der weiteren Rezeption. Die VI. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen billigte diesen Vorschlag und empfahl den Kirchen eine Frist, innerhalb der sie ihre Antwort formulieren könnten. So begann innerhalb der ökumenischen Bewegung eine Phase, die ein Zeichen für das stärkere Engagement der Christen in allen Gemeinschaften ist, für die Einheit der Christen zu arbeiten. Die katholische Kirche und der Lima-Text Die katholische Kirche sieht den Lima-Text im Zusammenhang mit wichtigen Themen, die das Ökumenismusdekret „Unitatis Redintegratio“ in seiner eigenen Erarbeitung der ökumenischen Prioritäten schon herausgestellt hat. So wird z. B. die dringende Notwendigkeit der Einheit unter den getrennten Christen sowohl vom Vatikanischen Konzil als auch vom Lima-Text zum Ausdruck gebracht. Das Zweite Vatikanische Konzil sah in der „Wiederherstellung der Einheit unter allen Christen“ eine seiner Haupt- 2165 ANHANG aufgaben. Es erklärte: Die Spaltung unter den Christen „widerspricht ganz offenbar dem Willen Christi; sie ist ein Ärgernis für die Welt und ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung des Evangeliums an alle Geschöpfe“ (UR Nr. 1). Das Konzil hob die Initiative Gottes hervor, der „in jüngster Zeit begonnen hat, über die gespaltene Christenheit eine ernste Reue über ihre Zerrissenheit und eine Sehnsucht nach Einheit reichlicher auszugießen“. Das Dekret „Unitatis Redintegratio“ wurde vom Zweiten Vatikanischen Konzil verfaßt, um die Katholiken zu ermuntern, „diesem Gnadenruf Gottes zu folgen“ (UR Nr. 1). Das Vorwort zum Lima-Text stellt seinerseits fest, daß die Kirchen und Gemeinschaften, die Mitglieder des Ökumenischen Rates der Kirchen sind, „das Ziel einer sichtbaren Einheit der Kirche“ anstreben. Katholiken und andere Christen mögen vielleicht verschiedener Ansicht darüber sein, worin die Einheit der Kirche besteht; dies muß daher Gegenstand des ökumenischen Dialogs sein. Gleichwohl liegt der gemeinsame Grund hier in beiden Fällen darin, daß sie die Einheit der Christen als eine dringende Aufgabe betrachten. Obwohl die katholische Kirche an den anfänglichen Bemühungen innerhalb der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung, die zum Lima-Text geführt haben, nicht beteiligt war (sie wurde aber nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil direkt in den Prozeß einbezogen), sieht sie im Lima-Text ein bedeutsames Ergebnis der ökumenischen Bewegung. Aus diesem Grunde muß sie dem Dokument ernste Aufmerksamkeit schenken. Das Dekret „Unitatis Redintegratio“ forderte zu einem ökumenischen Dialog auf (Nr. 4); es wies auf die ökumenische Bedeutung der Taufe hin und drängte darauf, daß „die Lehre vom Herrenmahl, von den übrigen Sakramenten, von der Liturgie und von den Dienstämtern in der Kirche notwendige Themen des Dialoges sein sollten“ (Nr. 22). Der Lima-Text befaßt sich genau mit diesen Themen. Das Ökumenismusdekret drängte außerdem darauf, daß „alle Christen vor der ganzen Welt ihren Glauben an den einen dreifältigen Gott und an den menschgewordenen Sohn Gottes, un-sern Erlöser und Herrn, bekennen“ (UR Nr. 12). Eine Reihe von katholischen Reaktionen auf die Lima-Erklärungen haben den Nachdruck gelobt, mit dem der trinitarische und christologische Aspekt im Text hervorgehoben wird. Der Stellenwert des Lima-Textes Auch wenn wir der Meinung sind, daß der Text in gewissen Punkten unzureichend ist, so glauben wir doch, daß er die verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften einen bedeutenden Schritt in der ökume- 2166 ANHANG nischen Bewegung voranbringen würde, wenn er von ihnen angenommen würde, obwohl er weiterhin nur eine Etappe auf dem Weg des ökumenischen Prozesses in der Arbeit für eine sichtbare Einheit der getrennten Christen ist. Wenn durch den jetzt in Gang gekommenen Prozeß der Stellungnahme zu dem Lima-Text und dessen Rezeption viele der Punkte, in denen der Lima-Text Annäherung, ja Übereinstimmung konstatiert, von den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften bestätigt würden, dann wäre dies, so glauben wir, ein Fortschritt in der ökumenischen Bewegung. Der Lima-Text ist auch eine Etappe, eine der „verschiedenen Etappen“ auf dem Weg, den die Kirchen zurücklegen müssen zu „ihrem Ziel der sichtbaren Einheit“ (Vorwort). Seine Ansprüche sind daher begrenzt: „Wir haben noch keinen vollen,Konsensus“ erreicht.... Der volle Konsensus kann erst verkündet werden, wenn die Kirchen soweit gekommen sind, daß sie in Einheit zusammen leben und handeln.“ Der Text bietet keine vollständige systematische Behandlung von Taufe, Eucharistie oder Amt. Er lenkt vielmehr den Blick auf jene Aspekte, die mit den Problemen der gegenseitigen Anerkennung zu tun haben, die zur Einheit führt. Außerdem ist er mit Hilfe einer neuen theologischen Terminologie formuliert, die notwendigerweise auch einen neuen Denkhorizont einschließt. An entscheidenden Stellen des Dokumentes öffnen einander widersprechende Aussagen und der Wortgebrauch den Weg zu verschiedenen Interpretationen. Die Kommentare arbeiten umstrittene Punkte klar heraus, die einer weiteren Erforschung und Versöhnung bedürfen. Außerdem gibt es gelegentlich Passagen, die Alternativen in Theologie und Praxis nahelegen, die nicht in Einklang stehen, z. B. mit dem katholischen Glauben. Beitrag zu einem fortdauernden Prozeß Wenn wir daher eine Antwort auf den Lima-Text geben, versuchen wir, das Erreichte sowohl herauszustellen als auch anzuerkennnen: die Schritte vorwärts, die bisher gemacht wurden, und gleichzeitig uns selbst als Teilnehmer in einem Vorgang zu sehen, der weitergehen muß auf das Ziel der sichtbaren Einheit der Christen hin. Der Rahmen des Dokumentes begrenzt zugleich auch unsere Antwort. Wir möchten jedoch den Prozeß bejahen und dafür sorgen, daß er weiterhin Fortschritte macht. In unserer Antwort gehen wir auf einige Fragen des Textes ein, die wir für besonders wichtig halten. Es gibt vieles, was wir bejahen können, und wir müssen auf diesen positiven Ergebnissen weiterbauen. Es gibt aber auch Punkte, die wir kritisieren, und wir werden sie deutlich beim Namen nennen. Es gibt auch einige grundsätzlichen Probleme, die wir kritisch be- 2167 ANHANG trachten und die weiterhin behandelt werden müssen, um den weiteren Fortschritt der ökumenischen Bewegung zu fördern. Wir kommentieren jedoch nicht jeden einzelnen Punkt des Lima-Textes. Das Selbstverständnis der katholischen Kirche Ferner sprechen wir in unserer Antwort nicht des längeren oder ausführlich über das volle Selbstverständnis der katholischen Kirche (vgl. z. B. die Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“ = LG). Der Grund hierfür liegt darin, daß unser Thema hier enger begrenzt ist; es ist ja auf das begrenzte Thema des Lima-Textes und seinen Inhalt ausgerichtet. Es ist wichtig, daß man dies versteht, um Mißverständnisse zu vermeiden. Wir schreiben unsere Antwort im vollen Bewußtsein der eigenen Einheit und Wahrheit der katholischen Kirche, und ohne etwas von dem aufzugeben, was zum Wesen ihres Selbstverständnisses gehört. Wir glauben, wie das Dekret „Unitatis Redintegratio“ in Nr. 4 feststellt, daß die „Einheit der einen und einzigen Kirche ..., die Christus seiner Kirche von Anfang an geschenkt hat,... unverlierbar in der katholischen Kirche besteht und..., wie wir hoffen, immer mehr wachsen wird bis zur Vollendung der Zeiten“. Wir sind davon überzeugt, daß das Studium der Ekklesiologie immer mehr in den Mittelpunkt des ökumenischen Dialoges gerückt werden muß. Die besten Gedanken über den Lima-Text werden vielleicht erst dann zum Vorschein kommen, wenn der Ekklesiologie eine ernsthaftere Aufmerksamkeit im ökumenischen Dialog gewidmet wird. Gleichzeitig ist das Studium des Lima-Textes bereits ein Weg, sich mit den Wesensmerkmalen der Kirche zu befassen. Allerdings sollte die Tatsache, daß man hier keinen Kommentar oder keine Überlegung über jeden wichtigen Aspekt des katholischen ekklesiologischen Selbstverständnisses findet, nicht so gedeutet werden, als ob die nichtkommentierten Aspekte nicht wichtig oder von geringerer Bedeutung wären. Es bedeutet einfach, daß der Schwerpunkt dieser Studie nicht die Ekklesiologie als solche ist. Wir sind vielmehr der Überzeugung, daß sich eine gründlichere Betrachtung und ein klareres Verständnis einiger entscheidender Aspekte des katholischen ekklesiologischen Selbstverständnisses eher erreichen lassen, wenn sie innerhalb des Studiums der Ekklesiologie selbst herausgearbeitet werden. So kann z. B. die grundlegende katholische Lehre, daß die Kirche Christi „in der katholischen Kirche subsistiert“ (LG Nr. 8), voll und ganz nur innerhalb des Rahmens einer römisch-katholischen Communio-Ekklesiologie verstanden werden. Es ist uns daher klar, daß die Kommission für Glauben und Kirchenverfas- 2168 ANHANG sung ihre Aufmerksamkeit noch unmittelbarer auf die Ekklesiologie konzentrieren muß. Wir glauben, daß es ohne eine gründliche Beachtung der umfassenderen Fragen der Ekklesiologie nicht nur beim Studium und beim Verständnis des Lima-Textes, sondern ebenso auch für unseren ökumenischen Prozeß zu Nachteilen kommt. Der weitere ökumenische Kontext Schließlich würdigen wir den Umstand, daß der Lima-Text in einer größeren ökumenischen Perspektive gesehen werden muß. Die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Nairobi im Jahre 1975 hat die Einheit, die wir erstreben, beschrieben als eine „konziliare Gemeinschaft von Ortskirchen, die untereinander wirklich vereint sind.“ In diesem Zusammenhang sind Taufe, Eucharistie und Amt einige fundamentale Elemente einer wirklich geeinten Ortskirche. So muß z. B. das Amt sowohl als ein wichtiger Faktor gesehen werden, der die Ortskirchen miteinander verbindet, wie auch als ein wesentliches Mittel der Einheit für die Ortskirche. 2169 ANHANG II. Die weitere Arbeit der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung Wir möchten einen Beitrag zum Weiterbau auf der soliden Arbeit leisten, die bereits von der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung getan wurde, wie aus vielen Stellen des Lima-Textes hervorgeht, auf die wir in unserer Antwort zurückkommen werden. Daher möchten wir gleich zu Beginn einige kritische Punkte anführen, bei denen wir die Notwendigkeit einer weiteren Bearbeitung durch die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung sehen. Wenn wir über den Text nachdenken, so meinen wir, daß viele der kritischen Einwände, die man gegen ihn Vorbringen kann, sich auf die Begriffe Sakrament (und Sakramentalität), auf das genaue Wesen der apostolischen Tradition und auf das Problem der mit Entscheidungsgewalt ausgestatteten Autorität in der Kirche beziehen. Aile diese Punkte sind Teilaspekte der Ekklesiologie, die ein fortwährendes Anliegen innerhalb der ökumenischen Bewegung sein muß. Wir legen sie der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung als Punkte vor, die einer weiteren Behandlung bedürfen. Wir erwarten, daß tiefere Einsichten über den Wert der Darlegung der drei Sakramente, die im Lima-Text betrachtet werden, zum Vorschein kommen, sobald in einem ökumenischen Rahmen über die Ekklesiologie weitergearbeitet wird. Sakrament und Sakramentalität Wir können in positiver Weise über viele Dinge sprechen, die in der Behandlung des sakramentalen Aspekts von Taufe, Eucharistie und Amt zur Sprache gebracht werden. Es gibt viele Bereiche der Konvergenz. Dennoch sind wir der Meinung, daß im Lima-Text ein klares Konzept bezüglich des Begriffs Sakrament (und Sakramentalität) fehlt. Hier ist noch weitere Arbeit nötig. Im Text über die Taufe z. B. wird diese Schwierigkeit durch die Kommentare zu Nrn. 12 und 14 angedeutet. Es werden zwar viele wichtige Dinge über die Bedeutung der Taufe erwähnt, aber es scheint an Klarheit bezüglich der vollen Wirkung der Taufe zu fehlen. Der Text gibt keine Gründe an, um deutlich zu zeigen, warum die Taufe eine unwiederholbare Handlung ist. Ist die Taufe heilsnotwendig? Hier tauchen Fragen bezüglich der Taufe und der Aufnahme in die Kirche auf. Was gehört alles zur christlichen Initiation? Ist mit der Taufe selbst schon die volle sakramentale Verwirklichung der christlichen Initiation hinreichend gegeben? Wir sind der Meinung, daß weitere Studien über die 2170 ANHANG Firmung als Sakrament nötig sind. Ebenso muß die Beziehung zwischen Taufe und Eucharistie weiter erforscht werden (vgl. Taufe, Komm, zu Nr. 14). Was den Text über die Eucharistie betrifft, so gibt es auch hier vieles, was wir positiv bestätigen. Dennoch weisen wir auf einige Gebiete hin, die nach unserer Meinung noch weiterer Klärung und Entfaltung bedürfen. Was z. B. die Realpräsenz betrifft, so ist die Beschreibung der Veränderung, die in der Eucharistie stattfindet (vgl. Eucharistie, Nr. 15), mehrdeutig und offen für verschiedene Interpretationen. Die im Text verwendete Terminologie bezüglich des Opfercharakters der Eucharistie gibt Anlaß zu der Frage, ob die Behandlung dieses Aspektes voll und ganz der Sache entspricht. Was das Amt betrifft, so meinen wir, daß eine wichtige Konvergenz erzielt wurde, weil wir glauben, daß die Beschreibung der Ordination so ist, daß sie in Richtung auf ein sakramentales Verständnis weist. Die Beschreibung kann jedoch nicht den vollen Glauben jener Christen (einschließlich der Katholiken) widerspiegeln, für die die Ordination eindeutig ein Sakrament ist. Wir meinen, daß hier noch weiter geforscht werden muß. Was den Begriff Sakrament betrifft, so zeigt der Lima-Text daß es viele Aspekte gibt, die alle Christen teilen können. Weil es jedoch wichtig ist, eine Übereinstimmung bezüglich Taufe, Eucharistie und Amt zu suchen als einen Schritt in Richtung auf die Einheit der Christen (vgl. Bericht aus Vancouver 1983, hg. v. W. Müller-Römheld, Frankfurt 1983, 72 ff.), so meinen wir, daß die weitere Arbeit von „Glauben und Kirchenverfassung“ eine weitere und tiefere ökumenische Erforschung der Begriffe Sakrament und Sakramentalität einschließen muß. Die apostolische Tradition Die genauere Bestimmung des Wesens der apostolischen Tradition und ihrer Implikationen bedarf ebenso weiterer Aufmerksamkeit. Gewiß war die Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung, die im Jahre 1963 in Montreal stattgefunden hat, innerhalb der ökumenischen Bewegung ein Meilenstein, insofern sie einen Weg aufzeigte, der über die Kontroversen bezüglich Schrift und Tradition hinausführte, die das Verhältinis zwischen Katholiken und Protestanten seit der Reformation gekennzeichnet hatten. Der Lima-Text hat in vielfacher Hinsicht aus der Konferenz von Montreal Nutzen gezogen. Es werden jedoch einige Aussagen gemacht — besonders in den Kommentaren des Lima-Textes —, die Fragen über den Begriff der apostolischen Tradition aufwerfen, wie er gegenwärtig von den verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften verstanden wird. 2171 ANHANG Auch dies legt nahe, daß diese Frage ökumenisch noch eingehender behandelt werden muß. Nach katholischer Lehre (Zweites Vatikanisches Konzil, Offenbarungskonstitution „Dei Verbum“, Nr. 7-10) bilden die heilige Überlieferung und die Heilige Schrift einen einzigen heiligen Schatz des Wortes Gottes, der der Kirche anvertraut ist. Beide sind eng miteinander verknüpft. Die Heilige Schrift ist Gottes Rede, wie sie unter der Eingebung des Hl. Geistes niedergeschrieben wurde. Die Überlieferung gibt in ihrer Gesamtheit das Wort Gottes weiter, das von Christus dem Herrn, in dem die ganze Fülle der Offenbarung Gottes zusammengefaßt ist, und vom Hl. Geist den Aposteln anvertraut wurde. Sie gibt es weiter an die Nachfolger der Apostel, damit diese, erleuchtet vom Geist der Wahrheit, in ihrer Verkündigung es treu bewahren, erklären und verbreiten. Indem die Kirche daran festhält, bleibt sie für immer der Lehre der Apostel und der Frohbotschaft Christi treu. Nach unserer Sicht muß daher eine klare Unterscheidung gemacht werden zwischen der apostolischen Tradition, die uns bindet, weil sie ihre Wurzeln in der Offenbarung hat, und den verschiedenen anderen Traditionen, die sich etwa in den Ortskirchen gebildet haben. Um das Problem zu verdeutlichen, lenkt der Lima-Text unsere Aufmerksamkeit auf die Praxis gewisser afrikanischer Kirchen, die die Taufe ohne Wasser spenden (vgl. Taufe, Komm, zu Nr. 21); er spricht davon, daß in gewissen Teilen der Welt, wo Brot und Wein nicht üblich oder nicht erhältlich sind, heute gelegentlich die Meinung vertreten wird, daß die örtlich übliche Nahrung besser geeignet sei, die Eucharistie im täglichen Leben zu verankern (Eucharistie, Komm, zu Nr. 28). Am deutlichsten wird der Unterschied vielleicht im Zusammenhang mit den verschiedenen Ansichten über die Ordination von Frauen. Der Kommentar zu Nr. 18 in dem Dokument über das Amt stellt fest, daß diejenigen Gemeinschaften, welche die Ordination von Frauen praktizieren, dies aufgrund ihres Verständnisses des Evangeliums tun, einer theologischen Überzeugung, die — so sagt man — durch die Erfahrung noch bestärkt wird, die man in den Jahren seit der Zulassung von Frauen zu den ordinierten Ämtern gemacht habe. Auf der anderen Seite sindjene, die keine Frauen ordinieren, der Ansicht, daß „die Macht einer Überlieferung von neunzehn Jahrhunderten nicht einfach beiseite geschoben werden kann“. Ist es nicht offensichtlich, daß es verschiedene Auffassungen über die apostolische Tradition gibt und darüber, was sie in bezug auf eine Frage wie die Ordination von Frauen beinhaltet? Wir meinen daher, daß weitere Studien und Klärungen über die wahre Natur der apostolischen Tradition nötig sind, wenn die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung ihre wichtige Aufgabe fortführt. 2172 ANHANG Die Autorität in der Kirche Weitere Studien sind auch in bezug auf das Wesen der Autorität in der Kirche nötig. In einem ökumenischen Kontext wurde dieses Anliegen erneut auf der VI. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Vancouver im Jahre 1983 herausgestellt. Neben der Vorlage des Lima-Textes zur Stellungnahme und Rezeption gab es einen weiteren Schritt zur Einheit, der in Vancouver empfohlen wurde, nämlich die Förderung „des gemeinsamen Bemühens der Kirchen um Einigung über gemeinsame Formen der Entscheidung und des verbindlichen Lehrens“ (Bericht aus Vancouver 1983, S. 77). Für uns ergibt sich aus dem Lima-Text eine Reihe von Fragen bezüglich der Autorität. Welches sind die konstitutiven Elemente von Autorität und Verfassung in der Kirche? Was ist das Wesen und die Rolle der Autorität mit Entscheidungsvollmacht bei der Erkenntnis des göttlichen Willens in bezug auf die Entwicklung des Amtes in der Kirche in der Vergangenheit und in bezug auf die gegenwärtigen Bedürfnisse der Kirche? Damit eng verknüpft ist das genaue Verständnis des dreifachen Amtes und seiner Funktionen, wie im Lima-Text beschrieben. Gehört z. B. nach dem Text das dreifache Amt zum konstitutiven Wesen der Kirche, weil begründet in Gottes Willen für die Kirche, oder gehört es nur zum ökumenischen Wohl (bene esse) der Kirche? Wie wird das entschieden? Mit welcher Autorität? Bezüglich der bischöflichen Sukzession wird gesagt, daß sie ein „Zeichen“ der Kontinuität und der Einheit in der Kirche sei (Amt, Nr. 38). Was bedeutet hier „Zeichen?“ Welche ekklesiologische Bedeutung hat die bischöfliche Sukzession für die Ordination? Worin besteht der genaue Unterschied und die Beziehung zwischen dem allgemeinen Priestertum und dem Priestertum der Ordinierten? Was sind die ekklesiologischen Dimensionen der Autorität des ordinierten Amtsträgers? Weitere Studien sind nötig über die fundamentalen ekklesiologischen Aspekte der Frage nach der Anerkennung des Amtes. Die Anerkennung des ordinierten Amtes und der ekklesiale Charakter einer kirchlichen Gemeinschaft sind unlöslich und wechselseitig verbunden. Sollte man nicht auch die Frage eines universalen Amtes in der Kirche erforschen? Durch welche Autorität werden solche Fragen entschieden? Wir möchten die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung ermutigen, den oben erwähnten Vorschlag der Vollversammlung von Vancouver aufzugreifen und die Frage der Autorität in der Kirche zu studieren. Das Wesen der Autorität in der Kirche ist ein Schlüsselthema für den Fortschritt des Ökumenismus. 2173 ANHANG III. Der Lima-Text und der Glaube der Kirche Wir wenden uns nun einer mehr ins einzelne gehenden Betrachtung des Textes zu im Blick auf den „Glauben der Kirche durch die Jahrhunderte“ (Vorwort). Auch hier gibt es vieles im Text, das wir bejahen; wir weisen aber gleichzeitig auf gewisse Schwierigkeiten hin. A. Die Taufe 1. Allgemeine Würdigung Wir finden, daß der Text über die Taufe auf dem Fundament des apostolischen Glaubens ruht, wie er von der katholischen Kirche empfangen und bekannt wird. Er geht in ausgewogener Weise von den hauptsächlichen Stellen des Neuen Testamentes aus, wo über die Taufe gelehrt wird. Er weist auch dem Zeugnis der frühen Kirche einen bedeutenden Platz zu. Der Text behandelt zwar nicht alle wichtigen Probleme, die sich aus der Lehre über die Taufe ergeben haben, aber er berücksichtigt die Auswirkung, die sie auf die Entwicklung des Verständnisses dieses Sakramentes gehabt haben, sowie den positiven Wert der verschiedenen Lösungen, die gefunden wurden. Er würdigt die normative Kraft, die einige Formen der liturgischen Feier haben können, und die Bedeutung der pastoralen Praxis. Soweit es der ökumenische Rahmen zuläßt, den man sich selbst gesteckt hat, spricht er auch die Entwicklung des christlichen Verständnisses der Taufe in einer zusammenhängenden theologischen Methode an. Er weist viele Ähnlichkeiten sowohl im Stil wie im Inhalt mit der Art und Weise auf, in der der Glaube bezüglich der Taufe im Zweiten Vatikanischen Konzil und in der Liturgie der christlichen Initiation dargelegt wurde, die von Papst Paul VI. veröffentlicht wurde (vgl. Liturgie-Konstitution SC Nr. 6; LG Nr. 4 und 10; UR Nr. 22; Christi. Initiation, Allgem. Einleitung, Nr. 1-6; Initiation von Erwachsenen, Nr. 8; Initiation von Kindern, Nr. 2-3). Der Glaube der Kirche ist in den folgenden Punkten gut dargestellt: a) Man bekennt, daß die Taufe Gabe und Werk des dreifältigen Gottes ist (Nr. 1,7,17). Der Glaube an die Dreifaltigkeit macht es möglich, daß der Text in grundlegender Weise die Christozentrik der Taufe darstellt und die Rolle, die der Heilige Geist entsprechend in ihr spielt (Nr. 4,5,7,14). 2174 ANHANG b) Die Praxis der Taufe ist ein integraler Bestandteil von Gottes Plan, alle in seinem Reich zu versammeln durch die Kirche, in der die Sendung Christi durch den Geist fortgesetzt wird (Nr. 1, 7,10). c) Die Taufe ist eine sakramentale Realität. Der Text nennt die Taufe ein Sakrament (Nr. 23 und Komm, zu Nr. 13). Er behandelt die Frage nicht so sehr durch den Gebrauch des Wortes (denn das bedarf wegen der Komplexität seiner Geschichte einer langen Erklärung in zwischenkirchlichen Gesprächen) als vielmehr dadurch, daß er die Hauptpunkte der Taufe bekräftigt, also das, was man gewöhnlich mit dem Wort Sakrament zum Ausdruck bringt. Er sagt: — Die Taufe ist ein Zeichen (Nr. 2,18) mit bestimmten rituellen Erfordernissen (Nr. 17, 20); sie wird in der Kirche und durch sie gespendet (Nr. 12,22,23); sie ist ein Zeichen des Glaubens der Kirche (Nr. 12); ein Zeichen ihres Glaubens an Christus und an das neue Leben, das er in seinem Paschamysterium gestiftet hat (Nr. 2,3,4); ein Zeichen ihres Glaubens an die Gabe des Heiligen Geistes, in dem man an diesem Leben teilnimmt (Nr. 5). — Die Teilnahme am Tode Christi und die Gabe des Heiligen Geistes werden beide durch die Taufe bezeichnet und bewirkt (Nr. 14). — Das wirksame Zeichen, das die Taufe ist, wurde von Christus eingesetzt (Nr. 1). — Die Taufe ist sowohl eine Gabe Gottes an uns als auch unsere menschliche Antwort auf diese Gabe (Nr. 8). Die Gabe, die die Taufe bezeichnet und bewirkt, ist das Abwaschen und die Überwindung der Sünde (Nr. 2, 3); ist Umkehr, Vergebung und Rechtfertigung (Nr. 3,4); Einverleibung in Christus (Nr. 6); moralische Heiligkeit (Nr. 4), deren Quelle und Siegel der Heilige Geist ist (Nr. 5); sie macht Männer und Frauen zu Söhnen und Töchtern Gottes in Christus, dem Sohn (Nr. 5), die schließlich in ihre volle Erbschaft eintreten werden, um die Herrlichkeit Gottes zu preisen (Nr. 5). Unsere Antwort ist Glauben (Nr. 8), Bekenntnis der Sünde und Umkehr (Nr. 4), ein lebenslanges sittliches Streben unter der umwandelnden Kraft der Gnade, um Christus immer ähnlicher zu werden (Nr. 9), und Arbeit für das Kommen des Gottesreiches auf Erden wie im Himmel (Nr. 7, 10). Dadurch, daß die Taufe uns mit Christus eins macht, macht sie uns auch untereinander und „mit der Kirche zu jeder Zeit und an allen Orten“ (Nr. 2175 ANHANG 6) eins. Sie drückt uns das Zeichen und Siegel dieser Gemeinschaft auf (Nr. 6) und ist eine unwiederholbare Handlung (Nr. 13). ■ 2. Spezielle Bemerkungen Die Einsetzung der Taufe Der Text ist eine sorgfältige Darstellung der Grundwahrheit, daß die Taufe von Christus eingesetzt worden ist, wie es im Text bekräftigt wird. Die Realität, die im Ritus der Taufe versinnbildet wird, ist die Realität Christi selbst, der sich in Tod und Auferstehung hineinbegeben hat, und die nun nach seiner Anordnung empfangen wird von denen, die berufen sind, in den Neuen Bund einzutreten. Daß die Taufe der Weg ist, den er angeörd-net hat, wird durch das apostolische Zeugnis, wie wir es in der Hl. Schrift und in der Überlieferung der Kirche vorfinden, erkennbar. Die Bedeutung der Taufe Die Taufe fügt Menschen in den Leib Christi ein und macht sie eins „miteinander und mit der Kirche aller Zeiten und Orte“ (Nr. 6). Das wird im Text gut erklärt. Das Dokument widmet jedoch hier nicht genügend Aufmerksamkeit den Implikationen der Tatsache, daß jemand innerhalb einer bestimmten kirchlichen Gemeinschaft in der gespaltenen Christenheit getauft wird. Weil der Text sich an Kirchen und Gemeinschaften'wendet, die noch nicht in voller Gemeinschaft miteinander leben, betont er mit Recht, daß die Taufe dadurch, daß sie Menschen mit Christus vereint, auch ein Band unter ihnen schafft, das stärker ist als alles, was sie voneinander trennt. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf den Widerspruch zwischen der einen Taufe und den gespaltenen christlichen Gemeinschaften und ruft zur Überwindung der Spaltungen und zu einer sichtbaren Bekundung der durch die Taufe bewirkten Gemeinschaft (Nr. 6) auf. .. Wenn der Text von der „Dynamik der Taufe“ spricht,, „die das gesamte Leben umfaßt, sich auf alle Völker erstreckt .und den Tag vorwegnimmt, an dem jede Zunge bekennen wird, daß Jesus Christus der Herr ist zur Ehre Gottes, des Vaters“ (Nr. 7), dann berührt er die Frage der Beziehung zwischen der Taufe und dem Heil der ganzen Menschheit, eine Frage, die auch mit der Heilsnotwendigkeit der Kirche verknüpft ist. Da der Text die Bedeutung der. Taufe behandelt und nicht den gesamten Heilsplan, ist es vielleicht verständlich, daß er nichts über das Heil der Ungetauften aus- 2176 ANHANG sagt. Der Text behandelt auch nicht ausdrücklich die Frage der Heilsnotwendigkeit der Taufe, ein Thema, das sicherlich weitere gemeinsame Studien erfordert. Die Frage der Heilsnotwendigkeit der Taufe ist auch mit der Entwicklung der Lehre von der Erbsünde verknüpft, auch wenn sie nicht völlig davon abhängt. In Nr. 3 scheint der Text („Durch die Taufe werden Christen ... Freie“) sich auf die Wirklichkeit zu beziehen, die in der Lehre von der Erbsünde ausgedrückt wird. Hier — wie auch an anderen Stellen — drückt der Text deutlich aus, daß die Taufe die Sünde wegnimmt, aber er geht nicht näher auf die Frage ein, ob oder warum alle Menschen Sünder sind, so wie es die Lehre von der Erbsünde tut. Man kann verstehen, daß die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung in einem Konvergenztext wie diesem es vorziehen möchte, den Begriff „Erbsünde“ zu vermeiden. Die Zugrundelegung der Lehre von der Erbsünde ist jedoch eine Verständnishilfe für den Glauben an die allgemeine menschliche Sündhaftigkeit, die allgemeine Heilsbedürftigkeit, an Christus als den universalen Erlöser und an die Heilsnotwendigkeit der Taufe. Es ist eine Lehre, die sich auf solide Wurzeln in der Hl. Schrift (z. B. Rom 5) berufen kann und die in der patristischen Zeit Gestalt annahm. Sie hat einen starken Einfluß auf die Lehre und die Praxis der Taufe. Der Glaube der Kirche, den sie zum Ausdruck bringt, bleibt im Text dunkel. Wir meinen daher, daß es angemessen wäre, wenn die Lehre von der Erbsünde sowohl dem Namen als auch der Sache nach ausdrücklich in die Diskussion über die Bedeutung und die Wirkungen der Taufe hineingenommen würde. Bei der Behandlung des Begriffs „Eingliederung in den Leib Christi“ (Nr. 6) sagt der Text: „Die Taufe ist ein Zeichen und ein Siegel unserer gemeinsamen Jüngerschaft.“ Auch in Nr. 5 spricht er von dem Siegel, mit dem die Getauften gekennzeichnet werden. Wir meinen, daß klargestellt werden sollte, was hier mit „Siegel“ gemeint ist. Was ist die volle Bedeutung des „Siegels“? Im Hinblick auf eine solche Klarstellung machen wir die folgenden Bemerkungen: Das Bild vom „Siegel“ fand seine reiche Entfaltung in der patristischen Zeit, als man es hauptsächlich in Verbindung mit der liturgischen Praxis der Bezeichnung und Salbung der Täuflinge mit dem Kreuzzeichen betrachtete. Es ist nicht klar, ob der Text an den zitierten Stellen auf diese patristischen Entwicklungen anspielt. Diese hatten einen bedeutenden Platz in den Überlegungen der Kirche bezüglich der Sakramentalität der Taufe, besonders in der lateinischen Tradition. Sie fanden auch Eingang in die Erklärungen, warum die Taufe nicht wiederholt wird; wie sie ein wirkliches 2177 ANHANG Sakrament sein kann auch dann, wenn ein Getaufter mangels rechter Disposition nicht so zu leben scheint, als ob er oder sie geheiligt wäre; oder wie die Taufe Menschen in die Kirche eingliedert; und wie die Taufe in einer Gemeinschaft, die man nicht in voller Gemeinschaft mit der Kirche sieht, noch als echte Taufe anerkannt werden kann. Dies bleiben echte Fragen hinsichtlich der Taufe. Sie werden im Text nicht behandelt. Eine Theologie des Taufcharakters, die von den Gedanken Augustins über das Siegel ausgeht, stellt und behandelt sie. Eine ökumenische Wiederentdeckung würde unseres Erachtens den Lima-Text über die Taufe in dem Maße bereichern, als sie einen bedeutenden Teil der patristischen Überlieferung widerspiegeln würde. Taufe und Glauben In der Erklärung der Nummern 8-10 ist eine tiefgründige Lehre über die Gnade enthalten, nämlich wie der Mensch auf die Gabe Gottes in der Taufe antwortet. Der Text ist eine Einladung zu einer tiefgründigen Spiritualität der Taufe. Auf der einen Seite wird bekräftigt, daß es Gottes Heilsgabe ist, die in der Taufe verkörpert (enthalten) ist und offenbar gemacht (bezeichnet) wird. Andererseits wird behauptet, daß die Gnade, die in der Taufe gegeben wird, Glauben erfordert und im Glauben empfangen wird, mit der Verpflichtung, in der Heiligkeit und in der Sorge für die Welt zu wachsen. Diese Gnade ist das Werk des Heiligen Geistes. Sie wird gegeben und bewirkt, daß unter den Getauften eine Gemeinschaft im Glauben entsteht, in der Liebe und „in der Hoffnung auf das Offenbarwerden der neuen Schöpfung Gottes und auf die Zeit, wenn Gott alles in allem sein wird“ (Nr. 9). Die Hinweise auf die Kirche in diesen Abschnitten, insbesondere der Gebrauch des Wortes „Kontext“, um ihre Rolle zu beschreiben (Nr. 10), scheint jedoch weniger angemessen zu sein, um die ekklesiologische Dimension der Taufgnade auszudrücken. Die Taufpraxis Was den Abschnitt „Die Taufe von Glaubenden und die Taufe von Kindern“ betrifft, so wissen wir um die Schwierigkeit, einen Text zu formulieren, der sowohl den Glauben derer umfaßt, die von der Bedeutung der Taufe für Kinder überzeugt sind, als auch derer, die glauben, daß die Taufe nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Täufling ein glaubender Erwachsener ist. Wenn wir uns all das vor Augen halten, was vorher über Erbsünde, Gna- 2178 ANHANG de usw. gesagt wurde, dann begrüßen wir die Bemühungen von „Glauben und Kirchenverfassung“, im Lima-Text die gemeinsame Grundlage zwischen diesen Positionen klar herauszuarbeiten. Wir meinen jedoch, daß dieses Thema noch weiter studiert werden muß. Das Thema wird auf der Ebene der Praxis behandelt. Im sakramentalen Leben der Kirche drückt die Praxis den Glauben aus, und der Glaube wird auch durch das Nachdenken über die Praxis vertieft. Die ständige Praxis der Kirche ist ein grundlegender Faktor, der die Taufe von Kindern rechtfertigt. Gleichzeitig war der Glaube der Kirche von den frühesten Zeiten an bereit,- auf die Schwierigkeiten, die gegen diese Praxis vorgebracht wurden, eine Antwort zu geben und Gründe, die für ihre Fortsetzung sprechen, anzugeben. Die Lehre, daß ein Bekenntnis des Glaubens für den Empfang der Taufe notwendig ist, beruht auch auf der liturgischen und pastoralen Praxis, und zwar in erster Linie bei der Taufe von Erwachsenen, aber auch bei der Taufe von Kindern. Das alles wird im Text gut dargelegt. Besonders gut ist die Erklärung der Art und Weise, wie die Taufwirklichkeit sichergestellt wird: einerseits „durch Christi Treue bis in den Tod“ (Nr. 12) und durch „die Treue Gottes als dem Grund allen Lebens im Glauben“ (Nr. 12); andererseits durch die Antwort des Glaubens, der stets ein Glauben der Gemeinschaft ist (Nr. 12). Der Text zeigt, wie dieses Schema sowohl bei der Taufe derjenigen erfüllt ist, die im Augenblick der Taufe ein persönliches Bekenntnis des Glaubens ablegen, als auch bei denen, die erst später durch eine christliche Erziehung zu diesem Bekenntnis des Glaubens gebracht werden. Der Glaube der letzteren wird als eine Antwort auf „die Verheißung und den Anspruch des Evangeliums“ betrachtet, die ihnen auferlegt wurden (Komm, zu Nr. 12). Allerdings erfordert die Terminologie, die im Text „Die Taufe von Glaubenden und die Taufe von Kindern“ benutzt wird, eine Bemerkung. Getaufte Kinder sind in Christus eingegliedert und Glieder der Glaubensgemeinschaft. Daraus folgt, daß die Unterscheidung, die der Text zwischen „Kindern“ und „Gläubigen“ zu machen scheint, irreführend ist. Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn der Text über die Taufe von Erwachsenen und von Kindern gesprochen hätte. Die katholische Praxis und der katholische Glaube bezüglich der Bedeutung der Kindertaufe rühren von einigen grundlegenden Glaubensüberzeugungen über die Taufe her, die bereits im Text erwähnt wurden. Die Taufe ist in erster Linie eine Gabe Gottes (vgl. Nr. 1). Sie ist eine Gabe, durch die man an den heilbringenden Geheimnissen des Lebens, des Todes und der Auferstehung Jesu Christi teilnehmen kann, wo die Macht der 2179 ANHANG Sünde gebrochen ist und ein neues Leben mit Christus beginnt (vgl. Nr. 3). Kinder sind mit der Erbsünde behaftet. Durch die Taufe haben sie Anteil am neuen Leben in Christus, aber dann müssen sie durch eine christliche Erziehung zum Bekennntnis des Glaubens geführt werden. Auch das ist sehr wichtig. Es mag sein, daß die Sorge über „offensichtlich unterschiedsloses Taufen“ in Nr. 16 von einer Auffassung herrührt, die manche haben, die das nicht praktizieren, nämlich, daß die Kindertaufe in einer Weise gespendet wurde, die „magisch“ oder „automatisch“ zu sein scheint, als ob man sich nur um den Taufakt selbst kümmern würde. In der Tat gibt es jedoch in der Kirche eine ernste pastorale Verpflichtung nicht nur für die Vorbereitung der Taufe eines Kindes, sondern auch für die nachfolgende christliche Erziehung. Die Eltern oder Paten tragen die ernste Verantwortung dafür, daß die getauften Kinder zu einem reifen Engagement für Christus erzogen werden. Die treue Ausübung dieser Verpflichtung kann auch ein Beitrag zur Überwindung der Unterschiede zwischen den Kirchen und Gemeinschaften sein, die Kinder durch die Taufe in die Gemeinschaft der Glaubenden aufnehmen, und solchen, die nur die Taufe von glaubenden Erwachsenen praktizieren. Was die Diskussion über „Taufe — Salbung — Konfirmation/Firmung“ betrifft, so gibt Nr. 14 eine gute Darstellung des Glaubens der Kirche bezüglich der Gabe des Heiligen Geistes bei der christlichen Initiation, so wie er sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hat. Es war eine komplizierte theologische Entwicklung, wie die Schritte bezeugen, die von unserer eigenen Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil unternommen worden sind, um die Liturgie, die Theologie und die pastorale Praxis der Firmung zu erneuern. Wir sind jedoch der Überzeugung, daß das Aufkommen eines bestimmten eigenen sakramentalen Ritus, der Salbung oder Firmung heißt, eine normative Entwicklung im Glauben der Kirche darstellt. Während die Gabe des Heiligen Geistes in der Taufe gegeben wird, wurden gewisse Aspekte dieser pfingstlichen Gabe wirkungsvoll in der Liturgie der christlichen Initiation durch die Salbung mit duftendem Öl und ein Gebet unter Handauflegung symbolisiert. Unter diesen Aspekten finden wir die Befähigung zum Zeugnis und zur Standhaftigkeit in den Versuchungen sowie zum öffentlichen Bekenntnis der Gliedschaft in der Kirche. Einige dieser Aspekte wurden bereits in Nr. 5 des Textes erwähnt. Wenn man sie hier noch einmal erwähnt hätte, wäre der Weg zu einem besseren theologischen Verständnis freigeworden, warum die katholische Kirche glaubt, daß die Salbung/Firmung ein von der Taufe verschiedenes Sakrament ist, in dem eine besondere und einzigartige Gabe des Heiligen Geistes verliehen wird. 2180 ANHANG Diese ist Teil des liturgischen Prozesses der christlichen Initiation und kann als sakramentale Handlung der Kirche für sich stehen. Wir stimmen mit der Feststellung überein, daß „die Taufe, als Einverleibung in den Leib Christi, von ihrem innersten Wesen her auf die eucharisti-sche Teilhabe an Christi Leib und Blut hinweist(Komm, zu Nr. 14b; vgl. UR Nr. 22). Man hätte vielleicht mehr aus dieser Wahrheit im Haupttext machen können. Es wäre hilfreich gewesen, gewisse Aspekte der Taufe, insbesondere ihre ekklesiologische Dimension, deutlicher zu machen. Die christliche Initiation, die in der Taufe begonnen wurde, wird durch die Teilnahme an der Eucharistie vollendet, die jenes Sakrament ist, das die ganze Realität der Kirche vollzieht und offenbar macht. Wir stimmen der Feststellung im Kommentar Nr. 14c zu, daß die Taufe immer wieder neu bekräftigt werden muß. Wir tun das in unserer Liturgie in der vorgesehenen Weise. Die Bekräftigung der Taufe wird natürlich auch durch die Eucharistie vollendet, weil sie die Fülle jenes Lebens ist, auf das die Taufe ausgerichtet ist. Wir sehen in der Firmung einen weiteren Schritt nach der Taufe im Verlauf der Initiation. Sie hat daher ihren eigenen Platz in der Entwicklung des Lebens, das seine Fülle in der Eucharistie findet. Die Feier der Taufe Was der Text in diesem Abschnitt über die Feier der Taufe aussagt, ist liturgisch reichhaltig und umfaßt alle klassischen Elemente, die mit jener Feier verknüpft sind. Eine Annahme des Textes durch die kirchlichen Gemeinschaften würde sicherlich ein großer Beitrag in dem Prozeß der gegenseitigen Anerkennung der Taufe sein. Wir stimmen mit dem Anliegen überein, das in Nr. 21a ausgesprochen wird, die Feier der Taufe soweit wie möglich in die Kultur derjenigen zu integrieren, denen das Evangelium verkündet wird. Was die Praxis betrifft, die im Kommentar zu Nr. 21c erwähnt wird, so stellen wir einfach fest, daß wir den Gebrauch von Wasser als wesentlich für die Taufe betrachten. Bezüglich der Tatsachenfrage möchten wir gerne wissen, welche Anhaltspunkte das Urteil im Kommentar zu Nr. 21b stützen könnten, daß „in vielen großen europäischen und amerikanischen Mehrheitskirchen die Kindertaufe in einer offensichtlich unterschiedslosen Weise praktiziert wird“. In dem Text über die Taufe finden wir also vieles, dem wir zustimmen können; aber es gibt auch Punkte, die in der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung noch gründlicher studiert werden sollten. 2181 AS'HANG B. Die Eucharistie 1. Allgemeine Würdigung Katholiken können in den Aussagen über die Eucharistie vieles finden, was dem Verständnis und der Praxis des apostolischen Glaubens entspricht, oder, wie es in dem Dokument ausgedrückt wird, dem Glauben der Kirche durch die Jahrhunderte. Wir würdigen besonders folgendes: a) Die Quellen, die zur Interpretation der Bedeutung der Eucharistie und der Form ihrer Feier herangezogen werden, sind die Hl. Schrift und die Überlieferung. Die klassischen Liturgien des ersten Jahrtausends und die patristische Theologie sind wichtige Bezugspunkte in diesem Text. b) Die Eucharistie wird als zum Inhalt des Glaubens gehörend beschrieben. Sie weist eine starke christologische Dimension auf, indem sie das Geheimnis der Eucharistie in verschiedener Weise mit der realen Gegenwart des auferstandenen Herrn und seines Opfers am Kreuz identifiziert. c) Die Struktur und die Anordnung der grundlegenden Aspekte des Dokumentes sowie ihre Zuordnung zueinander stimmen mit der katholischen Lehre überein, insbesondere: — Die Darlegung des Geheimnisses der Eucharistie folgt dem Strom der klassischen eucharistischen Liturgien, wobei die eucharistische Theologie besonders stark den Inhalt des überlieferten Gebetes und der symbolischen Handlungen dieser Liturgien heranzieht. Der Text schöpft aus den patristischen Quellen, um eine zusätzliche Erklärung des Geheimnisses der Eucharistie zu geben. — Die trinitarische Dimension wird stark hervorgehoben. Die Quelle und das Ziel der Eucharistie werden in der Dreifaltigkeit gesehen. — Die Erklärung des Inhalts dessen, was die Kirche im eucharistischen Gebet tut, schließt Grundelemente mit ein, die auch von der katholischen Lehre gefordert werden:.Danksagung an den Vater; Gedächtnis der Einsetzung der Eucharistie und des Kreuzesopfers; Fürbitte in Einheit mit Christus für die Welt; Bitte um die Herabkunft des Heiligen Geistes auf das Brot und den Wein und auf die Gemeinschaft, damit das Brot und der Wein der Leib und das Blut Christi werden und die Gemeinschaft geheiligt werde; das Mahl des Neuen Bundes. 2182 ANHANG d) Die eschatologische Dimension wird betont. Die Eucharistie wird als ein Vorgeschmack der Parusie Christi und des vollendeten Gottesreiches betrachtet ( Nr. 6), das durch den Geist gegeben wird (Nr. 18). Dadurch öffnet sich der Blick auf das Gottesreich (Nr. 22) und auf die Erneuerung der Welt (Nr. 23). e) Die Eucharistie wird als der zentrale Akt des Gottesdienstes der Kirche dargestellt (Nr. 1). Aus diesem Grund empfiehlt der Text die häufige Feier (Nr. 30). f) Der Text enthält wichtige ekklesiologische Aspekte (Nr. 8) und Konsequenzen für die Sendung der Kirche. 2. Spezielle Bemerkungen Die Einsetzung der Eucharistie Die Erklärung über die Einsetzung der Eucharistie verweist auf deren geschichtlichen Grund in Leben und Tod Jesu von Nazaret und verbindet sie auch mit dem auferstandenen Herrn. Auf diese Weise wird deutlich gemacht, daß die Eucharistie nicht nur ein subjektives Gedächtnis dessen ist, was Christus in der Vergangenheit getan hat, sondern daß sie eine Beziehung zum Heilsgeheimnis Christi im Leben der Kirche heute hat: Der auferstandene Herr ist aufgrund seiner Gegenwart (wenn sie richtig verstanden wird), seines Stiftungswortes und der Kraft des Heiligen Geistes der Gastgeber und die Speise der Kirche. Der Text hebt die Verbindung zwischen dem Letzten Abendmahl und der Eucharistie hervor. Die Beschreibung der Eucharistie als „ein Geschenk vom Herrn“, „ein sakramentales Mahl“, das der Kirche gegeben wurde als ein Mittel, „sich an den Herrn zu erinnern und ihm zu begegnen“, und als „ein sakramentales Mahl, das uns durch sichtbare Zeichen Gottes Liebe in Jesus Christus vermittelt“: all dies wird auch von der katholischen Kirche gelehrt. Die Bedeutung der Eucharistie Die Definition der Eucharistie „als Sakrament der Gabe, die Gott uns in Christus durch die Kraft des Geistes schenkt“, verbindet die beiden Aspekte des Geheimnisses der Eucharistie: die reale Gegenwart Christi, die durch den Heiligen Geist bewirkt wird, und die Gabe, die damit bezeichnet 2183 ANHANG wird. Die Gabe wird als „Heil“ bezeichnet, das durch die Gemeinschaft „am Leib und Blut“ Christi empfangen wird. Wenn festgestellt wird, daß „im Essen und Trinken des Brotes und Weines Christus uns Gemeinschaft mit sich selbst gewährt“, dann zeigt der Text, daß Christus wirklich der Gastgeber des Mahles ist, der Geber der Gabe. Da er aber selbst die Gabe ist, hätte man die unzweideutige Sprache der Bibel benutzen sollen, die von der Teilnahme am Leib und Blut Christi spricht (vgl. 1 Kor 10,16; Joh 6,52-56). Die Verbindung zwischen Eucharistie und Sündenvergebung beruht auf Mt 26,28. Aber „die Zusage der Vergebung der Sünden“ durch die Eucharistie ist an die Vorbedingung geknüpft, daß der Empfänger im Stand der Versöhnung mit Gott in der Kirche lebt. Das verweist auf die Notwendigkeit der vorausgehenden Versöhnung der Sünder (vgl. 1 Kor 11,28). Nach unserem Verständnis sollte die vorausgehende Versöhnung im Sakrament der Buße stattfinden. In dem Abschnitt über „Die Eucharistie als Danksagung an den Vater“ finden wir, daß die Beschreibung der Breite und Tiefe der Danksagung, die im eucharistischen Gebet zum Ausdruck kommt, den Reichtum der klassischen liturgischen Überlieferung getreu widerspiegelt. Aber wie auch immer die erwähnten historischen Verbindungen <108> zwischen der Form des jüdischen Gebets (berakah) und dem eucharistischen Gebet sein mögen, so besitzt letzteres doch etwas ganz Einzigartiges, das durch das Wort „Eucharistie“ vortrefflich ausgedrückt wird. Es handelt sich um eine Danksagung für das, was Gott in seinem Heilswerk getan hat, das durch das Gedächtnis des Christusereignisses charakterisiert und in ihm begründet ist. Die Danksagung der Kirche beruht auf dem einen Hohenpriester: „Dieses Lobopfer ist nur möglich durch Christus, mit ihm und in ihm“ (Nr. 4). Diese Feststellung erinnert an den Schluß des römischen Kanons, der bekräftigt, daß das eucharistische Gebet zuerst und vor allem die Danksagung Jesu Christi an den Vater ist. Die Beziehung zwischen dem Handeln der Kirche und dem Handeln Christi könnte deutlicher ausgedrückt werden durch die Feststellung, daß die Kirche in der Eucharistie die Danksagung Jesu Christi aufnimmt und sich als Braut Christi mit ihr vereinigt, um eine gebührende Danksagung für alle Wohltaten Gottes auszudrücken. Im katholischen Verständnis bedeutet die Eucharistie als Danksagung vor allem <108> Ist es angemessen, die Eucharistie als „berakah“ zu bezeichnen, oder sogar zu erklären, wie es in Nr. 27 geschieht, daß sie sich von der „jüdischen Überlieferung der berakah ableitet“? Nach dem jetzigen Stand der Forschung über die Geschichte der „berakah“ und ihrer Beziehung zu eucharistischen Gebeten bleiben viele Fragen offen. 2184 ANHANG die Danksagung Jesu Christi an den Vater mit dem Opfer seines Leibes und Blutes für die Vergebung der Sünden und für das Heil der Welt. Der Text spricht in Nr. 4 von Brot und Wein als dem Ort, an dem die Welt bei der Eucharistie gegenwärtig ist, und als „Früchten der Erde, die dem Vater in Glauben und Danksagung dargebracht werden“. Die Gleichsetzung zwischen der Gabe, die Jesus aus seinem Leben macht, und dem sakramentalen Tun der Kirche fordert, daß man deutlich sagt, daß die Gaben von Brot und Wein der sichtbare Ausdruck dessen sind, was hier und jetzt gefeiert wird, nämlich die sakramentalen Zeichen der Gegenwart Christi. Die Darstellung der „Eucharistie als Anamnese oder Gedächtnis Christi“ ist gut gelungen. Der biblische Begriff „Gedächtnis“ wird exakt benutzt. Die Eucharistie ist nicht eine bloße Erinnerung an ein vergangenes Ereignis. Das Wort Anamnese wird vielmehr benutzt, um die Idee der wirksamen und wirkenden Gegenwart des Kreuzesopfers zugunsten der „ganzen Menschheit“ in der eucharistischen Feier und durch sie auszudrücken. Die darin enthaltene Analogie zwischen der Eucharistie und den Liturgien des Alten Bundes gründet sich auf „die gegenwärtige Wirksamkeit des Werkes Gottes, wenn es von seinem Volk in einer Liturgie gefeiert wird“. Wir finden diese Darstellung, die die Analogie zwischen der Gedächtnisfeier Israels und der Eucharistie betont, annehmbar. Der Unterschied zwischen beiden wird in den Nummern 5-8 ausgedrückt. Die Verbindung, die zwischen dem Kreuzesopfer und der Eucharistie hergestellt wird, entspricht dem katholischen Verständnis. Das eucharistische Opfer ist jenes Opfer, in dem das Kreuzesopfer vergegenwärtigt wird, damit seine erlösende Kraft hier und jetzt für das Heil der Welt wirksam wird. Die in der Eucharistie gegenwärtige Wirksamkeit des Kreuzesopfers ist in der Gegenwart des auferstandenen Herrn begründet, der von seinem Erlösungswerk nicht getrennt werden kann (Nr. 6). Er ist „in der Anamnese“ (kommemorative Personalpräsenz) als derjenige gegenwärtig, der aus der Zukunft kommt, um uns Gemeinschaft mit sich zu schenken als „einen Vorgeschmack seiner Parusie und des vollendeten Gottesreiches“. Der überlieferte Glaube, daß Christus von Anfang an sowohl der Gastgeber des Mahles als auch die Gabe des Mahles ist, tritt deutlich hervor. Gleichzeitig werden aber auch wichtige ekklesiologische Aspekte der Eucharistie erwähnt. Die Verbindung zwischen Eucharistie und Heilsökonomie, die in der Himmelfahrt Christi und in den in ihm Gesegneten bereits voll verwirklicht ist, wird aufgezeigt. Das enge Verhältnis zwischen dem Geheimnis der Eucharistie und dem Handeln der Kirche ist deutlich formuliert (Nr. 7). Das erinnert an die Darlegung, die die katholische Theologie über die dreifache Dimension 2185 ANHANG der sakramentalen Feier gibt. Weil „Christus durch die freudige Feier seiner Kirche handelt“, ist die Eucharistie „nicht nur eine Rückerinnerung an ein vergangenes Ereignis“, sondern „die wirksame Verkündigung der Kirche von Gottes großen Taten“ (eine wirkliche Teilnahme jetzt) sowie seiner „Verheißungen“ (ein wirklicher Vorgeschmack der künftigen Herrlichkeit). Die ekklesiologische Dimension der Lehre über die Eucharistie wird im Text in der Theologie der Fürbitte ausgedrückt: „Die Eucharistie ist das Sakrament des einzigartigen Opfers Christi, der ewig lebt, um Fürsprache für uns einzulegen ... Die Kirche bringt ihre Fürbitte in Gemeinschaft mit Christus, unserem Hohenpriester, dar“ (Nr. 8). Hier wird die Kirche gesehen als geistlich und sakramental vereint mit der kommemorativen, aktiven Gegenwart des Opfers Christi. In ihrer Fürbitte macht sich die Kirche die Fürbitte Christi selbst zu eigen (vgl. Komm, zu Nr. 8). An anderer Stelle wird gesagt: „In der Eucharistie findet die Gemeinschaft des Volkes Gottes ihre volle Darstellung. Eucharistische Feiern haben es immer mit der ganzen Kirche zu tun, wie auch die ganze Kirche an jeder einzelnen Feier der Eucharistie beteiligt ist“ (Nr. 19). Diese Feststellung beinhaltet ein Verständnis des Geheimnisses der Kirche und der Eucharistie, das der traditionellen eucharistischen Ekklesiologie der katholischen Kirche entspricht. Die Eucharistie verkörpert die Bewegung der Kirche in Christus auf den Vater hin. Es wird betont, daß der Wert der Danksagung und der Fürbitte der Kirche auf ihrer Vereinigung mit der Fürbitte Christi beruht (Nr. 8). Diese Sicht ist mit der katholischen Lehre verwandt, die Ausdruck des Glaubens ist, daß die Eucharistie ein Opfer ist, das vom ganzen Christus (Haupt und Leib) in der Kraft des Heiligen Geistes dem Vater dargebracht wird. An mehreren Stellen (Nr. 8; Komm, zu Nr. 8; Nr. 9) wird allerdings der Begriff „Fürbitte“ in einer Weise benutzt, die unzureichend scheinen könnte, um den Opfercharakter der Eucharistie im katholischen Sinne zu erklären. Die Aussage, daß die Eucharistie das „Sakrament des einzigartigen Opfers Christi“ ist (Nr. 8), bezieht sich auf das Verhältnis zwischen dem historischen Kreuzesopfer und der Feier der Eucharistie. Das Verbindungsglied zwischen dem historischen Ereignis am Kreuz und der gegenwärtigen Wirksamkeit dieses Ereignisses ist der gekreuzigte und auferstandene Herr, der als Hoherpriester und als „Fürsprecher“ eingesetzt ist. In dieser Perspektive ist es richtig zu sagen, daß die „Ereignisse“ des Lebens Christi als geschichtliche Ereignisse im Strom der Zeit eingebettet waren und nicht wiederholt oder „verlängert“ werden können. Weil jedoch der Hohe- 2186 ANHANG priester der gekreuzigte und auferstandene Herr ist, kann seine Selbsthingabe am Kreuz „auf ewig“ genannt werden. Sein verklärter Leib ist der Leib des Herrn, der ein für allemal geopfert wurde. Infolgedessen scheint es der Realität des Opfers Christi nicht voll gerecht zu werden, wenn man die Fortdauer des Erlösungswerkes Christi nur in Ausdrücken bloßer „Fürbitte“ beschreibt. In entsprechender Weise muß die Beschreibung des Handelns der Kirche in der Eucharistie als Danksagung und Fürbitte vervollständigt werden durch einen Hinweis auf das Selbstopfer der Teilnehmer an der Eucharistie, die in Einheit mit dem „ewigen Selbstopfer“ Christi geschieht. Die Nummern 9,10 und 11 können so verstanden werden, daß diese Vorstellung mit eingeschlossen ist. Es wird vorgeschlagen (Komm, zu Nr. 8), daß die katholische Lehre vor der Eucharistie als einem Sühnopfer im Sinne von Fürbitte verstanden werden sollte. Katholiken würden dann aber fragen: Genügt es wirklich, die Rolle Christi in der „Zuwendung der sühnenden Kraft des Kreuzes“ als „Fürbitter“ zu beschreiben? Das traditionelle Anamnese-Opferungsgebet drückt den Gedanken aus, daß eine Darbringung des einen, gottgefälligen Opfers durch die Kirche in Einheit mit Christus geschieht. Für Katholiken würde dieses Gebet den Glauben ausdrücken, daß wir durch die Eucharistie befähigt werden, uns mit dem Paschaopfer Christi zu vereinen, das er seinem Vater dargebracht hat. Eine verhüllte Anspielung auf diesen Aspekt scheint sich in Nr. 9 zu finden: „In der Eucharistie schenkt uns Christus die Kraft, mit ihm zu leben, mit ihm zu leiden ... als gerechtfertigte Sünder.“ Die katholische Theologie zieht es jedoch vor, das, was (in Nr. 10) über das geistliche Opfer gesagt wird, das Gott im täglichen Leben dargebracht wird, deutlicher und direkter im Hinblick auf die Eucharistie zu sagen. Wiederum wird die Befähigung durch Christus nur in Begriffen der „Fürsprache“ erklärt (Nr. 9). Aus katholischer Sicht wäre es gut gewesen, wenn man die Rolle Christi als Heiligmacher stärker berücksichtigt hätte (vgl. die vorhergehenden Bemerkungen zu Nr. 8). Die Formulierung der Beziehung zwischen der Verkündigung des Wortes und der Feier der Eucharistie (Nr. 12) ist in Ordnung; sie verwechselt die Verkündigung des Wortes nicht mit der Eucharistie; gleichzeitig bekräftigt sie die enge Verbindung zwischen beiden. Wir begrüßen die Darstellung der Realpräsenz Christi, die der Text bietet. Die Textstellen, die das Verhältnis des auferstandenen Herrn zu den Elementen der Eucharistie behandeln, enthalten einen Hinweis nicht nur auf das Zeugnis der Hl. Schrift (vgl. Nr. 13: „Die Worte und Handlungen Chri- 2187 ANHANG sti bei der Einsetzung der Eucharistie stehen im Mittelpunkt der Feier“), sondern auch auf die Epiklese der Liturgie, die um die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Elemente bittet (Nr. 14-15). Wenn man dies im Lichte dessen deuten könnte, was in der Theologie der Epiklese des Geistes enthalten ist, wie man es in der patristischen Lehre finden kann, dann genügte die Darlegung den Erfordernissen des katholischen Glaubens. Wir sollten hier einfügen, daß katholische Überlieferung und Praxis die Bedeutung der Einsetzungsworte in der Eucharistiefeier betonen. Die Bedeutung, die die Kirche „der Wiederholung der Worte und der Handlungen Christi bei der Einsetzung der Eucharistie“ beimißt, entspricht der authentischen Lehre. „Im Mittelpunkt der Feier“ verkündet die Kirche das, was Christus ein für allemal getan hat. Der auferstandene Herr selbst steht hinter diesem Tun. Er stellt die Elemente von Brot und Wein in Beziehung zwischen ihm selbst und der Gemeinschaft. Diese Elemente werden zu Zeichen, die seine rettende Gegenwart verwirklichen, nämlich das „Sakrament seines Leibes und Blutes“. So erfüllt Christus in einer Weise, was er versprochen hat, nämlich „bei den Seinen zu bleiben“. Was über die Tatsache und die Art und Weise von Christi „einzigartiger“ Gegenwart gesagt wird, „die nicht vom Glauben der einzelnen abhängt“, ist angemessen. Der katholische Glaube verbindet den Opfercharakter der Eucharistie jedoch enger mit dem Sakrament des Leibes und Blutes, als es in dem Text geschieht. Christus sagte nicht einfach: „Das ist mein Leib; das ist mein Blut“. Nach dem Neuen Testament fügte er hinzu: „mein Leib, für euch hingegeben;“ „mein Blut, für die vielen vergossen“. Christus hat sich zunächst sakramental in der Eucharistie dem Vater dargebracht in einem Opfer, das die Erlösung der Menschheit vergegenwärtigt. Wenn er sich jetzt opfert als ein Mittel der sakramentalen Gemeinschaft mit den Gläubigen, dann deshalb, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich ihrerseits mit seinem Selbstopfer an den Vater zu vereinen. Nur in dem Maße, in dem Christus sich selbst in der Opferhandlung der kirchlichen Liturgie dem Vater als Opfer darbringt, werden die Elemente zum Sakrament seines Selbstopfers an die Kommunikanten. Der Text spricht zwar von „der gegenwärtigen Wirksamkeit“ (Nr. 5) des „Opfers Christi“ (Nr. 5) sowie von dem „lebendigen und wirksamen Zeichen seines Opfers“ (Nr. 5) und von der Eucharistie als „dem Sakrament des einzigartigen Opfers Christi“ (Nr. 8), aber aus unserer Sicht sagt er nicht unmißverständlich aus, daß die Eucharistie in sich selbst ein wahres Opfer ist, das Gedächtnis des Opfers Christi am Kreuz. Im Kommentar zu Nr. 13 wird ein Unterschied zwischen den Kirchen gemacht, die an eine Veränderung der Elemente „glauben“, und jenen, die 2188 ANHANG Christi Gegenwart nicht „so bestimmt mit den Zeichen von Brot und Wein verbinden“. Der Schlußsatz scheint jedoch das Wort „glauben“ zu relativieren. Dort wird nämlich die Frage gestellt, „ob dieser Unterschied innerhalb der im Text selbst formulierten Konvergenz Raum finden kann“. Einerseits begrüßen wir die Konvergenz, die tatsächlich vorhanden ist. Andererseits müssen wir bemerken, daß für die katholische Lehre die Wandlung der Elemente ein Gegenstand des Glaubens ist, der nur offen ist für mögliche neue theologische Erklärungen, etwa im Hinblick auf das „Wie“ dieser inneren Veränderung. Der Inhalt des Begriffs „Transsubstantiation“ sollte ohne Mehrdeutigkeit ausgedrückt werden. Für die Katholiken ist dies ein zentrales Geheimnis des Glaubens; sie können keine Formulierungen akzeptieren, die mehrdeutig sind. Daher scheint es nicht möglich zu sein, die Unterschiede, so wie sie hier erklärt werden, mit der im Text selbst formulierten Konvergenz in Einklang zu bringen. Daran muß noch weiter gearbeitet werden. Weil der Abschnitt, der sich mit der „Eucharistie als Anrufung des Geistes“ (Nr. 14-18) befaßt, sich mehr auf das pneumatologische Element konzentriert, betont er die enge Beziehung zwischen dem Geheimnis der Eucharistie und dem Geheimnis des dreieinigen Gottes. Er spricht von der Rolle, die der Vater, der Sohn und der Heilige Geist in der Eucharistie spielen, in einer Weise, die mit der katholischen Lehre übereinstimmt. Die Feststellung, daß die ganze Handlung der Eucharistie einen „epikleti-schen“ Charakter hat, weil sie auf dem Wirken des Heiligen Geistes beruht (Nr. 16), ist angemessen und betont die Tatsache, daß die Eucharistie von Anfang an ein heiliges Tun ist. Dem Text zufolge wird gesagt, daß Brot und Wein „die sakramentalen Zeichen von Christi Leib und Blut werden“ (Nr. 15) kraft der Worte Christi und der Macht des Geistes. Das stimmt mit der katholischen Lehre überein, die ebenfalls auf Brot und Wein als sakramentale Zeichen verweist („sacramentum tantum“, d.h. soweit sie Zeichen sind). Aber der Gedanke, daß sie zu sakramentalen Zeichen werden, ist mit der inneren Veränderung verknüpft, die stattfindet, wobei eine Seinseinheit zwischen der bezeichnenden und der bezeichneten Realität zustandekommt. Der Hinweis auf das heiligende Wirken des Geistes gibt der Darstellung des Textes eine Tendenz in Richtung auf eine innere Veränderung. Der Text ist jedoch auch für den Gedanken offen, daß die Gaben nur einem Bedeutungswandel unterliegen, der nicht weiter geht als die Herstellung einer äußerlichen Beziehung zwischen der bezeichnenden und der bezeichneten Sache. Das wäre nicht angemessen. Da dieses Problem mit der wichtigen Frage der 2189 ANHANG Realpräsenz zusammenhängt, ist eine weitere Erklärung aus der Sicht des katholischen Glaubens nötig. <109> <109> In gewisser Weise damit verknüpft sind die verschiedenen Versuche, das Geheimnis der eucharistischen Gegenwart Christi zu verstehen; sie werden in drei Gruppen eingeordnet (Komm, zu Nr. 15): 1. Einige bejahen lediglich die Tatsache; 2. andere „halten es für notwendig,“ auf einer Veränderung von Brot und Wein zu bestehen; 3. andere entwickeln theologische Erklärungen. Die katholische Theologie, die alle drei Gruppen umfaßt, verlangt nach einer Neu-For-mulierung der Beschreibung ihres Verständnisses bezüglich der zweiten Position. Unser Glaube an die Realpräsenz beinhaltet, daß wir glauben, daß das Brot und der Wein wirklich der Leib und das Blut Christi werden. Der Satz „...halten es für notwendig, ...zu bestehen“ genügt nicht, um dies wiederzugeben. „Sie halten es für notwendig, ...zu bekennen“ wäre angemessener. Die Darstellung der „Eucharistie als Gemeinschaft der Gläubigen“ (Nr. 19-21) drückt einen wichtigen ekklesiogischen Aspekt aus: „Die eucharisti-sche Gemeinschaft mit Christus, der das Leben der Kirche stärkt, ist zugleich auch die Gemeinschaft im Leibe Christi, der Kirche“ (Nr. 19). In diesem Zusammenhang entwickelt der Text die ethischen Konsequenzen aus der Teilnahme an der Eucharistie, die sich auf die Notwendigkeit konzentrieren, sich mit den Spaltungen in der Kirche und in der Welt zu befassen und sie zu überwinden. Gleichzeitig wird im Kommentar zu Nr. 19 die Befürchtung geäußert, daß „die Katholizität der Eucharistie weniger deutlich wird,“ wenn „das Recht von getauften Gläubigen und ihren Pfarrern, in einer Kirche am eucharisti-schen Mahl teilzunehmen und ihm vorzustehen, von denen in Frage gestellt wird, die anderen eucharistischen Gemeinden angehören und diese leiten.“ Die Katholizität der Eucharistie ist jedoch nicht etwas von der Katholizität der Kirche Verschiedenes. Katholizität beinhaltet Offenheit, aber eine Offenheit, die als Vörbedingung.die Annahme des ganzen Heilsgeheimnisses Christi und seiner Konsequenzen hat. Die Probleme, die in diesem Zusammenhang aufgeworfen werden (im Kommentar zu Nr. 19), müssen letztlich in einer Ekklesiologie ihren Platz finden, um in angemessener Weise gelöst zu werden. Die Erklärung über „Die Eucharistie als Mahl des Gottesreiches“ (Nr. 22-26) bietet einen wertvollen Kommentar über die Verbindung zwischen Taufe und Eucharistie. Durch die Taufe wird man gerechtfertigt, in Christus eingegliedert und hingeordnet auf die Eucharistie (vgl. UR Nr. 22), die ja das Heilsgeheimnis Christi unter dem Aspekt der Teilnahme am escha-tologischen Freudenmahl mit Christus und den Heiligen im Gottesreich zur Herrlichkeit des Vaters darstellt. 2190 ANHANG Der Text erinnert daran, wie die eschatologische Dimension der Eucharistie die Sendung der Kirche begründet. Die Verbindung zwischen Eucharistie und Sendung ist ein wesentlicher Bestandteil der katholischen Erklärung der Verbindung zwischen Eucharistie und Leben. Die christliche Ethik hat eine sakramentale Grundlage. Durch die Eucharistie empfängt die Kirche nicht nur ihren Namen (Leib Christi, Nr. 24), sondern auch ihre Sendung, das Heilswerk Christi in der ganzen Welt zu verbreiten. Die Feier der Eucharistie Im allgemeinen kann man sagen, daß die Beschreibung der einzelnen Elemente der klassischen liturgischen Eucharistiefeier angemessen ist. Die Liste der Elemente schließt eine „lex orandi“ ein, die es ermöglicht, sich einer „lex credendi“ der Kirche zu nähern. Gleichwohl gibt es hier einige Einwände oder Fragen vom Standpunkt der katholischen Lehre. Erstens würden wir, statt von einem „Zuspruch der Vergebung“ zu sprechen, einen Ausdruck vorziehen, der das Element der wirklichen Sündenvergebung im Leben der Christen genauer wiedergibt. Zweitens ist der Ausdruck der Intention der Kirche, das Opfer Christi darzubringen, wichtig. Ist das wirklich in der aufgeführten Liste unter „Anamnese oder Gedächtnis, usw.“ enthalten? Dies sollte deutlicher sein. Drittens ist der Ausdruck „Essen und Trinken in Gemeinschaft mit Christus und mit jedem Glied der Kirche“ schwach. Er drückt den Unterschied zwischen der sakramentalen Teilnahme am Leib und Blut Christi und der Gemeinschaft mit Christus durch die Gemeinschaft mit denen, die in Christus sind, nicht hinreichend aus. Das Problem, welche Elemente der Eucharistiefeier verändert werden können und welche nicht (Komm, zu Nr. 28), wird richtig der Verantwortung der Kirche zugewiesen. Die Kirche und nicht das einzelne Mitglied als solches hat in dieser Sache die Zusicherung der Führung durch den Geist. Die Beschreibung dessen, was Christus in der Eucharistie tut, ist gut gelungen (Nr. 29). Allerdings könnte die Frage, wer Vorsteher der Eucharistiefeier ist, wohl besser in den Ausführungen über das Amt behandelt werden. Nach katholischer Auffassung muß der Vorsteher ein Priester sein, der das Sakrament der Weihe in der apostolischen Sukzession empfangen hat. In Nr. 32 wird ein Unterschied gemacht zwischen Kirchen, die darauf bestehen, daß „die Gegenwart Christi in den geweihten Elementen auch nach der Feier fortdauert“, und anderen, die „das Hauptgewicht auf die Feier selbst und den Verzehr der Elemente bei der Austeilung legen“. Die katho- 2191 ANHANG lische Kirche stimmt mit der erstgenannten Auffassung überein und ebenso mit dem, was über die zweite positiv gesagt ist. Sie stimmt nur mit denen nicht überein, die die Fortdauer der Realpräsenz nach der Feier leugnen. Es sei uns die Frage gestattet: Wenn jemand die Fortdauer der Realpräsenz nach der Feier leugnet, was bedeutet dies dann für sein Verständnis der Realpräsenz und der Realität der Wandlung? Es wäre daher von Nutzen gewesen, wenn die tieferen ekklesiologischen, sakramentalen und eschatologischen Gründe für die uralte Praxis der Aufbewahrung der konsekrierten Spezies erwähnt hätte. Der Text stellt zwar fest, daß man „die Achtung für die ... Elemente am besten ... dadurch zum Ausdruck bringt, daß man sie verzehrt, ohne dabei ihren Gebrauch für das Krankenabendmahl auszuschließen“; wir möchten jedoch hinzufügen, daß die verschiedenen Formen der eucharistischen Verehrung, wenn sie angemessen geschieht, ebenfalls legitime und lobenswerte Weisen sind, die Fortdauer der Gegenwart Christi in der Eucharistie anzuerkennen. Schließlich gibt es ein unterschiedliches Verhalten unter den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in bezug auf die gegenseitige Teilnahme an der Eucharistie. Nach unserer Sicht hat die Frage der gegenseitigen Teilnahme an der Eucharistie eine ekklesiologische Dimension (Nr. 33) und kann nicht isoliert von dem Verständnis des Geheimisses der Kirche wie des Amtes behandelt werden. In" dieser Hinsicht ist für die Katholiken die Einheit im Bekenntnis des Glaubens das Herzstück der kirchlichen Gemeinschaft. Da die Eucharistiefeier von ihrer eigenen Natur her ein Bekenntnis des Glaubes der Kirche ist, ist es für die katholische Kirche gegenwärtig unmöglich, sich an einer allgemeinen gegenseitigen Teilnahme an der Eucharistie zu beteiligen. Denn aus unserer Sicht können wir erst dann Eucharistiegemeinschaft haben, wenn wir auch volle Gemeinschaft im Glauben haben. In dem Text über die Eucharistie finden wir vieles, dem wir zustimmen können.-Wir haben aber auch auf jene Punkte hingewiesen, wo nach unserer Meinung noch weitere Studien nötig sind, wenn die Arbeit von „Glauben und Kirchenverfassung“ weitergeht. C. Das Amt 1. Allgemeine Würdigung Die Ausführungen über das Amt befassen sich mit einem der zentralen und vielschichtigsten Themen in den ökumenischen Gesprächen. Wir sind uns deutlich bewußt, daß vielleicht keine der Kirchen und kirchlichen Gemein- 2192 ANHANG schäften, die in der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung vertreten sind, ihren Glauben und ihre Praxis hinsichtlich des Amtes voll und ganz in diesem Dokument bedacht und ausgesagt findet, und zwar genau in der Weise, in der sie es verstanden und erfahren hat. Die Ausführungen sind notwendigerweise von der Vielfalt der Ansichten und der Praxis beeinflußt, die in der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung präsent sind. Ferner sind die Amtsstrukturen der voneinander getrennten Kirchen und Gemeinschaften nicht nur von verschiedenen Theologien geprägt; sie wurden auch von verschiedenen geschichtlichen und soziologischen Entwicklungen in den Kirchen beeinflußt, die in starkem Maße zur Ausgestaltung ihrer Identität beitragen. Weil wir uns der Kompliziertheit des ökumenischen Dialogs über das Amt bewußt sind, sind wir für die Arbeit, die von der Kommission in diesem Punkt geleistet wurde, dankbar; wir würdigen besonders die Tatsache, daß die Ausführungen des Textes sich auf die großen Linien dessen hinbewegen, was wir „als den Glauben der Kirche durch die Jahrhunderte“ erkennen. Unter diesem Gesichtspunkt möchten wir besonders hervorheben: a) den Gebrauch einer Terminologie im weiten ökumenischen Horizont, die die traditionelle christliche Theologie widerspiegelt; b) die bedeutsamen trinitarischen, christologischen und ekklesiologischen Aspekte des Textes; c) die Einordnung des ordinierten Amtes in den größeren theologischen und ekklesiologischen Rahmen von Gottes Heilswirken durch Christus und seine Kirche, wodurch verschiedene und einander ergänzende Gaben der Gemeinschaft und einzelnen Gliedern des ganzen Volkes zuteil werden (Abschnitt 1); d) die fortlaufende Verbindung des ordinierten Amtes mit der Sendung der Zwölf und der grundlegenden Apostolizität der Kirche; e) die ausgewogene Darstellung des ordinierten Amtes als Ergebnis der gnadenhaften Initiative Gottes und einer Beauftragung durch die Kirche, um eine Verantwortung im Namen Christi wahrzunehmen. f) die positive Beschreibung der Ordination, die zwar mehrere Auslegungen zuläßt, aber auch für ein sakramentales Verständnis offen bleibt; g) die bedeutsame Darlegung des dreifachen Amtes der Bischöfe, Presbyter und Diakone, auch wenn sie eher als funktionale Aufgaben gesehen werden, die konkret in verschiedenen Formen existieren können; 2193 ANHANG h) die Verantwortung des Amtes wird in angemessener Weise beschrieben als Verkündigung und Lehre des Wortes Gottes, Spendung der Sakramente und Leitung des Lebens der Gemeinschaft in ihrem Gottesdienst, ihrer Sendung und ihrem fürsorgenden Dienst (Nr. 13); i) die Ausführungen sind mehr als eine theologische Abhandlung. Sie haben auch eine pastorale Perspektive, die sowohl die Amtsträger bei der Ausübung ihres Amtes inspirieren als auch der Gemeinschaft helfen kann, diese als „Herolde und Botschafter Jesu Christi“ zu akzeptieren (Nr. 11). Wir begrüßen die Tatsache, daß das ordinierte Amt nicht isoliert, sondern in seinem größeren ekklesiologischen Kontext, in seinem Verhältnis zur Kirche als dem Volk Gottes, zu ihrer Einheit, Apostolizität und Katholizi-tät und in ihrer Existenz als einer Ortsgemeinde behandelt wird. Allerdings wird man in der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung noch weitere Überlegungen über die Ekklesiologie anstellen müssen, um das ordinierte Amt in eine klare Perspektive zu stellen. Zur Illustration: Eine wesentliche Dimension der Kirche, die weiterhin im dunkeln bleibt, obwohl sie von größter Wichtigkeit für das Verständnis und die Bewertung der Autorität des ordinierten Amtes ist, ist der sakramentale Aspekt der Gesamtkirche, der sich in einer besonderen Weise im Amt auswirkt, bei seiner Lehraufgabe, bei der Spendung der Sakramente und bei seinem Leitungsdienst. In einem realen und wirksamen Sinne ist die Kirche eine Ikone der Gegenwart Gottes und seines Reiches in der Welt. Dies ist stets gegeben wegen Gottes wirklicher und ständiger Treue zu seiner Verheißung in Jesus Christus. Die grundlegenden Amtsstrukturen haben Anteil an dieser sakramentalen Dimension. Weitere ökumenische Gespräche werden diese geistliche und sakramentale Dimension der Kirche und ihres Amtes noch gründlicher behandeln müssen. Die Autorität der Tradition Der Text verwendet die Hl. Schrift, insbesondere das Neue Testament, als Grundlage für seine Argumentation, indem er die Einzigartigkeit der Autorität Christi, die besondere Rolle der Apostel und den Geist aufzeigt, in dem das Amt ausgeübt werden muß. Wenn der Text feststellt, daß die Kirche niemals ohne Personen war, die eine spezifische Autorität und Verantwortung innehatten (Nr. 9), so konnte er die Schwierigkeiten nicht außer acht lassen, die entstehen, wenn man den Ursprung der gegenwärtigen Strukturen in der Bibel aufzuzeigen ver- 2194 ANHANG sucht (vgl. Komm, zu Nr. 17; Nr. 19, 22, Komm, zu Nr. 40), und versuchen mußte, einen historischen Fundamentalismus zu vermeiden. Notwendigerweise mußte der Text die geschichtliche Entwicklung des Amtes in der frühen Kirche behandeln, z.B. die Entwicklung der Formen des ordinierten Amtes (Nr. 19-21), die Nachfolge im apostolischen Amt (Nr. 35-36 und Komm, zu Nr. 36) und das Verständnis des Priestertums. Oft gibt der Text einem Argument aus der Frühzeit ein besonderes Gewicht. <110> Ein Ziel dieser Methode besteht darin, einen Beitrag zu leisten, der den Gemeinschaften, die das Bischofsamt nicht beibehalten haben, hilft, das Bischofsamt als ein Zeichen der Kontinuität und der Einheit der Kirche zu schätzen (Nr. 38) und vielleicht das Zeichen wiederzuentdecken (Nr. 53 b). Spätere Entwicklungen bezüglich der Strukturen, die an einigen Krisenpunkten in der Geschichte stattfanden, scheinen in dem Dokument nicht das gleiche Gewicht zu haben wie jene der ersten Jahrhunderte (Nr. 19,22). Diese Hinweise auf die apostolische Zeit und auf die ersten Jahrhunderte des Christentums ergeben sich nicht nur aus der historischen und kritischen Ehrlichkeit, sondern haben auch ein deutliches theologisches Gewicht. Diese Entwicklung wird mit der Führung durch den Heiligen Geist in Verbindung gebracht (Nr. 19). <110> „Das Amt... von Personen (die verantwortlich dafür waren, daß die Abhängigkeit der Kirche von Jesus Christus sichtbar war), die schon seit sehr früher Zeit ordiniert wurden“ (Nr. 8). „Die Kirche war nie ohne Personen, die spezifische Autorität und Verantwortung innehatten“ (Nr. 9). „Von Anfang an gab es unterschiedliche Rollen in der Gemeinschaft“ (Nr. 9). „Die grundlegende Realität eines ordinierten Amtes bestand von Anfang an“ (Komm, zu Nr. 11). „Geschichtlich ist es zutreffend zu sagen, daß das dreifache Amt zur allgemein akzeptierten Struktur in der Kirche der frühen Jahrhunderte wurde“ (Nr. 22). „Unter den besonderen geschichtlichen Verhältnissen der wachsenden Kirche in den ersten Jahrhunderten wurde die Sukzession der Bischöfe zu einer der Formen ..., in der die apostolische Tradition der Kirche zum Ausdruck kam“ (Nr. 36). Die Aufmerksamkeit, die den Ursprüngen und der „Frühzeit“ gewidmet wird, kommt sicherlich den Anliegen vieler Kirchen entgegen. Diese in dem Dokument angewandte Methode bleibt allerdings noch unvollständig, denn zu oft geht es nur um die Feststellung einer Tatsache; sie wird nicht hinreichend von einer theologischen Reflexion über die normative Kraft solchen Alters gestützt. Mit anderen Worten: Sie muß ergänzt werden durch die Betrachtung der Rolle einer mit Entscheidungsvollmacht ausgestatteten Autorität, sowohl bei der Beurteilung solcher Entwicklun- 2195 ANHANG gen in der Vergangenheit als auch im Hinblick auf die gegenwärtigen Erfordernisse der Kirche und die heutige ökumenische Situation. 2. Spezielle Bemerkungen Die Berufung des ganzen Gottesvolkes Im Sinne der vielen Texte, die aus bilateralen Dialogen hervorgingen, aber auch der Dogmatischen Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche, ist es erfreulich zu sehen, daß der Text das Problem des ordinierten Amtes aus einem größeren Blickwinkel heraus betrachtet. Er beginnt mit einer kurzen theologischen und ekklesiologischen Überlegung über die Berufung des ganzen Gottesvolkes. Er zeigt auf, wie diese Berufung in der Perspektive der Sorge des dreieinigen Gottes für die Menschheit als ganze gesehen werden muß: Gottes Ruf, die Mittlerrolle Jesu Christi und die befreiende und erneuernde Kraft des Heiligen Geistes. In diesem Licht beschreibt das Dokument einige Merkmale der Berufung der Kirche und betont besonders ihre Sendung zu Zeugnis und Dienst. Als Teil dieser Berufung verleiht der Heilige Geist der Gemeinschaft verschiedene und einander ergänzende Gaben (Nr. 5) und Charismen, die den Hintergrund aller Ämter in der Kirche bilden. Wir stimmen dem allgemeinen Verständnis der Berufung des Gottesvolkes zu, wie sie im ersten Abschnitt dargelegt wird. Die Frage: „Wie ist das Leben der Kirche nach dem Willen Gottes und unter der Leitung des Heiligen Geistes zu verstehen und zu ordnen, so daß das Evangelium verbreitet und die Gemeinschaft in Liebe auferbaut werden kann?“ (Nr. 6) ist eine berechtigte Frage. Der Hinweis auf den Willen Gottes und auf die Führung des Heiligen Geistes zeigt mit Recht, daß man sich bewußt ist, daß die Ordnung der Kirche — zumindest in ihrer grundlegenden Verfassung — nicht das Resultat von geschichtlichen Entwicklungen oder von menschlicher Organisation ist. Diese Frage kann jedoch nicht abschließend beantwortet werden, solange die Fragen noch offenstehen, wer Entscheidungen trifft, wer Gottes Willen in den verschiedenen Entwicklungen beurteilt und mit welcher Autorität das geschieht. Wir glauben in der Tat, daß gewisse Personen in der Kirche mit einer von Gott verliehenen Autorität beauftragt sind, ein solches Amt der Entscheidung auszuüben. Die Frage nach der Autorität in der Kirche muß daher im Zusammenhang mit dem Amt studiert werden. 2196 ANHANG Die Kirche und das ordinierte Amt Eines der Mittel, durch die die Kirche nach dem Willen Gottes und unter der Führung des Heiligen Geistes geordnet wird, ist die Existenz des ordinierten Amtes. In der Beschreibung der Hauptverantwortung des ordinierten Amtes, die in Nr. 13 geboten wird, erkennen wir den Rahmen eines katholischen Verständnisses der Sendung des ordinierten Amtes wieder. Wir stimmen der Art und Weise zu, wie dieses Amt bereits mit der Sendung der Zwölf in Verbindung gebracht wird. Wir möchten anregen, daß man diese Sendung außerdem mit Christi eigener Sendung durch den Vater verknüpft: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21). Wir freuen uns zu sehen, daß das Dokument die beiden sich ergänzenden Formen der „Repräsentation“ der ordinierten Amtsträger erwähnt: die Repräsentation des Gottesvolkes und die Repräsentation Jesu Christi als Herolde, Botschafter, Leiter, Lehrer und Hirten (Nr. 11). Im Kommentar zu Nr. 13, in dem die Besonderheit des ordinierten Amtes in bezug auf die Beteiligung der Gemeinschaft an der Erfüllung dieser Funktionen erwähnt wird, findet sich die Erklärung, daß „das ordinierte Amt diese Funktionen in einer repräsentativen Weise ausübt und so zum Bezugspunkt für die Einheit des Lebens und des Zeugnisses der Gemeinschaft wird“ (Komm, zu Nr. 13). Der Begriff „Repräsentation“ ist ein wertvoller Begriff, dessen Wurzeln im theologischen Verständnis der Kirchen liegen, aber er muß im Kontext der formulierten Übereinstimmung näher definiert werden, so daß deutlich wird, daß in Verbindung mit dem Archetypos Christus das ordinierte Amt in der Kirche und für sie eine wirksame und sakramentale Realität ist, durch die der Amtsträger „in persona Christi“ handelt. Diese Sicht könnte auch helfen, deutlicher zu erklären, warum gemäß dem katholischen Glauben die Eucharistiefeier von einem geweihten Amtsträger geleitet werden muß, der Christus in einer personalen und sakramentalen Weise repräsentiert (Nr. 14). Auch auf diese Weise könnte das Bild des ordinierten Amtes als „Bezugspunkt der Einheit“ (Nr. 8 und Komm, zu Nr. 13,14 in bezug auf die Eucharistie) vertieft werden. Wenn wir diesen sakramentalen Aspekt, der den Amtsträger vor Gott und vor der Gemeinschaft prägt, so stark betonen, dann wollen wir den Amtsträger nicht von der Gemeinschaft trennen und ihn über sie erheben, denn wir stimmen voll überein mit der engen Verbindung, die das Dokument zwischen dem ordinierten Amt und der Gemeinschaft macht (Nr. 12). Dennoch gibt es eine spezielle Rolle für den ordinierten Amtsträger. Wir sollten nicht zögern, im Lichte der Überlieferung etwas von der wirklichen und sakramentalen Gegenwart Christi in dem geweihten Amtsträger zu sehen: ein besonderes Zeichen unter anderen Zeichen. 2197 ANHANG Der Abschnitt über „Ordiniertes Amt und Autorität“ (Nr. 15 f.) enthält zwei schöne Passagen über die Art und Weise und den Geist, in dem die ordinierten Amtsträger ihre Autorität in Zusammenarbeit mit der ganzen Gemeinschaft ausüben müssen, wobei der Nachdruck auf dem Vorbild Christi selbst und seiner Art, Gottes Autorität der Welt zu offenbaren, liegt (Nr. 16). Wir stimmen mit diesen Passagen überein. Gleichzeitig aber bleibt die Aufgabe, über die ekklesiologische Dimension und die besondere Natur dieser Autorität nachzudenken. Wie das Dokument in Übereinstimmung mit der Überlieferung der Kirche über die Beziehung zwischen Ordination und Funktion so treffend sagt, liegen ihre Wurzeln in Jesus Christus, „der sie vom Vater empfangen hat und der sie durch den Fleiligen Geist im Akt der Ordination verleiht“ (Nr. 15). Bei der Betrachtung von „Ordiniertem Amt und Priestertum“ weist der Kommentar zu Nr. 17 mit Recht auf die verschiedene Verwendung der Worte „Priester“ und „Priestertum“ im Neuen Testament und in der Kirche hin. Er vermeidet dadurch eine Verwechslung von Christi einzigartigem Priestertum, dem königlichen und prophetischen Priestertum aller Getauften und dem Priestertum einiger bestimmter ordinierter Amtsträger: Der unterschiedliche Gebrauch des Wortes „Priestertum/ Priester“ gehört verschiedenen Entwicklungsstufen an. Auf diese Weise zeigt der Text sowohl die Analogie als auch den wesentlichen Unterschied zwischen ihnen auf. Das ist sehr wichtig; aber es bedarf vielleicht noch einer weiteren Klarstellung. Nach der Lehre der katholischen Kirche stehen zwar das gemeinsame Priestertum der Gläubigen und das Amts- oder das hierarchische Priestertum miteinander in enger Beziehung, und jedes hat auf seine eigene Weise teil an dem einen Priestertum Christi, aber sie sind wesentlich und nicht nur graduell voneinander verschieden (vgl. LG Nr. 10). Wir meinen, daß weitere Studien über dieses Thema von der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung unternommen werden müssen. Wir stellen z. B. in Nr. 17 fest, daß unter den angemessenen Gründen, „den Amtsträger Priester zu nennen“, die Realität „Opfer“, die für Christus und das gemeinsame Priestertum der Getauften ausdrücklich erwähnt wird, fehlt, obwohl sie wesentlich zum Begriff des geweihten Priestertums gehört. Bestimmte Amtsträger werden Priester genannt wegen ihrer spezifischen Aufgabe in der Leitung der Eucharistiefeier, als „Herolde und Botschafter Christi“, der sich selbst als Opfer für alle darbringt. Der Hinweis auf die Eucharistie, der im Kommentar zu Nr. 17 gemacht wird, hätte korrekterweise im Text selbst erfolgen sollen. 2198 ANHANG Wir heißen die behutsame Weise gut, in der „das Amt von Männern und Frauen in der Kirche“ behandelt wird (Nr. 18). Wir erkennen voll an, daß die Erfahrung jener Kirchen, die die Ordination von Frauen praktizieren, unausweichlich eine Herausforderung für unsere Position darstellt. Gleichzeitig glauben wir, daß es theologische Probleme gibt, deren Wurzeln nicht nur im Verständnis der Tradition, sondern auch der Hl. Schrift liegen und die die Christologie betreffen; sie liegen im Mittelpunkt unserer Überzeugungen und unseres Verständnisses bezüglich der Zulassung von Frauen zum ordinierten Amt (Komm, zu Nr. 18). Was den letztgenannten Punkt betrifft, so stellt der Text fest (Nr. 18), daß „viele Kirchen der Meinung sind, daß die Tradition der Kirche in diesem Punkt nicht geändert werden darf“. Nach unserer Sicht wäre es genauer zu sagen, daß wir nicht die Autorität haben, sie zu ändern, da wir überzeugt sind, daß sie zur apostolischen Tradition der Kirche gehört. Vielleicht zeigt gerade diese Nuance auch, daß in dem Lima-Text ein Verständnis von apostolischer Tradition vertreten wird, das von dem verschieden ist, das Katholiken akzeptieren könnten. Selbst wenn unterschiedliche Auffassungen in diesen Fragen zu Hindernissen bezüglich der Anerkennung gewisser Ämter führen können, sollten sie doch niemals ein weiteres Nachdenken über das ordinierte Amt im ökumenischen Kontext präjudizieren. „Offenheit füreinander trägt die Möglichkeit in sich, daß der Geist sehr wohl zu einer Kirche durch die Einsichten einer anderen sprechen kann“ (Nr. 54). Die Formen des ordinierten Amtes Für die Zukunft der ökumenischen Bewegung ist es wichtig, daß der Text, nachdem er die geschichtliche Entwicklung der Amtsstrukturen in der Kirche voll anerkannt hat, so deutlich der einzigartigen Bedeutung des dreifachen Amtes des Bischofs, des Presbyters und des Diakons als „dem allgemein akzeptierten Modell in der Kirche der frühen Jahrhunderte“ und als einem solchen, „das auch heute noch von vielen Kirchen beibehalten wird“ (Nr. 22), zustimmen konnte. In dieser Entwicklung in der Kirche wird mehr gesehen als nur ein Ergebnis von zufälligen Ereignissen. Sie wird in Verbindung mit der Führung durch den Heiligen Geist gesehen (Nr. 19 u. 22). Wir stimmen gewiß mit der dort ausgesprochenen Hoffnung überein, „daß das dreifache Amt ... heute als ein Ausdruck der Einheit, die wir suchen, und auch als ein Mittel, diese zu erreichen, dienen könnte“ (Nr. 22). Diese Feststellung paßt in den Rahmen des Glaubens und der Ordnung der Kirche durch die Jahrhunderte. Sie müßte jedoch ekklesiologisch vertieft werden, indem man prüft, ob 2199 ANHANG der Text sagen will, daß ein solches Amt nur zum ökumenischen Wohl (bene esse) der Kirche gehört oder vielmehr zu ihrer Wesensstruktur, die im Willen Gottes für die Kirche gründet, wie es von der Autorität in der Kirche festgestellt worden ist. Man muß daher zwischen dem grundlegenden und konstitutiven Kern des dreifachen Amtes als dem institutionellen Ausdruck dessen, was in der Botschaft des Neuen Testamentes enthalten ist, und der historischen Form, dem Stil und der Organisation unterscheiden, die es notwendigerweise im Lauf der Geschichte angenommen hat und auch in Zukunft annehmen wird. Eine ökumenische Unterscheidung ist nötig, um festzustellen, was zur konstitutiven Struktur der Kirche und was zur veränderbaren gesellschaftlichen Organisationform gehört. Die Einladung, viele der formalen Aspekte des dreifachen Modells (Nr. 24) neu zu gestalten, sollte in gegenseitiger Offenheit und den konkreten Bedürfnissen entsprechend aufgegriffen werden. Die Beschreibung der Leitprinzipien für die Ausübung des ordinierten Amtes (Nr. 26 u. 27), der Funktionen der Bischöfe, Presbyter und Diakone (Nr. 28, 29, 30, 31) und der vielfältigen Charismen (Nr. 32 u. 33) faßt verschiedene Elemente zusammen, die man auf verschiedene Entwicklungen und auf die geschichtliche Evolution der Kirche zurückverfolgen und in denen man die Praxis der Kirche durch die Jahrhunderte erkennen kann. Das Bischofsamt wird zu Recht als „ein Bezugspunkt der Einheit“ (Nr. 20) beschrieben, als notwendig für die Darstellung und die Bewahrung der Einheit des Leibes (Nr. 23), als Dienst der Einheit auf regionaler Ebene (Nr. 27), als „repräsentativer pastoraler Dienst der Aufsicht, Kontinuität und Einheit in der Kirche“. Der Text erkennt zwar an, daß die Bischöfe „die christliche Gemeinschaft in ihrem Gebiet mit der umfassenden Kirche und die universale Kirche mit ihrer Gemeinschaft verbinden“, aber die Beschreibung erwähnt kaum den in der Tradition deutlich vorhandenen und wesentlichen kollegialen Aspekt des Bischofsamtes. Im Vergleich zu den andern ordinierten Amtsträgern repräsentieren und symbolisieren die Bischöfe in ihrer Person in einzigartiger Weise ihre Ortskirche und verbinden sie in Gemeinschaft mit den andern Kirchen mit der universalen Kirche. Das Ökumenische Konzil wird so zu einem repräsentativen Abbild der universalen Kirche, weil es eine Versammlung des Bischofskollegiums um den Bischof von Rom ist, der nach der Lehre der katholischen Kirche das Haupt dieses Kollegiums ist. Obwohl dies alles wichtig ist, vermissen wir hier den deutlichen Hinweis auf die Lehrfunktion der Bischöfe, auf das Magisterium, das ein bedeutender Aspekt ist, der hier ebenso berücksichtigt werden muß wie in der künftigen Arbeit von „Glauben und Kirchenverfassung“. 2200 ANHANG Wir verstehen, daß es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht die Absicht der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung sein kann, Überlegungen über einen personalen Ausdruck „des Bezugspunktes der Einheit“ in der universalen Kirche anzustellen, aber man kann sich doch fragen, ob dies nicht eine logische Folge der Überlegungen wäre, die über den repräsentativen Dienst der Aufsicht, Kontinuität und Einheit in der Kirche begonnen wurden. Die Sukzession in der apostolischen Tradition Im Kontext der unterschiedlichen Praxis der Kirchen behandelt das Dokument die Beziehung zwischen der Apostolizität der Kirche und der apostolischen Tradition auf der einen Seite und der ordnungsgemäßen Weitergabe des ordinierten Amtes (Nr. 35), genauer gesagt: der bischöflichen Sukzession als einer ihrer Formen (Nr. 36) auf der anderen Seite. Dadurch erhält das Problem eine größere ekklesiologische Relevanz, und man kommt zu einem gegenseitigen Verständnis der Praxis, die nicht akzeptabel erscheinen könnte, wenn man sie isoliert betrachtet. Die Verbindung zwischen der apostolischen Sukzession mit der apostolischen Tradition, verstanden als „die Kontinuität in den bleibenden Merkmalen der Kirche der Apostel, in ihrem Zeugnis, ihrer Verkündigung, ihrer gottesdienstlichen Feier und in ihrem Dienst usw.“ (Nr. 34), ist legitim. Man kann sogar sagen, wie es in Nr. 36 geschieht: „Die Sukzession der Bischöfe wurde, zusammen mit der Weitergabe des Evangeliums und des Lebens der Gemeinschaft, zu einer der Formen, in denen die apostolische Tradition der Kirche zum Ausdruck kam.“ Aber besteht hier nicht die Tendenz, sich mit dem Auflisten und Nebeneinanderstellen von Einzelheiten zufriedenzugeben, die alle etwas mit der apostolischen Tradition zu tun haben, ohne daß man hinreichend aufzeigt, inwiefern sie innerhalb des Ganzen ihre je eigene Funktion haben und wie sie untereinander verknüpft sind? Wie der-Text feststellt, wurde die bischöfliche Sukzession in den ersten Jahrhunderten „als Dienst, Symbol und Schutz der Kontinuität des apostolischen Glaubens und der apostolischen Gemeinschaft verstanden“ (Nr. 36 mit Hinweis auf Clemens von Rom und Ignatius von Antiochien im Kommentar). Auch heute „können selbst Kirchen, die das Bischofsamt nicht beibehalten haben, die bischöfliche Sukzession als ein Zeichen, jedoch nicht als Bürgschaft der Kontinuität und Einheit der Kirche schätzen“ (Nr. 38). Es wird gesagt, daß unter ihnen eine Bereitschaft zum Ausdruck gebracht wird, „die bischöfliche Sukzession als ein Zeichen der Apostolizität 2201 ANHANG des Lebens der ganzen Kirche zu akzeptieren“ (Nr. 38). Der Text spricht außerdem davon, daß „sie vielleicht das Zeichen der bischöflichen Sukzession wieder neu entdecken müssen“, das die Kontinuität mit der Kirche der Apostel stärken und vertiefen würde (Nr. 53b). Wir stimmen der Aussage zu, daß die „bischöfliche Sukzession“ zur Ordnung des Zeichens gehört, das durch das Bild geschichtlicher Weitergabe die Tatsache bezeichnen kann, daß die Wurzeln der Kirche in der Kirche der Apostel rund um Christus liegen, und daher ihre grundlegende Apo-stolizität zeigt. Die Bedeutung von „Zeichen/Ausdruck“ muß jedoch klar sein. In der früheren Fassung „Eine Taufe, eine Eucharistie und ein gegenseitig anerkanntes Amt“ (Nr. 34) sprach der Text von einem „wirksamen Zeichen“. Dies weist besser auf die einzigartige Bedeutung der bischöflichen Sukzession für den Aufbau der Kirche durch die Jahrhunderte hin. Sie hat eine unmittelbare Beziehung zu der Bedeutung, die das Bischofsamt in der katholischen Ekklesiologie hat: Es ist mehr als eine Aufsichtsfunktion neben anderen Funktionen und Diensten. In seinem ganz persönlichen Dienst repräsentiert der Bischof die Ortskirche, die ihm anvertraut ist. Er ist ihr qualifizierter Sprecher in der Versammlung der Kirchen. Gleichzeitig ist er der erste Repräsentant Jesu Christi in der Gemeinschaft. Durch seine Weihe zum Bischofsamt ist er beauftragt, in der Gemeinschaft die Leitung auszuüben, mit Autorität zu lehren und zu urteilen. Alle anderen Dienste sind mit seinem verbunden und werden in Beziehung mit ihm ausgeübt. So ist sein Dienst ein sakramentales Zeichen der Integration und ein Bezugspunkt der Einheit. Durch die bischöfliche Sukzession verkörpert und verwirklicht der Bischof sowohl die Katholizität in der Zeit, d. h. die Kontinuität der Kirche durch die Generationen, als auch die innere Verbundenheit, die in jeder Generation gelebt wird. Die gegenwärtige Gemeinschaft ist daher durch ein personales Zeichen mit dem apostolischen Ursprung, seiner Lehre und seiner Lebensweise verbunden. In dieser Perspektive kann man die bischöfliche Sukzession mit Recht eine Bürgschaft (Nr. 38) für die Kontinuität und Einheit der Kirche nennen, wenn man in ihr den Ausdruck von Christi Treue zur Kirche bis zum Ende der Zeiten sieht. Zugleich legt sie jedem einzelnen Amtsträger die Verantwortung auf, ein treuer und eifriger Bürge zu sein. Die Ordination Wenn der Text feststellt, daß „die Kirche einige ihrer Glieder im Namen Christi durch die Anrufung des Geistes und die Handauflegung zum Amt ordiniert“ (Nr. 39; ebenso Nr. 7c, 41, 52), dann beschreibt er den Ordina- 2202 ANHANG tionsakt in einer Weise, die mit dem Glauben und der Praxis der katholischen Kirche übereinstimmt. Das Dokument unterscheidet drei wesentliche Dimensionen der Ordination: 1. Sie ist „eine Anrufung Gottes, daß der neue Amtsträger die Kraft des Heiligen Geistes empfangen möge“ (Nr. 42) ; 2. sie ist „ein Zeichen, daß der Herr, der die Gabe des ordinierten Amtes verleiht, dieses Gebet erhört“ (Nr. 43); 3. sie „ist eine Anerkennung der Gaben des Geistes im Ordinierten durch die Kirche und eine Verpflichtung der Kirche wie des Ordinanden gegenüber ihrer neuen Beziehung“ (Nr. 44). Diese positive Einschätzung trifft sich auf vielfache Weise mit dem katholischen Begriff der Ordination als einem Sakrament: Die Realität, die verliehen wird, ist die Kraft des Heiligen Geistes (Nr. 42); das ordinierte Amt gilt als ein Geschenk, das vom Herrn gegeben wird, ein Zeichen, das eine geistliche Verbundenheit bezeichnet (Nr. 43) für „eine neue Beziehung, die zwischen diesem Amtsträger und der örtlichen christlichen Gemeinschaft hergestellt wird“ (Nr. 43 u. 44). Dies wird anerkannt und in einem Zeichen gegeben, nämlich dem Akt der Ordination (Nr. 42). „Ordination ist ein im Glauben vollzogenes Zeichen, daß die bezeichnete geistliche Beziehung gegenwärtig ist in, mit und durch die gesprochenen Worte, vollzogenen Handlungen und benutzten Formen“ (Nr. 43). In einem wirklich umfassenden Sinn, in dem geschichtliche und geistliche Bezüge hergestellt werden, wird die Einsetzung des Aktes der Ordination „mit Jesus Christus und dem apostolischen Zeugnis“ in Beziehung gesetzt (Nr. 39). „Die Handauflegung ist das Zeichen der Gabe des Geistes. Sie macht sichtbar, daß das Amt in der in Christus verwirklichten Offenbarung eingesetzt wurde, und erinnert die Kirche daran, auf ihn als die Quelle ihrer Beauftragung zu schauen“ (Nr. 39). Dies scheint zwar in den gerade zitierten Passagen enthalten zu sein, aber Katholiken hätten gerne die klare Aussage, daß Ordination nicht nur irgendein Zeichen ist, sondern ein wirksames Zeichen. In der Beschreibung der Ordination werden die wesentlichen Elemente für ein Sakrament aufgezählt, ohne daß sie jedoch ein Sakrament genannt wird. Man benutzt das Wort zweimal in einem weiteren, aber bedeutungsvollen Sinn: einmal als Adjektiv (Nr. 41) und einmal als Adverb (Nr. 43) , und so deutet es in die Richtung eines sakramentalen Verständnisses. Unter den Kirchen und Gemeinschaften, die in der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung vertreten sind, beschreiben einige die Ordination als ein Sakrament; andere tun das aber nicht. Das erklärt vielleicht, warum das Wort nicht benutzt wird. Gleichzeitig können im Zusammenhang des Glaubens die wesentlichen Elemente eines sakramentalen Verständnisses in der ausführlichen Behandlung im Text erkannt werden. 2203 ANHANG Außerdem erwähnen wir nebenbei drei Elemente, die katholische Anliegen aufnehmen: 1. die spezifische Intention bei der Ordination (Nr. 39); 2. den eucharistischen Kontext der Ordination (Nr. 41); 3. die Feststellung, daß die Ordination niemals wiederholt wird, weil man das gottgegebene Charisma des Amtes anerkennt. All das weist auf eine bedeutsame Konvergenz in bezug auf die Ordination hin, die im Lima-Text erzielt worden ist. Sie drückt allerdings noch nicht klar die katholische Überzeugung aus, daß die Ordination wirklich ein Sakrament ist. Ein Punkt wird nicht in der Weise behandelt, die dem katholischen Glauben-gemäß ausreicht, nämlich das Problem, wer der bevollmächtigte Spender der Ordination ist. Das ist wichtig, weil in der Tat durch die Epiklese, um die der bevollmächtigte Spender betet, die Gabe des Geistes dem Ordi-nanden gegeben wird (vgl. Nr. 43). Wir haben Verständnis für die Schwierigkeit, die sich in einer Darlegung ergibt, welche die Ansichten von Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften widerspiegelt, die hinsichtlich des qualifizierten Spenders verschiedener Meinung sind. Wir würdigen die Aussage, daß selbst solche Kirchen, die das Bischofsamt nicht beibehalten haben, die Kontinuität im apostolischen Glauben, im Gottesdienst und in der Sendung durch die Tatsache ausdrücken wollen, daß „die Ordination ... immer von Personen vollzogen wird, in denen die Kirche die Autorität der Weitergabe des Amtsauftrages anerkennt“ (Nr. 37). Nach unserer Sicht ist die Ordination jedoch ein Sakrament. Der bevollmächtigte Spender dieses Sakramentes ist ein Bischof, der in der authentischen apostolischen Sukzession steht und der in der Person Christi handelt. Wir bitten daher die Kommssion für Glauben und Kirchenverfassung, über die ekklesiologische Bedeutung der bischöflichen Sukzession für die Ordination nachzudenken. Wir glauben, daß sich die Notwendigkeit deshalb ergibt, weil die bischöfliche Sukzession die sakramentale Verbindung des Amtes, vor allem des Bischofamtes selbst, mit dem apostolischen Ursprung bezeichnet und bewirkt. Sie hat ihre Wurzeln in der sakramentalen Natur der Kirche. Nur wenn die Frage des Spenders der Ordination hinreichend geklärt ist, wird ein ernsthafter Schritt in Richtung auf die Anerkennung des Amtes möglich werden. Auf dem Weg zur gegenseitigen Anerkennung der ordinierten Ämter Die unbefriedigende Art, in welcher der Lima-Text das Problem der gegenseitigen Anerkennung des ordinierten Amtes behandelt, zeigt, daß wir hier auf einen wunden Punkt in den Bemühungen um die Einheit der Christen stoßen. Im Mittelpunkt steht das ganz konkrete Problem der sakra- 2204 ANHANG mentalen Weihe, die wiederum mit diesem Problem der historischen bischöflichen Sukzession verknüpft ist. Viele besondere Fragen können jedoch nicht gelöst werden, bevor man in konkrete Einigungsverhandlungen eintritt. Ein Weg nach vorn scheint in der wachsenden gegenseitigen Achtung der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften füreinander zu liegen. Wir können die vielen Weisen anerkennen, in denen die Kontinuität im apostolischen Glauben, im Gottesdienst und in der Sendung bewahrt worden sind in Gemeinschaften, die die Form des historischen Bischofsamtes nicht beibehalten haben. Das Zweite Vatikanische Konzil sagt: „Das christliche Leben dieser Brüder wird genährt durch den Glauben an Christus, gefördert durch die Gnade der Taufe und das Flören des Wortes Gottes. Dies zeigt sich im privaten Gebet, in der biblischen Betrachtung, im christlichen Familienleben und im Gottesdienst der zum Lob Gottes versammelten Gemeinde“ (UR 23; vgl. LG 15). Wir glauben jedoch, daß das ordinierte Amt eine sakramentale Weihe durch einen Bischof erfordert, der in der apostolischen Sukzession steht. Wir hoffen, daß eine wachsende brüderliche Solidarität in der Zusammenarbeit, in der gemeinsamen Überlegung, im Gebet und im Dienst unter den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, insbesondere unter ihren Amtsträgern, einen Punkt erreichen kann, an dem man sehen kann, ob und unter welchen Bedingungen eine Anerkennung des ordinierten Amtes durch alle möglich werden kann. In der Zwischenzeit schlagen wir noch einmal vor, daß die theologische Überlegung über die Bedeutung der bischöflichen Sukzession für das Verständnis der Kirche und ihres Amtes vertieft werden sollte. Nicht eine opportunistische „Wiederentdeckung des Zeichens der bischöflichen Sukzession“ wird das Problem lösen, sondern neugewonnene Überzeugungen bezüglich des Willens Gottes und der Führung des Heiligen Geistes im Hinblick auf die konstitutiven Züge der Kirchenverfassung, der bischöflichen Sukzession und ihrer Ausübung in der Ordination. Es muß klar sein, daß die Anerkennung des ordinierten Amtes nicht von seinem ekklesiologischen Kontext isoliert werden kann. Die Anerkennung des ordinierten Amtes und des kirchlichen Charakters einer christlichen Gemeinschaft sind unlöslich miteinander verknüpft. Daraus folgt: Wenn man anerkennen kann, daß jetzt eine Gemeinschaft zwischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften besteht, mag sie auch noch so unvollkommen sein, dann liegt darin eine gewisse Anerkennung der kirchlichen Realität der andern beschlossen. Die Frage, die sich daraus ergibt, ist, was diese Gemeinschaft für die Art und Weise, in der wir das Amt des andern verstehen, einschließt. Dies ist vielleicht eine der Fragen, die man aufgreifen sollte, wenn man der grundlegenden ekklesiologischen Dimension des Problems 2205 ANHANG der Anerkennung des ordinierten Amtes seine Aufmerksamkeit zuwendet. Da nach unserer Auffassung des ordinierte Amt eine sakramentale Weihe innerhalb der apostolischen Sukzession erfordert, ist es noch verfrüht, Aussagen über die Form zu machen, die ein öffentlicher Akt der gegenseitigen Anerkennung der Kirchen und ihrer Ämter haben könnte (Nr. 55). Es ist vielmehr notwendig, jetzt auf die Einheit im Glauben bezüglich dieses zentralen ekklesiologischen Problems hinzuarbeiten. 2206 ANHANG TV. Folgerungen aus dem Lima-Text für die ökumenischen Beziehungen und Dialoge 1. Folgerungen für den Ökumenismus im allgemeinen Der Lima-Text enthält einige wertvolle Anregungen für die ökumenischen Beziehungen im allgemeinen. Ein ganzheitlicher Weg zum Ökumenismus Einer der Vorschläge, die das Dokument macht, lautet, daß unser Weg zum Ökumenismus ein ganzheitlicher Weg sein muß. Der Lima-Text schlägt dies in mehrfacher Hinsicht vor: Erstens ermutigen die vier Fragenkomplexe, die von „Glauben und Kirchenverfassung“ den Kirchen im Hinblick auf den Lima-Text zur Beantwortung vorgelegt wurden, die Kirchen, über die wechselseitigen Beziehungen der verschiedenen Aspekte der ökumenischen Bewegung nachzudenken. Der theologische Dialog darf nicht von den anderen ökumenischen Bemühungen, die Schranken zwischen den Christen zu beseitigen, isoliert werden. Vielmehr muß jeder Aspekt des Ökumenismus die andern fördern und von ihnen gefördert werden. Daher muß nicht nur der theologische Dialog weitergeführt werden, sondern ebenso der Dialog der Liebe, der eine Vermehrung der persönlichen Kontakte auf allen Ebenen der Kirche, einschließlich der höchsten, fördert. Diese Kontakte führen zur Verständigung. Es muß auch Bemühungen um ein gemeinsames Zeugnis unter unseren Kirchen und Gemeinschaften geben durch gemeinsamen Dienst im Bereich von Evangelisation, Nächstenliebe und Gerechtigkeit. Auf diese Weise können wir über die trennenden Schranken hinweg neue Bande knüpfen, die uns in Christus aneinander binden bei unserem Dienst für die Welt. Zweitens erinnert der Lima-Text uns an die Bedeutung eines multilateralen ökumenischen Einsatzes. Sowohl bilaterale als auch multilaterale Gespräche sind wertvolle Instrumente in der ökumenischen Bewegung. Bei der Entstehung der ökumenischen Dokumente über Taufe, Eucharistie und Amt gab es einen gegenseitigen Einfluß bei der Behandlung dieser Themen im Lima-Text und in den bilateralen Gesprächen sowie eine theologische und methodologische Konvergenz (siehe Report to the Fourth Forum on Bilateral Conversations, Faith and Order paper Nr. 125). Außerdem bietet der multilaterale Kontext einen Rahmen, der es einer großen Vielfalt von Kirchen und Gemeinschaften ermöglicht, sich auf einer beständigen Basis zu treffen. Einige von ihnen treffen sich nur in einem 2207 ANHANG multilateralen Rahmen. Wenn sie sich in beiden treffen, dann fördert der multilaterale Rahmen auch die Gewißheit, daß eine wachsende Verständigung mit einem Partner im Verlauf eines bilateralen Gesprächs nicht zu einer Entfremdung von den andern Partnern führt. Das Ziel der sichtbaren Einheit Eine weitere Lehre oder Folgerung aus dem Lima-Text ist, daß er den Christen das Ziel der sichtbaren Einheit, auf die sie zugehen müssen, vor Augen hält. Er spricht von diesem Ziel im Vorwort. Der Text jedes der drei Themenbereiche konzentriert sich auf jene Aspekte, die irgendwie in Beziehung zu den Problemen der gegenseitigen Anerkennung stehen, die zur Einheit führt. So führt die Entwicklung des Textes zu der Notwendigkeit, zu arbeiten für „die gegenseitige Anerkennung der Taufe“ (Taufe Nr. 15), und für „die Einheit bei der Eucharistiefeier und Kommunion“ (Eucharistie Nr. 28) sowie für „die gegenseitige Anerkennung der ordinierten Ämter“ (Amt Nr. 51 ff.). Obwohl der Begriff der sichtbaren Einheit vom ökumenischen Standpunkt aus noch klarer herausgearbeitet werden muß, erinnert uns der Lima-Text daran, daß die ökumenische Bewegung nicht nur auf eine Erneuerung der Haltungen der Christen hinzielt, sondern auch auf ein Überdenken der Beziehungen zwischen den getrennten christlichen Gemeinschaften. Dem nächsten Schritt entgegen Wir glauben, daß der Lima-Text ein beachtliches Maß an Konvergenz in den behandelten Themen erkennen läßt. Es gibt Themen, die weiterentwickelt werden müssen, und es gibt einige Themen, die noch nicht behandelt wurden. Was jedoch erreicht wurde, wie es sich im Lima-Text widerspiegelt, das läßt üns erkennen, daß die Konvergenz und die Ähnlichkeiten selbst bei denen wachsen, die in ihrer Lehre sehr weit von uns entfernt standen. Das ist an sich schon ein Stimulans für den weiteren Dialog im Hinblick auf den nächsten Schritt nach vorne auf dem Weg zur Einheit im Glauben und zur sichtbaren Einheit der Christen. 2. Besondere Konsequenzen aus den jeweiligen Texten Was die Taufe betrifft, so kann uns der Lima-Text helfen, von neuem über die Taufe als eine Grundlage für die Einheit der Christen nachzudenken. Die katholische Kirche und jede christliche Gemeinschaft sollte die Aner- 22Ö8 ANHANG kennung der tatsächlichen Bande des Glaubens und des Lebens in Christus vertiefen, die es zwischen den Gemeinschaften gibt, die in authentischer Weise die Taufe spenden, und sie sollten Wege suchen, diese Anerkennung zum Ausdruck zu bringen. Der Lima-Text bietet bedeutende Möglichkeiten, um den gemeinsamen Grund zwischen den Gemeinschaften zu entdecken, die die Kindertaufe praktizieren, und denjenigen, die nur die Erwachsenentaufe praktizieren. Auch wenn der Text, wie wir schon bemerkt haben, von unserem Standpunkt aus hinsichtlich mancher Fragepunkte über die Taufe nicht voll befriedigt, so ist er doch ein bedeutender Beitrag zur ökumenischen Bewegung. Auf der Grundlage der Taufe können wir sagen, daß es trotz der fortdauernden Spaltungen schon jetzt eine wirkliche, wenn auch noch unvollkommene Gemeinschaft zwischen den getrennten Christen gibt. Der Lima-Text erläutert, inwiefern die Taufe die Grundlage für diese bereits existierende Gemeinschaft ist. Was die Eucharistie betrifft, so würde die Annahme des Lima-Textes durch eine Kirche nicht unmittelbar zur Folge haben, daß die gegenseitige Teilnahme an der Eucharistie erlaubt wäre. Der Grund hierfür liegt darin, daß für die katholische Kirche der Begriff der Kommuniongemeinschaft innerlich mit anderen, grundlegenden Faktoren verknüpft ist, etwa mit der Einheit im vollen Glauben der Kirche und besonders mit dem, was die Kirche und das Amt betrifft. Wie wir schon bemerkt haben, sind wir nicht ganz mit jedem Aspekt des Lima-Textes über die Eucharistie zufrieden. In einigen wichtigen Punkten sagt er nicht genug aus, um den vollen christlichen Glauben auszudrücken. Dennoch erkennen wir die Bedeutung der Konvergenz und auf einigen Gebieten sogar der Übereinstimmung in bezug auf zahlreiche Punkte im Eucharistieverständnis, das der Text bietet. Daher möchten wir sagen, daß wir überzeugt sind: Wenn alle Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften sich in der Lage sehen, wenigstens das theologische Verständnis und die Beschreibung der Eucharistiefeier, wie sie im Lima-Text gegeben wird, zu akzeptieren und als Teil ihres normalen Lebens auszuführen, dann wäre das eine bedeutende Entwicklung; dann würden diese getrennten Christen auf einer neuen Stufe im Hinblick auf das Erreichen eines gemeinsamen Glaubens bezüglich der Eucharistie stehen. Was der Lima-Text über das Amt sagt, ist von Bedeutung, auch wenn wir auf einige Gebiete hingewiesen haben, wo weiteres Studium nötig ist. Im Hinblick auf die Anerkennung des Amtes ist für uns nicht nur die Übereinstimmung in der Frage der apostolischen Sukzession, sondern auch das Stehen in ihr notwendig für die Anerkennung der Ordination. Wenn allerdings einige der Vorschläge, die im Lima-Text zum Amt ge- 2209 ANHANG macht werden, allgemein akzeptiert würden, dann wäre das ein großer Schritt vorwärts zur Einheit der Christen. Wenn z. B. das dreifache Amt des Bischofs, des Presbyters und des Diakons, wie es im Lima-Text dargelegt wird, allgemein von den christlichen Gemeinschaften angenommen würde, dann würde das die Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften auf eine neue Ebene der Beziehungen stellen, auch wenn das genaue Verständnis des dreifachen Amtes noch einer weiteren Ausgestaltung bedarf. Der Lima-Text nennt Grundlagen, auf denen die gegenseitige Achtung für die Ämter wachsen kann. Er stellt fest, daß „Kirchen, die die Sukzession durch das Bischofsamt praktizieren, zunehmend anerkennen, daß eine Kontinuität im apostolischen Glauben, im Gottesdienst und in der Sendung bewahrt ist in Kirchen, die nicht die Form des historischen Bischofsamtes beibehalten haben“ (Nr. 37). Er fügt aber auch hinzu, daß „diese Überlegungen die Bedeutung des Bischofsamtes nicht mindern“ (Nr. 38), und daß viele aus der erstgenannten Gruppe „sich bereit erklären, die bischöfliche Sukzession als ein Zeichen der Apostolizität des Lebens der ganzen Kirche zu akzeptieren“. Diese Überlegungen erinnern uns an die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils, das sagt: „Auch zahlreiche liturgische Handlungen der christlichen Religion werden bei den von uns getrennten Brüdern vollzogen, die auf verschiedene Weise je nach der verschiedenen Verfaßtheit einer jeden Kirche und Gemeinschaft ohne Zweifel tatsächlich das Leben der Gnade zeugen können und als geeignete Mittel für den Zutritt zur Gemeinschaft des Heiles angesehen werden müssen.“ Daraus folgt, daß die getrennten Kirchen und Gemeinschaften als solche „nicht ohne Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heiles sind“ (UR Nr. 3). Es sind also schon Grundlagen vorhanden, auf denen eine gegenseitige Achtung zu wachsen anfangen kann und Bande der Gemeinschaft zwischen unseren Gemeinschaften geknüpft werden können, die die bereits erreichten Stufen der Gemeinschaft widerspiegeln. Aber das ist noch nicht ausreichend. Wir müssen den Dialog um die Einheit im Glauben sowohl über das Amt als auch über andere Themen fortsetzen, während wir uns auf die volle Gemeinschaft hinbewegen. 2210 ANHANG V. Schlußbemerkung Das Studium des Lima-Textes ist für viele Katholiken eine bereichernde Erfahrung gewesen. Katholiken können in dem Lima-Text vieles finden, dem sie zustimmen können. Zugleich gibt es wichtige Fragen in bezug auf Taufe, Eucharistie und Amt, die sicher noch weiterer Studien innerhalb des ökumenischen Rahmens bedürfen, den die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung bereitstellt. Wir freuen uns über die Konvergenz, die sich ergeben hat, und richten unseren Blick auf ein weiteres Wachsen auf die Einheit hin. Für die katholische Kirche sind die Glaubenswahrheiten nicht voneinander getrennt; sie bilden ein organisches Ganzes. Daher ist eine volle Übereinstimmung in bezug auf die Sakramente mit der Übereinstimmung über das Wesen der Kirche verknüpft. Die Sakramente, einschließlich der Taufe, erhalten ihre volle Bedeutung und Wirkkraft von der allumfassenden kirchlichen Realität, von der sie abhängen und die sie kundmachen. Auch das Ziel der Einheit unter den getrennten Christen kann nicht ohne Übereinstimmung über das Wesen der Kirche erreicht werden. Der Lima-Text ist ein bedeutsames Ergebnis und ein bedeutsamer Beitrag zur ökumenischen Bewegung. Er zeigt deutlich, daß ein ernsthafter Fortschritt bei der Suche nach sichtbarer Einheit der Christen gemacht wird. Mit dieser Stellungnahme möchte die katholische Kirche die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung ermutigen, ihre wertvolle Arbeit fortzusetzen, um die Einheit im Glauben als Grundlage für die sichtbare Einheit zu suchen. Wir verpflichten uns aufs neue, zusammen mit anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften an dieser ernsten Aufgabe mitzuwirken, zu der Christus uns alle ruft. (21.7.1987) 2211 ANHANG Kirchliche Bedeutung der Marienheiligtümer Schreiben des Vorsitzenden des Zentralkomitees für das Marianische Jahr, Kardinal Luigi Dadaglio, über die kirchlichen Aufgaben der Marienheiligtümer, an die Diözesanbischöfe gerichtet Exzellenz! Der Heilige Vater bezeichnete in seiner Ansprache vom 1. Januar 1987 und in der Enzyklika Redemptoris Mater (Nr. 28) die Marienheiligtümer sozusagen als eine „eigene ,Geographie1 des Glaubens und der marianischen Frömmigkeit“, als die bevorzugten Orte für die Feier des Marianischen Jahres. Das Zentralkomitee war bestrebt, schon in seinem ersten Schreiben vom 27. März 1987 diese Bezeichung des Heiligen Vaters hervorzuheben. Nunmehr, nachdem die Feier des Marianischen Jahres bereits ihren Anfang genommen hat, erschien es uns angebracht, diesen Aspekt zu vertiefen, indem wir den Bischöfen einige Punkte zur Reflexion vorlegen, die sie an die Direktorien und an die Verantwortlichen der Marienwallfahrtsorte weitergeben mögen. Wir nehmen dabei ausdrücklich auf die Instruktion der Kongregation für den Gottesdienst, Orientamenti e Proposte per l Anno Mariano (Richtlinien und Vorschläge für das Marianische Jahr, Vatikan. Verlagsbuchhandlung 1987) Bezug, die fortan mit der Abkürzung OP bezeichnet wird; ferner auch auf die Instruktion der Kongregation für die Orientalische Kirchen, L’Enciclica Redemptoris Mater e le Chiese Orientali nell ’ Anno Mariano (Die Enzyklika RM und die orientalischen Kirchen im Marianischen Jahr, Vatikan. Verlagsbuchhandlung, 1987), die mit der Abkürzung IO zitiert wird, sowie auf den Kalender des Marianischen Jahres, Calendario dell ’ Anno Mariano (Vatikan. Verlagsbuchhandlung 1987). Spezifischer Zweck des Wallfahrtortes — durch die Gegenwart des Herrn geheiligt und gleichsam Hafen des pilgernden und büßenden Volkes Gottes — sind die Anbetung Gottes, das Bekenntnis des Glaubens, die liturgische Feier der Heilsgeheimnisse Christi und das gemeinschaftliche und persönliche Gebet. Jeder Wallfahrtsort ist, ebenso wie jede Kirche, Abbild (Ikone) des Wei-lens Gottes unter den Menschen in der kirchlichen Gemeinschaft und Abbild jedes einzelnen Jüngers Christi als Tempel des Heiligen Geistes. Auch dem Marienwallfahrtsort ist diese Bedeutung eigen. In ihm wird Maria den Gläubigen zur Verehrung vorgestellt, im Geheimnis der Menschwerdung, als Wohnung Gottes, als Thron der Weisheit und lebendiger Tempel des Heiligen Geistes; sie verkörpert somit auf konkrete und geheimnisvolle Art den vorzüglichen Weg zu einer Begegnung mit dem Herrn. 2212 ANHANG Aus der vielfältigen Bedeutung der Marienwallfahrtsorte im Leben der Kirche und jedes einzelnen Christen ergeben sich die Richtlinien und Vorschläge, von denen nun die Rede sein wird. Die Marienwallfahrtsorte sind — ihrem Anspruch nach — der Erinnerung an ein als außerordentlich betrachtetes Ereignis gewidmet, das Ausdrucksformen der Verehrung und der Frömmigkeit hervorgerufen und im Volk Gottes das Verlangen nach wiederholten Pilgerfahrten geweckt hat; aufgrund der zahlreichen Zeichen der mütterlichen Hilfe und Fürbitte Marias, die dort sichtbar geworden sind, stellen die Wallfahrtsorte in den Augen des Glaubens bevorzugte Orte ihrer Gegenwart und ihrer mütterlichen Mittlerschaft dar; dank des sakramentalen Lebens, das sich dort entfaltet, sind sie Orte der Gnade und der Stärkung des Glaubens, Zielpunkte der menschlichen Hoffnung und wirksamer Ansporn für die Entfaltung der Nächstenliebe und für eine durch die Nachfolge Christi geprägte Existenz (vgl. OP, Nr. 73-79). Im Licht dieser Bedeutungen werden hier fünf fundamentale Punkte betont, wodurch die Wallfahrtsorte tiefe Bedeutung für den Weg der Kirche in diesem Maria geweihten Jahr und in den anderen Jahren erlangen sollen, die uns noch von der Zweitausendjahrfeier der Geburt Christi trennen. I. Das Marienheiligtum als Ort von Gottesdiensten In jedem Marianischen Wallfahrtsort nimmt das Volk für gewöhnlich an den liturgischen Feiern und besonders an den Andachten lebhaften Anteil. Fast immer sind sie der Hauptzweck der Pilgerfahrt. Sie müssen sich daher durch vorbildlichen Stil, die Sorgfalt in den Riten, lebendige Teilnahme und Vielfalt auszeichnen (vgl. OP, Nr. 6-11; vgl JO, Nr. 25). Den Richtlinien des Hl. Vaters gemäß wird das Kirchenjahr der natürliche Rahmen sein, in den sich das Programm zur Feier des Marianischen Jahres in den Wallfahrtsorten einfügt (vgl. OP, Nr. 1-5; vgl. IO, Nr. 15; vgl. die historischen, liturgischen und pastoralen Hinweise des Kalenders für das Marianische Jahr). Der Höhepunkte der Liturgie ist zweifellos die Feier der Sakramente, insbesondere der Eucharistie und der Buße. In der Pastoral der Marienwallfahrtsorte sind diese beiden Sakramente, die das Gnadenleben des Volkes Gottes nähren, von besonderer und nachhaltiger Bedeutung. — Die Eucharistie Der Hl. Vater hat die Rolle Marias im Zusammenhang mit der Eucharistie hervorgehoben: „Maria führt die Gläubigen zur Eucharistie.“ (Redemptoris Mater, Nr. 44). Zugleich erinnert er daran, daß die Frömmigkeit des christli- 2213 ANHANG chen Volkes immer die Verbindung wahrgenommen hat, die zwischen der Marienverehrung und dem eucharistischen Kult besteht (vgl. ebd.), eine Verbindung, welche „der Wirklichkeit des Wortes Gottes und der einmaligen Rolle entspringt, die Maria in der Heilsökonomie innehat, indem sie den Herrn gebiert und den Menschen schenkt“ (IO, Nr. 16). In der Eucharistie vergegenwärtigt sich das Gedächtnis des Pascha des Herrn, man feiert die Gemeinschaft der Heiligen, unter denen die Jungfrau Maria den ersten Platz einnimmt und es ist der Ort, an dem die Kirche durch das Wirken des Heiligen Geistes Wirklichkeit in der Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus wird. In den Marienwallfahrtsorten müssen die Eucharistiefeiern ihren ganzen chri-stologischen und österlichen Reichtum, die ekklesiale Dimension und die bedeutungsvolle und wirksame Gegenwart Marias zeigen (vgl. OP, Nr. 12-21, 81; vgl. IO Nr. 14). Auch der eucharistische Kult der öffentlichen und privaten Anbetung muß in entsprechender Weise gefördert werden; dieser ist nämlich ein ausgezeichnetes Mittel zur Belebung des Glaubens an die Realpräsenz des Herrn (vgl. OP, Nr. 29-31). Die Eucharistie muß daher, mit ihrer Verbindung zur Gottesmutter, im Mittelpunkt des gottesdienstlichen Lebens der Marienwallfahrtsorte stehen; demnach ist eine spezifische Katechese zu intensivieren, wobei besonders der rituelle Ausdmck vervollkommnet und der Heilsinhalt wie auch die Verpflichtung für das Leben verinnerlicht werden müssen. — Die Buße Das Sakrament der Wiederversöhnung bringt den Reichtum des göttlichen Erbarmens zum Ausdruck und teilt ihn mit; auch bedingt es die volle Gemeinschaft mit der Kirche. Darüber hinaus wird das Erbarmen als marianisches Vorrecht erfahren, wird doch die Mutter Gottes unablässig als Mutter der Barmherzigkeit angerufen. Die Marienwallfahrtsorte haben tatsächlich die Aufgabe, die Güte Gottes kundzutun; davon sind die Gläubigen überzeugt und diese Überzeugung des Volkes drängt die Menschen aller Art zu den Marien-heiligtümem. Während dieses Jahres mögen sich die Priester unter dem mütterlichen Blick Marias mit Liebe, Geduld und brüderlicher Einfühlungsgabe in den Dienst der Wiederversöhnung stellen. Sie sollen den Brüdern und Schwestern die Überzeugung einflößen, daß das Bußsakrament sich nicht im Sündenbekenntnis und in der Lossprechung erschöpft, sondern im Vorsatz andauert, in der Neuheit des Lebens zu wandeln (vgl. OP, Nr. 32-34, 82). 2214 ANHANG — Die Volksfrömmigkeit Die Marienheiligtümer sind auch als Orte gesucht, an denen die marianische Volksfrömmigkeit zum Ausdruck kommt. Schon der Wallfahrtsort als solcher ist sozusagen ein Denkmal, das die Völksfrömmigkeit der Mutter Gottes errichtet hat. Die für das Leben des Heiligtums Verantwortlichen müssen den vielfältigen Ausdrucksformen dieser Volksfrömmigkeit entsprechend Rechnung tragen, sie leiten und einfühlsam mit der Liturgie in Übereinstimmung bringen (vgl. OP, Nr. 51-57, 83-90). — Die Wallfahrten Ein typischer Ausdruck der Marienverehrung ist das Pilgern zu den Wallfahrtsorten. Dabei ist wünschenswert, daß die Pilger, über ihre unmittelbaren und persönlichen Beweggründe hinaus, den Besuch am Wallfahrtsort in seiner Bedeutung für ihren Lebensweg erkennen: als Loslösung vom Alltäglichen, um eine tiefere Erfahrung des Geheimnisses, des Weges zur Bekehrung zu machen, der zur vollen Begegnung mit dem Herrn führt. Dieser Weg geht im Glauben den Weg Marias während ihres Erdendaseins nach ihrem Beispiel und mit ihrer Hilfe als Leben in gläubigem Gehorsam: ein Bild der Ausdauer auf dem Weg zur ewigen Heimat, wobei der Blick unablässig auf Jesus, den Urheber und Vollender des Glaubens gerichtet ist (vgl. Hebr 12,12; vgl. OP, Nr. 77-79; vgl. IO, Nr. 26). II. Das Marienheiligtum als Ort der Kultur Der Marienwallfahrtsort ist nicht nur dem Gottesdienst gewidmet, sondern er ist auch ein Kulturzentrum, das auf die menschliche Entfaltung einen positiven Einfluß ausüben sollte. Die Geschichte, die Tradition und die künstlerische Gestaltung der einzelnen Wallfahrtsorte sind Zeugen einer Kultur, die die Wechselwirkung zwischen dem Heiligtum und dem Leben der Bevölkerung in seiner Umgebung wider spiegelt. In dieser Hinsicht können die Marienwallfahrtsorte als eine wahre und echte „via pulchritudinis“ zur Betrachtung der Schönheit Gottes und des Geheimnisses Marias hinführen. Es ist wünschenswert, daß die Pilger an allen Wallfahrtsorten historisch, künstlerisch und didaktisch wertvolle Hilfsmittel vorfinden, die es ihnen ermöglichen, auch aus der ästhetischen Betrachtung der heiligen Orte Nutzen zu ziehen (vgl. OP, Nr. 92-94). Der wichtigste „kulturelle“ Aspekt bleibt jedoch das vertiefte Verständnis und die Verbreitung der Konzilsaussagen über die Jungfrau Maria, sei es hinsichtlich der sie betreffenden Glaubenswahrheiten, sei es hinsichtlich des Glaubenslebens (vgl. Redemptoris Mater, Nr. 48). Die Marienwallfahrtsorte 2215 ANHANG sind die natürlichen Zentren der mariologischen Katechese und Bildung, wobei sie sich der Mittel bedienen sollen, welche die religiösen Kentnisse der Pilger bereichern. Zu diesen Mitteln zählen vor allem Erklärungen, wissenschaftliche Kongresse, Studientagungen, Vorträge zu speziellen Themen, Bibliotheken mit einer entsprechenden Auswahl marianischer Bücher, Zeitschriften, audiovisuelle Mittel, künstlerische und dichterische Veranstaltungen, Aufführungen religiösen Inhalts, Konzerte, Ausstellungen usw. (vgl. IO, Nr. 24). Nicht alle Wallfahrtsorte werden die Möglichkeit haben, diese Mittel in ihrer Gesamtheit anzubieten; dennoch soll die kulturelle Förderung, durch die jeder Wallfahrtsort, seinen Möglichkeiten entsprechend, belebt werden soll, eindrucksvoll und prophetisch sein (vgl. OP, Nr. 91). Es ist demnach klar, daß die Priester, Ordensleute und Animatoren der Wall-fahrtspastoral darauf bedacht sein sollten, ihre Kenntnisse über Maria im Geheimnis Christi und der Kirche im Lichte von Lumen gentium zu vertiefen (vgl. ebd. Nr. 8); das gleiche gilt für die Kenntnis des liturgischen Kultes und der Andacht gemäß des Apostolischen Schreibens Marialis cultus, wie auch für die lebendige Gegenwart Marias auf dem Glaubensweg des Volkes Gottes und für die Bedeutung des Marianischen Jahres im Licht der Enzyklika Re-demptoris Mater. Die kulturelle Ausstrahlung der Wallfahrtsorte auf den Geist und die Herzen der Gläubigen wird der theologischen Ausbildung derer entsprechen, die den Geist der Wallfahrtsorte prägen. III. Das Marienheiligtum als Oft des Angebots einer Berufung Im Licht des Glaubens betrachtet, ist jede Berufung ein beglückender Ruf Gottes und eine bewußte und verantwortete Zustimmung des Menschen. In dieser glücklichen und geheimnisvollen Beziehung zwischen der innerlich vernehmbaren Stimme Gottes und der Antwort des Menschen begegnet man fast immer der Gegenwart eines Zeichens. Der Wallfahrtsort bietet auch den Rahmen für die Verkündigung und die Feier des Geheimnisses der Berufungen in der Kirche. In der Verborgenheit ihres Hauses in Nazareth empfangt Maria die Botschaft des Engels und gibt ihre Zustimmung: dieses Fiat wird zum Vorbild jeder Berufung in der Kirche. An Maria, eine demütige und arme Frau, ergeht von Gott der Ruf, seine erste Mitarbeiterin am Heilswerk zu werden. Sie ist eine restlos, mit Leib und Seele Gott geweihte Jungfrau. In ihr, der Frau und Mutter, der erhabenen Tochter Zions, erfüllen sich die Verheißungen, die Gott seinem Volk gegeben hat. Im Licht dieser Werte, von Maria zum Ausdruck gebracht und an den Wallfahrtsorten den Gläubigen neuerlich für ihren Weg im Glauben vor Augen geführt, 2216 ANHANG erscheinen diese als Orte des Angebots einer Berufung an die Frau und die Familie zum gottgeweihten Leben. — Die Berufung der Frau In den Marienheiligtümem verehrt man eine Frau, die heilige Jungfrau Maria. Ihr Bild ist von Ehrfurcht, Lob und Frömmigkeit umgeben; erhabene Gefühle des Vertrauens, der Freude und der Liebe gehen von ihm aus und leiten dazu an, die Frau zu ehren. Die Marienwallfahrtsorte haben daher auch die Aufgabe, konkret mit den Lehraussagen der Kirche über die Frau bekanntzumachen. Die letzten Päpste habe die Marienverehrung in engen Zusammenhang mit der Achtung für die Frau gebracht; sie haben Maria als das Symbol der Weiblichkeit in Erscheinung treten lassen. Paul VI. bezeichnete Maria in Marialis cultus als die „neue Frau und vollkommene Christin, die in sich, weil Jungfrau, Frau und Mutter, die bezeichnendste Situationen des Frauenlebens umschließt“ (vgl. ebd. Nr. 36). Johannes Paul II. hat in Redemptoris Mater neuerlich betont, daß „die marianische Dimension im christlichen Leben (...) einen eigenen Akzent im Blick auf die Frau und ihre Lebenslage erhält“ (vgl. ebd. Nr. 46). Die Berufung der Frau wird selbstverständlich an den Marienwallfahrtsorten eine erneuernde und entscheidende Kraft finden, einen Ansporn und eine wirksame Einladung, sich für die Befreiung und Entfaltung des Menschen einzusetzen (vgl.IO, Nr. 28). — Die Berufung der Familie Die Marienheiligtümer sind das Ziel nicht nur individueller, sondern auch gemeinschaftlicher Pilgerfahrten von Ehepaaren und Verlobten, die ihre Liebe und ihr Versprechen der himmlischen Mutter weihen und vor ihr bekräftigen. Auch kommen Familien, die als Hauskirchen dem Beispiel Marias folgen möchten; sie beseelte einst die Heilige Familie und nun legen sie ihre Hoffnungen, Leiden und Schwierigkeiten zu ihren Füßen nieder und erbitten ihren Schutz .Diese Familiengruppen erfahren am Wallfahrtsort eine Vertiefung des christlichen Sinnes der Liebe, die die wahre, göttliche Dimension des Menschen ist; darüber hinaus wird ihnen eine bessere Kenntnis des gesellschaftlichen und ekklesialen Wertes der Familie zuteil, der in der zeitgenössischen Welt nach und nach zerfallt, sowie des sakralen Charakters der Ehe, der heute immer mehr infrage gestellt und beleidigt wird, jedoch nach dem hl. Paulus der vorzügliche Weg zum Einswerden mit Gott in Jesus Christus ist (vgl. Kol 3,18-21). Die Huldigung welche die Brautleute Unserer Lieben Frau nach der Trauung darbringen, sowie die Hochzeitsfeier an einem Marienwallfahrtsort müssen die Gelegenheit für tiefere religiöse Wertschätzung des Ehesakra- 2217 ANHANG ments in der Familie bieten und auch eine erste Begegnung mit der Berufung zur Familie ermöglichen. Die für das Leben und die Sendung der Wallfahrtsorte Verantwortlichen müssen sich ganz besonders und mit großer Sorgfalt für eine entsprechende Darstellung der Berufung zur Familie einsetzen und für geeignete Hilfsmittel für die Festigung und Entwicklung dieser Berufung Sorge tragen (vgl. OP, Nr. 42-45). — Die Berufung des gottgeweihten Lebens Die Orte, welche der Verehrung jener Frau gewidmet sind, die sich in immerwährender Jungfräulichkeit, in der Armut des Lebens und im Gehorsam des Glaubens rückhaltlos dem Dienst Christi und seiner Kirche weihte, sind ihrer Natur nach Einladung, Verkündigung und Stärkung der Berufung zum Priestertum und zum gottgeweihten und missionarischen Leben. Es ist bekannt, daß vielfältige und große Berufungen dieser Art an Marienwallfahrtsorten keimten, dort reiften und von dort auch ihre Kraft empfingen. Im gegenwärtigen Augenblick der Krise der Priester- und Ordensberufe müssen die Wallfahrtsorte neuerlich der Wahrnehmung des göttlichen Rufes und der großzügigen Antwort des menschlichen Herzens förderlich sein, indem sie dem Beispiel Marias folgen und auf ihre mütterliche Hilfe vertrauen. Der Dienst am Wort und das Beispiel der am Wallfahrtsort Tätigen bringen die Voraussetzungen für eine qualifizierte Katechese hinsichtlich dieser Art von Berufungen mit. Sorgfältig vorbereitete liturgische Feiern müssen auch geeignet sein, die Gabe der Berufung wünschenswert erscheinen zu lassen und vom Herrn durch die Fürbitte seiner Magd Maria diese Gnade und die Treue zur Berufung zu erflehen. Darüber hinaus werden auch die dem gottgeweihten Leben geltenden Feiern — z. B. die Profeß oder deren Jahrestage —, die in Wallfahrtsorten stattfinden, zu Verkündigung, Zeugnis und Gebet, also zu kostbaren Elementen für das Keimen oder die Festigung solcher Berufungen. Die Gegenwart und die Fürbitte Marias und das Lebensideal, das von ihr ausgeht, bleiben die Grundlage und das eindrucksvollste Vorbild für Berufungen gottgeweihten Lebens, für jene Männer und Frauen von heute, die an das Heil glauben und sich zu einer vollkommenen Hingabe ihrer selbst im Dienst der Kirche gedrängt fühlen. IV. Das Marienheiligtum als Ort der Nächstenliebe Jedes Marienheiligtum strahlt schon als solches, da es die Gegenwart, die Vörbildlichkeit und die Fürbitte der Jungfrau des Magnifikat feiert, das Licht und die Wärme der Nächstenliebe aus. Dies geht aus den Worten und aus dem 2218 ANHANG Inhalt hervor, denen Maria in ihrem Hymnus Ausdruck verleiht, es entspricht der Haltung der immer auf die Nöte der Bedürftigen aufmerksamen Mutter Jesu (vgl. Joh 2,2-10) und wird dank der mütterlichen Gegenwart der „Frau“ unter dem Kreuz des Sohnes und Erlösers vertieft, die mit ihm im Liebeswerk der Erlösung verbunden ist. „Caritas“ im ursprünglichen Sinn bedeutet die im Namen Gottes geübte Liebe, deren konkrete Ausdrucksformen Erbarmen, Solidarität, Gemeinsamkeit, Aufnahmebereitschaft, Hilfe und Geschenk sind. Die von den Gläubigen an den Marienwallfahrtsorten großmütig hinterlassenen Spenden haben zu allen Zeiten nicht nur deren Einrichtung, Erhaltung, künstlerische Ausgestaltung und Gastlichkeit ermöglicht, sondern auch Hilfswerke geschaffen, die konkret den nie versiegenden Glauben der Kirche, gemeinsam mit ihrem Erbarmen und ihrer Nächstenliebe kundtun. Deshalb sind die Marienwallfahrtsorte auch ein Zeichen, das für die Mittlerschaft zwischen der Liebe Gottes und den Nöten des Menschen Zeugnis ablegt, im Namen und mit der Fürbitte der Mutter der Barmherzigkeit. Viele Wallfahrtsorte in allen Teilen der Welt haben entsprechende Werke der Nächstenliebe geschaffen und erhalten sie auch: z. B. Krankenhäuser, Erziehungs- und Bildungsinstitute für bedürftige Kinder, Altenheime usw. Als Einzelne oder in Gruppen müssen die Kranken im Marienwallfahrtsort zuhause sein. In jedem werden die Kranken — dessen sind wir sicher — besondere Feiern, solidarische Unterstützung und wirksame Dienstleistungen vorfinden. Es wäre auf jeden Fall wünschenswert, wenn für dieses Marianische Jahr und auch für die kommenden Jahre jeder einzelne Wallfahrtsort und mehrere Wallfahrtsorte gemeinsam neue, entsprechende Strukturen schaffen oder die bereits bestehenden verbessert würden, um so den großen Übeln der zeitgenössischen Gesellschaft entgegentreten zu können, etwa der neu auftretenden Krankheit Aids, der immer weiter um sich greifenden Verbreitung der Rauschgifte, der dringenden Notwendigkeit der Assistenz für alte Menschen und dem so aktuellen Problem der Obdachlosen. Dieses Komitee lädt alle Diözesanbischöfe herzlich ein, über die speziellen Initiativen auf diesem Gebiet zu berichten, da es in nächster Zukunft die Frage des karitativen Engagements anläßlich des Marianischen Jahres eingehender behandeln möchte (vgl. OP, Nr. 76, 89). V. Das Marienheiligtum als Ort ökumenischen Einsatzes Wenn für eine nicht geringe Anzahl von Christen, die nicht in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche leben, die Marienverehrung und die Orte, in denen sie einen besonderen Ausdruck findet, ein Element der Gemeinsam- 2219 ANHANG keit und des ökumenischen Dialogs darstellen, so sind sie für andere Ursachen von Uneinigkeit und Polemik. Die historische und doktrinäre Spaltung der Kirchen ist ein großer Skandal, wenn man sie jener Einheit gegenüberstellt, für die der Sohn Gottes sein Opfer und sein Gebet dargebracht hat (vgl. Redemptoris Mater, Nr. 29-31; vgl. Unitatis Redintegratio, Nr. 1). Deshalb stellte das ökumenische Anliegen eine der grundlegenden Dimensionen des II. Vatikanischen Konzils dar, inspirierte ständig das Wirken Pauls VI. und leitete die Sensibilität Johannes Pauls EL in seiner Enzyklika Redemptoris Mater und bei der Ankündigung des Marianischen Jahres. Diese Sensibilität muß auch die Marienwallfahrtsorte rühren: Die Rolle Marias in der Heilsgeschichte und ihre Verehrung im Frömmigkeitsleben der Kirche sind eine der Ursachen für die Auseinandersetzung und die Uneinigkeit mit den getrennten Brüdern des Westens. Gerade deshalb müssen die Marienwallfahrtsorte Zentren der Begegnung und des Gebets werden und mutig eine ökumenische Rolle übernehmen. Die Mutter Christi und aller Menschen, die ihnen den Sohn Gottes geschenkt und diesem als erste und vollkommenste Jüngerin nachgefolgt ist, sollte nicht Ursache von Spaltungen und Uneinigkeiten unter ihren Brüdern sein. Dennoch muß jeder Wallfahrtsort den komplexen Weg der Wahrheit mit wacher Aufmerksamkeit verfolgen, um den richtigen Beitrag zum Fortschritt der Ökumene zu leisten. Mit den orthodoxen Christen und den Altorientalen sind wir eng in der eifrigen Verehrung der Gestalt Marias vereint. Es wäre daher durchaus angebracht, wenn überall, wo dazu die Möglichkeit besteht, Katholiken und Orthodoxe zum gemeinsamen Gebet bei Maria zusammenfinden können, die letztere als „Beschützerin“ der Christen anrufen. Was die Anglikaner betrifft — die Maria ebenso lieben wie wir und ihr auch die gleiche Verehrung darbringen — so sind gemeinsame Gebete und Pilgerfahrten vor allem zu jenen Heiligtümern zu fördern, die sowohl von den Katholiken als auch von den Anglikaner verehrt werden. Unseren evangelischen Brüdern gegenüber ist — wegen ihrer besonderen Sensibilität — großes Taktgefühl erforderlich, wenn man sie einladen will, sich uns Katholiken im Gebet und im Dialog an einem Marienwallfahrtsort anzuschließen, wobei zu berücksichtigen ist, daß sie Maria zwar als Vorbild im Glauben und im christlichen Leben bewundern, es jedoch ablehnen, sie direkt anzurufen, da sie befürchten, auf diese Weise die einzige, erlösende Mittlerschaft Christi zu verdunkeln. An den Marienwallfahrtsorten muß also den Gläubigen eine korrekte Katechese über die Rolle Marias im Heilsgeheimnis zuteil werden, d. h. über ihre Beziehung zu Christus und zur Kirche, besonders im Licht der Heiligen Schrift und von Lumen Gentium (vgl. ebd. Nr. 8) sowie der liturgischen und 2220 ANHANG patristischen Tradition. An vielen Wallfahrtsorten ist es darüber hinaus möglich, Initiativen Raum zu bieten, die dem Studium, der Forschung und der Diskussion über die Gestalt Marias und der Mariologie bei den Christen verschiedener Konfessionen gelten, von der gemeinsamen Absicht getragen, aufgrund eines echten ökumenischen Dialogs Erklärung, Verständis und gegenseitige Bereicherung zu finden. Die gemeinsamen Gebetsgottesdienste können wichtige und fruchtbare Augenblicke der Einheit darstellen. Man darf nicht vergessen, daß es liturgische Formulierungen gibt, die dem gemeinsamen Erbe angehören und für die verschiedenen christlichen Konfessionen annehmbar sind, so daß sie besonders an einem Marienwallfahrtsort, in Gegenwart Marias, der betenden Frau des Evangeliums, eine Begegnung im gemeinschaftlichen Gebet ermöglichen können. Jede ökumenische Feier muß sorgfältig vorbereitet und die dazu eingeladenen Christen anderer Konfessionen müssen auch zu ihrer Vorbereitung herangezogen werden. Bei den gemeinschaftlichen Gebetsformeln muß die Feier des Wortes Gottes Vorrang genießen, das neben den großen Wahrheiten des Glaubens auch die Gegenwart Marias im Geheimnis Christi und der Kirche verkündet. Wenn die Marienwallfahrtsorte häufiger solche ökumenischen Gebete veranstalten, die sich am Wort Gottes inspirieren und ihnen besondere Bedeutung verleihen, leisten sie der Sache der Einheit einen mutigen Dienst. Die Marienheiligtümer sind daher Orte des Gebets für die Einheit der Christen. Es wäre wünschenswert, dieses Gebet mehr und mehr gemeinsam mit den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu verrichten. Dabei würde es sich immer um einen weiteren Schritt auf dem Weg der Ökumene, um ein konkretes Beispiel der Einheit handeln. In diesem Marianischen Jahr, in dem die orientalischen Völker und Kirchen der 1200 Jahre seit dem II. Konzil von Nicäa und der 1000 Jahre seit der Bekehrung der Völker der antiken Rus gedenken, muß in den Marienwallfahrtsorten jenen Feierlichkeiten besondere Bedeutung beigemessen werden, welche die Gemeinsamkeit im Glauben und im Gebet mit eben diesen Völkern und Kirchen zum Ausdruck bringen. Diese Themen sind mit reichlicher Begründung in der erwähnten Instruktion der Kongregation für die Orientalischen Kirchen dargelegt. Der Heilige Vater selbst möchte den verschiedenen Kirchen seine betende Teilnahme vorbildhaft mittels besonderer Feierlichkeiten kundtun, wie aus dem Calendario dell’Anno Mariano (Kalender des Marianischen Jahres, S. 59) hervorgeht. 2221 ANHANG Exzellenz, die Grundsätze, Richtlinien und Vorschläge, von denen hier die Rede war, gelten einerseits den Pilgern, welche die Heiligtümer besuchen, und andererseits vor allem deren Animatoren, um sie zu Begeisterung, Eifer und Einsatz für die Kirche aufzurufen. Das Marianische Jahr muß für sie eine geistliche und kulturelle Bereicherung darstellen und sie zu hochherzigem Dienst für die Brüder und Schwestern anspornen, und das auch für die folgenden Jahre. So wird das Marianische Jahr eine Marienverehrung fördern, die in einem echten Bekenntnis des Glaubens, in der Liturgie und in der Nachahmung der Tugenden Marias, der Mutter Christi und der Kirche verwurzelt ist. Mit Freude nehme ich diese neuerliche Gelgenheit wahr, um Eurer Exzellenz meine herzlichsten Wünsche zum Ausdruck zu bringen. Rom, den 8. September 1987 Mariano De Nicolö Generalsekretär Luigi Kardinal Dadaglio Vorsitzender ANHANG Auf den Spuren des Konzils Botschaft der Synodenväter an das Volk Gottes vom 29. Oktober 1. Einleitung Am Ende der Synode wenden wir Synodenväter uns in Einheit mit dem Nachfolger Petri in herzlicher Zuneigung an alle unsere Mitbrüder, die Bischöfe, Priester und Diakone, die Ordensleute und besonders an alle Laien, Männer und Frauen, um mit euch die Erfahrung dieser Tage zu teilen. Wir haben nachgedacht über das Thema „Berufung und Sendung der Laien in der Kirche und in der Welt zwanzig Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil“. Wir haben uns leiten lassen vom Geist Jesu und dabei die Atmosphäre kirchlicher Gemeinschaft erfahren. Die Stimme der katholischen Welt war hörbar nicht allein durch die Synodenväter, sondern auch durch die vom Hl. Vater ernannten Laien. Ihr Zeugnis und ihr Rat waren euer aller Echo. So lebten und vernahmen wir die Gegenwart aller Kirchen mit ihren Schmerzen und Ängsten, mit ihrer Lebendigkeit und ihren Hoffnungen. Wir haben die Gegenwart des auferstandenen Herrn erfahren, der seine Kirche in dieser entscheidenden Stunde der Geschichte begleitet. 2. Auf den Spuren des Konzils Das II. Vatikanische Konzil führte uns tiefer hinein ins Geheimnis der Kirche. Es weckte eine erneuernde Dynamik und forderte im gesamten Volk Gottes Formen der Teilhabe und des missionarischen Einsatzes. So entstanden mannigfache Dienste, Gruppen und Bewegungen, Formen von Zusammenarbeit und Dialog. In schwierigen Verhältnissen, in welchen die Glaubensfreiheit eingeschränkt ist, haben Christen den Glauben weitergegeben und durchgetragen selbst um den Preis ihres Lebens. In Ländern der ersten Evangelisierung haben Katechisten und andere Laien den Glauben verkündet und Gemeinschaften aufgebaut. Unter den Bedingungen einer rasch und tiefgreifend sich wandelnden Welt kommen neue Herausforderungen in allen Lebensbereichen auf uns zu. Gerade aufgrund ihres Glaubens haben die Laien eine unersetzliche Aufgabe in der Welt. Immer mehr Männer und Frauen setzen sich als Christen ein in den Bereichen von Kultur, Wissenschaft, Technik, Arbeit, Politik und im vielfältigen Verwalten der ihnen anvertrauten Macht. 2223 ANHANG Auf ihrem Weg durch die Geschichte eröffnen sich der Kirche neue Horizonte mit ihren Herausforderungen, die angemessene Antworten verlangen. Allen Christgläubigen, die getreu ihrer Berufung die Sendung der Kirche mittragen, gilt unser Dank, unser Vertrauen und unsere Unterstützung. 3. „Laie“ — Glied des Volkes Gottes In gemeinsamer Überlegung haben wir unsere Kenntnis über das Wesen, die Würde und die Verantwortung der Christgläubigen zu vertiefen gesucht. Alle Christen — Laien, Kleriker und Ordensleute — haben dieselbe Würde, weil sie gemeinsam ,,das aus der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes geeinte Volk“ (Lumen gentium, Nr. 4) bilden. Diese Würde ist in der Taufe grundgelegt. In ihr wird der Mensch in Christus sowie in die Gemeinschaft der Kirche eingegliedert und ist zur Heiligkeit berufen. Wer Taufe, Firmung und Eucharistie empfängt, verpflichtet sich, Christus zu folgen und ihn mit dem ganzen Leben — auch in Arbeit und Beruf— zu bezeugen. Diese persönliche und gemeinschaftliche Nachfolge ist besonders getragen von den Gaben, die Gott den einzelnen zum Wohl aller schenkt. Die große Mehrheit der Christgläubigen lebt die ihnen eigene Weise der Nachfolge und Jüngerschaft Christi vor allem in den Bereichen, die wir „die Welt“ nennen: in Familie, Arbeit, Ortsgemeinde usw. ... Es war und ist heute umso mehr ihre Aufgabe, diese Wirklichkeiten mit dem Geist Christi zu durchdringen, so die Welt zu heiligen und mitzuwirken beim Kommen des Reiches Gottes. Sie sind berufen, die Frohe Botschaft auch zu bezeugen und mit allen Menschen das Gespräch zu suchen. Einige Gläubige empfangen das Weihesakrament, das ihnen einen besonderen Stand in der Kirche verleiht und sie befähigt, im Namen Christi, des Hirten (vgl. Presbyterorum Ordinis, Nr. 2), die Gemeinde zu einen, sie mit dem Wort und den Sakramenten zu nähren und sie in der Einheit zu bewahren. Andere Christen sind dazu berufen, die Liebe Gottes in radikaler Weise zu bezeugen, indem sie in Säkularinstituten oder Ordensgemeinschaften die evangelischen Räte leben. 4. Die Berufung zur Heiligkeit Wir sind alle dazu berufen, heilig zu sein wie der Vater im Himmel, ein jeder nach seiner Berufung. In den Herzen der Gläubigen, die den Ruf Gottes vernehmen, mit Christus zu leben und die Welt zu verwandeln, wächst das Verlangen nach Heiligkeit. 2224 ANHANG Der Heilige Geist läßt uns immer klarer entdecken, daß Heiligkeit heute den Einsatz für Gerechtigkeit und die Solidarität mit den Armen und Unterdrückten erfordert. Die Umgestaltung der Gesellschaft nach dem Plan Gottes gehört zur wahren Heiligkeit der Christgläubigen. 5. Die Kraft des Heiligen Geistes Der auferstandene Herr Jesus Christus ist unsere Kraft. Sein Geist erneuert die Welt und ihre Geschichte. Er schenkt uns seine Gaben, damit die Menschheitsfamilie zu jener Einheit findet, für die die Kirche Zeichen und Werkzeug ist. Die Christgläubigen sind als Glieder der Kirche Zeugen und Baumeister dieser Einheit, die ihren Ursprung im Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit und in der Gemeinschaft der Kirche hat. Gestärkt durch Gottes Wort und die Sakramente, als lebendige Glieder einer kirchlichen Gemeinschaft, unterstützt durch den Dienst der Priester, entdecken die Christgläubigen die Gaben, mit denen der Herr uns für den Dienst in Kirche und Welt reich beschenkt. Wir Bischöfe wollen diese Gaben und Charismen anerkennen, zu ihrer Unterscheidung beitragen, sie fördern und zusammenfuhren. Aus solchen Gnadengaben wachsen auch Verbände und geistliche Gemeinschaften; sie leisten durch ihr Zusammenwirken einen wichtigen Beitrag zum Aufbau der Kirche. Wir danken der Katholischen Aktion, die in vielen Ländern erfolgreich gearbeitet hat und eine neue Blüte erlebt. Unser Dank gilt auch allen katholischen Verbänden, die schon lange ihren festen Platz in der Kirche haben. Der Heilige Geist antwortet auf neue Herausforderungen, indem er neue Bewegungen ins Leben ruft, die auf neue Art die Weltkirche mit Freude und Hoffnung erfüllen. Ein immer gültiges Kennzeichen ihrer Echtheit ist ihre harmonische Eingliederung in die Ortskirche, um diese gemeinsam mit ihren Hirten in Liebe aufzubauen. 6. Die Ämter und Dienste Aus allen Ortskirchen wurden Stimmen der Dankbarkeit für jene Frauen und Männer laut, die zusammen mit den Geistlichen und den Ordensleuten zu allen Zeiten und an allen Orten die Kirche aufgebaut haben, ohne selbst vordem Martyrium zurückzuschrecken. Die gemeinsame Überzeugung vom Recht der Christgläubigen, eine neue Welt mitaufzubauen, sowie die theologische Sicht des Zweiten Vatikanischen Konzils haben zur umfassenden Teilhabe am Leben der Kirche und ihrem Wirken in der Welt seführt. 2225 ANHANG 7. Die Familie Die christliche Familie, die sich auf das Ehesakrament gründet, ist der erste Ort menschlicher Formung; in ihr wird der Glaube geweckt, er wächst und strahlt auf andere aus. Sie kann eine echte „Hauskirche“ werden, in der man zusammen betet, das Gebot der Liebe beispielhaft lebt, das Leben annimmt, achtet und schützt. 8. Die Jugend In den Jugendlichen sahen wir eine wirkliche Kraft für die Kirche von heute und morgen. Ihnen gebührt die besondere Aufmerksamkeit unseres Hirtendienstes. Wir legen ihnen die Nachfolge Christi in der Radikalität des Kreuzes und in der Gewißheit der Auferstehung als Quelle ihres Einsatzes in der Kirche, als Grundlage eines wahrhaftigen Lebensentwurfes und einer verläßlichen Hoffnung vor. 9. Die Frau in der Kirche und in der Welt Gestützt auf das Wort Gottes betonen wir die gleiche Würde von Mann und Frau; „Als Mann und Frau erschuf er sie“ (Gen 1,27). Das Volk Gottes sind die Getauften, die gleiche Würde und eine gemeinsame Sendung besitzen, wobei die Berufungen und Aufgaben verschieden sind. Die Sünde hat den vollkommenen Plan Gottes verdunkelt. Wir verwerfen die Diskriminierungen, die aus ihr folgen und die auf verschiedene Weise weiter bestehen. Wir begrüßen die erreichte Anerkennung der der Frau zustehenden Rechte, die ihr die Erfüllung ihrer Sendung in Kirche und Welt erlauben. Dies lenkt unseren Blick auf Maria, die Mutter des Herrn. Sie ist Urbild der weiblichen Würde und unvergleichliches Beispiel für die Teilhabe am göttlichen Heilswerk. 10. Die Pfarrei Die Pfarrei ist innerhalb der Diözese der übliche Ort, an dem sich die Gläubigen versammeln, um in der Heiligkeit zu wachsen, an der Sendung der Kirche teilzuhaben und die Gemeinschaft der Kirche zu leben. Wir sehen mit Freude, daß die Pfarrei eine Gemeinschaft von Gemeinschaften wird, wenn sie die lebendige Mitte für kirchliche Basisgemeinschaften, andere Gruppen und Bewegungen wird, die sie stärken, und die wiederum von ihr befruchtet werden. 2226 ANHANG In der Feier der Eucharistie, der Mitte des ganzen christlichen Lebens, vereinen sich die Gläubigen mit Christus und werden zum Dienst an der Welt ausgesandt. Wir ermahnen alle Christgläubigen, intensiv am Leben ihrer Pfarrgenteinden teilzunehmen durch das Lesen des Wortes Gottes, die Feier des Tages des Herrn, durch die Mitarbeit in den Pfarrgemeinderäten und durch die verschiedenen Aktivitäten und durch das Apostolat. 11. Einsatz im sozial-politischen Feld Das .sozial-politische Wirken der Christgläubigen wird bestimmt durch den Glauben; denn der Glaube muß die ganze Person und das ganze Leben durchdringen. Er erfordert eine gründliche Bildung, entsprechend der jeweiligen Ebene der schon übernommenen und der zu erwartenden Verantwortung. Übereinstimmung von Glaube und Leben muß das Wirken der Gläubigen im öffentlichen Leben auszeichnen, in der Mitarbeit in den politischen und sozialen Institutionen wie im täglichen Leben. Nur so können sie in die weltlichen Strukturen und Tätigkeiten den Geist des Evangeliums einbringen. Im politischen Leben muß die erste Forderung an die Gläubigen die Aufrichtigkeit sein, das Bemühen um soziale Gerechtigkeit, um die Wahrung der Rechte des Menschen in allen Phasen seines Lebens, um die Verteidigung oder Wiedergewinnung der Freiheit, vor allem der in vielen Teilen der Welt so sehr eingeschränkten Religionsfreiheit; dazu kommt die beständige Sorge um den Frieden in der ganzen Welt. Mit gleicher Entschiedenheit müssen sich die Gläubigen im Bereich der Gesundheit, der Kultur und Wissenschaft, der Technik, in der Arbeitswelt und in den Massenmedien einsetzen. 12. Bildung Die christlichen Laien haben heute ein lebhaftes Verlangen nach innerem Leben und nach geprägter Spiritualität. Sie drängen nach Mitarbeit im apostolischen und missionarischen Wirken der Kirche. Solches Verlangen erfordert einen Prozeß der Reifung im Licht des Wortes Gottes, wie es in der Überlieferung der Kirche und durch ihr gegenwärtiges Lehramt verbindlich ausgelegt wird; nicht weniger ist eine immer wirksamere Teilnahme am sakramentalen Leben der Kirche gefordert. Das erwünschte innere Wachstum wird besonders gefördert durch den Empfang des Bußsakramentes und durch geistliche Führung. 2227 ANHANG Die ganzheitliche Bildung aller Gläubigen — der Laien, der Geistlichen und der Ordensleute — muß in der heutigen pastoralen Planung von vordringlicher Bedeutung sein. 13. Aufrufe In einer neu vertieften Bewußtheit von unserem Sein und Werden in einer Welt, zu der wir gehören und die wir mittragen, müssen wir Glieder des Volkes Gottes uns demütig vor Gott auf unsere besondere Verantwortung besinnen. Gerade als Getaufte sind wir berufen, immer mehr Sauerteig in unserer Welt zu werden. Seien wir dessen eingedenk, daß wir nach der von uns bewiesenen Liebe gerichtet werden (vgl. Mt 25). Völker der Welt, die ihr verwundet seid in eurer Würde, angegriffen in eurer Freiheit, beraubt eures Besitzes, verfolgt wegen eures Glaubens schutzlos allen möglichen Machthabern ausgeliefert, wir sagen euch: die Kirche ist euch nahe und will unter euch und mit euch die Liebe Christi bezeugen, die uns frei macht und mit dem Vater versöhnt. Ihr, die ihr verlassen und an den Rand unserer Konsumgesellschaft gedrängt seid, ihr, Kranke und Behinderte, Arme und Hungernde, Emigranten und Flüchtlinge, Gefangene und Arbeitslose, Alte und Einsame, verlassene Kinder, Opfer der Kriege und aller Arten von Gewalt, verursacht durch die Gleichgültigkeit unserer Gesellschaft, wir sagen euch: die Kirche nimmt Anteil an euren Leiden: sie trägt sie vor den Herrn, der euch in sein erlösendes Leiden hineinnimmt; er schenkt euch Leben im Licht seiner Auferstehung. Wir zählen auf euch, um der ganzen Welt zu bezeugen, was Liebe ist. Wir werden alles tun, was wir können, damit ihr euren Platz in Kirche und Gesellschaft findet. Ihr Familien alle, werdet euch eurer Lebenskraft und Bedeutung bewußt. Ihr christlichen Familien, werdet ,,Kirche zu Hause“, wo sich die Menschen der Liebe Gottes und den Schwestern und Brüdern öffnen. Ihr, Jugendliche, ihr seid Träger der Hoffnung in Welt und Kirche. Laßt euch nicht abschrecken von der Welt, wie sie ist. Laßt euch nicht lähmen durch Bequemlichkeiten und Gleichgültigkeit. Schaut auf Jesus Christus, den Weg, die Wahrheit und das Leben; er ist der Anfang der neuen Menschheit. Er wird euch zur Quelle für die schöpferische Gestaltung einer gerechteren und geschwisterlicheren Welt. Ihr Frauen, ihr kämpft zu Recht für die volle Anerkennung eurer Würde und eurer Rechte. Dieser Einsatz soll zu einer Welt des Dialogs und der gegenseitigen Ergänzung führen, so wie es vom Schöpfer gewollt war. Er hat uns, Mann und Frau, das Schicksal der Welt anvertraut. In der Kirche hat er. uns in 2228 ANHANG der Jungfrau Maria die in ihrer Würde und Gnade erneuerte Frau zurückgegeben. Ihr, die ihr das Schicksal der Menschen und Völker in Händen habt; die ihr die Schlüssel zum Besitz und zur Macht festhaltet; die ihr die Chancen und das Glück der Menschen auf eine bessere Welt hin plant; ihr, die Kräfte der Zerstörung und der Abschreckung aufhäuft; und ihr, Männer und Frauen der Wissenschaft, Kultur und Künste, wir sind uns der Größe, aber auch der Zwiespältigkeit eurer Verantwortung bewußt. Die Welt braucht Frieden. Die Menschen müssen in ihren grundlegenden Rechten geachtet werden. Das menschliche Leben ist heilig. Wir zählen auf euch und versichern euch unseres Gebets für die Durchführung eurer schweren Aufgabe. Wenn euch Autorität zukommt, so um den Menschen zu dienen, nicht sie zu versklaven. Bischöfe, Priester und Diakone, laßt uns lebendige Gemeinschaften bilden, die „an der Lehre der Apostel festhalten und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2,42). Laßt uns die Gaben des Geistes in den Christgläubigen erkennen und annehmen, und laßt uns in ihnen den Sinn für Gemeinschaft und Verantwortung stärken. Brüder und Schwestern in Christus, leben wir unsere Berufung zur Heiligkeit, jeder in seinem Bereich und alle zusammen in der Gemeinschaft der Glaubenden. Antworten wir großmütig auf den Anruf Christi: „Geht hin und lehrt alle Völker“ {Mt28.19): Alle sind wir Missionare! Christen aller Konfessionen, gehen wir weiter auf dem Weg zur Einheit, wie sie von Christus gewollt ist: „Daß alle eins seien“ {Joh 17,21). Ihr, Glaubende und alle Menschen guten Willens, reichen wir uns die Hand zum Aufbau einer Welt der Gerechtigkeit und des Friedens. Ihr alle, Männer und Frauen, Kinder und Jugendliche, Kranke und Alte, Menschen jeden Standes, jeder Rasse und Kultur, ihr alle, Laien, Diakone, Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen, die ihr neue Wege bahnt auf die künftige Welt hin, die ihr feste Bande der Geschwisterlichkeit und Eintracht, der Gerechtigkeit und des Friedens knüpft, die Kirche erkennt sich wieder.in euch und ruft euch zu: Verliert nicht den Mut, denn „die Hoffnung enttäuscht nicht“ {Rom 5,5). 14. Schluß Als „Christen mit euch und Bischöfe für euch“ (hl. Augustinus) danken wir dem Geist des Herrn, der uns miteinander den Weg finden und uns voller den Sinn dieser Worte erfassen ließ. In diesen Tagen des Zuhörens und der Gespräche haben wir die Gegenwart des auferstandenen Herrn mitten unter uns erfahren — wie damals die Jünger auf dem Weg nach Emmaus. Völler Hoffnung verfolgen wir den Weg, der uns durch das Zweite Vatikanische Kon- 2229 ANHANG zil gewiesen wurde, da wir sicher sind, daß Jesus Christus mit uns geht (Ml 28,20). Mit dem Abschluß dieser Versammlung tiefer kirchlicher Gemeinschaft in diesem Marianischen Jahr setzen wir all unsere Hoffnung auf die Jungfrau Maria. Wir empfehlen euch alle, die ihr Kirche seid, jener, die Vorbild und Mutter von uns allen ist. Zu einer einzigen Hoffnung berufen Gemeinsame Erklärung von Papst Johannes Paul II. und dem Patriarchen Dimitrios I. vom 7. Dezember Wir, Papst Johannes Paul II. und der ökumenische Patriarch Dimitrios I., danken Gott, der uns die Gelegenheit gab, zusammen und mit den Gläubigen der Kirche Roms, ehrwürdig durch das Andenken an die Apostelfürsten Petrus und Paulus, zu beten und um über das Leben der Kirche Christi und ihrer Sendung in der Welt zu sprechen. Unsere Begegnung ist Zeichen der Brüderlichkeit zwischen der katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche. Diese Brüderlichkeit, die sich bei verschiedenen Gelegenheiten und unter verschiedenen Formen gezeigt hat, wächst immer mehr und bringt Früchte zur Ehre Gottes. Von Neuem empfinden wir das Glück, wie Brüder zusammen zu sein (vgl. Ps 133). Während wir „dem Vater der Gestirne (Lichts), von dem jede vollkommene Gabe kommt (Jak 1,17), danken, bitten wir und laden alle Gläubigen der katholischen und der orthodoxen Kirche ein, mit uns bei Gott Fürbitte zu leisten: auf daß er das Werk vollende, das er unter uns begonnen hat. Indem wir uns die Worte des Hl. Paulus zu eigen machen, ermahnen wir sie: „Macht meine Freude dadurch vollkommen, daß ihr eines Sinnes seid (Phil 2,2). Mögen die Herzen aller darauf gerichtet sein, die Einheit als Geschenk Gottes an seine Kirchen zu empfangen! Wir drücken unsere Freude und unsere Befriedigung aus, indem wir die ersten Resultate und den positiven Ablauf des theologischen Dialoges, der anläßlich unserer Begegnung im Phanar am 30. November 1979 angekündigt wurde, feststellen. Die Dokumente, die durch die gemischte Kommission angenommen wurden, stellen wichtige Beziehungspunkte für.die Weiterführung des Dialoges dar. In der Tat versuchen sie auszudrücken, was die katholische Kirche und die orthodoxe Kirche schon zusammen als gemeinsamen Glauben über das Mysterium der Kirche und das Band zwischen Glauben und Sakramenten bekennen können. Da jede unserer Kirchen dieselben Sakramente 2230 ANHANG empfangen hat und sie feiert, erkennen sie besser, daß, wenn die Einheit im Glauben gesichert ist, eine gewisse Verschiedenheit im Ausdruck — oft komplementär — und von einigen Gebräuchen ein Hindernis darstellen, das Leben der Kirche und die noch immer unvollkommene Erkenntnis des offenbarten Mysteriums bereichert (1 Kor 13,12). Vor diesen ersten Ergebnissen der gemeinsam unternommenen Bemühung, im „Gehorsam des Glaubens“, um die volle Kommunion zwischen der orthodoxen und katholischen Kirche wiederherzustellen, danken und ermutigen wir die Mitglieder der gemischten Kommission des theologischen Dialoges. Wir wünschen, daß die Gläubigen darüber informiert werden und so Gott danken können und sich an die Bitte des Herrn anschließen können: „Auf daß alle eins sind“, ferner wachsam bleiben im fürbittenden Gebet und zusammen im Glauben und in der Hoffnung wachsen. Wir wünschen auch, daß der Fortschritt im Dialog Katholiken und Orthodoxe in einem besseren gegenseitigen Kennenlernen und größerer Liebe wachsen läßt. Wenn die Predigt, die Katechese und die theologische Bildung darauf gerichtet sind, wird der Dialog alle seine Früchte im Volke Gottes bringen. Wir bitten den Geist des Herrn, der zu Pfingsten die Einheit in der Verschiedenheit der Zeugen offenbart hat, „uns in der vollen Wahrheit zu führen“ und zu bewirken, Lösungen zu finden für die Probleme, die die volle Kommunion noch verhindern, was sich zeigen wird in der eucharistischen Konzelebration. Unsere Zusammenarbeit findet im Jahr der 1200-Jahr-Feier des 2. Konzils von Nicäa statt, welches in langer, ungetrübter Zusammenarbeit zwischen der Kirche von Rom und der Kirche von Konstantinopel vorbereitet, den rechten Glauben triumphieren ließ. Die Kirchen des Orients und des Okzidents haben während Jahrhunderten hindurch zusammen die ökumenischen Konzile gefeiert, die „den überlieferten Glauben, der den Heiligen ein für allemal anvertraut ist“, verkündet und verteidigt haben. „Zu einer einzigen Hoffnung berufen“, erwarten wir den von Gott gewollten Tag, an dem die im Glauben wiedergefundene Einheit gefeiert werden wird und an dem die volle Kommunion durch eine Konzelebration der Eucharistie des Herrn wiederhergestellt sein wird. Wirerneuern vor Gott unser gemeinsames Versprechen, den Dialog der Liebe auf alle nur möglichen Mittel zu fördern, Christi Beispiel folgend, der seine Kirche nährt und sie mit liebevoller Hingabe umsorgt. In diesem Geist verwerfen wirjegliche Form von Proselytismus und jede Haltung, die als Mangel an Respekt aufgefaßt würde oder aufgefaßt werden könnte. Diese schöpferische Liebe führt uns dazu, für die Gerechtigkeit und den Frieden sowohl auf internationaler als auch auf regionaler und lokaler Ebene zusammenzuarbeiten. Sie drängt uns, diese Zusammenarbeit nicht zu beschrän- 2231 ANHANG ken, sondern sie über die Christenheit hinaus denen zu öffnen, die in anderen Religionen Gott, seine Gerechtigkeit und seinen Frieden suchen. Sie macht uns verfügsam, zusammen für das Wohl der Menschheit mit allen Menschen guten Willens zusammenzuarbeiten. In der Tat setzt die Sendung der Kirche in der Welt, welche Christus rettet, die Verteidigung der Würde des Menschen voraus, überall dort, wo sie direkt oder indirekt auf vielfältige Weise in Frage gestellt ist, und —unter anderem — durch das Elend, das ein gemäßigtes Leben verhindert durch alles, was als Basis jeder Gesellschaft, das Leben der Eheleute und der Familien hemmt; durch die Beschneidung der Freiheit von Personen und Gemeinschaften, ihren Glauben zu leben und zu bekennen und sich nach ihrer eigenen Kultur zu entfalten; durch die Ausnützung und den Handel von Menschen, besonders der Jugendlichen, um die Triebe anderer zu befriedigen oder indem man sie zu Sklaven von Drogen macht; durch Vergnü-gungssuche, welche sich jeglicher moralischen Ordnung entledigt; durch die Angst, erzeugt durch das Vorhandensein von Mitteln, die der Integrität der Schöpfung schweren Schaden zufügen können; durch rassistische Ideologien, welche die grundlegende Gleichheit Aller vor Gott leugnet, Ideologien, die für Christen besonders unzulässig sind, da diese (die Christen) der Welt das Gesicht des Heilands offenbaren und so ihre (Ideologien) Widersprüche, ihre Spannungen und Ängste überwinden helfen müssen. Weil sie glauben, daß Gott die Welt so geliebt hat, daß er seinen eigenen Sohn hingegeben hat, auf daß alle durch ihn gerettet werden (Joh 3,16-17) und in ihm ein einziger Leib werden, wo die Einen Glieder der Anderen sind (Rom 12,5). In diesen Augenblicken voller Freude während wir die Erfahrung einer tiefen geistigen Einheit machen, welche wir mit den Hirten und Gläubigen sowohl des Orients als auch des Okzidents zu teilen wünschen, erheben wir unsere Herzen zu ihm, der das Haupt ist, Christus. Von ihm erzählt der ganze Leib Einheit und Zusammenhalt dank aller Glieder, die ihm dienen gemäß dem Können eines jeden. So verwirklicht der Leib sein eigenes Wachsen. Auf diese Weise baut er sich selbst in der Liebe auf (Eph 4,16). Ehre sei Gott durch Christus im Hl. Geist! Gegeben im Vatikan, am 7. Dezember 1987 2232 ANHANG Was hast du für deinen obdachlosen Bruder getan ? Die Kirche und das Wohnungsproblem Dokument der Päpstlichen Kommission , Justitia et Pax zum internationalen Jahr der Wohnungsbeschaffung für die Obdachlosen vom 27. Dezember Einleitung 1. Das Wohnungsproblem ist ohne Zweifel eine der schwersten sozialen Fragen unserer Zeit. Tatsächlich erhebt sich der Angstschrei zahlreicher Männer und Frauen, Kinder und Alten, die kein Dach haben, um sich zu schützen, oder nur über irgend etwas verfügen, das man nicht „Wohnung“ nennen kann, wie ein Aufruf, der, überall in der Welt vernehmbar, einen deutlichen Widerhall findet beim internationalen Zentrum schlechthin, den Vereinten Nationen. <111> Das „Internationale Jahr der Obdachlosen“ bietet daher eine besondere Gelegenheit zum Bewußtmachen dieser harten Wirklichkeit, die uns in den veröffentlichten Zahlen der zuständigen Organe dargelegt wird. Nach Millionen zählen die Personen, die keine entsprechende Wohnung besitzen. <112> Es ist daher notwendig, das moralische Bewußtsein im Hinblick auf eine größere soziale Gerechtigkeit und eine umfassendere Solidarität zu schärfen. <111> Die erhaltenen Informationen bestätigen die alarmierenden Dimensionen der Lage. Das Problem der Obdachlosen oder jener, die über eine nach den geltenden Kriterien3 nur unzureichende Wohnung verfügen, ist derart weit gespannt, daß man sich ihm gegenüber machtlos fühlt. Dabei wird das Phänomen noch empfindlicher, wenn man über den quantitativen Aspekt, die Zahl der Millionen von obdachlosen Menschen hinaus auch den qualitativen Aspekt berücksichtigt, d. h. die unmenschlichen Lebensbedingungen, denen diese Personen ausgesetzt sind. Tatsächlich betonen Studien und Berichte über den zahlenmäßigen Umfang hinaus das harte Leben der Obdachlosen. Eine phänomenologische Beschreibung dieser Wirklichkeit kann unserer Meinung nach dazu beitragen, das Ausmaß und die verschiedenen Ebenen des Problems besser zu verstehen. <112> Die katholische Kirche spürt das Leid dieser Millionen von Menschen und möchte es sich zu eigen machen. In ihrem sozialen und karitativen Wirken hat sie von ihren Anfängen an immer eine Vorliebe für die Armen, Notleidenden und die von der Gesellschaft Ausgestoßenen gezeigt. Der menschliche und geistliche Reichtum unzähliger Werke der Caritas und der Wohltätigkeit, die die Kirche ihre ganze Geschichte hindurch geschaffen hat, bilden das schön- Die politischen Führungskräfte, die religiös Verantwortlichen und die öffentliche Meinung im allgemeinen erkennen an, daß das Fehlen von Wohnungen für Millionen Menschen ein schweres Problem ist und genau so wie andere soziale Probleme auf Weltebene, wie die Arbeitslosigkeit und die Auslandsverschuldung der armen Länder, eine dringende Behandlung erfordert. Es handelt sich ja um ein sehr ernstes Hindernis auf dem Weg zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, die die notwendigen Vorbedingungen für ein menschenwürdiges Leben schaffen soll. Zudem wird hier ein grundlegendes Menschenrecht verletzt. Die entsprechende Anwort auf ein derart weitgespanntes Problem erfordert einen aufeinander abgestimmten politischen Willen ebenso wie ein verstärktes Bewußtsein für die gemeinsame Verantwortung, vor allem bei den Christen, für die Zukunft unserer Gesellschaft. 2233 ANHANG ste historische Denkmal für diese Hingabe und die bevorzugte Liebe zu den Armen. Indem sie sich auf ihre traditionelle Kenntnis der menschlichen Wirklichkeit stützt, möchte die Kirche daher einen Aufruf an die Regierungen und sozial Verantwortlichen richten, die erforderlichen Entscheidungen zu treffen und wirtschaftliche Programme aufzustellen, die wirksam dem Wohnungsbedürfnis, zumal bei den ärmsten und am meisten an den Rand geratenen Gruppen, entgegenkommen. Mit diesem Dokument möchte die Kirche eine Überlegung zu ihrer Erfahrung, ihrem Zeugnis und ihrem Einsatz vorlegen. Sie prüft im Rahmen ihrer Soziallehre das Problem und deutet es im Bemühen, seinem umfassenden Verständnis zu dienen. Sie nimmt auch eine ethische Bewertung vor, die eine Grundlage zu konkretem Handeln abgeben könnte. Sie spricht ferner von dem, was sie in ihrem eigenen von der Liebe angeregten Bemühen erreicht hat. Sie ist überzeugt: wenn man den Weg sozialer Gerechtigkeit beschreitet und die Egoismen überwindet, kann man einer Lösung der Wöhnungskrise wirksam näherkommen. / Eine drängende soziale Notlage Die Päpstliche Kommission , Justitia et Pax“ hat sich entschlossen, über die Wöhnungslage Informationen zu sammeln. Sie hat sich darum an die Bischofskonferenzen und die katholischen Ostkirchen gewandt und ist dankbar für die beispielhafte Sorgfalt, mit der sie geantwortet haben (vgl. die Liste im Anhang). <113> <113> Die erhaltenen Informationen bestätigen die alarmierenden Dimensionen der Lage. Das Problem der Obdachlosen oder jener, die über eine nach den geltenden Kriterien3 nur unzureichende Wohnung verfügen, ist derart weit gespannt, daß man sich ihm gegenüber machtlos fühlt. Dabei wird das Phänomen noch empfindlicher, wenn man über den quantitativen Aspekt, die Zahl der Millionen von obdachlosen Menschen hinaus auch den qualitativen Aspekt berücksichtigt, d. h. die unmenschlichen Lebensbedingungen, denen diese Personen ausgesetzt sind. Tatsächlich betonen Studien und Berichte über den zahlenmäßigen Umfang hinaus das harte Leben der Obdachlosen. Eine phänomenologische Beschreibung dieser Wirklichkeit kann unserer Meinung nach dazu beitragen, das Ausmaß und die verschiedenen Ebenen des Problems besser zu verstehen. 2234 ANHANG 2. Man könnte einen langen Katalog von Personengruppen aufstellen, die nie eine Wohnung besessen, oder wenn sie zuweilen eine hatten, sie wieder verloren haben. Die einen wie die anderen besitzen heute keinerlei Möglichkeit, eine zu bekommen. Es gibt heute auf der Welt Massen von Menschen, die unter freiem Himmel geboren werden, leben und sterben. Ferner gibt es die Flüchtlinge, die von Krieg oder Naturkatastrophen Entwurzelten, viele andere sind Opfer der Ungerechtigkeit oder des Geizes. Es genügen einige Zahlen, um eine Vorstellung vom Ausmaß des Problems zu vermitteln. Tausend Millionen Menschen oder ein Fünftel der Menschheit besitzen keine angemessene Wohnung. Hundert Millionen fehlt buchstäblich das Dach über dem Kopf. In Westeuropa z. B. befinden sich übereine Million Menschen auf der Suche nach einer entsprechenden Wohnung. In Lateinamerika beziffert man die Zahl der Kinder, die auf der Straße schlafen, auf 20 Millionen. 1986 lebten mehr als 600 Millionen Menschen — 45 % der Weltbevölkerung in den Städten — in den Elendsgürteln um die großen Städte, in Barackenvierteln oder in Slumgegenden. 3. Betrachten wir nun den qualitativen Aspekt oder das, was sich hinter dem Ausdruck „obdachlos“ verbirgt. An erster Stelle gibt es Einzelmenschen ohne Obdach, oft solche, die persönlichen Problemen zum Opfer gefallen sind (Alkoholismus, Arbeitslosigkeit, Familienkrise oder einfach sozial an den Rand Gedrängte). Für sie bestände die Lösung nicht nur in der Zuweisung eines Unterschlupfs oder einer Wohnung. Jeder von ihnen schleppt die Last eines andersgearteten Problems mit sich herum, das zuweilen Ursache für das Fehlen einer Wohnung ist. Sie befinden sich ferner den Möglichkeiten gegenüber, die der Wöhnungsmarkt bietet, deutlich im Nachteil. In vielen Fällen kann eine wirkliche Lösung nur von einem sozialen Hilfsdienst kommen, den der Staat oder die Kirche oder auch private Institutionen anbieten. An zweiter Stelle gibt es Jugendliche und Brautleute, die heiraten möchten. Es geschieht aber oft, daß die notwendigen Ausgaben für den Erwerb einer angemessenen Wohnung wie auch das Fehlen von Wohnungen überhaupt erst nach langen und peinlichen Verzögerungen eine solche finden lassen, und das behindert zuweilen ernsthaft das Recht auf Gründung einer Familie. Diese sehr konkreten Schwierigkeiten bilden oft auch eine psychologische Schranke, eine echte Abschreckung junger Menschen vom Eingehen einer Ehe. Jene aber, die sich trotz dieser Verhältnisse zur Gründung einer Ehe entschließen, müssen oft lange im Haus der Eltern bleiben oder lange Jahre hindurch die Last zu hoher Wohnungskosten tragen, was sich alles negativ auf das gemeinsame Leben und die gesunde Entwicklung der neuen Familie auswirkt. So kommt es nicht selten vor, daß die ersten Jahre des Familienlebens von äuße- 2235 ANHANG ren Faktoren beeinflußt werden. Als Folge ergibt sich eine fast aufgezwungene Einschränkung der Geburten, die der Harmonie des Ehelebens schadet und sowohl der Gesellschaft als auch der Kirche selbst Unrecht tut. Drittens besteht die soziale Gruppe der Randexistenzen in ländlicher und in städtischer Umgebung, die in armseligen Unterkünften untergebracht sind, allen Begleiterscheinungen des Elends sowie den sozialen, wirtschaftlichen, juridischen und politischen Problemen ausgesetzt, die eine solche Lage mit sich bringt. Solche Behausungen, die man irgendwie überall in der Welt findet, und deren Benennung bereits zum Vokabular verschiedener Sprachen gehört, gleichen sich alle: improvisierte Bauten aus zweitklassigem Material oder Abfall (Zinkplatten, Pappe, Plastik, Bambus usw.), ohne jede Gesamtplanung und ohne jede Infrastruktur, oft illegal angelegt auf Grundstücken in staatlichem oder privatem Besitz. Von den Einwohnern anderer Stadtviertel werden diese Behausungen mit Furcht und Mißtrauen angesehen, nicht als Wohnort menschlicher Gruppen, für deren Förderung und Entwicklung alle verantwortlich sind, vielmehr als Stätten, von denen zahlreiche Übel ausgehen: Alkoholismus, Drogenmißbrauch, Kriminalität usw. Wie in anderen Fällen, tritt hier das Symptom an den Platz des echten Problems. Wenn die Wirklichkeit und die Ausdehnung des Phänomens in den Städten beunruhigend sind, so sind sie es ebenso auf einer vielleicht weniger tragischen Ebene auf dem Land, in dörflichem Milieu. Die Lebensverhältnisse von Millionen von Ackerbauern und Ureinwohnern sind noch unmenschlich: verkommene Behausungen, chronische Unterernährung, Fehlen von Trinkwasser, Elektrizität, hygienischen Diensten, Schulen, Transportmöglichkeiten usw. Das Problem derer, die im strikten Sinn ,,kein Dach über dem Kopf haben“ ist sicher das dringlichste und schwerste Problem. Es ist aber nicht das einzige. Es muß vielmehr gesehen werden im Zusammenhang mit einer Wöhnungskri-se, die vielerorts ganze soziale Schichten betrifft, die sich keineswegs alle unter der Armutsgrenze befinden. Auch diese Krise bietet einen doppelten Aspekt: einen quantitativen, weil es keine Wohnungen gibt oder zu wenige; einen qualitativen, weil die verfügbaren Wohnungen oft nicht wirklich angemessen sind. Wenn das für sozial-wirtschaftlich höhere Schichten der Bevölkerung gilt, darf man sich nicht wundern, daß es auf tieferen Ebenen — nach einer entarteten Logik — viele Männer und Frauen gibt, die ganz einfach im wahren Sinn des Wortes kein Dach über dem Kopf haben, also keinen Ort, wo sie Unterkommen und vor den Unbilden der Witterung Schutz finden können. In diesem ganzen Dokument wird man im Rahmen des Möglichen diese beiden Aspekte vor Augen behalten müssen. 2236 ANHANG Das Fehlen von Wohnungen, das wir summarisch beschrieben haben, bildet zweifellos einen der tragischsten Hinweise auf die Unterentwicklung, in der sich ganze Massen, oder genauer: ein Großteil der Menschheit befinden. Diese Lage, deren wir uns alle bewußt sein müssen, ist nicht nur eine Tatsache, auf die zu reagieren die verantwortlichen Stellen und wir alle aufgerufen sind; sie ist darüber hinaus vom ethischen Standpunkt aus ein Skandal und ein neuer Beweis für die ungerechte Verteilung der Güter, die ursprünglich für alle bestimmt warenL II Ein schmerzliches Zeichen der Zeit Um das Drama jener, die keine entsprechende Wohnung besitzen, zu beobachten, zu deuten und zu verstehen, muß man in ein Bemühen um Unterscheidung, d. h. um Analyse eintreten. Es gilt, die quantitativen und qualitativen Gegebenheiten des Massenphänomens der Obdachlosen unserer Zeit zu unterscheiden, zu vergleichen und zu bewerten. Diese Prüfung der verschiedenen Aspekte ist ein guter Weg, um das Problem umfassend verstehen zu lernen: seine Verknüpfung mit anderen wesentlichen Aspekten des menschlichen Lebens, seine Ursachen und sein Verhältnis zur Dialektik Armut-Reichtum. 1. Die Situation der Obdachlosen ist kein isoliertes Phänomen. In jeder sozio- ökonomischen Wirklichkeit — und die Wohnung ist eine, davon — bleibt der Mensch der eigentliche Punkt, bei dem alles zusammenkommt und sich trifft. Einer der wesentlichen Aspekte der Wirklichkeit des Menschen sind nun seine Lebensverhältnisse, d. h. alle Elemente, die das Lebensniveau einer Bevölkerung, einer örtlichen Gemeinschaft oder einer Gruppe von Menschen bestimmen. Die Lebensverhältnisse, von denen hier die Rede ist, sind die fundamentalen Bedürfnisse der menschlichen Person: Erziehung, Nahrung, Wohnung, Gesundheit, Kleidung und Beschäftigung. Will man daher zu einer richtigen Deutung und Auffassung der Zahlen und Gegebenheiten des Problems der Obdachlosen gelangen, muß man klar und mutig die Frage der Wohnung mit dem Gesamt der übrigen erwähnten Aspekte in Beziehung bringen. 2. Das Fehlen von Wohnungen, wie die Zahlen es uns angeben, muß eher als eine strukturelle Krise angesehen werden, deren vielfache Ursachen alle in der Armut münden, auch wenn man nicht übersieht, daß es hier und dort Er- 2237 ANHANG gebnis eines persönlichen Problems oder eines Scheiterns der Familie sein kann. Als schmerzliches Zeichen der Zeit offenbart die Armut, daß die sozio-ökonomischen Ungleichgewichte die unmenschliche Trennung geschaffen haben, die mit dem Schlagwort Nord-Süd-Gefalle oder arme und reiche Länder gekennzeichnet wird; Trennung und Ungleichgewichte, die man heute auch in den Gesellschaften des „Nordens“ findet. An der Quelle des Wohnungsproblems, seiner Verbreitung und seines Umfangs stehen die Arbeitslosigkeit, die niedrigen Löhne, die Landflucht und eine zu schnelle und ungeordnete Industrialisierung. Die Lage wird noch komplexer, wenn man eine Reihe von demographischen Tatsachen berücksichtigt, wie das schnelle Wachstum der Bevölkerung in gewissen Gebieten und das Phänomen der Verstädterung. Man muß auch auf politische Entscheidungen und Strategien der Regierungen auf dem Gebiet der Wohnungsfrage hinweisen, wenn diese Strategien nicht entsprechen und nicht genügen. Einzelne dieser Ursachen würden eine besondere Prüfung verdienen, doch dürfte es gut sein, nicht zu vergessen, daß das Fehlen von Wohnungen, wie es oben geschildert wurde, ein strukturelles und nicht nur eirf konjunkturelles Problem ist. Die Schwierigkeiten beim Kauf oder Mieten einer angemessenen und entsprechenden Wohnung sind oft nicht nur ein Einzelproblem, sondern gehen zum Teil auf die hohen Preise des Wohnungsmarktes zurück, andererseits auf zu niedrige Löhne in jenen Ländern, in denen die wirtschaftlichen und die sozio-politischen Verhältnisse sich in einer Krise befinden. In diesen Gesellschaften kommt es dahin, daß die Arbeit wie eine Ware unter vielen anderen, die auf den Markt kommen, betrachtet wird. Die Arbeit müßte einem jeden genügend Mittel verschaffen, um seine Bedürfnisse zu befriedigen und auch jene der Personen, die wirtschaftlich von ihm abhängen. Eins der wesentlichen Bedürfnisse ist, wie wir gesagt haben, eine entsprechende Wohnung. Ein Großteil der Bevölkerung hat einzig die Arbeit als Quelle festen Einkommens; Millionen von Personen beziehen aber ein Gehalt, das unter dem sogenannten Familieneinkommen liegt, nicht zu reden vom Lohn jener, die nicht einmal an das gesetzliche Minimum herankommen. Dieser ungenügende Lohn wirkt sich vor allem in den armen Ländern negativ auf die Möglichkeit der Beschaffung einer Wohnung aus. In der heutigen Situation machen eine Reihe von demographischen Faktoren das Wohnungsproblem noch schwieriger. In gewissen Gegenden, wo man bereits eine Unsicherheit der menschlichen Entwicklung vorfindet, stellt man ein rasches Wachstum der Bevölkerung fest, was die Situation noch komplizierter macht. In anderen Gebieten stellen Wandlungen in der Bevölkerungsstruktur, z. B. zunehmende Überalterung, neue Probleme. 2238 ANHANG Doch das zweifellos bedeutsamste demographische Phänomen ist das der Veränderung, worauf schon Papst Paul VI. im Apostolischen Schreiben Octo-gesima adveniens zu sprechen kam1’. Die Weltbevölkerung konzentriert sich immer mehr in den Stadtzonen. 1950 wohnten 29 % der Bevölkerung in Stadtgebieten; 1980 waren es schon fast 40 %, und man schätzt, daß kurz nach dem Jahr 2000 zum erstenmal in der Geschichte mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung sich in den Städten befinden wird. Neben der Beschleunigung des Verstädterungsprozesses muß man noch einen Wandel in der Struktur der Städte, zumal infolge des Wachstums der Riesenstädte, in Betracht ziehen. Es läßt sich voraussehen, daß sich die Bevölkerung dieser Riesenstädte in 20 Jahren verdoppelt haben wird, und die Mehrzahl dieser Städte befindet sich in den Entwicklungsländern. Diesen Städten fehlt die notwendige Infrastruktur, um den Bedürfnissen der Bevölkerung zu entsprechen, was Ernährung, Arbeit und Wohnung angeht. Wenn also das Problem der Obdachlosen erörtert wird, muß man auch die wesentlichen Ursachen der Verstädterung prüfen, eins der härtesten Probleme der Organisation der zeitgenössischen Gesellschaft. Unter den Ursachen der Wohnungskrise darf man den politischen Faktor nicht mit Schweigen übergehen. Die Mehrzahl der Staaten haben eine Wohnungspolitik oder streben sie an. Aber alle sind sich über die Verworrenheit dieser Politik in der Welt von heute im klaren. Man kann sich auch fragen, ob die Entscheidungen der Regierungen auf diesem Gebiet immer die wirklichen Prioritäten berücksichtigt haben, oder ob nicht die derzeitige schwierige Lage auch die Folge einer enormen Verzögerung ist, die man trotz aller verdienstvollen Anstrengungen schwerlich aufholen kann. Eine gerechte Wohnungspolitik muß notwendig nicht nur eine Beteiligung des Staates einbeziehen, sondern auch jene des privaten Sektors; sie müßte ferner die Projekte gegenseitiger Unterstützung (Selbsthilfe) und Zusammenarbeit innerhalb der Gemeinschaft selbst ermuntern. Man weiß, daß das Fehlen von Wohnungen manchmal die Folge politischer Instabilität, innenpolitischer Konflikte oder des Krieges ist. Dann stellt sich die Frage der Flüchtlinge; sie läuft fast immerauf die Situation der Obdachlosigkeit hinaus. Das vorliegende Dokument kann die Lage der Flüchtlinge mit ihren ganz besonderen Merkmalen, die ein umfassendes Zusammenwirken in internationaler Solidarität erforderlich macht, keiner eingehenden Prüfung unterziehen. Man darf aber auch nicht die Tatsache vergessen, daß unter der Masse der Obdachlosen in der ganzen Welt die Flüchtlinge sich in einer wahrhaft dramatischen Armuts- und Leidenssituation befinden. Sie sind oft gezwungen, jahrelang in den Lagern zu bleiben, die sie zuerst aufgenommen haben, in Behausungen, die man nur in Notsituationen oder vorübergehend ertragen könnte. 2239 ANHANG Sie können unmöglich eine sichere Zukunft voraussehen und sind den ständigen Auswirkungen des Krieges oder der sie umgebenden Konflikte ausgesetzt, und das sogar in den Ländern, die sie beherbergen. Sie haben ihr ganzes Hab und Gut verloren und leben weit entfernt von ihren Lieben. Es kommt auch vor, daß ganze Bevölkerungen aus ihren Wohnungen entfernt werden, um für wirtschaftliche und politische Projekte einer zweifelhaften ideologischen Prägung eingesetzt zu werden. Man stellt fest, daß in diesen Fällen nicht für eine entsprechende Unterbringung der umgesiedelten Personen und Familien gesorgt wird. Die erzwungene Aufteilung oder Trennung der Zonen einer Stadt nach dem rassischen Ursprung der Einwohner ist in sich schon eine unannehmbare Form der Diskriminierung und führt unweigerlich zu Wohnungen von unterschiedlicher Qualität, je nach den Gruppen, die sie bewohnen. Alle Gründe, die wir aufgezählt haben, und die dem Wohnungsproblem zugrundeliegen, zeigen eine relative oder absolute Verallgemeinerung der Armut, vor allem in den Ländern der Dritten Welt. Im ganzen ist die Situation der Obdachlosen ein Ergebnis der Armut und der sozialen Randexistenz. Anders gesagt ist sie das Ergebnis eines Zusammenwirkens von wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, physischen, gefühlsmäßigen und moralischen Faktoren, die vor allem jene belasten, die niemals in das soziale System am Ort integriert waren. Wenn es innerhalb der von dieser Not betroffenen Gesellschaft nicht zu substantiellen Wandlungen und Umgestaltungen kommt, dann bleibt die Integration schwierig oder ist unmöglich zu verwirklichen. Die Hilfe, welche Organisationen für sozialen Beistand den Obdachlosen bieten, kann manchmal wie die Lösung eines individuellen oder privaten Problems erscheinen, als ob es um einen Kranken oder Behinderten ginge, dem dieses Lebensschicksal zugefallen ist. Es kann auch Vorkommen, daß die Verwaltungen der öffentlichen Dienste des Staates der Auffassung sind, diese Menschen brauchten keine besondere Aufmerksamkeit oder Hilfe über jene hinaus, die ihnen bereits durch die Wohltätigkeitsorganisationen oder die Caritas geboten wird. In Wahrheit geht es aber um ein Problem der Strukturen in der Organisation der Gesellschaft oder des betreffenden Landes. 3. Die aufgezeigten Gründe, die nicht notwendig die einzigen sind, verweigern dem einzelnen und der Familie ein fundamentales Gut, das einem vorrangigen Bedürfnis entstammt. Weitere, die sich davon ableitcn, lassen sich unmöglich oder nur schwer befriedigen. Gewiß wird man über diese unmittelbaren Gründe hinaus noch tiefere für die heutigen sozialen Übel finden: eine ungerechte Verteilung der Güter, den Abstand zwischen Reichen und Armen innerhalb der gleichen Gesellschaft oder 2240 ANHANG auch zwischen ganzen Nationen und Kontinenten. „In den Ländern der sogenannten Dritten Welt (fehlt es) den Familien sowohl an den grundlegenden Mitteln zum Überleben, wie Nahrung, Arbeit, Wohnung, Arzneien, als auch an den elementarsten Freiheiten“7. III Ethische und christliche Bewertung 1, Eine Überprüfung der komplexen Situation der Obdachlosen darf nicht bei der kritischen Deutung oder beim allgemeinen Verständnis stehenbleiben; diese neue Herausforderung der Armut in unserer zeitgenössischen Welt muß auch einer ethischen Bewertung unterworfen werden. Es darf nicht das erste Ziel einer solchen Bewertung sein, die Fehler oder Verantwortlichkeiten zu ermitteln, die die Lage, von der wir sprechen, geschaffen haben und sie aufrechthalten. Doch sie schließt dieses nicht aus. Zu betonen ist vor allem, daß in dieser nicht konjunkturellen, sondern strukturellen Perspektive das Fehlen von Wohnungen heute als juridischer Mangel betrachtet wird. 2. Mehrere Dokumente von internationaler Bedeutung8 vertreten klar unter den übrigen Rechten der menschlichen Person auch das Recht auf Wohnung, in Verbindung mit dem Recht auf „ein ausreichendes Lebensniveau9. Desgleichen hat die Kirche darauf bestanden, das Recht auf Wohnung in die Charta der Familienrechte einzuschließen. Dieses Dokument war von den Vätern der Bischofssynode von 1980 für notwendig erachtet worden. Unter anderen fundamentalen Rechten war auch schon das „Recht auf eine geeignete Wohnung, die ein angemessenes Familienleben ermöglicht“, angesprochen worden10. In diesem Sinn hat der Heilige Stuhl später den Vorschlag der Synodenväter aufgegriffen und diese Charta veröffentlicht, um sie „den in Frage kommenden Gremien und Autoritäten zu überreichen“11. Dort ist sehr konkret gesagt, daß „die Familie das Recht auf eine angemessene Wohnung hat, dem Familienleben angepaßt und der Zahl ihrer Mitglieder entsprechend groß, in einer Umgebung, in der die notwendigen Grundbedürfnisse für das Familienleben und die Allgemeinheit gesichert sind“12. Diese juridischen Formulierungen wollen die wahre Dimension der Wohnungsnot aufzeigen. Es geht nicht einfachhin um eine Situation des Mangels oder der Entbehrung. Es geht um den Mangel und die Entbehrung von etwas Geschuldetem und folglich um eine Ungerechtigkeit. Hier muß also eine ethische Bewertung des Wohnungsproblems beginnen. 2241 ANHANG Jede Person und jede Familie, die ohne direktes Verschulden ihrerseits keine entsprechende Wohnung hat, ist Opfer einer Ungerechtigkeit. Im Licht des schon Dargelegten ergibt sich klar, daß diese Ungerechtigkeit eine strukturelle Ungerechtigkeit ist, die mit persönlichen Ungerechtigkeiten begonnen hat und durch sie aufrechterhalten wird. Doch sie ist auch in sich selbst ein selbständiges und unabhängiges Phänomen, das seine eigene innere Dynamik von Unordnung und Ungerechtigkeit hat. Diese Ungerechtigkeit ist unter zwei verschiedenen, aber notwendig miteinander verbundenen Aspekten zu sehen. Zum ersten Aspekt gehören die Personen und Familien ohne Wohnung oder ohne entsprechende Wohnung. Diese Personen und Familien sind in Anbetracht des Fehlens einer annehmbaren Wohnung, selbst wenn sie klein wäre, Opfer einer schweren Ungerechtigkeit. Tatsächlich ist es ihnen unter diesen Umständen unmöglich, als Personen und als Familie ein würdiges Leben zu führen. Und man muß hinzufügen, daß sie manchmal nicht einmal äußerst bescheiden leben bzw. existieren können. Die eingereichten Berichte erwähnen oft die Todesfälle von Obdachlosen infolge von Unbilden der Witterung, Kälte oder Hitze. Das Leben vieler großer Städte ist heute durch diese peinlichen Vorfälle gekennzeichnet, die nicht immer die ihnen gebührende Aufmerksamkeit finden. Unter einem anderen Aspekt jedoch kann die Ungerechtigkeit, deren Opfer die obdachlosen Personen oder Familien sind, auf eine zuweilen mangelhafte oder unwirksame soziale Organisation oder fehlenden politischen Willen zurückgeführt werden. Es muß also hier daran erinnert werden, daß es Pflicht des Staates ist, seinen Bürgern, und der Gesellschaft, ihren Mitgliedern jene Lebensbedingungen zu bieten, ohne die es unmöglich ist, sich als Personen oder Familien zu verwirklichen. Die Tatsache, daß in manchen Gegenden der Welt ein Großteil der Bevölkerung täglich auf der Straße lebt — Personen und Familien — dispensiert gewiß nicht von dieser Verpflichtung. Man kann ja nicht einwerfen, das Fehlen von Wohnungen gehöre zu einer bestimmten Art von Kultur. Wer die minimalsten Bedürfnisse des Einzelmenschen oder einer Familie nicht erfüllt^ kann nicht als Angehöriger einer echten Kultur betrachtet werden. In dieser Hinsicht ist das Recht auf Wohnung ein universales Recht. 3. Hier ist ferner an die alte Lehre der katholischen Kirche zu erinnern, die durch das II. Vatikanische Konzil verdeutlicht wurde, daß nämlich die Güter für alle bestimmt sind. Man kann dazu nachlesen: „Gott hat die Erde mit allem, was sie enthält, zum Nutzen aller Menschen und Völker bestimmt; darum müssen diese geschaffenen Güter in einem billigen Verhältnis allen zustat- 2242 ANHANG ten kommen; dabei hat die Gerechtigkeit die Führung. Hand in Hand geht mit ihr die Liebe“13. Daraus folgt klar, daß diese Güter, ohne die man unmöglich ein dieses Namens würdiges menschliches Leben führen kann, in angemessener Weise denen zur Verfügung zu stellen sind, die sie nicht besitzen. Im Lichte der Lehre der Kirche über die universale Bestimmung der Güter versteht man, daß das Eigentum eine besondere soziale Funktion hat und dem Recht auf gemeinsamen Gebrauch untergeordnet ist14. Wenn wir über diesen Grundsatz nachdenken, verstehen wir besser, daß die Wohnung ein erstrangiges soziales Gut darstellt und nicht einfach als ein Marktartikel angesehen werden darf. Jetzt ist zu prüfen, wie dieses Prinzip in der Praxis auf die Frage der Obdachlosen anzuwenden ist, um den Versuch zu machen, auf gewisse schwierige Situationen, die sich in verschiedenen Gegenden der Welt darbieten, zu antworten. Man kann leicht feststellen, daß in bestimmten Großstädten die Zahl der leerstehenden Wohnungen ausreichen würde, um den Großteil der Obdachlosen unterzubringen, wie zahlreich auch immer sie sein mögen. Es gibt auf der einen Seite Menschen ohne Obdach, und auf der anderen Seite Wohnungen ohne Bewohner! Angesichts einer solchen Lage sind die öffentlichen Autoritäten dafür verantwortlich, Normen aufzustellen, die eine gerechte Verteilung der Wohnungen regeln. Das will nicht besagen, der Staat dürfe sich das ausschließliche Monopol auf den Bau und die Verteilung von Wohnungen reservieren. Die Erfahrung in den Gebieten, wo diese Politik überwiegt, zeigt nämlich, daß auch dort schwere Wohnungsprobleme bestehen. Um noch konkretere Situationen zu berühren, so ist vor allem auf das Problem der Gebäudespekulation in seinen verschiedenen Formen hinzuweisen. Das Eigentum steht im Dienst der menschlichen Person, und jede spekulative Praxis, die den Gebrauch des Eigentums seiner Funktion im Dienst der menschlichen Person entfremdet, muß als Mißbrauch betrachtet werden. Zwei besondere Probleme verdienen noch eine kurze Überlegung. Man wird oft Zeuge eines Konflikts von Rechten oder legitimen Interessen, wenn es sich um alte Wohnungen handelt, die dringend restauriert werden müssen. Der Mieter leidet unter den Folgen der Verschlechterung des Gebäudes, während der Eigentümer, zumal wenn es ein kleiner Eigentümer ist, sein Eigentum nicht aufwerten kann. In diesem Fall ist eine Politik notwendig, die auch die Erneuerung der Gebäude vorsieht, um das Recht einer Partei zu fordern, ohne ungebührlichen Schaden für die andere hervorzurufen. In den großen Metropolen, vor allem in den Entwicklungsländern, trifft man ferner auf das schwere Problem jener, die vom Land zur Stadt gezogen sind 2243 ANHANG und sich auf öffentlichen oder privaten Grundstücken, die ihnen nicht gehören, mißbräuchlich Wohnungen gebaut haben. Es geschieht oft, daß diese Menschen zur Verzweiflung getrieben werden, weil sie keine andere noch so bescheidene Möglichkeit zum Unterkommen finden. Auch diese Situationen rufen dringend nach einer Lösung auf der Grundlage des Rechtes eines jeden auf eine würdige Wohnung. Gewiß wird das Problem nicht angemessen gelöst, wenn man die Menschen nur gewaltsam vertreibt öder ganze solche Viertel zerstört. Eine gerechte Lösung erfordert ferner, daß die Wurzeln jener inneren Wanderung ernsthaft untersucht werden. Endlich muß unsere Reflexion über die so komplexe Situation der Obdachlosen unbedingt das schwer belastende, leidvolle Problem der gerichtlichen Vertreibung aufgreifen. Rechtlich legitim, stellt der Rückgriff auf gerichtliche Ausweisung eine Reihe von ethischen Fragen, weil sie Menschen betrifft, die tatsächlich keine andere Wohnung haben. ■ Alles, was wir zu bestimmten schwierigen Situationen gesagt haben, läßt uns die Tatsache unterstreichen, daß jede Familie, um die ihr eigene Aufgabe erfüllen zu können, die Garantie einer gewissen Sicherheit braucht, auch was die Wohnung angeht. Zum Recht auf eine Unterkunft gehört auch ihre Sicherheit. Auf diesem Gebiet hängt der soziale Fortschritt von der Fähigkeit der Gesellschaft ab, kühne politische Maßnahmen der Wohnungspolitik und der örtlichen Planung unter großer Beteiligung der Gemeinschaft ins Werk zu setzen, ferner Maßnahmen und Programme, die der Bevölkerung ein günstiges Milieu für die erzieherische, gesundheitliche, kulturelle und religiöse Entfaltung eines jeden bieten. Schon öfter war von der Förderung einer möglichst breiten Beteiligung der verschiedenen Gruppen der Gesellschaft bei der Wöhnungspolitik die Rede. Die Erfahrung zeigt nämlich, daß zugleich mit der öffentlichen Autorität und zuweilen sogar eher als sie gewisse private und öffentliche Organisationen sich des fehlenden Wöhnraums annehmen und den einzelnen oder den Familien ohne Obdach helfen. In diesen Zusammenhang fügt sich auch das Wirken der Kirche ein. Als wichtiger Punkt ist hier zu betonen, daß das durch den Mangel an würdigen Wohnungen gestellte Problem nicht nur die Millionen von Personen betrifft, die dessen Opfer sind, auch nicht nur die Institutionen; es stellt sich auch jedem Mann und jeder Frau, die ein Haus besitzen, und die einen deutlicheren Begriff vom Umfang und der Tiefe des Dramas haben, in das die Obdachlosen verwickelt sind. Jeder von uns muß sich verpflichtet fühlen, direkt oder indirekt über die verschiedenen vorhandenen Institutionen das ihm Mögliche zu tun, damit auch die anderen in den Genuß des Guten kommen, das ihnen jetzt noch mangelt. 2244 ANHANG Das schließt gewiß nicht das Bemühen der Männer und Frauen selbst aus, die keine Wohnung haben. Ganz im Gegenteil! Sie müssen sich ja, gebührend durch eine entsprechende rechtliche Beratung aufgeklärt, zu notwendigen Verteidigern ihrer Rechte machen und ermuntert werden, Basisverbände zu bilden, deren Ziel die Beschaffung von Wohnungen ist. Im gleichen Sinn muß in der Gesellschaft das Bewußtsein von einer Tragödie wachgehalten werden, die wir allzuleicht übersehen. Quälend ist die Feststellung, daß das Fehlen von Wohnungen Personen und Familien an sehr heikle Grundlagen für ihren Lebensunterhalt gewöhnen kann. In diesem Zusammenhang darf man nicht die verschiedenen Gruppen von Personen vergessen, die, zuweilen vielleicht aufgrund einer langen Tradition des Nomadentums, es vorziehen, sich nicht in einer festen Behausung niederzulassen, sondern zu denen gehören, die sich in ihrem Leben ständig verändern. Diese Menschen haben das Recht auf ihren Lebensverhältnissen angepaßte Plätze, wo ihnen auch gewisse wichtige Dienste zur Verfügung stehen und die physische, intellektuelle, kulturelle und religiöse Entwicklung ihrer Kinder gesichert ist. Leider kommt es vor, daß diese Nichtseßhaften nicht immer von seiten der ansässigen Bevölkerung das Verständnis finden, auf das sie ein Recht haben; in bestimmten Fällen werden sie sogar zu Opfern von Aggressionen und Intoleranz. Es geht also darum, mit diesen umherziehenden Menschen Bande der Freundschaft und Solidarität zu knüpfen und ein größeres Verständnis für ihre Kultur und ihre besonderen Probleme aufzubauen. 4. Für jeden Christen und für die Kirche als Volk Gottes stellt sich die Wirklichkeit von obdachlosen Menschen und Familien als ein Aufruf än das Gewissen dar, Abhilfe zu schaffen. In jeder Person oder Familie, der ein grundlegendes Gut, vor allem eine Wohnung, fehlt, muß der Christ Christus selber erblicken, wie ihn uns die bekannten Worte im Matthäusevangelium zeigen: „Ich war hungrig, und ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos^ und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt, und ihr habt mir keine Kleidung gegeben“ {Mt 25,42 ff.). In den letzten beiden Gruppen steht die wirkliche Lage der Obdachlosen vor uns, und wir müssen durchaus in ihnen den Herrn selber erkennen. Als er nämlich in die Welt kam, „war in der Herberge kein Platz für ihn“ (Lk 2,7). Im gleichen Sinn stellt uns der Kontrast zwischen den beiden Hauptpersonen der Parabel im Lukasevangelium — dem Reichen, der „Tag für Tag herrlich und in Freuden lebte“, und „Lazarus, der vor der Tür des Reichen lag“ —, die Wirklichkeit des Gegensatzes zwischen dem, der eine Wohnung hat und dem, der keine hat, vor Augen. Wir kennen gut das Urteil, das die absolute Gleich- 2245 ANHANG gültigkeit des Reichen angesichts der dringenden Not des Lazarus verdiente: die Lage des einen wie des anderen kehrt sich in der anderen Welt um. Lazarus weilt „im Schoß Abrahams“, während der Reiche „gepeinigt wird“ von den Flammen, und beides endgültig. Der „Abgrund ist in der Tat unüber-schreitbar (vgl. Lk 16,19-31). Im übrigen wird in der Perspektive der Heiligen Schrift der Wert, den die Wohnung für jede Person und zumal für jede Familie hat, gut herausgestellt, ebenso das Drama, das mit dem Verlust dieses Gutes verbunden ist. Gewiß ist der Sinn von Wohnung und würdiger Wohnung heute nicht der gleiche wie zu anderen Zeiten. Andererseits verlor das Volk Israel nicht die Wüstenerfahrung aus seinem Gedächtnis, da man in Zelten wohnte. Aber selbst zu dieser Zeit bedeutete das Fehlen des Zeltes den sicheren Tod. Die Achtung vor dem Wert der Wohnung hinsichtlich der Familie, ihrer Intimität und ihrer Unverletzlichkeit zeigt sich unter anderem in der Verfügung des Gesetzes, das dem Kreditgeber untersagte, „die Wohnung des Schuldners zu betreten“, um die Bezahlung seiner Leihgabe zu erreichen. Er mußte draußen warten, und der Schuldner mußte sie ihm herausbringen (vgl. Dtn 24,10). Im gleichen Sinn heißt es weiter: „Wenn der Schuldner arm ist“, darf der Kreditgeber nicht seinen Mantel als Pfand „über Sonnenuntergang hinaus“ behalten (vgl. Dtn 24, 12 ff; Ex 22,25 ff.). Niemand durfte seiner wesentlichen Güter beraubt werden, auch nicht, um die Bezahlung einer Schuld zu garantieren. Der Verlust der Wohnung ist daher eins der größten Übel, die das Volk treffen konnten, wenn etwa Krieg auf ihren Feldern und in ihren Städten wütete (vgl. Klgl 2,2; 5,3; Jes 1,8; Jer 4,20 usw.). Die Überlebenden wurden aus dem Land ihrer Väter entwurzelt und ins Exil geschickt, wo sie keine Unterkunft fanden. Dagegen war, mit der Familie in der eigenen Wohnung weilen, ein Zeichen des Wohlergehens und des Friedens (vgl. Ps 128/127, 3; Job 29,4; Jer 29,5,28; 30,18 usw.). Die Überlieferung lehrt uns weiter, daß Gott selber wünschte, man möge ihm ein Haus bauen (vgl. Ps 122,1), in dem zu Wohnen er sich würdigen werde, so daß sein Name dort bleiben könne (vgl. Dtn 12,11 und öfter). Im Johannesevangelium heißt es, daß das fleischgewordene Wort unter uns „gewohnt“, d. h. Wohnung unter uns genommen hat (Joh 1,14). Unsere eigene Endbestimmung in der endgültigen Begegnung mit Gott nach dem Tode wird ausgedrückt durch das Wort Wohnung oder Bleibe; „Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen“ (Job 14,2). Man versteht damit klar, wie unsere vom Judentum überkommene christliche Überlieferung der Wohnung einen fundamentalen Wert zuschreibt, den wir alle heute anerkennen. Die direkte Beziehung zwischen Wohnung und Fami- 2246 ANHANG lie wird ebenfalls in der Charta der Familienrechte herausgestellt und ist desgleichen im Neuen Testament zu finden: tatsächlich bezeichnet der Ausdruck Haus oft die Familie (vgl. Lk 19,5-9; Apg 10,2; 1 Kor 16 usw.). So ist auch das Haus Gottes seine Familie, nämlich „die Kirche des lebendigen Gottes (1 Tim 3,15; Apg 3,6; 1 Petr 4,TI). • Es ist daher durchaus anzuerkennen, daß Wohnung einen Sinn hat, der über das rein Materielle hinausgeht. Sie steht in direkter Beziehung zu den der menschlichen Person eigenen Dimensionen, die zugleich sozial, gemütsmäßig, kulturell und religiös sind. In der christlichen Überlieferung finden das Haus und das christliche Heim ihre Wurzel immer im Sakrament der Ehe. Es ist wie ein Tempel, in dem die Familie als „Hauskirche“15 ihr tägliches Leben führt. Im Geflecht der verschiedenen Tätigkeiten und Beziehungen, die die Familie kennzeichnen, bildet der Gott erwiesene Kult den Gipfelpunkt, weil Gott der Existenz der menschlichen Kreatur einen Sinn und ihren vollen Reichtum schenkt. Im Licht dieser christlichen Sicht kann man besser die tiefe Ungerechtigkeit verstehen, die jene erleiden, die keine Wohnung oder nur eine unwürdige besitzen. Es ist traurig, feststellen zu müssen, daß „weite Bereiche der Menschheit in größter Armut leben, wo das wahllose Zusammenleben der Geschlechter, die Wohnungsnot, die Unordnung und mangelnde Festigkeit in den Beziehungen zueinander sowie das Fehlen jeglicher Kultur es praktisch unmöglich machen, von einer wahren Familie zu reden“16. Ebenso ist zu betonen, daß Unrecht geschieht, wenn bei der Städteplanung Flächen und Mittel zum Bau von Kultstätten, an denen die religiösen Gruppen sich versammeln können, um Gott zu loben und zu preisen und ihm Dank zu sagen, ausgeschlossen werden, so, als ob es sich um etwas Überflüssiges handle. IV Das Zeugnis der Kirche und ihr Wirken 1. Die Sorge der Kirche um die Wohnungen und ihr Bestehen darauf, daß allen eine würdige Wohnung zur Verfügung stehen soll, ergeben sich aus drei Überlegungen: — die Wichtigkeit einer würdigen Wohnung, damit die Person des Menschen sich als Individuum und als Mitglied einer Familie und der Gesellschaft verwirklichen kann; — das Zeugnis, das die Kirche geben will, wenn sie beim Suchen nach einer Lösung für die Probleme der Armen mitarbeitet, ist ein Zeichen der Präsenz des Gottesreiches des Heiles und der Befreiung; 2247 ANHANG — die Sendung der Kirche besteht auch darin, der Humanisierung der Gesellschaft zu dienen. In diesem Sinn ist ihre Geste, die darin besteht; für jene eine Wohnung zu beschaffen, die keine haben, ein konkreter Ausdruck nicht nur einer banalen Hilfe, sondern der Botschaft des Evangeliums und der Werke der Barmherzigkeit als Werke des christlichen Glaubens17. Deswegen „muß die wachsende Bedeutung hervorgehoben werden, die in der heutigen Gesellschaft der Gastfreundschaft in allen ihren Formen zukommt, vom Öffnen der Tür des eigenen Hauses und noch mehr des eigenen Herzens für die Anliegen der Mitmenschen bis hin zum konkreten Einsatz, jeder Familie das eigene Heim zu sichern als naturgegebenen Ort für ihr Bestehen und Wachsen“18. Solche Akte nehmen im Leben und Zeugnis der Ortskirchen kräftig zu. Papst Paul VI. wollte selber zum Initiator einer Initiative werden, die einigen Familien aus einem Barackenviertel in Rom eine Wohnung verschafft hat19. Gerade weil sie ferner die Sendung erhalten hat, die Frohbotschaft allen Menschen zu verkünden und sie zum Heil zu führen, wacht die Kirche wie eine Mutter über ihre Kinder und verteidigt unablässig ihre Rechte als Einzelne und im sozialen Gefüge, und sie folgt darin dem Beispiel Christi20. Sie ist sich wohlbewußt, daß das Fehlen würdiger Wohnungen die Würde und die Rechte der Ärmsten aufs Spiel setzt. Daher ist eines der grundlegenden Kriterien, um zu beurteilen, ob politische und wirtschaftliche Entscheidungen gerecht oder ungerecht sind, ihre tatsächliche Auswirkung auf die Randexistenzen der Gesellschaft. Tatsächlich bleibt das wirksame Vorgehen in den verschiedenen Armutssituationen ein wirklicher Test für die Weise, wie die Verantwortlichen einer Gesellschaft ihre Gerechtigkeitspflichten wahrnehmen. Die Schaffung von Organisationen, die dieses wirtschaftliche, soziale und kulturelle Recht schützen sollen, wecken in der Kirche ebenso wie die allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen tiefe Dankbarkeit und rufen sie zu Solidarität und ständiger Unterstützung auf. 2. In vielen armen Ländern bildet die Zahl der Obdachlosen ein Problem von enormen Ausmaßen. Die Anstrengungen der Ortskirchen, jenen eine würdige Wohnung zu verschaffen, die keine haben, auch wenn es sich um eine begrenzte Zahl handelt, gehen weit über eine bloße materielle Geste hinaus. Durch ihr Wirken will die Kirche die Würde der Personen fördern und zugleich die Festigkeit der Familie, ihre Intimität, die Kindererziehung, ohne die Mindestansprüche an Gesundheit und Hygiene zu vergessen, die für die normale Entfaltung ihrer Tätigkeiten unerläßlich sind. Man bemüht sich ferner, jenen, die aus der christlichen Caritas und der menschlichen Solidarität Nutzen ziehen, deren Wert klarzumachen. 2248 ANHANG So können sie dann in ihrem Leben die Erfahrung des Geheimnisses der Liebe und Barmherzigkeit machen, das in der Ankündigung der von Gott in Christus den Menschen gebrachten Befreiung offenbart wurde. Überblickt man das Wirken der kirchlichen Organisationen und Institutionen zugunsten der Obdachlosen, so ist es tröstlich, nicht nur den Umfang der durchgeführten und der geplanten Werke, sondern auch die Erziehung zum Geist der Solidarität und Verantwortung festzustellen, der sich unter den Armen selbst verbreitet. 3. Die Analyse der Wohnungsbauprogramme zeigt, daß das Problem von den Ortskirchen auf drei Fronten aufgegriffen wird: — materielle Hilfe, um den obdachlosen Familien ein Dach zu verschaffen; — Erziehung und Förderung der Gemeinschaft; — Dialog mit den Autoritäten, um gesetzgeberische Maßnahmen und eine Wohnungspolitik zu erreichen, die für die Armen günstig sind. An erster Stelle wird die materielle Hilfe in Wohnungsbauprogrammen durchgeführt: Bau von Häusern für die Familien; Zufluchtsorte und Aufnahmezentren für Gruppen in Notfällen; Zentren zum Schutz der Jugend und Heime für die Älteren usw. In zahlreichen Fällen verdoppeln sich diese Programme durch die Infrastrukturen für die Beschaffung und Lagerung von Lebensmitteln, für Krankenstationen, die Herleitung von Trinkwasser, die Bereitstellung von Transportdiensten, Schulen, kulturellen und Erholungszentren für die Gemeinschaft. Zweitens hat eine besondere Wichtigkeit bei den Wohnungsprogrammen das erzieherische Bemühen, die Förderung und Entwicklung der Personen, der Familien und der Gemeinschaften. So gehen die Gesten des Dienstes weit hinaus über bloße materielle Hilfe; man versucht z. B. die örtlichen Techniken der Zubereitung von Baumaterial am Ort zu entwickeln und die Arbeit der Familien mit einzuspannen. Die Beteiligung der ganzen Gemeinschaft wird durch Systeme gegenseitiger Hilfe und kollektive Arbeit ermuntert. Man fördert so zugleich die Organisation der Gemeinschaft, und man bildet Personen weiter, indem man ihnen die Möglichkeit bietet, sich schneller und dynamischer nach christlichen Grundsätzen in den sozialen Prozeß einzugliedern. Auf diese Weise zielt das Wirken der Ortskirchen ebenso die Entwicklung und soziale Integration der Randexistenzen ohne Wohnung an. Wenn man diesen sozial-erzieherischen Prozeß mit der Gemeinschaft selbst bespricht, kann man die positiven Ergebnisse feststellen, die zur Bekräftigung der Persönlichkeit und des Bewußtseins von der Würde des einzelnen und der Familie beitragen. Ebenso stellt man eine Verstärkung der Familienbande in dem Maß fest, wie sich auch die Wertschätzung und Achtung der 2249 ANHANG Frau verstärkt. So wächst und kräftigt sich also eine echte Gemeinschaft, während sich andere sozio-ökonömische Projekte entwickeln, die ihr Stabilität und Wachstum garantieren. ■ Die Bemühungen der Ortskirchen in der Dritten Welt haben die Unterstützung und Solidarität der kirchlichen Gemeinschaften in den industrialisierten Ländern Europas und Nordamerikas gefunden. Es gibt heute zahlreiche Wohnungsbeschaffungsprogramme, die dank der Großzügigkeit dieser Gemeinschaften von Christen vorbereitet und entwickelt wurden. Die erhaltenen Berichte erwähnen konkrete Projekte in Asien, Afrika und Lateinamerika, Programme, die finanziert und koordiniert werden von Organisationen, die in der Caritas Internationalis zusammengeschlossen sind, aber auch durch andere Hilfsorganisationen. Drittens arbeiten die Ortskirchen über die materielle Hilfe, das erzieherische Bemühen und die Förderungsmaßnahmen hinaus für die Behebung des Wohnungsmangels wirksam zusammen mit den betreffenden Autoritäten, sprechen mit ihnen und regen entsprechendes Handeln von ihrer Seite an. Die Kirche verlangt ja nachdrücklich, daß politische und wirtschaftliche Maßnahmen ergriffen werden, um jenen eine Wohnung zu verschaffen, die keine haben, und sie bietet dabei ihre volle Unterstützung an. Sie billigt die Programme zur Wohnungsbeschaffung zu bescheidenen Preisen und günstigen Zahlungsbedingungen. Sie ermutigt die Bildung von Fonds, die Darlehen zu geringen Zinsen gestatten und langfristige Zurückzahlung vorsehen. Mit der erforderlichen technischen Hilfe fördert sie Programme, die Grundstücke anbieten und Infrastrukturen aufbauen, damit die Familien dort ihre Wohnungen errichten können. 4. Das Wirken der Kirche umfaßt ferner die Zusammenarbeit mit anderen Initiativen öffentlicher und privater Institutionen sowie die Unterstützung solcher Initiativen; zu nennen wären Wohnungsprogramme, hinter denen Gewerkschaften stehen, Genossenschaften, Solidaritätsgemeinschaften und private Unternehmen. Sie ermutigt ferner die Universitäten und Schulen für Ingenieurwesen und Architektur, die sich für Entwicklungsprojekte der Gemeinschaft engagieren und dabei am Ort gewonnenes dauerhaftes Baumaterial einsetzen, ferner Techniken zu mäßigem Preis. 5. Über dieses umfangreiche Zeugnis der Ortskirchen hinaus, das zuweilen aus ideologischen oder politischen Gründen eingeschränkt oder behindert wird, ist das Engagement aller lebendigen Kräfte der Gesellschaft absolut notwendig, wenn eine definitive und radikale Lösung der Wohnungskrise erreicht werden soll. Die Ursachen des Problems haben ihre Wurzeln in der Ar- 2250 ANHANG mut, die ihrerseits wieder von der Dialektik zwischen Entwicklung und Unterentwicklung abhängt und dem wirklich skandalösen Abstand zwischen reichen und armen Ländern. Man muß also auf politische und wirtschaftliche Optionen und Maßnahmen hinarbeiten, die die Grundlagen des Problems positiv ändern. Abschluß Jede Nation und die gesamte Gemeinschaft der Nationen sieht sich sozusagen einer Herausforderung der Menschlichkeit gegenübergestellt, nämlich: eine Gesellschaft aufzubauen, in der es niemandem unmöglich ist, die Befriedigung seiner wesentlichen Bedürfnisse für ein Leben in Würde zu finden; in der niemand eine entsprechende Wohnung als Hauptfaktor des menschlichen Fortschritts entbehren muß. Je niederdrückender die Landschaft der Armut ist, desto mehr sind jene verantwortlich, die sich im Besitz der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsmacht befinden. Die ärmsten Länder und sozialen Gruppen hoffen auf eine Lösung für die schwierige Lage der Obdachlosen in universaler Solidarität, auf die sie ein Recht haben. Die Armen und die an den Rand Gedrängten erwarten konkrete Antworten, angefangen bei einer Änderung der Haltung gewisser Kreise der Gesellschaft, die sich gleichgültig, um nicht zu sagen feindlich verhalten. Sie erwarten dringend eine mutige Sozialpolitik, die in konkreten Programmen der Beschaffung von Wohnungen zu bescheidenen Preisen und zu günstigen Zahlungsbedingungen sichtbar wird, ferner im leichten Zugang zu den technischen Mitteln und den notwendigen rechtlichen Hilfen. Sie hoffen darauf, sich normal in die Gesellschaft einfügen zu können und alle ihre Rechte anerkannt zu sehen. Sie hoffen ebenfalls auf einen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Wandel, da das Problem der Obdachlosen wie die Wohnungskrise nur die Folge einer tieferen Ursache sind, die es notwendig zu beseitigen gilt. Das Engagement der Kirche zugunsten der Obdachlosen ist ein humanitäres Engagement, das zugleich im Sinn des Evangeliums liegt, ferner Ausdruck einer bevorzugten Liebe zu den Armen. Die Kirche wollte zugleich eine Hilfe anbieten für die Ziele und Programme der Vereinten Nationen im internationalen Jahr der Obdachlosen. Die Präsenz der Kirche und ihr karitatives Wirken sind immer ein Zeichen der Solidarität, des Heiles und der Befreiung, eine Vorwegnahme des Reiches Gottes unter uns. 27. Dezember 1987, Fest der Hl. Familie Kard. Roger Etchegaray, Präsident Bischof Jorge Mej fa, Vizepräsident ANHANG Anhang Die von der Päpstlichen Kommission „Iustitia et Pax“ veranstaltete Umfrage wurde an alle Bischofskonferenzen und durch die Vermittlung der päpstlichen Vertreter an die katholischen orientalischen Kirchen gerichtet. Antworten trafen aus folgenden Ländern und Diözesen ein: Afrika Ägypten, Angola, Äthiopien, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Ghana, Kap Verde, Kenya, Madagaskar, Marokko, Niger, Rwanda, Sao Tome und Principe, Südafrika, Tanzania, Tschad, Zambia. Amerika Argentinien, Barbados, Belize, Chile, Costa Rica, Cuba, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Guatemala, Mexico, Panama, Puerto Rico, Sainte-Lucie, Trinidad und Tobago, Uruguay, Venezuela. Ferner traf durch die Apostolische Delegatur auf den Antillen eine Antwort aus der Diözese Willemstad (Curagao) ein. Asien Bangladesh, China (Taiwan und Hongkong), Japan, Korea, Malaysia, Pakistan, Philippinen, Sri Lanka, Thailand, Türkei. Ferner trafen durch die Apostolische Delegatur in Jerusalem Antworten ein aus: dem syrischen Patriarchalvikariat von Antiochien, dem Generalvikariat der maronitischen Erzdiözese in Israel, dem griechisch-katholischen Patriarchat und der griechisch-melchitischen Erzdiözese in Jordanien. Europa Belgien, Dänemark, Finnland, Großbritannien, Irland, Jugoslawien, Malta, Niederlande, Österreich, Schweden, Schweiz, Spanien. Ozeanien Australien und Neuseeland Durch Vermittlung der Apostolischen Delegatur für den Pazifischen Ozean haben geantwortet: die Erzdiözese von Samoa-Apia und Tokelau; die Diözesen von Chalan Kanoa, Samoa-Pago Pago und Tonga. 2252 ANHANG Anmerkungen 1 Entschließung 10/1: ,,Wehstrategie zur Wohnungsbeschaffung bis zum Jahr 2000“ der 10. Sitzung der Kommission für die Unterbringung von Menschen, Nairobi (Kenya) vom 6.—16. April 1987 2 Bericht zur Wohnungslage: Konferenz der Vereinten Nationen über die Unterbringung von Menschen, Vancouver, 31. Mai bis 11. Juni 1976. Bericht des Exekutivdirektors der Kommission für die Unterbringung von Menschen; „Woh-nungsbeschaffung und Dienst an den Armen. Ein Aufruf zum Handeln", Nairobi, 6.-16. April 1987. S. V. Sehturaman, „Basic needs and the Infornuü Sector: the Case of Low-Income Housing in Developing countries" BIT, Genf 1986. Inter Caritas „Internationales Jahr der Wohnungsbeschaffung flir Obdachlose (1987) Nr. 1/86, Ergänzungsheft, Vatikanstadt. 3 Beide Gruppen können unter dem Ausdruck „Obdachlose zusammengefaßt werden, den die Vereinten Nationen verwenden. 4 Favelas, Tugurios, Elendsviertel, Baracken, Shanty-towns, Callampas, Chabolas, Bidonvil-les, Slums, neue Viertel usw. 5 vgl. Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 69. 6 Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens, Nr. 8-12. 7 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio, Nr. 6. 8 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 25,1; Internationale Abmachung zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten, Art. 11,1; Internationale Konvention über die Beseitigung aller Formen der Rassendiskriminierung, 5. III; Konvention über das Flüchtlingsstatut, Art. 21; Konvention zum Statut für die Staatenlosen, Art. 21; Charta der Familienrechte, Art. 11. 9 Erklärung der UNO, Art. 25,1. 10 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio, Nr. 46. 11 Ebd. 12 Charta der Familienrechte. An. 11. 13 Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 69. 14 Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Laborem e.xercens, Nr. 14. 15 Vgl. Dogmatische Konstitution Lumen gentium, Nr. 11. 16 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio, Nr. 85. 17 Vgl. Mt 5,1-6, 13-14; 25,35-40; Lk 4,18 ff. 18 Apostol. Schreiben Fatniliaris consortio, Nr.44. 19 Vgl. Insegnamenti di Paolo VI, XI, 1973 (31. Juli), S. 556-57. 20 Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1953: Johannes XXIII. Pacein in terris, Nr. 4; Gaudium et spes, Nr. 26, 67b; Johannes Paul II, Besuch in der „Favela Vidigal, Riode Janeiro, Brasilien. 2. Juli 1980; Charta der Familienrechte, Art. 11. 2253 ANHANG Die Organe der römischen Kurie Stand: Dezember 1987 Johannes Paul II., Bischof von Rom, Statthalter Jesu Christi, Nachfolger des Apostelfürsten, Oberhaupt der Allgemeinen Kirche, Patriarch des Abendlandes, Primas von Italien, Erzbischof und Metropolit der Kirchenprovinz Rom, Souverän des Staates der Vatikanstadt, Diener der Diener Gottes, Karol Woj-tyla Heiliges Kollegium der Kardinäle — Dekan: — Sekretär: — Substitut: — Schatzmeister: Kardinal Agnelo Rossi Erzbischof Lucas Moreira Neves OP Msgr. Pier Luigi Mazzoni Comm. Luigi Righi Schwammer Staatssekretariat — Staatssekretär: — Substitut: — Assessoren: Kardinal Agostino Casaroli Erzbischof Eduardo Martinez Somalo Msgr. Oscar Rizzato Msgr. Crescenzio Sepe Die Tätigkeit umfaßt u. a. folgende Aufgaben: Chiffre, Briefe und Apostolische Breven, Beziehungen zu den Dikasterien, Beziehungen zu den beim Hl. Stuhl akkreditierten Vertretungen der Länder und zu den Vertretungen des Hl. Stuhls im Ausland, Korrespondenz, internationale Einrichtungen, Information und Dokumentation, Auszeichnungen und Zeremoniell, Personalfragen, Verwaltung, allgemeine Dienste. Angegliedert ist das Zentralamt für kirchliche Statistik. Rat für die Öffentlichen Angelegenheiten der Kirche — Präfekt: Kardinal Agostino Casaroli — Sekretär: Erzbischof Achille Silvestrini — Untersekretär: Msgr. Audrys Juozas Backis Die Tätigkeit gilt u. a. den Beziehungen zwischen Staat und Kirche. 2254 ANHANG Kongregationen Kongregation für die Glaubenslehre — Präfekt: Kardinal Joseph Ratzinger — Sekretär: Erzbischof Alberto Bovone — Untersekretär: Msgr. Jozef Zlatnansky Der Glaubenskongregation angeschlossen sind: — die Internationale Theologische Kommission — die Bibelkommission Kongregation für die Bischöfe — Präfekt: Kardinal Bernardin Gantin — Sekretär: Erzbischof Giovanni Battista Re — Untersekretär: Msgr. Marcello Costalunga Der Kongregation für die Bischöfe angeschlossen sind: — die Päpstliche Kommission für Lateinamerika — die Päpstliche Kommission für die Seelsorge am Menschen unterwegs Kongregation für die Orientalischen Kirchen — Präfekt: — Sekretär: — Untersekretär: Kongregation für die Sakramente — Präfekt: — Sekretär: — Untersekretär: Kardinal Simon D. Lourdusamy Erzbischof Miroslav Stefan Marusyn Msgr. Mario Rizzi Kardinal Augustin Mayer OSB Erzbischof Lajos Kada Msgr. Raffaele Melli Kongregation für den Gottesdienst — Präfekt: Kardinal Augustin Mayer ÖSB — Sekretär: Erzbischof Virgilio Noe — Untersekretär: Rev. Pedro Tena Garriga 2255 ANHANG Kongregation für den Klerus — Präfekt: — Sekretär: — Untersekretär: Kongregation fiir die Ordensleute — Präfekt: — Sekretär: — Untersekretär: — Beigeordneter Untersekretär für die Ordensleute: — Untersekretär für die Säkularinstitute: Kardinal Antonio Innocenti Erzbischof Gilberto Agustoni Msgr. Milan Simcic und Säkularinistitute Kardinal J. Jeröme Hammer OP Erzbischof Vincenzo Fagiolo Msgr. Joseph Galante < P. Jesus Torres Llorente CMF Msgr. Mario Albertini Kongregation für die Glaubensverbreitung — Präfekt: Kardinal Jozef Tomko — Sekretär: Erzbischof Jose T. Sanchez — Untersekretär: P. Charles Schleck GSC Innerhalb dieser Kongregation bestehen verschiedene Kommissionen und Räte fiir Spezialfragen. Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse — Präfekt: Kardinal Pietro Palazzini — Sekretär: Erzbischof Traian Crisan — Untersekretär: Msgr. Fabijan Veraja Kongregation für das katholische Bildungswesen — Präfekt: — Sekretär: — Untersekretär: Kardinal William Wakefield Baum Erzbischof Antonio M. Javierre Ortas SDB Msgr. Francesco Marchisano Gerichtshöfe Apostolische Pönitentiarie Kardinal Luigi Dadaglio Msgr. Luigi De Magistris — Großpönitentiar: — Regens: 2256 ANHANG Oberstes Tribunal der Apostolischen Signatur — Präfekt: Kardinal Aurelio Sabattani — Sekretär: Bischof Zenon Grocholewski Sacra Romana Rota — Dekan: Msgr. Ernesto Fiore Sekretariate Sekretariat für die Einheit der Christen — Präsident: — Sekretär: — Untersekretär: Sekretariat für die Nichtchristen — Präsident: — Sekretär: — Untersekretär: Kardinal Johannes Willebrands P. Pierre Duprey PB Msgr. Francesco Eleuterio Fortino Kardinal Francis Arinze P. Michael Louis Fitzgerald PA Rev. John B. Shirieda Masayuki SDB Sekretariat für die Nichtglaubenden — Präsident: Kardinal Paul Poupard — Sekretär: P. Jordan Gailego Salvadores OP — Untersekretär: P. Franc Rode CM Räte, Kommissionen und Komitees Päpstlicher Rat für die Laien — Präsident: Kardinal Eudardo Pironio — Vizepräsident: Bischof Paul Josef Cordes — Untersekretär: Msgr. Peter Coughlan Päpstliche Kommission ,,Justitia et Pax“ — Präsident: Kardinal Roger Etchegaray — Vizepräsident: Bischof Jorge Mejia — Untersekretär: Msgr. Diarmuid Martin 2257 ANHANG Päpstliche Kommission für die authentische Interpretation des Kirchenrechts — Präsident: Kardinal Rosalio Jose Castillo Lara SDB — Sekretär: Msgr. Julian Herranz — Untersekretär: Msgr. Mariano De Nicolö Päpstliche Kommission für die Revision des Orientalischen Kirchenrechts — Vizepräsident: Bischof Emilio Eid — Sekretär: P. Ivan Zuzek SJ Päpstliche Kommission für die Instrumente der sozialen Kommunikation — Präsident: Erzbischof John P. Foley — Sekretär: Msgr. Pierfranco Pastore — Untersekretär: P. Karlheinz Hoffmann SJ Pressesaal des Hl. Stuhls — Direktor: — Vizedirektor: Dr. Joaqufn Navarro-Valls Rev. Giovanni D’Ercole FDP Päpstliche Kommission für Lateinamerika — Präsident: Kardinal Bernardin Gantin — Sekretär: Msgr. Michele Büro Päpstliche Kommission für die Seelsorge am Menschen unterwegs — Präsident: Kardinal Bernardin Gantin — Pro-Präsident: Erzbischof Giovanni Cheli — Sekretär: P. Giulivo Tessarolo CS — Untersekretär: Msgr. Peter Paul Prabhu Päpstliche Kommission für das Krankenapostolat — Präsident: — Pro-Präsident: — Sekretär: — Untersekretär: Kardinal Eduardo Pironio Erzbischof Fiorenzo Angelini P. Jose Luis Redrado Marchite FBF P. Felice Ruffini MI 2258 ANHANG Päpstlicher Rat „Cor Unum“ — Präsident: — Vizepräsident: — Sekretär: — Untersekretär: Kardinal Roger Etchegaray Bischof Alois Wagner P. Roger Du Noyer MEP R.ev. Ivan Marin Lopez Päpstlicher Rat flir die Familie — Präsident: — Vizepräsident — Präsidentenkomitee: Kardinal Edouard Gagnon PSS Bischof Jean-Frangois Arrighi Kardinal Simon D. Lourdusamy Erzbischof Raymond-Marie Tchidimbo CSSp Bischof Kazimierz Majdanski Bischof J. Thomas Welsh Bischof Paul J. Cordes — Untersekretär: Bischof Jean-Francois Arrighi Rev. Francisco GIL Hellin Päpstlicher Rat flir die Kultur — Präsidentenkomitee: Kardinal Gabriel-Marie Garonne — Exekutivkomitee: (Präsident) Kardinal Eugenio de Araujo Sales Kardinal Paul Poupard Kardinal Paul Poupard (Präsident) Erzbischof Achille Silvestrini (Berater) Erzbischof Antonio M. Javierre Ortas — Sekretär: — Untersekretär: SDB (Berater) Rev. P. Herve Carrier SJ Rev. Raffaele Farina SDB Ämter Apostolische Kammer — Camerlengo der Hl. Römischen Kirche: — Vize-Camerlengo: Kardinal Sebastiano Baggio Erzbischof Ettore Cunial 2259 ANHANG Präfektur für die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Hl. Stuhls — Präsident: . Kardinal Giuseppe Caprio — Sekretär: Msgr. Luigi Sposito Verwaltung der Güter des Apostolischen Stuhls — Präsident: Kardinal Agnelo Rossi — Sekretär: Erzbischof Lorenzo Antonetti Präfektur des Päpstlichen Hauses — Präfekt: Amt für Päpstliche Zeremonien — Päpstlicher Zeremoniar: Cappella Sistina — Leiter: Bischof Dino Monduzzi Msgr. Piero Marini Msgr. Domencio Bartolucci Vatikanische Femsehsendeanlage — Präsident: — Vizepräsident: — Generalsekretär: Erzbischof John P. Foley Msgr. Crescenzio Sepe Dr. Fiorenzo Tagliabue Radio Vatikan — Präsident: P. Roberto Tucci SJ — Generaldirektor: P. Pasquale Borgomeo SJ L’Osservatore Romano — Direktor: — Sekretär der Redaktion: — Wochenausgaben: In Deutsch: In Englisch: In Französisch: Prof. Mario Agnes Dr. Angelo Scelzo Dr. Karlheinz Schuh P. Lambert Greenan OP Alain Galichon 2260 ANHANG In Portugiesisch: In Spanisch: und eine monatliche Ausgabe in Polnisch: Msgr. Expedito Marcondes P. Cipriano Calderon P. Adam Boniecki MIC Zentralamt für kirchliche Statistik (angeschlossen an Staatssekretariat) — Beauftragter: Msgr. Pietro Silvi Dombauhütte von St. Peter — Präsident: — Delegat: Kardinal Aurelio Sabattani Erzbischof Lino Zanini Vatikanische Apostolische Bibliothek — Bibliothekar: Kardinal Alfons Stickler SDB — Präfekt: P. Leonard E. Boyle OP Vatikanisches Geheimarchiv — Archivar: — Präfekt: — Vizepräfekt: Kardinal Alfons Stickler SDB P. Joseph Metzler OMI Msgr. Terzo Natalini Unter den Ämtern werden u. a. weiter aufgeführt: die Schweizergarde, das Unterstützungswerk des Papstes und das Archiv des Zweiten Vatikanums. 2261 Wortregister Abba - Vater 104, 106, 138-141, 143, 516, 541, 728, 1099, 1346 Abfallbeseitigung 1683 Ablaß 2157 Ablaßgewährung 2158 Abrüstung 1144, 1175 — des Geistes 1489 Abrüstungsverhandlungen 1175 Abtreibung(en) 414, 440, 507, 612, 631, 1022, 1069, 1135, 1483, 1813, 1912, 1985, 2057, 2076f., 2080, 2088 — bewußte Tötung 631 — Freigabe der 630 — Legalisierung der 1460, 2094f. — und Tötung des Kindes 2075 — vorsätzliche 2082 Abtreibungspraxis 107 Abtreibungssituation 631 Adam 588, 1294, 1362 — erster 164, 176, 421 — letzter 176 — neuer 164 Adoptivkindschaft — Gottes 541 Agnostiker 1926 AIDS 107, 1023, 1100, 2219 Aktion — und Kontemplation 395f. Alkohol 840 — und Drogenmißbrauch 934 Alkoholismus 835 Allgemeinwohl 501, 509, 1048, 1105, 1372, 1510 Allmacht — Gottes 26, 437, 827 — Offenbarung der göttlichen 273 Alphabetisierung 1838 Alter Bund 30, 122, 537, 1357 — Anfang des 1283 — Monotheismus des 188 Altes Testament 994 — Prophezeihungen des 33 Amt (Ämter) 1599, 2171, 2192f., 2199-2201, 2209f., 2225 — Charisma des 2204 — der Sündenvergebung 220 — des Königs 40 — des Stuhles Petri 1062 — dreifaches A. Christi 56, 1386 — gegenseitige Anerkennung der ordinierten 2204 — geschichtliche Entwicklung des 2195 — königliches 56 — Laien haben Anteil am priesterlichen 55 — ordiniertes 2194, 2196-2198, 2205f. — priesterliches 56 — prophetisches 56, 101, 1247 Amtspriestertum 816, 1386 — Weihe zum 551 Amtsverständnis 940 Analogie — natürlicher Erkenntnis 1612 Analphabetismus 1801 Anbaumethoden — landwirtschaftliche 1682 Anbetung 1433 2263 Anglikaner 17f., 21f. Anthropologie 13, 1685, 1741, 1926 — christliche 1217f., 1607 — ganzheitliche 1405 — materialistische 892f. Antinomie 1816 — zwischen Wissenschaft und Religion 769 Antisemitismus 627, 926f., 1057 Apartheid 1406, 2043 Apostel 165 — Glaubensbekenntnis der 59 Apostelpredigt 253 Apostolat(s) 36 — der Hirten 191 — der Laien 191, 580f., 583, 821, 1379 — Initiativen des 224 — Organisationen des 185 — Recht und Pflicht zum 1385 — und Firmung 1385 — Wille zum 1396 Apostolizität — der Kirche 2201 Arbeit 64, 303, 305, 308-310, 400, 451, 466, 494f., 555-557, 559, 573f., 647-649, 698, 715f., 731, 734, 736, 757, 814, 846-848, 872, 1139, 1149f., 1381, 1407, 1586, .1708, 2238 — Aufwertung menschlicher 1805 — Befreiungstheologie der 493 — Berufung des Menschen 495, 1819 — der Frau(en) 452, 873 — ethischer Charakter der 1969 — Evangelium der 210f., 308, 400, 450, 560, 876 — gerecht entlohnte 413, 847 — gerechte Verteilung menschlicher 649 — ist ein Wert 1091 — Jesus als Arbeiter 308 — Kapital und 650 — Kultur der 413,450,453 — landwirtschaftliche 790 — Mangel an 735 — Mensch hat Vorrang vor 1203 — Mensch Subjekt der 1969 — menschliche 318 — neue Versklavung der 310 — Qualität einer 1708 — Quellen der 1805 — Recht auf 558, 1190 — Sinn der 811, 813 — Spiritualität der 210, 1969 — Subjekt der 1202 — Suche nach 543 — von Gott aufgetragene Pflicht 312 — Vorrang vor Kapital 650 — Wert der 1916 — Würde der 307, 309, 450, 453, 560, 813, 849, 873 — Zivilisation der 451 Arbeiter(s) — Rechte des 309 — Umschulung des 310 Arbeiterbewegungen 1407 Arbeiteifrage 1202 Arbeiterselbstverwaltung 847 Arbeitgeber(n) — soziale Partnerschaft von A. und Arbeitnehmern 650 Arbeitnehmerin) — ausländische 649 — soziale Partnerschaft von Arbeitgebern und 650 Arbeitnehmerverbände 651 Arbeitsbedingungen 873 Arbeitsbeschaffung 412 Arbeitsemigration 496 Arbeitslöhne 452 2264 Arbeitslose 2025 Arbeitslosigkeit 211, 307, 412, 452, 556, 649, 720, 733, 736, 1204f., 1267, 1340, 1397, 1407, 1494, 1708, 1804, 1916, 1932, 1953, 1964, 2131, 2233, 2238 Arbeitsorganisationen 557f. Arbeitspolitik — und — planung 211 Arbeitsteilung — internationale 1837 argumentum non apparentium — Erfahrung von Dingen, die man nicht sieht 239 Arme(n) — Liebe für die 475, 500 — Option für die 348 Armut 363, 409-411, 431, 440, 1141, 1215, 1800, 2237f., 2240f., 2250f. — des Geistes 500 — Haltung der 393 — ungerechte 368 Arzt — Patient und 1232 Aszese — christliche 1395 Atheismus 854, 888, 1041, 1089, 1877f., 2005 Atomkrieg 1494 Atomwaffen 1807f., 1811 Auferstehung 4, 449, 638 — Christi 709 — Tod und 151 — Wunder der 255 Aufrüstung 431 Ausbeutung 1488, 1801 — der Naturschätze 1266 Ausbildung 1410-1412 Ausländer 649 Auslandsschulden 1174, 2131 Auslandsverschuldung 409, 471, 490, 2233 Auswanderung 546 Auswanderungserscheinungen — Bedeutung der Familie für 258 . Automatisierung 1204, 1642 Autorität — der Kirche All — der Tradition 2194 — in der Kirche 2173, 2196 — internationaler Institutionen 1146 — ordiniertes Amt und 2198 Ave Maria 459, 1282 Barmherzigkeit 558 — Gottes 215, 1395, 1602 — Werke der 213,2248 • Basisgemeinde (n) — kirchliche 361 Basisgemeinschaft (en) — kirchliche 366f., 1402 Basisgruppen 366 Bedrohung — nukleare 1243 Beelzebub 254 Befreiung 1840 — christlicher Sinn von Freiheit und 1308 — des Menschen 338 — gesellschaftlich-wirtschaftliche 409 2265 — integrale 1374 — vom Bösen 13 — von der Sünde 508 — wahre 475 — Weg christlicher 419 Befreiungstheologie — der Arbeit 493 Befruchtung — heterologe künstliche 2083-2085 — homologe künstliche 2Ö85f. — künstliche 1686, 2075, 2082 Behinderung (en) — körperliche B. des Menschen 1235 Beichte — Sakrament der 222 Bekehrung 68 Bergpredigt 32, 76, 227, 229f., 246, 691, 785, 1250 — Seligpreisungen der 69, 697, 1119 Berufsarbeit — der Frauen 874 Berufspastoral 1864 Berufung (en) 64, 820, 1227, 1242, 1368f., 1379f., 1382, 1536, 1863 — als Mitarbeiter Gottes 400 — christliche 90, 192, 242, 525, 579, 1243, 1404 — der Ehegatten 1479 — der Frau in der Kirche 179 — der Kirche 723 — der Laien 42, 56, 62, 179, 477, 1369, 1371, 1379, 1412, 1585, 1889, 1939 — des Gottesvolkes 2196 — des Menschen 873 — eheliche 1508 — geistliche 1228 — kontemplative 258 — priesterliche 780, 794 — Ruf Gottes 1241 — Spiritualität der persönlichen 502 — Teilhabe an trinitarischer Liebesgemein-schaft 1380 — zum christlichen Glauben und zur Liebe 242, 244 — zur Heiligkeit 76f., 1392, 1649, 1663, 2224, 2229 — zur Krankenbetreuung 1021 Besamung — künstliche homologe 2090 — post mortem 2095 Besetzung 1488 Besitz (es) — Unterordnung des 1818 Beten 969 Bevölkerung — Altersstruktur der 1812 — Ansteigen der 310 — Wachstum der 2238 Bevölkerungsentwicklung — Problem der 1812 Bevölkerungswachstum 414, 1805, 2146 Bevölkerungszuwachs 413 Bewegung (en) — kirchliche 1247 — ökologische 631 Bewußtsein — kirchliches 36 — soziales 1147 Bibel 971 Bilder — didaktischer Charakter der 1733 Bilderverehrung 1731, 1736 2266 Bildung 413 — christliche 372 — katholische höhere 981 — und Spiritualität 503 Billigkeitsgrundsatz 2148 Billigkeitsregeln 2147 Biogenetik 1375, 1408 Biologie 2072 Biomedizin 2071, 2093 — juristische Probleme der 1739 Bischof (Bischöfe) 370, 636, 1622, 1984 — Ämter der 371 — Dienst der (des) 370, 1972 — Kollegialität der 738, 1470 — Lehramt der 1909 Bischofsamt 1662, 1972f., 1981f., 2195, 2200 — ist Sakrament der Sendung 1597 — kollegialer Aspekt des 2200 Bischofskollegium 1913 Bischofsweihe 1882 Blöcke 1807, 1826, 1831 — Überwindung der Politik der 1831 Bösen — Befreiung vom 13 — Präsenz des B. in der Geschichte 1568 — Realität des 1384 — wahre Natur des 1828 Bräuche — religiöse 456 Breviergebet 1350 Brotvermehrung 214, 285 — Wunder der 272 Bruttosozialprodukt 409 Buddhismus 206 Bürokratismus 1809 Bund (es) — Volk des 30 Buße 28, 1663, 2214 — Sakrament der 347, 613, 1386 — Werke der 526 Bußsakrament 160, 323, 376, 917, 989f., 1395, 1956, 1986, 2014, 2214 — Quelle des Friedens u.d. Freiheit in Christus 562 Caritas 2219 Charisma (Charismen) 8, 35, 71, 90, 166, 186, 242, 244, 1369, 1378, 1390, 1404, 1412, 1420, 1448, 1623, 1664, 2023 — der christlichen Identität 64 — der Gläubigen 1535 — der Laien 1625 — des Amtes 2204 — Echtheit der 1248 — Gaben und 704, 2225 — pastorales Ch. des Lehramtes 1105 — und Institution 1246, 1248 — Verschiedenheit der 180, 1388, 1403 Charismatische Erneuerung 1451 Christ(en) — Dialog zwischen Juden und 1591 — Einheit der (aller) 17f., 73, 270, 689, 698f., 1207, 1301f., 1544, 1594, 1610, 1743, 2166f. — Identität des 503 — Liebeseinheit unter den 1382 — Wiedervereinigung der 695 — Würde des Chr. als Kind Gottes 503 Christentum — und Nazismus 926 Brüderlichkeit 1194 Christianisierung 477 2267 Christo-phoroi (Christusträger) 1530 Christologie 33 Christozentrik — der Taufe 2174 Christus (vgl. Jesus Christus) Christusnachfolge — Formen der 242 Chromosomen — Mißbildungen der 2078 collegialitas effectiva et affectiva 1062 Communio 71, 502, 958, 1060-1062, 1989-1991, 2002-2004, 2018, 2030, 2040 communio affectiva et effectiva 1988 Communio personarum 808 Communio-Ekklesiologie 71, 502, 1059, 1469, 2016 — römisch-katholische 2168 Computer 1643 Computerisierung 1642 Confessio Augustana 98, 616, 676 Credo 27, 117, 1452 Dämon (en) 713 — Austreibung der 248 Dämonenaustreibung 266 Dankgebet 162, 165 Dasein — religiöser Sinn des 722 Defätismus 1489 Deisis 1304 Deismus 1923 Dekalog 832 Demokratie(n) 374, 602, 693 Demokratismus 1401 depositum fidei 1062 Diagnostik — vorgeburtliche 2077 Diakon (e) 1135f. — Diener des Wortes 1137 Diakonat 1134 — ständiger 1132f. diakonia — der Kirche 1133 Diakonie — der Nächstenliebe 1712 Dialog(s) 334, 505, 1428 — Bereitschaft zum 427 — der Liebe 2207 — interreligiöser 925, 1428, 1950 — mit anderen Religionen 1055, 1427 — mit Islam 2050 — mit Moslems 1974 — mit Theologen 1064 — ökumenischer 18, 20, 73, 206, 616, 1868, 1944, 2166 — theologischer 1546, 2207 — Weg des 336 — zwischen Evangelium und Kultur 1196 — zwischen Juden und Christen 1591 Diaspora 1588 Didache 54 Dienst(e/s) — Ämter und 2225 2268 — Identität kirchlicher 1391 — Verschiedenheit des 1420 Dienstamt 1599 Dienstleistungen 1822 Diktatur 1191 Diskriminierung 1488, 1586 — rassische 1185, 2043 Diskussion — theologische 1064 Dives in misericordia 1579 Doxa und Pieroma 1114 Dreieinigkeit — Gottes 194 Dreifaltigkeit 111, 181, 947, 950-952, 958, 1942 — Geheimnis der 182, 184 — Gemeinschaft mit der 1381 — heiligste 513 — Vorbild der heiligsten 1717 Dritte Welt 1660, 1708 — Völker der 609, 1237 Droge(n) 458, 507, 840, 1813 — illegale 1494 Drogenabhängigkeit 1495f. Drogenhandel 440, 1495f. — illegaler 1494 Drogenkonsum 1964 Drogenmißbrauch 1185, 1494f. — Alkohol- und 934 Drogenproduktion 1495 Drogensucht 716, 835 Dürrekatastrophe 1495 Effizienz — wirtschaftlich-technologische 1708 — wirtschaftliche 1707 Egoismus — kollektiver 1373 — Selbstschutz des 1339 Ehe(n) 534, 582, 669, 806, 808f., 863, 1375, 1389, 1410, 1480, 1482, 1864, 1911f., 1964, 1968, 1974, 1985, 2021, 2057, 2081, 2083f., ■ 2086, 2094f. — auf Probe 1012 — Auflösung der 509 — Berufung der 530 — christliche 528, 946, 1935 — Liebe in E. und Familie 318 — Nichtigkeit der 1221 — Sakramentalität der 1479 — Sakrament der 380, 530, 807, 1946, 2247 — Spiritualität der 809, 1479f., 1482f. — unauflösliche 340, 530, 975, 1011, 1117, 1135, 1407, 1460 — und Familie 380, 529, 809-811, 946, 975, 1407 — und Familienpastoral 1995 — Werte der 531 — Würde der 1870, 1942, 1946 Ehe-undFamilienleben(s) — transzendente Dimension des 1482 Ehebegriff — christlicher 1219 Ehebruch 934 Ehebund(es) 531, 946 — Inhalt des 530 — Unauflöslichkeit des 228 Ehegatten — Berufung der 1479 Ehegelübde 807, 814 2269 Ehekonsens — Unfähigkeit zum 1219 Eheleben — christlicher Sinn des 1480 Eheleute 2084 — moralisches Gewissen der 1508 — Probleme der 1222 Ehelicher Akt 2090 Ehemoral — Sexual- und 1063 Ehenichtigkeitserklärungen 1217 Ehenichtigkeitsverfahren 1218 Ehepastoral 1222, 1936 Ehesakrament (es) 56, 1011, 1481, 1869, 1964, 2217f. — Gnade des 536 Ehescheidung(en) 340, 383, 668, 1063, 1911, 2057 Ehespiritualität 385 Eheunfähigkeit — psychische 1221 Ehre Gottes 156 Eigeninitiative — schöpferische 1802 Eigentum 573, 2000, 2243 Eigentumsordnung — erstes Prinzip der 573 Einheit 20, 143f., 157, 695, 909, 945, 1085f., 1942, 2208 — Aufruf Christi zur 942 — der (aller) Christen 17f., 73,270, 689, 698f., 1207, 1301f., 1544, 1594, 1610, 1743, 2166f. — der Familie 1862 — der Getauften 940 — der göttlichen Personen 146 — der Kirche 593, 1084, 1587, 1973, 2166 — der Menschheit 1510 — der Menschheitsfamilie 1186 — der Vielheit 370 — der Wahrheit 1610 — der Welt 1801 — des Glaubens 1195 — des Menschengeschlechts 1801 — dreifältige 134 — Eucharistie Quelle der 376 — ewige 150f. — Gebet für 1209, 1546 — Geheimnis der 183 — Geschenk Gottes 1546 — Gnade der 17, 615 — in Christus 1084 — in Vielfalt 313, 825, 1085, 1404, 2028f. — innere 146 — katholische 920 — Konzilien, Ausdruck der 1636 — ökumenisches Streben nach 943 — sakramentales Band der 19 — unteilbare 184 — Weltgebetswoche für die E. der Christen 17 — Wiederherstellung der 1545 — zwischen Sohn und Vater 145, 149 — zwischen Wissenschaft und Glaube 1611 Einkommen(s) — Arbeit Quelle des 2238 Ekklesiologie 1118, 1768, 2033, 2168-2170, 2190 — der communio 1413, 1605, 2018 — der Gemeinschaft 35, 1771 — der Väterzeit 1731 — eucharistische 2186 Elend(s) 1793 — Last des 1800 Eleousa 1304 Eltern 102, 514 — Liebe der 380 — Rechte und Pflichten der 955 2270 — Verantwortung der 319 Entsakralisierung 1903 Elternschaft 414, 812, 1480 — verantwortliche 1507f. Emanzipation 947, 1374 Embryo(s) (.Embryonen) 2082 — Achtung vor menschlichen 2075 — Einfrieren der 2081 — Forschung und Experimente mit 2078f. — Leben des menschlichen E. schützen 1021 — Manipulation von 2081 — therapeutische Eingriffe am 2078 Embryo-Banken 2095 Embryologie 631, 2076 Emigranten 1586, 1588, 1724f. — Diskriminierung der 1586 Emigration 543, 736, 1588 Emmanuel (vgl. Immanuel) Empfängnis — unbefleckte 1754 Empfängnisverhütung 934, 1508 — künstliche 1068 Endgericht 218, 231, 246, 1654 Energie — steigende Nachfrage nach 311 Energiebedarf 1682 Energieversorgung — Problem der 310 Enthaltsamkeit — eheliche 1508 Entkolonisierung 1799 Entkonfessionalisierung 611 Entvölkerung — der ländlichen Gebiete 730 Entwicklung 343, 1173f., 1175, 1815, 1819 — der Völker 1547, 1794f., 1821 — in Industrie und Handel 496 — Mensch Subjekt echter 1172 — Notwendigkeit der 1822 — solidarische E. der Völker 1193 Entwicklungshilfe 1172, 1932, 2141 — öffentliche 2149 Entwicklungsländer 1175, 2130f., 2133, 2135, 2142, 2151 — Eigenverantwortung der 2146 — Solidarität der 2144 — Verantwortung der 2143 Entwicklungsprogramme — landwirtschaftliche 1496 Entwicklungsvölker 1159 Entwicklungswachstum — unbegrenztes 1265 Epidemie 1495 Epiklese 753, 2188 Epiphanie Gottes — Kirche Dienerin der 6 Erbarmen — Gerechtigkeit und 976 Erbauslese 2082, 2093 Erbkrankheiten 1739,2077 Erbsünde 153, 713, 762, 1755,. 1841, 2177, 2180 — Folgender 463 Erde — Gabe Gottes 492 2271 — Gabe und Aufgabe 492 Erkenntnis — Analogie natürlicher 1612 — Fortschritt wissenschaftlich-technologischer 603 Erlöser 13 — der Welt 266 Erlösung 1568 — Christus Quelle der 358 — Eucharistie Zeichen der 1356 — Mutter der 74 — Realität der 356 — vom geistigen Tod 1034 — Wirklichkeit der 1226 Erlösungsopfer — Christi 170 Ernährung 1695f. — Selbstversorgung in der 1838 Emährungslage 1694 Ersatzmutterschaft 2085, 2095 Erziehung 1410-1412 — der Kinder 385 — der Studenten 984 — eucharistische 859 — katholische 953f., 956-958, 1975, 1980 — religiöse E. der Kinder 319 — und Kultur 582 Erziehungs- und Gesundheitswesen 464 Erziehungsapostolat 954 Ethik 884, 1341, 1684f., 1706f., 1908 — der erweiterten Solidarität 2141 — des Dienens 1964 — des Überlebens 2136f. — Grundsätze sozialer 1750 — katholische 2005 Eucharistie 56, 160, 165, 320, 347f., 367, 375f., 390, 417, 474f., 747f., 752f., 759-762, 782, 798f., 807, 850, 865-867, 871f., 882, 885-889, 899, 929, 931, 986, 988, 1003, 1012, 1317f., 1346, 1386, 1394, 1453, 1455, 1481, 1528-1531, 1663f., 1844, 1852, 1977, 1986, 2002, 2013, 2031, 2050, 2171, 2181-2192, 2209, 2213f., 2224, 2227 — als Anamnese 2185 — Ankündigung der 285 — Bedeutung der 1717, 2183 — Brot des Lebens 202 — Einsetzung der 150, 162f., 1344, 2183 — Hauptgrund für geweihtes Priestertum 1002 — Kreuzesopfer und 2185 — Opfercharakter der 2186 — Priester Verwalter der 793, 795 — Sakrament der Einheit 375 — Sakrament der Gegenwart Christi 710 — Sakrament der Liebe 758 — Sakrament unserer Erlösung 864 — sakramentale Speise für ewiges Leben 272 — unblutiges Opfer 1360 — und Heilsökonomie 2185 — Zeichen der Erlösung 1356 Eucharistiefeier 164, 205, 380, 418 — Quelle des Priesterlebens 1006 Eucharistiegemeinschaft 2192 Eugenetik 1812 Euthanasie 630, 934, 1022, 1070, 1135, 1740, 1813 Eva — neue 2111 Evangelisation 2050 — der Kulturen 405 Evangelische Räte 242, 394, 1102, 1104, 1404 — Profeß der 315, 1005 Evangelisierung 28, 107f., 204, 207, 224f., 315, 351, 1966 — der Kultur 350, 1397 — der Welt der Arbeit 614 2272 — durch Laien 1934 — und Inkulturation 1397 Evangelisierungswerk — der Kirche 94 Evangelium(s) 345, 551, 740, 887, 916, 925 — Anfang des 1287 — Botschaft der Liebe 333 — Botschaft des 527 — der Arbeit 210f., 308, 400, 450, 560, 876 — der Liebe 1650 — des Friedens 508, 1650 — Dialog zw. E. und Kultur 1196 — Forderung des 394 — Grundwahrheit des 105 — Inkulturation des 1397, 1944f. — Jesu 8 — Lehre des 396 — Liebesgebot des 427 — Neuheit des 109 — Predigt des 1003 — Quelle des Heils 1208 — Sieg des 2046 — und Kultur 678 — von der Kindheit Jesu 1289 — von Kreuz und Auferstehung 4 — Waffen des 2045 — Wahrheit des 316, 1135 — Werte des 487 — Zeugnis des 114 Exil 543 Experimente — wissenschaftliche 1700 Exporterlöse — Verringerung der 2137 Familie(n) 28, 63, 292, 341, 364f., 379, 381-383, 452, 509, 535f., 540, 669, 684, 715, 731, 781, 865, 874, 876, 962f., 1116, 1227f., 1381, 1389, 1885, 1889, 1907, 1911f., 1915, 1930, 1949, 1968, 1975, 2021, 2235 — Bedeutung der 258 — christliche 319, 533, 947, 1483, 1501, 1935f., 1974, 2057, 2226, 2228 — Ehe und 380, 529, 809-811, 946, 975, 1407 — Einheit der 1862 — erste Schule der Liebe 319 — Gemeinschaft des Gebets 320 — gesellschaftlicher Auftrag der 383 — Heiligkeit der 293 — Heimstätte der Frömmigkeit 534 — Institution der 293 — kinderreiche 812 — Liebe in Ehe und 318 — natürliche 1117 — pastorale Betreuung der 1011 — Rechte der 258, 811, 2094 — Urzelle der Gesellschaft 1175 — Wohnung und 2246f. — Zusammenbruch der 1494 Familieneinkommen 2238 Familiengebet 1013 Familienkatechese 385, 1010 Familienleben(s) 318, 1375 — Schutz des 918 Familienpastoral 384, 535, 1864, 1876, 1886, 1907, 1911f., 1949 Familienplanung — natürliche 1068 Familienpolitik 383 Familienseelsorge 384, 810 Familienspiritualität 2118 Familienwohl 813 Fanatismus — religiöser 1375 Fatalismus 506 Febronianismus 1576 Fernseh- und Rundfimkäbertragungen 1259 2273 Fernsehen 1260 Finanz- — und Währungsbeziehungen 2140 — und Währungspolitik 2143 — und Währungsstrukturen 2133 Finanzmechanismen 1696 Finanzorganisationen — multilaterale 2151 Finanzwelt 1642 Finanzwesen 1143 Finsternis — Mächte der 170 Firmung 90, 582, 717f., 782, 1492, 2180f., 2224 — und Apostolat 1385 FTVET — homologe- 2088f. — In-vitro-Befruchtung und Embryoübertra-gung 2082, 2084f. Flüchtlinge 1811, 2235, 2239 Föten — Forschung und Experimente mit 2078 Folter 507, 1406 — Unterdrückung und 1488 Foltermethoden 432 Formalismus 602 Forschung 64 — biomedizinische 1739, 2069 — Fortschritt der 939 — Freiheit in F. und Lehre 765 — moralische Neutralität der 2070 — philosophische und theologische 1926 — Stand der 1372 — wissenschaftliche 310, 1685 Fortpflanzung 2068, 2072, 2091 — künstliche 1740, 2073, 2082 — menschliche 1910, 2083, 2086 — pflanzliche und tierische 2073 — verantwortungsvolle 534 — Verhinderung der 534 Fortpflanzungsvorgänge — Beherrschung der 2069 Fortschritt(s) 423, 1266, 1815, 1820 — Authentizität christlichen 1965 — Beschleunigung des 1377 — der Kultur 1191 — der Völker 1650 — der Wissenschaft 1614 — geistiger 511 — gesellschaftlicher 903 — materieller 903 — menschlichen Wissens 604 — menschlicher 1159 — ökonomischer 903 — pragmatische Auffassung vom 303 — Sinn und Vorstellung wahren 1265 — sozialer 474, 511, 515, 731, 1052, 1138f,, 1142, 1144, 1171, 2244 — technischer/technologischer 310f., 433, 603, 933f„ 1203, 1341, 1694 — Wachstum und 1265 — wirtschaftlicher 474, 1052, 1171, 1950 — wissenschaftlicher 433, 603, 933f., 1052, 1203, 1341, 1694, 1700 Frau(en) 1117 — Arbeit der 452, 873 — Beitrag der 180 — Berufsarbeit der 874 — Berufung als Ehefrau und Mutter 874 — Förderung der 1374 — gesellschaftliche Rechte der 875 — gleiche Würde von Mann und 180 — Identität der 63 — in der Gesellschaft 63 — in der Kirche 179, 1388, 2226 — natürliche Sendung als Mutter 875 — nicht zum Priestertum berufen 1071 — Ordination der 2172, 2199 — Tag der 63 2274 — Verantwortung der 1070 — Wertschätzung der 1070 — Wesen der 1319 — Würde der 63, 180, 786, 809, 1070, 1387 Frauenbewegung 1374 Freiheit 375, 476, 510, 515f., 532, 755, 857, 923f., 1105, 1172, 1540, 1567, 1823 — akademische 765 — an Wahrheit ausgerichtete 881 — christlicher Sinn von F. und Befreiung 1308 — der Kinder Gottes 542, 581, 863, 924 — der Kirche 863 — des Gewissens 1501 — des Menschen 323, 1194 — ethische, spirituelle Dimension der 516 — Gleichheit und 1194 — Gnade Gottes 922 — in Forschung und Lehre 765 — Liebe zur 510 — Mißbrauch der 863 — persönliche 948 — Recht auf 903 — religiöse 925, 953 — sittliche 948 — Unantastbarkeit der 1340 — und Pietät 514 — Wahrheit und 922 — Zweck unserer 968 Fremdenfeindlichkeit 1170 Fremdherrschaft 1488 Friede(n/s) 19,29, 34,65, 79, 128, 327, 332-334, 392, 428-431, 433f„ 471, 489f., 505, 571, 644, 645, 755f., 918, 923, 1056, 1140, 1167, 1168, 1176, 1187-1190, 1195, 1260, 1472, 1490, 1521f., 1526, 1539f., 1797f., 1809, 2227 — Bedrohungen des 490 — christliche Vision vom 1112 — ethischer Imperativ des 1191 — Evangelium des 508 — Förderung des 507 — Frucht der Gerechtigkeit 421, 429 — Gabe der Heiligsten Dreifaltigkeit 507 — Gabe Gottes 421, 508 — Gebet für 21, 1187 — Gerechtigkeit und 119 — ^Geschenk Gottes 570, 1187 — Gestaltung des 510f. — Gut der moralischen Ordnung 1190 — Ideal des 1188 — in der Welt 18, 570, 1486 — kalter 1487 — König des 46 — Kultur des 429, 508 — legitimer 1173 — Sehnsucht nach 1488 — sozialer 374, 650, 1473 — Symbol des 23 — und Religion 1189 — Urspung in Liebe zum Nächsten 506 Friedensbereitschaft 645 Friedensbewegung 631 Friedensordnung — dauernde 1138 Friedensweg 4 Frömmigkeit — christliche 457 — eucharistische 357 — liturgische 456 — marianische 131, 1301, 1594, 2110 — volkstümliche 459f. Frohbotschaft — der Würde 1260 Fruchtbarkeit — künstliche Ausschaltung der 414 Gabe(n) — charismatische 1248, 1519 — des Geistes 1114 — Erde, Gabe Gottes 491 — hierarchische 1248, 1519 — und Charismen 704, 2225 Gastfreundschaft 545, 2248 Gebäudespekulation 2243 Gebet (es) 17, 22, 155f., 158, 162, 165, 358f., 430, 503, 644, 910f., 918, 969-972, 1005, 1013, 1118, 11881., 1349, 1352, 1395, 1433, 1511, 1576, 1901-1906 — des Herrn 970 — eucharistisches 2184 — für Einheit 1209,1546 — Gemeinschaft des 1260 — Gottesdienst und 999 — hohepriesterliches G. Jesu 750, 1492 — Jesu 155 — Macht ständigen 438 — Mitte priesterlicher Existenz 1348 — ökumenisches 750 — Pastoral des 1900, 1902 — priesterliches 13501 Gebetsinitiativen 1903 Gebetswoche — für die Einheit der Christen i7f., 211 Gebot(e) — der Liebe 226, 390, 968, 1908 Geburt(en) — Einschränkung der 2236 — in Gott 292 Geburtenkontrolle 1509 — Kampagnen zur 1812 — natürliche 1507 Geburtenregelung 1135, 2021 — natürliche Methoden der 1068 Geburtenziffer — Abfall der 1812 Geheimnis — der Dreifaltigkeit 182 — der Einheit 183 — des dreifältigen Lebens Gottes 169 — des Heiligen Geistes 183 Gehorsam — des Glaubens 1282, 1284, 1288, 1297 — Marias 1288 Geist(es) — der Wahrheit 177 — Gaben des 1493 — Krise der Werte des 554 — lebendigmachender 176 — unreiner 266 Geistesfreiheit — Recht auf 1190 Geisteskranke 630 Geisteswissenschaften 402, 599 Geistseele 2070f., 2074, 2076 Geld — und Konsum 556 Gelübde — der Hospitalität 1432 — Leben der 1104 Gemeinde — priesterlose 1464 Gemeinschaft (koinonia/communio) 940, 1832 — buddhistische 1057 — des Gebetes 1260 — Differenzierung der 1668 — hinduistische 1057 — islamische 1057 — jüdische 1057 Gemeinwohls) 303, 333, 364, 373, 410, 418-420, 423, 463, 474, 477, 485f., 488, 543, 571, 575, 582, 698, 715, 781, 848, 895, 923, 1140, 1143, 1169, 1171, 1187, 1206,. 1385, 1404, 1409, 1489, 1490, 1758, 1798, 1801, 1809f., 1826, 1829-1831, 1837, 1862, 1880, 1910, 1964f., 2007, 2018, 2044, 2093 — Aufbau des 734 - — der Kirche 1984 — der Menschheitsfamilie 1695 2276 — der Nation 423 — internationales 489, 2152 — Sensibilität für das 1372 Gen-Therapie 1684 Generalabsolution 1074 Genetik 1740, 2076 Gentechnik 1683 Gentechnologie 652, 1697 Gerechtigkeit 68, 226f., 452f., 490, 559, 582, 1105, 1490, 1708, 2144 — blinde 974, 976 — Friede, Frucht der 421 — Gottes 4,215 — im Wirtschaftsleben 1915 — in der Welt 28 — internationale 342, 1695, 1832. — kalte 1488 — König der 46 — menschliche 974 — objektive Forderungen nach 976 — Rechtauf 903,973,975 — soziale 211, 316, 452, 511, 559, 715, 918, 1140, 1195, 1202, 1526, 1832, 2136, 2146f., 2227, 2234 — und Erbarmen 976 — und Frieden 119 Gericht — Gottes 214f. Gesalbter Gottes 34, 61 Geschichte — Gott ist Herr der 247 — Präsenz des Bösen in der 1568 Geschiedene 1117, 1985 Gesellschaft — entchristianisierte 1892 — Familie Urzelle der 1175 — Frau in der 63 — Gewissen der 1119f. — säkularisierte 500 Gesetz(es) — Unwandelbarkeit des mosaischen 226 Gespräch — ökumenisches 689, 937 Gesundheits- und Sozialfürsorge 730 Gesundheitspolitik 1701 Getauftefyi) — Einheit der 940 — Heiligkeit der 1631 Gewalt 429, 431, 434, 501, 505, 508, 570, 581, 721f., 934, 1044, 1195, 1797, 2042f. — Spirale der 397 — und gottlose Ideologien 1339 — und Krieg 1372 — und Terrorismus 419, 431 — Verurteilung von 420 Gewaltanwendung 336, 394, 419-421, 423, 510, 1964 Gewaltlosigkeit 963 Gewalttätigkeit 724 Gewerkschaften 452, 556f., 559, 651, 847, 1802 Gewissen (s) 309, 389, 390, 445, 569, 783, 832-834, 836, 968, 1105, 1389, 1508, 1908f. — Achtung vor dem 1189 — christliches 1389, 1509 — der Gesellschaft 1119f. — der Nation 403 — des Menschen 212, 214 — Freiheit des 1501 — moralisches 411, 724 — Recht auf Achtung des 1190 — religiöses 1831 — Sensibilität des 1058 — soziales 485, 1862 — Wissen und 652 2277 Gewissensfreiheit 1681 Gewissensgründe — Verweigerung aus 2095 Gewohnheitschristen 346 Gläubige (n) — Charismen der 1535 Gläubiger — Verantwortung der 2148 Glaube(n/s) 187, 233, 239, 243, 286, 388, 462, 527, 634, 635, 728, 1010, 1064, 1392, 1873 — Antwort des Menschen 283 — bezeugen 1382 — christlicher Sinn von G. und Liebe 476 — Einheit des 1195 — Entdeckung des 1242 — Geschenk 936 — Gewißheit des 273 — Inkulturation des 1608 — Inspirator christlicher Kunst 1736 — Jesus Christus Mittelpunkt unseres 33 — Kern unseres 190 — Kontinuität des 356 — Norm des 1732 — Personalisierung des 1588 — Pilgerschaftim 1296 — Pilgerweg des 1273, 1275, 1312 — Taufe und 2178 — und Kultur 604 — und Wissenschaft 604, 981, 1611, 1926 — verkünden 1382 — Vernunft und 1613 — Wahrheit des christlichen 8 — Wunderzeichen und 284 Glaubensbekenntnis (se) 23, 109, 110, 181, 1922 — apostolisches 12, 110, 187, 215 — der Apostel 59 — nizänokonstantinopolitanisches 12, 110 Glaubenserfahrung 389, 391, 1428 Glaubensfragen — Relativismus in religiösen 1056 Glaubensgehorsam 73, 1302 Glaubensgewißheit 214 Glaubensreife 1352 Glaubensschatz 1638 Glaubenssinn 1247, 1387 — übernatürlicher 1386f. Glaubenswahrheit(en) 73, 1607 — heilbringende 1598 — Weitergabe der 875 Glaubensweg — der Kirche 1297 Gleichheit — aller Völker 1831 — grundsätzliche 1823 — und Freiheit 1194 Gleichnis — über den Weinstock und die Rebzweige 1348 — vom Arbeiten in Gottes Weinberg 1162 — vom barmherzigen Samariter 1144 — vom Fischnetz 67 — vom guten Hirten 202 — vom Guten Samariter 1023 — vom guten Weizen und dem Unkraut 1568 — vom Hochzeitsmahl 272 — vom Reich 249 — vom reichen Fischfang 2028 — vom reichen Mann und von Lazarus 984f., 995, 1141 — vom Sämann 67, 1891 — vom Samen 67 — vom Samenkorn 1997 — vom Sauerteig 249 — vom Schatz im Acker 67 — vom Unkraut im Weizen 67 — vom verlorenen Sohn 1099 — vom Weltgericht 139 — von den Arbeitern 1149 — von den bösen Winzern 132, 135 — von den Talenten 1819 — von den zwei Schuldnern 220 2278 — von der kostbaren Perle 67 — von der Saat 1091 Glykofilousa 1305 Gnade 1755 — Abhängigkeit von der G. Christi 1065 — der Kindschaft 50 — der Sakramente 566 — Fülle der 1279, 1760 — heilbringende Macht der 448 — heilende 1280 — heiligmachende 77, 1280 — Quellen der göttlichen 321 — sakramentale 347, 783 — Sünde und 1754 Gnadengaben 1280 Gnadenordnung 212 Götzendienerei 1733 Götzendienst 1734, 1819, 1828 Gott (es) 44, 1553f., 1612 — als Erlöser 13 — als Schöpfer 13 — barmherziger Vater 58 — dreieiniger 1689 — ewiges Sein bei 193 — Fundament unserer Hoffnung 1041 ' — Geburt in 292 — Gegenwärtigsein 196 — Gegenwart 1286 — Herr des Lebens 2074 — ist Herr der Geschichte 247 — ist Leben 2072 — ist Liebe 321, 569, 931f., 2072 — Richter 693 — Sämann des guten Weizens 1568 — Schöpfer 693 — Selbstäußerung G. 587 — Sinn für 389 — Sitz der Weisheit 89 — Souveränität G. 921 — unendliches Sein, subsistierend u. allmächtig 280 — Urheber des Lebens 1231 — Vater 693 — vollkommene Weisheit 85 — Wesen 203 — Wirklichkeit 1878 Gottes Reich 688, 1843 — Ankunft des Gottesreiches 1383 Gottesbeziehung — Qualität der 1655 Gottesdienst — und Gebet 999 Gottesebenbildlichkeit 643 Gotteserfahrung 1726f. Gotteserkenntnis 146 Gottesfurcht 85 Gottesgleichheit — Jesu 236 Gottesherrschafl 248 Gotteskindschaft 140, 512-514, 615 — Geist der 171 Gottesknecht (Ebed Jahwe) 12, 51, 53-55, 134, 587f. — leidender 54, 61 Gottesliebe 886, 1447, 1577 Gottesmutter — Sitz der Weisheit 1520 Gottesrechte 668 Gottessohn(es) 91, 95 — Erniedrigung des 1051 Gottessohnschaft 106, 120f. — Christi 274 — Jesu 107, 116f., 123 2279 Gottesvolk(es) 49,125,967 — Berufung des 2196 Gottheit — des Sohnes 171 Gottvergessenheit 1591 Gottverlassenheit — Folge der Sünde 348f. Grundbesitz 464 Grundrecht(e) 693 — der Person 373, 1740, 1836 — der Urbevölkerung 1158 — des Menschen 612, 615, 630, 652, 694f., 1660 — Förderung der 1725 Grundsätze — ethische 1642 Grundwerte — menschliche und christliche 934 — sittliche 613 Güter 1822 — allgemeine Bestimmung der 1836 — der Schöpfung 1830 — gerechte (Neu)Verteilung der 1372, 1797, • 2237 Häresien — christologische 1734 Handel(s) 1143 — Industrie und 496 — Liberalisierung des internationalen 2147 — Ungleichgewicht im internationalen 1695 Handeln — konsumorientiertes 1707 Handelsbeziehungen — internationale 2143 Handelssystem — internationales 1836f. Hauskirche 290, 381, 442, 457, 535, 947, 1010, 1300, 1352, 1389, 1410, 1501, 1511, 1513, 1588, 1617, 1864, 1912, 1936, 1949, 1968, 1974, 2063,2226,2247 Hedonismus 340, 731, 1119, 1339, 1686 Hegemonie 1831 Heil — der Seele 265 Heiland (bedeutet „Gott ist Heil“) 15, 23, 1285 Heilige Schrift 945,1733,2172 Heiligenverehrung 615f. Heiliger Geist 176, 718, 972, 1105, 1355, 1519, 1522, 2024 — der Herr ist und lebendig macht 7 — Gegenwart des 169 — Geheimnis des 183 — Geist der Liebe 689 — Geist der Wahrheit 689 — Kommendes 174f., 177, 183 — Kraft des 170 - ; — Macht des 709 — Neugeburt im 171 — Offenbarung der Wahrheit über den 175 — Offenbarung vom Wirken des 26 — Quelle der Einheit 1085 — Wirken des 11, 24f., 171, 941, 1451, 1492 Heiligkeit 514, 1655 — Berufung zur 76f., 1392, 1632, 1649, 1663, 2224,2229 — Christi 76 — der Familie 293 — der Getauften 1631 — der Kirche 76 — Gottes 76 — moralische 77 — ontologische 77 2280 Heiligtümer — marianische 130, 2118 Heiligung — der Welt 28 Heilsdienst 36 Heilsgeheimnisse 1736 Heilsgeographie 1538 Heilsgeschichte 32, 261, 323, 1295, 1389, 1515, 1520, 1538, 1690 Heilsliebe 1347 Heilsmission 35 Heilsmysterium 145 Heilsökonomie 323, 575,2112,2U4f., 2185,2214 — Gottes 280f. — neue 1295 Heilsordnung 212, 1595 Heilsplan (plane) — des Bundesgottes 1033 — göttlicher 1277 — Gottes 33, 132 Heilssendung — der Kirche 90, 1115 — des Sohnes Gottes 168 Heilsvollmacht — Jesu Christi 269 Heilswahrheit (en) 13, 1888 Heilswirken — Gottes 279 Heilszeit 1272 Heimatland — Recht auf ein 928 Hierarchie 36, 1387, 1458 Hilfsquellen — Begrenztheit natürlicher 1824 Himmelreich — eschatologisches 272 Himmelsbrot 150 Hinduismus 206 Hirten der Kirche — sind Verwalter der Gnade 1248 Hirtenamt 1882 Hoffnung 363, 394, 451, 465, 475, 527, 562, 567, 837, 969, 1041, 1452, 1553f., 1930 — auf Reich der Armen 362f. — christliche 549, 728 — eschatologische 247 — und Vertrauen 1040 Hohepriesterliches Gebet 132, 135, 139, 143-45, 156f., 159, 162, 183, 194, 1082 Holocaust 897, 927 Homosexuelle Personen — pastorale Sorge für 1074 Horizontalismus 1447 Hospitalität — Gelübde der 1432 Humanbiologie 2076 Humanisierung 316, 403 — der Medizin 1657, 1698-1702, 2091 Humanismus 405, 1171, 1471 — christlicher 82, 493 — neuer 350 — transzendenter 1016 — unterdrückter 1890 — vollkommener 1686 2281 Humanwissenschaften 348, 1927 — Offenbarung und 406 Hunger 1372 Hungersnot 1495 hypostatische Union 1311 Ich bin der „Ich-bin-da“ 189, 193, 203 Identität — christliche 64, 941 — des Christen 503 — genetische 1740 — jeden Volkes 1823 — katholische 1065 — kirchliche 192, 367 — kulturelle 404 — priesterliche 1003 Identitätskrise 42 Ideologie(n) 348, 391, 394, 406, 410, 431, 440, 458, 500, 597, 863, 1170, 1372 — antichristliche 611 — der Herrschaft und des Hasses 1188 — Gewalt und gottlose 1339 — materialistische 1378, 2035 — ohne Gott 1590 — totalitäre 610 Ikone (n) 2114 — Spiritualität der orientalischen 1736 Ikonenverehrung 208 Ikonoklasmus 1734, 1736 Illuminismus 1576 Immanentismus 407 Immanenz 144,407 Immanuel (= Gott mit uns) 196f., 200, 203, 214, 291, 443, 549, 799f., 802, 815, 822, 885, 1780, 1852 — Mutter des 1301 Imperialismus 1826, 1828, 1831 — Tendenz zum 1809 in persona Christi 315, 356, 794, 1992, 2197 In-vitro-Befruchtung 2080-2082 — homologe 2088 Indifferentismus 2005 Ihdikationsregelung — gesetzliche 631 Individualismus 1710, 1915 — egoistischer 363 Industrie — und Handel 496 Industrialisierung 306, 310, 1377, 1799, 1814, 1824, 2238 Industrieländer 1683 — Finanz- und Währungspolitik der 2143 — neues Hilfsprogramm der 2154 — Verantwortung der 1803, 2141 Inflation 2142 Informatik 1375, 1408, 1686, 1815 Information — neue Weltordnung der I. und Kommunikation 1490 — qualifizierte I. der öffentlichen Meinung 1487 — Recht auf 1045 Initiation 2170, 2180f. Initiationssakramente 1411 Initiative — Recht auf freie wirtschaftliche 1836 — Recht auf unternehmerische 1801 2282 Inkarnation — Wirklichkeit der 1324 Inkulturation 204, 207, 1199, 1397, 1960, 1963 — des Evangeliums 1944f. — des Glaubens 1608 — Evangelisierung und 1397 Institution (en) — Autorität internationaler 1146 — Charisma und 1246, 1248 Integrität — territoriale 1831 Interdependenz — der Volkswirtschaften 2151 Internationaler Währungsfonds (IWF) 2138 Islam 206 — Dialog mit 2050 Jahwe 44, 1257 — der Gott des Bundes 1356 Jansenismus 1576 Jehoschua (vgl. Jesus Christus) Jerusalem — himmlisches 355, 478, 547, 1212, 1225, 1621, 2122 Jesus Christus (Jehoschua) 16, 41, 44, 47, 212, 218, 236, 1311f., 1314, 1380, 1819, 2057 — als Wort 123 — Bräutigam der Kirche 202, 204 — der ewige Hirte 1338 — der Gekreuzigte und Auferstandene 247f. ,658 — der Gesalbte 780 — der gute Hirte 931, 1334 — der Heiland 1285 — der Herr 1035 — der Logos Bl — der Mann aus Nazaret 14 — der Menschensohn B47 — der Messias 780 — der Welterlöser 877 — die Eucharistie 763, 799, 846, 1996 — eingeborener Sohn B4 — Erfüllung der Geschichte Israels 33 — Erlöser 13, 339, 846, 1038, 1354, 1493 — ewiger Priester 357, 1082 — ewiger Ursprung Chr. 168 — Existenz Chr. „vor“ seinem Kommen 194 — fleischgewordenes Wort 1259 — Friedensfürst 19, 339, 479 — Friedenskönig 41 — Fülle der ganzen Offenbarung 1307 — Fürst des Friedens und der Liebe 288, 506 — Gegenwart Chr. 1240 — geoffenbarte wahre Weisheit 87 — geschichtliche Wirklichkeit J. 9, 11 — göttliche Herkunft J. 12 — göttliche Identität Chr. 105, 187 — göttliche Sohnschaft J. 104f., 107, 110, 182 — göttlicher Arbeiter 1206 — Gott-Mensch 846 — Gottes Sohn 102, 114, 168-170, 181, 1099 — Gottes Weisheit 88 — Gottessohn und Menschensohn B, 91, 95, 246 — Heiland 23 — heißt: „Jahwe (Gott) befreit“ 13, 15f. — Herr (Kyrios, Adonai) 16 — Herrschaftsgewalt Chr. 271 — historische Gestalt 12, 15 — Hoherpriester 46, 314, 781, 871, 9B, B49, 2029, 2042, 2186 — Identifizierung J. mit Weisheit 87 — Identifizierung mit 346, 398, 550 — Immanuel 1553 — ist Licht 1285 — Kontinuität Gottes in 709 — Leben in 352 — Licht der Völker 1183 — Messias-König 37f., 40 — Mittelpunkt unseres Glaubens 33 — Mittler der ganzen Offenbarung 1307 — Priester des Neuen und ewigen Bundes 761, 782, 1349 — Quell der Liebe 468 — Quelle der Erlösung 358 — Quelle des Lebens 932 — Retter 3, 19 2283 — Sohn des lebendigen Gottes 931, 1364 — Stifter und Haupt der Kirche 1598 — Teilhabe am Leiden Chr. 1226 — unsere Hoffnung 969, 1042 — unsere Wahrheit 1606 — Urheber des Heils 1296 — Ursprung der Einheit u.d. Friedens 1296 — Vereinigung mit Chr. 356 — wahrer Gott und wahrer Mensch 9,11,187, 200, 202, 215, 519 — Wahrheit über 8, 104, 111 — Weihe an 550 — Wort Gottes 451 — Zeichen des Widerspruchs 1112 Juden — Dialog zwischen J. und Christen 1591 — Katholiken und 927 Judentum 206 Judenverfolgung 926 Jugend 172f., 341, 1865 — Apostolat der 173 Jugendarbeitslosigkeit 649, 1205 Jugendbewegungen 172 Jugenderziehung 1228 Jugendliche (n) — Religionskrise der 722 Jugendseelsorge 1874 Jugendvereinigungen 172 Jungfrauengeburt — Wahrheit von der 27 Jurisdiktionalismus 1576 Kapital — Arbeit Vorrang vor 650 — und Arbeit 650 — und Produktionsmittel 649 Kapitalien — Bereitstellung von 1806 Kapitalismus — liberaler (liberalistischer) 1266, 1807f., 1835 Karfreitag 1259 Katechese 9, 28, 35, 102, 553, 867f., 1010, 1111, 1411, 1920-1925, 1935, 1940f., 1967 — erste christliche 253 — fundamentale organische 1409 — ökumenische Dimension der 1545 Katecheten) 10, 101, 224, 1885, 1905, 1940 Katechetenausbildung 102 Katechismusunterricht 1681 Katechist(en) 361, 2049, 2061 Katechumenat 1941 Katholiken 17f., 21f., 74 — legitime Freiheit der 375 — nichtpraktizierende 1893, 1918 — und Juden 927 — und Orthodoxe 208, 271, 2106 Katholizismus 137, 828 — sozialer 1377 — zeitgenössischer 775 Katholizität 1587 — der Eucharistie 2190 — der Kirche 2190 Keimzellen — Rückgriff auf K. einer dritten Person 2084 kenosis (Entäußerung) — des Glaubens 1288 Kernenergie 1375, 1406, 1408 Keuschheit — Tugend der 1075 2284 Kinder(n) 1398 — christliche Anleitung der 319 — Erziehung der 385 — Fortpflanzung und Erziehung der 1381 — religiöse Erziehung der 319 — Taufe von 2179 Kinder Gottes 513, 1260 — Freiheit der 542, 581, 863, 924 Kindererziehung 534, 955 Kindertaufe 2180 Kindschaft — Gnade der 50 — göttliche 1481 Kirche(n) 68, 339f., 348, 352, 366, 816, 917, 1084, 1110, 1398, 1451, 1466, 1603, 1984, 2173, 2196, 2201 — als Sakrament 8, 20, 397 — apostolische Sendung der 196 — authentische Erneuerung der 916 — Autorität der 477 — Berufung der 723 — Bild göttlicher Dreieinigkeit 397 — Braut Christi 1316 — byzantinische 263 — Communio der 1382 — Dienerin der Epiphanie Gottes 6 — Einheit der 593, 1084, 1587, 1973, 2166 — Evangelisierungswerk der 94 — Frau in der 179, 2226 — Freiheit der 863 — Geburt der 175 — Geheimnis der 157 — Gemeinschaft des Dienstes 999 — Glaubensweg der 1297 — Haus Gottes 2122 — Hausgemeinschaft Gottes 1013 — Heilsnotwendigkeit der 2176 — Heilssendung der 90, 1115 — Identität der 1397 — innerer Aufbau der 581 — ist katholisch 965 — ist Leib Christi 73, 184 — Katholizität der 2190 — lateinische 263 — Lehramt der 8f„ 382, 1435, 1580, 1733 — Leib Christi 1275 — marianische Dimension der 1769f. — Mitwirkung an der communio der 1378 — mütterliche Eigenschaft der 1316 ' — Mutterschaft der 1317 — Mysterium der 748 — Orientalische 270 — Präsenz in der Welt 393 — Seelsorgeautorität der 916 — Selbstverständnis der katholischen 2168 — Sendung der 373, 1382, 1664 — Symbol der 304 — Tradition der 634 — Überlieferungen der 1731 — und Kulturwelt 401 — und Welt 1368 — und Wissenschaft 402 — universale 1061 — völkische Universalität der 1086 — Volk Gottes 1296 — Weg der 1301 — Wesen der 76, 373, 1100 Kirchenmusik 1261,2124 — Bedeutung der 2122 Kirchenspaltung 675 Klassenkampf 373, 419, 557, 849 Kleingläubigkeit 1307 Klerikalisierung 1390 — der Laien 1987 Klerikalismus 1397, 1401 Klerus 1118, 1456, 1458 — und Laien 186 Klonieren 2081 König — Amt des 40 — der Gerechtigkeit 46 — des Friedens 46 2285 — messianischer 103 Königreich Gottes 1150f. Königsherrschaft 65f., 69 — Christi 1721 Königtum(s) — Gottes 66f., 69 — Verständnis des 39 Koinonia 940, 943 Kollegialität 738, 1470, 1973, 2030 — Klima brüderlicher 1062 Kollektivismus 1266, 1710 — marxistischer 1807, 1835 Kolonialismus 440 Kommunikation 1046 — kulturelle 1725 — mit Gott 1044 — Mittel der 1724 — neue Weltordnung der Information und — Recht auf 1045 — soziale 1044, 1047, 1725, 1930 — Strategie der 1487f. — zwischen den Völkern 303 Kommunikationsfunktion — der Kultur 600 Kommunikationsmittel 1259f., 1408 — soziale 119, 1461, 1486, 1489, 1809 Kommunion 867, 1664 — heilige 865 Kommunionausschluß 1986 Komplementarität — von Mann und Frau 1375 Konflikt (e) — gewaltlose Lösungen für internationale — ideologische 1808 Konfliktlösung — friedliche 504 Konformismus 836 — passiver 465 Konsum 391 — Geld und 556 Konsumgesellschaft 1816 — Maßstäbe der 1087 Konsumismus 494, 1044, 1407, 1816 — hedonistischer 582, 1375 Konsummißbrauch 846 Konsumzwang 1119 Kontemplation 396, 1448 — Aktion und 395f. Kontext — pluri-religiöser 1922f. Kontrazeption 1985 Konzentrationslager 611, 1406 Konzilien — Ausdruck der Einheit 1636 Korruption 1830, 2145 — des öffentlichen Lebens 440 Kosmologie 13 — christologische 517 Kranke(n) — Wissenschaft im Dienst der 706 Krankenbetreuung — Berufung zur 1021 Krankenhäuser — Pastoral in 1432 Krankenpastoral 842 2286 Krankensalbung 520, 1035 Kreuz (es) 4, 10, 587f., 803, 1033, 1035, 1053 — Annahme des 243 — Christi 567 — endgültige Glaubensprobe 235 — Erhöhung durch das 94f., 190 — Erniedrigung des 94 — königlicher Weg des 1053 — Macht des 267 — Pascha-Geheimnis des 12 — tägliches 568 — Theologie des 397 — Triumph des 1020, 1032, 1035 — Zeichen des Sieges 437 Kreuzestestament Christi 1294 Kreuzestod(es) — Gegen-Wunder des 255 Krieg (es) 34, 335, 581, 755, 1406, 1488, 1797, 1841 — Ablehnung des 1192 — Gewalt und 1372 — kalter 1807 — Ursachen des 1488 Kriminalität 720 Kryokonservierung 2081 Kultur(en) 64, 308, 333, 401, 403, 879f., 884, 982, 1066, 1373, 1692 — Dekadenz der 602 — der Arbeit 413, 450, 453 — der Liebe 399, 722 — der Solidarität 403 — des Friedens 429, 508 — des Seins und Handelns 403 — Dialog zw. Evangelium und 1196 — Entwicklung der demokratischen 1377 — Erneuerung der 601 — Erziehung und 582 — Evangelisation der 405 — Evangelisierung der 350, 1397 — Evangelium und 678 — Fortschritt der 1191 — Fundament der 652 — Glaube und 604 — humanistische 603 — Kommunikationsfunktion der 600 — Recht auf 1190 — und Ökonomie 881 — und Wissenschaft 651, 1408 — uniforme 1373 — Wahrheit und 981 — Werte der 403 Kunst (Künste) 1736 — christliche 1737 — sakrale 1737 — Wissenschaft und 599 Laie(n) 35f., 42, 49, 56, 64f., 76, 91, 101, 108, 125,165,173,191f., 210f., 216f., 224,315, 349, 375, 476, 540, 578-582, 596, 781, 962, 1007, 1067, 1071, 1113, 1115f., 1118-1120, 1227, 1368, 1391f., 1396, 1420, 1456-1459, 1469, 1625, 1663-1665, 1934, 1947, 1949f., 1957, 1979, 2004f., 2020, 2024, 2046, 2056, 2061f., 2224 — Anteil am priesterlichen Amt 55 — Apostolat der 191, 580f., 583, 821, 1379 — Aufgabe der 578, 1467 — Auftrag und Sendung der 28 — Ausbildung der 596f., 1409 — Berufung der 42, 56, 62, 179, 477, 578, 1379, 1412, 1535, 1585, 1889, 1939 — Charisma der 1625 — christliche 577 — Engagement der 1377 — Förderung der 1377 — Funktion der 42 — geweihte Amtsträger und 1382 — Gewissen der 216 — Klerikalisierung der 1987 — Klerus und 186 — Missionsapostolat der 1646 — Mitwirkung der 1369, 1376 — Priester und 918 — Recht der 185 — Rolle der 1066, 1114 — Sendung der 56, 62, 477 — Sendungsauftrag katholischer 596 — Stellung der L. in der Kirche 1379 — Theologie der 1368 2287 — Zusammenschluß zu Apostolatszwecken 166 Laienapostel 224 Laienapostolat 90, 101, 165, 172, 617, 1605, 1618, 1887f., 1949, 1987, 1995, 2007 Laienchristen 1935 — legitimer Pluralismus unter 477 Laienkatechisten 1869 Laienmitarbeiter 819 Laienstand 1118 Landarbeit 491f., 735 Landflucht 496, 735, 2238 Landwirt 1496 Landwirtschaft 467, 494, 1695f. — Mechanisierung der 730 Laxismus 1575 Leben(s) 1392 — Abbruch des embryonalen oder fötalen 1739 — Achtung vor dem 340, 1909 — anthropologischer Sinn des sozialen 1710 — Auferstehung zum ewigen 449 — Befruchtung neuen 534 — Beginn übernatürlichen 447 — beginnendes 2068f. — des menschlichen Embryos schützen 1021 — Erneuerung des katholischen 1059 — ewiges 20, 152, 215, 234, 241, 447, 833f., 866, 1034, 1493, 1529, 1531, 1939 — Geschenk Gottes 1698 — göttliches 1492 — Herrschaft des Menschen über 2082 — physisches 2073 — Quellen des L. manipulieren 1267 — Rechtauf 632, 1190, 1699f., 2073, 2093f. — Rechtsschutz des 631 — Schutz des 1232 — Teilhabe am übernatürlichen 1278 — Transzendenz des 496, 987 — übernatürliches 1616 — Verteidigung des 918 — vorgeburtliches 1880 — Würde des 1700 Lebensmittelüberschüsse 1695 Lebensniveau 2241 Lebensrecht — aller Menschen 631, 1195 Lebensstandard(s) 730f. — Verbesserung des 310, 2146 Legalismus — menschlicher 975 Lehramt(es) 914, 983 — Abweichung vom 1063 — der Bischöfe 1909 — der Kirche 8f., 382, 1435, 1580, 1733 — pastorales Charisma des 1105 — soziales L. der Kirche 1264, 1268 Lehre — Freiheit in Forschung und 765 Leib Christi 1084 — Kirche ist 73, 184 — mystischer 90, 124, 166 . Leiden (s) — christliche Sicht des 1020 Leugnung Gottes 888 Liebe 86, 134, 213f., 327, 356, 391, 465, 472-474, 501, 516, 526, 528, 530, 570, 584, 721f., 724, 887, 974, 988, 1339f., 1564, 1655, 1832, 1912, 2044, 2046 — barmherzige 975 — christliche 1835, 1909 — christlicher Sinn von Glaube und 476 — der Eltern 380 — Dialog der 2207 2288 — eheliche 380, 384, 532f„ 541, 669, 1011, 1389, 1410, 1508 — erbarmende 277, 280 — Erfahrung der L. Gottes 571 — familiäre 380 — Familie erste Schule der 319 — für die Armen 475, 500 — Gebot(e) der 226, 243, 390, 968, 1908 — Gesetz der 363 — göttliche 215, 529 — Gottes 214, 388, 1098f. — Grundwert der Ehe 1911 — Hohelied der 1655 — in den Familien 381 — in Ehe und Familie 318, 531 — Kultur der 399, 722, 976 — Ökonomie der 227 — Recht auf 903 — reuige 976 — schöpferische 882 — sexuelle 968 — solidarische 433 — Tugend der 527 — Unendlichkeit in der 280 — universale 432 — Verarmung der 721 — völlige Hingabe, Akt vorbehaltloser 357 — Vollkommenheit in der 229 — Würde der 389 — Zivilisation der 677, 1341, 1537, 1539, 1824 — zum Nächsten 160 Liebesakt — ehelicher 2089 Liebesgebot — des Evangeliums 427 Liturgie 9, 526, 1463, 1905 — Epiklese der 2188 — im christlichen Osten 2113 logos 122, 131, 881 — ewiger 1. Gottes 1614 Lohn (Löhne) 2238 — gerechter 847 — ungenügender 2238 Luft- und Wasserverschmutzung 1142 Macht — politische 1709 — Verlangen nach 1828 Mäzenatentum 405 Manipulation — biologische oder genetische 2081 — kulturelle 1607 Mann — gleiche Würde von M. und Frau 180 Manna 1529f. Maria 24, 27, 1211, 1278f., 1282, 1288, 1300, 1396, 2109 — Bundeslade Gottes 1713 — der Meeresstem 1677 — die Gnadenvolle 1278f., 1521 — die Immaculata 135 — die Makellose 1770 — erhabene Tochter Zion 1321 — göttliche Mutterschaft M. 1295 — Helferin 504 — Hilfe der Christen 1226 — Königin der Apostel 504, 1937, 1947 — Königin der Dolomiten 148 — Königin der Heiligen 616 — Königin der Kroaten 1570 — Königin der Mission 1438 — Königin des Friedens 91, 434, 644, 697, 1715 — Königin des Universums 1599 — Königin Polens 128, 854 — Leitstern der Evangelisierung 108, 225 — Magd des Herrn 1310, 1314 — Maß der Menschlichkeit 1049 — Mittlerin der Gnade 1577 — Mittlerschaft 1293, 1310, 1312, 1315 — Mutter Christi 1006, 1294, 1463 — Mutter der christlichen Berufung und Sendung 1626 — Mutter der Gläubigen 198, 646, 1595 — Mutter der Kirche 73, 762, 1006, 1295, 1320, 1463 — Mutter der Lebendigen 1289 2289 — Mutter der Menschen 1294 — Mutter des Erlösers 72, 113, 1013, 1107 — Mutter des ewigen Hohenpriesters 359 — Mutter des ganzen priesterl. Volkes 63 — Mutter des menschgewordenen ewigen Wortes 1281 — Mutter des Messias 26 — Mutter Gottes 124, 1276f. — Mutterschaft 1293, 1311-1313 — Mutterschaft und Jungfräulichkeit M. 23, 25f. — neue Eva 1307, 1320 — Quelle wahren Lebens 251 — Sitz der Weisheit 1759, 1763 — spricht für die Menschen 1292 — Stern der Evangelisierung 351 — Teilhabe am Glauben M. 1299 — Tempel des Heiligen Geistes 119, 124 — Trösterin der Betrübten 99, 167, 199, 425, 639, 641, 1592, 1594 — Typus der Kirche 1761 — Urbild und Patronin der Kirche 1182 — Virgo audiens, die hörende Jungfrau 1760 — vom Erbe der Ursünde bewahrt 1280 — Vorbild 1387, 1723 — Vorbild jeder Berufung 1229 — wahre Tochter Sions 252 — Wortführerin der Menschheit 1625 Marienerscheinungen 1225 Marienfrömmigkeit 238, 615f. 1273 Marienheiligtum(tümer) 130f., 142, 2212f., 2215-2219 Marienverehrung 136, 179, 1322, 2214, 2222 — koptische und äthiopische 1868 Marienwallfahrtsorte 2213f. Mariologie 1768, 2221 Marxismus 769 — kollektivistischer 1808 Massenarbeitslosigkeit 650 Massenmedien 1461, 1488, 1490, 1873 — Macht der 1044 Massenvemichtung 1591 Massenvemichtungswaffen — Beseitigung aller 645 Materialismus 316, 394, 406f., 731, 1044, 1407, 1816, 1877f., 1883, 1968, 2005 — atheistischer 582 — dialektischer 891, 893 — Jfnechtschaft des 1950 — praktischer 2018 — Quelle der Versklavung . 494 Mathematik 1927 Medien 1373, 1930 Medizin 706, 840, 1699f., 2072 — Humanisierung der 1657, 1698-1702, 2091 — uneingeschränkte Anwendung der 1740 — unmenschliche 1232 Meeresverschmutzung 1696 Mensch (en) 572,1433,1686,1818,2072 — Abhängigkeit der M. voneinander 967 — Befreiung des 338 — Berufung des 873, 1819 — besonderes „Königtum“ des 1639 — Empfänger göttlicher Offenbarung 1690 — Erniedrigung des 572 — Experimentieren am 1740 — Förderung des 475 — Freiheit des 323, 1194 — geistige und ethische Realität des 1471 — Geschöpf Gottes 1526 — Gottes Bild und Gleichnis 462 — grundlegende Werte des 403 — Grundrechte des 612, 615, 630, 652, 694f., 1660 — Herrschaft über Leben und Tod 2082 — Krönung der Schöpfung 402 — Mitarbeiter Gottes am Schöpfungswerk 310 — Mittelpunkt sozialen Fortschritts 511 — Stellenwert im Universum 767 — Subjekt echter Entwicklung 1172 2290 — Subjekt und Schöpfer 893 — Subjektcharakter des 767 — transzendente Bestimmung des 1685 — Transzendenz des 561 — Unantastbarkeit des 1203 — unternehmerische Berufung des 574 — Vervollkommnung des 574 — Vorrang vor Arbeit 1203 — Wert des 364, 1471 — Würde des 307, 309f., 389, 470, 496, 507, 511, 557, 589, 650, 736, 786, 863, 1190, 1194f., 1232, 1585, 1617, 1643, 1834, 1880, 1916 Mensch-Subjekt 770 Menschengeschlecht — Einheit des 1801 Menschenrechte (n) 509, 630, 668, 754-756, 769, 833, 918, 922, 929, 996, 1046, 1145, 1147, 1190, 1194, 1340, 1406, 1409, 1460, 1511, 1540, 1547, 1570, 1606, 1660, 1822, 1838, 1909, 2043 — Achtung vor (der/aller) 374, 1573, 1681, 1813, 1823 — Einschränkung der 1802 — Förderung der 486 — Verteidigung und Förderung der 404 Menschensohn(es) 55, 91-93, 95, 109f., 117, 151, 155, 158, 164, 169f., 173, 176, 182, 187, 189f., 193f., 201f., 211-214, 218-221, 226, 231, 234, 246, 248, 279, 338, 587, 1032, 1346-1348, 1568, 1759 — Erhöhung des 94f. — göttliche Vollmacht des 272 — Macht des M. über Sünde 267 Menschenwürde 412, 602, 695, 929, 934, 1547, 2043 Menschheit — Einheit der 1510 Menschheitsfamilie 1383, 1695 — Einheit der 1186 — Solidarität der 1570, 1167 Menschheitsgeschichte 1389 Menschlichkeit 600, 603 Messe 703f. — heilige 205 Messianität 59, 361 — Zeichen der M. Christi 255 Messias 7, 10, 40f., 44, 47, 58, 60, 102, 106, 115, 168, 190, 232, 338, 499, 1284 — der Armen 1308, 1453 — Gesalbter Gottes 61 — königliche u. priesterliche Sendung des 50 — königlicher 45 — Offenbarung des 268 — Wahrheit über den 60 Messiasverheißung 109 Metaphysik 1762 Methoden — empfängnisverhütende 440 Migranten — Mission der 1587 Migrationen) 1585-1587, 1589 Militärausgaben 1809 Militarisierung 1488 Miryam (= Maria) — d.h. „Gnadenvolle“ 1278 Missionsapostolat — der Laien 1646 Missionsauftrag 224 Mittel — ungleiche Verteilung lebensnotwendiger 1796 Mißbildung 2077 2291 Mißbrauch — sexueller 835 Monophysitismus 1734 Monotheismus 109 — des Alten Bundes 188 — jahwistischer 103 Moral 1063,1907-1911 - — öffentliche 532 Moralbewußtsein — öffentliches 485f. Morallehre — katholische 2041 Moraltheologie 1835 — Bedeutung der 1580 Moslems — Dialog mit 1974 Musik — in Kirchen 2120 — religiöse 1468 Muslime 317, 1429 Mutter Gottes 1274 — eschatologische Vollendung der Kirche 1276 Mutterschaft 1293, 1311-1313, 1318 — andere Dimension der 1291 — göttliche Gabe der 874 — jungfräuliche 318 — neuer Sinn der 1290, 1292 — Vater- und 1068 Mysterium — der Kirche 748 Mysterium Ecclesiae 157 Mystik 1903 Mystizismus 1375 Nächstenliebe 22, 160, 453, 510, 520, 532, 721, 1431, 1433 — christliche 167 — Gesetz der 227 Nahrungsmittel (n) — Mangel an 1964 Nahrungsmittelproduktion 1694, 1838 Nahrungsmittelversorgung 1683 Nation — Gemeinwohl der 423 — Gewissen der 403 — Souveränität der (jeder) 895, 2151 Nationalismus 880, 2147 Nationalsozialismus 609f. Nationalsozialisten 620 Natur 433f., 652, 734 — Ausbeutung der 433 — Beherrschung der 1231 — Gleichgewicht der 311, 1565 — Teilhabe an göttlicher 1280 Naturbegriff 1614 Naturforschung — und Theologie 1608 Naturgesetz 1509 — der menschlichen Solidarität 1701 — göttliches 408 Naturschätze (n) — Achtung vor den 1565 — Ausbeutung der 1266 Naturwissenschaften 402, 599, 652 Nazismus 926 Neo-Malthusianismus 440 2292 Neokolonialismus 1808f. Obdachlose(n) 2241 Nestrorianismus 1734 — Massenphänomen der 2237 — Problem der 2234, 2239 — Zahl der 2248 Neuer Bund 1283, 1354, 1516 — Anfang des 1287 — erstes Fiat des 1272 — Hoherpriester des 691 — im Blute Christi 1358 — neuer und ewiger Bund 1299 — Priestertum des 1532 — Zeichen des 1357 Obdachlosigkeit 2239 Odigitria 1304 Öffentliche Meinung — qualifizierte Information der 1487 Neues Israel — Keim des 1299 Ökonomie 884 — Kultur und 881 Neues Testament 994 Ökumene 676, 757, 940, 1544f., 1961, 2220f. Neuheidentum 108, 740, 1883 Ökumenische Bewegung 1209, 1302 — Errungenschaften der 941 — Seele der 22 Neutralität 602 Neuzeit — absolutistische Herrscher der 693 Ökumenisches Konzil 2200 Ökumenismus 20, 22, 751, 753, 941, 943, B01, Nichtseßhafte 2245 1322, 1545, 1950, 2027, 2110, 2207 — geistlicher 942 Nihilismus 1908 — Ziel des 752 Nikotin 840 Ölpreiskrise 2B0 Nomadentum — Tradition des 2245 Offenbarung 9, 1307, 1755, 1762, 1888 — christliche 1909 — der göttlichen Allmacht 273 Nonkonformismus — gewalttätiger 465 — der Liebe Gottes 277 — des Messias 268 — des Wortes 196 Nord-Süd-Bez.iehungen 1193 — Gottes 160, 162 — höchste O. Gottes 88 Nord-Süd-Gefälle 1175,2238 — Mensch Empfänger göttlicher 1690 — und Humanwissenschaften 406 — Wesen der trinitarischen 111 Nord-Süd-Spannung 1488 Ontologie 1741 Norm(en) — ethische 1909f. — Respekt vor ethischen 486 — sittliche 1232, 1686 — übernatürliche 1458 Opfer — eucharistisches 703 2293 Optimismus — christlicher 387f. — mechanistischer Art 1815 Ora etLabora 395 Ordensberufe — Gebet um 1229 — Priester- und 1228 Ordensfrau 1446 Ordensgelübde 358 Ordensleben(s) 394, 1213, 1446 — Sinn und Wert des 1102 Ordensleute 1391 Ordensprofeß 551, 1104, 1449 Ordination 2202-2204 — der Frau 2172, 2199 — Spender der 2204 Ordnung(en) — demokratische 1838 — Grundlagen ethischer 821 — internationale 572 — moralische 1758 — sittliche 429 Orgel — Verwendung der 2123 Orthodoxe 18, 21f., 74 — Katholiken und 208, 271, 2106 Orthodoxie 208 Ortskirche (n) — Aufgaben der 191 Ost-West-Spannungen 1175 Ostergeheimnis 588 — Christi 116 — von Tod und Auferstehung 151 Osterliturgien — Weihnachts- und 1259 Ozonschicht 1683 Paradies 1225 Paraklit 1515 Parthenogenese 2081 Partikularkirche 1588 Parusie Christi 2183 parädosis 1731f. Paräkletos 816, 1296 Pascha- Geheimnis — des Kreuzes 12 Pastoral 357, 815 — an Emigranten 1588 — der geistlichen Berufungen 1863 — des Gebetes 1900, 1902 — des Miteinanders 1619, 192 — für die Touristen 1950 — in Krankenhäusern 1432 — ökumenische 1546 Pastoralrat(-räte) 192,224, 1401f. Patient — und Arzt 1232 Patriotismus 517 Permissivität 293, 340, 811, 863, 1089 Person (en) 982, 1046, 2071, 2087, 2089 — Abwertung der 1805 — Achtung der 1572, 1585, 1740 — Fortschritt der menschlichen 949 — Geschöpf Gottes 966 — göttliche 146, 151 — Gotteskind 966 — Grundrechte der 373, 1740, 1836 2294 — Primat der 1685 — Rechte der 346, 432, 2076 — transzendentale Bestimmung 1245 — transzendente Dimension der 1710 — transzendenter Charakter der 373, 422, 486, 2022 — unantastbare genetische Identität der 1684 — Unantastbarkeit der 432 — Vorrang der 411 — Wert der 1526 — Wohl der 485, 1580 — Würde der 333, 353, 420, 429, 458, 500, 765, 903, 1046, 1374, 1501, 1686, 1841, 1907f., 1929, 2070 Personalität 316 Personenwürde 211 Pesah Haggada 1591 Pessimismus 739, 1841, 1915 Petrus — Primat des 59 Petrusamt 343, 1853, 1981f. Pfarrei 191f., 1010, 1136, 1352, 1401f., 2226 — Familie der Familien 1009f. Pfarrmesse 1465 Pfingsten 119 Pfingstfest 1260 Pflanzengenetik 1697 Pharmakologie 1700 Philanthropie 2061 Philosophie 1611 — metaphysische Rückbindung der 1408 — vom Sein 1762 Pietät 517 — Freiheit und 514 Planung — wirtschaftliche 1822 Pluralismus 205f., 477, 508, 825, 982, 1573 — der Überzeugungen 1915 — ethnischer und kultureller 1587 — religiöser 1950 — Vielfalt und 593 Pluralität 602 Politik 64, 485, 1409, 1510 Polygamie 1869, 1946, 1974 Pornographie 440, 934, 1044 Positivismus 1613 Präexistenz — göttliche 200, 246 — Jesu Christi 131, 150 Pragmatismus 1607 Predigt 1967 presbyteroi 1991 Pressefreiheit — Rede- und 1045 Priester(s) 1455, 1469, 2198 — Aufgabe der 1352, 1467 — handelt „in persona Christi“ 315, 794, 1356 — Solidarität der 919 — und Laien 918 — Verwalter der Eucharistie 793, 795 — Verwalter von Geheimnissen Gottes 782 — Wirken des 357 Priester- und Ordensberufe 1228 — Gebet um 1229 Priesteramt (es) 1976f. 2295 — ewiges 45 — Ursprung des 356 Priesteramtskandidaten 1413 Priesterausbildung 818 Priesterbildung 594 Priesterkönig — nach Ordnung Melchisedeks 45, 48 Priestermangel 594, 596 Priestersakrament 1345 Priesterschaft — allgemeine P. der Gläubigen 816 Priesterstand 1391 Priestertum(s) 703f., 794, 1992, 2198 — aller Getauften 1004 -allgemeines 62, 101, 319, 781f., 2173 — amtliches 1348 — Berufung und Dienst 1345 — Christi 45f., 63, 1344, 1350, 1386, 1434, 1455, 2024, 2198 — der Gläubigen 62 — des Dienstes 63f. — des Neuen Bundes 1532 — des Volkes Gottes 1344 — Eucharistie Hauptgrund für geweihtes 1002 — ewiges 47 — Fülle des 717 — gemeinsames 63, 1386, 2198 — gesellschaftliches Sakrament 784 — geweihtes 1004, 2024 — gründet in Taufe 62 — hierarchisches 62f.,2198 — Identität des 63 — königliches 1455, 1625 — prophetisches 1625 — sakramentales- 1348 — Teilhabe am P. Christi 63,781, 1348 — und Zölibat 820 — unvergängliches 46 Priesterweihe 780 — Sakrament der 315, 550 Primat 2030 — des Petrus 59 Prinzipien — ethische 423 — sittliche und moralische 349 Privateigentum 2000 — Recht auf 1836 Produktion — menschlicher Wesen 2081 Produktionsmittel 573, 1802, 1807, 2000 — Kapital und 649 Produktionsprozeß 309 Produktionssteigerung 411 Profeß 1213 — der evangelischen Räte 315 Profit — Gier nach 1828 Prokov 1304 Prophetismus 1449 Prophezeiungen — des Alten Testaments 33 Proselytismus 1935 Protektionismus 1836 Protestanten 17f., 21f., 695 Psychiatrie 1217 Psychologie 631, 1217 Racheinstinkt 1564 2296 Radikalität — evangelische 746 Radio 1260 Rassendiskriminierung 963, 1406 Rassenhaß 627, 1919 Rassenunterschied 1801 Rassismus 619, 627, 1135, 1812 — unmenschlicher 610 Rauschgift 570, 722 Rauschgiftmißbrauch 1494 Rauschgiftsüchtige 2025 Realismus — christlicher 1400 Realpäsenz Christi 2187 Recht(e) 1823 — auf Achtung des Gewissens 1190 — auf Arbeit 558, 1190 — auf freie wirtschaftliche Initiative 1836 — auf Freiheit in der Beziehung zu Gott 1190 — auf Geistesfreiheit 1190 — auf Information 1045 — auf Kommunikation 1045 — auf Kultur 1190 — auf Leben 1190, 2093f. — auf Privateigentum 1836 — auf unternehmerische Initiative 1801 — der Familien 258 — der Laien 185 — der Person 346, 432, 2076 — des Arbeiters 309 — Gottes 929 Rechtfertigung — Ursache der 52 Rechtsschutz — des Lebens 631 Rechtssicherheit 1838 Rechtsunfähigkeit (en) — psychische 1217 Rede- und Pressefreiheit 1045 Redemptor hominis 1579 Redemptoris Mater 74,1579 Reformation 828 Reich Gottes 41, 65, 67, 69, 248, 250, 1162, 1290 — Aufbau des 249 — Struktur des 249 Reichtum 1800 Reife — christliche 1535 — kanonische 1220 — psychische 1220 Reklame 1816 Relativismus 834, 1119 — in religiösen Glaubensfragen 1056 — intellektueller 982 — moralischer 811, 982, 1089 — sozio-kultureller 1912 Religion (en) 770, 893 — Antinomie zw. Wissenschaft und '769 — Dialog mit anderen 1055, 1427 — Frieden und 1189 — nichtchristliche 1400, 1868, 1945 Religionsausübung 694 Religionsfreiheit 207, 209, 695, 755, 1039, 1044, 1406, 1606, 1617, 1678, 1681, 1802, 1836, 1996, 1999, 2227 — Recht auf 694 Religionskrise — der Jugendlichen 722 2297 Religionslehrer 1459 Religionslosigkeit 1588 Religionsspezialisten — Treffen von Theologen und anderen 1056 Religionstraditionen 1428 Religionsunterricht 956, 1402, 1874, 1986 — katholischer 1459 Religiosität — weltfremde 1384 Ressourcen 1142,2147 — begrenzte 1423 — natürliche 1682 Revolution (en) — der Informatik 1686 — der Verzweiflung 1267 — technologische 1606, 1686 — wissenschaftlich-technologische 603 Rezession — wirtschaftliche 2131 Richteramt 215 — göttliches 221 Rigorismus 1575 Robotik 1408 Rohstoffpreise 2130 — Verfall der 2130 Rosenkranz 1625 Rosenkranzgebet 238, 459, 1624 Rüstung 824, 934, 1185, 1488 Rüstungsexport 652 Rüstungskontrolle 1144 Rüstungsmittel 1372 Rüstungspotential 652 Rüstungsreduzierung 1145 Rüstungswettlauf 431, 1193, 1406, 1606 Ruhe — soziale 429 Rundfunkübertragungen — Femseh- und 1259 Sabbat — Heiligkeit des 279 Säkularisierung 98, 1908, 1983, 2018, 2038 Säkularisierungsprozeß 2040 Säkularismus 581, 583, 739, 1119, 1378, 1955 — agnostischer 1892 — atheistischer 1890, 1892 — Grenzen des 1375 Sakrament(e) 1918,2170 — der Beichte 222 — der Buße 347, 613, 1386 — der christlichen Initiation 210, 473 — der Ehe 380, 807, 1946, 2247 — der Taufe 19, 21, 750, 780, 1481 — der Wiederversöhnung 357 — des Leibes und Blutes 163 — Gnade der 566 — Hindernis für Empfang der 1063 — Verwaltung der 704 Sakramentalität 2170 Salbung 1355,2180 — mit Öl 37 Satan(s) 60, 254, 267, 277, 712f., 863 — Macht des 249 Schädigung — genetische 1739 2298 Scheidung(en) 532, 934, 1483, 1974 Schöpfertätigkeit — Mitwirkung an der 1381 Schöpfung 1566, 1568, 1819 — Anfang der 121 — Beitrag zum Werk der 493 — Güter der 1820 — Herrschaft über 2070 — Lebenskraft der 1090 — Mensch, Krönung der 402 — neue 17, 19, 22, 26, 547, 1210, 1895 — ständige 734 — Wirklichkeit der 311 Schöpfungslehre 1923 Schöpfungswerk — Gottes 555, 648 — Mensch Mitarbeiter Gottes am 310 Schrecken(s) — Gleichgewicht des 1486 Schulbildung 333 Schuldenkrise — Bewältigung der 411 — internationale 976, 2130f. — Überwindung der 2134, 2136 Schuldenproblem — internationales 471, 490 — Überwindung des 2151 Schuldnerländer 1806 Schule (n) — katholische 964, 1228, 1703, 1889, 1961 — religiöse Erziehung in 1864 Schulwahl — freie 1703 Schwangerschaft 631 Schwangerschaftsabbruch 840 — Legalisierung 1740 Seele 268, 494, 988 — Gesundheit der 520 — Heil der 265 — unsterbliche 265, 269 Seelsorge 520, 685, 1546 — zeitgemäße 819, 1441 Seelsorgeautorität — der Kirche 916 Seelsorger — Wirken der 166 Segen 1279 Sein (s) — Attribute des göttlichen 201 — Dimension menschlichen 1948 — Existenz des S. in sich 200 — Fülle des 886 — integrale Sicht des 1685 — Philosophie vom 1762 — transzendente Wirklichkeit menschlichen 1818 — unendliches 280 Sekten 835, 1962 Selbstdefinition Gottes 229 Selbstgerechtigkeit 1252 Selbstmitteilung Gottes 26, 1307 Selbstoffenbarung Gottes 110, 116, 131, 157, 181, 187, 195, 201, 255, 1286, 1291, 1851 Selbstverleugnung 243 Selbstvemichtung 824 — kollektive 824 Selbstverwirklichung 556, 642f. Seligpreisung (en) 68, 363, 393f., 421, 691, 747, 2299 785-787, 792, 968, 1393, 1672-1674,1712f., 1875, 1909 — der Bergpredigt 69, 697, 1119 — des Hörens 1723 — in den S. verkündete Werte 1104 Seminaristen — Vorbereitung der 372 Sendung 1368f., 1379, 1382 — apostolische S. der Kirche 196 — der Laien 56, 62, 477, 1371 — königliche und priesterliche 44 — messianische S. Christi 156 Sendungsauftrag — der katholischen Laien 596 sensus fidei (= Glaubenssinn) 345, 1412 Sex — Ausbeutung des 934 Sexual- und Ehemoral 1063, 2041 Sexualerziehung 1075 Sexualethik 1915 Sexualität 722, 1911, 1985, 2012 Shoah 1591 Sicherheit — der Völker und Staaten 1175 — soziale 1586 Sinn — des Lebens 561, 1929 Sinndefizit 835 Sittengesetz (es) — Fundament des 429 — natürliches 2071 Sittenlehre 1119 Situationsethik 1908 Skeptizismus 1339 Sofia 122 Solidarität 403, 825, 848f., 967, U73f., 1195, 1677, 1701, 1707f., 1823, 1830f., 2135f. — der Entwicklungsländer 2144 — der Menschheitsfamilie 1570 — der Priester 919 — elementare S. der Menschheitsfamilie 1167 — Ethik der erweiterten 2141 — gesellschaftliche und politische 229 — internationale 824, 1525, 1694, 2137, 2147 — ist christliche Tugend 1832 — Pflicht zur 1796 — soziale U68f., 1202 Solidaritätsprinzip 1608 Solidamosc 824, 844, 852, 1129 Sonntag — der Ur-Feiertag 652 Soteriologie 13,201 Souveränität — der (jeder) Nation 895, 2151 — eines (des) Staates 895, 2007 — Gottes 922 Sozialanalytiker 345 Sozialarbeiter 345 Sozialbewegung — katholische 651 Soziale Frage 1263, 1267f., 1407, 1795-1797, 1801, 1836 Sozialethik — christliche 876 Sozialforderungen 309 2300 Sozialhilfe 1441 Sozialisationsprozeß 1371 Sozialkultur 1710 Soziallehre 614, 1092, 1485 — christliche 511, 1836 — der Kirche 372, 408, 453, 651, 874, 1140, 1262, 1405, 1411, 1708, 1710, 1795, 2005 — katholische 820, 998 — kirchliche 825, 1835 Sozialordnung — Reform der 998 Sozialpolitik 1203, 2251 Sozialwissenschaften 1264, 1408 Spannung(en) 937 — ideologisch-politische 1266 — konfessionelle 699 — zwischen Ost und West 1808 Spiritualität 113, 210, 358, 532, 597, 941, 1101, 1576, 1663, 1751, 2227 — Bildung und 503 — christliche 910, 1481 — der Ehe 809, 1479f., 1482f. — der Kirche 1603 — der persönlichen Berufung 502 — der Taufe 2178 — des Volkes 1576 — marianische 1321, 2109f. — östliche 2115 Staat(es) — Souveränität eines (des) 895, 2007 — subsidiäre Funktion des 574 Stabilität — internationale 427 Stand(es) — der Ehe 1389 — der Hirten 1388 — der Laien 1388, 1391 — der Ordensleute 1391 — der Religiösen 1388 — Existenz eines christlichen 1388 Stellvertreterkrieg 1807 Sterbehilfen 612 Sterilität 2085, 2088, 2092 — demographische 1912 Strafvollzug 322 — alternativer 322 Strahlenschutz 645 Strukturen — der Sünde 1827f., 1830f„ 1833 Studenten —1 Erziehung der 984 Stuhl Petri — Amt des 1062 Subsidiarität 410 Subsidiaritätsprinzip 410, 1608 Sünde (n) 13, 217, 221, 249, 266f., 277, 356, 389, 506, 514, 541, 549, 562, 644, 833, 988, 1243, 1755, 1827 . — Abwendung von Gott 548 — Befreiung von der 508 — Knechtschaft der 469 — Macht des Menschensohnes über 267 — Realität der 526 — soziale 998 — Strukturen der 1827f., 1830f., 1833 — Tod Folge der 267 — Überwindung der 549 — und Gnade 1754 — und Tod 265, 269 — Wirklichkeit der 396, 1754 Sündenbewußtsein 548, 978 Sündenfall 1818 2301 Sündenvergebung 218f., 246, 2184 — Amt der 220 Sukzession 794, 2003, 2201, 2206, 2210 — apostolische 2209 — bischöfliche 2173, 2202 Synergeia 1731 Synkretismus 602, 1962 Szientismus 1613 Tag der Frau 63 Tarifverhandlungen 556 Taufbefehl — Jesu 1437 Taufe 19f., 55, 77, 90, 166, 192, 314, 347, 390, 463, 473, 525, 527, 550, 562, 582, 717f., 752, 782, 794, 1038, U08f., 1195, 1362, 1385, 1616, 2170, 2174-2181, 2208f., 2224 • — Christozentrik der 2174 — Erstlingsgnade der 526 — heiligmachende Gnade der 1481 — Jesu 114, 117 — neue 57 — Priestertum gründet in 62 — Sakrament der 21,750, 780,1481 — Sakrament der Wiedergeburt 77 Taufgnade 314f., 2178 Taufpraxis 2178 Taufsakrament 62, 1492 Taufweihe 315 Technik 731 — Fortschritt biomedizinischer 1021 — genetische 1686 — Wissenschaft und 560, 1174, 1815, 2070f. Technologie (n) 1052, 1682, 1685 — moderne 2147 — negative Auswirkungen der 311 — neue 1708 — Transfer von 1837 — Vervollkommnung der 1267 Technologietransfer 1837 Teilkirche 191, 1061, 1401 Terrorismus 507, 581, 934, 1170, 1185, 1192, 1406, 1459, 1488, 1811f. — Gewalt und 419,431 — Verurteilung von 420 Teufel — Vater der Lüge 1088 Theologe (n) — Dialog mit 1064 — forschender 983 — Treffen von T. und Religionsspezialisten 1056 — Verantwortung der 1875 Theologie 815, 819, 982f., 1611-1613 — der Laien 1368 — des Kreuzes 397 — des Laienstandes 1536 — ist Offenbarungswissenschaft 1612 — Naturforschung und 1608 Theophanie(n) 115f., 120, 155, 182 — der Verklärung 115 — dreifältige 114 Theotokos (= Gottesmutter) 287, 1303f., 1735, 1752, 2111-2114, 2116, 2119 Thora (Torah) 85, 924f. Ibd(es) 356 — Christi T. neuer Anlang 1363 — der Seele 988 — Erlösung vom geistigen 1034 — Folge der Sünde 267 — Herrschaft des Menschen über 2082 — Kultur des 969, 1460 — leiblicher 987 2302 — Sünde und 265, 269 — und Auferstehung 151 Todesideologien 720 Todespotential 1263 Toleranz — Tugend der 1559 Totalitarismus 1802 Tourismus 1094 Touristen — Pastoral für die 1950 traditio 1731 Tradition (en) 9 — apostolische 2171f. — Autorität der 2194 — christliche 422 — der.Kirche 634 — des Nomadentums 2245 — legitime Ausdrucksformen von 19 — messianische 44 — Verständnis von 1731 Transsubstantiation 2189 Transzendenz 219, 2006 — der Liebe Gottes 1910 — der Person 419, 486 — des Lebens 496 — des Menschen 561 — göttliche 8, 229 Treue — eheliche 383 Triebverzicht 1564 Trinität 951 Tugend (en) 1105 — christliche 319, 400, 451 — der christlichen Familien 1483 — der Keuschheit 1075 — der Toleranz 1559 — menschliche 451 — soziale 364 — theologische 527 Überentwicklung 1815, 1820 Überlieferung 2172 — apostolische 1732f. — der Väter 1732 — erste christliche 25 — kirchliche 1732 Umwelt 433, 1143, 1660, 1682, 1700, 1708 — Schutz der bedrohten 769 — Sorge für 1814 — Verschmutzung der 310, 1824 — Zerstörung der 1266 Umweltproblem 645 Umweltschutz 1682f., 1696 Umweltverschmutzung 1565 Unfruchtbarkeit 2091 Ungerechtigkeit (en) — Beseitung der klassenbezogenen 373 Ungleichgewicht. — ökologisches 1606 Ungleichheiten — soziale 1800 Universalität — völkische U.. der Kirche 1086 Uhiversalkirche — Einheit der 1085 Universität — Ziel der 604 Universum(s) — mechanistische Erklärung des 1611 2303 — Schönheiten des 311 — Stellenwert des Menschen im 767 Unsterblichkeit 1817f. Unterbeschäfligung 733, 1804 Unterdrückung 1801 — und Folter 1488 Unterentwicklung 1793, 1815, 1820 Unternehmen — legitimer Ausdruck der Freiheit 574 — multinationale 2150 Unversehrtheit — leibliche 2094 Unzufriedenheit 1816 Urbanisierung 1377, 1749 Urbevölkerung — Grundrechte der 1158 Urgemeinde 1110, 1208, 1556 — christliche 225 Urkirche 37, 261, 579, 1333, 1680 — mütterliches Bewußtsein der 1316 Ursünde 1090, 1280 Utilitarismus 863 Vater- und Mutterschaft 1068 Vaterlandsliebe 517 Vaterschaft — göttliche 104 — Gottes 49, 1290, 1292 Vaterunser 67, 69, 141, 222, 459, 910, 970, 973 Vaterunsergebet 104, 140 Verbrechen 934 Vereinigung — eheliche 1219f. — sexuelle 2082 Vereinte Nationen 408 Vergebung — die neue Liebe hervorruft 220 — Verweigerung der 975 Verhaltenskodex — internationaler 2149 Verklärung — Jesu 114 — Theophanie der 115 Verkündigung — der Liebe Gottes 2044 — Wahrheit der 1285 Vermögensbildung 2146 Vernichtungslager 619 Vernunft — und Glaube 1613 Verpflichtung — moralische 1796 — sittliche 1796 Verschuldung 1185, 1964, 2133, 2135, 2142 — internationale 1268, 1695, 1805 Versklavung — Materialismus Quelle der 493 — neue V. der Arbeit 310 Versöhnung 28, 945 — mit Gott 1364 Verstädterungsprozess (es) — Beschleunigung des 2239 2304 Wrtrauen — Hoffnung und 1040 Verzeihen — christliches 1362, 1564 Vitalität — neue christliche 370 Völkerverständigung — internationale 645 Volk (Völker/n) — des Bundes 30 — Gleichheit aller 1831,2135 — Identität jeden 1823 — Kommunikation zwischen den 303 — messianisches 70 Volk Gottes 55, 70, 1060 — Universalität und Verschiedenheit des Vorsehung — Gottes 13, 15 Vorzugsliebe 1448 Wachstum(s) — Grenzen und Gefahren des 645 — und Fortschritt 1265 Wälder — Vernichtung der 1683, 1696 Waffen 1175, U93 — Erwerb von 1811 Waffenarsenale — Erweiterung der 1797 Waffenhandel 1488 Waffenproduktion 1810 Volksbildung — Grundlage für sinnvolle Entwicklung. 343 Volksfrömmigkeit 9, 131, 252, 376, 455f., 461, 464, 536, 539, 541, 1009, 1411, 1903, 2215 Volksgewissen 402 Wiksglauben 9 Volkskirche 439 Volkskultur 1039 Volksmission 343 Volkssouveränität 693 Volkswirtschaften — Interdependenz der 2151 Vollbeschäftigung 408, 412, 558 — Garantie der 1204 Vollkommenheit — in der Liebe 229 Wahrhaftigkeit — innere 1250f. Wahrheit 40f., 50f., 54, 773, 966 — christologische 13 — der Offenbarung 1762 — der Verkündigung 1285 — des christlichen Glaubens 8 — des Evangeliums 316, 1135 — Einheit der 1610 — göttliche 1762 — Gottes 41 — Jesu 969,2042 — Manipulation der 1045 — messianische 39 — Rechtauf 903 — über Christus 38 — über das Wort 195 — über den Messias 60 — über Jesus 8 — und Freiheit 922 — und Kultur 981 — Verpflichtung zur 1045 — vom inneren Leben Gottes 138 — von der Jungfrauengeburt 27 — Zeugnis des Geistes der 1359 Waldsterben 1696 Weltgebetstag für geistliche Berufe 1227 Wallfahrten 2215 Warenaustausch — internationaler 2147 Weihe — sakramentale 2204f. — znm Amtspriestertum 551 Weiheamtes — Gnade des. 1599 Weihepriestertum 961, 1458 Weihesakrament (es) 62, 2224 — Fülle des 375 Weih nachts- und Osterliturgien 1259 Weisheit 87, 89, 122, 195, 537, 1762f. — Fülle der 1652 — göttliefte 85-87 — Gott Sitz der 89 — Suchen nach 85 Welt — Einheit der 1801 — Gerechtigkeit in der 28 — Heiligung der 28 — Kirche und 1368 — Teilung der 1831 Weltanschauung — wissenschaftliche 769 Weltbevölkerung 1694,2239 Weltenende 1325 Welternährung 1693 Weltfinanzsystem — Reform des 1837 Weltfriede (n) 695, 1058, 1175, 1187, 1509, 1586, 1678, 1831, 2135, 2150 Weltgericht 211, 219 — Grundmaterie des 213 — Zweck des 212 Weltgewissen 1143 Weltkriege 1815 Weltordnung 923 Weltproduktion 1694 Weltraumles) — Eroberung des 1267 Weltregionen 1142 Weltsolidarität 1048 Welttag der Jugend 584 Weltwährungssystem — Reform des 1837 Weltwirtschaft — Krisen der 1695 Weltwirtschaftskrise 1841,2142 Wert(e) — der Arbeit 1916 — der Person 1526 — ethisch-soziale 1707 — evangelische 434 — Hierarchie der 452, 731, 1159 — Krise der 554, 1203 — moralische 293, 433, 949 — Rangordnung (Rangfolge) der 874, 1243, 1821f. — sittliche 433 — Verwirrung der 1929 Wesenheit — göttliche 146 Wettrüsten 1193, 1509 2306 Widersprüche — soziale 1378 Wiedergeburt — aus Gott 169 — soziale 307 — Kultur und 651, 1408 — ohne Gewissen 2071 — und Kirche 402 — und Kunst 599 — und Technik 560, 1174, 1815, 2070f. Wiedervereinigung Wohlstand 413, 1526 — der Christen 695 Wohlstandsstaat 1709 Wiedervergeltung — Gesetz der 228 Wohlstandswelt 1245 Wiederverheiratung 1063 Wiederversöhnung — Sakrament der 357 Wirken Gottes Wohnung (en) 2246 — erstrangiges soziales Gut 2243 — gerechte Verteilung der 2243 — leerstehende 2243 — Recht auf 2241 — und Familie 2246f. — Offenbarwerden des 255 Wohnungskrise 1804,2236 Wirtschaft 1706f. Wirtschaftskrise 2141 Wohnungsmarkt (es) — Preise des 2238 Wirtschaftslage Wohnungsnot 1749, 2241 - der Welt 1695 Wohnungspolitik 2239, 2244, 2249 Wirtschaftsleben — Gerechtigkeit im 1915 Wohnungsproblem 1586, 1749f., 2233 — Quelle des 2238 Wirtschaftspolitik 408, 412, 1203, 2142 Wohnungsprogramme 2249 Wirtschaftsstrukturen 1696 Wirtschaftswachstum 2142, 2146f. Wort — Wahrheit über das 195 Wirtschaftswunder 1263 Wort Gottes 1259, 1394, 1755 Wissen (s) — Fortschritt menschlichen 604 — und Gewissen 652 Wissenschaft 653, 1682 — Antinomie zw. W. und Religion 769 — Fortschritt der 1614 — Glaube und 604, 981, 1611, 1926 — im Dienst der Kranken 706 Würde - der Arbeit 307, 309, 450, 453, 560, 813, 849, 873 - der Frau 180, 786, 809, 1387 - der Liebe 389 - der Person 333,353,420,429,458,500, 903,1046,1501,1686,1841,1907f., 1929,2070 - des Menschen 307, 309f., 333, 389, 470, 496, 507, 511, 557, 589, 650, 736, 765, 786, 2307 863, 1190, 1194f., 1232, 1585, 1617, 1643, 1834, 1880, 1916 — Frohbotschaft der 1260 — gleiche W. von Mann und Frau 180 Wunder 262 — der Brotvermehrung 272 — erste W. Jesu 272 — und Zeichen 254-256,259-261,265,267-269, 271, 274, 278-280, 283 — Zeichen göttlicher Vollmacht Jesu 233 — Zeichen von Gottes Macht und Liebe 285 Wunderheilung — als Bekräftigung der Wahrheit 218 Wunderzeichen — und Glauben 284 Zehn Gebote 1909 Zeichen 254-256, 259-261, 265, 267-269, 271, 274, 278-280, 283 — der Kraft des Heiligen Geistes 1355 — sakramentale 1355 Zeitgeist 934 Zeugnis — des Geistes der Wahrheit 1359 Zeugung — geistliche 26 — neue Wege der 1022 — verantwortliche 2083 Zivilisation — der Arbeit 451 — der Liebe 347, 451, 453f., 509, 677, 1341, 1537, 1539, 1824 — des Friedens 509 Zölibat 920, 1004, 1391, 1977 — priesterliches 684 — Priestertum und 820 Zusammenarbeit — internationale 923, 1510 — ökumenische 699 Zweiter Weltkrieg 611, 619, 644, 755, 1458 Zwillingsspaltung 2081 Zygote 2076 2308 Personenregister Organe und Mitglieder der Römischen Kurie, Personenverzeichnis siehe Seite 2254 bis 2261 Aaron Bruder des Mose 44f., 48 Ablondi, Alberto; Bischof 1704 Abraham (Abram) nach israelitischer Überlieferung der erste der drei Stammväter der Israeliten und verwandter Völker 9, 23, 26f„ 30, 33f„ 44f., 51, 106, 189, 193, 200, 203, 317, 897, 924f., 929, 1000, 1051, 1241-1244, 1283f., 1298, 1307, 1360, 1591, 1842, 2246 Abraham, Antoni 828 Adalbert, hl. 2052 Adam biblischer Stammvater der Menschheit 23, 27, 30, 134, 176, 379, 381, 421, 1295, 1362, 1492, 1754 Äneas 261 Afra, hl. Märtyrerin 673, 675, 677, 688 Agapetus I.; Papst (535-536) 712 Agnes, Mario; Prof. 2260 Agnes, sei. 2054 Agrippa König 523, 526 Agustoni, Gilberto; Erzbischof 2256 Alberione, Don 1601 Albert, hl. 1126 Albertini, Mario; Msgr. 2256 Alfons Maria de’ Liguori, hl. 1573-1581 Alfonsin, Raul Staatspräsident Argentiniens 1756 Almagro Entdecker 437 Altfrid; Bischof Gründer des Stiftes Essen 654, 658 Amagro 524 Amand Gründerbischof der Diözese Rennes 1630 Ambrosius, hl. 1443, 1768 Amichia, Joseph Botschafter beim Hl. Stuhl 1184 Andreas; Bischof Franziskaner, erster Bischof von Vilnius 1498 Andreas, hl.; Apostel Bruder des Apostels Petrus 57, 61, 270, 275, 1001, 1072, 1555-1557, 1722, 1774 Angelini, Fiorenzo; Erzbischof Pro-Präsident der Päpstlichen Kommission für das Krankenapostolat 1431, 2258 Anna Mutter Marias 142 Anselm von Canterbury 595 Antonetti, Lorenzo; Erzbischof 2260 • 2309 Antonius von Padua, hl. 986 Aramburu, Juan Carlos; Kardinal 585 Araujo Sales, Eugenio de; Kardinal 2259 Arinze, Francis; Kardinal Präsident des Sekretariats für die Nichtchristen 2161,2257 Aristoteles der Stagyrite Philosoph 1761f. Arrighi, Jean-Frangois; Bischof 2259 Athenagoras ehern. Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel 270, 1633, 1743f. Augustinus, hl. (354-430) Bischof von Hippo, Kirchenlehrer 265, 268, 304, 382, 482, 509, 549, 634, 684, 685, 826, 910, 1439, 1690, 1732, 1768, 1776, 1777, 1855, 2178, 2229 Augustus Kaiser 673 Backis, Audrys Juozas; Msgr. 2254 Bacon, Roger Naturwissenschaftler 1611 Baggio, Sebastiano; Kardinal 2259 Balicki, Jan; Priester 784 Baltakis, Paulius; Bischof 1548 Barela, Stefan; Bischof 892 Barnabas 1108,2029 Bartimäus 38, 284 Bartolucci, Domencio; Msgr. 2260 Barzyns, Jan 1129 Basileios der Große, hl, 1732f. Basilius, hl. 685, 750 Battisti, Alfredo; Erzbischof 1562 Baum, William Wakefield; Kardinal 1751, 2103, 2256 Baziak, Eugeniusz; Erzbischof (verst.) 1994 Bea; Kardinal 1704 Beguin, Oliver ehern. Sekretär der Vereinigten Bibelgesellschaften 1704 Bednorz, Herbert; Bischof 1989 Belgrano, Manuel General 578 Bello, Heinz 628 Benedikt IX.; Papst (1032-1044, 1045, 1047-1048) 712 Benedikt XV; Papst (1914-1922) 1752, 2108 Benedikt, hl. Einsiedler 786, 1764f. Benedikt von Nursia, hl. 654, 696, 771, 1765 Bergson 1190 Bernadette (Soubirous), hl. (1844-1879) B. erschien die Gottesmutter 1858 in Lour-des 153, 1225f., 1896 Bemardin, Joseph Louis; Kardinal 1059f. Bernhard von Clairvaux, hl. 696, 712, 1151, 1280, 1764 Bemhardin von Siena, hl. 1499 2310 Bemini, Carlo; Prof. Präsident der Region Venetien 1238, 1562 Beyzyms; Pater 890 Bianchin, Antonio; Msgr. Generalassistent der Katholischen Aktion Italiens 1534 Bienville, de 978 Biguzzi, Giorgio; Bischof 1938 Blaszynski, Wojciech; Priester 783f. Blond; Kardinal 1998 Bolanos; Fra Luis de 539 Bonaventura, hl. 685 Bonhoeffer, Diedrich 675 Boniecki MIC, Adam; Pater 2261 Bonifatius, hl. 1543, 1592f. Borgomeo SJ, Pasquale; Pater 2260 Borromäus, Karl 1443 Bosco, Johannes, hl. Priester und Jugendapostel 428, 1242 Bovone, Alberto; Erzbischof 2097, 2255 Bayle OP, Leonhard E.; Pater 2261 Brandmüller, Walter; Prof. Präsident der Internationalen Gesellschaft zum Studium der Konzilsgeschichte 1633 Braun, Karl; Bischof 1542 Browning; Bischof Primas der Episkopalkirche der Vereinigten Staaten von Amerika 1195 Bruckner, Anton 1261 Bruno von Köln 696 Buhaczewski, Witold; Pater 1129f. Büro, Michele; Msgr. 2258 Bush, George Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika 204 Caboto 524 Cabrini, Frances, hl. 995, 1025 Cadilhac, Jean; Msgr. 1928 Cadillac Gründer Detroits 1148 Cagliero, Juan; Bischof 499 Cajetan; Kardinal 689 Caldera, Rafael 1262 Calderon, Cipriano; Pater 2261 Callo, Marcel, sei. 1627-1632, 1662, 1773 Cambiagio-Frasinello, Benedetta, sei. 1440, 1444f. Cananzi, Raffaele Präsident der Katholischen Aktion Italiens 1534 Caprio, Giuseppe; Kardinal 2260 Carraro, Flavio Roberto; Pater Minister Generalis der Kapuziner 702 Carrel, Alexis Naturwissenschaftler 893 Carrenza, Pedro de; Bruder 482 2311 Carrier SJ, Herve; Rev. 2259 Carroll, John 980 Casaroli, Agostino; Kardinal Kardinalstaatssekretär 1475, 1573, 1634, 1653, 2254 Cassati, Carmelo; Bischof 726 Cavelier, Robert 978 Ce, Marco; Kardinal 1562 Charrier, Fernando; Msgr. Präsident der Kommission für soziale Probleme und Arbeit der Italienischen Bischofskonferenz 1201 Cheli, Giovanni; Erzbischof 2258 Chevalier, Jules; Pater Gründer der Missionare vom Heiligsten Herzen 1602 Chevrier, Antoine, sei. Pater 1904, 1920f. Chmielowski, Adam, sei. Bruder Albert 880, 1129 Chopin, Frederic poln.-frz. Klavierkomponist, -virtuose 880 Chrysologus, Petrus, hl. 911 Claver, Petrus, hl. 1833 Clemens von Rom, hl. 54, 1616, 2025, 2201 Coelestin III.; Papst (1191-1198) 712 Coelestin V., hl.; Papst (1294) (Petrus Coelestinus) 712 Coggan Lord 1704 . Colman, hl. 1258 Conzdlez vom Heiligen Kreuz, Roque, sei. 539 Cordes, Paul Josef; Bischof 1451, 2257, 2259 Cornelius, hl.; Papst (251-253) 1078,1085 Costalunga, Marcello; Msgr. 2255 Cottardi, Jose; Erzbischof 343 Coughlan, Peter; Msgr. 2257 Courtet, Guillaume frz. Dominikaner 1648 Crisan, Traian; Erzbischof 2256 Croteau, Denis; Bischof 1160, 1163 Cruchaga SJ, Alberto Hurtado; Pater 424f. Cunial, Ettore; Erzbischof 2259 Curley, Mr. 1019 Cyprian, hl. 1078, 1085 Cyrill (Cyrillus), hl. 696, 771, 889, 1477 Cyrill von Alexandrien, hl. 1303, 1868 Cyrus 51 D’Addario, Vincenzo; Bischof 730, 732 Dabrowski, Josef; Pater Gründer des polnischen Seminars 1129 Dadaglio, Luigi; Kardinal Präsident des Zentralkomitees für das Marianische Jahr 1726, 2159, 2212, 2222, 2256 Damian, hl. 654 Daniel; Prophet 92-95, 247 2312 Danneels, Godfried; Kardinal Vorsitzender der Belgischen Bischofskonferenz 1870 Dante Alighieri 886, 1280 Darela, Stefan; Bischof 1989 David (Isaias) König über Israel (1000-960 v. Chr.) 15, 23-25, 27, 38-40, 45, 47, 50f., 66, 69, 103, 106, 164, 229, 338, 458, 657f., 667, 674, 685, 1251, 1284, 1288, 1300, 1778 Dearden, John Francis; Kardinal 1121 Dechant, Virgilio 1238, 1240 Decourtray, Albert; Kardinal 1920 D ’Ercole FDP, Giovanni; Rev. 2258 Derdowski, HieronimJarosz 828 Descartes, Rene frz. Philosoph und Mathematiker 1611 Diego von Medellin; Bruder 464 Diego, Juan 281f. Dimitrios I., Papadopulos; Erzbischof Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel 208, 270, 275, 1555f„ 1633f., 1722, 1728, 1742, 1743, 1752, 1771, 1774f., 1854, 2230 Domingo y Sol, Manuel, sei. 1773 Dominikus, hl. 696, 1648 Don Bosco, Johannes 919 Donders, Petrus, hl. 1581 Doppelbauer; Bischof 1557 Ducoli, Maffeo; Bischof 1562 Dunajewski, Albin; Kardinal 800 Duprey PB, Pierre 2257 Eid, Emilio; Bischof 2258 Ekandem, Dominic Ignatius; Kardinal 1971 Elija 1, 59, 115, 156, 278 Elisabeth (Elisabet), hl. Frau des Zacharias, Mutter Johannes des Täufers, Verwandte Marias 24, 283, 317, 361, 538, 738, 837, 1278, 1281-1283, 1287f„ 1299, 1306f„ 1475, 1595, 1626, 1715, 1759 Emmerick, Anna Katharina; Schwester 629 England, John; Bischof 937 Ephräm, hl. 1303 Epiphanius, hl. 1476 Espiritu Santo, Lucas del, hl. Missionspater 1650 Esther 619f. Etchegaray, Roger; Kardinal Präsident der Päpstlichen Kommission „Iusti-tia et Pax“ 1262, 1712, 1749, 2132, 2251, 2257, 2259 Etter, Tadeusz; Weihbischof 892 Euthymia, Maria Clemensschwester 628 Eva Frau Adams 379, 381, 1288f., 1307 Exiguus, Dionysius; Mönch (um 533) 15 Ezeanya, Stephen Nweke; Erzbischof 1976 Ezechiel; Prophet 92, 95, 202, 1598f., 1721 2313 Fagiolo, Vincenzo; Erzbischof 2256 Fagnano, Jose; Msgr. Apostolischer Präfekt 428, 499 Farina SDB, Raffaele; Rev. 2259 Fedorowicz, Aleksander; Priester 784 Fegiz, Gianfranco; Prof. 1230 Fermina, hl. Märtyrerin 304 Ferrari, Andrea; Kardinal, sei. 1439-1442, 1445, 1772 Figlewicz, Kazimierz; Prälat 805 Fihey; Msgr. 1914 Fiore, Emesto; Msgr. 2257 Fitzgerald PA, Michael Louis; Pater 2257 Flores, Patrick F.; Erzbischof 986 Foley, John P.; Erzbischof 2258,2260 Follereau, Raoul 23 Fortino, Francesco Eleuterio; Msgr. 2257 Fortunatus Diakon Hermagoras 1560f. Foucauld, Charles de 1904 Francis, Dr. Norman 979 Franz von Assisi, hl. (um 1181/2-1226) 198, 314, 394, 696, 702, 712, 869, 1058, 1098, 1100, 1128, 1188, 1429, 1842 Franz von (de) Borja, hl. 1333, 1335 Franz von Sales, hl. 1381, 1902, 1920 Franzi, Francesco Maria; Bischof Präsident des Marianischen Verbandes von Italien 1726 Frasinello, Geovanni Battista 1447 Frehen, Hendrik; Bischof 2038 Gabriel; Erzengel 24, 38, 252, 275, 993, 1279, 1281, 1754, 1760 Gächter, Martin; Weihbischof 2030 Gagnon PSS, Edouardo; Kardinal 2259 Galante, Joseph; Msgr. 2256 Galen, Clemens August von; Kardinal 97, 100, 609, 611f., 628-630, 633-637, 658, 698, 1424, 1660 Galichon, Alain 2260 Galilei, Galileio 1611 Gandhi, Mahatma 825, 1189 Gantin, Bemardin; Kardinal Präsident der Päpstlichen Kommission für die Seelsorge am Menschen unterwegs 1676, 2255, 2258 Garay, Juan de 483 Garces, Francisco; Pater 1025 Garonne, Gabriel-Marie; Kardinal 2259 Garriga, Pedro Tena; Rev. 2255 Garvey, Helen; Schwester 1101 Gelasius I., hl.; Papst (492-496) 711 Gerhardinger, Maria Theresia von Jesu; Schwester 664 2314 Gemnanos Patriarch von Konstantinopel 1734 Ghabroyan, Msgr. 1915 Giedraitis, Merkelis; Bischof 1502f. Giedroyc, Michael; Ordensmann 805 Gieryk, Theodore; Pater 1129 Gijsen, Johannes B.M.; Bischof 1533 Gonzalez, Roque, sei. 525 Grab, Amadeus; Weihbischof 2030 Gran, John Willem; Bischof 2038 Greenan OP, Lambert; Pater 2260 Gregor (I.) der Große, hl.; Papst (590-604) 1733 Gregor IX.; Papst (1227-1241) 712 Gregor XVI.; Papst (1831-1846) 1577 Gregor von Narek, hl. (Mönch) 1303, 1704, 1714f., 1717 Gregorios von Nyssa, hl. 1730, 1732 Grillo, Girolamo; Erzbischof 314 Groblicki, Julian; Bischof 805 Grocholewski, Zenon; Bischof 2257 Groer, Hans Hermann; Erzbischof 1981 Groß, Nikolaus 653, 659 Gualbertus, Johannes, hl. Patron der Waldarbeiter 1562-1564 Gubitosa, P. Tommaso Agostino; Abt 711 Gutenberg, Johann 1048 Hadrian Kaiser 287 Hadrian I.; Papst (772-795) 1634, 1729f., 1735 Haman 619 Hammer OP, J. Jeröme; Kardinal 2256 Hananias 1208 Hanna Zeugin der Darstellung Jesu im Tempel 1212 Hannan, Philip Matthew; Erzbischof 950 Haydn, Joseph Komponist, Kirchenmusiker 1261, 1542 Haydock, George, sei. engl. Märtyrer 1718 Heath, Henry, sei. Märtyrer 1719 Hedwig, sei. (Jadwiga) Königin Polens 128, 798, 803-805, 806, 853, 1498, 1994 Hellin GIL, Francisco; Rev. 2259 Hemmerle, Klaus; Bischof 1723 Hengsbach, Franz; Bischof 216, 653f., 656 Hermagoras; Bischof, hl. 1560f. Herodes Agrippa I. (37-4 v. Chr.) König von Judäa 12, 14, 16, 543, 1183, 1285f. Herranz, Julian; Msgr. 2258 Hieronymus, hl. 98, 287, 685 Hildegard von Bingen, hl. 696 2315 Hippokrates griechischer Mathematiker 1699 Hitler, Adolf 610 Höffher, Joseph; Kardinal 608, 624, 1582, 1644f., 1653f., 1659 Hofbauer, Klemens M., hl. 1581 Hoffmann SJ, Karlheinz; Pater 2258 Heldentum, Dr. 938 Horten, Titus 628 Hozjusz, Stanislaus; Kardinal 758 Hugo von Cluny 696 Husserl Lehrer Edith Steins 621 Ignatius von Antiochien, hl. 369, 1133, 1745, 2029, 2201 Ignatius von Loyola 669, 696 Innocenti, Antonio; Kardinal 2256 Innozenz II.; Papst (1130-1143) 712 Innozenz IV.; Papst (1243-1254) 1489 Irenäus von Lyon, hl. (gest. um 202) Kirchenvater 173f., 196, 1288, 2029 Irene; Kaiserin Mutter Konstantins VI. 1730 Isaak 924, 1000, 1243, 1360 Jadwiga (vgl. Hedwig) Jagiello von Litauen, Wladyslaw König von Polen 128, 692 Jairus 259, 279, 284, 387f. Jakob Vater von Josef, dem Mann Marias 27 Jakob Stammvater Israels 51, 924, 1000, 1360, 1650 Jakobus, hl.; Apostel Bruder des Johannes 115, 117, 156, 257, 278, 1348, 2029 Jamet, Pierre-Francois, sei. Priester 1440, 1443-1445, 1773 Janssen, Arnold, sei. Pater 118 Jarosläv (Jaroslaw) der Weise Sohn des hl. Wladimir 1619 Jedin, Hubert Kirchenhistoriker 682 Jeremia (Jeremias); Prophet 7, 51, 139, 202, 1003, 1532 Jesaja (Jesaia); Prophet 12, 26, 32, 34, 50-55, 58, 60f., 66, 122, 168, 170f., 182, 196, 200, 254, 338, 553f., 586f., 995, 1052, 1084, 1099, 1109, 1112f., 1153, 1161, 1207, 1224f., 1234, 1277, 1292, 1346, 1354, 1450, 1452, 1627, 1647, 1650, 1777-1779 Jesus Sirach Sohn des Sirach 13, 44f., 163, 1651 Jesus, genannt Justus Mitarbeiter des hl. Paulus 14 Jogues, Isaac, hl. 1025 Johanna von Chantal, hl. 1902 Johannes XXIII.; Papst (1958-1963) 108, 222, 270, 756, 825, 903, 1073, 1092, 1169, 1476, 1478, 1489, 1491, 1502, 1524, 1577, 1637, 1689, 1743f., 1795, 2144 2316 Johannes, hl.; Apostel und Evangelist Bruder des Jakobus 83, 88, 106, 115, 117, Josua 13, 15 133-135, 140, 143, 149, 156, 162, 168f., 175f., 184f., 188, 194-197, 213, 217, 219, 232, 235f., Judas (Iskariot) 94, 241, 1024, 1026 240, 242, 255f., 267f., 272f., 278, 286, 292, 362, 457, 564, 589, 717, 725, 727, 807, 914, Jugan, Jeanne, sei. 1630 951, 1013, 1049, 1098, 1294f., 1312, 1316, 1318-1320, 1323, 1339, 1348, 1360, 1428f., Kaczmarek, Lech; Bischof 892 1434, 1457, 1521, 1648, 1671f., 1688, 1763 Kada, Lajos; Erzbischof 2255 Johannes; Diakon 1730 Kadlubek, Wincenty, sei. 801 Johannes Chrysostomus, hl. griechischer Kirchenlehrer 1304, 1732 Kain 1818 Johannes Damaskenos, hl. byzantinischer Kirchenlehrer 1732, 1737 Kajaphas Hoherpriester 93, 105, 268 Johannes der Täufer 7, 12, 24, 53, 55, 57-59, Kalinowski, Raphael, sei. 1129 61, 114f., 117, 123, 150, 156, 171, 176, 254, 256, 267, 538, 1282, 1538, 1746f. Kamillus von Lellis, hl. 1431f., 1434 Johannes Gualbertus, hl. römischer Kaiser 1561 Karl V. Kaiser 438 Johannes Paul 1. ; Papst (1978) 1257, 1478 Karlina, sei. 1996 Johannes Paul II. (Joannes Paulus); Papst 806, 972, 1070, 1253, 1390, 1478, 1507, 1514, 1528, Kasimir, hl. Patron Litauens 1502, 1505, 1551 1555, 1581, 1584, 1590, 1596, 1644f., 1722, 1751, 1785, 2054, 2072, 2078, 2097, 2103, Katharina von Siena, hl. 712 2109, 2131, 2140, 2157, 2165, 2217, 2220, 2230, 2254 Kazimierz, Jan, hl. 780, 805, 2000 Johannes vom Kreuz OCarm, hl. (1542-1591) 422, 548, 623, 1287 Kepler, Johannes deutscher Astronom 1611 Johannes von Gott, hl. 1431f., 1434 King, Dr. Martin Luther 964 Jona 92 Kinga Fürstin und Ordensfrau 786 Josaphat, hl. 1615, 1619 Kino, Eusebio; Pater 1025, 1032 Josef (Joseph), hl. 14f., 24f. , 27, 31, 33, 65, 149, 222, 287, 290, 292-294, 302, 308, 316-320, 323f., 379f., 384f„ 536, 543, 810, Klara, hl. 786 1001, 1038, 1177, 1211, 1284-1287, 1290, 1333, 1335, 1583, 1727, 1778 Klaus, hl. (vgl. Nikolaus von Flüe) Klemens von Alexandrien 185 Krenn, Kurt; Weihbischof 1981 Klemens von Rom, hl. (vgl. Clemens von Rom) König, Franz; Kardinal 1981 Könzgen, Gottfried 653, 659 Kolbe, Maximilian, hl. 675, 783, 869, 919, 1128, 1425, 1833, 1998 Kolping, Adolph Gründer des Kolpingwerks 1484-1486 Kolumbus, Christoph 522 Konrad II. Kaiser 692 Konstantin V. isaurischer Kaiser 1733 Konstantin VI. Kaiser 287, 713, 1730 Kopemikus, Nikolaus 1611 Komilowicz, Wladyslaw; Priester 784 Kosciuszko, Tadeusz 1129 Kosmas, hl. 654 Kostelecky, Alfred; Msgr. Militärbischof 1981 Kostka, Stanislaus, hl. 797 Kouassi, Rene 1883 Közal, Michal, sei. Bischof 126, 783, 817, 837, 889f., 1129, 1772f. Közkas, Karolina (Caroline), sei. Karmelitin 126, 785, 787f„ 792f., 795, 809, 853, 1129, 1773 Krzyzanowski, Wlodzimierz 1129 Kwiatkowski, Eugeniusz 829 Kyrill, hl. Apostel und Lehrer der Slawen, Gründer der altslawischen Kirchensprache, Patron Europas 263 Kyrillos von Alexandreia 1732 Ladislaus II. (vgl. Jogailä) König von Polen, Mann der sei. Hedwig 1498f. Lambron, Nerses von, hl. Bischof 1717 Lambton, Joseph, sei. 1719 Lara SDB, Rosalio J. Castillo; Kardinal 2258 Larranaga, Dämaso Antonio Apostolischer Vikar 344 Lasso de la Vega y Miranda, Juan Generaloberer der Kongregation des Heiligsten Erlösers 1573 Laurence; Bischof 154 Laurentius, hl. 1133 Lazarus 116, 156, 162, 165, 201, 207, 234, 239, 260, 267-269, 284, 447-449, 453, 881, 984, 995, 1141, 1263, 1823, 1836, 2245f. Ledöchowska, Urszula (Ursula), sei. Gründerin der Gemeinschaft der Grauen Ursulinen 869f., 1129 Leisner, Karl 628 Lekai, Laszlo; Kardinal 2055 Leo der Große, hl.; Papst (440-461) 432 2318 Leo IX., hl.; Papst (1049-1054) 712 Leo XIII.; Papst (1878-1903) 1202, 1206, 1431f., 1790, 1795 Leon III. isaurischer Kaiser 1733 Leszczynska, Stanislawa 877f. Levi 44, 48 Leon, Ponce de Entdecker 930 Lincoln, Abraham 924 Lisowski; Bischof 796 Llorente CMF, Jesus Torres 2256 Longo, Bartolo; sei. Tili. Lopez, Ivan Marin; Rev. 2259 Lourdousamy, Simon D.; Kardinal Präfekt der Kongregation für die Orientalischen Kirchen, Präsident von R.O.A.C.O. 1538, 1751, 2119, 2255, 2259 Lubachivsky, Myroslav Ivan; Kardinal Präsident der Päpstlichen Kommission für das Krankenapostolat, Präsident des Päpstlichen Rates für die Laien 1669 Luciani, Albino; Kardinal später Papst Johannes Paul I. 1578, 1600 Ludgerus, hl. erster Bischof von Münster 627f., 633, 654, 658 Lukas, hl.; Evangelist 14f., 24-27, 30, 31, 33, 53, 86, 115, 135, 138, 159, 182f., 184, 218, 220, 240-242, 244, 255, 267, 273, 284, 359, 380, 384, 436, 738, 970, 1277, 1281, 1285, 1348, 1552, 1597, 1778 Lustiger, Jean-Marie; Kardinal 1915 Luther, Martin Reformator 99, 689, 695 Macharski, Franciszek; Kardinal 1592 Madema, Carlo Architekt 1238 Magalhaes 524f. Magarotto, Cesare; Prof. 1234 Magdalena 1360 Magee, John; Bischof 1256 Magellan Entdecker 437 Magistris, Luigi de; Msgr. 2159, 2256 Mahony, Roger Michael; Erzbischof 1037 Mahyeuc, Yves, sei. 1630 Majdanski, Kazimierz; Bischof 807, 2259 Majella, Gerhard, hl. 1581 Makouaka, Felicien-Patrice; Bischof 1934 Malachias; Prophet 1211 Malchus 278 Malczewska, Wando. 870 Malkowski, Aleksander 828 Mamie, Pierre; Bischof 2030 Manning, Timothy; Kardinal 1037 Manoir, Julien, sei. 1630 2319 Manuel Domingo y Sol, sei. Pfarrer 78, 1333, 1336-1338 Marchesi, Pierluigi; Bruder 1431 Marchisano, Francesco; Msgr. 2256 Marchite FBF, Jose Luis Redrado; Pater 2258 Marcondes, Expedito; Msgr. 2261 Marconi, Guglielmo 1048 Margarete von Schottland, hl. 2025 Maria Schwester des Lazarus 447f. Maria Frau des Klopas 1294 Maria Angeles, sei. Schwester 78, 1333, 1335 Maria Magdalena 140, 659, 1294, 1366 Maria Pilar, sei. Schwester 78, 1333, 1335 Maria Thersia von Jesu; Schwester (vgl. Gerhardinger) Marini, Piero; Msgr. 2260 Markus; Evangelist 31, 59, 95, 115, 141, 169, 218, 225, 230, 241-243, 250, 269, 273, 278f., 284, 388, 518, 970, 1290, 1561 Marta (Martha) Schwester des Lazarus 201, 234, 267f., 284 Martin, hl. 1896 Martin, Diarmuid; Msgr. 2257 Martin, Jerome; Bischof 2059 Marusyn, Miroslav Stefan; Erzbischof 2119, 2255 Marx, Karl Begründer des Marxismus 1484 Masayuki SDB, John B. Shirieda; Rev. 2257 Massanet Franziskanerpater 986 Mathos, Edouard; Bischof 2059f. Matthäus; Evangelist 7, 14f., 16, 24-27, 30, 33, 37, 39, 52f., 59, 105, 115, 139, 158, 182f., 218, 227, 240f., 249, 255, 273, 304, 522, 586, 1277, 1290, 1552, 1627, 1645 Matthias erster Bischof von Medininkai 1499 Matulaitis (Matulewicz), Joh.; Bischof 135, 137 Matulaitis, Jurgis, sei. Erzbischof von Vilnius 1497, 1503f., 1550L, 1773 Mauritius Kaiser Ostroms (582-602) 178 Maximilian, hl. (vgl. Kolbe, Maximilian) Maximos Hakim 1635 May, John L.; Erzbischof Vorsitzender der katholischen Bischofskonferenz der USA 1590 Mayer OSB, Paul Augustin; Kardinal Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst 2126, 2255 Mayer, Rupert, hl. 7, 99f., 244, 608, 610, 612-614, 617, 658, 664-671, 696f., 699f., 1424, 1660, 1773 Mazzoni, Pier Luigi; Msgr. 2254 2320 McCarthy, Edward A.; Erzbischof 909 McNamara, Kevin; Erzbischof 1951 McNulty, Father 912, 915 Meisner, Joachim; Kardinal Vorsitzender der Berliner Bischofskonferenz 1553 Mejta, Jorge Vizepräsident der Päpstlichen Kommisstion „Iustitia et Pax“ 2132, 2251, 2257 Melaine Günderbischof der Diözese Rennes 1630 Melchisedek König von Salem und Priester des höchsten Gottes 44-48 Melli, Raffaele; Msgr. 2255 Mendoza 524 Mendrala, Wladyslaw; Prälat 795 Merten, Blandin, sei. dt. Ordensfrau 1660, 1671-1676, 1678f. Mesrob, hl. Kirchenlehrer 1716 Messina, Antonia, sei. 1627-1632, 1662, 1773 Method (Methodius), hl. (gest. 885) Apostel der Slawen, Kirchenvater, Patron Europas 263, 696, 771, 889, 1477 Metzger, Max Josef 576 Metzler OMI, Joseph; Pater 2261 Micha; Prophet 14, 15 Michael, hl.; Erzengel 711-713 Michalski, Konstanty; Prof. 795 Michelangelo 1766 Mindaugas; Großherzog 1498 Mistrorigo, Antonio; Bischof 1562 Moczygemba, Leopold; Pater 1126, 1129 Modrzejewska, Helena 1129 Modzelewski, Jerzy; Weihbischof 892 Monduzzi, Dino; Bischof 2260 Monika, hl. 684 Montfort, Ludwig Maria Grignion de, hl. 1322, 1630, 1998 Moreau, Louis-Zephirin, sei. Bischof 1440, 1442f., 1445 Morosini, Pierina, sei. 1627-1628, 1630-1632 Moscati, Dr. Giuseppe; hl. neapolitischer Arzt 237f., 1654-1658, 1662, 1700, 1773 Mose(s) in der alttestamentlichen Überlieferung Gesetzgeber und Begründer Israels, der das Volk aus Ägypten herausgeführt hat 13f., 15, 44, 48, 51, 65, 93, 103, 106, 115, 149, 151, 189, 193, 200, 203, 213, 225, 227, 230, 236, 262, 674, 676, 810, 832, 900, 924, 1000, 1001, 1033, 1044, 1089f., 1211, 1286, 1356, 1528 Mosen Sol (vgl. Manuel Domingo y Sol) 13f., 15, 44, 48, 51, 65, 93, 103, 106, 115, 149, 151, 189, 193, 200, 203, 213, 225, 227, 230, 236, 262, 674, 676, 810, 832, 900, 924, 1000, 1001, 1033, 1044, 1089f., 1211, 1286, 1356, 1528 Mcryne, Jean Baptiste Le 978 Mozart, Wolfgang Amadeus 1261, 1542 2321 Mutter Teresa 749 Namuncum, Ceferino 504 Natalini, Terzo; Msgr. 2261 Natan; Prophet 103, 106 Natanael (Nathanael) 14, 1001 Navarro-Valls, Joaquln; Dr. 2258 N'Doyen, Joachim; Bischof 2059f. Nebukadnezar 51 Neri, Philipp 919 Nero Kaiser 1561 Neumann, Johannes Nepomuk, hl. 1581 Neumann, John, hl. 1025 Neves OP, Lucas Moreira; Erzbischof 2254 Newmans, John Henry; Kardinal 834 Newton, Isaac engl. Physikern. Mathematiker 1523, 1609, 1611, 1614 Nicolö, Julian de; Msgr. Generalsekretär des Zentralkomitees für das Marianische Jahr 2222, 2258 Nikephoros von Konstantinopel, hl. 1736 Nikodemus gelehrter jüdischer Rabbi, Mitglied des Hohen Rates, Pharisäer 8, 10, 93, 194, 213, 234f., 239, 899, 952, 1032f., 1034, 1036 Nikolaus von Flüe, hl. 1430, 1634, 1642, 1729f., 1735, 2028, 2033f. Nisch, Ulrika, sei. dt. Ordensfrau 1660, 1671, 1673-1675, 1678f. Norbert von Kanten 696 Norwid 792, 882, 884 Noyer MEP, Roger du; Pater 2259 Noe, Virgilio; Erzbischof 2126, 2255 Nze Abuy, Rafael Maria; Erzbischof 1861 Nünez del Prado 524 O'Brian, Thomas J.; Bischof 1024 O ’Fiaich, Tomäs; Kardinal 1951 Olga, hl. 1615 Olha, hl. 1124 Ortas SDB, Antonio M. Javierre; Erzbischof 2256, 2259 Otto, hl.; Bischof 694 Paceili; Kardinal später Papst Pius XII. 525 Paderewski, Ignacy 1129 Palazzini, Pietro; Kardinal 2256 Palou, P. 1109 Parthenios Patriarch von Alexandrien 1253 Pastore, Pierfranco; Msgr. 2258 Patrick, hl. 1256f. Paul III.; Papst (1534-1549) 1028, 1158 Paul V; Papst (1605-1621) 1239 2322 Paul VI.; Papst (1963-1978) 118, 192, 223, 270, 365, 368, 413, 433, 482, 487, 511, 534, 580, 596, 771, 825, 903f., 921, 962, 976, 1016-1018, 1047, 1069, 1086, 1116, 1133, 1142, 1144, 1148, 1152, 1158f., 1167, 1171, 1176, 1199, 1231, 1257, 1262, 1264, 1267, 1273, 1320, 1390, 1477, 1486, 1488, 1538, 1580, 1608, 1633, 1664, 1686, 1689, 1704, 1725, 1743f., 1749, 1775, 1783, 1790f., 1793, 1795-1797, 1799, 1812, 1816f., 1821, 1824, 1826, 1831f., 1834, 1842, 1844, 1867, 1902, 1919, 1932, 1938, 1944, 1966, 1975, 1978, 1985, 2010, 2043-2046, 2108, 2141, 2143, 2147, 2151f., 2174, 2217, 2220, 2239, 2248 Paul, hl. 1441 Paulus, hl.; Apostel 4, 16, 18, 24, 30, 33, 42, 54f., 87, 89, 107, 133, 137f., 140f., 146, 163, 166, 170f., 176, 202, 204, 230, 239, 261, 313f., 341, 344, 346, 354, 356, 380, 414, 420, 436, 448, 453, 462f., 465f., 468, 474f., 477, 480, 508, 512, 514-516, 519, 521, 523, 526f., 549, 552, 554, 570, 577f., 587f., 613, 633f., 649, 664, 666, 670, 679, 690-692, 696, 712, 718, 729, 748, 764, 783, 788, 793, 798, 801f., 808, 814, 837, 841, 848, 860, 862, 888, 900, 906, 911f., 913, 926, 932f., 944, 946, 949f., 966, 968, 974, 978, 983, 987f., 1003, 1007, 1010, 1014, 1016, 1034, 1036, 1038, 1041, 1084f., 1091, 1096f., 1098, 1105f., 1108, 1110, 1114, 1120f., 1123, 1132, 1133, 1148f., 1151, 1154, 1157, 1208, 1223, 1240f., 1246, 1248, 1272, 1310, 1316, 1341, 1353, 1358, 1361, 1380, 1388, 1428, 1438, 1456, 1473, 1475, 1492, 1503, 1538, 1543, 1548, 1550, 1552, 1555, 1557, 1564f., 1569, 1592, 1598, 1599, 1616, 1622, 1632, 1646-1648, 1651, 1655, 1680, 1712, 1721, 1728, 1732, 1755, 1819, 1853, 1861, 1866, 1878, 1881, 1891, 1894, 1897, 1898, 1928, 1931, 1943, 1947, 1951f., 1958f., 1967, 1971, 1976f., 1979, 1982, 2008, 2017, 2023, 2029, 2034, 2045, 2048, 2053-2055, 2217, 2230 Pelotte; Bischof 1027 Penuel Vater der Hanna 1212 Petrus (Simon Petrus, Kephas), hl.; Apostel 7, 8, 101, 37, 41, 57, 59f., 83, 89f., 104, 107, 115-118, 120, 130, 137f., 147, 155f., 176, 187, 190f., 204, 209, 211, 220, 235, 240, 241, 248f., 251, 253-256, 259, 261, 270, 273, 278f., 281, 284f., 305, 326-328, 332, 334, 338, 342, 351, 362, 377, 435-437, 439f„ 450, 482-484, 546, 565, 594, 598, 608, 627f., 635, 658, 660, 662, 667, 672, 674, 692, 717-719, 785, 799, 815, 829f., 862, 868, 891, 901, 922, 930, 932, 935-937, 944, 974, 976, 1001, 1024, 1026, 1037-1039, 1042, 1062, 1072, 1078f., 1122, 1156, 1182, 1223, 1240, 1257, 1297, 1348, 1422, 1424, 1428, 1437, 1440, 1497, 1516, 1531, 1538, 1543f., 1555, 1557f., 1559, 1561, 1567, 1570, 1583, 1615, 1616, 1634, 1637, 1648, 1716, 1720, 1722, 1728, 1730, 1743f., 1748, 1764, 1769f., 1853, 1861, 1866, 1870, 1877, 1881, 1894, 1909, 1928, 1934, 1937f., 1942, 1947, 1951, 1959, 1971-1973, 1976f., 1982, 1987f., 1990, 2002, 2008, 2016, 2019, 2025, 2029, 2030, 2047, 2052-2054, 2058-2060, 2230 Pfarrer von Ars (Viyanney, Johannes Maria), hl. 89f., 104, 107, 115-118, 120, 130, 137f., 147, 1551, 176, 187, 1901, 204, 209, 211, 220, 235, 240, 241, 2481, 251, 253-256, 259, 261, 270, 273, 2781, 281, 2841, 305, 326-328, 332, 334, 338, 342, 351, 359, 362, 377, 435-437, 4391, 450, 482-484, 546, 565, 594, 598, 608, 6271, 635, 658, 660, 662, 667, 672, 674, 692, 717-719, 785, 799, 815, 8291, 862, 868, 891, 901, 919, 922, 930, 932, 935-937, 944, 974, 976, 1001, 1024, 1026, 1037-1039, 1042, 1062, 1072, 10781, 1122, 1156, 1182, 1223, 1240, 1242, 1257, 1297, 1348, 1350, 1422, 1424, 1428, 1437, 1440, 1497, 1516, 1531, 1538, 15431, 1555, 15571, 1559, 1561, 1567, 1570, 1583, 1615, 1616, 1634, 1637, 1648, 1716, 1720, 1722, 1728, 1730, 17431, 1748, 1764, 17691, 1853, 1861, 1866, 1870, 1877, 1881, 1894, 1909, 1928, 1934, 19371, 1942, 1947, 1951, 1959, 1971-1973, 19761, 1982, 19871, 1990, 2002, 2008, 2016, 2019, 2025, 2029, 2030, 2047, 2052-2054, 2058-2060, 2230 Pharao 103, 106 2323 Philippus; Apostel 14, 145, 232, 236, 240, 716f., 1001, 1072 Popieluszko, Jerzy; Priester 128, 761, 784, 797 Pierli, Francesco; Pater 1434 Postgate, Nicholas Märtyrer 1719 Pilarczyk, Daniel E.; Erzbischof 1071f., 1074 Poupard, Paul; Kardinal 2257, 2259 Pilatus, Pontius 26-36 n. Chr. Statthalter der Provinz Judäa 14, 39-41, 48, 50, 54, 67, 105, 193, 201, 697, 1718 Povilonis, Liudas Apostolischer Administrator von Kaunas und VilkaviSkis, Präsident der Litauischen Bischofskonferenz 1497 Pinhas 45 Powell, Sir Robert 661 Pio da Pietralcina; Pater 702-706, 708 Prabhu, Peter Paul; Msgr. 2258 Piotrowin 780 Primatesta, Raul; Kardinal 529, 585, 591 Piovesana SJ, P. Gino 1751 Prodi, Romano; Prof. 1525 Pironio, Eduardo Francisco; Kardinal 585, 1467, 2257f. Przykucki, Marian; Bischof 829 Pulaski, Kazimierz 1129 Pius IX.; Papst (1846-1878) 154, 323, 1485, 1504, 1577 Quinn, John Raphael; Erzbischof 1063f., 1097, 1102 Pius VI., Papst (1775-1799) 672 Radziszewski, I.; Priester 776 Pius X., hl.; Papst (1903-1914) 795, 1261 Rasoamanarivo, Viktor 1959 Pius XI.; Papst (1922-1939) 136, 316, 611, 869, 926, 1432, 1688-1690, 1752f., 2108 Ratzinger, Joseph; Kardinal 1425, 2097, 2255 Pius XII.; Papst (1939-1958) 178, 525, 647, 926, 1214, 1313, 1321, 1478, 1487, 1502, 1577, 1689, 1782 Re, Giovanni Battista; Erzbischof 2255 Reagan, Ronald Präsident der Vereinigen Staaten von Amerika Pinera, Bernardino; Erzbischof 360 204, 1076, 1509 Pluta, Wilhelm; Bischof 892 Rechowicz, Marian; Bischof 892 Poletti, Ugo; Kardinal 858,1201,1457 Ribeiro, Antonio; Kardinal 2008 Polykarp von Smyrna, hl. 54, 2029 Rield, Luis Beltran; Pater 444 Pondolfi, Filippo Maria italienischer Minister für Landwirtschaft und Forsten 1562 Rizzato, Oscar; Msgr. 2254 Rizzi, Mario; Msgr. 2255 2324 Rode CM, Franc; Pater 2257 Rossano, Pietro; Magnificus Msgr. Samuel; Prophet (= der ungenannte Gott ist El) 1333 Rektor der Päpstl. Lateran-Universität 1688 Sanchez, Jose T.; Erzbischof 2256 Rossi, Agnelo; Kardinal 2254, 2260 Rubinstein, Artur 1129 Saouma, Edouard Generaldirektor der FAO 1693 Ruffini MI, Felice; Pater 2258 Sara 379, 381 Rugambwa, Laurean; Kardinal 2047 Sarkander, Johannes 2054 Ruini, Camillo, Msgr. Generalsekretär der Italienischen Bischofskonferenz 1201, 1457 Sarr, Theodor Adrien; Bischof Vorsitzender der Bischofskonferenz des Senegal 2034 Ruiz, Lorenzo, hl. Saulus von Tarsus 1108 Märtyrer von Nagasaki 1647f., 1773 Scelzo, Angelo; Dr. 2260 Runde, Robert, Dr.; Erzbischof 1596 Schaffran, Gerhard; Bischof 1877 Ruotolo, Riccardo; Msgr. 705 Scheler, Max 621 Rut 946 Schleck CSC, Charles; Pater 2256 Ryan, Dermot; Erzbischof 1951 Schiembach, Anton; Bischof 690 Reche Jules, (Bruder Amould), sei. 1671-1676, 1773 Schotte, Jan; Msgr. 1468, 1669 Sabattani, Aurelio; Kardinal 2257, 2261 Schubert, Franz 1261, 1542 Sacharja (Sacharias, Zacharias); Prophet 39, Schuh, Karlheinz; Dr. 2260 1592, 1713, 1714 Schwammer, Luigi Righi; Comm. 2254 Sailer, Johann Michael; Bischof 685 Sekey, Benedict Dotu; Bischof 1938 Salle, de la 978 Sepe, Crescenzio; Msgr. 2254, 2260 Salomo (Salomon) König von Israel und Juda (etwa 965-926 v. Seraficus; Pater 702 Chr.) 38, 51, 87f., 1239 Sergius I., hl.; Papst (687-701) 178 Salvadores OP, Jordan Gailego; Pater 2257 Serra, Junipero; Pater 1028, 1082, 1095-1097, 1109 Samore, Antonio; Kardinal 59f., 335, 337, 506, 1477 Seton, Elizabeth Ann, hl. 995 2325 Severin, hl. 726 Shenouda III. Koptischer Orthodoxer Patriarch 2108 Shubsda, Thaddeus A.; Bischof 1095 Silva, Manuela Präsidentin der MUC-Pax Romana 1604 Silvestrini, Achille; Erzbischof 2254, 2259 Silvi, Pietro; Msgr. 2261 Simcic, Milan; Msgr. 2256 Simeon Zeuge der Darstellung Jesu im Tempel 52, 55, 214, 810, 812, 1050, 1054, 1112, 1212f., 1215, 1285, 1288 Simpert, hl. 673 Sixtus III.; Papst (432-440) 1512 Sixtus IV; Papst (1471-1484) 303 Skarga, Piotr 802 Soedjatmoko, Dr. Rektor der UN-Universität Tokio 1471 Sokrates griechischer Philosoph 1689 Solano, Francisco, hl. 525 Soler, Mariano; Erzbischof 344 Somalo, Eduardo Martinez; Erzbischof 2254 Soronios, hl. Patriarch von Jerusalem (7. Jht.) 142 Spinola y Maestre, Marcelo, sei.; Kardinal 78, 1333, 1335, 1772 Sposito, Luigi; Msgr. 2260 Sproll, Johannes Baptista; Bischof 611 Stanislaus, hl. Bischof und Märtyrer 744, 780, 786, 793, 795, 805, 1990 Stein, Edith (Teresia Benedicta vom Kreuz), sei. Schwester 96f., 99f., 608, 610, 612f., 615, 617-627, 629, 658, 666, 675, 696f., 699f., 747, 1424, 1773 Stein, Rosa Schwester von Edith Stein 620, 623 Stensen, Niels 2039 Stephan, hl. König Ungarns 2058f. Stephanus (Stefanus), hl. Märtyrer 91, 291f., 1108, 1133, 1439 Stickler SDB, Alfons Maria; Kardinal 1216, 2261 Stimpfle, Josef; Bischof 672 Stojan, Anton Cyrill 2054 Storm, Gerhard 628 Straaten, Werenfried von; Pater Ostpriesterhilfe 1680 Sucharskis, Henryk Major 837 Suhr, Johannes Theodor; Bischof 2033 Swierad, hl. Einsiedler 786 Sygnet, Stanislaw; Weihbischof 892 Synod, hl. 1555 Szoka, Edmund C.; Erzbischof 1121, 1124 2326 Szymanowski, Karol 880 Tagliabue, Fiorenzo; Dr. 2260 Tarasios ehern. Patriarch von Konstantinopel 1729f. Taylor, Hugh, sei. Märtyrer 1719 Tchidimbo CSSp, Raymond-Marie; Erzbischof 2259 Tekakwitha, Kateri 1029 Teresa de los Andes, sei. Schwester 81, 84, 414-418, 421f., 1773 Teresa von Jesus, sei. Schwester 78, 1333, 1335 Teresia Benedicta vom Kreuz, sei. Schwester (vgl. Stein, Edith) Tessarolo CS, Giulivo; Pater 2258 Theodoros Studites, hl. 1736 Theresia (Teresa) von Avila, hl. Theresia von Jesus, span. Teresa de Jesus 415, 622 Theresia von Lisieux, hl. Theresa (Theresia) vom Kinde Jesu, auch: Kleine Theresia 350, 1438 Thiandoum, Hyacinthe; Kardinal 1669, 2034 Thomas, hl.; Apostel 201, 232, 235, 243f., 1454 Thomas More (Morus), hl. engl. Staatsmann u. Humanist 1719 Thomas von Aquin, hl. (um 1225-1274) 242, 406, 517, 622, 712, 772, 2000 Thomas von Kempen 643 Theas; Bischof Gründer der Pax-Christi-Bewegung 644 libodo Oberst 1629 Timotheus 913, 1503, 1897, 2055 Titus 2029 Tobias 379, 381 Todi, Giacopone da Dichter 725 Tomasek, Frantisek; Kardinal 2052 Tomko, Jozef; Kardinal Präfekt der Kongregation für die Glaubensverbreitung 1527, 2256 Trajan Kaiser 303, 306 Trin van Can; Kardinal Vorsitzender der Philippinischen Bischofskonferenz 1669 Tsuchida, Masao SJ; Prof. 1471 Tucci SJ, Roberto; Pater 2260 Tutas, Stephen; Pater 1101 Tymieniecki, Wincenty; Bischof 869 Ulrich, hl. Bischof 673, 677, 688 Unterkoefler, Emest Leo; Bischof 935 Urban II.; Papst (1088-1099) 712 Urban VI.; Papst (1378-1389) 712 Urban VIII; Papst (1623-1644) 1502 Urban, Wincenty; Weihbischof 892 2327 Ursi, Corrado; Kardinal 238 Vaicius, Antanas; Bischof 1548 Vaillati, Valentino; Erzbischof 711 Valancius, Motiejus; Bischof 1503 Valdivia, Don Pedro de 437 Valdoni, Pietro; Prof. 1230 Vekemans, Roger; Pater Leiter der „Kirche in Not“ 1680f. Vendramo, Calisto; Pater 1431 Vera, Jacinto; Bischof 344 Veraja, Fabijan; Msgr. 2256 Verbeek, Paul, Dr. deutscher Botschafter beim Hl. Stuhl 1659 Vianney, Jean, hl. (Johannes Maria) (vgl. Pfarrer von Ars) Vibiana, hl. 1037 Vidal, Ricardo; Kardinal 1669 Vinzenz von Paul 919 Visdomini, Hugo Bruder des hl. Johannes Gualbertus 1563 Vitoria, Francisco de Dominikaner 1028 Vytautas; Großherzog Vetter Jogailas 1498 Wagner, Alois; Bischof 2259 Wagner, Leopold 1767 Waldburg, Truchseß Otto von; Kardinal 683, 685 Waldheim, Kurt, Dr. Bundespräsident von Österreich, Präsident der UNO 1540 Walesa, Lech 128 Weakland, Rembert George; Erzbischof 1066f., 1071 Weizsäcker, Dr. Richard von 700 Welsh, J. Thomas; Bischof 2259 Wenzel, hl. 2054 Wetter, Friedrich; Kardinal 664 Wilhelm von Vercelli, hl. 712 Wilhelm, Sr. Mary Eileen 1019 Willebrands, Johannes; Kardinal 270, 1596, 1704, 1722, 2257 Willibald, hl. ' Gründer des Bistums Eichstätt 1542f. Witos, Wincenty polnischer Führer und Staatsmann 791f. Wladimir (der Große), hl. Prinz von Kiew 74, 692, 1322, 1615f., 1619 Wojciech, Adalbert, hl. 844 Wolodymyr der Große 1124 Wüst, Otto; Bischof 2030 Wycisk, Wiclaw; Weihbischof 892 Wyszynski, Stefan; Kardinal 128, 771, 814, 817f„ 881. 894, 1997 Yago, Bernard; Kardinal 1881 Zachäus 8, 10 2328 Zacharias 538, 1281, 1283 Zanini, Lino; Erzbischof 2261 Zareba, Jan; Bischof 892 Zdislava, sei. 2054 Zefanja; Prophet 935 Zlatnansky, Jozefi Msgr. 2255 Zuzek SJ, Ivan; Pater 2258 2329 Länder- und Ortsregister Aachen 210 Abidjan 1881, 1886 Abtei Melrose 2027 Abuja 1979 Ägypten 12, 200, 261, 543, 673, 860, 925, 1000, 1033, 1285f., 1356-1358, 1528, 1766, 2252 Äquatorial-Guinea 5, 1861f., 1865 Äthiopien 5, 263, 1193, 1539, 1866-1870, 2252 Afghanistan 1539 Afrika 205, 304, 719, 822, 889, 990, 1026, 1169, 1237, 1429, 1435, 1579, 1669, 1935, 1940, 1945, 1960, 2017, 2025, 2042, 2043, 2046, 2059, 2063, 2103f., 2133, 2250, 2252 Ahrweiler-Calvarienberg 1674 Ain-Karim 73, 538, 1281 Alba Diözese 1601 Albino 1630 Alexandria (Alexandreia) 1730, 1732 Alexandrien 889, 1253, 1303, 1635, 1868 Allumiere 316 Altenberg 625 Amalfi 237 Ambatoroka 1962 Amerika 205f., 281, 333, 342, 360, 427, 434, 436f., 440f., 475, 479, 488, 515, 522-524, 527f., 543, 585, 789, 907, 920-923, 926, 947-949, 958, 961, 966f., 972, 991, 999, 1013, 1028-1031, 1043, 1071, 1080, 1081, 1093f., 1105, 1107, 1113, 1120, 1123, 1127, 1147, 1154-1156, 1527, 1590, 2103, 2252 Anatuya Diözese 513 Ancona 276 Andacollo 455 Angers 1600 Angola 2252 Anjou 1600 Annecy 1920 Antarktis 434 Antiochia 164, 1110, 1635, 1730 Antiochien 889, 1107-1109, 1133, 1745, 2029, 2201, 2252 Antofagasta (Chile) 80f., 329, 352, 468, 472, 474 Antwerpen 1870, 1875 Anyama 1884 Apulien 113, 716, 720, 733 Aquileia 1561 Araukanien 439, 461 2331 Argentinien 77, 79f., 82-84, 330, 332, 334-337, 341, 392, 418, 426, 428, 471, 481-484, 488-490, 498, 501, 505f„ 512, 515, 518, 521-523, 535f., 538-540, 542-544, 546, 552f., 560f., 564-566, 577f., 581, 584, 592, 594, 597-599, 604, 1338, 1341, 1477, 1756-1758, 2252 Arica 361 Arizona 1016-1018, 1025, 1032 Arktis 1156 Armenien 543, 1303 Ars 1242, 1350, 1894, 1906, 1920, 1929 Ascoli Satriano 729f., 732 Asien 889, 1026, 1237, 1471, 1579, 1648, 2250, 2252 Assisi 17, 19-21, 161, 430, 508, 552, 581, 644, 702, 756, 1056, 1058, 1098, 1176-1178, 1186, 1188-1190, 1195, 1200, 1209f., 1260, 1340, 1429, 1472, 1524, 1557, 1592, 1842, 1902, 2160 Athos 275 Augsburg Diözese 98, 672, 675f., 678f., 682f., 685, 687-689 Auschwitz Konzentrationslager 617, 619, 668, 755, 789, 1425 Auschwitz-Birkenau 878 Auschwitz-Oswiecim 1833 Australien 889, 1041, 1239, 2104, 2252 Aysen Diözese 435 Bahia Bianca 82, 84, 331, 480, 491, 491-493 Baluty Stadtviertel von Lodz 878 Bamberg 694 Bangalore 1197 Bangladesh 2252 Bangui 1600, 2059, 2062f. Barbados 2252 Barcelona 574 Bata 1861 Bayern 148, 666, 1773 Bayonne 1907 Belchatöw 870 Belgien 199, 645f., 990, 1551f., 1570, 1870f., 1874,2252 . Belize 2252 Belluno-Feltre Diözese 1562 Benelux-Staaten 1594 Benin 719 Berberati Diözese 2059 Bergamo Diözese 1630 Berlin 48 Berlin-Plötzensee 653 Bern 2028 Betanien 267, 447-449 2332 Bethlehem (Betlehem) 4f., 11, 14-16, 25, 287f., 290-292, 294, 543, 644, 681, 854, 1181, 1183, 1285, 1298, 1727, 1767, 1777-1782 Betsaida 240, 591 Bialystok 2001 Bingen 696 Birmingham 1890 Bochum 650 Bogota 1267, 1527f. Bologna 23 Boppard 237 Boroa 444 Bossangoa 2059 Bossey 1223 Boston 907 Botswana 2042 Bo/frap 98, 614, 647, 1642 Bovino 737 Breslau (Wroclaw) 621, 854, 865, 1424f., 1996f., 2001 Bretagne 1630 Brügge Diözese 1870 Brüssel 1870, 1875 Buenos Aires (Argentinien) 82-84, 331, 341, 479, 481f., 484, 488, 547, 553, 555, 564, 571, 584f., 591, 599, 831, 1197, D38, 1422 Bulgarien 1477 Bundesrepublik Deutschland 96, 99f., 107, 608, 610, 697, 1423, 1659f. Burkina Faso 2252 Byzanz 695 Cadore 148, 1562 Cöcarea in Numidien 2097 Cäsarea 116 Cäsarea Philippi 7, 59, 104, 107, 115, 117, 156, 187, 235, 936 Cagliari (Sardinien) 1782-1784 Campobasso 237 Candelaria 455 Canterbury 1596 Cap Froward 434 Cape Canaveral 930 Capitanata 714, 716 Cardiff 1890 Cartagena de Indios (Kolumbien) 1833 Casablanca 1189 Castel Gandolfo 154, 198, 927, 1040, 1596, 1723, 1785 Castel San Giovanni 1476 Centocelle 305 Cerignola 732 Chalan Kanoa 2252 2333 Charleston Diözese 935, 938 Chelmno (Kulm) 829, 845 Chicago 1076, 1123 Chile 77, 79-81, 83f., 328f., 332, 334-337, 341, 355, 358, 360, 362, 364, 367, 369, 372-375, 378, 382-384, 386f., 390, 392, 395f., 398, 401, 403, 405, 407, 415, 417f., 420, 422-426, 428, 431, 435, 437-440, 443, 445, 447, 455f., 458-462, 467f., 470f., 473-479, 484, 489f„ 506, 564, 1338, 1477, 1756, 1773, 2252 Chiloe 438 China 2252 Chojnice 829 Chubut 498 Chuguicamata 474 Civitavecchia (Italien) 301f., 304-308, 310, 312-314, 316, 321, 323f. Clairvaux 696 Cloyne 1256-1258 Cluny 696 Cobh Harbour 1258 Columbia (South-Carolina, U.S.A.) 205f., 935f., 938-940, 944 Comelico 1562 Como 1441 Comelico 148 Concepciön (Chile) 80f., 329, 352, 438, 442f., 446 Cordoba 82, 331, 521, 565 Coria 1335 Corientes 82 Corrientes (Argentinien) 331, 480, 536f. Costa Rica 1572, 2252 Cotonou (Benin) 719 Cuba 2252 Cuyo 505 Cypem 1108 Cordoba (Argentinien) 480, 518, 520, 528f., 533, 585, 1341 Dachau 48, 126, 129, 628, 668, 783, 837, 889, 1129 Dänemark 2252 Dakar 1669 Damaskus 793, 1108, 1208 Danzig (Gdansk) 126-128, 824f., 827, 829, 831, 839, 842, 844-848, 851, 853, 902 DDR (Deutsche Demokratische Republik) 1554 Detroit (Michigan, U.S.A.) 204f., 1121-1124, 1126, 1132, 1138, 1148, 1154 Detroit-Hamtramck (U.S.A.) 1123 Deutschland 64, 69, 75, 96-98, 100, 198, 256, 543, 607, 611, 633, 636, 644, 692, 699, 990, 1363, 1424, 1477, 1629, 1641, 1773 Dillingen 683, 685 Dominikanische Republik 2252 2334 Doomik Diözese 1870 Dresden 1553, 1877, 1879f. Dresden-Meißen Diözese 1877 Drohiczyn 2001 Dromore 1258 Dunajec 785 Ebebiyin Diözese 1862 Echt 619 Ecuador 2252 Eichstätt 1542, 1544 Einsiedeln 2028, 2032 Eisenstadt Diözese 34 Ekuador 1363 El Salvador 1572, 2252 Elfenbeinkaste 1363, 1881-1884, 1886, 2252 Emmaus 312, 443, 673-678, 1539, 2229 England. 264, 990, 1363, 1719f., 1890, 1894 Ephesus 47, 275, 713, 1274,. 1303 Essen Diözese 216, 244, 647, 649, 653f., 656, 663 Estergom 2054 Europa 63, 99, 135, 307, 525, 544, 609, 614, 617, 627, 636, 646, 656, 678, 690-696, 698f., 771, 774, 776, 821, 889f., 892, 925f., 990, 1197, 1323, 1456, 1477, 1486, 1498f., 1540, 1570, 1616, 1634, 1648, 1678, 1988, 1997, 1999, 2010, 2060, 2250, 2252 Falklandinseln 499 Fatima 159f., 644, 814, 1301, 2008, 2014, 2016 Feuerland 428, 480, 498f. Finnland 1477, 2252 Florenz 1547, 1563 Florida 909, 930f. Flüe 1642, 2028, 2034 Fockenfeld-Konnersreuth 152 Foggia 113, 701, 708, 714-716, 720, 725, 733 Foggia-Bovino 708 Fort Simpson (Kanada) 208, 1156, 1160 Franceville 1934 Frankreich 543, 645, 977, 990, 1363; 1629, 1648, 1715, 1736, 1773, 1896, 1899, 1901f., 1904, 1915, 1921, 1923, 1929-1931-1933 Freiburg im Breisgau 61, 621 Fresno Diözese 1049 Friaul 148; 1562 Fribourg 2028 Friuli Venezia Giulia 148 Fulda 64, 75 Gabon 1934-1936 2335 Galiläa 23, 32, 34, 114, 260, 272, 283, 285, 305, 436, 589, 727, 803, 826, 829f., 859-861, 1081, 1106, 1291f., 1313, 1319, 1366, 1645f., 1650, 1677, 1715, 1754, 2157 Gambia 1937 Gargano 713 Gbamga Diözese 1937f. Gdansk (vgl. Danzig) Gdingen 126f., 823-825, 827, 829, 831, 853, 902, 1677 Gdynia (vgl. Gdingen) Gelsenkirchen 98, 216, 656, 662 Genf 2028 Gent 1870 Genua 713 Georgetown 980 Gerasa 266 Ghana 1941-1943, 1945-1947, 2252 Gnesen (Gniezno) 694, 754, 2001f. Gniezno (vgl. Gnesen) Göttingen 621 Gomorra 1243 Gorzöw Diözese 817 Gozo 1966 Griechenland 1571 Grodno 805 Großbritannien 1773,2252 Guadalajara 78, 1773 Guadalupe 281f., 568, 993, 1008, 1014f., 1301 Guastalla 1441 Guatemala 1183, 1572, 2252 Guatemala-Stadt 1572 Gurk Diözese 1766 Haddington 2027 Hagen-Boele 244 Haiti 592, 1571f-, 1712 Hajudorog Diözese 2058 Hamburg 262 Hasselt Diözese 1870 Heidelberg 118 Helsinki 1477 Hiereia 1730f. Hippo 1439 Hirei 161 Holland 199, 619, 646 Hollywood 207 Homöine 1571 Honduras 1572 2336 Hongkong 2252 Humahuaca 522 Ile-de-France 1914, 1921 Imperial 438 Indien 825, 1189, 1429, 2103f. Ingenbohl 1673 Innsbruck 41 Iona 2027 Irak 34f., 167, 1539 Iran 34f., 167, 1539, 1571 Irland 990, 1256-1258, 1719, 1951, 1953, 1955, 1957f., 2252 Israel 543, 591, 2252 Istanbul 208, 270, 1633, 1723 Italien 29, 147, 161, 238, 252, 258, 301, 543, 702, 869, 872, 990, 1183, 1201, 1205, 1207, 1255, 1431, 1442, 1457-1460, 1462, 1477, 1525, 1534, 1544, 1546, 1648, 1706, 1726, 1739, 1748, 1773, 1782, 2254 Itati 537,539 Jamestown (Virginia) 1125 Japan 161, 869, 1056, 1197, 1363, 1648, 1662, 1773, 2252 Jasna Göra 128f., 714, 760, 775, 836, 851-854, 855-859, 861-864, 877, 881, 1301, 1995, 1997f., 2000f. Jericho 284, 566, 1144 Jerusalem 6, 14, 16, 31, 32-34, 37, 39, 59, 93, 118, 142, 144, 158, 175, 177, 210, 232, 292, 312, 380, 385, 415, 428, 458, 472, 538, 543, 579, 584-587, 589, 608, 627, 657f., 667, 673f., 678, 687, 716f., 728, 800, 810, 812, 835, 862, 871, 879, 889, 1034, 1082, 1084, 1099, 1108-1110, 1144, 1183, 1211f., 1224f., 1239f., 1281, 1284f., 1290, 1295, 1297-1299, 1366, 1465, 1491, 1516, 1552, 1592, 1620, 1635, 1640, 1714, 1730, 1896, 2029, 2252 Jordanien 2252 Juan-Femandez-Archipel 446 Judäa 14, 32, 34, 175, 428, 538, 541, 608, 687, 1281 Jugoslawien 543, 1183, 1363, 1477, 2252 Jujuy 522 Körnten 148, 1766f. Kafamaum 162, 194, 218, 265, 269, 272, 285, 970, 1529f. Kalifornien 1052, 1075, 1082f., 1089f., 1095f. Kalkutta 749 Kaivarija 136, 1500 Kalwaria Zebrzydowska 800 Kana 73, 260, 272, 274, 283, 285, 286, 457, 727, 729, 859-861, 971, 1081, 1291-1294, 1313, 1319, 1534, 1626, 1996, 2157 Kanada 208, 905, 1030, 1148, 1157-U60f., 1442, 2104 Kaolack 2034 Kap Hoorn 361 Kap Palmas 1937 2337 Kap Verde 2252 Karibik 408, 930 Karthago 1085, 1477 Kaschubei 828 Kattowitz (Katowice) Diözese 789, 1989f. Kaunas 1497 Kehrsatz 2028 Kenema 1940 Kenia 1676 Kenya 2252 Kevelaer 99, 198f., 616, 638, 640f., 644-646, 1592-1594 Kielce Diözese 779, 789, 865, 1990 Kiew 74, 263f., 692, 889, 1322, 1615f., 1619 Kleinasien 690 Koekelberg 1870 Köln Erzbistum 97, 112, 608, 610, 617, 618f., 626, 629, 658, 666, 696f., 1424, 1582f., 1644f., 1653, 1659, 1773 Köln-Müngersdorf Stadion 618, 625 Köln /Bonn Flughafen 608 Köslin-Kolberg (vgl. Koszalin-Kolobrzeg) Kolossä 465 Kolumbien 1527, 1833 Komores 1948 Konstantinopel 24, 208, 270, 692, 713, 889, 1543, 1633f., 1722, 1729, 1734, 1736, 1742-1745, 1752, 1771, 1854, 2231 Konstanz 1498 Kopenhagen 2038f. Korea 1571,2252 Korinth 18, 354, 577, 718, 2029 Korsika 1933 Korsun 1616 Koszalin-Kolobrzeg Diözese 817, 829, 845 Krakau 126, 668, 744, 763, 779, 789, 798, 800f-802, 805f., 853, 891, 902, 1126, 1425, 1498, 1592f., 1609, 1989f., 1993-1995 Krekenava 136, 1500 Krowodrza 801 Krzeslawice 801 Kulm (vgl. Chelmno) Kumasi 1944 ha Frontera 461 La Reunion 1948 La Serena (Chile) 80, 329, 352, 455 Lad 817 Laeken 1875 2338 Landsberg (vgl. auch Gorzöw) Diözese 670, 2001 Languedoc 1933 Las Cruces 1014 Laski 784 Lateinamerika 79, 81-84, 282, 326, 331, 334, 341, 348, 355, 363, 368f., 408, 414, 417, 431, 435, 437, 439f., 480, 498, 507, 523, 554, 557, 564, 566-568, 594, 599, 654, 895, 1237, 1338f., 1527f., 1712f., 1840, 2025, 2104, 2133, 2235, 2250 Lateran 1356 Latium 1782-1784 Lemberg (Lwöw) 1996 Leuren 763 Levoca 2053 Libanon 35, 543, 990, 1539, 1635, 1715 Liberia 1183, 1937 Libreville 1934 Lima 2164 Limanowa 1995 Limburg Diözese 34 Linz Diözese 28, 1557f. Lisieux 748, 1438 Lissabon 2008 Litauen 128, 135-137, 692, 779, 804f., 889, 1182 1497, 1498f., 1502, 1504-1506, 1548f., 1773 Liverpool 1887 Livland 1501 Lo Väsquez 386 Löven 1570 Lohn 2028 Lombardei 148, 154 Lomza 2001 London 1723 Lorenzago 1560 Loreto 276f., 1461 Los Angeles (U.S.A.) 205f., 1037, 1039f., 1043, 1049, 1052, 1055, 1059, 1076, 1078f., 1082f., 1087 Louisiana 205, 950, 953 Lourdes 153f., 644, 1224-1226, 1301, 1902, 1911, 1922, 1932 Louvain-la-Neuve 763, 777 Lubaczöw 779, 789, 2001 Lublin 126-128, 751, 763, 770-772, 775-779, 782, 784, 853, 902, 1124, 2004 Lüttich 1870, 1873, 1875 Lugano 2028 Lujän 83, 331, 481, 484, 518, 539, 554, 563, 571, 577, 590, 598, 605, 1341 Luxemburg 199, 645 Luzern 2028 Lyon 1894, 1920f., 1923, 1931, 2029 2339 Lodz 126f., 864f., 867, 869-872, 876-878, 902 Mackenzie-Fort Smith Diözese 1160 Madagaskar 1958, 1960, 1963f., 2252 Mähren 789 Magallanes 428 Magdala 1274 Mailand 713, 763, 1439, 1441f. Mainz 615, 650 Maipu (Chile) 81, 354, 392, 399-401 Majdanek 128, 779 Makao 1648 Makeni Diözese 1938 Malabo 1862 Malaga 1335 Malaysia 1183,2252 Malta 1966-1970,2252 Manjredonia-Vieste 708 Manila 1455, 1648f. Maria Luggau 149 Marianella 1574 Mariapoecz 2058 Mariazell 1216 Marokko 1429,2252 Massabiello 1226 Mauritius 1948 Mauthausen Konzentrationslager 653 Maynooth 1955f., 1958 Mazedonien 690f., 1552 Mecheln Bistum 1870f., 1874 Medellin 393 Medininkai Diözese 1499 Mendoza (Argentinien) 82, 331, 480, 504f,, 512 Mexiko 990f., 1013f., 1083, 2252 Mexikostadt (Mexiko City) 281, 1028, 1096 Miami (Florida, U.S.A.) 205f., 907, 909, 911f., 921, 929f., 932f., 1073f. Michigan 1125, 1148f. Mittelamerika 282, 930, 1572 Mittelmeerküste 1933 Mniszek 829 Mombasa (Kenia) 1676f. Monrovia ' 1937 Monte Casino 1543 Monte Sant Angela 711 Monterey (Laguna Seca, U.S.A.) 205, 1089, 1093-1095 2340 Montevergine Abtei 711f. Montevideo (Uruguay) 77, 80, 83f., 327, 332, 334f., 337, 339, 342 Montreal 2171 Mosambik 5 Moskau 1255, 1477 Mozambique 1571 Mualama (Mosambik) 5 München 97, 244, 262, 608, 658, 664-666, 668, 671, 697, 1197, 1773 München und Freising Erzdiözese 1425f. Münster Bistum 97, BO, 245, 622, 627-629, 633, 635-637, 654, 658, 1424, 1559, 1583, 1593 Münsterland 635 Nagasaki 1645, 1647f. Naher Osten 2103f. Nain 259 Nairobi 1683,2169 Namibia 2042, 2046 Namur 1870 Narek B03 Nazaret (Nazareth) 4, 12, 14, 16, 27, 30, 31-34, 37f„ 41, 45, 53, 65, 69, 71-74, 79, 87, 94, 102, 109, 112, 114f., 123, 138f., 141, 145, 148, 155, 168-171, 173, 180, 182, 184, 188, 190, 197, 203, 210, 217, 230, 233, 247, 250-253, 255f., 267, 274-276, 284, 293, 296, 308, 312f., 316-318, 364, 379, 384, 399, 442, 447, 450f„ 460, 498, 533, 537f., 560, 584, 589, 642, 658, 681, 731, 747, 780, 846, 854, 1001, 1033f., 1052, 1177, 1206, 1272, 1278, 1281f., 1286f., 1289f., 1292, 1295, 1297-1299, 1306, B08, Bll, 1316, B19, 1324, B42, B60, 1381, 1387, B92, 1427, 1450f., 1475, 1592, 1751, 1754, 1755, 1760f., 1786, 1842, 2057, 2183, 2216 Nazianz 1732 Neapel 238, 1574, 1578, 1782-1784 Neuquen 498 Neuseeland 2252 Nevers 1226 New Mexiko (U.S.A.) 1014f. New Orleans (Louisiana, U.S.A.) 205, 950, 953, 960, 965, 973, 977, 979 New York 1144, 1540 Nicaea (vgl. Nizäa) Nicaragua 1572 Niederlande 620, 645, 1570, 1641, 2252 Niederrhein 628, 635 Niger 2252 Nigeria 1197, 1971-1976, 1978-1980 Nijmwegen 763 Ninive 92 Nizäa (Nicaea, Nicäa) 194, 208, 1304, 1633, 1729, 1731-1733, 1735, 2114, 2221, 2231 Nordafrika 1085 Nordamerika 930, 1029, 1125, 1132, 2250 2341 Nordgriechenland 691 Nordkalifomien 1028 Nuoro Diözese 1631 ' Nyssa 1732 Oberammergau 11 Oberitalien 167, 1561 Oberösterreich 148 Oberpfalz 262 Österreich (Republik Österreich) 34, 64, 69, 198, 256, 1261, 1540-1542, 1641, 1981, 1983, 1988,2252 Okzident 1305, 1314 Oldenburg 635 Olmütz 2054 Oppeln (Opole) 2001 Orange Diözesen 1049 Orchard Lake 1126f. Orgosolo 1631 Orient 1305, 1314 Orän Cafayate 522 Oslo 2038 Osnabrück Diözese 222, 2040 Osterinsel (Rapa Nui) 81, 361, 443f. Osteuropa 1322,2103 Oyem 1934 Ozeanien 2252 Pabianice 869 Paderborn Erzbistum 130, 244 Padua 986 Pagano (Salerno) 1574 Pakistan 2252 Palästina 15, 219, 1206, 1290, 1301, 1539, 1543, 1657 Panama 2252 Panna Maria 990 Paranä (Argentinien) 82, 331, 480, 542 Paray le Monial 1911, 1920 Paris 763, 880, 1126, 1915 Patagonien 82, 497-501, 525 Pedu 1946 Phanat Nikhom Flüchtlingslager in Thailand 1711 Philippi 1148 Philippinen 282, 990, 1455f., 1648, 1773, 2252 Phoenix (Arizona, U.S.A.) 205, 1015, 1018, 1024, 1027, 1032 Phönizien 1108 Piacenza 713, 1476 Piasnica 829 2342 Piekary (Deutsch-Pikar) 1995 Piemont 1601 Pilar 1511. Piobbio 1630 Pivasiunai 136, 1500 Plock Diözese 865 Plymouth Rock 930 Podlasien 779 Pöstlingberg 1558 Poitiers 1907 Polen 126f., 129, 543, 645, 743-747, 750f., 753-756, 758f., 761, 763-766, 769, 771f., 775, 779f., 786, 790-792, 797, 798, 801, 803f., 807, 809f., 812-814, 819, 823, 825, 829, 831, 835f., 838, 840, 843f., 846, 848-853, 855f„ 858, 862f., 864f., 869, 871, 873, 876-879, 882-885, 888, 890-898, 901-904, 927f., 990, 1125-1128, 1130, 1477, 1498, 1527, 1581, 1773, 1991, 1993f., 1997-1999, 2001, 2003, 2005-2007 Pommern 828, 830, 853 Pompei 237f. Portugal 159, 2008f., 2011f., 2014f. Posen (Poznan) 754, 854, 865, 902, 2001f. Poznan (vgl. Posen) Prag 2052 Principe 2252 Provence 1928, 1933 Przemysl 779, 789 Puebla des los Angeles 343, 368, 393, 402, 405, 437, 1339 Puerto Montt (Chile) 80f., 329, 352, 435f. Puerto Rico 2252 PuntaArenas 80f. , 329, 352, 428 Radlow 788 Radom 789, 870 Ranft 2033 Rapa Nui 443f. Regensburg 89 Regio Calabria 1463 Rennes Diözese 1629f. Republik Uruguay (vgl. Uruguay) Reykjavik 2038 Rheinland 199, 626 Rio de Janairo 1197 Rio Negro 33 8, 498 Rocca di Papa 1669 Roermond Diözese 1533 Rom 15, 28, 43, 64, 77, 83, 89, 96, 108f., 135, 137f., 159, 161, 186, 198, 204, 207-209, 216, 262, 264f., 270, 275, 305f., 340, 351, 370, 375, 456, 470, 477, 512, 529, 556, 585, 589f., 608, 616, 627f., 645f., 664, 672f., 678, 692, 695, 713, 738, 757f., 761, 785, 797, 800, 807, 829, 831, 852, 854f., 858, 862, 889, 894, 897, 902, 921, 930, 935, 944, 983, 1047, 1066, 1082, 1086, 1126f., 1144, 1182f., 1189, 1195, 2343 1212, 1214, 1223, 1230, 1236, 1243, 1255, 1257, 1260, 1301, 1326, 1363, 1420f., 1424f., 1427, 1434, 1437, 1446, 1450, 1452f., 1476, 1484f., 1497, 1501, 1505, 1507, 1517f., 1528-1530, 1534, 1543, 1548, 1551f., 1555-1557, 1559, 1561, 1593, 1600, 1602, 1604, 1615-1617, 1630, 1634, 1636, 1641f., 1647, 1651, 1688, 1691-1693, 1702, 1706, 1715, 1720,.1722f., 1728, 1730, 1734, 1737, 1742f„ 1745-1748, 1765, 1767, 1774, 1776, 1782-1785, 1845, 1853f., 1857, 1861, 1880f., 1894, 1898, 1920, 1934, 1938, 1947, 1959, 1966, 1982, .1991, 1993, 2001, 2008, 2017, 2025, 2029, 2034, 2037f., 2048, 2056, 2059, 2060, 2097, 2106, 2116, 2126, 2158f., 2165, 2200f., 2222, 2230f., 2248, 2254 Rosario (Argentinien) 82, 33l, 480, 577f., 581 Rottenburg 262, 611 Rottenburg-Stuttgart Diözese 96 Rotterdam 1570 Ruda 788 Rüsselsheim 1423 Ruhrgebiet 614, 647f., 650, 653, 656 Rumänien 885 Rußland 692, 889, 1305, 1477 Rwanda 2016-2018, 2020, 2022, 2252 Rzeszöw-Ustrzyce 791 Saba 1183 Sächseln 2028, 2033 Sachsenbrunn 1216 Sachsenhausen Konzentrationslager 666, 670f. Sahara 1169 Saint Louis 1590 Saint-Hyacinthe (Kanada) 1442f. Sainte Anne de Beaupre 1030 Sainte-Lucie 2252 Salem 44, 46 Salerno 237 Sales 1920 Saloniki 771 Salta (Argentinien) 82, 331, 480, 521-523, 525, 528 Salzburg 148 Salzkotten 198,222 Samaria 175,716-719 . Samarien 428, 608, 687 Samoa-Apia 2252 Samoa-Pago Pago 2252 Samogitia 1498, 1502f. San Antonio (Texas, U.S.A.) 205, 986f., 993, 1000, 1008f. San Bernardino Diözese 1049, 1083 San Buenaventura 1083 San Diego Diözese 1049, 1083 San Fernando 1000, 1083 2344 San Francisco (Kalifornien) 205f., 1097f., 1100, 1107, 1109f., 1113 San Gabriel 1083 San Giovanni Rotondo 702, 705, 707f. San Miguel de Tucuman (Argentinien) 512 San Severo 726 Sandomierz-Radom Diözese 779, 789, 865 Santa Barbara 1083 Santa Cruz 498, 525 Santa Fe 1014 Santa Rosa 1014 Santiago de Chile 80f., 329, 351f., 354f., 359f., 362, 368, 379, 386, 392, 399-401, 408, 414f., 422, 424, 426, 438, 1773 Santiago del Estero Diözese 513 Santissima Concepcion Diözese 513 Santo Domingo 435, 437, 439, 524 Sao Tome 2252 Saragossa 257 Sardinien 1631, 1782 Sastin 2053 Saudiarabien 167 Save 2017 Scala (Salerno) 1574 Schottland 264, 990, 1719f., 1890, 2023-2027 Schweden 2252 Schweiz 69, 210, 216, 296, 543, 1183, 1641f., 2028f., 2032f., 2252 Seba 1183 Senegal 2034,2035,2037 Sevilla 78, 1335 Seychellen 1947f. Sianowo (Zanow) 828 Sibirien 797 Siena 1499 Sierra Leone 1183, 1937, 1940 Siluva 136, 1500 Sitten 2028 Slowenien 148 Smyrna 2029 Socorro 1014 Sodom 1243 Sonora 1025 Sopot (Zoppot) 831 Sotaqui 455 South Carolina 937-939 Spanien 257, 437, 464, 480, 515, 524, 543, 990, 1028, 1083, 1333, 1337f., 1648, 1773, 2252 2345 Speyer 99,622, 690, 692, 696f:, 1678 Split-Makakarska Erzdiözese 1570 Sri Lanka 91, 2252 Stary Sacz 786 Steiermark 148, 198 Stettin (Szczecin) 126f., 806, 808, 813-815, 817, 851, 853, 902 Stettin-Cammin Diözese 815, 817 Stockholm 2041 Stutthof 829 Sudan 1193 Südafrika 2042, 2252 Südamerika 79, 282, 337, 341 Südflorida 930 Südkalifomien 1028 Südpatagonien 499 Südtirol 198, 256 Swarzew 828 Swaziland 2042 Swiecie 829 Syrien 164, 543, 1363 Szczawa 789 Szczecin (vgl. Stettin) Szczecin-Kamien (vgl. Stettin-Cammin) Szczepanöw 786, 795 Szpegawer Wald bei Starograd (Stargard) 829 Taiwan 1648,2252 Tamale 1946 Tansania 1183, 1195 Tanzania 2047-2051, 2252 Tarnöw 126f., 785-789, 790-793, 795f., 853, 892, 902, 1773, 1989f„ 1996 Tarquinia 313, 316 Tarschisch 1183 Tarsus 801, 1108 Telfs (Tirol) 191 Telgte 637 Temuco (Chile) 80f., 329, 352, 461f., 468 Terracina 1559 Texas 986f., 990, 992, 1002, 1126 Thailand 1183,1711,2252 Thessaloniki 263 Tilburg 763 Tirol 191 Tobago 2252 Tokelau 2252 Tokio 1471 Tonga 2252 Tortosa 78, 1336 2346 Trabki Wielkie 851 Trentino Alto Adige 148 Treviso Diözese 1562 Trient 47, 682, 1391, 1499, 1637, 1736 Trier 75 Trinidad 2252 Tschad 1600, 2252 Tschechoslowakei 990, 1477, 2052-2054 Tschenstochau Diözese 126, 128f., 861f., 864, 902, 1131, 1989f. Tuchöw 1995 Tucson 1032 Tucümdn 82, 331, 480, 513f. Türkei 543, 2252 Tunesien 1477 Udine Erzbistum 1562 UdSSR 1255 Uganda 675 Ukraine 263f., 543, 889, 1124, 1305, 1615, 1617, 1619f. Ulm 96 Ungarn 789, 990, 1363, 1477, 2055, 2057-2059 Uruguay 80, 84, 327f., 332, 333f., 337-344, 350, 426, 564, 1338, 2252 USA (vgl. Vereinigte Staaten) Vah 786 Val Visdende 1562 Val Visdonde (Belluno) 147 Valleverde 737 Vallumbrosa 1563 Valparaiso (Chile) 80f., 329, 352, 379, 386 Valtellina 167 Valverde 316 Vancouver 2173 Vatikan (Vatikanstaat, Vatikanstadt) 80, 204, 209, 221, 262, 854, 894, 1048, 1127, 1179, 1195, 1216, 1253f., 1261, 1423, 1425, 1430, 1476, 1478, 1484, 1491, 1509, 1523, 1528, 1540, 1544, 1555, 1559, 1581, 1584, 1590, 1596, 1615, 1642, 1654, 1659, 1661, 1677f., 1693, 1722, 1751, 1756, 1766, 1774, 1877, 1881, 2054, 2119, 2232, 2254 Vechta 1559 Velehrad 2053 Venedig 713, 1578 Venetien 148, 1562 Venezuela 2252 Vereinigte Staaten von Amerika (U.S.A.) 199, 204, 206f., 209, 905-908, 913, 915, 918, 921, 924f., 929f., 932, 934, 941, 953, 955f., 962f., 977, 979, 982, 985, 990f., 994f., 999, 1011, 1017-1019, 1039, 1042, 1044, 1046, 1052, 1063, 1066, 1073, 1075, 1077, 1085, 1089, 1092, 1101-1103, 1105f., 1118, 1124, 1126-1129, 1134f., 1138, 1140, 1156, 1183, 1195-1197, 1363, 1509-1511, 1590, 1602, 1641, 2104 2347 Viedma (Argentinien) 82, 331, 480, 497-499 Vietnam 990 Viktoria 1947 VilkavSSlä& 1497 Vilnius 1497f., 1500, 1502f. Vittorio Veneto Diözese 1600 Vina del Mar 379 Wal-Ruda 787 Wales 264, 1719f., 1890, 1894 Warmia (Ermland) Diözese 829, 845 Warschau (Warszawa) 126-128, 746, 750, 754-756, 758f., 837, 852f., 879, 885, 888f., 896, 898, 902, 928, 1581, 1591, 1773, 1994, 2001f., 2005 Warschau-Okecie Flughafen 744 Washington 763, 1061, 1591 Weiden 262 Weißruthenien 889 Weißrußland 1305 Wejherowo 829 Werden 654 Westafrika 1938 Westerbork Konzentrationslager 613 Westerplatte 121, 832, 837 Westeuropa 2104, 2235 Westfalen 130, 199 Wien Erzdiözese 34, 198, 1476, 1981 Willemstad (Curagao) Diözese 2252 Wilna 135f., 805, 1996 Wislica 1995 Wloclawek Diözese 865, 889 Woldram/Wolfratshausen 165 Wroclaw (vgl. Breslau) Würzburg 198 Xanten 628, 696 Yaounde 1960 Ypern 1870 Zagreb 1570 Zambia 2252 Zanow (vgl. Sianowo) Zebrzydowska 1995 Zemaiciy 136, 1500 Zentralafrika 2059 Zentralafrikanische Republik 1600, 2061 Zoppot (vgl. Sopot) Zürich 2028 2348 Zitierte Bibelstelien Seite Das Buch Rut 1,16-17 946 Das erste Buch Samuel 16,7 994 Das zweite Buch Samuel 7,12-14 38 7,13 38 7,14 103, 106 Das zweite Buch der Chronik 2,4 1239 Das Buch Tobit 8,5 379 8,5-8 381 Das Buch Judit 13,18 726 13,19 727 13,20 727 Das Buch Ester 4,171-t 619 4,17r 619 Das zweite Buch der Makkabäer 7,23 1698 Die Psalmen 1,2 1562 2,7 103, 106 2,8 1300 3,5 147 7,10 1249 16,1-2 787 16,5 788 16,8-10 657 16,8.7 787 16,11 788 18,15-16 1627 22,1 1721 Seite Das Buch Genesis 1,26 386 1,27 1046, 2070, 2226 1,28 492, 845, 2070 1, 31 845 2,3 986 2,19-20 766 3,5 769 3,9-10 1754 3,15 13,1295, 1755 3,17 1091 14,18 46 14,18-19 44 22,18 925 26,24 51 32,11 51- Das Buch Exodus 3,5 1000, 1008 3,14 189, 193, 203 4,22 106 15,1-18 65 Das Buch Levitikus 11,45 627 19,34 925 24,16 188 Das Buch Numeri 6,24-26 908, 1179 21,6 1033 21,9 1033 Das Buch Deuteronomium 6,5-6 1049 8,2 1528 8,11 492, 1089 8,12-13 492 8,14 492, 1528 8,14.16 1528 8,17 1090 8,17-18 493 13,5 240 30,19 1044 Seite Seite 22,8-9 587 97/98,2 1082, 1088 22,17-18 587 97/98,3.1 1088 22,19 587 98,3 435 22/23,1 1636 98/97,3 437 22/23,4 1637, 1639 98/97,4 435 23,1 337 103,1 987 23,1.3 1334 103,1-2 977, 987f. 23,4 1334 103/104,02.14-15 491 23/24,9 1211 103/104,27-28 492 24,1 1675 104,30 26 24,3 1676 106/107,1 544 26/27,1 1494 106/107,1-2 542 32,1 1453 107,1-3 543 34,2.4 979 107,1.2.21-11 163 36,10 626 107,6-7 543 43,2-3 1363 107,35-36 547 46,6 264 107,37-38 546 47,8-9 247 109/110,3 103 65/66,3.5 708 110,1 38 67,2 934,1094 110,1-2 44 67,3 931, 1090 110,4 44, 356 67,6 929 113,7 366 67,7 1091, 1094 116,12 1356 67,8 930 116,12.1.12.17 163 69,10 1532 116,13 1357 69,17.14 1532 117/118,24 708 72,10 1183 118,1 1250 72,11 5 118,1.21.28 163 73,13f. 1177 118,26 1728 77/78,01-2 1036 119,10-11.14 1652 77/78,34-35 1037 119,24 988 77/78,36-37 1036 122,6-9 640 80,13 1627 122,7-8 478 85,8.11 417. 127,1 381, 386, 515 85,9 929 128,1 533 86 1567 130,5 450 88/89,27-28 103 130,7-8 448 92,2-5 162 132/133,1 314 95,1 584 133,1 920, 2037 95,3.10 554 139,14 163 95,7 50 144/145,17-18 1153 96,1-2 549, 1851 145,1 163 96,7 547 145,13 247 96,11-12 1851 147,12 871 96,13 1854 150 1855 97/98,1 1088 150,1.2 457 2350 Seite Seite 150,3-4 458 2,2-3 1109 150,6 458 2,3 1109, 1650 2,3.5 1650 Das Buch der Sprichwörter 2,4 1113 4,6-9 86 2,5 1113 6,22 86 5,4 1627 7,4 86 5,7 1627 8,23 86 6,1 66, 69 8,24 537 6,3 66 8,24-30 537 7,14 26 9,1.2 867 9,1 1777 9,5 871 9,2 1777 9,5 337, 1778 Das Buch der Weisheit 9,6 1778 1,7 1841 11,2 86 4,13 1502 25,6-8 86 7,25-27 86 25,9 1207 7,27 195 32,17 421, 509 8,4 122 35,5 1234 9,3 1383 40,3 1743, 1745, 1747 9,9-10 122 42,1 53f. 11,26 1702 42,1-4 51 18,14-16 122 42,1-7 53f. 42,6-7 52 Das Buch Jesus Sirach 44,27 51 1,9-10 85 48,6-7 1597 3,2 812 49,1-2 52 23,1 626 49,1.6 54 24,3-12 86 49,15 1099 24,7-8 195 50,4 52 24,9 195 50,4-11 54 24,19-20.22 1762 50,6 586 24,23 85 51,3 627 28,3.5-7.4 974 52,7 1647 34,17 533 52,13-53,12 54 39,9-10 1651 52,15 52 39,14-16.21 163 53,2-5 60 45,6-7 45 53,4 519 45,16 48 53,11 52, 60 45,16-17 45 54,5 202 45,25 45 55,6 1153, U60f. 46,1 13 55,7 1161 50,27 13 55,8-9 1153 55,9 1161 Das Buch Jesaja 55,11 122 2,2 1109 58,8 1658 Seite Seite 60,3 553 9,9 39 60,3-4 1084 12,10 1603 60,5 1184 14,9 1592 61,1 780, 1354, 1573 61,1-2 1354 Das Buch Maleachi 66,13-14 1224 3,2 1211 Das Buch Jeremia Das Evangelium nach Matthäus 3,19 139 1,1-17 30 15,16 1003 1,2-17 26 25,8-9 51 1,16 27, 37 31,33 70 1,18-21 25 1,19 324 Das Buch Ezechiel 1,20 27, 316 2,3-4 93, 95 1,20-21 317 3,14 203 1,21 15, 1038 4,1-7 93 1,23 885 4,22-23 103 2,1 14 12,2 93 2,6 14 17,2 93 2,11 5, 1727 33,7 1598 2,13.19-20 543 34,11.15-16 202 2,23 14 34,31 202 2,26-29 67 36,28 70 2,49 1290 3,16 53, 169, 182 Das Buch Daniel 3,17 114 3,78 1676 4,04 881 7,13 93 4,23 255, 1018 7,13-14 92, 95 4,40 272 7,18.27 92 5,3 289, 363, 996, 1249 5,7 1054 Das Buch Joel 5,8 1631 2,12 1251 5,9 421 3,1 1620f. 5,11 785, 1554 5,12 243 Das Buch Micha 5,13 2055 5,1 14 ■ 5,13-14 577f. 5,1-3 14 5,14 2055 6,8 976 5,14-15 583 5,15 781 Das Buch Zefanja 5,16 583, 781 3,14 252, 1274 5,17 32, 226 3,16-17 935 5,18 226 5,18-19 227 Das Buch Sacharja 5,21-22 227 2,14 1274, 1713 5,23-24 227, 418 2352 Seite Seite 5,27 227 10,37 244, 1026 5,27-28 32 10,37-38 241 5,33-38 228 10,42 991 5,36-40 321 11,3 57, 254 5,37 228 11,4-5 254, 256 5,38-39 228 11,5 267 5,42 228 11,19 88, 103, 111 5,43-44 32 11,25 111, 138, 162, 441, 1286, 5,43-45 228 1651 5,44 890 11,25-27 182f. 5,48 229, 1878 11,25.27 141 6,3 1250 11,27 88, 103, 111, 114, 116, 138, 6,9-13 140 143, 162, 168, 931, 1286, 6,10 67 1652 6,12 220, 973 11,28 519, 1602, 1672, 1880 6,33 576, 1104 11,28-29 363 7,7 22 11,28-30 469 7,12 1046, 1078, 1177 11,29-30 1652 7,16.20 956 12,6.8 229 7,21 68, 1396 12,15-21 53 7,29 87 12,18 170 8,6.7 839 12,28 67, 170, 271 8,8 843 12,42 87 8,11 1360 12,46-50 1292 8,16-17 53 12,50 949 8,20 92, 95 13,8 1096 8,21-22 240 13,18-23 1892 8,22 244 13,24-30 67 8,23-26 304 13,3-8 67 9,5 566 13,43 212 9,9 240 13,44-46 67 9,28-29 284 13,47-52 67 9,36 2052 13,52 186, 1139 9,37 102 13,55 467, 1287 9,37-38 1008, 2052 14,23 155, 158 9,38 1072, 1228f. 14,24 829 10,16 249, 664 14,27 196, 304 10,16f. 665 14,29-31 635 10,17f. 665 14,30 830 10,19f. 666 14,31 273, 830 10,20 670 14,33 104, 273, 830 10,23 94 15,39 105 10,24 1334 16,13-15 7 10,27 1533 16,15 5, 10 10,28 1533 16,15f. 191 10,32 1531, 1533 16,16 7, 10, 104, 107, 116f., 190, 2353 16,17 Seite 935, 1240 104, 116, 120, 936 16,18 483, 713 16,18-19 248 16,22 60 16,24-25 243f. 16,26 1159, 1822 16,27 212 17,5 115 17,9 116 17,19-20 234 18,3 68 18,18 1620-1622 18,20 17, 443, 687, 1038, 1588 18,21-22 974 18,26 973 18,27 973 18,30 973 19,6 946, 975 19,12 747 19,22 240, 241 19,29 241 20,1 1150 20,4 847 20,13-15 850 20,15 1150 20,28 54, 1314, 1599, 1603, 1938 21,5 39, 585 21,9 584 21,11 14 21,34 1628 21,37 1628 21,39 1628 21,42 1628 22,2 1639 22,30 1104 22,37 ■ 239 22,37-39 532 22,40 226 22,42-45 38 23,23 1147 23,34 250 24,30 96 24,35 230 25,21 1137 25,26-28 1819 Seite 25,31-33 211 25,31-46 212 25,32 1654 25,34 139, 212, 1654 25,35 212, 1087 25,35-36 1655 25,36 470, 520, 563, 1657 25,39 563 25,40 213, 520, 563, 1000, 1134, 1233, 1655, 1751, 2097 25,41 212 25,42 213 25,42ff. 2245 25,45 213 26,11 1141 26,28 1628 26,37 1347 26,39 643 26,39 par. 1346 26,39-42 1050 26,39.42 1053 26,41 1348 26,63 105 26,63-64 45, 107 26,64 48, 105 26,65-66 188 27,39-40 105 27,40 145f. 27,42-43 145 27,54 1359 28,7 1361 28,18 528, 803, 1107 28,18-19 1645 28,18-20 248, 522, 1437 28,19 107, 184, 436, 886, 1107, 1584, 1649, 2229 28,19-20 1024, 1108, 1650 28,20 251, 659, 798, 885, 915, 1645, 2230 28,29 196, 952 Das Evangelium nach Markus 1,3 256 1,9-11 114 1,10 169 1,11 117 2354 Seite Seite 1,12 169 1,15 65; 69, 218, 247, 250, 522, 565, 642, 1111 l,21f. 230 1,22 225 1,24 104 1,34 255 1,35 155, 970 2,5 218, 269 2,7 218, 347 2,8-11 218 2,10 218, 221 2,10-11 92,95 2,12 218 2,27-28 279 2,38 92 3,13-14 242 3,14-15 248 3,15-16 269 3,22 254 3,26 254 3,31-35 1292 3,32 1661 3,33-35 1661 3,34 1290 3,35 1661, 1769 4,26 491f., 497, 789 4,28 491, 1090 4,29 491 4,41 273, 517 5,7 104 5,7-9 266 5,23 387 5,36 284 5,39 279 5,41 390 5,41-42 259 5,42 388, 390 5,43 279, 281 6,2 87 6,4-6 233 6,7 89 6,31 592, 686 6,48-51 378 6,50 196, 290 6,52 273 6,55 518 7,37 278 8,27-29 59 8,27.29 338 8,29-30 279 8,30 59 8,31 93 8,32 59 8,33 60, 338 8,34 642 8,34-35 243 9,1 67 9,7 115, 117 9,22-23 233 9,22-24 284 9,24 286, 635 9,25-26 269 9,31 95 9,37 102, 960 9,41 1038 10,15 68 10,17 832 10,19 832 10,29-30 241 10,45 54, 93, 95, 818, 1000 10,47 38 11,11 1538 11,25 104 12,6-8 133 13,26 94 14,23-24 163 14,26 1344 14,34 158, 1347 14,36 104, 138f., 158f. 14,61-62 188 14,62 93 15,34 145 16,15 348, 436, 550, 960, 1774 16,18 251 20,28 1413 28,19-20 1626 Das Evangelium nach Lukas 1,26 24 1,28 993, 1052, 1181, 1755, 1760 2355 Seite 1,29 1278, 1754 1,29-35 24 1,30-32 1279 1,31 11, 15, 1283, 1763, 1778 1,31-32 169 1,31.34.35 27 ■ 1,32 1778 1,32-33 38f., 1284, 1288 1,33 40, 92, 1517 1,34 1281 1,34-35 106, 169 1,35 4, 107, 171, 182, 399, 728, 1279, 1283, 1360, 1516, 1755 1,36-37 1281 1,37-38 24 1,38 25, 993, 1006, 1053, 1137, . 1283f., 1291, 1311, 1599, 1723, 1742, 1754, 1760 1,39 147, 1281 1,39-40 538 1,39-45 738 1,42 1759 1,43 1282 1,44 1282 1,45 78, 125, 283, 317, 538, 854, 1282, 1286, 1299, 1360 1,46 360 1,46-47.49 1163 1,46-55 1051, 1306 1,48 1742, 1759 1,48-49 1299 1,49 1101 1,52-53 1845 1,53 1249 1,54 51 1,79 1746 2,4-6 14 2,7 1778, 2245 2,9 1777 2,10 1777 2,10-11 1778 2,11 15 2,14 644 2,17 287, 1727 Seite 2,19 25, 1182, 1298 2,21 15,31 2,22 1285 2,30-32 1213 2,30.32 1285 2,32 1215 2,32.34 55 2,34 214, 810, 914, 1054, 1112, 1285 2,34-35 1215 2,35 810, 1049, 1050, 1054 2,37 1212 2,38 1212 2,41 31 2,42 31. 2,43 31 2,46 31, 380 2,47 87, 89 2,48-49 385 2,48-50 1287 2,49 31, 139, 149, 152 2,51 31, 1286, 1760 2,51-52 384 2,52 31, 87, 1287 3,9 58 3,11 649 3,21 155 3,23-38 27, 30 3,28-29 14 4,4 850 4,16-17 32 4,17-19 53 4,18 32, 182, 498, 1177, 1451, 1511, 1573 4,18-19 168, 497, 995, 1842 4,20 1451 4,21 32 4,43 132, 135 5,4 345, 440 5,8 261, 273, 436 5,10 273, 436 5,llf. 1424 5,15-16 155 5,26 218 5,31 322 6,12 970 2356 Seite 6,12-13 156, 159 6,19 170, 255 6,22 243 6,27 1563 6,27-28 1564 6,30-35 1564 6,31.36 1564 6,36 104 6,38 1565 7,14-15 259 7,16 170 7,22 58 7,23 58 7,28 1538 7,47 222, 1152 7,48 219, 221, 1152 7,49 219 8,19-21 1292 9,18-20 156 9,23 568 9,24 568 9,25 493, 575 9,26 213 9,28-29 156 9,35 115 9,60 240 10,1 1257 10,2 1229, 1601 10,3.9 1600 10,9 68, 1256, 1598 10,17 267 10,18-19 267 10,21 111, 182, 970 10,21-22 182 10,21f. 185 10,22 114, 116, 138, 143 10,36 1023 10,45 55 11,1 359, 970 11,2-4 140 11,4 '220 11,20 248, 250 11,27 455, 461, 1289, 1759 11,27-28 1292 11,28 460f., 1289, 1760 11,30 92 Seite 12,8 213 12,22-24 1041 12,32 497 12,48 1116 13,34 1099 14,26 244 14,28 1901 15,7 322, 1893 15,18 470 15,20 1099 16,2 573 16,25 995 17,10 999 17,21 67 17,22 92 18,1 504 18,8 94,96 18,14 566 18,27 2045 18,28 241 18,29-30 241 18,42 . 284 19,10 93, 95, 201 19,46 2122 20,17 214 22,17 162 22,18 67 22,19 782, 866, 1345 22,19f. 1345 22,20 866 22,29 249 22,31-32 483 22,31-34 1122 22,32 662, 1424, 1774, 1972 22,42 1347 22,44 971, 1348, 1352 22,51 278 22,53 1384 22,66-71 190 22,70 188 23,42 40 23,43 40 23,46 139, 151, 1360 24,25 674 24,25f. 674 24,26 674 2357 Seite Seite 24,27 676 3,13 194 24,29 443, 673 3,14 1032 24,31 677 3,14-15 93, 235, 1033 24,32 679 3,15 234 24,33 677f. 3,16 83, 133, 421, 548, 591, 24,35 678 886, 898f., 952, 994, 24,49 140 1034, 1053, 1272, 1308, 31-32 106 1319, 1324, 1347, 1360, 1383, 1666 Das Evangelium nach Johannes 3,16-17 322, 2232 1,1 88, 124, 197, 1049 3,17 133, 135, 213, 235, 899, 1,1-18 120 1034, 1603 1,1-3 121 3,18 214, 235 1,1-5 194 3,19 213 1,1.14 1272 3,29 1538 l,lb.3-4 1779 3,34 176 1,1c 1779 4,10 134 1,4 123, 134 4,16 240, 564, 721 1,5 123 4,22 615 1,9 123 4,22-24 625 1,10-11 121 4,23 825 1,12 102, 140, 235, 1781, 1852 4,25-26 58 1,12-13 121 4,29 58 1,14 88, 121, 124, 132, 134, 4,34 132, 150, 152 195f., 549, 1538, 1763, 4,42 58 1780, 1852, 2246 5,12 '371 1,16 176, 1852 5,17 260, 279 1,18 121, 182, 184f., 951 5,18 105f. 1,29 53f. 5,19 150, 152 1,32-34 169 5,21 150, 212 1,38-39 1001 5,22 214, 220 1,39 1005 5,22f. 215 1,41 57 5,26-27 212- 1,42 240 5,36 132, 150 1,45-46 14 5,45-46 213 1,48 1001 6 150 1,50 ' 1001 6,11 162 2,1-2 1291 6,20 196 2,3 727, 1844 6,33 790 2,3-4 1291 6,35 867 2,5 74, 457, 616, 643, 729, 6,35-40 1429 971, 1292, 1747, 2157 6,49 1529 2,6-8 54 6,51 871, 1531 2,11 286, 1291 6,51.58 864 3,2 234 6,53 1529 3,8 1359, 1390 6,54 1530 2358 Seite Seite 6,55-56 1530 10,16 932, 934 6,57 150, 760 10,24-30 144 6,58 1529 10,30 146, 149, 151f., 183, 185, 6,60 1530 188, 190, 218, 231, 246 6,63 174f. 10,31-33 189 6,66 914 10,33 146 6,66-69 10, 937 10,35 133 6,68 88, 591, 1530, 1713 10,36 170 6,68-69 137 11,21-22 447 6,69 371 11,23-27 234 6-7 123 11,25 78f., 201f., 446f. 7,16 1010 11,25-27 284 7,27 59 ll,25ff. 269 7,28-29 132 11,26 447 7,31 88 11,41 162 7,37 177 11,41-42 156 7,37-39 88,-174 11,41-44 260 7,42 15 11,48 268 7,46 170, 587 11,52 938, 1180, 1610, 1744 8,07 219 12,15 39 8,10-11 221 12,20-28 116 8,10f. 219 12,23 59, 94f., 117 8,11 219 12,24 790 8,12 203, 1333 12,27 1345 8,14 193 12,27-28 117 8,16 132 12,31 1384 8,18 132 12,32 1049, 1084 8,24 189 12,34 94 8,28 94, 189 12,37 232 8,28-29 151 12,44 232 8,29 966 12,47 213 8,31 514 12,50 233 8,32 600,922,939,1249 13,1 126, 129, 384, 543, 746, 8,32.36 966 750, 758, 772, 780, 807, 8,34 469 835, 882, 902, 1356f. 8,36 514 13,1.3 150 8,42 132, 135 13,13 959 8,53 189 13,14 775 8,58 34, 189, 193, 203 13,19 189 9,22 59 13,31 94 9,35-38 234 13,34 988, 991 9,39 213 13,35 1147, 1351 10,7 1440 14,1 231f., 236, 329 10,10 648, 659, 1031, 1069, 1442 14,2 546, 2246 10,11 202, 931 14,3 1454 10,14-15 931 14,5 1454 2359 Seite Seite 14,6 88, 146, 201, 203, 877, 904, 950, 961, 966, 1005, 1014, 1319, 1454, 1917, 1953 14,6-10 145 14,9 146, 236, 239 14,9-11 232 14,10 201 14,11 236 14,15 719 14,16 1055, 1516 14,16-17 174, 709, 717 14,17 709f., 717 14,18 675, 707, 899, 1491 14,20 183, 708, 717 14,21 719 14,23 506 14,24 345 14,26 174, 1038 14,27 429, 434, 481, 512 14,28 134 14,31 134 15,5 347, 1065, 1134, 1348, 1433, 1878, 1887 15,9 472 15,10 473, 1111 15,11 368 15,12 1143 15,13 472, 529, 568 15,15 779 15,16 99, 242, 476, 1038, 1350, 1533, 1631 15,17 366 15,18-19 1112 15,20 1111, 1334 15,26 174-176, 183 15,26f. 1359 16,2 168 16,7 177, 1359 16,13 9, 1746 16,17 183 16,21 1353 16,22 1491 16,28 193-197, 200 16,33 1039, 2009, 2047 16,7-8 174 17,1 139, 159 17,1-2 156 17,3 1493, 1614 17,3-5 156 17,4-5 194 17,6 1351 17,6-7 157 17,7 144 17,9 157, 1492 17,10 143f., 146, 190 17,11 139, 157 17,11.20-21 1729 17,15 157 17,17 985 17,17-19 157 17,18 132, 135, 249 17,20 . 1082, 1492, 1610 17,21 146, 157, 593, 689, 753, 936, 1083, 1301, 1983, 2042, 2058, 2229 17,21-23 144 17,22-23 1084, 1088 17,23 157, 159, 699, 944, 1724 17,24 157 17,25 139 18,10 278 18,33-37 40 18,33.37 1718 ; 18,36 67 18,37 41, 50, 193, 201, 697, 1718 19,7 105, 107 19,9 193 19,15 40 19,19 14 19,25-27 1294 19,26 457 19,26-27 1317 19,26.27 1626 19,27 1318 19,37 1603 20,17 140 20,19 481 20,20 175 20,21 132, 184, 1297, 2197 20,21-23 249 20,22 220, 222, 709, 717, 1515 2360 Seite Seite 20,22-23 175, 177 5,41 1038, 1504 20,23 1515 6,3 1133 20,28 235 6,4 1977 20,29 235 8,16 717 20,30 255 8,17 717 20,30-31 235, 256, 286 9,34 261 20,30f. 236 10,38 170 20,31 106, 255, 286 10,42 211 21,4-6 660 11,26 1107, 1108 21,12 657 13,33 1779 21,17 594 13,46 1258 21,27 868 16,9 690 22-23 212 16,10 691 17,25-28 1016 Die Apostelgeschichte 17,27 1691 1,6 60, 687f., 690 17,28 773, 886, 898, 935, 1024 1,7 688 20,28 1335 1,8 96, 100, 118, 125, 175, 177, 20,32 1705 428, 608, 612, 658, 22,8-10 1208 687-689, 1123, 1131, 1992,- 26,17-18 527 2037 26,19 523 1,12.14 1491 26,20 521 1,13-14 1298 1,14 118, 504, 646, 945 Der Brief an die Römer 2,4 1297 1,1 1003, 1157, 1977, 2050 2,11 1297 1,4 170f. 2,14 667 1,6 1380 2,22 255, 261 1,7 1156, 1456 2,22-24 253, 658 1,8 2017 2,22ff. 256 1,8-10 800 2,27 674 1,8-12 2048 2,28 667 1,11-12 799 2,29 657 1,14-16 1208 2,31 657 1,16 1157 2,33 176 4,7-8 987 2,36 37, 41 4,17 317 2,42 597, 879, 1009, 1012, 1110, 4,18 1298 1556, 1893, 2229 5,5 1457, 2043, 2229 2,44-47 579 . 5,20 1854 2,47 884 : 6,3-4 1362 3,6 274, 362, 2247 6,3-8 1616 3,6-7 261 6,4 913, 945, 1361 4,12 16, 437, 483, 1038, 1437 6,5 1647 4,20 1428, 1727 6,7 1362 4,32 502, 752, 1854 8,4.13-17 516 5,15 261 8,8 453 2361 Seite Seite 8,9 ■ 453 1,9 1380 8,10 449 1,13 1208 8,11 170, 449 1,18 437 8,15 140 1,23 437 8,15f. 1353 1,24 437 8,18 1742 1,25 441 8,18,21-22 512 1,26 354, 788, 1227, 1656 8,19 1614 1,27 1651 8,21 562 1,30 87, 788 8,26 516, 856 1,30-31 355 8,26-27 1569 1,31 358 8,26f. 1353 2,2 480 8,29 514, 1276, 1316 2,6-7 87 8,31 802 2,6.7 89 8,32 133f. 2,12 679 8,38-39 " 1036 2,16 314 8,39 950 3,7 577 9,4-5 30 3,9 482, 491, 2047 10,9 1646 3,11 1208 10,12-13 1646 3,16 1240 10,13-14 1010 4,1 •782, 1350, 1439, 1942 10,14 2053 4,2 1352 10,14-15 1647 5,6 1249 10,17 634,1003,1967 6,19 : 1352 10,17.14 613 7,17 1380 10,18 1646 7,24 1380 11,18b 615 9,10 649 11,33 1284 9,16 107, 344, 554, 666, 688 12,1-2 314 9,17 552 12,2 42 9,19 1503 12,5 314, 1248, 2232 9,22 554 12,21 858 9,23 554 14,7-9 978 10,17 1121, 1531 14,8 987 11,23 634, 793 14,8-9 988 11,23-24 1357 14,9 944, 988 11,24 793, 1358 15,13 578, 2023 11,24-25 793 15,17-19 261 11,25 1357 15,33 645 11,26 1358 16,26 1282 12,1 1390 12,3 . .. 171, 1516 Der erste Brief an die Korinther 12,4-7 983 1,2 1380 12.6 776 1,4 504 12,7 1247,2024 1,4-7 1976 12,25 314, 1248 1,7 1742 12,26 424, 1885 2362 Seite Seite 13,2-3 1712 9,15 1497 13,4-7 1655 11,18 1096 13,4.6.8 979 11,28 1667 13,8 1655 12,9 1742 13,8.13 1658 13,10 166 13,12 1276, 1655, 2231 13,14 950 13,13 414, 1110 14,1 1473, 1473 Der Brief an die Galater 15,1 634 1,3 328 15,21-22 588 1,4 900 15,22-23 1314 1,6 1380 15,22.21 1718 2,2 2029 15,24 1820 2,20 346, 589, 950 15,25-26.28 1721 3,27 55, 313 15,26 1314 4,3 515 15,28 517, 547, 926 4,4 30, 536, 537, 726, 860, 15,45 176 1179, 1515 15,54 1820 4,4-5 24, 541, 1277 16,13 1958 4,4-6 1272 16,23 1722 4,4f. 140 16,24 920 4,5 860, 1180 23-24 163 4,6 140, 176, 541, 728, 1180 4,7 542, 729, 860, 1181 Der zweite Brief an die Korinther 4,8 515 1,3 424, 1744 4,19 1316, 1353 l,3f. 1592 5,1 801 1,4 424 5,6 483 1,5 1550 5,21 68 1,20 65 5,22 1549 4,1 1598 5,22-23 946, 1105 4,2 783 6,2 848, 2013 4,4 713 6,9 1951 4,5 784, 1599f., 1745 6,14 620 4,5f. 1598 4,7 784, 912 Der Brief an die Epheser 4,8-9,16 1042 1,3 750, 940, 1277 4,10 1439 1,3-5 4 5,14 1891 1,4 514, 1060, 1759, 1769 5,17 19, 801 1,4-7 1277 5,18 917, 926, 934 1,4.5 1281 5,18-19 1056 1,7 1280 5,19 1610 1,8 88 5,21 . 1251, 1360 1,17-18 1160 6,18 1553 l,17f. 1898 7,02 718 1,7 1820 9,10 577 2,4 221, 822, 914 2363 Seite Seite 2,14 421, 926, 1177 Der Brief an die Philipper 2,18 1395 1,2 690, 1223 2,19-22 482 1,6-7 1154 3,8 359, 398, 1319 1,8 474 3,10 1689 l,20f. 1151 3,14-15 341 1,27 1148, 1163 3,15 293, 1381 1,27-28 1120 3,16-17 1971 2,1 1623 3,17 1590 2,1-2 1623 3,17-19 570 2,2 2230 3,18 1689 2,3 750 3,19 1291 2,5 77 3,20 2046 2,6-7 587, 1034 3,20-21 1079, 1113, 1597 2,6-8 54, 516 4,1 579 2,7-8 588, 1035 4,2 579 2,8 519, 681, 1050, 1393, 1599 4,3 579, 933, 1891 2,9-11 16, 588, 1035 4,3-6 1085 2,10-11 945 4,4 579 2,11 1516 4,5 1866 2,16 1632 4,5-6 579, 1208 2,17-18 1548 4,6 1088 4,6-8 508 4,7 959, 1227 4,7 1632 4,11-12 1227 4,8 1632 4,11-13 906, 932 4,8-9 508 4,12 594, 932, 1951 4,9 1632 4,14-15 933 4,12-13 346 4,15 954 4,13 1097, 1335, 1639, 2053 4,16 2232 4,19 1639 4,4-5.7 313 8,2 551 4,7.11-12 1085 5,2 1220 Der Brief an die Kolosser 5,5 67 1,5 146 5,8-9 1338 1,9-10 88, 1943 5,25 1220 ' 1,10 1063 5,25-26 1007 1,12 356 6,3 1565 1,13 68 6,10 664, 1564 1,15 3, 146, 1734, 1780 6,10-12 670 1,15-16 1819 6,11-12 713 1,15.8 1820 6,13-17 665 1,16 711 6,17 2045 1,18 1820 6,18.13 671 1,19-20 356, 567 6,19 912 1,20 506, 1819 6,23 965 1,24 519 3,3 748 2364 Seite Seite 3,9 463 Der zweite Brief an Timotheus 3,10 463, 1735 1,3 912 3,11 462 1,7-8 913 3,12 462, 465 2,15 1439 3,12-13 808 4,1-2 344 3,12-14 463 4,2 2055 3,13 465 4,2.5 1897 3,14 465, 468 4,3 1885 3,15 465 4,7 137 3,16 465f., 503, 2034 3,17 468, 1038 Der Brief an Titus 3,18 813 3,4 1107 3,20 809 3,4-7 1023 3,21 809 3,5 1896 3,23-24 814 Der Brief an die Hebräer Der erste Brief an die Thessalonicher 1,1-2 32 1,2-3 1014, 1866, 1952 1,2 3, 181, 1613 1,3 958, 1059 1,2-3 122 2,12 68, 1380 1,3 3, 87, 1780 4,3 : 1391, 1878 1,5 1779 4,7 1380 1,13-14 542 5,10 1061 2,10 513, 1026 5,23;28 949 2,17 46, 1212 5,24 1380 . 2,18 913 3,7f. 690 Der zweite Brief an die Thessalonicher 4,12 846, 1705, 2045 l,llf. 1505 4,15 94, 914 1,12 1619 5,1 703, 1864, 2024 2,3 966 5,7 158, 1050 2,16-17 1937 5,8 145, 1050 3,1 717 5,9 48, 1050 5,9-10 46 Der erste Brief an Timotheus 7,2-3 46 u 969, 1042 7,15-16 47 1,12 1861 7,24 46,48 1,15-16 1098 7,25 47, 151 1,18-19 1503 7,26 46 2,4 1382, 1646 7,27 46 2,5 945, 1293 8,5 46 2,5-6 1310 9,11 48 3,15 482, 2247 9,11-12 46 6,16 1755 9,14 46-48 6,17-18 497 10,5-7 46, 150, 152, 1283 U,1 1015 11,3 546, 773 Seite Seite 11,7 545 12,1 629,688 12,1-2 1015 12,2-3 919 13,1-2 545 13,8 388, 1737 13,9 2012 13,14 546, 1106, 1383 13,20-21 1223 Der Brief des Jakobus 1,17 164, 594, 1671, 2230 4,lf. 1797 Der erste Brief des Petrus 1,2 1723, 1890 1,4 514 1,6-7 937 1,8-9 938 1,15 1380 1,18-19 562 2,2 90 2,5 460, 482, 781, 816, 1240, 1966 2,6 815, 1455 2,9 62, 822, 1380, 1455, 1666 2,11 546 2,12 719 2,16 922 2,21 1445 3,15 591, 684, 718, 1042, 1400 3,16 719 3,18 709 4,16 1039 4,17 2247 5,1 1078 5,2 1078 5,3 1078, 1106, 1413, 1882 5,4 1106, 1107, 1971 5,8 713 5,10 1380 5,14 351 Der zweite Brief des Petrus 1,1 1503 1,4 867 1,11 67 1,17-18 117 1,19 985 Der erste Brief des Johannes 1,2 1454 1,7 1521 3,1 1100 3,14 806 3,16 803, 804, 1393 3,18 1434 4,7 528 4,8 952, 1044, 1152 4,8-10 133 4,9 323, 529 4,10 135, 529, 536, 1098 4,12-13 569 4,16 83f., 569, 584, 589, 591, 1338f. 4,19 569, 994 4,20 242, 570, 1393 4,20-21 1134 5,4 591 Der dritte Brief des Johannes 8 981 Der Brief des Judas 1 993 Die Offenbarung des Johannes 1,5 1354, 1649, 1772 1,8 935 1,13 91 2,7 1451 4,8 898 5,9-10 1648 7,9 1671 7,14 618, 1672 12,1 1281, 1295, 1321 12,7-9 712 14,14 91 21,3 381, 482 21,6 950 21,9 1316 2366 Quellenverzeichnis der Zitate Leo der Große Sermo XH, 2: PL 54, 170 S.432 Gregor (I.) der Große, hl. Briefe an Bischof Serenus von Marseille; in: MGH, Gregorii I Papae Registrum Epistularum S. 1734 Hadrian I. Brief an die Herrscher; in: Mansi, XH, 1062 C-D. S. 1735 Pius IX. Qui Ecclesiae suae, Apostolisches Schreiben vom 7. Juli 1871; in: Pii IX P.M. Acta V (1869-1871), S. 337 S. 1577 Leo XIII. Rerum novarum, Enzyklika vom 15. Mai 1891; in: AAS 23, 1890/91, . S. 641-670 Nr. 35 S. 1206 Piusxn. Ansprache an die Teilnehmer des IV. Internationalen Kongresses katholischer Ärzte am 29. September 1949; in: AAS 41, 1949, S. 560 S. 2090 Menti Nostrae, Apostolisches Schreiben; in: AAS 42, 1950, S. 673 S. 1478 Ansprache an die Kongreßteilnehmer des katholischen italienischen Hebammenverbandes am 29. Oktober 1951; in: AAS 43, 1951, S. 850 S. 2090 Handschreiben zur Neuausgabe der Werke des hl. Alfons M. de’ Ligu-ori vom 7. April 1953; in: Spicil-egium Historicum Congregationis SS. mi Redemptoris, I (1953) fase. 1-2, S. 247 S. 1577 Ansprache an die Teilnehmer des n. Weltkongresses in Neapel über die menschliche Fruchtbarkeit und Sterilität am 19. Mai 1956; in: AAS 48, 1956, S. 470 Johannes XXIII. Mater et magistra, Enzyklika über die Ordnung des gesellschaftlichen Lebens der Gegenwart im Sinne der christlichen Gebote vom 15. Mai 1961; in: AAS 53, 1961, S. 401-464 m Nr. 61 Nr. 122 Cf. Pacem in terris, Enzyklika über den Frieden unter allen Völkern in Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Frieden vom 11. April 1963; in: AAS 55, 1963, S. 257-304 Nr. 167 Schreiben zur Errichtung des Päpstlichen Rates COR UNUM zur Förderung der menschlichen und christlichen Entwicklung vom 15. Juli 1971; in: Brief Paul VI. Amoris officio an Kardinal Jean Villot, Trier 1976, S. 102-111 Tribunalia; in: AAS 69, 1977, S. 15-17 S. 2086 S. 2073f. S. 364 S. 2145 S. 1406 S. 369 S. 1473f. S. 1785 2367 Paul VI. Ecclesiam suam, Enzyklika „Die Wege der Kirche“ vom 6. August 1964; in: AAS 56, 1964, S. 609-659 Nr. 72 S. 1919 Ansprache vom 21. November 1964; in: AAS 56, 1964 S. 1320 Mysterium fidei, Enzyklika vom 3. September 1965; in: AAS, 57, 1965, S. 753-774 S.482 Ansprache vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 4. Oktober 1965; in: AAS 57, 1965, S. 878 S. 2069 Christi Matri, Enzyklika vom 15. September 1966; in: AAS 58, 1966, S. 745-749 S. 1273 Populorum progressio, Enzyklika über die Entwicklung der Völker vom 26. März 1967; in: AAS 59, 1967, S. 257-299 Nr. 3,9 S. 1263 Nr. 5 S. 1850 Nr. 13 S. 487, 2069 Nr. 19 S. 1816, 1848 Nr. 20f. 'S. 1401 Nr. 23 S. 1848 Nr. 35 S. 1849 Nr. 42 S. 1819, 1829 Nr. 47 S. 1836 Nr. 48 S. 1796 Nr. 54 S. 1847 Nr. 55 S. 1849 Nr. 62 S. 2147 Nr. 64 S.2156 Nr. 65 S. 2143 Nr. 75 S. 368 Nr. 76-80 S. 1686 Nr. 77 S. 2151 Nr. 84 S. 2141 Nr. 87 S. 1797, 1831 Sacerdotalis caelibatus, Enzyklika über den priesterlichen Zölibat vom 24. Juni 1967; in: AAS 59, 1967, S. 657ff. Nr. 92 S. 2050 Nr. 93 S. 1978 Gemeinsame Erklärung mit dem Ökumenischen Patriarchen Athenagoras vom 28. Oktober 1967; in: Tomos Agapes, Vatican Phanar, 1958-1970, Rom-Istanbul 1971, S. 446 S. 1633 Glaubensbekenntnis vom 30. Juni 1968, 15; in: AAS 60, 1968, S. 438f. ' S. 1320 Humanae vitae, Enzyklika über die rechte Ordnung zur Weitergabe des menschlichen Lebens vom 25. Juli 1968; in: AAS 60, 1968, S. 481-503 Nr. 8 S. 529 Nr. 9 S. 383 Nr. 11 S. 383 Nr. 12 S. 2086 Nr. 29 S. 1580 Ad honorabiles Virose publicö Le-gumlatorum Coetu Reipublice Ugandensis vom 1. August 1969; in: AAS 61, 1969, S. 585 S. 2043 Octogesima adveniens, Apostolisches Schreiben an S. Em. Kard. Maurice Roy anläßlich der 80-Jahr-Feier der Veröffentlichung der Enzyklika „Rerum novarum“ vom 14. Mai 1971; in: AAS 63, 1971, S. 401-441 Nr. 10 S. 1750 Nr. 19 S. 2153f. Nr. 21 S. 433 Nr. 48 S. 2144 Nobis in änimo, Apostolisches Schreiben über die erhöhte Notlage der Kirche im Heiligen Land vom 2368 25. März 1974; in: Wort und Weisung, 1974, S. 484-493 S. 486 S. 1538 S. 492 S. 1539 Die Kirche verurteilt jede Rassendiskriminierung. Ansprache an das Sonderkomitee der UNO für „Apartheid“ vom 22. Mai 1974; in; AAS 66, 1974, S. 342-346; Wort und Weisung, 1974, S. 282-286 S. 2043 Evangelii nuntiandi, Apostolisches Schreiben über die Evangelisierung in der Welt von heute vom 8. Dezember 1975; in: AAS 68, 1976, S. 5-76; Wort und Weisung, 1975; Verl. Apost. Stuhl 2 Nr. 5 , S. 550 Nr. 14 . S. 1397, 1938, 1944 Nr. 18 S.1872 Nr. 19 S. 1608 Nr. 26 S.1872 Nr. 27 S. 1872 Nr. 29 S.1872 Nr. 30 S. 1872 Nr. 31 S. 2045 Nr. 36 S. 346 Nr. 41 S. 90, 1941, 2046 Nr. 43 . . . S. 1967 Nr. 51 S. 1944 Nr. 53 S. 1867f., 1945 Nr. 54 S. 1967 Nr. 58 S. 1402 Nr. 60 S. 551, 1400, 1894 Nr. 61 s: 1867 Nr.,70 S. 580, 596f., 1405f. Nr. 71 'S. 1975 Nr. 73 S. 1390 Nr. 75. S. 346 Ansprache an die französischen Bischöfe der Region Ost beim Ad-li-mina-Besuch vom 5. Dezember 1977; in: Wort und Weisung, 1977, S.501-508 S. 1902f. Homilie bei der heiligen Messe zum Abschluß des Heiligen Jahres am 25. Dezember 1978; in: AAS 68, 1976, S. 145 S.2069 Insegnamenti di Paolo VI. IV, 1966, p. 902 S. 142 VH, 1969, p. 1203 S. 192 Vm, 1970, p. 1430f. . S. 1725 X, 1972, p. 103 S. 1664 Johannes Pani U. Ansprache am 22. Oktober 1978; in: AAS 70, 1978, S. 977 S. 1744 In der Nachfolge des Konzils. Erste Botschaft, verlesen beim Gottesdienst in der Sixtinischen Kapelle am 17. Oktober 1978; in: O.R. dt., 20.10.1978, S. 2-3 S. 9 Ansprache an die amerikanischen Bischöfe anläßlich des Ad-limi-na-Besuchs am 9. November 1978; in: O.R. dt., 24.11.1978, S. 8 S. 1976 Ansprache auf der 3. Generalversammlung der Lateinamerikanischen Bischöfe in Puebla am 28. Januar 1979; in: Verl. Apost. Stuhl 5, S. 48-67 m.2 S. 500 Predigt in der Wallfahrtskirche Unserer Lieben Frau von Zapopän vom 30. Januar 1979; in: Verl. Apost. Stuhl 5, S. 92-96 S. 258 Ansprache an Professoren und Studenten in Mexiko-City vom 31. Januar 1979; in: Verl. Apost. Stuhl 5, S. 101-103 S. 405f. Redemptor Homninis, Enzyklika vom 4. März 1979; in: AAS, 71, 1979, S. 257-324; Verl. Apost. Stuhl 6 2369 Nr. 6 Nr. 8 Nr. 10 Nr. 20 Nr. 21 Ansprache an Arbeitsgruppe „Glauben und Kirchenverfassung“ 1980; in: Informationsdienst des Sekretariats zur Förderung der Ein- S. 1598 S. 295 S. 396, 452 S. 396 S. 396f. Familiaris consortio, Apostolisches Schreiben über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute vom 22. Januar 1981; in: AAS 74, 1982, S. 81-191; Verl. Apost. Stuhl 33 Nr. 2 Nr. 6 Nr. 11 Nr. 13 Nr. 14 Nr. 15 Nr. 17 Nr. 19 Nr. 20 Nr. 21 Nr. 23 Nr. 30 Nr. 36 S. 1400 S. 2070 S. 1339 S. 1386 S. 1387, 1399 Homilie bei der Messe im Konzentrationslager Birkenau am 7. Juni 1979; in: Verl. Apost. Stuhl 10 S. 1425 Homilie in Drogheda, Irland, am 29. September 1979; in: AAS 71, 1979, H, S. 1079 Nr. 5 S. 1812 Nr. 3 u. Nr. 4 S. 1953 Catechesi tradendae, Apostolisches Schreiben über die Katechese in unserer Zeit vom 16. Oktober 1979; in: AAS 71, 1979, S. 1277-1340; Verl. Apost. Stuhl 12 Nr. 5 S. 9 Nr. 6 S. 10 Nr. 18 S. 1940 Nr. 21 S. 1872 Nr. 22 S. 1872 Nr. 24 S. 553 Nr. 39 S. 1228 Nr. 66 S. 101 heit der Christen, Nr. 45, 1981/1 S. 2165 Ansprache an die Bischöfe von Ghana am 9. Mai 1980; in: O.R. dt., 23.5.1980, S. 15 S. 1945 Ansprache an den Exekutivrat der UNESCO vom 2. Juni 1980; in: O.R. dt., 6.6.1980, S. 1/4-6 Nr. 6 S. 402f. Nr. 7 S.403 Nr. 8 S. 603 Nr. 23 S. 1685 Ansprache an die Teilnehmer des 81. Kongresses der italienischen Gesellschaft für Innere Medizin und des 82. Kongresses der italienischen Gesellschaft für Allgemeinchirurgie am 27. Oktober 1980; in: AAS 72, 1980, S. 1126; O.R. dt., Nr. 8/1981, S. 11 S. 1232, 2069f. Homilie beim Schlußgottesdienst mit den Synodenvätem am 23. Oktober 1980; in: O.R. dt., 31.10.1980, S. 1/4-5 S. 382 Ansprache an die Laien in Fulda am 18. November 1980; in: Inseg-namenti m,2 (1980) 1299-1310; Verl. Apost. Stuhl 25A S. 1390 Dives in misericordia, Enzyklika vom 30. November 1980; in: AAS 72, 1980, S. 1177-1232; Verl. Apost. Stuhl 26 VH Nr. 9 Nr. 12 Nr. 13 Nr. 14 S. 1407 S. 1936 S. 531, 2241 S. 2071 S. 1482 S. 2089, 2092 S. 381 S. 382, 384, 1482 S. 1869, 1946 S. 383 S. 340, 381 S. 534 S. 384, 1870 S. 535 2370 S. 1402 Nr. 44 Nr. 46 Nr. 50 Nr. 56 Nr. 65 Nr. 66 Nr. 69-72 Nr. 75 Nr. 77-85 Nr. 85 Nr. 86 Nr. 5 Nr. 8 Nr. 11 Nr. 14 Nr. 15 Nr. 18 Nr. 20 Nr. 21 Nr. 23 Nr. 27 S. 559 S. 601 1982, S. 774-780 S. 257f. Ansprache an die Arbeiter und Unternehmer in Barcelona am 7. November 1982; in: DAS, 1982, S. 788-796 S. 452 Predigt in Tegucigalpa (Honduras) am 8. März 1983; in: AAS 75, 1983; Verl. Apost. Stuhl 46 Nr. 6 S. 1387 Ansprache vor den Unternehmern in Mailand am 22. Mai 1983; in: DAS, 1983, S. 421-427 S. 573 Ansprache in der unterirdischen Basilika (Lourdes) vom 15. August 1983; in: DAS, 1983, S. 569-574 S. 153 S:383, 2248 S. 2241 S. 1483 S. 1481f. S. 535 S. 1222, 1410 S. 1222 S. 382 S. 1222 S. 2247 S. 379, 529 Predigt bei der Seligsprechung von Lorenzo Ruiz und 15 Märtyrerge-fahrten im Lunetapark in Manila am 18. Februar 1981; in: Verl. Apost. Stuhl 29, S. 53-59 Nr. 5 S. 1649 Laborem exercens, Enzyklika über die menschliche Arbeit vom 14. September 1981; in: AAS 73, 1981, S. 577-647; Verl. Apost. Stuhl 32 S. 1407 S. 433 S. 577, 1202f. S. 373 S. 573 S. 556 S. 1267, 1805 S. 557, 559 S. 467, 735 S. 496f. S. 400, 449 Ansprache beim Ad-limina-Besuch der Bischöfe von Tanzania in Castel Gandolfo am 9. Oktober 1981; in: Wort und Weisung, 1981, S. 538-541 S. 2048 Ansprache beim Ad-limina-Besuch der Bischöfe von Ghana am 12. November 1981 S. 1944 Ansprache an die Katecheten in Kaduna am 14. Februar 1982; in: Insegnamenti V,1 (1982) 432; Verl. Apost. Stuhl 35 Ansprache an die nigerianischen Bischöfe in Lagos am 15. Februar 1982; in: O.R.dt., Nr. 9/1982 S. 1972 Ansprache an die Arbeiter der Solvay-Fabrik in Livorno am 19. März 1982; in: DAS, 1982, S. 982-992 S. 452f. Ansprache an den Klerus und die Ordensleute in Edinburgh am 31. Mai 1982; in: DAS, 1982, S. 544-550 S. 2024 Ansprache vor der ILO (Internationale Arbeitsorganisation — IAO) in Genf am 15. Juni 1982; in: DAS, 1982, S. 638f. S. 559 Ansprache vor der Universität in Madrid am 3. November 1982; in DAS, 1982, S. 727-735 Nr. 10 Predigt beim Wortgottesdienst und marianischen Weiheakt in Saragossa am 6. November 1982; in; DAS, 2371 S. 535 sung vom 25. März 1984; in: DAS, 1984, S. 1077-1105 Nr. 4 Nr. 8 Nr. 14 Nr. 15 Nr. 17 Kirche heute vom 2. Dezember 1984; in: AAS 77, 1985, S. 185; DAS, 1984, S. 1503-1583 Nr. 7 S. 417 . Nr. 8 S. 417 Nr. 9 S. 376 Nr. 16 S. 1848 Nr. 18 S. 389 Nr. 28 S. 1386 Ansprache an die Bischöfe von Uruguay beim Ad-limina-Besuch vom 14. Januar 1985; in: DAS, 1985, S. 1836-1842 S. 340 Charta der Familienrechte vom 22. Oktober 1983; in: O.R. dt., 2.12.1983; Verl. Apost. Stuhl 52 Ansprache an die Teilnehmer der 35. Generalversammlung des Weltärztebundes am 29. Oktober 1983; in: AAS 76, 1984, S. 393 S.2072f., 2078, 2087 Ansprache beim Wortgottesdienst in der römischen Strafvollzugsanstalt Rebbibia am 27. Dezember 1983; in: DAS, 1983, S. 1284-1288 S.470, 562f. Botschaft zum 17. Weltfriedenstag am 1. Januar 1984 vom 8. Dezember 1983; in: DAS, 1984, S. 865ff. Nr. 3 S. 430 Salvifici doloris, Apostolisches Schreiben über den christlichen Sinn des menschlichen Leidens vom 11. Februar 1984; in: DAS, 1984, S. 957-999; AAS 76, 1984; Verl. Apost. Stuhl 53 Nr. 19 S. 1381 Nr. 31 S. 425, 1398 Redemptionis donum, Apostolisches Schreiben an die Ordensleute über das gottgeweihte Leben im Licht des Geheimnisses der Erlö- S. 394 S. 393, 553 S. 394 S. 397, 552, 748 S. 399 Ansprache an den Rat des Generalsekretariats der Bischofssynode am 19. Mai 1984; in: O.R. dt., Nr. 31/1984, S. 9 S. 36 Predigt bei der Messe in Flüeli am 14. Juni 1984; in: DAS, 1984, S. 484-489 S. 1642f. Ansprache an den Schweizer Klerus in Einsiedeln am 15. Juni 1984; in: DAS, 1984, S. 505-515 S. 1390 Ansprache an die Bischöfe des Lateinamerikanischen Bischofsrates Santo Domingo 12. Oktober 1984; in: DAS, 1984, S. 821ff. S. 439f., 566 Nr. n, 3 S. 524 Nr. HI, 3 S. 475 Ansprache an die Bischöfe Chiles am 19. Oktober 1984; in: O.R. dt., 14.12.1984 Nr. 4 S. 456 Ansprache beim Ad-limina-Besuch der zweiten Gruppe chilenischer Bischöfe vom 8. November 1984; in: DAS, 1984, S. 1660-1666 S. 375 Reconciliatio et paenitentia, Apostolisches Schreiben im Anschluß an die Bischofssynode über Versöhnung und Buße in der Sendung der Apostolisches Schreiben an die Jugendlichen in der Welt vom 31. März 1985; in: O.R. dt., 29.3.1985, S. 8 Nr. 16 S. 387 2372 S. 359 Ansprache an die Römische Kurie am 28. Juni 1985; in: O.R., 29.6.1985, S. 5 S.2103 Ansprache in Louvain-la-Neuve am 21. August 1985; in: O.R. dt., Nr. 25/1985, S. 11 S.778 Ansprache bei der Schlußversammlung der außerordentlichen Bischofssynode am 7. Dezember 1985; in: DAS, 1985, S. 1682-1690 Nr. 8 S. 1469 Botschaft zum 19. Weltfriedenstag 1986 vom 8. Dezember 1985; in: O.R. dt., 20.12.1985, S. 5/6 Nr. 2 S. 410, 2151 Nr. 4 S. 2140 Nr. 7 S. 2140 Discorso ad alcuni docenti di Teo-logia morale; in: AAS, 78, 1986, S. 1099 S. 1580 Sacerdotii nostri primordia, Schreiben an alle Priester der Kirche zum Gründonnerstag 1986 vom 16. März 1986; in: DAS, 1986, S. 1161-1176 Nr. 11 Ansprache an die Teilnehmer einer Wallfahrt aus Anlaß des 800-Jahr-Jubiläums der Evangelisierung Lettlands am 26. Juni 1986; in: O. R. dt., 27.6.1986, S. 5 S. 1501 Homilie zur Seligsprechung von P. Chevrier vom 4. Oktober 1986; in: DAS, 1986, S. 682-691 Nr. 7 S. 1904 Brief an den Generaloberen der Gesellschaft Jesu, P. Peter-Hans Kolvenbach SJ, vom 5. Oktober 1986; in: DAS, 1986, S. 1620-1622 S. 1603 Ansprache an die Kulturwelt, Florenz, 18. Oktober 1986; in: O.R. dt., Nr. 3/1987 Nr. 8 S. 407 Homilie im Athletic Park von Wellington am 23. November 1986; in: DAS, 1986, S. 857ff. Nr. 6 S.431 Botschaft zum 20. Weltfriedenstag 1987 vom 8. Dezember 1986 Einführung S. 411 Nr. 1 S. 1510 Nr. 2 S. 510 Dominum et vivificantem, Enzyklika über den Heiligen Geist im Leben der Kirche und der Welt, 18. Mai 1986; in: AAS, 78, 1986, S. 809ff.; Verl. Apost. Stuhl 71 Nr. 6 Nr. 31 Nr. 48 Nr. 51 Nr. 52 Nr. 57 Nr. 60 Nr. 64 Nr. 65 Nr. 66 Nr. 67 S. 1521 S. 549 S. 1521 S. 344 S. 1414 S. 1522 S. 1206 S. 1512 S. 119, 1522, 1902 S. 119 S. 344, 382 Homilie vom 1. Januar 1987 S. 454, 1323 Nr. 6 S. 402f. Redemptoris Mater, Enzyklika über die selige Jungfrau Maria im Leben der pilgernden Kirche vom 25. März 1987; in: Verl. Apost. Stuhl 75 Nr. 2 Nr. 5 Nr. 14 Nr. 21 Nr. 25 Nr. 27 Nr. 28 Nr. 29 S. 741, 1706 S. 1768 S. 147 S. 223 S. 125 S. 257, 1590 S. 130f., 1590, 2212 S. 2110 2373 Nr. 30 Nr. 31-33 Nr. 31 Nr. 31-34 Nr. 33 Nr. 34 Nr. 37 Nr. 44 Nr. 45 ■Nr. 46 Nr. 47 Nr. 48 Nr. 49 Nr. 50 Nr. 52 S. 2073 S. 2076 S. 1774, 2112 S,1774 S. 1868 S: 2110 S. 2027, 2114 S. 1775 S. 1455 S. 2213 S. 2109 S. 180 S. 2109 S. 223, 2110 S. 1520 S. 2117 S. 179 Ansprache an die politische Führungsschicht in Buenos Aires (Argentinien) am 6. April 1987; in: DAS, 1987, S. 486 S. 1756 Botschaft zum Welttag der Jugend in Buenos Aires am Palmsonntag, 12. April 1987, vom 30. November 1986; in: DAS, 1987, S. 1338-1342 • Nr. 2 S. 388 Nr. 3 S. 390 Ansprache an das Sekretariat für die Nichtchristen am 28. April 1987 S. 1945, 1974 Ansprache auf dem Flughafen Köln/Bonn am 30. April 1987 S. 1660 Ansprache in Bottrop am 2. Mai 1987 S. 1642 Ansprache am 4. Mai 1987 Nr. 9 S. 1697 6. November 1987 Nr. 2 S. 1696 Insegnamenti B, 1979, S. 681 S. 1749 VI, 2, 1984, S. 1119 S. 1201 Vm-1, 1985, S. 1906 S. 308 Kongregation für die Glaubenslehre Erklärung zur vorsätzlichen Abtreibung; in: AAS 66, 1974, S. 736-737 Nr. 9 Nr. 12-13 Erklärung zu einigen Fragen der Sexualethik vom 29. Dezember 1975; in: Verl. Apost. Stuhl 1 Nr. 9 S. 2090 Libertatis conscientia; Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung vom 22 März 1986; in: AAS, 79, 1987, S. 554-599; Verl. Apost. Stuhl 70 Nr. 16 Nr. 24 Nr. 71 Nr. 72 Nr. 75 Nr. 80 Nr. 81 Nr. 82 Nr. 86 Nr. 89 Nr. 90 Nr. 97 S. 2155 S. 1840 S. 1399 S. 1834 S. 2145 S. 1405, 2152f. S. 409 S. 450 S. 452 2155 S. 2155 S. 1308f. S. 1570 Ansprache an die Jugendlichen in der Generalaudienz am 15. Juli 1987 Ansprache an die Päpstliche Akademie der Wissenschaften am Instruktion über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung vom 10. März 1987; in: Verl. Apost. Stuhl 74 Nr. 2 S. 1699 2374 S. 1696 Kongregation f.d. Orientalischen Kirchen L’Enciclica Redemptoris Mater e le Chiese Orientali nell’ Anno Mariano, Instruktion „Die Enzyklika RM und die orientalischen Kirchen im Marianischen Jahr“; Vatikan. Verlagsbuchhandlung, 1987 Nr. 16 S. 2214 Heilige Ritenkongregation . Instruktion über die Musik in der Liturgie; in: Nachkonziliare Dokumentation, Trier 1967 Nr. 4a S. 11 S.2122 Kongregation für den Klerus Allgemeines Katechetisches Direktorium, 1973; in: Nachkonziliare Dokumentation, Trier 1973. Nr. 21 S. 1411 Nr. 26 S. 1411 Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse Dekret über den heroischen Tugendgrad vom 4. Mai 1970; in: AAS 63, 1971, 156 Kongregation für das Kath. Bildungswesen Der katholische Laie — Zeuge des Glaubens in der Schule, Rom 1982; in: Verl. Apost. Stuhl 42 S. 1402 Sekretariat für die Einheit der Christen Ökumenisches Direktorium, Pro-ömium 2. Teil; in: Nachkonziliare Dokumentation Trier 1970, S. 17 S. 1545 Päpstliche Kommission „Justitia et pax“ Im Dienste der menschlichen Gemeinschaft: ein ethischer Ansatz zur Überwindung der intemationa- len Schuldenkrise; in: Arbeitshilfen 50, Hrsg.: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz Einführung Päpstlicher Rat „Cor Unum“ Gründonnerstagsdokument; in: AAS 63, 1971 S. 669-673 S. 672 S. 1539 S. 1539 Heiliger Stuhl Charta der Familienrechte vom 22. Oktober 1983; in: Verl. Apost. Stuhl 52 Nr. 4 Nr. 4b S. 2075 S. 2079 Konzil von Ephesus Conciliorum Oecumenicorum Dec-reta, Bologna 1973, 41-44; 59-62 (DS 250-246) S. 1274 Ökumenisches Konzil von Chaizedon Definito fidei: Conciliorum Oecumenicorum Decreta, Bologna 1973,3, 86 (DS 301) II. Ökumenisches Konzil von Nizäa Conciliorum Oecumenicorum Decreta, Bologna 1973,3, 135-138 (DS 600-609) Laterankonzil (649) Denzinger/Schönmetzer DS 503 Konzii von Trient XXIV. Session Dekret über das Ehesakrament: DS 1810 can. 10 S. 1303 S. 1304 S. 24 S. 1391 2375 Zweites Vatikanisches Konzil Ad gentes, Dekret über die Mis- Nr. 7-10 Nr. 8 S. 2172 S. 68, 1733 sionstätigkeit der Kirche vom Nr. 9 S. 1733 7. Dezember 1965 Nr. 10 S. 1733 Nr. 1 S. 1437, 1601 Nr. 21 S. 1394 Nr. 2 S. 108, 1436 Nr. 25 ■ S. 1705 Nr. 5 S.499, 1649 Nr. 7 S. 548 Gaudium et spes, Pastorale Konsti- Nr. 11 S. 1399, 1649 tution über die Kirche in der Welt Nr. 14 S. 1941 von heute vom 7. Dezember 1965 Nr. 17 S. 1940 Nr. 1 S. 339, 1398f., 1406, 1750, 1793 Nr. 21 S. 224 Nr. 4 S. 1794 Nr. 35 S. 551 Nr. 5 S. 1389 Nr. 7 S. 172 Apostolicam actuositatem, Dekret Nr. 10 S. 1220 über das Laienapostolat vom Nr. 12 S. 1219 18. November 1965 Nr. 13 S. 1220, 1384 Nr. 1 S. 101, 1379 Nr. 14,1 S. 2072 Nr. 2 S. 517, 580, 581, 1420, 1887, 2049 Nr. 15 S. 1762, 2071 Nr. 3 S. 1386, 1390 Nr. 22 S. 517, 547, 1274, 1319, 1710, 2070 Nr. 4 S. 91, 1393f. Nr. 24 S. 184, 397, 1760, 2074 Nr. 5 S. 1664 Nr. 26 S. 2023 Nr. 7 S. 517, 596 Nr. 27 S. 432 Nr. 9 S. 180, 1398 Nr. 31 S. 172, 757, 2006 Nr. 10 S. 191f., 1401, 1618 Nr. 34 S. 210, 1381 Nr. 16 S. 90 Nr. 35 S. 364 Nr. 17 S.101 Nr. 36 S. 1613 Nr. 18 S. 166, 1618 Nr. 38 S. 449 Nr. 19 S. 1404 Nr. 39 S. 65, 1383, 1400, 1843 Nr. 21 S. 1403f. Nr. 40 S. 1956, 1969 Nr. 25 S. 2024 Nr. 41 S. 1399 Nr. 28 S. 166 Nr. 43 S. 477, 1389, 1392, 1410 Nr. 29 S. 597 Nr. 45 S. 1456 Nr. 48 S. 384, 530, 1220, 1389, Christus Dominus, Dekret über die S. 1482, 1869, 1946, 1974 Hirtenaufgabe der Bischöfe vom Nr. 50 S. 1381, 2092 28. Oktober 1965 Nr. 51 S. 2075 Nr. 11 S. 191, 1619 Nr. 52 S. 364, 381, 383, 1228, 1501 Nr. 15 S. 594 Nr. 53 c S. 402 Nr. 16 S. 2019 Nr. 53 S. 1228 Nr. 17 S. 1473 Nr. 55 S. 350 Nr. 27 S. 1401 . Nr. 57 S. 1388, 1565 Nr. 68 S. 574 Dei verbum, Dogmatische Konsti- Nr. 69 S. 2242f. tution über die göttliche Offenba- Nr. 73-76 S. 1409 rung vom 18. November 1965 Nr. 74 S. 419, 423, 575 Nr. 2 S. 1307 Nr. 75 S. 374, 419, 485, 517 Nr. 5 S. 344, 1282 Nr. 76 S. 373, 419, 422, 486, 1970, 2006 2376 Nr. 37 S. 1387, 1403, 1887 Nr. 38 S. 77 Nr. 39 S. 1380 Nr. 40 S.76, 216, 550, 1392, 1481, 1889 Nr. 41 S. 102, 1396, 1535, 1599 Nr. 42 S. 76, 550 Nr. 44 S. 2053 Nr. 52 S. 1275 Nr. 53 S. 1280, 1280, 1294, 1314, 1747 Nr. 54 S. 1294 Nr. 55 S. 1277, 1279, 1295, 1314 Nr. 56 S. 1283 Nr. 58 S. 73, 294, 741, 1273, 1287, 1747 Nr. 59 S. 178, 1297, 1313f. Nr. 60 S. 1293, 1310 Nr. 61 S. 1293, 1311f., 2157 Nr. 62 S. 223, 1293, 1310f., 1313 f., 1319, 1396 Nr. 63 S. 761, 1275f. , 1315-1317, 1319, S. . 1747, 1761, 1768 Nr. 64 S. 1275, 1316f., 1353 Nr. 65 S. 1276, 1297, 1300, 1321, 1748, S. 2116, 2157 Nr. 66 S, . 1303, 1315, 1321 Nr. 67 S. 1321 Nr. 68 S. 125, 538, 1302, 1465, 1772, 2051 Nr. 69 S. 73, 1323 S. 1227, 1476 S. 596 S. 1580 S. 686 Nr. 77-90 S. 1406f. Nr. 78 S.507, 509f. Nr. 88-90 S. 1409 Nr. 92 S. 1400 Nr. 193 S. 1384 Gravissimum educationis, Erklärung über die christliche Erziehung vom 28. Oktober 1965 Nr. 3 S. 534 Inter mirifica, Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel vom 4.Dezember 1963 S. 1260 Nr. 13-22 S. 1408 Lumen gentium, Konstitution über die Kirche vom 21. November 1964 Nr. 1 S. 370, 397, 1209, 1269, 1801, 1820, 1897 Nr. 4 S. 1390, 1453, 1497, 1519, S. 1621, 1866, 1942, 2224 Nr. 5 S. 1383, 1772 Nr. 7 S. 1390 Nr. 8 S. 1296, 1305, 1623, 2009, 2168 Nr. 9 S.50, 70f., 1296, 1306, 1589 Nr. 10 S. 62f., 1384 Nr. 11 S. 381, 1389, 1394, 1501, 1974 Nr. 12 S. 1247, 1387f., 1390, 1403, 2024 Nr. 13 S. 1301 Nr. 15 S. 1301, 1868, 2023 Nr. 16 S. 1428 Nr. 17 S. 2049 Nr. 21 S. 2042, 2053 Nr. 22 S. 1720, 2047 Nr. 23 S. 370, 1401, 1942, 1973, 1976, 1982, S. 1990, 2029, 2040 Nr. 25 S. 371, 1390, 2041 Nr. 26 S. 375, 1401 Nr. 27 S. 1599, 2029 Nr. 28 S. 594, 1458, 2037 Nr. 30 S. 1390 Nr. 31 S. 55, 64, 394, 578, 580, 1380, S. 1386, 1460, 1664, 1771 Nr. 32 S. 50, 596, 1385, 1413 Nr. 33 S. 90, 1388, 1390, 1979 Nr. 34 S. 460, 1386, 1395 Nr. 35 S. 56, 108, 1247, 1387, 1389, 1396 Nr. 36 S. 56, 69, 250, 1314, 1387, 1599, 1639 Nostra aetate, Erklärung zum Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen vom 28. Oktober 1965 Nr. 2 S. 1400 Nr. 3 S. 1939, 2035 Optatam totius, Dekret über die Ausbildung der Priester vom 18. Oktober 1965 Nr. 2 Nr. 6 Nr. 16 Nr. 19 Orientalium Ecclesiarum, Dekret über die katholischen Ostkirchen vom 21. November 1964 S. 2104 Perfectae caritatis, Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Or- 2377 S. 1413 S. 356, 1977, 2050 S. 1395, 1977 S. 1412, 1420, 2050 S. 1992 S. 347 S. 356, 359, 703 S. 1978 S. 164 denslebens vom 28. Oktober 1965 Nr. 1 S. 397 Nr. 5 S. 315, 1450 Nr. 7 S. 395, 1764 Presbyterorum Ordinis, Dekret über Dienst und Leben der Priester vom 7. Dezember 1965 Nr. 2 Nr. 5 Nr. 9 Nr. 10 Nr. 11 Nr. 13 Nr. 15 can. 216 S. 1385 ean. 223, 2 S. 1385 can. 992 S.2158 can. 1061 S. 2086 can. 1234, par. 1 S. 1726 Didache 9,2-3; 10,2 Die Feier der Kircbweibe und Altarweihe n. Kap., Nr. 1 S.2121 Sacrosanctum concilium, Konstitution über die hl. Liturgie vom 4. Dezember 1963 Nr, 10 Nr. 83 S. 677 S. 547 Unitatis redintegratio, Dekret über den Ökumenismus vom 21. Novem- ber 1964 Nr. 1 S. 1301, 2166 Nr. 2 S. 752, 1382 Nr. 3 S. 1395, 2210 Nr. 3 A S. 2104 Nr. 4 S. 752, 2166, 2168 Nr. 5 S. 753, 1400 Nr. 6 S. 2027 Nr. 7 S. 2027 Nr. 8 S. 17, 22, 2027 Nr. 12 S. 18, 1384, 2166 Nr. 14 S. 1303, 1746 Nr. 15 S. 1303 Nr. 16 . S.1746 Nr. 20 S. 1302 Nr. 22 S. 19, 2166 Nr. 23 S. 2205 Nr. 24 S. 1400 Codex Iuris Canonici can. 37 S. 1984 can. 215 S. 1247, 1385, 1403 Gabengebet Hymne der Karwochenvesper S. 1763 S. 567 Messe von der Aufnahme Marias in den Himmel S. 178 Oration der 1. Woche im Jahreskreis S. 1880f. Ordo celebrando Matrimonium Nr. 25 S. 530 Präfation des Christkönigsfestes S. 69 Präfation für die Osterzeit H S. 740 Stundengebet zum Hochfest von Mariä Aufnahme in den Himmel, 15. August, Hymnus zur 1. und 2. Vesper; Petrus Damiani, Carmina et pre- ces, XLVH: PL 145, 934 S. 1280 2378 Tagesgebet der Messe „Für den Fortschritt der Völker“: Missale Romanum ed. tip. altera (1975) 820 Bischöfe der DDR Pästoralbrief vom 8. September 1986 S. 1845 S.1879 S. 1640 Zwischengesang zum Evangelium Bischöfe Frankreichs Region Südwest; Bericht beim Ad-limina-Besuch am 6.2.1987 S. 1907 Bischofssynode (Rom, außerordentliche Bischofssynode 1985) Schlußdokument, 9. Dezember 1985; in: OR. dt., 3.1.1986, S. 14; Verl. Apost. Stuhl 68 A, 4 C, 6 C, 7 2. Teil Nr. 4 S. 76 S. 173 S. 751 S. 1247 Bischöfe von Ghana Erklärung vom 11. Juli 1987 S. 1943 n, A, 4 B, A, 5 n, B, b,l n, c, l n, c, 2 n, c, 7 n, c, 6 n, d, l n, D, 2 u. 3 n, d, 4 S. 1902, 2014 S. 277 S. 1905 S. 502, 1379, 1413, 1901 S. 593 S. 20 S. 186 S. 1385 S. 1380 S. 1397 Lateinamerikanische Bischofskonferenz Die Evangelisierung Lateinamerikas in Gegenwart und Zukunft, Schlußdokument der Hl. Vollversammlung des lateinamerikanischen Episkopats in Puebla, ' 26.1.-13.2.1979; in: Stimmen der Weltkirche 8, Hrsg.: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz Nr. 3 Nr. 385 Nr. 385-443 Nr. 387 Nr. 389 Nr. 476 S. 368 S. 405 S. 603f. S. 402 S. 403 S. 509 S. 1468 S. 1468 Bischofssynode 1987 Instrumentum laboris; in: Verl. Apost. Stuhl 78 Nr. 26 S. 180 Nr. 35 S. 216 Botschaft an das Volk Gottes vom 29. Oktober 1987 Nr. 12 S. 1935 Schlußbotschaft Nr. 4 S. 2061 Nr. 7 S. 2063 Bischöfe von Portugal Hirtenbrief vom 17. Mai 1987 S.2010 Argentinien Präambel der Verfassung S. 1757 Confessio Augustana Nr. 20 S. 616 Grundordnung des Kirchenjahres und des neuen römischen Generalkalenders Nr. 18 Nr. 21 Nr. 3 Nr. 4 Nr. 5 Nr. 6 Nr. 7 Nr. 7c Nr. 8 Nr. 9 Nr. 10 Nr. 11 Nr. 12 Nr. 13 Nr. 14 Nr. 14-15 Nr. 14-18 Nr. 15 Nr. 15 f. Nr. 16 Nr. 17 Nr. 18 Nr. 19 Nr. 19-21 Nr. 20 Nr. 22 Nr. 22-26 Nr. 27 Nr. 28 Nr. 29 Nr. 30 Nr. 31 Nr. 32 Nr. 33 Nr. 34 Nr. 35-36 Nr. 35 Nr. 36 i Nr. 37 Nr. 38 Nr. 39 Nr. 41 Nr. 42 Nr. 43 Nr: 44 Nr. 51 ff. Nr. 52 Nr. 53 b Nr. 54 Nr. 55 Katholische Aktion Statut Art. 1 S. 1537 Art. 10 S. 1537 Missionare des Heiligsten Herzens Konstitution Nr. 27 S. 1602 Ökumenischer Rat der Kirchen Konvergenzerklärung „Taufe, Eucharistie und Amt“ (Lima-Dokument) von 1982 der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK Vorwort S. 2164, 2174 Nr. 1 S. 752, 2174f., 2183 Nr. 2 ; S. 2175 S. 2175 S. 2174f., 2184 S.2174L, 2188, 2196 S. 751, 2175-2177, 2183, 2185, 2196 S. 2174-2176, 2185 S. 2202 S. 2175, 2183, 2186, 2195, 2197 S. 2175, 2178, 2186f., 2194f. S. 2175, 2178, 2187 S. 2194, 2197 S. 2175, 2179, 2187, 2197 S. 2176, 2194 S.2174L, 2197 S. 2188 S. 2189 S. 2189, 2198, 2208 S. 2198 S. 2189 S. 2174 S. 2175, 2183, 2199 S. 2186, 2190, 2195, 2199 S. 2195 S. 2200 S. 2175, 2183, 2195, 2199 S. 2190 Nr. 23 S. 2175, 2183, 2200 Nr. 24 S. 2191, 2200 Nr. 26 S. 752, 2200 S. 2200 S. 2200, 2208 S: 2191, 2200 S. 2183, 2200 S. 2200 S. 2200 S. 2192, 2200 S. 2201, 2202 S. 2195 S. 2201 S, 2195, 2201 S. 2204, 2210 S.2173, 2195, 2201f., 2210 S. 2202-2204 S.2202f. S. 2203 S: 2203 S. 2203 S. 2208 S. 2202 S. 2195, 2202 S. 2199 S. 2206 VI. Vollversammlung, 1983; in: Bericht aus Vancouver 1983, S. 77 S. 2173 Aiphonsus M. deLigorio, bi. Del gran mezzo delle preghiera e puscoli affini (Aszetische Werk II), Rom 1962, S. 171 S. 1576 Theologia moralis, ed. L. Gaude, n. Rom 1907, S. 53 S. 1575 Ambrosius, hi. Expos. Ev. Luc. 1,17 S. 1723 Augustinus, hi. De Baptismo IV 24,31; in: Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Lati-norum (=CSEL) 51, S. 259 S. 1732 2380 De civitate Dei XV, 15: PL.42,459 S. 382 xvm, 51 S. 1296 19,13 S. 509 De opere monachorum XXIX, PL 40, 577 S. 1439 In Io.Ev.Tr. 17,1 S. 265, 268 Quaest. Evangeliorum 1,1; PL 35,1323 S. 1776 Selbstgespräche 2,1 S. 1690 Sermo 191,3; PL 38,1010 S. 1768 195,2; PL 38,1018 S. 1768 337,1 S. 482 Summa theol. I, q29,a.l S. 1689 Tract. in Io. 27,7 S. 304 Cyrill Vita Constantini XVI, lf.: Con-stantinus et Methodius Thessaloni-censes, Fontes, recensuerunt et illustraverunt S. 2105 Basilius, bl. Epistula Nr. 70 S. 750 Über den Heiligen Geist, in: SCh 17bis VH 16,21, S. 298 S. 1732 VH 32,2, S. 300 S. 1732 IX 33,2, S. 322 S. 1732 XXIX 71,6, S. 500 S. 1732 XXX 79,15, S. 528 S. 1732 XXVH 66,1-3, S. 478-480 XVm 45,19, S. 406 S. 1732 S. 1733 Baitbsar, H.U. von Neue Klarstellungen, Einsiedeln 1979, S. 114 S. 1770 Bonaventura, bl. Itinerarium Prologus4 S.685 Damaskenos, Johannes, bl. Bilderrede 116, in: PG 94, 1246A; und ed. Kotter, 116, S. 89 S. 1737 Bilderrede m,3, in: PG 94, 1320-1321; B. Kotter, Die Schriften des Johannes von Damakos Bd. m S. 1732 Dante Alighieri Göttliche Komödie Paradies, XXXm, 1 S. 1280 Deutz, Rupert von De divinis officiis: Migne, PL 170, 43 n, 11 S. 1386 Galen, Clemens-August von, Kardinal Predigt am 3. August 1941 S. 630 Gregor von Narek Buch der Gebete LXXX,1 S. 1715 Panegyrikon an die hl. Jungfrau Nr. 3 Nr. 7 Nr. 9 S. 1714 S. 1714 S. 1717 2381 58 S. 287 Popieluszko, Jerzy Patriotische Predigten, Paris 1984, Hieronymus, hl. Epis In Arci Ev. I 13,21 S. 685 Ignatius von Antiochien Brief an die Bewohner von Smyrna Nr.8 S. 369 Brief an die Römer S. 2045 Rom, prol. S. 1688 Irenäus, hl. Aversus haereses m, 17,1 S. 173 IE, 22,4 S. 1288f. Johannes vom Kreuz, bl. Der Ruf der lebendigen Liebe 3. Gesang S. 548 Kamillus, hl. Regel XXVH S. 1432 Luciani, Albino; Kardinal S. Alfonso cent’anni fa era procla-mato Dottore della Chiesa. Brief an die Priesterschaft von Venedig zum Gründonnerstag 1972, Venedig, S. 41 S. 1578 Matulaitis, Mons. Tagebuch, 17. August 1911 S. 1504 Nerses von Lambron, Bischof Rede an die Synode, passim S. 1717 S. 65-66 S. 761 RoncalliA.G. H giomale dell’anima, Rom 1964, S. 462 Santo, P. Lucas del Espiritu Brief an P. Miguel Ruiz OP, 28.9.1630 S. 1650 Stein, Edith Autobiographie S. 747 Sokrates Phädon, 85 d S. 1689 Soronios, hi. Anacr., XX: PG 87/3, 3821-3824 S. 142 Studites, Theodoros Antirrheticus 1,10, in: PG 99, 339 D. S. 1736 Taanoia, A.M. Della vita ed Institute del venerabi-le servon die Dio Alfonso Maria Liguori, Vescovo di S. Agata de’ Goti e Fondatore della Congrega-zione de’ Preti Missionari del SS. Redentore, m, Neapel 1800 S. 88 S. 1575 Tarasios, Patriarch von Konstantinopel Brief an Papst Hadrian I., in: J. D. Mansi, Sacrorum Conciliorum no- va et amplissima Collectio XH, 994 A, 1041 D, 1114 B S. 1730 XD, 985 C. S. 1730 XU, 1085 C. S. 1730 xn, 1086 C. S. 1730 2382 S. 1729 S. 1730 S. 1731 S. 1730 xm, 59 c. xm, 157 B, 204 B, 366 A xm, 463 B-C. xm, 208E-209 A. Thomas von Aquin Summa Theol. I p., a.l 11-11, q. 101, Art 3 ad 1 S. 406 S. 517 Teresa von Jesus Weg der Vollkommenheit 12,2 S. 1335 Valdivia, Don Pedro de Brief aus La Serena, 4. September S. 1545 Theresia von Lisieux, hl. Geschichte einer Seele: Man. A., Kap. V S. 1438 2383 Abkürzungen AA „Apostolicam actuositatem“ n. Vat. Konzil: Dekret über das Apostolat der Laien LG „Lumen gentium“ n. Vat. Konzil: Dogmatische Konstitution über die Kirche AG „Ad gentes“ n. Vat. Konzil: Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche NA „Nostra aetate“ n. Vat. Konzil: Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichfchristlichen Religionen DH „Dignitatis humanae“ n. Vat. Konzil: Erklärung über die Religionsfreiheit OT „Optatam totius“ n. Vat. Konzil: Dekret über die Ausbildung der Priester DV „Dei Verbum“ II. Vat. Konzil: Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung PC „Perfectae caritatis“ H. Vat. Konzil: Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens EN „Evangelii nuntiandi“ Paul VI.: Apostolisches Schreiben über die Evangelisierung in der Welt von heute vom 8.12.1975 PM „Provida Mater“ Pius XII.: Apostolische Konstitution über die kanonischen Stände und Weltgemeinschaften zur Erlangung der christlichen Vollkommenheit vom 2.2.1947 ES „Ecclesiam suam“ Paul VI.: Enzyklika „Die Wege der Kirche“ vom 6.8.1964 PO „Presbyterorum Ordinis“ n. Vat. Konzil: Dekret über Dienst und Leben der Priester GS „Gaudium et spes“ II. Vat. Konzil.: Pastoralkonstituion über die Kirche in der Welt von heute RH „Redemptor Hominis“ Johannes Paul IL: Antrittsenzyklika über die Würde des Menschen in Christus vom 4.3.1978 hHV „Humanae vitae“ Paul VI.: Enzyklika über die rechte Ordnung der Weitergabe menschlichen Lebens vom 25.7.1968 UR „Unitatis redintegratio“ n. Vät. Konzil: Dekret über den Ökume-nismus