Bei der Generalaudienz am 13. Dezember WO LIEBE IST, DA IST AUCH FREUDE 1. Zum dritten Mal spreche ich bei unseren Mittwochsaudienzen nun über den Advent und folge damit dem Gang der Liturgie, die uns ganz einfach und zugleich sehr tief in das Leben der Kirche einführt. Das Zweite Vatikanische Konzil, das uns eine reiche und umfassende Lehre über die Kirche geschenkt hat, lenkte unsere Aufmerksamkeit auch auf die Liturgie. Durch sie lernen wir nicht nur verstehen, was die Kirche ist, sondern erfahren auch jeden Tag, wovon sie lebt. Auch wir leben davon, weil wir Kirche sind: ,,Die Liturgie . . . trägt in höchstem Maße dazu bei, daß das Leben der Gläubigen Ausdruck und Offenbarung des Mysteriums Christi und des eigentlichen Wesens der wahren Kirche wird, der es eigen ist, zugleich göttlich und menschlich zu sein, sichtbar und mit unsichtbaren Gütern ausgestattet, voll Eifer der Tätigkeit hingegeben und doch frei für die Beschauung, in der Welt zugegen und doch unterwegs" (Sacrosanctum Concilium, Nr. 2). Jetzt lebt die Kirche im Advent, und deshalb steht diese liturgische Zeit auch im Mittelpunkt unserer Mittwochsbegegnungen. Advent bedeutet „Ankunft". Um in die Wirklichkeit des Advents einzudringen, haben wir bisher auf den zu schauen versucht, der kommt und für wen er kommt. Wir haben also von einem Gott gesprochen, der durch die Erschaffung der Welt sich selbst offenbart: von einem Schöpfer-Gott. Am vergangenen Mittwoch haben wir vom Menschen gesprochen. Heute wollen wir fortfahren, um eine möglichst umfassende Antwort auf die Frage zu finden: Warum Advent? Warum kommt Gott? Warum will er zum Menschen kommen? Die Adventsliturgie gründet sich vor allem auf die Texte der Propheten des Alten Testaments. In ihr kommt fast täglich der Prophet Jesaja zu Wort. Er war in der Geschichte des Gottesvolkes des Alten Bundes ein besonderer „Deuter" der Verheißung, die dieses Volk lange vor ihm in der Person seines Stammvaters Abraham von Gott empfangen hatte. Wie alle anderen Propheten und vielleicht noch mehr als sie stärkte Jesaja in seinen Zeitgenossen den Glauben an die göttlichen Verheißungen, die am Fuße des Berges Sinai durch den Bundesschluß bekräftigt worden waren. Er lehrte vor allem, auszuschauen in Erwartung und Treue: ,,Du Volk auf dem Berge Zion, der Herr wird die Völker retten und seine mächtige Stimme erschallen lassen zur Freude eures Herzens" (vgl. Jes 30, 19.30). Als Christus auf Erden lebte, bezog er sich immer wieder auf die Worte des Jesaja. Deutlich sagte er: ,,Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt" (Lk 4, 21). 2. Die Liturgie des Advents trägt historische Züge. Das Warten auf die Ankunft des Gesalbten ( des Messias) vollzog sich in einem geschichtlichen Prozeß. Es hat in der Tat die ganze Geschichte Israels durchzogen, das ja auserwählt war, das Kommen des Erlösers vorzubereiten. Unsere Überlegungen gehen jedoch in gewisser Weise über die tägliche Adventsliturgie hinaus. Kehren wir daher zu der grundlegenden Frage zurück: Warum kommt Gott? Warum will er zum Menschen, zur Menschheit kommen? Die entsprechende Antwort auf diese Fragen suchen wir, und wir suchen sie in den Anfängen selbst, das heißt noch bevor die Geschichte des auserwählten Volkes begonnen hatte. Dieses Jahr richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf die ersten Kapitel des Buches Genesis. Der „historische" Advent wäre ohne eine genaue Lektüre und Analyse dieser Kapitel nicht verständlich. Wenn wir daher eine Antwort auf die Frage: Warum Advent? suchen, müssen wir noch einmal aufmerksam die ganze Schilderung der Erschaffung der Welt und insbesondere der Erschaffung des Menschen lesen. Es ist bezeichnend - ich habe bereits darauf hingewiesen-, daß die einzelnen Tage der Schöpfung mit der Feststellung enden: ,,Gott sah, daß es gut war." Nach der Erschaffung des Menschen aber heißt es: ,,Gott sah, daß alles, was er gemacht hatte, sehr gut war" (Gen 1, 31 ). Diese Feststellung verbindet sich, wie ich bereits vergangene Woche gesagt habe, mit dem Segen über das Geschaffene und vor allem mit einem ausdrücklichen Segen für den Menschen. In diesem ganzen Schöpfungsbericht steht ein Gott vor uns, der, um mit dem hl. Paulus zu sprechen, sich an der Wahrheit und am Guten freut (vgl.1 Kor 1, 6). Wo die Freude ist, die aus dem Guten entspringt, dort ist die Liebe. Und nur dort, wo die Liebe ist, ist die Freude, die aus dem Guten erwächst. Das Buch Genesis offenbart uns von seinen ersten Kapiteln an Gott, der die Liebe ist, obwohl dieser Ausdruck erst viel später vom hl. Johannes verwendet werden sollte. Er ist die Liebe, weil er sich über das Gute freut. Die Schöpfung ist also zugleich ein echtes Geschenk: wo es Liebe gibt, beginnt das Schenken. Das Buch Genesis bezeichnet den Anfang des Bestehens der Welt und des Menschen. Bei der Auslegung müssen wir natürlich mit dem hl. Thomas von Aquin eine folgerichtige Seinsphilosophie entwickeln, eine Philosophie, in der die Seinsordnung selbst zum Ausdruck kommt. Doch das Buch Genesis spricht von der Schöpfung als Geschenk. Gott, der die sichtbare Welt erschafft, ist der Schenkende; der Mensch aber ist der, der das Geschenk empfängt. Für ihn erschafft Gott die sichtbare Welt. Ihn führt Gott von Anfang an nicht nur in die Ordnung des Seins, sondern auch in die Ordnung des Schenkens ein. Die Tatsache, daß der Mensch „Abbild und Gleichnis" Gottes ist, bedeutet unter anderem seine Fähigkeit, das Geschenk zu empfangen und daß er für diese Gabe aufgeschlossen ist, ja sie sogar erwidern kann. Daher schließt Gott von Anfang an mit dem Menschen und nur mit ihm einen Bund. Das Buch Genesis offenbart uns also nicht nur die natürliche Seinsordnung, sondern zugleich schon zu Beginn die übernatürliche Ordnung der Gnade. Von der Gnade können wir nur sprechen, wenn wir die Wirklichkeit des Geschenkes annehmen. Wir erinnern uns an den Katechismusunterricht: die Gnade ist die übernatürliche Gabe Gottes, durch die wir zu Kindern Gottes und zu Erben des Himmels werden. 3. Was hat das alles mit dem Advent zu tun? können wir berechtigterweise fragen: Meine Antwort: Der Advent zeichnet sich zum ersten Mal am Horizont der Geschichte des Menschen ab, als Gott sich selbst als der offenbarte, der sich über das Gute freut, der liebt und der schenkt. In diesem Geschenk an den Menschen hat sich Gott nicht darauf beschränkt, die sichtbare Welt zu geben - das ist von Anfang an klar-, sondern mit dem Geschenk der sichtbaren Welt an den Menschen will Gott sich selber dem Menschen schenken. Auch der Mensch vermag sich hinzugeben, wie er sich selber - von Person zu Person - dem anderen Menschen hinschenkt. So schenkt Gott sich selber, indem er dem Menschen die Teilnahme an seinem Mysterium, ja sogar an seinem Leben gewährt. Dies erfüllt sich in greifbarer Weise in den Beziehungen zwischen Familienmitgliedern: Ehemann - Ehefrau; Eltern - Kinder. Das ist der Grund, warum die Propheten sehr oft diese Beziehungen zum Vergleich benutzen, um das wahre Bild Gottes aufzuzeigen. Die Gnadenordnung ist nur in einer Welt von Personen möglich. Sie meint ein Geschenk, das immer Menschen formen und zur Gemeinschaft verbinden will; das Buch Genesis schildert tatsächlich ein solches Verschenken. Auch die Form dieser Personengemeinschaft wird dort schon von Anfang an umrissen. Der Mensch ist zur Familiengemeinschaft mit Gott, zur Intimität und Freundschaft mit ihm berufen. Gott will ihm nahe sein. Er will ihn an seinen Plänen teilhaben lassen. Er will ihm an seinem Leben Anteil geben. Er will ihn glücklich machen durch sein eigenes Glück, durch sein eigenes Sein. Für all das braucht es das Kommen Gottes und die Erwartung des Menschen: seine Verfügbarkeit. Wir wissen, daß der erste Mensch, der sich der ursprünglichen Unschuld und einer besonderen Nähe seines Schöpfers erfreute, diese Verfügbarkeit nicht gezeigt hat. Dieser erste Bund Gottes mit dem Menschen ist zerbrochen, doch der Wille Gottes, den Menschen zu retten, hat nicht aufgehört. Die Ordnung der Gnade ist nicht zerstört worden, und deshalb dauert der Advent noch immer an. Die Wirklichkeit des Advents kommt unter anderem in den folgenden Worten des hl. Paulus zum Ausdruck: ,,Gott ... will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen" (1 Tim 2, 4). - Dieses „Gott will es" bedeutet eigentlich Advent, und es ist das Fundament für jeden Advent.